Die wohl wichtigste und folgenreichste Entwicklung unserer Zeit ist die Machtverschiebung im kapitalistisch dominierten Weltwirtschaftssystem und die damit verbundene Ausbreitung des ressourcenverschlingenden Produktions- und Konsumtionsmusters der alten Industrieländer. Waren wir es bislang gewohnt, dass die kapitalistischen Industrieländer der „Triade“ aus Nordamerika, Japan und Westeuropa – wo knapp ein Siebtel der Weltbevölkerung lebt – die Welt militärisch, wirtschaftlich, politisch und kulturell nahezu unumschränkt beherrschen und gleichzeitig die übergroße Mehrheit der Menschheit vom westlichen Lebensmuster ausschließen konnten, so erleben wir seit einigen Jahren, dass neue globale Akteure die Weltbühne betreten (oder: wieder betreten) und ein wachsender Teil ihrer Bewohner westliche Konsummuster zu übernehmen beginnen.
„Z“ hat sich seit einigen Jahren bemüht, die wirtschaftlichen Seiten dieses Prozesses, die wir als den bestimmenden Aspekt betrachten, immer wieder zu beleuchten. Dabei ist „wirtschaftlich“ im weiten Sinne gemeint – natürlich gehören dazu auch Veränderungen der ökologischen Existenzbedingungen und der sozialen Kräfteverhältnisse. Ausführlicher darauf eingegangen (Schwerpunkte) waren wir in den Heften 67 (September 2006), 71 (September 2007), 73 (März 2008), 76 (Dezember 2008), 84 (Dezember 2010) und 85 (März 2011). Dabei standen die empirisch beobachtbaren Veränderungen im Mittelpunkt.
Im vorliegenden Schwerpunkt interessieren wir uns vor allem für die theoretische Fassung dieser Prozesse – für viele linke, kritische Beobachter der Weltwirtschaft galt es spätestens seit den 1950er Jahren, seit der Entkolonialisierung, als ausgemacht, dass die Länder der „Peripherie“, der „Dritten Welt“, die „Entwicklungsländer“ im Rahmen des kapitalistisch geprägten Weltsystems auf Dauer in einer Struktur der Abhängigkeit gefangen sein würden. Ohne eine einschneidende Veränderung dieses Systems – so eine weit verbreitete Ansicht – könnte es den Ländern der Peripherie nicht gelingen, die Rückstände gegenüber den Industrieländern aufzuholen und eine eigenständige Rolle im Weltsystems zu spielen.
Die derzeit empirisch beobachtbaren Verschiebungen, insbesondere die Entstehung neuer wirtschaftliche Wachstum- und Machtpole in einigen Ländern des „Südens“ und die Krisen- und Stagnationserscheinungen im globalen „Norden“, veranlassen uns, jene theoretischen Grundlagen näher zu betrachten, welche Auf- und Abstiegsprozesse im Weltsystem zu erklären suchen. Dem ist Schwerpunkt dieses Heftes gewidmet.
Im Folgenden wollen wir jedoch zunächst einleitend mit Hilfe einiger weniger Daten und Zahlen einen zusammenfassenden Überblick über die wichtigsten wirtschaftlichen Verschiebungen geben.
Im Mittelpunkt der Debatten steht dabei das Wachstum, gemessen als prozentuale Veränderung der jährlich erzeugten Menge an Güter und Leistungen, d.h. des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Weit davon entfernt, etwas über Wohlstand oder gar gutes Leben auszusagen spiegelt es doch den Stand und die Veränderung der Produktivkräfte wider.
Tabelle 1: Wachstum der Weltwirtschaft (BIP) nach Regionen (Zehnjahresdurchschnitte, Veränderung in %, preisbereinigt)
Regionen/Länder
1980 - 1989
1990 - 1999
2000 - 2009
2010–20124
Industrieländer1
3,0
2,7
1,7
2,0
Entwicklungsländer
3,8
3,9
6,1
6,3
- GUS/Russland
3,5
- 5,0
6,0
4,3
- Asien2, dar.
China
Indien
6,9
9,7
5,6
7,4
10,0
5,7
8,2
10,3
7,0
8,2
9,1
8,1
- Lateinamerika
2,1
3,0
3,1
4,8
- Afrika3
2,5
2,1
5,6
5,2
Welt
3,3
3,2
3,6
4,1
1 Einschließlich asiatische ‚Tigerstaaten’; 2 Ohne asiatische Industrieländer;
3 Südlich der Sahara; 4 Schätzung bzw. Prognose vom Januar 2012
Quelle: IMF, World Economic Outlook, Database; eigene Berechnungen
Die Tabelle 1 zeigt erstens, dass die Erzeugung von Gütern und Leistungen, gemessen am BIP, schon seit den 1980er Jahren weltweit in einem atemberaubenden Tempo zunimmt, wodurch schon heute die ökologischen Ressourcen der Welt dramatisch überdehnt werden. Denn bis heute basiert die beschleunigte Expansion auf einer Ausbreitung der ressourcenintensiven „fossilen“ Produktions- und Konsumtionsmuster der alten Industrieländer. Das lässt sich vor allem an der Klimaveränderung, der schrumpfenden Artenvielfalt, der Degradation von Ackerböden und der Übernutzung der Wasserressourcen ablesen. Niemals in der Geschichte der Menschheit gab es jemals eine derart große und lange wirtschaftliche Wachstumsperiode: Zwar erreichte das Wachstum im vielgerühmten „Goldenen Zeitalter“ des Kapitalismus, also zwischen 1950 und 1973, jährlich 4,9 %, bei einer Bevölkerungszunahme von jährlich knapp 2 %.[1] Diese Periode dauerte aber nur rund 20 Jahre, während die aktuelle Expansionsperiode etwa seit Mitte/Ende der 1980er Jahre angesetzt werden kann. Dabei scheint sich das Wachstumstempo – über alle Krisen hinweg – seit Mitte der 1990er Jahre, seit der Überwindung der Folgen des Zusammenbruchs der Länder des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), nochmals beschleunigt zu haben, während sich das Tempo der Bevölkerungszunahme weltweit verlangsamt – seit 2000 liegt die Bevölkerungszunahme bei jährlich gut 1 %.
Bemerkenswert ist zweitens seit den 1990er Jahren die Verlagerung der Wachstumspole in die Länder der ehemaligen Peripherie: Im „Goldenen Zeitalter“ war das Wachstum weltweit relativ ausgeglichen, lediglich Japan ragte heraus. Dabei ist allerdings zu differenzieren: Denn das beschleunigte Wachstum in Afrika und in einigen Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und Lateinamerikas seit etwa 2000 hängt mit der beschleunigten Ausbeutung natürlicher Ressourcen zusammen, ist bislang also angetrieben durch den Rohstoffboom. Ob es dort gelingen wird, die rohstoffbasierte Expansion breiter zu untermauern, ist derzeit noch ungewiss.
Vor diesem Hintergrund ist drittens die herausragende Rolle Asiens und dabei ganz zentral Chinas hervorzuheben. Die lang anhaltende, ressourcenintensive und besonders rasche Expansion dieses Landes erscheint als wichtigste Triebkraft vieler anderer Veränderungen. Von einem gleichmäßigen Aufholen der Peripherie insgesamt kann also derzeit keine Rede sein.
Demgegenüber fällt viertens die Wachstumsverlangsamung in den klassischen Industrieländern ins Auge. Die Wachstumsschwäche der „Triade“ wird statistisch sogar noch dadurch ‚geschönt’, dass der Internationale Währungsfonds (IMF) seit einiger Zeit die so genannten asiatischen „Tigerstaaten“ (Südkorea, Taiwan, Singapur, Hongkong) zu den Industrieländern („Advanced Economies“) zählt. Die Wachstumsschwäche im „Norden“ erklärt sich teilweise mit der Tatsache (was die Tabelle nicht zeigt), dass sich die klassischen zyklischen Wirtschaftskrisen in den letzten Jahrzehnten (zuletzt die von 2008/2009) vor allem in den Industrieländern, in Lateinamerika und in den GUS-Ländern in Form von zeitweiligen Produktionsrückgängen bemerkbar gemacht haben, während das handelspolitisch stark integrierte Asien (ohne Japan) dadurch nur wenig berührt wurde. Das muss natürlich nicht so bleiben: Es bleibt abzuwarten, ob sich dort nicht auch der klassische kapitalistische Krisen/Konjunkturzyklus herausbildet.
Die anhaltenden Wachstumsunterschiede sowohl zwischen „Norden“ und „Süden“ als auch innerhalb des „Südens“ haben die Strukturen der Weltwirtschaft, gemessen an der regionalen Verteilung der Produktion, schon jetzt erheblich verändert. Allen kurz- und mittelfristigen Prognosen zufolge wird sich dieser Prozess fortsetzen.
Die Tabelle 2 zeigt das Ergebnis der unterschiedlichen Wachstumsdynamiken seit 1980. Klar wird erstens, dass die Aufholprozesse innerhalb der ehemaligen Peripherie sehr unterschiedlich verlaufen sind. Während der Anteil der industrialisierten Weltregionen an der Weltproduktion nominal (jeweilige US $) etwas gesunken ist (stärker gerechnet zu KKP), steigt der Anteil Asiens kräftig an. Dabei ist dieser Anteilsgewinn des östlichen Kontinents überwiegend – wenn auch nicht ausschließlich – China zu verdanken: Der Aufstieg Chinas ist das herausragende Ereignis der letzten 30 Jahre. Die übrigen Regionen haben zwar gegenüber den alten Industrieländern etwas aufgeholt (insbesondere Lateinamerika), im Vergleich zu China aber sind sie eher zurückgefallen.
Tabelle 2: Struktur der Weltproduktion nach Regionen, Vergleich zu laufenden US-Dollar ($) und zu Kaufkraftpariäten-Dollar (KKP), jeweilige Preise
1980, Anteile am Welt-BIP in %
2012, Anteile am Welt-BIP in %
Regionen/Länder
BIP zu lfd. US$
BIP zu KKP*
BIP zu lfd. US$
BIP zu KKP*
Industrieländer, dar.:
- USA
- EU
- Japan
76,2
26,0
34,1
10,0
69,0
24,6
31,4
8,6
63,2
21,0
25,1
9,2
50,0
18,7
19,5
5,5
Entwicklungsländer, dar:
23,8
31,0
36,8
50,0
- GUS/Russland
5,1 (1992)
5,9 (1992)
3,8
4,3
- Asien, dar.:
China
Indien
6,2
1,9
1,7
8,0
2,2
2,5
16,7
10,5
2,7
26,1
15,1
5,9
- Lateinamerika
7,9
11,3
8,0
8,7
- Afrika
2,6
2,6
1,8
2,1
BIP der Welt
10.710
(US $)
11.318 (US-KKP)
73.741 (US-$)
82.827 US-KKP
* KKP=Kaufkraftparitäten: Um die Werte der in verschiedenen nationalen Währungen bewerteten Güter und Leistungen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) international vergleichbar zu machen, werden diese in US-Dollar umgerechnet. Dabei werden einmal die jeweiligen Wechselkurse benutzt (lfd. US$); da die Kaufkraft eines US-Dollars bzw. seines Gegenwerts in nationaler Währung aber in unterschiedlichen Ländern verschieden ist, werden die nationalen Preise auch so umgerechnet, dass die jeweiligen Kaufkraftverhältnisse zugrunde gelegt werden: Dies ergibt ein fiktives BIP, bewertet zu Kaufkraftparitäten-Dollar.
Quelle: IMF, World Economic Outlook, Database; eigene Berechnungen.
Insbesondere der Vergleich China/Indien ist schlagend, wobei Indien ein deutlich rascheres Bevölkerungswachstum aufweist als China; bevölkerungsmäßig liegen die beiden asiatischen Riesenländer inzwischen fast gleichauf. Wirtschaftlich waren Indien und China 1980 etwa gleich ‚stark’; inzwischen übersteigt das chinesische Inlandsprodukt aber jenes Indiens um das Drei- bis Vierfache. Dem anteilsmäßigen Rückfall der Industrieländer (gemessen an jeweiligen US $) um 13 Prozent entspricht ein Anstieg des chinesischen Anteils um fast 9 Prozent. Rechnet man zu Kaufkraftparitäten (was die Produktivität besser widerspiegelt), dann entspricht dem Rückfall des ‚Westens’ um 19 Prozent ein chinesischer Gewinn von 13 Prozent. Wie man es dreht und wendet: Es gibt eine große neue Wirtschaftsmacht, nämlich China – die anderen Mitglieder der BRIC-Familie sind weiterhin nur unter ‚ferner liefen’ zu nennen. Das könnte sich in ändern, wenn man die Wachstumsraten der jüngeren Vergangenheit in die Zukunft projiziert – bis dahin aber wird, wenn überhaupt, noch viel Wasser den Ganges, den Amazonas und den Sambesi hinunter fließen.
Tabelle 3: Welthandel: Warenexporte, Werte und Anteile von ausgewählten Regionen und Ländern in lfd. US $ und in %, jeweilige Preise
2000
2010
Region/Land
Mrd. US $
Anteil (%)
Mrd. US $
Anteil (%)
Nordamerika, dar.:
- USA
1.225
782
19,0
12,1
1.946
1.278
12,8
8,4
Süd/Zentralamerika, dar.:
- Brasilien
198
55
3,1
0,9
577
202
3,8
1,3
Europa, dar.:
- EU-27, dar.:
Deutschland
2.634
2.453
552
40,8
38,0
8,6
5.632
5.153
1.269
37,0
33,8
8,3
GUS, dar.:
- Russland
146
106
2,3
1,6
588
400
3,9
2,6
Afrika, dar.:
- Südafrika
149
30
2,3
0,5
508
82
3,3
0,5
Mittlerer Osten
268
4,2
895
5,9
Asien, dar.:
- Japan
- China/Hongkong
- Indien
1.837
479
249/203
42
28,5
7,4
3,9/3,1
0,7
5.072
770
1.578/401
220
33,3
5,1
10,4/2,6
1,4
Welt
6.456
100
15.237
100
Quelle: WTO, International Trade Statistics 2011, Appendix: Historical Trends; eigene Berechnungen
Die Verlagerung der Wachstumspole und die damit verbundene Veränderung der internationalen Arbeitsteilung waren mit einer Intensivierung des Warenhandels verbunden. Auch im betrachteten Jahrzehnt ist dieser trotz Krisen rascher gestiegen als das BIP (Welthandel 136 % gegenüber 95 % beim BIP).
Umfang und Verteilung des Warenhandels zeigen ebenfalls die Richtung der Verschiebungen an. Wenn man die gegenwärtige Periode als eine des Abstiegs der klassischen Industrieländer der „Triade“ und des Aufstiegs der klassischen Peripherie definiert, so müssen doch wichtige Differenzierungen vorgenommen werden, welche die Abstiegs- und Aufstiegstendenzen weniger eindeutig erscheinen lassen.
Ins Auge fällt der Anteilsverlust Nordamerikas, wesentlich jener der USA: Diese können nur stark unterproportional an der Expansion des Welthandels partizipieren; sie verlieren in nur zehn Jahren fast ein Drittel ihres Anteils. Auch Japan erleidet einen scharfen Einbruch. Weniger deutlich ist der Anteilsverlust Europas bzw. der EU. Deutschland als ehemaliger „Exportweltmeister“ büßt sogar nur minimal Anteile ein. Demgegenüber fällt der Anteilsgewinn Asiens ins Auge, insbesondere wenn man Japan ausklammert: Asien (ohne Japan) konnte seinen Welthandelsanteil um mehr als ein Drittel steigern. Dabei steht wiederum die Volksrepublik China im Mittelpunkt, die ihren Anteil im betrachteten Zeitraum annähernd verdreifachen konnte. Diese Dynamik sticht umso mehr ins Auge, als die übrigen Länder der BRIC-Gruppe zwar ebenfalls deutlich zulegen konnten, aber doch auf einem ungleich niedrigeren Niveau. Den Einfluss der Rohstoffpreise auf den Außenhandel widerspiegeln exemplarisch die Zahlen für Afrika: Erstmals seit Jahrzehnten konnte Afrika seinen Welthandelsanteil wieder steigern, was aber am stärker industrialisierten Südafrika vorbei ging.
Insgesamt ist der Aufstieg Asiens und der Rückfall der USA im internationalen Warenaustausch das alles überragende Ereignis, wobei nicht nur China sondern auch wichtige Länder wie Indonesien, Vietnam usw. erwähnenswert sind.
Die Ströme des Warenhandels widerspiegeln auch die Verlagerung von Teilen der Produktionsprozesse aus den Industrieländern in Länder der Peripherie, ein – auch in einigen Beiträgen dieses Hefts - viel diskutierter Vorgang, dessen quantitative Bedeutung allerdings nur schwer zu erfassen ist. Klar ist, dass die Verwandlung von armen Ländern in ‚verlängerte Werkbänke’ von Industrieländern nicht notwendig eine Stärkung ihrer Position bedeutet – obwohl sich diese Prozesse statistisch in Form einer Zunahme der Produktion und des Warenexports der abhängigen Staaten ausdrücken. Dass dieser Prozess der abhängigen Produktionsverlagerungen die oben geschilderten Veränderungen allein nicht erklärt, zeigt ansatzweise die Statistik der Direktinvestitionen (DI) in Tabelle 4: Hier zeigt sich, dass einige Entwicklungsländer inzwischen aktive Akteure der Internationalisierung geworden sind.
Leider sind die internationalen Statistiken über DI, die zur Einschätzung der globalen Stärken und Schwächen nationaler Kapitalfraktionen wichtig sind, besonders ungenau: Zu- und Abflüsse (also Kapitalimporte und -exporte) werden in den Ländern mit unterschiedlichen Methoden erfasst. Daher liegen die Abflüsse global über den Zuflüssen, obwohl sie sich eigentlich entsprechen müssten (der Abfluss aus einem Land müsste im Empfängerland in gleicher Höhe als Zufluss erfasst werden). Wegen dieser Unstimmigkeiten sind die eigentlich wichtigen Daten für Länder und Regionen nur mit großer Vorsicht zu interpretieren. Trotzdem sind Tendenzaussagen möglich.
Tabelle 4: Internationale Direktinvestitionen, jährliche Zuflüsse und Abflüsse, Mrd. US$
Regionen/Länder
Zuflüsse
Abflüsse
Abflüsse in % der Zuflüsse
1991-19961
2010
1991-1996
2010
1991-1996
2010
Welt
254
1.244
280
1323
1103
1063
Industrieländer
154
602
240
935
156
155
Entwicklungsländer
92
574
39
378
42
66
Afrika2
3
38
2
3
-
-
Lateinamerika
27
159
6
76
2
48
Asien, dar.:
- China
- Indien
60
25
1
359
106
27
32
3
0
245
68
15
53
12
-
68
64
55
GUS
8
64
0
61
-
95
1 Jahresdurchschnitte; 2 Südlich der Sahara; 3 Auf Weltebene müssten Zuflüsse und Abflüsse gleich sein. Die Differenzen sind statistischen Fehlern geschuldet.
Quelle: UNCTAD, World Investment Report, lfd.; eigene Berechnungen
Die Daten der Tabelle 4 zeigen erstens die stärkere Einbindung der Entwicklungsländer in den internationalen Investitionsprozess: Der Hauptteil der internationalen Direktinvestitionen (Abflüsse: 61 %; Zuflüsse: 86%) betraf noch in den 1990er Jahren ganz überwiegend Verflechtungen zwischen Industrieländern. Das hat sich bis 2010 zwar noch nicht grundlegend geändert, die Bedeutung der Entwicklungsländer sowohl als Empfänger als auch als Investoren hat aber deutlich zugenommen: Fast die Hälfte der Zuflüsse und ein knappes Viertel der Abflüsse ist nun den Entwicklungsländern zuzuschreiben. Diese haben also sowohl als Anlagesphäre als auch als Investoren an Bedeutung gewonnen.
Zweitens wird deutlich, dass einige Entwicklungsregionen nun selbst zu aktiven Kapitalexporteuren geworden sind, während andere weiter lediglich passiv eingebunden bleiben. Dies zeigt die von 42 auf 66 Prozent angestiegene Relation zwischen Abflüssen und Zuflüssen der Entwicklungsländer. Die anekdotischen Berichte über chinesische, indische und brasilianische Multis, die überall auf der Welt investieren und selbst europäische Unternehmen aufkaufen, betreffen also nicht bloß Einzelfälle. Ein Blick auf die Regionen/Länder zeigt die Unterschiede innerhalb des „Südens“: Afrika war in den 1990er Jahren sowohl als Empfänger wie als auch aktiver Investor von DI bedeutungslos (lediglich Südafrika spielte und spielt eine kleine Rolle). Im Jahre 2010 dagegen verzeichnete Afrika immerhin Zuflüsse in Höhe von 38 Milliarden -was allerdings nur 3 Prozent der globalen DI entspricht. Als Anlagesphäre (vor allem Bergbau) ist Afrika also interessant geworden, als aktiver Exporteur von DI aber weiter bedeutungslos.
Lateinamerikas Rolle als Anlagesphäre für DI hat etwas zugenommen, wenn auch nicht dramatisch. Erstmals aber sind einige Länder des Kontinents auch aktiv international unterwegs, wobei erwartungsgemäß (sieht man von Steuerparadiesen wie den British Virgin Islands und den Cayman Islands ab) Mexiko, Brasilien und Chile erwähnenswert sind. Die von 20 auf 48 Prozent angestiegene Relation zwischen Ab- und Zuflüssen drückt die aktivere Rolle einiger lateinamerikanischer Länder als internationale Investoren aus.
Die Tabelle bestätigt drittens die herausragende globale Rolle Asiens und vor allem Chinas, was aber nicht gänzlich neu ist. Als Investitionsstandort für Zuflüsse von DI hat China gegenüber den 1990er Jahren sogar leicht an Bedeutung verloren. Dagegen ist es erstmals als aktiver Auslandsinvestor in nennenswertem Umfang tätig, was durch die von 12 auf 64 Prozent angestiegene Relation zwischen Ab- und Zuflüssen ausgedrückt wird. Ähnliches gilt übrigens für Indien, wenn auch auf einem insgesamt deutlich niedrigerem Niveau.
Vor dem Hintergrund dieser Tabellen bleiben vor allem drei Fragenkomplexe offen:
- Welche Folgen werden das historisch beispiellose Wachstum und die Ausbreitung der „westlichen“ Existenzweise, welche ökonomischen Rückwirkungen wird die Übernutzung des Planeten haben?
- Wie werden die USA auf die Bedrohung ihrer Hegemonialposition durch China reagieren?
- Wird es den übrigen Ländern der Peripherie gelingen, dem Beispiel Chinas zu folgen und einen eigenständigen, breit basierten Entwicklungsprozess einzuleiten?
[1] Vgl. Angus Maddison, The World Economy, OECD, Paris, 2006