Am 3. Februar 1896 kam im ukrainischen Bergbaugebiet von Dnjepropetrovsk Isaak Izrailevič Minc zur Welt. Der erfolgreiche Schüler erhielt aufgrund seiner jüdischen Herkunft keine Zulassung zum Studium an der Universität Charkow. Diese Erfahrung wird mit dazu beigetragen haben, dass Minc im April 1917 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei wurde, der späteren Kommunistischen Partei. Minc nahm an der revolutionären Bewegung und am Bürgerkrieg 1917 bis 1920 teil, vor allem in ukrainischen Gebieten als politischer Agitator und politischer Kommissar.
Danach konnte er ein Studium der Geschichte nachholen und 1926 als Schüler des damals tonangebenden bolschewistischen Historikers Michail Pokrovskij das Institut der Roten Professur in Moskau absolvieren. Erste Erfahrungen als Forscher machte Minc im Rahmen eines Zeitzeugen-Projekts unter der Leitung des Schriftstellers Maksim Gorkij über die revolutionären Ereignisse.
Von 1932 bis 1949 leitete Minc die Historische Fakultät der Staatlichen Universität in Moskau. Von 1937 bis 1949 war er zudem Leiter der Parteischule beim ZK der KPdSU. Er überstand die vernichtende Kritik an der Pokrovskij-Schule, aus der er stammte. Er überlebte auch den Terror der 1930er Jahre. Minc setzte seine Karriere fort: Im Jahr 1936, recht jung, mit 40 Jahren, wurde er Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften (AdW) der Sowjetunion. Nach Kriegsende, 1946, stieg er in den ehrwürdigen Kreis der Akademiemitglieder auf. Kritisch wurde es für Minc während der antisemitischen Kampagne gegen „Kosmopolitismus“ unter den Historikern, doch auch diese Angriffe überstand er.
Seit 1954 gehörte Minc zu den führenden Mitarbeitern des Instituts für Geschichte an der AdW in Moskau. Im Jahr 1962 übernahm er den Vorsitz des Wissenschaftlichen Rates zur Erforschung der Oktoberrevolution, also des unionsweiten Leitungs- und Koordinationsgremiums für die Erforschung des Roten Oktobers 1917. Zum 70. Geburtstag erhielt Minc den Lenin-Orden. In den Jahren 1967 bis 1973 erschien seine dreibändige Standarddarstellung zur „Geschichte des Großen Oktobers“. Dafür erhielt er 1974 den Lenin-Preis. Zwei Jahre später folgte die Auszeichnung als „Held der sozialistischen Arbeit“.
In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates reagierte Minc pflichtschuldig auf geschichtspolitische Herausforderungen unter den Generalsekretären Jurij Andropov und Michail Gorbačev und behielt weiterhin die landesweite Aufsicht über die Revolutionsforschung in der Sowjetunion. Erst im Lauf des Jahres 1990, im Alter von 94 Jahren, musste Minc den Vorsitz abgeben. Im Jahr darauf, am 5. April 1991, starb er.
Im Folgenden werden sechs Phasen der Revolutionsforschung skizziert, fünf sowjetische und eine postsowjetische. Für jede Phase sollen die Organisation der Revolutionsforschung und ihre Inhalte herausgearbeitet werden, wobei Entwicklung und Potential der Revolutionsforschung im Mittelpunkt stehen sollen.[2]
Erste Phase 1920 bis 1928: Sammlung und Dokumentation
Anders als in allen folgenden bestand in dieser ersten Phase der Revolutionsforschung eine Parallelstruktur aus vorrevolutionären, bürgerlichen Institutionen und neu entstandenen, sowjetischen, am Marxismus orientierten Einrichtungen. 1920 ordnete Lenin die Gründung einer Kommission „für die Sammlung und Erforschung von Materialien zur Geschichte der Oktoberrevolution und der Kommunistischen Partei“ an, bald kurz „Istpart“ genannt (von istorijapartii, Geschichte der Partei). Diese Kommission erhielt die Aufgabe, die Revolution und die Parteigeschichte zu dokumentieren. Sie organisierte „Erinnerungsabende“, an denen Revolutionsteilnehmer im Beisein von Stenographen erzählten. Sie ließ Primärquellen der Revolution sammeln und archivieren: Fahnen, Transparente, Flugschriften, Redemanuskripte, Handschriften, Broschüren usw.
1921 wurde das „Institut der Roten Professur“ (IRP)zur raschen Ausbildung marxistisch orientierter Forscher und Hochschullehrer gegründet. In den 1920er Jahren studierte fast ein Viertel der hier Ausgebildeten auch im Ausland. Bis 1930 absolvierten 334 Teilnehmer dieses Institut, darunter auch Isaak Minc und Anna Pankratova (1897-1957). Die „Wissenschaftliche Gesellschaft der Marxisten“, gegründet 1920, und die „Gesellschaft marxistischer Historiker“, gegründet 1925, waren Organisationen, in denen jüngere Wissenschaftler, die mit der Revolution sympathisierten und marxistische oder sowjetische Wissenschaftler werden wollten, sich austauschen konnten.
1928 ließ die Regierung unter Stalin Istpart mit dem seit 1923 bestehenden Lenin-Institut zum Lenin-Institut beim ZK der KPdSU zusammenlegen. Dies bündelte die Sammlungsarbeit zur Revolutionsgeschichte; 1930 umfasste das Archiv bereits 70.000 Dokumente und über 140.000 Buchtitel. Zugleich ging die Revolutionsforschung von nun an in der Lenin- und der Parteiforschung auf.
Naturgemäß erwartete die Sowjetregierung von „ihren“, den jungen, in den neu gegründeten Instituten ausgebildeten Historikern die Dokumentation und Rechtfertigung der Oktoberrevolution. Von Anfang an entwickelte sich die sowjetische Revolutionsforschung als ausgeprägte Legitimationswissenschaft. Das in dieser ersten Phase dominante Narrativ legte bereits 1929 der wenig bekannte Historiker S.A. Piontkovskij vor.
Demnach ermöglichten umfangreiche Auslandsinvestitionen „echten“, voll-entwickelten, nicht von der Norm abweichenden Kapitalismus im vorrevolutionären Russland. Deshalb sei eine „echte Arbeiterklasse an sich und für sich“, also als objektive Größe und mit Klassenbewusstsein, entstanden. Im Februar 1917 hätten Kriegsmüdigkeit, soziale Not und Hunger zu einer spontanen Protestbewegung geführt. Diese stürzte den Zaren und brachte die politische Macht in die Hände der Bourgeoisie. Mit ihrer Politik der Fortsetzung des Krieges, der Verschleppung der Agrarreform, der Ablehnung der sozialen Ansprüche der Arbeiter habe die Provisorische Regierung die Klassenwidersprüche verschärft. Die Oktoberrevolution ist für Piontkovskij durch die Verbindung der Spontanität der Volksmassen und der Organisiertheit der Partei geprägt. Daraus folge die „Janusköpfigkeit“ der Oktoberrevolution: Sie vollende die bürgerliche und beginne die sozialistische Revolution. Dieses Narrativ prägte die Publikationen zum zehnten Jahrestag der Revolution. Spezifisch für diese Phase waren darüber hinaus folgende Merkmale:
- Die Präsenz und Lebendigkeit der Partei: Trockij und andere spätere Terroropfer wurden genannt und ohne Stigmatisierung dargestellt. Organisatorische Schwächen und innerparteiliche Auseinandersetzungen wurden dokumentiert und dargestellt; Lenin erschien als Primus inter pares.
- Bekenntnis zum proletarischen Internationalismus, Verurteilung des Patriotismus als reaktionäre Ideologie: Das Proletariat habe kein Vaterland, es sei international; indem es die UdSSR verteidige, sei es nicht patriotisch, sondern erfülle seine internationalistische Mission.
- Erstmalig taucht der Begriff „Feinde des Volkes“ in der Geschichtsschreibung auf, der später zu einem zentralen Kampfbegriff des Stalinismus wurde.
- Der militärisch niedergeschlagene Aufstand der Kronstädter Matrosen und Arbeiter 1921 wird als konterrevolutionär interpretiert, das vom 10. Parteitag beschlossene Fraktionsverbot nicht als Ausnahmeregel, sondern als grundlegendes Prinzip der Kommunistischen Partei.
Zweite Phase 1928 bis 1953: Stalinisierung – die Revolution verschwindet hinter Stalin
In den folgenden Jahren wurde die Geschichtswissenschaft in zwei Schritten umgebaut und auf Stalins Linie gebracht. Erstens ließ Stalin die noch bestehenden bürgerlichen, vor 1917 gegründeten Institutionen 1929/30 schließen. So genannte „bürgerliche“ Historiker, die ihre Loyalität nicht überzeugend genug erwiesen, wurden verhaftet oder verbannt. Dieser Angriff fand unter der Leitung von Michail Pokrovskij statt – dem führenden Historiker der zwanziger Jahre, dem wichtigsten Lehrer vieler Geschichtswissenschaftler, welche die nächsten Jahrzehnte prägten. Pokrovskij starb 1932.
Nach seinem Tod folgte als zweiter Schritt die „Neuordnung an der historischen Front“, d.h. die Zerschlagung der Pokrovskij-Schule. Beauftragt wurde damit Pokrovskijs bedeutendste Schülerin, Anna Pankratova. Sie erhielt von der Parteiführung den Auftrag, das angeblich Unwissenschaftliche, Unmarxistische, Anti-Leninistische, Subjektivistische usw. im Werk Pokrovskijs nachzuweisen. Es ging darum, ältere Bolschewiki und unter ihnen insbesondere Intellektuelle, die noch einen offeneren, sachorientierten und fairen Umgang miteinander gewohnt waren, samt ihrer Erfahrungen und Denkweise beiseite zu schieben. 1939 erschien der erste von zwei Bänden gegen Pokrovskij und sein Geschichtsverständnis unter der Redaktion von Pankratova.[3]
Neuer Ort der Revolutionsforschung wurde das 1929 gegründete Institut für Geschichte an der AdW, das 1936 mit den Einrichtungen der vorrevolutionären Russischen und der Kommunistischen Akademie verschmolzen wurde. Im Jahr 1930 arbeiteten in diesem Institut in Moskau 40 Wissenschaftler, die zuständig waren jeweils für die Geschichte der Bauern, der Arbeiterklasse, der Gewerkschaftsbewegung, des Imperialismus und eben auch der Revolutionen von 1905 und 1917 sowie die des Bürgerkriegs 1918 bis 1922. Eine spezielle Einrichtung zur Erforschung der Oktoberrevolution gab es nicht mehr. Die oben genannten wissenschaftlichen Gesellschaften der Marxisten und der marxistischen Historiker wurden 1929 bzw. 1936 aufgelöst. Die Zeitschrift „Kommunistische Revolution“, die seit 1920 erschienen war, wurde 1935 eingestellt. Auch in dieser Hinsicht wurde die Revolutionsforschung ausgedünnt.[4] Es ist evident, dass die Erforschung des Roten Oktobers für die Parteiführung keine Priorität mehr hatte.
Trotzdem konnte der große Erzähler und bekennende Dokumentarist Maksim Gorkij (1868-1936) 1931 eine Initiative mit jungen Historikern, Schriftstellern und Journalisten starten. Die Gruppe mit fast hundert Mitarbeitern führte methodisch anspruchsvolle Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Revolution und des Bürgerkriegs. Die Forscher sammelten bis 1933 ca. dreitausend Gesprächsprotokolle, die unter der Redaktionsleitung von Isaak Minc Grundlage für eine fünfbändige dokumentarische „Geschichte des Bürgerkriegs“ wurden. Die Veröffentlichung verzögerte sich allerdings unter politischem Druck; Minc und seine Kollegen wurden immer wieder zu Überarbeitungen gezwungen.[5]
An fünf Punkten kann die für diese Phase charakteristische Umwertung verdeutlicht werden:
Erstens wurde der proletarische Internationalismus durch den so genannten „Sowjetpatriotismus“ ersetzt. Den Begriff prägte Stalin in einem Leitartikel in der Pravda am 19. März 1935. Von grenzenloser Liebe zur Heimat war die Rede, von der Liebe des Volkes zu dem Land, das den Kapitalisten durch die Revolution entrissen worden sei. Alle Werktätigen, Arbeiter, Bauern und Intelligenz teilten demnach ungeachtet ihrer Herkunft und Erstsprache diese Gefühle. Es handelte sich um einen Patriotismus, der auf soziale Kategorien verweist, nicht um einen biologisch-essentialistischen Nationalismus. Die politische Funktion dieses Sowjetpatriotismus‘ ist evident: Damit sollte der „grandiose Versuch, aus der Völkervielfalt des ehemaligen Russischen Reiches ein national (oder übernational) homogenes Gebilde zu schaffen“, ideologisch ummäntelt und legitimiert werden.[6] Mit der „Verschmelzung der Völker“ (slijanienarodov) sollten Nationen und Nationalismus überwunden werden. Die Dominanz des Russischen im Sowjetpatriotismus ist erkennbar an der Umwertung der Geschichte Russlands. Hatte Pokrovskij die vorrevolutionäre Geschichte Russlands noch negativ dargestellt, so wurde sie nun aufgewertet: Zar Ivan IV. (der Schreckliche) wurde zum Schöpfer des Zentralstaats Russland, Peter I. zum vorbildlichen Staatsmann und Modernisierer. Die Ausdehnung des Russischen Reiches wurde als progressiv, der Widerstand nichtrussischer Bevölkerungsgruppen, insbesondere im Kaukasus, nunmehr als rückwärtsgewandt dargestellt.
Zweitens wurde die Februarrevolution nicht mehr als spontaner Massenaufstand, sondern als Revolution unter der Führung der Bolschewiki beschrieben. Diese seien „führende, revolutionäre Vorhut“ des Proletariats gewesen, die Februarrevolution ein glänzender Sieg der Bolschewiki.
Drittens musste dies zur Umwertung der Provisorischen Regierung führen. Denn wenn die Februarrevolution ein Sieg der Bolschewiki gewesen sein sollte, stellte sich die Frage, warum die Provisorische Regierung nicht die richtige, revolutionäre Politik gemacht habe? Zur ‚Erklärung‘ wurde der „Opportunismus“ der Sozialrevolutionäre, der Menschewiki und unzuverlässiger Bolschewiki ins Spiel gebracht. Aus der Geschichte zu lernen, bedeute, auch aktuell opportunistische Tendenzen zu erkennen und zu bekämpfen!
Viertens verlor damit die Oktoberrevolution ihren bisherigen Doppelcharakter; sie galt nun als rein sozialistisch. Die von der Provisorischen Regierung nicht erledigten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution seien „im Vorübergehen“ erfüllt worden.
Fünftens wurde die Bedeutung Stalins, der 1917 nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, in geradezu absurder Weise überhöht; er wird zum unfehlbaren, stets präsenten großen Revolutionär und quasi natürlichen Vertreter Lenins aufgebaut. Trockijs Rolle wird minimiert; Kamenev, Zinov’ev und andere, die in den 1930er Jahren dem Terror zum Opfer fallen, werden als „Kapitulanten“ und „Verräter“ dargestellt.
Dritte Phase 1953 bis 1968: Entstalinisierung[7]
Bereits knapp drei Jahre vor dem 20. Parteitag ergriffen einige Historiker die Initiative zur Neubelebung der Geschichtswissenschaft. Sie hatten grünes Licht von Chruščev. Der Direktor des Historischen Instituts an der AdW, Arkadij Sidorov, beauftragte Ende März 1953 Pankratova und Eduard Burdžalov mit der Redaktionsleitung der einzigen unionsweiten, offiziösen Fachzeitschrift Voprosyistorii („Fragen der Geschichte“). Beinahe die ganze Redaktion wurde neu besetzt, die Auflage der Zeitschrift um 25 Prozent erhöht. Die Redaktion ließ den Umfang erweitern und neue, für Diskussionsbeiträge und Leserbriefe gedachte Rubriken einführen. Ausdrücklich forderte die Redaktion offene Kritik am Zustand der Geschichtswissenschaft.[8]
Beim 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 hielt Pankratova ohne Absprache mit Chruščev eine kritische, wegweisende Rede zur Neubelebung der historischen Disziplin, ganz in dem Sinne, in dem sie und andere schon seit fast drei Jahren daran arbeiteten. In den folgenden Monaten nahm die Unterstützung der Parteiführung jedoch nicht zu, sondern ab.[9]
Quantitativ wurde die Geschichtswissenschaft ausgebaut. Seit Januar 1957 erschienen drei neue landesweite Fachzeitschriften neben Voprosyistorii: eine Fachzeitschrift für die „Geschichte der UdSSR“ (Istoria SSSR), eine für die allgemeine „Neuere und Neueste Geschichte“ (Novaja i novejšajaistorija) und eine für die Parteigeschichte („Fragen der Geschichte der KPdSU“, Voprosyistorii KPSS). Die Parteiführung ließ sechs übergeordnete Wissenschaftliche Räte zur landesweiten Koordination der Forschung einrichten, darunter den Wissenschaftlichen Rat zur „Geschichte der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ unter der Leitung von Minc.
Hinsichtlich der Revolutionsforschung lassen sich die Wirkungen der Aktivität Pankratovas und Burdžalovs in zwei Bereichen ausmachen:
Erstens wurde die Revolution – ähnlich wie in der ersten Phase, nun aber methodisch auf höherem Niveau – dokumentiert und widergespiegelt in ihren Quellen. So erschienen u.a. ab 1957 eine fünfbändige Chronik der Ereignisse von Februar 1917 bis Mai 1918 und eine neunbändige Dokumenten- und Materialsammlung zu den Ereignissen von Februar bis November 1917. Eine 1961 herausgebrachte systematische Bibliographie dokumentarischer Veröffentlichungen verzeichnete 2.012 Titel. Es folgten in den 1960er Jahren weitere bibliographische Hilfsmittel und die Edition der Protokolle und Resolutionen der Petrograder Räte (drei Bände) sowie des Revolutionären Militär-Komitees in Petrograd (drei Bände) und Moskau. Der Osteuropahistoriker Dietrich Geyer würdigte 1968 diese Arbeiten und stellte fest, die sowjetische Quellenedition habe einen vorläufigen Abschluss erreicht. Zu dieser Neubelebung der Revolutionsforschung trugen auch zwei quellenorientierte, detaillierte Studien der Februarrevolution durch Burdžalov bei, die 1967 und 1971 veröffentlicht wurden. Burdžalov ließ Akteure der Dumaparteien, der Menschewiki, der Sozialrevolutionäre und der Sowjets wieder durch die Primärquellen sprechen, er dokumentierte das Chaos in den bolschewistischen Gruppierungen. So erschien bei ihm die Februarrevolution erneut, nun aber überzeugender als in den Darstellungen der 1920er Jahre, als elementare Massenbewegung, die von keiner Organisation ausgelöst oder gelenkt wurde, auch nicht von den Bolschewiki.
Zweitens formierte sich eine konzeptionell neue Richtung in der Revolutionsforschung, die mit dem Begriff mnogoukladnost‘ arbeitete. Mit uklad übersetzten die Wissenschaftler den Begriff der ökonomischen Basis. Ihr Argument hinsichtlich der sozialökonomischen Bedingungen der Revolutionen von 1917 lautete: In Russland herrschte eine sozialökonomische Viel- oder Mehrbasigkeit. Indem man sich nur auf den Entwicklungsgrad des Kapitalismus fokussiere, bleibe man gefangen in Debatten über einen verspäteten, echten oder unterentwickelten Kapitalismus. Eine unvoreingenommene Formationsanalyse müsse neben den Formen des freien Konkurrenzkapitalismus und des Monopolkapitalismus die Überreste informeller Leibeigenschaft, Pachtverträge unterhalb-leibeigenschaftlichen Verhältnissen in der Gutswirtschaft (Pacht gegen Zins, Pacht gegen Arbeitsleistung, Abarbeit oder otrabotka genannt), Überreste von Naturalwirtschaft usw. berücksichtigen. Dies alles sei durch die von oben, vom autokratischen Staat implantierte kapitalistische Produktionsweise nicht beseitigt worden. Vielmehr hätten sich die Kapitalgruppen mit den halbfeudalen Verhältnissen, die reproduziert worden seien, arrangiert; schließlich profitierten sie vom Angebot billiger Arbeitskräfte. So sei der „mehrbasige“ Charakter der Ökonomie Russlands im Zuge der Entwicklung des Kapitalismus nicht abgeschwächt, sondern verstärkt worden. In diesen „Besonderheiten der russischen Entwicklung“ suchten die Vertreter der Neuen Richtung spezifische Vorbedingungen der revolutionären Krise. Das unterschied sie vom Mainstream, der das Klassische der Revolution nachweisen wollte; das machte die Neue Richtung (novoenapravlenie) interessant und gefährlich.
Aus Sicht der Neuerer ließ jene ausgeprägte sozialökonomische Heterogenität eine besonders „konfliktbeladene, antagonistische sozialökonomische Struktur“ entstehen. Dies habe die starke Revolutionsbereitschaft (revoljucionnost‘) der Bevölkerung, vor allem der Arbeiterklasse, begünstigt. Dabei habe die Vielfalt der sozialen und politischen Akteure der sozialökonomischen Vielschichtigkeit entsprochen. Nicht ein Konflikt (Kapital – Arbeit), sondern mehrere Konflikte zwischen Kapitalisten, Arbeitern, Gutsbesitzern, Großbauern, mittleren und Kleinbauern, informellen Leibeigenen, Halb-Leibeigenen, Tagelöhnern usw. prägten demnach die sozialpolitische Entwicklung. Deshalb – so die Argumentation – habe 1917 das Proletariat nicht als hegemoniale Kraft auftreten können; im Februar 1917 sei es zu einer „spontanen revolutionären Explosion“ durch die Bewegung einer heterogenen Masse gekommen, die auch in den folgenden Monaten kaum lenkbar gewesen sei. Die Oktoberrevolution habe die ungelösten Aufgaben der bürgerlichen Revolution nicht „im Vorübergehen“ erledigen können, sondern diese Aufgaben hätten sich mit sozialistischen Aufgaben verschränkt; dabei hätten bis 1918 kleinbürgerliche und bäuerliche Gruppen – also nichtproletarische Protestbewegungen – eine viel größere politische Rolle gespielt als bislang angenommen.
Diese Neue Richtung war Ende der 1960er Jahre in der historischen Disziplin heiß umstritten, aber angesagt. Ihre Neuinterpretation der sozialökonomischen Verhältnisse und politischen Entwicklung 1917/18 floss in die Publikationen im Umfeld des 50. Jahrestags der Revolutionen im Jahr 1967 – nicht in die offiziellen Darstellungen[10] – und noch in weitere repräsentative Veröffentlichungen bis Anfang der 1970er Jahre ein.
Vierte Phase 1968 bis 1986: Stabilisierung des Revolutionsbildes
Aus der Sicht der Parteiführung waren die Diskussionen in der Revolutionsforschung aufgrund des Kontextes, in dem sie abliefen, bedrohlich geworden. Historiker und andere šestidesjatniki (die "Sechziger", d.h. sowjetische Intellektuelle der 1960er Jahre, die um eine Erneuerung des Marxismus rangen) hinterfragten nicht nur den „klassischen Charakter“ der Oktoberrevolution, sondern auch die Formationstheorie und andere ‚orthodoxe‘ Interpretationen der Schriften von Marx, Engels und Lenin, mit anderen Worten das ganze Konstrukt des Marxismus-Leninismus. Dabei korrespondierten ihre Fragen und Antworten mit den Ideen des Prager Frühlings und der Neuen Linken in Westeuropa, die ebenfalls den Alleinvertretungsanspruch der KPdSU-Führung in Frage stellten.
Von 1969 bis 1974 ließ der ZK-Apparat deshalb sukzessiv die Arbeitsmöglichkeiten der Historiker der Neuen Richtung und anderer šestidesjatniki zerstören. Am 10. März 1972 beschloss der Wissenschaftliche Rat des Instituts für UdSSR-Geschichte an der AdW in Moskau nach zweitägigen Beratungen die förmliche Verurteilung der Neuen Richtung. Danach erschienen mehrere Leitartikel und Rezensionen in den einschlägigen Fachzeitschriften und allgemeinen Periodika, welche die Arbeit der Neuerer kritisierten und ihre Publikationen verrissen. In dieser Atmosphäre wurde sogar Minc, der sich der Neuen Richtung nicht angeschlossen hatte, angegriffen: als Pokrovskij-Schüler, als Jude und „Kosmopolit“ wurde er attackiert; ihn schützte der ZK-Apparat. Er blieb Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rats zur Geschichte der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Der Direktor des Instituts für UdSSR-Geschichte hingegen musste Anfang März 1974 zurücktreten: kein Geringerer als jener Pavel Volobuev, der Mitte der 1950er Jahre im Auftrag des ZK belastendes Material gegen Pankratova und Burdžalov zusammengestellt hatte, dafür mit der Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Karriere belohnt wurde und in den 1960er Jahren ein Vertreter der Neuen Richtung geworden war. Volobuev wurde von dem ganz konformen Akademiemitglied A.L. Naročnickij abgelöst, der bis 1982 Institutsdirektor blieb, eine für diese Zeit charakteristische Personalentscheidung.
Die Ruhe der routinierter werdenden Revolutionsforscher wurde erstmals wieder kurz gestört, als Andropov Mitte Juni 1983 als neuer Generalsekretär der KPdSU erklärte, die Gesellschaftswissenschaftler des Landes hätten die Gesellschaft und die ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten „noch nicht im erforderlichen Maße erforscht“. Pflichtschuldig berieten die Historiker die Aussagen des Generalsekretärs, sie übten Selbstkritik (Empirismus, Engstirnigkeit, Schematismus usw. seien verbreitet) und bis ins Frühjahr 1984 entwickelten sich recht lebhafte Diskussionen: Aleksandr Samsonov hoffte auf glasnost‘, Zinaida Udal’cova befürwortete Meinungsstreit über Neuerscheinungen, Jurij Poljakov schlug Rundtischgespräche vor, Volobuev äußerte die Hoffnung auf angstfreie Debatten usw. Doch all dies und auch der Plan, sechs komplexe Forschungsprogramme mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2000 zu konzipieren, blieben weitgehend folgenlos. „Kontinuität“ war das Losungswort, mit dem der bereits todkranke Konstantin Černenko am 13. Februar 1984 sein Amt als Generalsekretär des ZK der KPdSU antrat. Auch sein Nachfolger Gorbačev lehnte bis Ende 1986 Geschichtsdiskussionen ab.
Unter diesen Bedingungen wurde die Oktoberrevolution wieder zur „klassischen Revolution“, zum gesetzmäßigen historischen Ereignis: Der Kapitalismus in Russland war reif, die Arbeiterklasse der entscheidende soziale Träger (Reproletarisierung der Revolution), die Bolschewiki die Avantgarde – dies in Frage zu stellen, wurde ausdrücklich als unrechtmäßig bezeichnet.
Das eingangs erwähnte dreibändige Werk von Minc zur „Geschichte des Großen Oktobers“ (1967-1973) präsentierte das nun dominante Narrativ. Charakteristisch war die Konzeption des Werkes: Minc erläutert für jede Phase zuerst Strategie und Taktik Lenins und der Bolschewiki, danach das Geschehen: alle revolutionäre Entwicklung scheint nach Lenins genialem Plan abzulaufen. Keine offenen Fragen, kein Problemhorizont in Sicht.
Fünfte Phase 1987 bis 1991: Von der Umgestaltung zur Agonie
Erst Gorbačevs Rede beim ZK-Plenum Anfang Januar 1987 und die Veröffentlichung der Antrittsrede des neuen Rektors des Moskauer Instituts für Geschichte und Archivwesen, Jurij Afanas’ev, signalisierten, dass die neue Politik der Umgestaltung mit der Aufarbeitung der Geschichte verbunden und durch diese auch unterstützt werden sollte. Die „weißen Flecken“ in den Geschichtsbüchern sollten beschrieben, die „Autorität des Denkens“ wiederhergestellt werden, so der damalige ZK-Sekretär Aleksandr Jakovlev.
Die Historiker im Allgemeinen und Revolutionsforscher insbesondere, die in den Leitungsstellen der Universitäten und Akademien saßen und nun mit dieser neuen Herausforderung konfrontiert wurden, waren im Durchschnitt etwa 75 bis 80 Jahre alt. Isaak Minc wurde im Februar 1987 einundneunzig! Wie viele Neuerungen hatten er und seine Kollegen schon angestoßen, wie viele Stürme überstanden? Minc und andere Akademiemitglieder waren seit Herbst 1986 von der Parteiführung informiert über den neuen Kurs. Daher war es möglich, seit Anfang 1987 Rundtischgespräche zur Revolutionsforschung in den Fachzeitschriften abzudrucken.[11]
Gorbačev hielt im November 1987 zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution eine vorsichtig-abwägende Rede, in der er nicht auf Distanz zum Roten Oktober ging. Er betonte die „historische Leistung“ von 1917 und bezeichnete die Oktoberrevolution als Legitimationsgrundlage des Sowjetstaats und seiner an Lenin orientierten Politik der Umgestaltung. Obwohl sich die Rehabilitierung der Neuen Richtung auch in dieser Rede andeutete, fasste die Geschichtsabteilung der AdW erst am 9. Juni 1988 den entsprechenden Beschluss. Es dauerte fast nochmals ein Jahr, bis die AdW sich zu einem Pluralismus-Beschluss durchrang (10. April 1989): die Historische Disziplin sei politisch unabhängig und pluralistisch, kontroverse Schulen und Forschungsrichtungen sollten gefördert werden. Im Jahr darauf löste schließlich der inzwischen 67-jährige Volobuev den 94-jährigen Minc an der Spitze des Wissenschaftlichen Rats zur Revolutionsforschung ab, der nun den Titel „Geschichte der Revolutionen in Russland“ erhielt.
Dies alles waren schon keine Entscheidungen mehr, die nach vorn hätten prägend sein können; sie trugen zurückliegenden Veränderungen Rechnung. Die Fachhistoriker hinkten seit Anfang 1987 der sich rasch intensivierenden öffentlichen Geschichtsdiskussion hinterher. In dieser ging es zuerst um den Großen Vaterländischen Krieg (seit Mitte 1986), danach um Stalin und den Stalinismus (seit 1988), um die Nationalitätenpolitik und die Neue Ökonomische Politik (seit 1989).
Was zeigte sich an Neuem in den verbleibenden vier Jahren der sowjetischen Revolutionsforschung?
Erstens die Zurückbringung verfemter Revolutionäre, z.B. Bucharin, Kamenev, Trockij, Raskol’nikov, Rykov, Zinov’ev u.v.a. Im Jahr 1987 erschien die dritte Auflage der einbändigen Enzyklopädie zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution mit insgesamt 720 biographischen Einträgen, davon ca. 200 neue Einträge über Opfer des Terrors der 1930er Jahre, deren Namen bis 1986 tabuisiert worden waren. Diese Repersonalisierung manifestierte sich auch in zahllosen Zeitungs- und Zeitschriftenartikel sowie in historischen Romanen.
Zweitens kehrten die um 1970 geschassten, nunmehr rehabilitierten Historiker zurück: der alte Streit um die Neue Richtung erfuhr eine zweite Auflage. Volobuev, Buldakov und andere Neuerer machten Begriffe wie „Rückständigkeit“, „Alternativität“ und „gigantischer Sprung“ stark, als sie ihre Revolutionskonzeption in der Tradition des mnogoukladnost‘-Ansatzes wieder in die Diskussion einbrachten. Sie legten Wert darauf, eine nicht-orthodoxe, aber sozialistische Interpretation des Oktobers entwickelt zu haben. Vom westlichen Beobachter, dem Osteuropahistoriker Manfred Hildermeier, ist dies naturgemäß als unzulänglich bewertet worden (er sah noch immer nur Historiker ohne „Selbstzweifel“). Für Volobuev u.a. war entscheidend, die Oktoberrevolution undogmatisch durch das „Prisma der Alternative“ zu betrachten, ohne die Legitimität des großen Sprungs in Frage zu stellen.
Drittens sahen sich Orthodoxe (um Minc und Valerij Bovykin) und Neuerer (um Volobuev und Buldakov) seit Ende 1988/Anfang 1989 mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: mit der grundsätzlichen Infragestellung der historischen Legitimität der Oktoberrevolution durch etablierte sowjetische Kollegen, die unter den neuen Bedingungen nicht mehr als indiskutable Dissidenten diffamiert und kaltgestellt werden konnten. So hat der oben schon erwähnte Afanas’ev im Oktober 1988 in Abrede gestellt, dass es in Russland überhaupt Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution gegeben habe. Der Philosoph Aleksandr Cipko ließ zur gleichen Zeit seine Interpretation der „Quellen des Stalinismus“ in einer Artikelserie abdrucken. Stalinismus deutete Cipko als Konsequenz und Vollendung des linken Radikalismus der Bolschewiki, nicht mehr als Abweichung, Deformation oder Konterrevolution. Damit bekamen die Geschichtsdiskussion im Allgemeinen und die Debatte um den Roten Oktober insbesondere eine neue Richtung. Waren bisher die Radikalität und der utopische Überschuss Lenins und der Bolschewiki an seiner Seite von Kritikern orthodoxer, dogmatischer Positionen positiv gewürdigt worden, so gerieten diese vermeintlichen Stärken nun unter Verdacht, maßgeblich mitverantwortlich für den Terror unter Stalin gewesen zu sein.
Sechste Phase seit 1991: Transformation und Pluralismus
Unter Boris El’cin, Russlands Präsident von 1990 bis Ende 1999, wurden die Geschichtswissenschaften und insbesondere die Revolutionsforschung in neuer Weise politisch in Dienst genommen. El’cin versuchte, mit Identitätspolitik und Nationalstolz von den desaströsen Folgen der Wiederherstellung des Privateigentums an Produktionsmitteln abzulenken. Dazu dienten auch das Preisausschreiben mit der Frage „Wer sind wir?“ und die Umwidmung des „Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ in einen „Tag der Harmonie und Versöhnung“ im Jahr 1996. Der 7. November sollte nicht mehr polarisieren, sondern die soziale Kohäsion stärken.[12] El’cins Nachfolger setzt die harsche Instrumentalisierung der Geschichte, die wissenschaftlicher Erkenntnis spottet, fort. Unter dem Eindruck der Geiselnahme von Beslan 2004 folgte Vladimir Putin dem Vorschlag seiner Berater und ließ mit Wirkung zum Jahr 2005 den 7. November als Feiertag streichen. Seitdem wird am 4. November der „Tag der Volkseinheit“ begangen, mit dem an die Überwindung einer dynastischen und sozialen Krise Anfang des 17. Jahrhunderts, der sog. „Zeit der Wirren“ erinnert werden soll. Nahezu bruchlos wird mit der idyllisierenden Erzählung über die Rettung Russlands durch ein von Wirtschaftsbürgertum, Adel und Bauern gebildetes „Volksaufgebot“ an vorrevolutionäre und sowjetpatriotische Geschichtsschreibung angeknüpft. Putin erscheint als Überwinder der „Zeit der Wirren“ unter El’cin und als neuer Romanov (jene Doppelkrise wurde unter dem ersten der Zarendynastie Romanov, Michail, überwunden). Wer dies kritisiert, bekommt Schwierigkeiten wie z.B. Vladimir Borodin, der als Chefredakteur der Zeitung Izvestija abgesetzt wurde, weil er diese Geschichtspolitik verurteilte.[13]
In den 1990er Jahren überwogen auch in der Revolutionsforschung die Auflösungstendenzen: Parteiinstanzen fielen weg, staatliche Finanzierung versiegte, das Hochschulwesen wurde dereguliert, Kooperationsvorhaben mit dem „Nahen Ausland“ und den ehemaligen „Bruderländern“ stockten. Seit Ende der 1990er Jahre konsolidiert sich die Revolutionsforschung wieder, was sich bereits zum 80. Jahrestag in Konferenzen und Veröffentlichungen manifestierte.[14] Die Arbeit ist seither vor allem geprägt von prekären Bedingungen, mehr Aufwand für Akquisition, intensiver Auseinandersetzung mit Quellen und stärkerer internationaler Kooperation.
Die Forschungslandschaft wurde in Folge der Liberalisierung, Pluralisierung und Digitalisierung unübersichtlich wie nie zuvor. Auf zwei Strömungen will ich eingehen, die erste, weil sie meines Erachtens dominant ist, die zweite, weil sie mir als die perspektivreichste erscheint.
Dominant geworden sind sehr schnell Interpretationen der Oktoberrevolution, die dem Totalitarismusmodell folgen, meist angelehnt an die sechs Kriterien von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski aus den 1960er Jahren: verbindliche Ideologie, alleinherrschende hierarchische Massenpartei, Terrorsystem, Kommunikationsmonopol der Herrschenden, Waffenmonopol, zentralistisches, gelenktes Wirtschaftssystem. Anhand dieser Kriterien wird behauptet, es bestehe eine Wesensverwandtschaft zwischen kommunistischen und faschistischen Bewegungen und Herrschaftssystemen. German Trukan z.B., der unter Brežnev die Neue Richtung kritisierte und das vorherrschende Einheitsbild der Oktoberrevolution propagierte, sprach seit 1990 von einer oktroyierten Revolution im Oktober 1917, mit welcher der Weg zur totalitären Diktatur eingeschlagen worden sei. Totalitaristische Revolutionsdeutungen, die beim Jahr 1917 und den Bolschewiki ansetzen, gibt es auch in antisemitischen Varianten: Anstifter des Sturzes der Monarchie seien Juden und Freimaurer gewesen; der überproportionale Anteil jüdischer Revolutionäre unter den Bolschewiki gilt als Nachweis einer jüdischen Verschwörung gegen Russland. Eine Sicht, die an Erzählungen russischer Emigranten nach 1917 anknüpft.[15]
Während hier die Wurzeln des „sowjetischen Totalitarismus“ im Jahr 1917 ausgemacht und die Vergangenheit Russlands idyllisiert werden, sehen andere Autoren „Keime eines despotischen Regimes“ in der vorrevolutionären Geschichte. Hierfür müssen z.B. die Tatarenherrschaft von 1240 bis 1480, die Zaren Ivan III., Ivan IV. und Peter I. mit ihrer aggressiven Innen- und Außenpolitik, die Expansion Russlands im 18. Jahrhundert, der Polizeistaat von Peter bis Nikolaj I. und Phänomene staatlicher Kontrolle über die Wirtschaft herhalten. Die Oktoberrevolution erscheint hier lediglich als Durchgangsstadium zum „Totalitarismus der Bolschewiki“; 1917 markiert keine Zäsur mehr, sondern eine Art Katalysator.
Die besten Perspektiven bieten m.E. sozial- und kulturgeschichtliche Arbeiten, die von der Neuen Richtung ausgehen und versuchen, die Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins oder andere globalgeschichtliche Zugänge fruchtbar zu machen. Februar- und Oktoberrevolution werden nicht länger getrennt, sondern als zusammenhängende Prozesse einer krisenhaften internationalen Entwicklung betrachtet. Von diesem Horizont aus wird Russland Ende des19./Anfang des 20. Jahrhunderts als „Imperium der Kontraste“ in einer vieldimensionalen „Systemkrise“ beschrieben: Die Bevölkerungszahl hatte sich von 1863 bis 1914 mehr als verdoppelt (von knapp 70 auf über 162 Millionen Menschen); eine jahrhundertealte Konstellation kehrte sich um: es herrschte nicht mehr Menschenmangel, sondern Bevölkerungsüberschuss; die Lage der Bauern (80 Prozent der Bevölkerung) blieb nach der Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 prekär; in schlechten Erntejahren drohten Hunger und der Rückfall ins Elend. Der Alltag der Arbeiter war geprägt von Wohnungsnot, mangelhafter Ernährung, Hungerlöhnen, langen Arbeitszeiten, ungenügender Vorsorge für Krankheit, Invalidität und Alter; die Zahl der Arbeiter hatte sich von 1863 bis 1914 vervierfacht (von vier Millionen auf ca. 17 Millionen), und die Arbeiterklasse wuchs weiter. Ihre soziale Lage war in der Klein- und Hausindustrie schlimmer als in der Fabrik. Arbeiter und Fabrikbesitzer, Bauer und Gutsherr, Oppositioneller und Regierungsvertreter lebten in unterschiedlichen Welten. Seit dem Petersburger Blutsonntag im Januar 1905, als das Militär vor dem Winterpalais eine Großdemonstration von 200.000 Arbeitern auseinanderjagte und dabei hunderte von friedlichen Demonstranten erschoss, verlor die traditionelle Macht an Legitimation. Im ersten Halbjahr 1914, bevor der Krieg begann, streikten so viele Arbeiter wie im ganzen Jahr der ersten russischen Revolution 1905.
Somit ergeben sich spannende Fragen: Muss nicht die Bedeutung des Kriegs für die Revolution differenzierter bewertet werden? Spielte er nicht eine deutlich geringere Rolle für die revolutionäre Krise, deren soziale Ursachen längst herangereift waren? Hat der Beginn des Krieges nicht vielmehr die Revolution verzögert und sozialistische Kräfte überall geschwächt? Hat nicht erst die völlige Erschöpfung der Bevölkerung Anfang 1917 eine neue Situation geschaffen, auf die weder Monarchie noch bürgerliche Regierung eine die Massen zufrieden stellende Antwort hatten? Beide wollten den Krieg fortsetzen. Erst Lenin verdeutlichte, dass die soziale Revolution zuerst Frieden und Brot erkämpfen müsse.[16]Weiter: Wenn Zaren und Imperium jahrhundertelang Orientierung und Werte vermittelten und damit soziale Erniedrigung kompensiert wurde, welche Rolle spielten Etatismus und imperiales Denken für diejenigen, die sich den siegreichen Bolschewiki anschlossen? Inwiefern war Radikalität eine spezifische Eigenschaft der Bolschewiki, inwiefern wurzelte sie in der schieren Not der Massen, inwiefern in einem jahrhundertelang geprägten „Archetypus des russischen Menschen“ (Buldakov)? Wie können Mentalitäten der Massen,[17] ihre Bewegungen und „Verteidigungsaktionen“ besser erforscht werden? Inwiefern kann die Aktivität der Bolschewiki als Ausdruck einer „Volksenergie“ und „Ungeduld der Massen“ neu beschrieben werden? Wie sehr waren die Bolschewiki mit den Interessen und Wünschen der Bevölkerung vertraut, inwiefern waren sie bloß Revolutionäre „ohne Draht zum Volk“?[18]
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Die Auflösung der UdSSR und der sowjetischen Geschichtswissenschaft führten zu einem „Sturz in die Erinnerungspluralität“.[19] Die Pluralisierung der Vergangenheitsrepräsentationen führt nicht per se zu höherem fachlichen Niveau und reflexiven Praktiken. Die neue Geschichtspolitik von oben ist geprägt von nationalen Identifikationsangeboten und Vergessenskultur; sie dient nicht dem Verstehen, dem Erklären, dem Begreifen. Sie schreckt vor harten Sanktionen nicht zurück. Diese Geschichtspolitik erfüllt Herrschaftsfunktion: sie verschleiert soziale Konflikte und deren Ursachen, sie verdeckt die partikularen Interessen der Oberschichten und das Demokratiedefizit in der Gesellschaft. Darüber hinaus erschweren die Unterfinanzierung und die Kommerzialisierung der Geschichtswissenschaft kontinuierliche, seriöse Forschung.
Im Jahr 1990 hat der US-amerikanische Historiker Robert Tucker bei einer Konferenz in Moskau mit dem russischen Begriff slijanie (Verschmelzung) das optimistische Bild des künftigen Zusammenfließens des Geschichtsdenkens von Ost und West gezeichnet. Was bisher zusammengeflossen ist, stellt ein ausnehmend flaches Gewässer dar: es sind jene totalitaristischen Ansätze, die phänomenologisch bleiben und nicht nach dem sozial-ökonomischen Inhalt gesellschaftlicher Praktiken fragen. Wenn es danach geht, dann kann die Geschichte des Sozialismus von 1917 bis 1991 als totalitäre Diktatur abgehakt werden, dann waren die gesamte Sowjetzeit, der so genannte ‚Nationalsozialismus‘ und der ‚Unrechtsstaat‘ DDR wesensverwandt. So flach dieses gedankliche Rinnsal, so breit und effektiv die politische Wirkung: die Verantwortung des Konservatismus und Liberalismus für Rechtsradikalismus und Faschismus in Vergangenheit und Gegenwart wird verdeckt; radikal demokratisches, antifaschistisches, sozialistisches Denken und Engagement werden mit dem Konzept des Totalitarismus als ‚linksextremistisch‘ diffamiert und kriminalisiert.[20]
Wissenschaftlich am fruchtbarsten erscheinen mir die Bemühungen in der Tradition der Neuen Richtung der 1960er Jahre. Sie verdeutlichen, dass der „Radikalisierungsdrift“ (Gottfried Schramm)[21] im Jahr 1917 nicht auf Lenin und gewaltbesessene Bolschewiki zurückzuführen ist, sondern auf eine vieldimensionale Systemkrise: Zu lange haben die Profiteure des Imperiums der Kontraste ihren Untertanen die wichtigsten Bedürfnisse verweigert: Frieden, Brot, Land. Darüber hinaus: Bildung, Selbstbestimmung, Mitbestimmung, Freiheit.
Die Bürgerliche Revolution, die 1789 in Frankreich begann, hat aus Untertanen Bürger gemacht. Sie hat Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, also Solidarität versprochen. Die Soziale Frage und die Frauenfrage im 19. Jahrhundert haben gezeigt, dass diese Versprechen für die Masse der nun doppelt freien Bürgerinnen und Bürger (frei im rechtlichen Sinn und frei von Produktionsmitteln) nicht erfüllt wurden. Auch in Russland gab es während des ganzen 19. Jahrhunderts Bewegungen, die auf soziale Emanzipation und Demokratisierung drängten. Sie wurden massiv unterdrückt. Die Revolution von 1905 und die beiden Revolutionen von 1917 sind vor diesem Hintergrund verzweifelte Versuche, soziale Not abzuwenden und die Versprechen der bürgerlichen Revolution endlich mit aller Gewalt auch für Russland zu realisieren. In diesem Sinne bilden die drei Revolutionen Phasen eines Revolutionsprozesses. Zur letzten Radikalisierungsstufe ist es gekommen, weil die bürgerliche Revolution versagte: sie brachte weder Frieden noch Land noch soziale Rechte. Deshalb wandten sich die meist noch bäuerlichen Arbeiter und Soldaten den Bolschewiki zu. Der „gigantische Sprung“ ist gescheitert: an den widrigen Ausgangsbedingungen, an eigenen Ansprüchen und Fehlern, am faschistischen Vernichtungskrieg und dem Rüstungswettlauf.[22] Infolge des vorläufigen Siegs des Kapitalismus[23] scheinen wir in einer Weltgesellschaft des „kapitalistischen Realismus“ (Mark Fisher) zu leben, in der Zukunft aufgehört hat, eine Chiffre für Veränderung nach vorn, Veränderung zum Besseren zu sein. Notwendiger denn je ist eine revolutionäre Aufhebung oder wenigstens eine „revolutionäre Regulation“ der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.[24]
[1] Der Text basiert auf einem Vortrag, den ich am 11. Februar 2017 bei der Jahrestagung des Verbands Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer (VHGLL) in Marburg gehalten habe. Ulrike Bittner danke ich für die Durchsicht des Manuskripts.
[2] Im Folgenden stütze ich mich auf meine Studien „Die sowjetische Geschichtswissenschaft 1953 bis 1991“, Marburg 1995, und „Die Russische Revolution in der sowjetischen Historio-graphie“, Hagen 1999, wo sich Belege, Quellen- und Literaturhinweise finden, die hier aus Platzgründen nicht angeführt werden können.
[3] Anna Pankratova wurde nach Saratov strafversetzt und zeitweise aus der Partei ausgeschlossen; ihr Lebensgefährte Grigorij Jakovin wurde zur gleichen Zeit unter dem Vorwurf des Trotzkismus verhaftet, er kam 1938 in der Haft um. Nach intensiver Bearbeitung war Pankratova bereit, den Parteiauftrag auszuführen.
[4] Zwei Drittel der am „Institut der Roten Professur“(IRP) von 1921 bis 1938 ausgebildeten gut zweihundert Historiker wurden in irgendeiner Weise von Repressionen betroffen. Von den 52 Absolventen aller Disziplinen des ersten Jahrgangs des IRP verloren 45 ihr Leben, was bezeichnend für die Stoßrichtung des Stalinschen Terrors ist: Er richtete sich insbesondere gegen die ersten, älteren Kohorten der Bolschewiki und gegen die Intellektuellen unter ihnen. Unter den Wissenschaftlern entstand eine Atmosphäre der Angst. Diese Angst, verbunden mit sozialistischer Überzeugung und dem Willen, das Land gegen den faschistischen Überfall zu verteidigen, führte zu erheblichen Anpassungsanstrengungen, wie sie am Beispiel von Minc, Pankratova u.a. zu beobachten sind.
[5] Die Bände erschienen in den Jahren 1935/38 (der erste Band wurde nach dem Erscheinen zurückgezogen, überarbeitet und 1938 neu aufgelegt), 1942, 1957, 1959, 1960. Siehe Jochen Hellbeck, Die Stalingrad-Protokolle. Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht, Frankfurt a. M. 2012, S. 87-89.
[6] Siehe Hans Lemberg, Unvollendete Versuche nationaler Identitätsbildungen im 20. Jahrhundert im östlichen Europa: die „Tschechoslowaken“, die „Jugoslawen“, das „Sowjetvolk“, in: Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2, hrsg. von Helmut Berding, Frankfurt a. M. 1994, S. 581-607, Zitat S. 600.
[7] Zu den Kämpfen und Widersprüchen der „revisionistischen“ Historiker seit 1956 siehe Roger D. Markwick, RewritingHistory in SovietRussia. The Politics of Revisionist Historiography, 1956-1974, New York 2001.
[8] Die Öffnung zeigte sich auch darin, dass im September 1955 zum ersten Mal nach 22 Jahren wieder sowjetische Historiker am (10.) Internationalen Historikerkongress (in Rom) teilnahmen.
[9] Im Apparat des Zentralkomitees wurde Material gegen Pankratova und Burdžalov gesammelt. Damit wurde der Historiker Pavel Volobuev (Jg. 1923) beauftragt. In Parteipublikationen erschienen Artikel gegen Pankratova und ihren Stellvertreter. Vergebens setzten die beiden sich zur Wehr. Ein ZK-Beschluss vom 9. März 1957 gab die Entlassung Burdžalovs bekannt und rügte Pankratova scharf, die aber Chefredakteurin bleiben sollte. Bald darauf, am 25. Mai 1957, nahm Anna Pankratova sich das Leben.
[10] Zum fünfzigsten Jahrestag jetzt auch Helmut Altrichter, Russland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst, 2., durchgesehene und erweiterte Auflage, Paderborn 2017, S. 551-554.
[11] Die Auflagenstärke der Fachzeitschriften wurde rasch erhöht, bei Voprosyistorii von 16.000 (1987) auf 79.000 (1989), bei Istorija SSSR von 10.500 (1987) auf 25.000 (1989).
[12] Siehe Isabelle de Keghel, Verordneter Abschied von der revolutionären Tradition: Der „Tag der nationalen Einheit“ in der Russländischen Föderation, in: Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im neuen Russland, hrsg. von Lars Karl und Igor J. Polianski, Göttingen 2009, S. 119-140, hier S. 120 f.; vgl. Jutta Scherrer, Erinnern und Vergessen: Russlands Umgang mit (seiner) Geschichte in einer europäischen Perspektive, ebd., S. 23-40.
[13] De Keghel (2009), S. 122-128; vgl. auch Altrichter (2017), S. 558 f.
[14] Hierzu auch: Die Russische Revolution 1917. Wegweiser oder Sackgasse?, hrsg., eingeleitet, kommentiert und übersetzt von Wladislaw Hedeler, Horst Schützler, Sonja Strigitz, Berlin 1997.
[15] Siehe Matthias Vetter, Die Russische Emigration und ihre „Judenfrage“, in: Russische Emigration in Deutschland 1918 bis 1941. Leben im europäischen Bürgerkrieg, hrsg. von Karl Schlögel, Berlin 1995, S. 109-124.
[16] Siehe dazu sehr deutlich Josep Fontana: Die russische Revolution und wir, in: Das Argument 321/2017, S. 12-19, hier S. 13 f.
[17] Siehe hierzu Joachim Hösler, Mentalität, in: Studienhandbuch Östliches Europa, Band 2: Geschichte des Russischen Reiches und der Sowjetunion, hrsg. von Th. M. Bohn und D. Neutatz, 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Köln etc. 2009, S. 243-249.
[18] Siehe Matthias Stadelmann, Befreier ohne Draht zum Volk, in: 1917 – Revolutionäres Russland, hrsg. von Helmut Altrichter u.a., Darmstadt 2016, S. 27-34. – Dieser Sammelband ist bezeichnend für die Mainstreamgeschichtsschreibung in Deutschland, für welche die Oktoberrevolution ein „Putsch einer kleinen Gruppe entschlossener Marxisten unter der Führung Lenins“ ist (Zitat Stefan Bergmann, ebd., S. 6). Ernst Noltes „kausaler Nexus“ ist hier angekommen: die Revolution wird verantwortlich gemacht für die Furcht der Bürger vor dem Bolschewismus, die sich deshalb nationalistischen, völkischen und rassistischen Antikommunisten anschlossen; die „russische Revolution war die Geburtsstunde der faschistischen Bewegungen“, so Jörg Baberowski, ebd., S. 127. Ursachen und Funktion des Antikommunismus, der älter ist als die Oktoberrevolution, bleiben hier unhinterfragt. Wie tief diese Geschichtsschreibung gesunken ist, kann man daran ermessen, dass der führende Russlandhistoriker auf dem ältesten Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte in Berlin sich nicht entblödet zu behaupten, Revolutionen hätten keine Ursachen, Kausalketten seien eingebildet, die Bolschewiki seien „Advokaten hemmungsloser Gewalt“, getrieben von „Wahn“. Jörg Baberowski, Was war die Oktoberrevolution? In: Aus Politik und Zeitgeschichte 44-45/2007, S. 7-13; vgl. Reinhard Kühnl (Hrsg.), Vergangenheit, die nicht vergeht. Die „Historiker-Debatte“. Darstellung, Dokumentation, Kritik, Köln 1987.
[19] Andreas Langenohl, Erinnerung und Modernisierung. Die öffentliche Rekonstruktion politischer Kollektivität am Beispiel des Neuen Rußland, Göttingen 2000. Vgl. auch meinen Beitrag Der „Große Vaterländische Krieg“ in der postsowjetischen Historiographie, in: Geschichtspolitik (2009), S. 237-248.
[20] Für eine differenziertere Analyse als hier möglich vgl. Reinhard Kühnl, „Totalitarismus“ versus „Faschismus“. Zu Herausbildung und Brauchbarkeit zweier wissenschaftlich-politischer Konzepte, in: Schlimmer als die Nazis? „Das Schwarzbuch des Kommunismus“, die neue Totalitarismusdebatte und der Geschichtsrevisionismus, Köln 1999, S. 80-99; Robert Erlinghagen/Gerd Wiegel, Das Totalitarismuskonzept. Zum wissenschaftlichen Gebrauchswert einer politischen Theorie, ebd., S. 156-187.
[21] Zit. nach Handbuch der Geschichte Russlands, Band 3: 1856-1945. Von den autokratischen Reformen zum Sowjetstaat. I. Halbband, hrsg. von Gottfried Schramm, Stuttgart 1983, S. 619.
[22] Welche Schäden der faschistische Vernichtungskrieg hinterlassen und welche Wirkungen Ronald Reagans Politik der Täuschung mit dem Ziel des Totrüstens der UdSSR gezeitigt haben, spielt in den gängigen Bilanzen der Sowjetunion eine auffallend geringe Rolle.
[23] Georg Fülberth, Sieben Anstrengungen, den vorläufigen Endsieg des Kapitalismus zu begreifen, Hamburg 1991.
[24] Vgl. Mark Fisher, Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?, Hamburg 2013; Hermannus Pfeiffer, Revolutionäre Regulation, in: Neues Deutschland, 31.12.2016/1.1.2017, S. 22; Georg Fülberth, Ein pink-grün-grau-roter Plan, in: Oxi 10/2017, S. 4 f.; Georg Seeßlen, Let’s try it again, in: Konkret 1/2015, S. 58 f.