Die Weltkonjunktur hat sich in den letzten anderthalb Jahren vergleichsweise stabil entwickelt. Die Produktion in den entwickelten Ländern[1] expandiert in gemächlichem Tempo.[2] Der Tiefpunkt der letzten Krise im Jahre 2009 ist (mit Ausnahme einiger südeuropäischer Krisenländer) überwunden, am Jahresende 2017 blicken die Wirtschaftsbeobachter auf acht Jahre einer langsamen konjunkturellen Aufwärtsbewegung zurück. Diese soll sich – glaubt man den Prognosen – auch 2018 fortsetzen.
Tab. 1: Prognose der Weltwirtschaft (Wachstumsraten des BIP in %)
Tabelle siehe PDF !
Quelle: IMF, World Economic Outlook, October 2017, S. 14.
Investitionsschwäche und Digitalisierung
Der aktuelle zyklische Aufschwung ist damit einerseits außergewöhnlich lang, aber auch außergewöhnlich schwach, was, wie in Z 106 (Juni 2016) gezeigt, vor allem mit der verhaltenen Investitionstätigkeit zusammenhängt. In den entwickelten Ländern hat sich diese für den Konjunkturzyklus bestimmende Größe seit dem Krisentiefpunkt kaum erholt. Die Investitionsquote, d.h. der Anteil der Anlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), war zwischen 2006 und 2009 von 23,5 auf 19,7 Prozent eingebrochen. Seither hat sich die Investitionstätigkeit nur wenig erholt: Für 2017 gibt der IWF einen Wert von 21,1 Prozent an. Die in Z 106 dargestellte Entwicklung (S. 61/62) hat sich fortgesetzt. Insgesamt wächst der Kapitalstock kaum noch, in Deutschland ist die jährliche Zunahme seit 2009 auf etwa ein Prozent gesunken – im verarbeitenden Gewerbe ist dieser sogar seit Jahren rückläufig.[3] Dies wird vielfach als Ausdruck einer „säkularen Stagnation“[4] interpretiert, deren Hauptursache die neoliberale Austeritätspolitik ist: Rückläufige öffentliche Ausgaben und der durch zunehmende prekäre Beschäftigungsverhältnisse beförderte Rückgang der Lohnquote beeinträchtigen Nachfrage, Wirtschaftswachstum und Investitionstätigkeit. Dies allein scheint aber als Erklärung nicht auszureichen, wenn man auf den Kern der Investitionsdynamik, nämlich die Ausrüstungsinvestitionen (Maschinen, Produktionsanlagen, Fahrzeuge usw.) blickt, also öffentlichen Bau, Wohnungsbau und Wirtschaftsbau ausklammert. Diese folgt – wie die oben zitierte Untersuchung am Beispiel der USA zeigt – ebenfalls einem tendenziell rückläufigen Trend. Es stecken also auch langfristig wirkende strukturelle Faktoren hinter dem Phänomen der niedrigen Investitionstätigkeit. Dazu gehört einmal die Verlagerung von Produktionsfunktionen aus den fortgeschrittenen Ländern in den ‚Süden‘ – ein Trend, der sich allerdings in den letzten Jahren verlangsamt hat. Zum anderen wird eingewandt, dass die Investitionsstatistiken bzw. der Investitionsbegriff den aktuellen technologischen Veränderungen nicht mehr entsprächen. Zwar wurde der Investitionsbegriff im Rahmen der Revision des „System of National Accounts“ von 2008/2009 angepasst, insbesondere wurden Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht mehr als Vorleistungen, sondern als Investitionen gezählt, was sowohl das BIP als auch die Investitionen erhöht.[5] Kauf bzw. Entwicklung von Software wurde bereits im Rahmen der Revision von 1995 in den Investitionsbegriff einbezogen. Tatsächlich ist der Anteil dieser „intangibles“ an den Gesamtinvestitionen (ohne Wohnungsbau) zwischen 1995 und 2015 von 19 auf 27 Prozent angestiegen.[6] IT-Ausrüstungen haben im gleichen Zeitraum leicht an Gewicht verloren, ähnlich wie die sonstigen Ausrüstungen. Dies hängt wohl mit der relativen Verbilligung der modernen Technologie zusammen. Es trifft also nicht zu, dass Investitionen in „immaterielle Investitionsgüter“ statistisch nicht berücksichtigt würden. Umstritten ist lediglich, ob diese Revisionen ausreichend sind.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Kapitalintensität der Produktion in den entwickelten Ländern abnimmt, das Verhältnis zwischen Kapitalstock und realem BIP also trendmäßig sinkt. Das kann einmal – wie erwähnt – mit der Verlagerung kapitalintensiver Produktionen in weniger entwickelte Länder zusammenhängen: Bekanntlich wurde China früher als ‚verlängerte Werkbank‘ der US-Wirtschaft angesehen. Es gibt aber auch die These, „dass die zunehmende Computerisierung aller Arten von Produktionsprozessen … mit einer abnehmenden Kapitalintensität verbunden“ sein könnte.[7] Es erscheint jedenfalls möglich, dass die Effekte der Computer- und Kommunikationsrevolution bezüglich der Kapitalintensität andere sein werden als frühere industrielle Innovationswellen. Technischer Fortschritt ist im Zeichen der Digitalisierung nicht mehr notwendig mit einer Erweiterung des fixen Kapitals verbunden.
Schwäche der BRICS-Länder?
Während die Produktion in den entwickelten Ländern weiter um ca. zwei Prozent im Jahr zunimmt, hat sich die Expansion in den meisten Ländern des ‚globalen Südens‘, d.h. den Schwellen- und Entwicklungsländern, wieder etwas verstärkt. Das hängt vor allem mit der Tatsache zusammen, dass die tiefen Krisen in einigen Ländern der BRICS-Gruppe, insbesondere Russland und Brasilien, inzwischen überwunden werden konnten. Beide Länder verzeichnen 2017 – nach z.T. drastischen Einbrüchen – wieder eine leichte Zunahme des BIP, während das Wachstum in China, Indien und den fünf ASEAN-Ländern unverändert hoch bleibt. Hintergrund der Besserung in Russland und Brasilien ist – neben länderspezifischen Faktoren – die relative Stabilisierung der Rohstoffpreise. Sank der HWWI-Rohstoffpreisindex (2015=100, Dollarbasis) im Jahre 2016 auf 87,5 Punkte, so erreichte er im September 2017 wieder einen Wert von gut 106. Triebkraft waren Industrierohstoffe, vor allem NE-Metalle und Eisenerze. Die Preise von Energierohstoffen und Agrarprodukten blieben gedämpft. Immerhin stieg der Preis von Rohöl (Brent) Anfang November wieder auf mehr als 60 US-Dollar/Barrel.
Vor diesem Hintergrund setzte sich der Trend zur Verschiebung der globalen Produktionsstrukturen zugunsten der Schwellen- und Entwicklungsländer und zu Lasten der entwickelten Länder fort.[8]
Tab. 2: Globales Bruttoinlandsprodukt zu Kaufkraftparitäten
(Anteile in %)[9]
1980
2000
2017
Fortgeschrittene Länder
63,6
57,0
41,3
Schwellen- und Entwicklungsländer
36,4
43,0
58,7
Quelle: IMF, World Economic Outlook, database, October 2017.
Natürlich ist die Zusammenfassung dieser Länder in einer Gruppe eine grobe Vereinfachung. Sowohl die Triebkräfte (Industrie oder Rohstoffe) des Wachstums als auch die sozialen Folgen sind höchst unterschiedlich. Die jüngere Vergangenheit hat jedenfalls die Fragilität der Expansion in mehreren Ländern der den ‚Süden‘ dominierenden BRICS-Gruppe offengelegt. Im Fall von Brasilien (und anderen lateinamerikanischen Ländern), aber auch in Russland haben politische Faktoren die Krisenerscheinungen verstärkt. Für Russland sind aktuell immerhin – u.a. als Folge der westlichen Sanktionen – bescheidene Tendenzen zur Diversifizierung bzw. zur Begrenzung der Rohstoffabhängigkeit zu beobachten: Die landwirtschaftliche Erzeugung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, die lokale Produktion von Landtechnik steigt ebenfalls. Angeblich ist der Anteil russischer Erzeugnisse dabei von 26 Prozent 2013 auf 54 Prozent 2016 gestiegen.[10] Das jüngste BRICS-Mitglied, Südafrika, kränkelt schon längere Zeit und leidet unter einer schleichenden Deindustrialisierung bei extrem hoher Arbeitslosigkeit. Und selbst bei den asiatischen Giganten ist nicht alles Gold was glänzt: Das zeigt ein Blick auf Indien, das – gemessen an den Wachstumsraten – scheinbar dabei ist, China auszustechen.
Da Indien – nach Ansicht vieler ‚westlicher‘ Beobachter – nicht nur demokratischer, sondern vor allem marktwirtschaftlicher orientiert ist, galt und gilt der Subkontinent hierzulande als besonders zukunftsträchtig. Unglücklicherweise aber war und ist die wirtschaftliche Entwicklung in Indien mit besonders großen sozialen Problemen behaftet, wie der jüngste „Global Hunger Index“ des International Food Policy Research Institute (IFPRI) wieder einmal unterstrichen hat: Während China auf der Vergleichsskala von 119 Ländern auf Platz 29 steht, hält Indien konstant einen der hinteren Plätze, im Jahre 2017 Rang 100, also noch hinter einer ganzen Reihe von afrikanischen Ländern. Zwar hat sich auch in Indien seit Anfang der 1990er Jahre die Ernährungslage etwas verbessert, vor allem die Situation der Kinder aber ist immer noch dramatisch: Während 2017 mehr als ein Fünftel der indischen Kinder (unter fünf Jahren) von akuter Unterernährung („wasting“ = zu leicht für die Körpergröße) betroffen war, litten mehr als 38 Prozent unter chronischer Unterernährung („stunting“), d.h. sie waren zu klein für ihr Alter. IFPRI zufolge gilt die Hungersituation in Indien als „ernst“. Die gerühmte marktwirtschaftliche Ausrichtung Indiens seit Anfang der 1990er Jahre hat sich für die Bevölkerung kaum ausgezahlt, vor allem im Vergleich mit dem als ‚staatswirtschaftlich‘ abgewerteten China: Dort ist der Anteil der unterernährten Bevölkerung von 23 (1991/93) auf 9,6 Prozent (2014/2016) gesunken, die Raten für „stunting“ bei Kindern – Indikator für chronische Mangelernährung – sind von 38 auf 6 Prozent gesunken. Noch 1990 hatte Indien ein höheres Pro-Kopf-Einkommen (1.165 US-Dollar, laufende Preise) als China (980 US-Dollar). Im Jahre 2017 hatten sich die Verhältnisse umgekehrt: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen war in Indien auf knapp 7.200 US-Dollar gestiegen, in China dagegen auf 16.600 US-Dollar. Marktwirtschaft scheint sich nicht immer auszuzahlen.
Auch im Welthandel – der zwischen 2010 und 2016 insgesamt nur noch langsam zugenommen hat – hat sich die Position der Länder des ‚globalen Südens‘ weiter verbessert, obwohl hier immer noch der ‚Westen‘ vorne liegt.
Tab. 3: Warenexporte nach Regionen (Anteile in %)
1993
2003
2016
‚Globaler Westen‘
71,6
65,9
54,5
‚Globaler Süden‘
28,4
34,1
45,5
Quelle: WTO, World Trade Statistical Review 2017, Table A4 (statistische Abgrenzung nicht voll identisch mit jener des IWF).
Die Zunahme des internationalen Handels war zwischen 2004 und 2014 wesentlich durch die Steigerung des Süd-Süd-Handels bedingt, der 2014 mit 5,5 Billionen US-Dollar nahezu dem Volumen des Nord-Nord-Handels entsprach.[11]
Etwas anders sieht es bei den internationalen Direktinvestitionen (FDI)[12] aus. Hier bleibt der ‚globale Westen‘ dominant. Zwar sind einige Schwellen- und Entwicklungsländer – allen voran China – inzwischen wichtige Akteure im Geschäft der grenzüberschreitenden Investitionen geworden. Ihr Anteil am Bestand der internationalen Auslandsanlagen (dieser wird 2016 auf gut 26 Billionen US-Dollar geschätzt) ist zwar zwischen 2000 und 2016 von 10 auf fast 24 Prozent angestiegen, hat sich allerdings in der jüngeren Vergangenheit nicht weiter erhöht. Von den laufenden FDI (outflows), die in den letzten Jahren bei jährlich etwa 1,5 Billionen US-Dollar liegen, entfallen seit 2011 etwa 30 Prozent auf die Schwellen- und Entwicklungsländer. Dass dieser Anteil zuletzt nicht weiter gestiegen ist, hängt einerseits mit den gesunkenen Rohstoffpreisen zusammen, die die Finanzkraft der rohstoffexportierenden Länder geschwächt haben. Andererseits haben die Kapitalexporte der entwickelten Länder im Kontext großer internationaler Zusammenschlüsse wieder zugenommen. Trotzdem nimmt die globale wirtschaftliche Bedeutung der BRICS-Länder tendenziell weiter zu: „BRICS-basierte Unternehmen und Länder sind zunehmend aktive Akteure im globalen Maßstab und tragen dazu bei, die Süd-Süd-Beziehungen zu prägen“, hebt die UNCTAD in ihrem Investitionsreport hervor.[13]
China und die multipolare Weltordnung
Dabei spielt China in einer besonderen Liga: Herausragend ist seit einigen Jahren die Seidenstrassen-Initiative („One belt One road“), die etwa 60 Länder berührt. Sechs Billionen US-Dollar an Direktinvestitionen (Bestandsgröße), also fast ein Viertel der globalen Auslandsanlagen, sind dort konzentriert.[14] Vor allem chinesische FDI werden dadurch stimuliert, wobei der langfristige Ausbau von Infrastrukturen im Mittelpunkt steht. Mit Misstrauen beobachten westliche Länder z.B. den Aufkauf griechischer Häfen durch chinesische Investoren – wozu man den griechischen Staat allerdings selbst gezwungen hatte.
Betrachtet man die Schwellen- und Entwicklungsländer als Gruppe (also unter Einbeziehung der von der UNCTAD gesondert ausgewiesenen Transitionsländer), dann entfallen etwa 60 Prozent der internationalen Direktinvestitionen des ‚Südens‘ (outflows) auf China und Hongkong. Zwischen 2011 und 2016 ist der chinesische Anteil weiter gewachsen. 2016 stammten mehr als drei Viertel des Bestands an ausländischen Direktinvestitionen der Gruppe der Schwellen- und Entwicklungsländer aus China/Hongkong. Ob die Rolle der Schwellenländer (außer China) wirklich dauerhaft geschwächt ist – wie Andrés Musacchio in seiner Analyse der Rolle der G20 ausführt (vgl. seinen Beitrag in diesem Heft, S. 41ff.) – kann hier nicht weiter untersucht werden. Zwar hat die jüngste Entwicklung die Rohstoffabhängigkeit einiger großer Schwellenländer und damit deren Fragilität erneut bestätigt, einige andere Länder konnten ihre Position aber durchaus weiter ausbauen. Zuzustimmen ist auf jeden Fall der Feststellung, dass China eine Sonderrolle spielt und ein eigenständiger globaler Akteur geworden ist, der sich auch in der ursprünglich vom Westen gestalteten Weltordnung erfolgreich alleine durchzusetzen weiß. Ob China sich – im Interesse der übrigen Schwellen- und Entwicklungsländer – für eine grundlegende Reform der Weltwirtschaftsordnung im Sinne einer echten Multipolarität einsetzen wird – wie Parteichef Xi Jinping auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum im Januar 2017 angekündigt hatte – bleibt jedenfalls abzuwarten.[15]
Krisenfaktor Finanzmärkte: Der schwierige Weg aus der Politik des leichten Geldes
Während die kurzfristigen Wirtschaftsprognosen eine weitere Belebung der Weltkonjunktur erwarten, wird mittelfristig eher verstärkt auf Risiken verwiesen. Kernpunkt sind dabei die Finanzmärkte. Die lang anhaltende Niedrigzinsentwicklung hat die Finanzinvestoren dazu verleitet, auf der Suche nach Rendite immer größere Risiken einzugehen. Im Ergebnis haben alle Formen von Verschuldung drastisch zugenommen[16], die Vermögenspreise (Aktien, Immobilien) haben, wie z.B. eine Analyse der Deutschen Bank feststellt, historisch bislang unbekannte Höhen erreicht.[17] An den Weltbörsen war der Oktober 2017 ausgesprochen ‚golden‘ – die Börsenindizes verzeichneten weltweit neue Allzeithochs. Hören die Notenbanken auf, die Wirtschaft weiter mit extrem billigem Geld zu fluten, könnten diese Vermögenspreisblasen platzen. Dieses globale Problem wird aktuell dadurch verschärft, dass sich die Interessen an einer Weiterführung der Politik des leichten Geldes zunehmend differenzieren. Während die amerikanische und jüngst auch die britische Notenbank versuchen, sich allmählich von der extremen Niedrigzinspolitik zu lösen, hält die Europäische Zentralbank am bisherigen Kurs weiter fest. Sie ist sich dabei bewusst, dass die finanzielle Situation vieler Euro-Länder – darunter vor allem Italiens – weiterhin extrem fragil ist, dass die Gefahr von Bankenzusammenbrüchen keineswegs gebannt ist. In sechs EU-Ländern liegt der Anteil der faulen Kredite – der „non performing loans“ (NPL) – über zehn Prozent, bei einem Durchschnitt von 5,7 Prozent im gesamten Euroraum.[18] Etwa ein Drittel der systemisch relevanten Banken vor allem aus Europa (darunter die Deutsche Bank) leidet unter niedrigen Erträgen, so dass es nicht gelingt, notwendige Risikopolster anzulegen. Hinzu kommt, dass steigende Zinsen die öffentlichen Haushalte der höher verschuldeten Länder – vor allem jener des europäischen Südens – erneut unter Druck setzen würden. Dagegen wächst der Widerstand seitens der stärkeren Länder – vor allem Deutschlands –, wo die Geschäftsmodelle der Versicherungswirtschaft und anderer Anlagefonds immer stärker unter Druck geraten und private Pensionsfonds sich gezwungen sehen, in risikoreichere Anlagefelder einzutreten. Auch haben sich die Leistungsbilanzen vieler rohstoffexportierender Länder als Folge der gesunkenen Rohstoffpreise verschlechtert, so dass die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalzuflüssen wieder zugenommen hat. Bei einer zu raschen Straffung z.B. der amerikanischen Geldpolitik würden viele Schwellen- und Entwicklungsländer durch den Abzug von Auslandskapital und steigende Zinskosten von in US-Dollar denominierten Auslandskrediten in Schwierigkeiten geraten. Diese ohnehin komplizierte Situation wird durch die oben erwähnten divergierenden Interessen an einer Fortführung bzw. einem Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik und die Ungleichzeitigkeit der wirtschaftlichen Erholung in den entwickelten Ländern noch unübersichtlicher. Das eigentlich notwendige abgestimmte Vorgehen wird durch die unterschiedlichen Interessen der Akteure erschwert bzw. unmöglich gemacht. „Ein starkes, nachhaltiges, ausgewogenes und sozial gerechtes Wachstum erfordert ein gut funktionierendes, kooperatives, multilaterales Rahmenwerk für internationale wirtschaftliches Beziehungen“, beschwört der IWF die starken Länder.[19] Im Zeichen von „America first“ und der bedingungslosen Verteidigung der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse und Exportinteressen[20] erscheint dies mehr denn je als frommer Wunsch.
[1] In den Statistiken des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird zwischen den beiden Gruppen der „developed economies“ (40 Industrieländer, darunter auch asiatische ‚Tigerstaaten‘ wie Südkorea und Taiwan) einerseits und den „emerging and developing economies“ andererseits unterschieden.
[2] Die Daten basieren – wenn nicht anders angegeben – auf der Database des World Economic Outlook des IWF, Ausgabe Oktober 2017.
[3] Allianz Economic Research, Working Paper 194, Die Produktivitätsschwäche der Industrieländer: Erklärungsansätze und Handlungsbedarf, 2015.
[4] Helaba Volkswirtschaft/research, USA Aktuell v. 14.1.2016, Investitionsschwäche: Nur eine Mär?
[5] Außerdem gelten nun auch militärische Waffensysteme als Investitionen.
[6] Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Investitionsschwäche oder Strukturverschiebung der Investitionstätigkeit? Zur Rolle immaterieller Investitionen für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Mannheim 2016.
[7] Helaba, ebd., S. 6.
[8] Für einen gründlicheren Überblick vgl. Jörg Goldberg, Die Emanzipation des Südens, Köln 2015.
[9] Um die reale Produktion zu vergleichen muss die Kaufkraft der nationalen Währungen in Rechnung gestellt werden. Gemessen am BIP zu jeweiligen Preisen und Wechselkursen in US-Dollar haben die Entwicklungs- und Schwellenländer ebenfalls aufgeholt (ihr Anteil am weltweiten BIP hat zwischen 1980 und 2017 von 24,3 auf 42,9 Prozent zugenommen), die entwickelten Länder aber noch nicht überholt. Dies spiegelt u.a. die dominierende Rolle der Leitwährung US-Dollar wider.
[10] Russische Äcker sind hart, aber ergiebig, NZZ v. 18.10.2017.
[11] UNCTAD, Key Statistics and Trends in International Trade 2016, S. 14, Geneva 2017.
[12] Die Daten zu den Foreign Direct Investments (FDI) stammen aus dem World Investment Report der UNCTAD, Ausgabe 2017. Die statistische Abgrenzung zwischen den „entwickelten Ländern“ einerseits und den „Entwicklungsländern“ und „Transformationsländern“ andererseits entspricht nicht der Definition des IWF.
[13] UNCTAD, World Investment Report 2017, S. 19.
[14] Ebd.
[15] Vgl. Werner Rügemer, Varianten des Kapitalismus. Ein Vergleich des westlichen mit dem chinesischen Kapitalismus, isw-newsletter v. 29.10.2017.
[16] US-Unternehmen gelten als besonders hoch verschuldet, seit 2009 hat sich ihre Nettoverschuldung fast verfünffacht (NZZ v. 2.10.2017).
[17] Where Deutsche Bank thinks the next financial crisis could happen, Holly Ellyatt, 19. Sept. 2017, CNBC.
[18] IMF, World Economic Outlook, October 2017, S. 23.
[19] Ebd., S. 33.
[20] Der deutsche Überschuss der Leistungsbilanz wird 2017 voraussichtlich zum dritten Mal in Folge über acht Prozent des BIP betragen. Der von der EU festgelegte Schwellenwert liegt bei sechs Prozent. Sowohl die EU als auch der IWF (im Rahmen der Artikel IV Konsultationen) kritisieren dies seit Jahren und fordern einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel (öffentliche Investitionen, Reallohnwachstum). KfW-research, Fokus Volkswirtschaft, Nr. 178 v. 8.8.2017 „Leistungsbilanz: Überschuss reduzieren, Deutschland stärken“.