Wie es im Editorial dieser Ausgabe heißt, „beschäftigt sich die linke und marxistische Kapitalismusanalyse kaum noch mit dem monopolistischen Charakter des modernen Kapitalismus“ (5). Diese Vernachlässigung ist deshalb so bedauerlich, weil damit grundlegende Wandlungsprozesse des kapitalistischen Systems nicht erkannt werden können. In den Prozessen der Konzentration und Zentralisation auf der einen und der Dezentralisierung und Entflechtung auf der anderen Seite widerspiegeln sich sowohl aktuelle Entwicklungen der Produktivkräfte als auch des Formen- und Strukturwandels in der Wirtschaft. Da sich in technologischen Umbruchphasen – wie sie sich z.B. gegenwärtig mit der Digitalisierung vollziehen – auch die Unternehmens- und Branchenstrukturen i.d.R. dramatisch verändern, ist die Aktualität des Themas unbestritten. Einige in den Beiträgen vertretene Positionen sollen mit den folgenden fünf Punkten kritisch betrachtet und ergänzt werden.
1. In der Zeit nach Marx wurde in der linken Gesellschaftstheorie die dialektische Sicht auf den Vergesellschaftungsprozess häufig durch eine vereinfachte, lineare Betrachtung ersetzt. Im Vordergrund stand und steht zum Teil auch noch heute die stetig fortschreitende Konzentration und Zentralisation des Kapitals bis hin zum Monopol bzw. Staatsmonopol. Die wesentliche theoretische Grundlage dafür lieferte das Leninsche Imperialismuskonzept. Sehr verkürzt entwickelte Lenin folgende Gedankenkette: die Großproduktion verdrängt die Kleinbetriebe, die großen Unternehmen werden noch größer und wachsen zu Monopolen, das Monopol löst die Konkurrenz ab und bereitet damit den Boden für „den Übergang von der kapitalistischen zu einer höheren Gesellschaftsformation.“ (Lenin, 304)
Diese vereinfachte Denkweise prägte in der DDR und den anderen realsozialistischen Staaten die planmäßige Organisation der Wirtschaft. Da wurde z.B. ein „Gesetz der Konzentration“ formuliert und behauptet, dass der technische Fortschritt „objektiv“ zu einer Erhöhung des Konzentrationsgrades führt und dass mit der wachsenden Konzentration auch die Produktivität und Effektivität zunimmt. Am Ende bestand die DDR-Wirtschaft aus rund 250 Kombinaten. Darunter befanden sich nicht wenige formale Gebilde, die bis zu knapp 1.000 Produktionsstätten unter dem Dach einer solchen „modernen Wirtschaftseinheit“ zusammenfassten.
In dem von Lenin betrachteten Zeitraum hat sich tatsächlich eine beschleunigte Konzentration und Zentralisation des Kapitals vollzogen. Seit der Veröffentlichung der als „Gemeinverständlicher Abriss“ bezeichneten Theorie sind nun genau 100 Jahre vergangen. Die Geschichte hat seitdem gezeigt, dass „Konzentration und Zentralisation des Kapitals kein linearer, sich ständig verstärkender Prozess ist, der irgendwann einmal zur Beseitigung von Konkurrenz führt“. (Goldberg/Leisewitz, 18/19) Diese Prozesse vollziehen sich immer nur temporär und werden von Sprüngen in der Produktivkraftentwicklung durchkreuzt. Marx bezeichnete deshalb die Konzentration und Zentralisation auch als Attraktion des Kapitals, nicht ohne zugleich deren Negation durch die widerstrebende Kraft der Repulsion zu beschreiben.
Nach Auffassung von H.-J. Bontrup schreitet jedoch „die Konzentration und Zentralisation in der Wirtschaft … unaufhaltsam voran“. (20) In einer aktuellen Publikation widmet sich auch Sahra Wagenknecht der „genialen Prognose“ von Marx, dass „die Unternehmen immer größer und mächtiger werden“. (Wagenknecht, 98) Beide, Bontrup und Wagenknecht, stützen sich dabei auf die Marxsche Aussage „Je ein Kapitalist schlägt viele tot“. Dadurch komme es, so zitiert Wagenknecht Marx weiter, zu einer „beständig abnehmenden Zahl von Kapitalmagnaten“ (Marx, 790). An anderer Stelle schreibt Marx allerdings, dass mit der Akkumulation des Kapitals „daher auch mehr oder minder die Anzahl der Kapitalisten wächst“ (Marx, 653). Diese gegensätzlichen Aussagen lösen sich dialektisch auf, wenn die Vorgänge der Konzentration und Zentralisation nicht isoliert betrachtet werden. Der Attraktion des Kapitals wirkt deren Repulsion immer wieder entgegen. Die Prozesse der Konzentration und Zentralisation werden damit beständig „durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale durchkreuzt“ (Marx, 654).
2. Die einseitige Sicht auf den Konzentrationsprozess wird häufig mit der Behauptung verbunden, dass die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Hauptopfer dieser Entwicklung sind. Der Kapitalismus, so steht es im Programm der Partei DIE LINKE, „ruiniert die Mittelschichten“. (Programm, 17) Auch nach H.-J. Bontrup steht „die Masse der ohnmächtigen kleineren und mittleren Unternehmen“ „einigen immer mächtiger werdenden Großunternehmen (Konzernen) … gegenüber“. (27) Nun hat aber die Zahl der Unternehmen in Deutschland, und damit auch die der KMU, generell zugenommen. Sogar die Anzahl der Handwerksbetriebe stieg von 1997 bis 2015 von 833.000 auf über eine Million. Um zu belegen, dass „die KMU regelmäßig von den Großunternehmen gezielt durch ruinöse Preispolitik angegriffen werden, um sie aus dem Markt zu drängen“ (29), zitiert Bontrup die Insolvenzstatistik. Den Bewegungsmechanismus des Kapitalismus kann man jedoch nicht erkennen, wenn nicht zugleich die Entwicklung der Unternehmensgründungen betrachtet wird. Über die fortwährende Liquidation und Neuentstehung vollzieht sich schließlich in hohem Maße die strukturelle Erneuerung der kapitalistischen Wirtschaft. Aus der verfügbaren Statistik über die Gewerbean- und -abmeldungen bzw. Unternehmensgründungen und Liquidationen geht hervor, dass insgesamt der erste Vorgang überwiegt.
3. In der Geschichte hat es immer wieder Phasen einer stark beschleunigten Zentralisation des Kapitals gegeben. Diese Fusionswellen führten nicht nur zu einem deutlichen Anstieg des Konzentrationsgrades; darin äußerten sich auch immer veränderte Verwertungsbedingungen. Die wissenschaftliche Analyse muss deshalb nicht nur die quantitative Seite des Konzentrationsprozesses, sondern auch die Ursachen und Inhalte erfassen. So war z.B. die erste große Fusionswelle von 1899 bis 1903 vor allem durch horizontale Zentralisationen geprägt. Die nächste große Flut an Unternehmenszusammenschlüssen vollzog sich 1926-1930 vornehmlich in vertikaler Richtung. Die dritte Fusionswelle von 1965-1968 führte durch diagonale Vereinigungen zur Bildung von Konglomeraten. Die letzte Ursache für diese veränderten Fusionsinhalte liegt natürlich in der Entwicklung der Produktivkräfte, insbesondere in der damit untrennbar verbundenen fortschreitenden Differenzierung, die eine wachsende „Mannigfaltigkeit der gesellschaftlichen Produktionszweige“ (Marx, 468) zur Folge hat. Die Differenzierung der Produktion führte z.B. auch dazu, dass Großunternehmen ihre Monopolstellung nicht halten konnten So produzierte US-Steel im Jahr 1902 73 Prozent des gesamten Rohstahls der USA. Heute ist das Unternehmen immer noch der größte Stahlhersteller der USA; sein Marktanteil sank allerdings auf unter 10 Prozent. Ähnlich erging es IBM. 1983 hielt IBM bei PCs einen Marktanteil von weltweit 70 Prozent. Seit diesem Zeitpunkt wuchsen und differenzierten sich der Markt und die Branche so dynamisch, dass ein einzelnes Unternehmen dieser Entwicklung nicht mehr folgen konnte. 2004 verkaufte IBM seine PC-Sparte an den chinesischen Wettbewerber Lenovo. Die Geschichte der Fusionen muss deshalb durch die Geschichte der Entflechtungen ergänzt werden. Dies wird nicht zuletzt durch die aktuellen Entwicklungen bei den Chemie- und Energiekonzernen sowie den Banken unterstrichen (Foullong, 40 ff; Bontrup 82 ff; Leisewitz, 93 ff).
4. Eine wesentliche Ursache der Konzentration und Zentralisation besteht in dem Ziel der Marktbeherrschung und -durchdringung. Zugleich sind die Prozesse der Konzentration und Zentralisation einerseits und die der Dezentralisierung und Entflechtung eng mit der Entwicklung der Produktivkräfte verbunden. Bereits Marx hat den Zusammenhang von Technologie und Konzentration am Beispiel der Dampfmaschine beschrieben. Je höher die Leistungskraft der als „Zentralmotor“ fungierenden Dampfmaschine, um so mehr Maschinen konnten über Transmissionsriemen daran angeschlossen werden und um so größer war die Fabrik. Mit der Erfindung und Einführung der Elektro- und Verbrennungsmotoren änderte sich dieser Zusammenhang jedoch grundlegend. Diese neue Antriebstechnik hatte eindeutig dezentralisierende Wirkungen. Galt zu Marx’ Zeiten: Ein Motor treibt viele Maschinen an, so gilt heute: Eine Maschine wird von vielen Motoren angetrieben.
Die Grundlage für die Durchsetzung des Elektromotors und dessen dezentralisierende Wirkung wurde mit der flächendeckenden Elektrifizierung geschaffen. Analog dazu entstand und entsteht mit dem Internet im allgemeinen und dem Internet der Dinge im besonderen die Infrastruktur für eine verstärkt dezentralisierte und zugleich vernetzte Produktion. Auch einzelne Technologien wie der PC, der Digitaldruck oder der 3D-Druck befördern die Entstehung neuer, dezentraler Arbeits- und Produktionsformen.
Auch ein aktueller Bericht über die „Konzentration im deutsche Bankgewerbe“ (Foullong, 40 ff) darf eigentlich nicht diesen Zusammenhang unbeachtet lassen. Neue digitale Technologien wie mobile Bezahldienste, Crowdfunding, FinTechs und die Blockchain mit den Kryptowährungen (Bitcoins u.a.) stellen für die Tempel des Finanzkapitals eine echte Bedrohung dar. Weil „die Digitalisierung die Banken mit voller Wucht trifft“ (Bain, 6), befürchten nicht wenige Branchenkenner, dass „am Ende dieses Prozesses dann ein ganz anderes, dezentrales Finanzsystem stehen könnte“. (Der Spiegel, 4/2016, 65)
Auch in der Energiewirtschaft ist der von H.-J Bontrup beschriebene Umstand, dass die „Stromgiganten jetzt wackeln“ (91), nicht nur auf Managementfehler zurückzuführen. Dies resultiert in hohem Maße auch aus neuen Technologien der Produktion und Speicherung von Energie in kleinen Einheiten und deren blitzschnellen Vernetzung zu „virtuellen Kraftwerken“. Deshalb kann der an anderer Stelle von H.-J. Bontrup getroffenen Feststellung nur zugestimmt werden, dass „ die Dezentralisierung ein Megatrend ist, der fast alle Akteure und Bereiche in der Energiewirtschaft auf vielfältige Weise beeinflusst“. (Bontrup 2017)
Auch für Sahra Wagenknecht liegen die Gründe für die Prozesse der Konzentration und Zentralisation neben der Marktmacht auf der „technologischen Ebene“. Als Beispiele für die technologisch bedingte Konzentration führt sie die Stahlindustrie, den Automobilbau und die digitale Ökonomie an. So „machten in der Stahlindustrie die Investitionskosten mit der Einführung des Bessemer-Verfahrens einen Sprung nach oben. In der Folge konnten nur noch extrem große Unternehmen überleben“. (Wagenknecht 2017, 99/100) Das ist historisch zwar richtig, aber der technische Fortschritt ist nicht beim Bessemer-Verfahren stehen geblieben. Ab den 60er Jahren hat sich immer mehr die Minimill-Stahltechnologie durchgesetzt. Die Mindestgröße eines solchen Werkes beträgt lediglich ein Zehntel eines integrierten Stahlwerkes. Heute entfallen auf Minnimills etwa 60 Prozent der Stahlproduktion in den USA und rund 40 Prozent in Europa.
In der Automobilindustrie beruht der konzentrationsfördernde Effekt vor allem auf dem nach wie vor vorherrschenden Prinzip der Massenproduktion. Sahra Wagenknecht führt an, dass es nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland noch rund 80 Automobilhersteller gab, von denen heute nur noch drei Konzerne übrig geblieben sind. Diese ganz offensichtlich gewaltige Zusammenballung von Kapital kann aber wiederum in seiner Wirkung auf den Funktionsmechanismus der kapitalistischen Wirtschaft nur erklärt werden, wenn auch die Veränderungen in der Arbeitsteilung innerhalb der Branche mit betrachtet werden. In den 20er Jahren betrug bei Ford die Fertigungstiefe noch 90 Prozent, heute liegt sie bei rund 30 Prozent. Viele mittelständische Autohersteller sind verschwunden, dafür sind jedoch Tausende kleine und mittlere Zulieferer neu entstanden.
Der „generelle Trend der wirtschaftlichen Konzentration“ gilt nun nach Sahra Wagenknecht „in besonderem Maße für die Zukunftsbranche des 21. Jahrhunderts, die digitale Ökonomie“. Die Ursachen für diese Entwicklung haben sich nun wieder völlig verändert, sie liegen im Netzwerkeffekt. Dieser bedeutet, das ein Netzwerk um so attraktiver sowohl für den Nutzer als auch für den Betreiber ist, je mehr Nutzer sich daran beteiligen. Dies bildete letztlich die Grundlage für die rasche Expansion solcher Plattformen wie Google, Facebook, Ebay oder Amazon. Die Größe und wirtschaftliche Macht dieser neuen Riesenfirmen ist aus verschiedenen Gründen tatsächlich besorgniserregend. Ihre Entstehung resultiert aber in keinem Fall aus einem längeren Prozess der Kapitalkonzentration. Die Gründung dieser Unternehmen liegt erst wenige Jahre zurück. Ihr dynamisches Wachstum ist ein direkter Ausdruck der außerordentlich rasanten Beschleunigung des technischen Fortschritts. Die nächsten, bereits jetzt zu erkennenden disruptiven neuen Technologien werden für das Wechselverhältnis von Zentralisierung und Dezentralisierung ganz sicher auch wieder völlig neue Triebkräfte hervorbringen. Auf die Frage, ob bei der Zukunftstechnologie der künstlichen Intelligenz die großen Plattformen wieder die Nase vorn haben, antwortete Charles-Edouard Bouee, Chef der weltweit siebtgrößten Unternehmensberatung Roland Berger: „Nein. Die großen Plattformen sind heute zwar de facto viel näher dran an den neuen technischen Möglichkeiten. Das wird ihnen aber nicht helfen. Die Tage von Facebook, Google & Co. – in ihrer heutigen Form – sind gezählt“. (Welt am Sonntag v. 7.5.2017, 40)
5. Als eine der wichtigsten aktuellen Entwicklungen der Kapitalstrukturen kennzeichnet U. Dolata die hohe „Volatilität erworbener Markt- und Machtpositionen“ (63). Insbesondere die fortschreitende Digitalisierung hatte eine „schnelle Ablösung scheinbar unanfechtbarer Marktführer durch neue Akteure“ (61) zur Folge. So sind seit dem Jahr 2000 mehr als die Hälfte der 500 weltweit größten Unternehmen aus dieser Rangliste verschwunden. Noch deutlicher zeigt sich diese Dynamik in der wachsen Zahl so genannter Unicorns. Darunter werden Unternehmen verstanden, die innerhalb kurzer Zeit einen Börsenwert von einer Milliarde Dollar erzielen. Von den aktuell rund 200 Unicorns erreichten sogar sieben nach einem und 14 nach zwei Jahren dieses Ziel. Dieses außerordentliche Tempo ist historisch einzigartig. Die Feststellung von H.-J Bontrup trifft deshalb heute nicht mehr generell zu, dass sich Großunternehmen einen „systematischen, nicht mehr einholbaren Vorsprung“ (27) sichern können.
Literatur
Bain & Company, Retail-Banking: Die digitale Herausforderung. Zürich 2012
H.-J. Bontrup, Digitale Ambivalenz – Auswirkungen auf die Energiewirtschaft. VDI-Nachrichten, 27. 1. 2017
W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Werke, Bd. 22, Berlin 1960
K. Marx, Das Kapital, Erster Band. MEW, Bd. 23, Berlin 1975
Programm der Partei DIE LINKE. Berlin 2011
S. Wagenknecht, Eine geniale Prognose. In: M. Greffrath, RE: Das Kapital. München 2017