Interpretationen und Lesarten

Marx’ ökonomische Schriften und die Entwicklung der mathe-matischen Methoden in den ökonomischen Wissenschaften

von Pertti Honkanen
September 2017

[1]

Ein Ausgangspunkt für meine Betrachtung ist die Feststellung von Michio Morishima, dass Marx ein mathematischer Ökonom von gleicher Bedeutung wie Walras war. „Marx … should in my opinion be ranked as high as Walras in the history of mathematical economics.“ Diese Aussage findet sich in seinem Buch aus dem Jahr 1973.[2] Etwas später deutete Paul Samuelson an, dass Morishima übertreibt oder sogar scherzt, aber dass Marx für die Entwicklung der „mathematischen Ökonomie“ einen bedeutenden Beitrag geleistet hat, wollte auch Samuelson ihm zugestehen.[3]

Dies war eine Diskussion zwischen Nicht-Marxisten, aber der Frage können auch Marxisten nicht ausweichen. Die Marx’sche ökonomische Theorie oder „die Kritik der politischen Ökonomie“ beinhaltet ein bestimmtes mathematisches System, das man mit einigen Formeln oder Sätzen skizzieren kann. Die zentralen Bestandteile dieses Systems sind die Gliederung des Warenwerts in drei Teile: konstantes Kaptal c, variables Kapital v und Mehrwert m oder c v m, von denen die letzten zwei Glieder v m den Neuwert bilden, Mehrwertrate m/v, Profitrate m/(c v), Zusammensetzung des Kapitals (c /v oder c/[v m]). Weiter beinhaltet dieses System die Reproduktionsschemata, die man gewöhnlich als ein Zweisektorensystem darstellt: w1 = c1 v1 m1 und w2 = c2 v2 m2. Wie jeder, der sich mit der Geschichte des Marxismus beschäftigt hat, weiß, haben manche Diskussionen und Debatten über die Werttheorie und das Transformationsproblem, über den Ausgleich und den möglichen Fall der Profitrate, über die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals und auch über die Krisentheorie in dem Rahmen stattgefunden, der durch diese Formeln abgesteckt wird.

Ein gutes Beispiel einer mathematischen, oder logisch-deduktiven, Orientierung von Marx ist das 15. Kapitel des ersten Bandes des „Kapital“, wo Marx verschiedene Kombinationen der Veränderungen in der Produktivkraft der Arbeit, in Arbeitszeit und Arbeitsintensität betrachtet und die Folgen für den Preis der Arbeitskraft und die Mehrwertrate ableitet. Es geht hier um die Produktion des absoluten und des relativen Mehrwerts, also die genaue quantitative Bestimmung der Ausbeutung, wie sie im 14. Kapitel des ersten Bandes des „Kapital“ definiert wird. Wie man weiß, haben die mathematischen Formulierungen und Theoreme von Marx – und besonders die Reproduktionsschemata – , positives Interesse auch bei nicht-marxistischen Ökonomen geweckt – die zitierten Äußerungen und weitere Artikel von Morishima und Samuelson sind Beispiele dafür. Z. B. betont Samuelson, dass die Beziehungen der marxistischen Theorie zur Input-Output-Analyse von Leontief und zu den postkeynesianischen und neoricardianischen Theorien vielfältig sind.

In diesem Beitrag werde ich zuerst mit einigen Beispielen aus der MEGA die Entwicklung der mathematischen Argumentation bei Marx veranschaulichen. In diesem Kontext betone ich die werttheoretischen Aspekte der Reproduktionsschemata. Danach thematisiere ich kurz die spätere Entwicklung und Bedeutung der mathematischen Untersuchungen von Marx.

Entwicklungen im Lichte der MEGA

Absoluter und relativer Mehrwert

Das MEGA-Projekt hat auf die genannten Fragen neues Licht geworfen. Man kann jetzt den Ursprung und die Entwicklung von verschiedenen Begriffen und Theoremen genau untersuchen und dokumentieren. Nur ein Beispiel: In den Manuskripten von 1861–63 zitiert Marx Wilhelm Schulz, der den Unterschied von absoluter und relativer Armut in seinem Buch Die Bewegung der Production bestimmte und der über eine mögliche gegensätzliche Bewegung der relativen und absoluten Armut schrieb: „die relative Armuth kann also zunehmen, während absolute sich vermindert“. Heute ist diese Unterscheidung in den sozialstatistischen Untersuchungen üblich, aber im 19. Jahrhundert war dies eine wichtige Feststellung. Es ist interessant zu bemerken, dass kurz nach dieser Stelle, wo Marx Schulz‘ Buch zitiert, Marx die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts behandelt und so tatsächlich eine mögliche Erklärung der Veränderungen in absoluter oder relativer Armut liefert. Diese Begriffe definiert Marx schon früher in den Manuskripten von 1861–63.

In diesem Zusammenhang sehen wir auch eine eigenartige Beziehung zwischen den Kapital-Manuskripten und den mathematischen Manuskripten von Marx, wo er vor allem die Differentialrechnung behandelt. Er schreibt am Beginn des Abschnittes „Der absolute Mehrwert“: „Die hier entwickelte Ansicht auch strikt mathematisch richtig. So im Differentialkalkül nimm z. B. y = f(x) C wo C konstante Größe ist. The change of x into x Dx does not alter the value f C. dC ware = 0, weil die konstante Größe nicht changiert. Hence the Differential of a constant is zero.“[4] Die Bemerkung ist jedoch etwas mystisch. Vielleicht will Marx sagen, dass in den Bestimmungen von absolutem und relativem Mehrwert immer eine Variable konstant ist: In der Produktion des absoluten Mehrwerts ist der Wert der Arbeitskraft konstant, in der Produktion des relativen Mehrwerts ist die Länge des Arbeitstages konstant.[5]

Geschichte der Reproduktionsschemata

Neu ist besonders, dass jetzt alle Manuskripte zum zweiten Band des Kapital zur Verfügung stehen, so dass man die verschiedenen Etappen der theoretischen und auch editorischen Bearbeitung von manchen Fragen genau verfolgen kann. In Folgendem konzentriere ich mich auf die Geschichte der Reproduktionsschemata.

Marx behandelt die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals in den Manuskripten von 1861–1863 und 1865–67 und später in verschieden Manuskripten, die in den Jahren 1868–1881 geschrieben wurden und die in Band II.11 der MEGA erschienen sind. Weiter soll man auch die Bearbeitungsmanuskripte von Engels (MEGA II.12) und die endgültige Druckfassung des zweiten Bandes in (MEGA II.13) beachten.

Der Begriff „Reproduktion“ erscheint schon in den Grundrissen. Reproduktion als Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals, wie Marx sie später in den Manuskripten zum II. Band bestimmt, wird aber nicht behandelt, und schon gar nicht unter formalen Gesichtspunkten. Das hängt damit zusammen, dass die zentralen Kategorien der Marx’schen Analyse, wie konstantes und variables Kapital, noch in Entwicklung waren. Die Grundformel der Verwertung des Kapitals c v m erscheint bereits in den Grundrissen, aber Marx war noch nicht konsequent in seiner Terminologie.

Wenn Marx die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals behandelt, entstehen verschiedene Fragen, die wiederholt in den Texten auftreten. Zu Beginn bemüht sich Marx, die Beziehung zwischen dem Bruttowert (dem Gesamtwert) der Produktion und dem Nettowert (Neuwert) zu untersuchen. Er fragt, „wie es möglich ist, daß der jährliche Profit und Salair die jährlichen Waren kaufen, die außer Profit und Salair über dem capital constant enthalten“[6]. Später entwickelt Marx in den Manuskripten die Reproduktionsbedingungen, die man auch Gleichgewichtsbedingungen nennen kann. Marx studiert sowohl „den stofflichen“ Inhalt der Reproduktion als auch die Geldzirkulation, die sie hervorbringt. Wiederholt kommentiert und kritisiert Marx die Auffassungen von klassischen Ökonomen, besonders von Smith.

In den Manuskripten von 1861–1863 sehen wir schon ein bedeutendes Interesse an der Behandlung der Reproduktion. Eine ziemlich lange Textstelle (in Heft VI) behandelt die Beziehung zwischen Bruttowert und Nettowert bei einfacher Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals und betrachtet, „wie das gesamte konsumable Product sich vertheilt und auflöst in sämtliche in es eingegangene Werthbestandtheile und Productionsbedingungen“.[7] Eine partielle Lösung des Problems sieht Marx so: „Ersetzt in der Realität wird das capital constant dadurch, dass stets neu producirt wird und sich zum Theil selbst reproducirt…“ „Ein Theil des constanten Capitals ist, jährlich betrachtet nur scheinbar.“[8]

Später in Heft IX, unter der Rubrik „Austausch von Revenu und Capital“, behandelt er tatsächlich dieselbe Frage und kommt zu der Schlussfolgerung: „Das Gesammtprodukt A [Konsumtionsmittel] ist gleich der Gesammtrevenue der Gesellschaft. Die Gesammtrevenu der Gesellschaft stellt aber die Summe der Arbeitszeit dar, die sie während des Jahrs dem vorhandnen Capital constant zugesetzt hat.“[9] Dennoch sind die Erwägungen über die Rolle des konstanten Kapitals in der Reproduktion etwas konfus: Ein Teil des Kapitals „enthält keine neu zugesetzte Arbeit“, aber „da diese Procucte neu sind … das sie Producte der letztjähriger Arbeit sind … wie kann gesagt werden, daß keine neu zugesetzte Arbeit in diesen Producten enthalten ist?“ fragt Marx selbst und sagt zum Schluß: „Dieß Problem früher gelöst. Nicht nötig hier darauf wieder einzugehn.“[10]

Eine spätere Rubrik in Heft XII lautet: „Rückverwandlung des Mehrwerts in Capital“[11] Hier wird auch Reproduktion definiert: „Production als fortwärend sich erneuernder Akt betrachtet”[12]. Das Thema wird hauptsächlich qualitativ behandelt und die Begriffe einfache und erweiterte Reproduktion definiert. Marx versucht, die Reproduktion mit gleichartigen Schemata wie François Quesnay in seinem berühmten Werk Tableau économique darzustellen.[13] In den Schemata werden die Relationen zwischen den verschiedenen Teilen des jährlichen Produktenwerts abgebildet. Von den Schemata gibt es vier Versionen; die vierte ist die vollständigste. Aus den späteren Manuskripten kann man schlussfolgern, dass Marx nach einigen Jahren nicht mehr besonders zufrieden war mit der Nachahmung des Tableau von Quesnay: dieses Verfahren wurde von ihm nicht mehr wiederholt oder weiterentwickelt.

In den Manuskripten von 1863–1867 findet man schon die Struktur, die der von Engels editierten Version des II. Bandes entspricht. Als „Drittes Kapitel“ wird „Cirkulation und Reproduktion“ behandelt. Zur weiteren Gliederung bemerkt Marx: „Es wird besser sein bei der definitiven Darstellung diese § 1 in zwei Theile zu sondern: 1) Der wirkliche Stoffwechsel der Waarencapitalien im gesammten Productionsproceß; 2) Die Geldcirculation, wodurch dieser Stoffwechsel vermittelt wird.“[14] Eine zentrale Schlussfolgerung ist, dass „der Productenwerth der jährlichen Arbeit verschieden von dem jährlichen Werthproduct der Arbeit“ ist.[15] Marx behandelt gesondert die erweiterte Reproduktion und macht hier die explicite Annahme, dass „die Produktivkraft der Arbeit als gegeben betrachtet“ wird.[16]

„Parallelismus“

Am Ende dieses „Dritten Kapitels” finden wir eine interessante, ich sage sogar: schöne Beschreibung des Reproduktionsprozesses als „Parallelismus“. Etwas später wird in dem gleichen Manuskript noch eine Gliederung gegeben, in der „Parallelismus, Stufenfolge in aufsteigender Linie, Kreislauf des Reproductionsprocesses“ als der fünfte Abschnitt des Kapitels genannt werden.[17]. Marx schreibt u.a:

„Der Reproductionsproceß im Ganzen löst sich auf in das Nebeneinander und die Gleichzeitigkeit der Productionsprocesse, welche die verschiednen Productionselemente jeder Waare liefern; und dieß ist es was wir den Parallelismus nennen.

Zunächst den Reproductionsproceß der einzelnen Waare betrachtet, stellt er sich als Kreislauf dar. Die Waare existirt erst in der Form ihrer Productionselemente; dann im Productionsproceß; dann als Waare; dann als Geld; dann wieder in der Form ihrer Productionselemente u. s. w.“

„Die Produktionsprocesse der verschiedenen Stufen der Waare sind also gleichzeitig, parallel, obgleich eine Portion der Waare im Stufenfabrikat beständig gleichzeitig vergangne Arbeit darstellt.“

„Ausser diesen Zusammenhang und Marsch der Production, wo entweder das Product eine Reihenfolge von Phasen (Productionsprocessen) durchläuft, nach und nach jede derselben verläßt, um in die höhre Phase einzurücken – oder wo die Producte verschiedner Phasen wechselseitig und wechselwirkend in einander als Productionsbedingungen eingehn, ohne daß unter ihnen diese Reihenfolge stattfände – findet aber, weil der Gesammtproductionsproceß zugleich Reproductionsproceß ist, gleichzeitige Reproduction der Producte in allen ihren verschiednen Phasen statt. Das Charakteristische ist hier die fortwährende Gleichzeitigkeit, das beständige Nebeneinanderlaufen oder der Parallelismus aller Productionsprocesse, welches Verhältniß der Ueber und Unterordnung oder wechselseitigen Abhängigkeit ihre Producte zu einander haben mögen.“

„Alle vergangne Arbeit, der ganze gegenständliche Reichthum, den die capitalistische Anschauung fixirt, erscheint nur als zerrinnendes Moment des Gesammtreproductionsprocesses, überhaupt nur als Moment eines Processes.“[18]

Ich sehe in diesem Abschnitt nicht nur eine gelungene Beschreibung des Reproduktionsprozesses, sondern auch eine Fragestellung: Wie kann man einen so komplizierten Prozess theoretisch, und sogar formal oder mathematisch, beschreiben und analysieren? Marx versuchte, diese Frage mit verschiedenen Methoden und Darstellungsweisen zu lösen: begrifflich oder verbal, mit Zahlenbeispielen, mit Hilfe graphischer Veranschaulichung und auch mit algebraischen Gleichungen, und dies in engem Zusammenhang mit der Kritik der Klassiker, besonders von Smith.

Die nächsten Schritte sind den Manuskripten von 1868–1881 für den zweiten Band des Kapital zu entnehmen. Hier finden wir zum ersten Mal die berühmten Reproduktionsschemata (genauer gesagt in Manuskript II, datiert 1868–1870). Die Gliederung ist auch hier dreiteilig. Das dritte Kapitel heißt: „Die realen Bedingungen des Cirkulations- und Reproduktionsprozesses”.[19] Es liefert eine klare Definition des Reproduktionsprozesses, der ebenso den unmittelbaren Produktionsprozess wie die beiden Phasen des eigentlichen Zirkulationsprozesses beinhaltet und der als periodischer Prozess stets von neuem wiederholt wird. Hier ist jedes einzelne Kapital als „ein selbständiges, so zu sagen mit individuellem Leben begabtes Bruchstück des gesellschaftlichen Gesammtkapitals betrachtet“. Später beginnt Marx die Analyse der „Reproduktion auf einfacher Stufenleiter” und betrachtet getrennt die Produktion von Konsumtions- und Produktionsmitteln.[20]

Bruttowert und Nettowert

Hier formuliert Marx auf neue Weise die Gleichung, die man faktisch schon in den Manuskripten von 1861–63 findet: „Der Gesamtwert der jährlich produzierten Consumtionsmittel daher = dem jährlichen Werthproduct, d. h. gleich dem ganzen durch die gesellschaftliche Arbeit während des Jahrs producierten Werts.“[21] Man kann das mit anderen Worten auch so ausdrücken: Bei einfacher Reproduktion ist die Arbeitswertsumme des Nettoprodukts gleich der Summe des Werts, den die ganze jährliche Arbeit produziert hat. Hier kann man auch betonen, dass diese Aussage keinen Sinn außerhalb der Arbeitswerttheorie hat. Die Arbeitswerttheorie ist die Grundlage der Reproduktionsschemata. Wollte man sie verwerfen, wie es einige Neoricardianer oder auch einige andere Kapital-Leser machen, geht manches auch vom Inhalt der Reproduktionstheorie verloren.[22]

Heutzutage scheint diese Lösung vielleicht einfach, aber man muss sehen, dass Marx ein reales Problem löste, das die politische Ökonomie vor Marx nicht gelöst hatte. Die Frage steht in engem Zusammenhang mit dem sog. Dogma von Smith, laut dem der ganze produzierte Wert in Arbeitslohn und Profit auflösbar ist und das Marx manchmal kommentiert. Marx schreibt, dass bei Smith „der Werttheil des Products, der constantes Kapital ersetzt, vollständig gleich einer blos subjektiven Phantasmagorie verschwindet und daß er dieß Dogma allen seinen Nachfolgern vermacht hat.“[23] Marx kritisierte Smith an manchen Stellen in diesem Kontext, aber er schrieb auch (später in Manuskript VIII), dass Smith teilweise eine richtige Auffassung hatte. „Ein richtiger Punkt hierin, dass in der Bewegung des Gesellschaftlichen Kapitals – d.h. der Gesammtheit der individuellen Kapitale – die Sache sich anders darstellt, als sie sich für jedes individuelle Kapital, besonders betrachtet, also vom Standpunkt jedes einzelnen Kapitalisten darstellt. Für letzteren löst sich der Waarenwerth auf in ein constantes Element (4tes wie Smith sagt) u. Arbeitslohn, in Profit u. Grundrente (od. Mehrwerth). Vom gesellschaftlichen Standpunkt aus verschwindet dagegen dies 4te Element (der constante Kapitalwerth).”[24] Hier kommt also Marx selbst zu der Schlussfolgerung, dass vom gesellschaftlichen Standpunkt der konstante Kapitalwert verschwindet (und nicht nur ein Teil dessen „jährlich betrachtet nur scheinbar“, wie er früher schrieb).

Wenn Marx die einfache Reproduktion analysiert, spricht er an einigen Stellen von Austausch zwischen vergangener und gegenwärtiger Arbeit oder erklärt die Diskrepanz des Bruttowertes und Nettowertes mit Hinweis auf „vorjährige Arbeit“. Zum Beispiel heißt es über den Austausch von Konsumtionsmitteln gegen Produktionsmittel: „Es ist Austausch v. Arbeitstags dieses Jahrs gegen Arbeitstags, der vor diesem Jahr verausgabt wurde, Austausch zwischen dießjähriger u. vorjähriger Arbeitszeit.“ [25] Wenn man den „Parallelismus“ im Auge hat, den Marx früher definiert hatte, kann man fragen, ob ein solches Vorgehen richtig oder nötig ist. Die Lösung des Problems ist nicht im Austausch zwischen der gegenwärtigen und vergangenen Arbeit, auch nicht in der Feststellung des Verschwindens eines Teils des Wertes, sondern in der Einsicht, dass man konstantes Kapital nicht zweimal oder mehrfach in der Wertrechnung rechnen darf. Wenn man das gesellschaftliche Gesamtkapital in mehrere Branchen gegliedert betrachtet, kann dieselbe Wertsumme zuerst als Neuwert und dann wieder einmal oder sogar mehrmals als konstantes Kapital oder als Teil des konstanten Kapitals erscheinen – jedoch als Neuwert nur einmal. Wenn man die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals analysiert und die Wertsummen und ihre gegenseitigen Beziehungen betrachtet, ist es nötig, nur die „gegenwärtige“, das heißt z.B. während eines Jahres zugesetzte abstrakte Arbeit zu rechnen oder zu beachten. Marx hatte eine richtige Antwort auf diese Frage, aber es fiel ihm nicht ganz leicht, sie zu finden.

Die Antwort ist offensichtlich, wenn man die Reproduktionsgleichungen im Sinne von Marx anwendet, und sie wird vielleicht noch besser sichtbar, wenn man die Reproduktion und Verwertung mit Hilfe von linearen oder Matrizengleichungen beschreibt (siehe Anhang). Auch das konstante Kapital wird ständig reproduziert, und es ist nicht nötig, von Austausch zwischen diesjähriger und vorjähriger Arbeit zu sprechen, obwohl in jedem individuellen Verwertungsprozeß konstantes Kapital „tote Arbeit“ darstellt. In diesem Sinne glaube ich, dass der früher genannte „Parallelismus“ ein guter Ausdruck von Marx für die mathematische oder formale Struktur der Reproduktion ist.[26]

Die Unterscheidung zwischen Nettowert (Neuwert) und Bruttowert (Gesamtwert) ist auch wichtig, wenn man das sog. Transformationsproblem analysiert. Weil in dem Bruttowert der Produktion der produzierte Wert teilweise doppelt oder mehrfach als Wert des konstanten Kapitals erscheint, ist es sinnvoll, nur die Erhaltung des Nettowerts bei der „Transformation“ von Werten zu Produktionspreisen zu postulieren. Duménil ist wahrscheinlich der erste, der diese wichtige Frage bemerkt hat. Er merkt auch an, dass „das Buch III früher geschrieben war als Buch II“ um zu betonen, dass Marx die Produktionspreise später hätte besser kalkulieren können.[27] Nun, da die MEGA-Bände zur Verfügung stehen, sehen wir, dass die Geschichte nicht so einfach ist; aber es ist wahr, das der dritte Band auf Manuskripten von 1864 und 1865 basiert, während man die detaillierte Behandlung des Reproduktionsprozesses zum größten Teil im Manuskript II von 1868–1870 findet und teilweise auch in späteren Manuskripten.

Im Manuskript II finden wir auch das interessante Sechs-Sektoren-Modell, das früher nicht bekannt war. Es beweist, dass Marx sich bemühte, ganz detailliert den „Stoffwechsel der Waarencapitalien im gesammten Productionsproceß“ wie auch die vermittelnde Geldzirkulation zu studieren. Gewissermaßen antizipieren diese Studien die spätere Erweiterung und Verallgemeinerung der Reproduktionstabellen zu beliebig vielen Sektoren. Am Ende dieses Abschnittes gibt er Zusammenfassungen mit algebraischen Gleichungen, die von den Zahlenbeispielen „bereinigt“ sind. Hier sehen wie zum ersten Male die Reproduktionsbedingungen in reiner Form.[28]

Spätere Entwicklungen

Darüber, wie die Reproduktionsschemata – oder im weiten Sinne die mathematische Struktur der Marx’schen Theorie – später verschiedene Wissenschaftler inspiriert haben, könnte man viel schreiben, und man könnte viele Namen von Marxisten und Nicht-Marxisten nennen, von Mühlpfort und Shibata bis zu Sraffa und Okishio. Ich behandle nur einige Fragen.

Heutzutage ist es üblich, die Reproduktion in linearen Gleichungen und Matrizen für eine Ökonomie zu formulieren, in der es beliebig viele Branchen gibt oder beliebig viele Gebrauchswerte produziert werden. Dies kann man als Ergänzung und Verallgemeinerung der Reproduktionsschemata sehen. Ergänzung in dem Sinne, dass die Gebrauchswertmengen jetzt explizite Variablen sind, und Verallgemeinerung in dem Sinne, dass man nicht nur zwei, drei oder sechs Sektoren definieren kann, sondern beliebig viele wechselseitig abhängige Sektoren. Man kann sie auch problemlos von der Annahme der konstanten Arbeitsproduktivität befreien.[29]

Der erste russische mathematische Ökonom und als Vorläufer der linearen Produktionsmodelle gelobte Dmitrijew war ganz offensichtlich nicht Marxist. Er war höchstens Ricardianer oder eher Eklektiker in seinen Versuchen, die Theorie von Ricardo und die spätere Grenznutzentheorie zusammenzufügen. Aber es ist auch offensichtlich, dass er von der Marx’schen Problematik wusste. Davon zeugt, dass er den Marx’schen Begriff „organische Zusammensetzung“ kannte und dass er auch Bezug nahm auch auf das Buch von Nikolai Sieber über die Theorie von Ricardo und Marx. Vielleicht können wir hier von einem versteckten Einfluss von Marx sprechen, den wir nicht genau dokumentieren können.[30]

Als ein zweites Beispiel für einen versteckten Einfluss kann Wassily Leontief genannt werden. Sein erster Artikel (oder einer der ersten) behandelte die Bilanzen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen in Russland, die er als die „zahlenmäßige Darstellung des gesamten Kreislaufs des wirtschaftlichen Lebens“ und als „ein einheitliches Bild des gesamten Reproduktionsprozesses“ schilderte.[31] Es ist ganz klar, dass diese Bilanzen von Marx inspiriert wurden. Leontief studierte später bei Bortkiewicz, der sich, wie bekannt, mit der marxistischen Problematik beschäftigte.[32] Später kommentierte Leontief die marxistische Ökonomie in einem Artikel, wobei er die Reproduktionsschemata und den Realismus von Marx hervorhob.[33] Leontief ist der Vater der so genannten Input-Output-Methode, eines Verfahrens für die statistische Analyse der volkswirtschaftlichen Verflechtung der verschiedenen Wirtschaftsbranchen. Es ist offensichtlich, dass die marxistische Analyse und die sowjetrussische Wirtschaftspraktik Leontief inspirierten, obwohl er nur Quesnay als seinen Vorgänger nennt und später seine theoretische Position als neoklassisch definiert.[34]

Sraffa, dessen Hauptwerk Production of commodities by means of commodities einen sehr großen Einfluss auf marxistische Diskussionen hat, schrieb sehr wenig und kaum etwas über seine Stellung zu Marx. Doch Poitier erinnert sich an seine Aussage, dass er sein Hauptwerk nicht geschrieben hätte, hätte Marx nicht „Das Kapital“ geschrieben.[35] Man geht allgemeindavon aus, dass die Reproduktionsschemata von Marx Sraffa in seiner Arbeit und bei seinen mathematischen Betrachtungen inspiriert haben.

Es gibt viele Phasen in der Entwicklung der mathematischen Instrumente der Analyse. Ein zentraler Satz ist die so genannte Hawkins-Simon-Bedingung, die die Bedingungen der Produktivität eines Matrizen-Systems präzisiert. Wenn man n verschiedene Waren produziert und ein System von n x n Koeffizienten hat, wo aij den Bedarf der Ware j bei Herstellung der Ware i bedeutet, kann man fragen, unter welchen Bedingungen ein solches System produktiv ist, d.h. wenigstens die einfache Reproduktion ermöglicht. Es ist interessant zu bemerken, dass Hawkins in seinem ursprünglichen Artikel, freilich nur in einer Fußnote, die Marx’schen Reproduktionsschemata kommentiert.[36]

In den letzten Jahren hat Kenji Mori, der auch am MEGA-Projekt teilnimmt, die frühe Theoriegeschichte der linearen Produktionsmodelle studiert.[37] Es ist bemerkenswert, dass man neben solchen Wissenschaftlern wie Dmitrijew, Shibata und von Charasoff in dieser Geschichte auch den Namen eines französischen Priesters findet. Der Jesuitenpriester und Mathematiker Maurice Potron arbeitete schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts selbständig lineare ökonomische Modelle aus, die zentrale Eigenschaften der späteren Modelle hatten und besonders das wichtige mathematische Perron-Frobenius-Theorem nutzbar machten, früher als irgendein Marxist oder Neo-Ricardianer.[38] Kenji Mori demonstriert, dass Potron de facto das so genannte Fundamentaltheorem marxistischer Ökonomie beweist, nämlich, dass die Profitrate dann und nur dann positiv ist, wenn die Mehrwertrate positiv ist.[39]

Wenn man gewisse Gemeinsamkeiten und Schnittpunkte in den verschiedenen theoretischen Richtungen und ihrer Geschichte sieht, hier z.B. in Marxismus, Input-Output-Analyse, Post-Keynesianismus oder Neo-Ricardianismus, sollte man nicht die Spezifik und die Eigenart der Marx’schen Analyse übersehen. Neben der so genannten Formanalyse sehe ich die Spezifik vor allem in der Betonung, dass die abstrakte Arbeit die Quelle des Werts ist und dass die ökonomischen Beziehungen eine gesellschaftliche Grundlage haben. In den Manuskripten 1861–1863 sieht Marx als die Grundlage des Werts, dass „die Menschen sich zu ihren Arbeiten wechselseitig als gleichen und allgemeinen und in dieser Form gesellschaftlicher Arbeit verhalten. Dies eine Abstraction, wie alles menschliche Denken, und gesellschafltliche Verhältnisse nur unter den Menschen, soweit sie denken und dieß Abstractionsvermögen von der sinnlichen Einzelheit und Zufälligkeit besitzen“.[40] Arbeit ist die gesellschaftliche Grundlage des ökonomischen Werts in ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Anders in der neoricardianischen Theorie, wo die Preisbildung als rein technische Kalkulation erscheint, so dass die technischen Koeffizienten und Arbeitskoeffizienten (fast) gleichen Status haben.

Oft übersieht man, dass bei der Betrachtung einzelner Waren der Arbeitswert, das heißt die unmittelbar und mittelbar in einer Ware kristallisierte Arbeitsmenge, nur der Kehrwert der integrierten Arbeitsproduktivität ist (Arbeitswert: v Minuten Arbeitszeit bei Herstellung einer Menge x der Ware A; Arbeitsproduktivität: Menge x der Ware A/v Minuten).[41] In der praktischen Wirtschaftsanalyse ist die Arbeitsproduktivität eine der wichtigsten Kennziffern, aber in der allgemeinen Wirtschaftstheorie herrscht Skepsis oder sogar Ablehnung gegenüber Arbeitswerttheorien.[42] Hier sehe ich auch einen Mangel in manchen neoricardianischen Konstruktionen: Wenn man die Rolle der Arbeit in den ökonomischen Prozessen negiert oder unterschätzt, sieht man auch nicht klar die Rolle der Arbeitsproduktivität in der ökonomischen Dynamik.[43]

Es ist wahr, dass Marx einige Begriffe, die in der modernen mathematischen Analyse üblich sind, nicht angewandt hat, z. B. den Begriff „Arbeitswert“ (labor value). Dass ändert nicht viel in der Sache. Marx schrieb z.B.: „Der Wert, sowohl in der Form von Geld wie Ware, ist vergegenständlichtes Quantum Arbeit.“[44] Faktisch ist dies eine Definition des Arbeitswerts, des Werts quantitativ betrachtet, wie man ihn in den linearen Produktionsmodellen anwendet. Marx spricht auch von der „monetary expression“ „eines average Arbeitstags“, was ganz gut dem entspricht, was man in den neueren Diskussionen, besonders in der so genannten neuen Interpretation der Arbeitswerttheorie, als den „monetären Ausdruck der Arbeitszeit“ oder „Geldäquivalent der Arbeitszeit“ (monetary expression of labor time, MELT) nennt.[45]

Zum Schluss

Die Betrachtung zeigt, dass Marx bedeutende Leistungen in der mathematischen Beherrschung der ökonomischen Problematik erbrachte. Die mathematischen Methoden oder Formeln, die er benutzte, waren nicht kompliziert. Meistens handelte es sich um ganz einfache arithmetische Operationen und Zahlenbeispiele, die er reichlich lieferte. Aber er behandelte fundamentale Probleme, die die klassische politische Ökonomie nicht gelöst hatte. Man sollte auch berücksichtigen, dass Mathematik als Methode und Darstellungsweise ganz fremd war in der ökonomischen Literatur, die Marx kannte. Erst der Durchbruch der Grenznutzentheorie in den 1870er Jahren veränderte diese Lage, aber die theoretische Basis von Marx war eine ganz andere – und eigenartig auch in der Beziehung zur klassischen Ökonomie. Selbstverständlich ist auch, dass die heutigen eleganten Methoden der Linear- oder Matrixalgebra in jener Zeit nicht zugänglich waren.

Über die widersprüchliche Geschichte des Verhältnisses zwischen den mathematischen und anderen Methoden, sogar von Ablehnung oder Unverständnis gegenüber mathematischen Methoden in marxistischen Diskussionen und marxistischer ökonomischer Forschung, wurde in der Literatur schon viel berichtet, und es gibt manche Kommentare, die man zitieren könnte.[46]

In den methodologischen und philosophischen Marx-Forschungen und -Lektüren der letzten Jahrzehnte wird die mathematische Methodologie nicht oft behandelt. Das ist verständlich, weil hier vor allem die Wertform, nicht die Wertgröße betont wird, der Wert in seiner qualitativen, nicht quantitativen Dimension untersucht wird. Außerdem beschränkt sich die Diskussion oft auf die Problematik der ersten Kapitels des ersten Bandes des Marx‘schen Kapital. Demgegenüber behandelt Jindřich Zelený ganz ausführlich „die Rolle der mathematischen und formallogischen axiomatisierbaren Ableitung in der Marx’schen Analyse“. Er bemerkt, dass die mathematische Ableitung in der Analyse von Marx eine bedeutende Rolle spielt. „Die Marxsche Analyse enthält zugleich in Keimform und als untergeordnetes Moment anderer Verfahren einige Methoden, die durch ihren Abstraktionsgrad an bestimmte Verfahren der Modellierung und Mathematisierung erinnern, wie sie in der modernen axiomatischen Methode ausgearbeitet worden sind.“[47]

Dennoch scheint mir, dass in der heutigen Marx-Literatur einige Aussagen vom Gesichtspunkt der mathematischen Formalisierung der Marx’schen Theorie problematisch sind. Wenn Michael Heinrich sagt, dass die abstrakte Arbeit nicht empirisch messbar sei und dass die Gesamtarbeit der Gesellschaft nicht als etwas homogenes, als eine Summe gleicher Größen zu verstehen sei, entsteht die Frage, ob eine mathematische Formalisierung oder Modellierung der Wertzusammenhänge aus seiner Sicht überhaupt möglich oder sinnvoll ist. Dieser Eindruck wird verstärkt durch seine Schlussfolgerung, dass ein quantitativer Vergleich von Werten und Produktionspreisen gar nicht möglich sei.[48] Wenn das so ist, sind auch die Reproduktionsschemata von Marx wahrscheinlich als leeres Geschwätz zu verstehen, weil hier die Gesamtarbeit der Gesellschaft gerade als etwas homogenes begriffen wird.

Von Bertolt Brecht liebe ich besonders die „Flüchtlingsgespräche“. Der deutsche Physiker Ziffel und der finnische Metallarbeiter Kalle diskutieren im Bahnhofsrestaurant in Helsinki während des zweiten Weltkrieges über Politik, Philosophie und Geschichte. Auch der Marxismus wird berührt. Einmal spricht Ziffel vom „minderwertigen Marxismus ohne Hegel oder eine[m], wo der Ricardo fehlt usw.“

Ich glaube, dass man „Hegel“ und „Ricardo“ in diesem Kontext sowohl buchstäblich als auch symbolisch verstehen kann. Im „minderwertigen Marxismus“ sieht man oder erkennt man nicht genügend das Erbe von Hegel oder Ricardo, oder von beiden. Oder vielleicht besser symbolisch interpretiert: „Hegel“ bedeutet hier die begriffliche, philosophische und dialektische Analyse der ökonomischen Kategorien und „Ricardo“ die ökonomische, deduktive und mathematische Analyse im Kapital von Marx. Im Sinne dieser Aussagen von Brecht könnte man auch sagen, dass manche Richtungen der Marx-Forschung oder Marx-Interpretation gewissermaßen einseitig sind. Sie berücksichtigen entweder nicht das Hegelsche oder, umfassender, das philosophischen Erbe, oder nicht das Erbe von Ricardo und anderen klassischen Ökonomen, oder vielleicht keines von Beiden. Natürlich ist dies auch eine Frage der Arbeitsteilung: Philosophen und Ökonomen haben verschiedene Schwerpunkte und Blickwinkel in der Forschung. Dennoch wäre es fruchtbar, die Einseitigkeit möglichst zu vermeiden und die verschiedenen Betrachtungsweisen besser zu integrieren. Ich persönlich glaube, dass mathematische Methoden in der marxistischen Forschung einen festen Platz haben sollten.

Anhang: Mathematisches Modell

Ein übliches, einfaches werttheoretisches Modell besteht aus einer technologischen Matrix, die n Zeilen und n Spalten hat, und aus einigen Vektoren, die entweder Zeilenvektoren (1 x n) oder Spaltenvektoren (n x 1) sind.

A

n x n

technologische Koeffizienten: Menge der Ware j bei Herstellung der Ware i{aij:}

L

n x 1

Arbeitsmengenvektor: unmittelbare Arbeit bei Herstellung von einer Einheit von Ware i: λi

x

1 x n

Bruttoproduktionsvektor: Menge von Ware i: xi

y

1 x n

Nettoproduktionsvektor: Menge von Ware i: yi

v

n x 1

Arbeitswertvektor: unmittelbare und mittelbare Arbeitsmenge in der Herstellung von Ware i: vi

Das System ist produktiv wenn x≥xA, das heißt wenn die Bruttoproduktion von einigen Waren größer und von allen Waren wenigstens gleich ist wie die in der Produktion selbst erheischte Menge derselben Waren.

Nettoproduktion ist die Differenz: y = x - xA.

Bei einfacher Reproduktion, die wir hier unterstellen, besteht die Nettoproduktion aus Konsumtionsmitteln.

Bruttoproduktion kann man jetzt auch als die Summe der erheischten Produktionsmittel und Nettoproduktion ausdrücken: X = xA y.

Der Arbeitswert einer einzelnen Ware ist , das heißt Arbeitswert als Summe der Arbeitswerte der Produktionsmittel, die für die Herstellung der Ware erforderlich sind, und der unmittelbaren Arbeit bei Herstellung der Waren. Das linke Glied der Summe entspricht dem konstanten Kapital.

Arbeitswerte finden wir als Lösung der Gleichung v = Av L, das heißt: v = (I–A)-1L. (Es wird hier die Lösbarkeit angenommen.)

Dann sieht man: yv = y(I–A)-1L = (x–xA)(I–A)-1L= x(I-A)(I–A)-1L= xL.

Hier ist die Lösung der Frage, die Marx an manchen Stellen erörtert und die Marx prinzipiell auch löst: „Der Gesamtwert der jährlich produzierten Consumtionsmittel daher = dem jährlichen Werthproduct, d. h. gleich dem ganzen durch die gesellschaftliche Arbeit während des Jahrs producierten Werts.“ (MEGA II.11, 386). Die Summe der Arbeitswerte der Waren, die als Nettoproduktion konsumiert werden, ist gleich der Summe der Arbeit, die in der ganzen Wirtschaft geleistet wird unmittelbar bei der Herstellung aller Waren. Die Arbeit zur Herstellung des konstanten Kapitals verschwindet nicht (und ist kein Schein), sondern sie erscheint auf beiden Seiten der Gleichung: links als Teil der mittelbaren (indirekten) Arbeit, die zur Herstellung der Konsumtionsmittel nötig ist und rechts als die unmittelbare Arbeit, die zur Herstellung von jeder Ware erforderlich ist.

Hier wird nicht unterschieden, ob die Arbeit in der Herstellung des konstanten Kapitals „diesjährig“ oder „vorjährig“ ist. Man kann „Parallelismus“ unterstellen. Wenn ein Teil des konstanten Kapitals schon am Beginn der Produktionsperiode zur Verfügung stand, so soll bei einfacher Reproduktion dieselbe Menge auch am Ende der Periode bereitstehen für die nächste Produktionsperiode.

Literatur

Alcouffe, Alain: Marx, Hegel et le „Calcul“. In Les manuscripts mathématiques de Marx. Étude et présentation par Alain Alcouffe. Paris 1985

Dmitriev, V.K.: Economic essays on value, competition and utility. Cambridge 1974 (ursprünglich Ekonomičeskie očerki 1904)

Duménil, Gerard: De la valeur aux prix de production. Une réinterprétation de la transformation. Paris 1980

Foley, Duncan K.: Recent Developments in the Labour Theory of Value. Review of Radical Political Economics, 2000 (32):1, 1–39

Fröhlich, Nils: Die Aktualität der Arbeitswerttheorie. Theoretische und empirische Aspekte. Marburg 2009

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[1] Ursprünglich wurde dieser Beitrag beim Kolloquium zum Geburtstag von Rolf Hecker in Berlin am 14. Juni 2013 vorgetragen.

[2] Morishima 1973.

[3] Samuelson 1974.

[4] MEGA II.3.1, 149 (MEW 43, 159).

[5] Laut Erläuterungen im MEGA-Apparat „läßt sich nicht feststellen, wann diese Einfügung vorgenommen wurde“. (MEGA II.3, Apparat 2845). Die Erläuterung vermittelt den Eindruck, dass die mathematische Formulierung später in das Manuskript eingefügt wurde.

[6] MEGA II.3.2, 398. (MEW 26.1, 72.)

[7] MEGA II.3.2, 436.

[8] MEGA II.3.2, 436.

[9] MEGA II.3.2, 563; derselbe Gedanke wiederholt und genauer auf S. 567.

[10] MEGA II.3.2, 572.

[11] MEGA II:3.4, 2214.

[12] MEGA II.3.6, 2243.

[13] MEGA II.3.6, 2274, 2275, 2276, 2283. Vgl. Brief an Engels 8.7.1863 (MEW 30, 361–367). Siehe Quesnay 1972.

[14] MEGA II.4.1, 314.

[15] MEGA II.4.1, 316. Alle Hervorhebungen in den Marx-Zitaten stammen von Marx.

[16] MEGA II.4.1, 354.

[17] MEGA II.4.1, 381.

[18] MEGA II.4.1. 364–367. Eine entsprechende Stelle finden wir nicht in den Kapital-Editionen von Engels, obwohl in Kapital II auch kurz von Gleichzeitigkeit und Nebeneinander der Prozesse die Rede ist. MEGA II.13, 95, 97.

[19] MEGA II.11, 340–419.

[20] MEGA II.11, 382–384.

[21] MEGA II.11, 386.

[22] Taylor vertritt die Meinung, dass man bei systematischer Entwicklung der Marx’schen Theorie von der Arbeitswerttheorie abgehen, aber den Kernbegriff der Wertform beibehalten müsse. Taylor 2004.

[23] MEGA II.11, 350.

[24] MEGA II.11, 721.

[25] MEGA II.11, 389.

[26] In einigen werttheoretischen Diskussionen wird viel Aufhebens um den Unterschied der „simultanen“ und „temporalen“ Wertrechnung gemacht. Ich vermute, dass der Begriff „Parallelismus“ auch diese Frage klären kann. (Siehe Kliman 2007, Moseley 2016.)

[27] Duménil 1980. Lipietz (1982) machte dieselbe Bemerkung.

[28] MEGA II.11, 443–552. Vgl. Mori 2012.

[29] Das Werk von Koshimura (1975) ist ein seltener Versuch, die Reproduktionsschemata mathematisch zu systematisieren, ohne daß die Gebrauchswertmengen explizite Variablen sind. Koshimura verbleibt insofern im Rahmen der ursprünglichen Methodologie von Marx. Das Original stammt aus den 1950er Jahren (russische Übersetzung: Hošimura 1978).

[30] Dmitriev 1974, 41, 55.

[31] Wassily Leontief, Die Bilanz der russischen Volkswirtschaft. Eine methodologische Untersuchung. Weltwirtschaftliches Archiv 1925 (22), 338–344.

[32] Janssen 2004, 34, 35.

[33] Leontief 1966 (ursprünglich 1938).

[34] Leontief 1951. Janssen schreibt: „Die Einflüsse von Karl Marx auf Leontiefs Werk waren wohl nicht direkter Natur, sondern über die deutsch-russische Kette Lexis – Bortkiewicz vermittelt.“ Ihm erscheint „der alleinige Bezug auf Quesnay eher geeignet, den Entstehungskontext zu verdunkeln.“ (Janssen 2004, 116, 117)

[35] Potier 1991, 73. Artikel, die das Archiv von Sraffa verwenden, geben ein mehr detailliertes Bild von der Beziehung Marx/Sraffa, z. B. Gehrke & Kurz 2006.

[36] Hawkins 1948, Hawkins & Simon 1949. Fröhlich (2009) bemerkt, dass dieses Kriterium ursprünglich von dem Mathematiker Alexandr Ostrowski aus den dreißiger Jahren stammt.

[37] Mori 2010.

[38] Mit Hilfe des Perron-Frobenius-Satzes findet man die maximale Profitrate und maximale Wachstumsrate in einem linearen Produktions- und Preissystem.

[39] Mori 2008. Siehe auch Potron (2004).

[40] MEGA II.3.1, 210.

[41] Marx stellt fest: „Der Wert des Produkts der Arbeit steht im umgekehrten Verhältnis zur Produktivität der Arbeit.” (MEGA II.3.1, 219; MEW 43, 235) Und später: „Die Wertgröße einer Ware wechselt also direkt wie das Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr verwirklichenden Arbeit.“ (MEW 23, 55). Hier spricht Marx nicht explizit von der unmittelbaren und mittelbaren Arbeit, aber praktisch bedeutet dieses dasselbe.

[42] Mandel hat das bemerkt (Mandel 1975).

[43] Vgl. Nicholas (2011, 173): „With the elimination of labour from his analysis Sraffa is unable to see that the relative prices fall when the same amount of labour produces more output in the same amount of time.”

[44] MEGA II.3.1, 30 (MEW 43, 31).

[45] Foley 2000, Fröhlich 2009. Im ersten Bande des Kapitals spricht Marx von „Geldausdruck“ gewisser Arbeitsstunden. (MEW 23, 323) oder von „8 sh. als Geldausdruck des Werts, worin sich der Arbeitstag darstellt“ (MEW 23, 337).

[46] Z. B. Smolinski 1973, Alcouffe 1985, Quaas 1992, 129–143.

[47] Zelený 1972, 141.

[48] Heinrich 2003, 219, 281, 282.