Welt 1 und Welt 2 im „Kapital“
Der Zusammenbruch der UdSSR und der Staaten Osteuropas Ende der 1980er Jahre hat, unter anderem, einen philosophischen Effekt produziert: Er hat den Begriff des Kapitals zur Realität gebracht, in die Konkretion des ökonomischen und sozialen Lebens – und so auch „Das Kapital“ von Karl Marx erst zur objektiven Wahrheit. Das Buch erhält seine volle Wahrheit somit erst heute, 150 Jahre nach seiner Fertigstellung, in einem einzigartigen Effekt geschichtlicher Retroaktivität, die es verdient hätte, dass Freuds große Lektion der Nachträglichkeit*[1] für sie ins Feld geführt würde, der zufolge es die Zeit danach ist, die allererst die vorherige Zeit ans Licht bringt und deren wahre Bedeutung erkennen lässt.
Die Welt-Ökonomie, als ein tendenziell den ganzen Planeten umspannendes Netz des Handels und der ökonomischen Beziehungen, gibt es mindestens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Aber erst heute, mit dem Niedergang des Sowjetkommunismus, produziert die Ökonomie wirklich die Welt im Sinne der Vereinheitlichung einer einzigen, für den gesamten Planeten gültigen Produktionsweise des Ökonomischen und der sozialen Beziehungen, eines allein herrschenden Modells der Vergesellschaftung und entsprechender Lebensformen. Darum kann von der Realisierung eines „Begriffs“ gesprochen werden, versteht man unter Begriff ein allgemeines Paradigma der Verhaltensweisen, ein universelles Protokoll für die Formen des Handelns, die gelten – so vielfältig sie empirisch auch ausfallen mögen und so unterschiedlich sich ihre konkrete Realisierung auch darstellt. In der heutigen Liberalisierung und Globalisierung erscheint somit ein ökonomischer Akteur auf der Bühne, der tendenziell kosmopolitisch und post-national ist und der sich auch und gerade durch die spezifischen politischen, juristischen, sozialen und kulturellen Eigenheiten der einzelnen Nationalstaaten hindurch realisiert und wirksam wird. Wir kommen daher nicht umhin festzustellen, dass Marx den Titel seines Werkes genau diesem großen gleichgültigen Operator gewidmet hat: „Das Kapital“. Ich glaube, dass Marx das Kapital als den alleinigen und fundamentalen Vektor der Konstruktion gesellschaftlicher Realität konzipiert hat, als die alleinige verallgemeinerbare Methode der Reichtumsproduktion, und zwar zunächst eben dem Begriff nach, d.h. zuerst in seinem grundlegenden und unentrinnbaren Grundzug, bevor er dann die konkrete und je verschiedene Realisierung durch die vielen Einzelkapitale betrachtete. Diese theoretisch-begriffliche Bestimmung ist unmittelbar verbunden mit derjenigen Bestimmung, durch die Marx als erster und einziger die Identität des kapitalistischen Reichtums definierte: als „prozessierenden Wert“, d.h. als einen abstrakten Reichtum, der, rein quantitativ konstituiert, eben aufgrund seiner quantitativen Natur und seiner Qualitätslosigkeit nicht anders prozessieren kann denn als rein quantitative Akkumulation und sich darin allein quantitativ ändert. Die Originalität der Marx’schen Kritik liegt m.E. darin, dass er den prozessierenden Wert, den Reichtum in seiner abstrakten Form, als das eigentliche Subjekt der Geschichte und der Gesellschaft der Moderne entworfen hat; dass er eine Subjektivität zum grundlegenden und treibenden Faktor des geschichtlichen Prozesses erklärt hat, die weder individuell noch anthropologisch bestimmt ist, die vielmehr gleichgültig und unpersönlich ist – eben abstrakt –, und die sich als Subjekt der geschichtlichen und gesellschaftlichen Praxis ausgibt und dadurch eine geschichtliche Epoche eröffnet hat, die radikal unterschieden werden muss von allen vorhergehenden, die ohne die Wirkung eines Vektors von solcher Natur waren. Marx’ „Kapital“ begreift die Wirkung und das grundlegende Paradigma dieser neuen gesellschaftlichen Subjektivität, und deswegen organisiert und strukturiert der Text im Grunde genommen die Dialektik von Abstraktem und Konkretem, d.h. die wesentlichen Arten und Weisen der Verbindung, die sich ergeben müssen zwischen der „Welt 1“ oder der Welt des abstrakten Reichtums und seiner a-humanen und ausschließlich quantitativen und akkumulativen Logik und der „Welt 2“ oder dem qualitativen und humanen Reichtum, bestehend aus den Menschen, den Dingen und der Natur.[2]
Zudem scheint recht evident, dass die drei Bände des „Kapital“ wie ein Übergang angelegt sind von der wichtigsten und fundamentalsten, aber nicht unmittelbar erkennbaren und schwer einsehbaren Ebene der sozialen Realität (die Akkumulation von Wert durch die Produktion von Mehrwert) zur Ebene der Oberfläche, d.h. zu dem, was vorwiegend zur Erscheinung kommt und unmittelbar sichtbar ist (die Wirkung der Konkurrenz der einzelnen Kapitale). Ebenfalls evident scheint, dass dieser Übergang von dem Einen zur Ebene der vielen Einzelnen noch eine Reihe weiterer Kategorien und gesellschaftlicher Verhältnisse über die Kategorie der Extraktion von Mehrwert hinaus impliziert, etwa die Profitrate, die Konkurrenz der einzelnen Kapitale innerhalb wie zwischen den verschiedenen Branchen sowie die Transformation der Arbeitswerte in Produktionspreise – doch ohne dass das Konkurrieren der Einzelkapitale jenem primären Gesetz der Extraktion des Mehrwerts widersprechen würde, das Marx im 1. Band im Durchgang durch die Geschichte und Technologien entwickelt, durch die seiner Ansicht nach die „abstrakte Arbeit“ in Kraft gesetzt wurde. Denn die Produktion des Mehrwerts ist in der Tat zu unterscheiden von seiner Realisierung, von seiner Realisierung durch den Markt und die Bildung einer Durchschnittsprofitrate, durch die Konkurrenz mit den anderen Kapitalen sowie durch die Aufteilung des Mehrwerts in die Gewinne der Industrie und des Handels, in Zins und Grundrente (sowie in das, was in Form von Steuern an den Staat abgeht).[3]
Die Abpressung des Mehrwerts ist Grundlage der gesellschaftlichen Realität in der Moderne, und die ständige Disziplinierung der Arbeitskraft (durch die Maschine) zur Verrichtung abstrakter Arbeit ist das Herz des abstrakten Reichtums, der den Wert des Kapitals ausmacht. Die Prozesse der Abstraktifizierung der Arbeit der Arbeitskraft und die Konzeption der Technologie als „Arbeitskraft-Maschine-System“ (sei es der manuellen oder fordistischen Arbeit, sei es der geistigen oder post-fordistischen Arbeit) sind die primäre Realität der Welt, in der wir leben. Der 1. Band des „Kapital“ hat den Begriff, das Eine, das unentrinnbare Gesetz dieser allerabstraktesten Basis der kapitalistischen Gesellschaft bestimmt (nicht im rein logischen, sondern in einem sehr realen Sinne). Die beiden weiteren Bände beschreiben dann die Art und Weise, wie sich dieses Eine verwirklicht durch die vielen Einzelnen. Es realisiert sich indes mit seiner Verschleierung und in seiner Verkehrung, denn auf der Oberfläche des gesellschaftlichen Lebens erscheint das einheitliche Protokoll, das von der abstrakten Subjektivität des prozessierenden Werts geführt wird, wie das aktive und unternehmerische Handeln konkreter Subjekte. Nicht zufällig hat Marx daher im „Kapital“ mehrfach darauf hingewiesen, dass die Verbindung zwischen der abstrakten Subjektivität des Werts/Mehrwerts und den konkreten individuellen Subjekten die der theatralischen Charaktermasken* ist.[4]
Die Selbstwiderlegung des Historischen Materialismus
durch Marx
Das neue, gleichgültige und unpersönliche historische Subjekt, das Marx im „Kapital“ ausarbeitet, ist m. E. Kritik und Widerlegung nicht nur der bürgerlichen politischen Ökonomie, sondern auch desjenigen Historischen Materialismus, den Marx selbst zuvor zur eigenen theoretischen Selbstverständigung konzipiert und nie wirklich zurückgenommen hatte. Denn mit der Identität dieses neuen Subjekts führt Marx einen abstrakten Realitätsvektor ein, der nicht-sinnlich und immateriell ist gleich der Identität eines Geistes, und so überwindet er eine materialistische Geschichtskonzeption, die auf der Entwicklung und dem (im positiven Sinne) Fortschritt materieller Produktivkräfte beruht, welche im Zuge der Übergänge von einer historischen Formation zur nächsten notwendigerweise in Widerspruch zu den Eigentums- und Produktionsverhältnissen geraten, die (im schlechten Sinne) rückständig und beschränkend geworden sind.
Die neue, unpersönliche und a-humane Subjektivität des Kapitals widerlegt diese alte humanistische und anthropozentrische Subjektivität des Homo Faber und der produktiven Praxis als Prinzip wie Basis der Geschichte. Marx nimmt mit dieser Subjektivität zudem einen ökonomischen Reduktionismus zurück, der die gesamte geschichtliche Entwicklung auf dem Schematismus von (materieller) Basis und (ideellem) Überbau errichtet. Er widerlegt mithin den Marx der „Deutschen Ideologie“ sowie des Vorworts von „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ von 1859, denjenigen Marx also, der eine Geschichtsmetaphysik auf Basis der Ausbeutung der materiellen Praxis konstruierte, dem eigentlichen und wahren Subjekten einer Geschichte, die unausweichlich und geradezu messianisch zur revolutionären Befreiung führen wird.
Diese – zu großen Teilen unbewusste – Selbstentkräftung gibt Raum für einen Marx, der nicht zufällig erneut auf Hegels „Logik“ zurückgreifen musste, um eine Subjektivität fassen zu können, die radikal neu ist gegenüber jener konkreten und materiellen Subjektivität eines Homo Faber mit seinen produktiven Fähigkeiten, mit der Marx bislang Hegel doch gerade als einen idealistischen Denker kritisiert und als veraltet und preußisch-konservativ zurückgewiesen hatte. Genau dieser radikale Wechsel in der Bestimmung einer die Realität konstituierenden Subjektivität: vom Homo Faber und den damit zusammenhängenden Kämpfen der Klasse zur abstrakten Dynamik des prozessierenden Werts, zwang Marx zudem, auch seinen epistemologischen Ansatz einer „Umkehr von Subjekt und Prädikat“ aufzugeben, also die Konzeption der Entfremdung des Produzenten und der unausweichlichen Wiederaneignung seines verlorenen Vermögens durch den triumphalen finalen Sieg der sozialistischen Revolution. Der Wechsel hat ihn zudem genötigt, einen anderen Ansatz, eine neue Methode zu finden, die einem Prozess gerecht wird, durch den sich ein abstraktes Subjekt in der konkreten Welt totalisiert. So zwang der Wechsel Marx dazu, das „Kapital“ nach dem Vorbild des Geistes zu entwickeln, jenes Geistes, der bei Hegel das Subjekt der Produktion einer Wirklichkeit ist, in der es sich ebenso selbst erschafft im Prozess seines Werdens, bis es zu einer bestimmenden Totalität wird, die ebenso ihre „eigenen Voraussetzungen produziert“ wie verinnerlicht und die gesamte Welt seiner Logik unterwirft, indem es deren Äußerlichkeit mit all ihren Eigenlogiken und ihrer Geschichtlichkeit überführt in eine innere Welt, die der eigenen Logik gemäß, konform und funktional ist. Mit diesem Übergang von der anthropologisch bestimmten zu einer unpersönlich a-humanen Subjektivität musste Marx schließlich auch vom erkenntnistheoretischen Subjekt-Prädikat Schema im Sinne Feuerbachs zu dem erkenntnistheoretischen Zirkel des Setzens der Voraussetzungen im Hegelschen Sinne wechseln. Durch diesen radikalen Paradigmenwechsel – der jedoch meiner Ansicht nach aufgrund seiner durchgängig dialektischen Konzeption nichts mit dem von Althusser thematisierten Einschnitt zu tun hat – werden aus den Klassensubjekten von einst nun angesichts des abstrakten Subjekts, das jetzt herrscht, Charaktermasken*, wie Marx es an verschiedenen Stellen des „Kapital“ ausgedrückt: wahrhaft theatralische Maskierungen von Rollen, die als spezifische ökonomische Funktionen innerhalb der Reproduktion dieses Systems der Totalisierung des prozessierenden Werts bereits regelrecht vorgeschrieben sind.
Doch zugleich ist die Dialektik, die Marx im „Kapital“ entwickelt, grundlegend von derjenigen Hegels unterschieden. Während der Berliner Philosoph meiner Ansicht nach recht aporetisch, um nicht zu sagen sophistisch, mit den Kategorien der metaphysischen Tradition umgeht, vor allem mit Sein und Nichts, arbeitet der Marx des „Kapital“ mit radikal verschiedenen Kategorien, nämlich dem Abstrakten und Konkreten sowie mit den Möglichkeiten, sie ins Verhältnis zu setzen.
Diese Möglichkeiten, das Abstrakte und das Konkrete in der Verbindung und Durchdringung von Welt 1 und Welt 2 ins Verhältnis zu setzen, charakterisieren und bestimmen in Marx’ „Kapital“ die verschiedenen technologischen Epochen innerhalb der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft.[5] Kooperation, Manufaktur und Große Industrie verweisen tatsächlich auf unterschiedliche Typologien dieses Verhältnisses. Sie führen von größtmöglicher äußerlicher Besitzergreifung am geschichtlichen Beginn der kapitalistischen Gesellschaft zur fortschreitenden gegenseitigen Verinnerlichung. In der Kooperation und der Manufaktur wurde die Organisation der Arbeit noch nicht unter Dominanz des Maschinellen entwickelt. Präsenz und Funktion des abstrakten Reichtums und seine Akkumulation manifestierten sich in der Organisation und Disziplinierung von Raum und Zeit, ohne die konkrete Arbeit des Einzelnen zu durchdringen; vielmehr entsprach diese Arbeit noch dem eher landwirtschaftlichen Charakter der vorkapitalistischen Produktion. Dagegen drang in der Großen Industrie die Logik des Abstrakten in das Innerste der konkreten Arbeit ein und drängte sie, in Verbindung mit der Maschine, zur Verrichtung einer Tätigkeit, die Marx in den „Grundrissen“ so charakterisiert: „… rein abstrakte Tätigkeit, rein mechanische, daher gleichgültige, gegen ihre besondre Form indifferente Tätigkeit oder, was dasselbe ist, bloss stoffliche, Tätigkeit überhaupt, gleichgültig gegen die Form“.[6] Dem Grad der Äußerlichkeit und Innerlichkeit von Welt 1 und Welt 2, der Welt des Abstrakten und der Welt des Konkreten, entsprachen so jeweils geschichtlich unterschiedliche Formen der Herrschaft des Kapitals über die Arbeitskraft und verschiedene Formen der technologischen Organisation des Arbeitsprozesses – bis schließlich in der fordistischen Phase der Maschine und der Großen Industrie die konkrete Arbeit nur mehr bloßer Träger der abstrakten Arbeit wurde.
Was die Verbindung von Abstraktem und Konkretem in Marx’ „Kapital“ angeht, so denke ich, dass die größten Lektüre- und Verständnisschwierigkeiten im Marx’schen Text von der Überschneidung und Überlagerung zweier Dimensionen herrühren, nämlich einer geschichtlich-diachronen und einer ontologisch-synchronen, also zwischen der geschichtlich-diachronen Bewegung der Internalisierung einerseits, durch die das Kapital das gesamte Leben in all seinen Aspekten seiner Logik einzuverleiben sucht (vor allem, indem es mit jedem großen Zyklus technischer Innovation die Arbeitskraft den Bedingung der „reellen Subsumtion“ unterwirft), und der Bewegung seiner synchronen Entäußerung andererseits, durch welche die Oberfläche der modernen Gesellschaft ihren eigenen Inhalt verbirgt und verschleiert. Man könnte sagen, dass die Oberfläche den Inhalt verbirgt, indem die primäre Bewegung der reellen Subsumtion darin besteht, durch ihre Logik der abstrakten Akkumulation die konkrete Welt der Subjekte und des menschlichen Daseins vollkommen zu entleeren und ihrer Existenz nur mehr eine dünnen Oberflächenschicht zu lassen. Doch genau durch diesen „Simulakrum-Effekt“[7], der durch die Entleerung des Konkreten durch das Abstrakte eintritt, scheint die Szenerie der ökonomischen Welt von den Entscheidungen und dem Handeln selbstbestimmter und selbstverantwortlicher Individuen bestimmt zu sein, die sich als solche frei auf dem Markt begegnen.
Fordismus und Postfordismus: Vom Körper zum Geistigen
Was im Fordismus in der Konfrontation von Arbeitskraft und Kapital auf dem Spiel stand, war das Kommando über den Körper und seine Anwendung; in dieser Körperlichkeit hatte die Kolonialisierung des Konkreten durch das Abstrakte in gewisser Weise weiterhin noch den Charakter äußerlicher Gewalt und äußerlichen Zwangs. Diese Konfiguration der Verbindung von Arbeitskraft und Kapital, bei der das Kommando weiterhin äußerlich wirkte und die den gesamten Fordismus des 20. Jahrhunderts charakterisiert, entsprach auf der Ebene des Marxismus ein Marxismus des Widerspruchs, also die Theorie einer Arbeitersubjektivität, die im direkten Gegensatz zum Kapital stand und die in der Lage war, seiner Normierung und Disziplinierung der konkreten Arbeit zur Verrichtung abstrakter Arbeit zumindest Opposition und Widerstand entgegenzubringen.
Doch mit der Entwicklung der Informationstechnologien hat das Kapital das Regime der rigiden Akkumulation verlassen und ist über eine radikale Restrukturierung und Reorganisation in ein neues Akkumulationsregime eingetreten, das, mit einem Wort von David Harvey, als flexibel definiert werden kann.[8] Seit dem Übergang vom Fordismus zur flexiblen Akkumulation spielt sich die Konfrontation zwischen Kapital und Arbeitskraft nicht länger auf der Ebene des Körpers ab, sondern auf der des Mental-Geistigen, denn mit dem Eintritt der Rechen- und Informationsmaschinen vollzieht sich die Konfrontation zwischen Abstraktem und Konkretem – zwischen dem Verwertungsprozess und dem Arbeitsprozess – über die Partizipation, die Unterordnung und die Homogenisierung des Geistig-Kognitiven unter das Produktionssystem.
Angesichts von Auslegungen, die das Emanzipatorische des massenhaften Eintritts in geistig-kognitive Arbeit in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen betonen und hier eine reflexiv-kommunikative Intelligenz sowie Fähigkeiten und Subjektivitäten einsetzen sehen, die überschießend und nicht auf die Normierung und das Kommando der kapitalistische Regulierung reduzierbar sind – angesichts solcher Auslegungen denke ich, dass die aktuelle Entwicklung weiterhin im Sinne einer systematischen Verknüpfung von Maschine und Arbeitskraft verstanden werden sollte. Diese Verknüpfung ist unverändert das basale Grundgesetz einer kapitalistischen Produktionsweise, mit deren Mechanismus die Arbeitskraft intrinsisch verbunden ist und für die sie nie eine selbständige und selbstbestimmte Kraft und Funktion sein kann, ganz wie auch die Maschine gegen alle naiven Vorstellungen einer vermeintlichen technischen Neutralität immer als Bestandteil einer spezifischen Verbindung mit der Arbeitskraft und ihrer Anwendung verstanden werden muss. Die Informationsmaschine z.B. kalkuliert mit einer ungeheuren Serie von „Informationen“ außerhalb des menschlichen Gehirns und generiert so einen künstlichen Verstand, für den der Verstand des Menschen nur Funktion und Anhängsel sein kann, vor allem, wenn die Informationen so akkumuliert und so durch Programme verknüpft werden, dass sie nur bestimmte und bereits vorprogrammierte und vorbestimmte Antworten und Verarbeitungen zulassen.
Unter Bedingungen, in denen das menschliche Dasein nicht pathologisch zerrissen wäre – und das wird sicher kein Dasein sein, in dem Arbeitskraft durch das Kapital in Kraft gesetzt wird – würde der Sinn des menschlichen Daseins und des Handelns durch ein Verhältnis gegeben, in welchem das Sinnlich-Emotionale des Körpers mit dem Verstand koexistiert, ohne auf ihn reduzierbar zu sein, um so unerschöpfliche Quelle der Verarbeitung und Interpretation eines individuellen Verstandes zu sein, in dem die vertikale Konstitution von Sinn sich mit derjenigen Horizontalen überschneidet, durch die sich ebendieses Individuum wiederum mit anderen Subjektivitäten verbindet. Im System „Information-Arbeitskraft-mentale Arbeit“ verlangt dagegen die neue Form der Arbeit eine radikale Trennung von Körper und Geist, die der tayloristisch-fordistischen Arbeit entgegengesetzt ist: Die Trennung schreibt das menschlich Geistige in eine entkörperlichte und affektlose Semantik ein. Die Syntax der Informatik, konstruiert nach der binären Logik des bloßen Wechsels zwischen dem Ja und dem Nein, verarbeitet und reproduziert die Lebenswelt gemäß einer abstrakten Form, bereinigt aller Kontraste und Widersprüche. Die Basis der informativen Syntax, die Ausschließlichkeit von Ja und Nein, verhindert den Ausdruck von Ambivalenzen, die doch emotionale Erfahrungen strukturieren – aber genau darum kann sie Prinzip einer Welt der Information sein, deren Horizont allein die analytische Gewissheit ist, und nicht die Dialektik und nicht die Vielfältigkeit konkreter Erfahrung. Die Abstraktheit der neuen geistig-mentalen Arbeit ist die eines Geistes, dessen Aufmerksamkeit und Sorge, von aller Sinnlichkeit und seiner fundamentalen Körperlichkeit abstrahierend, ganz vom Universum der Bilder und der zeichenhaften Symbole eingenommen ist. Diese Bilder und Symbole organisieren und kommandieren über ihre scheinbare Neutralität und Objektivität einen produktiven Prozess, der auf dieselbe Notwendigkeit ausgerichtet ist wie eh und je: Verwertung. Überhaupt ist Information in einem Produktionsprozess, der kapitalistisch strukturiert ist, nie einfach nur beschreibend, sie ist immer auch vorschreibend: Sie ist eine Anweisung, welche die jeweilige Arbeitskraft, so komplex ihre Funktion, so innovativ und so selbständig ihre Kreativität und ihre Bedeutungsproduktion auch sein mögen, einer Vorschrift unterzieht.
Aber genau in der Informationsarbeit, in der abstrakte Arbeit als konkrete, in hohem Maße subjektivierte Arbeit erscheint, zeigt der Post-Fordismus schlagend das Vermögen des Kapitals, seinen Verwertungsprozess durch das Kommando über die Arbeitskraft zu strukturieren und zugleich die Verschleierung des Ganzen zu produzieren. Diese Verschleierung vollzieht sich durch einen doppelten Prozess, den ich als Entleerung des Konkreten durch das Abstrakte und zugleich Deformation der Oberfläche durch eine Art Überinvestition nennen würde, d.h. die kapitalistische Verwertung okkupiert und entleert zugleich alle Bereiche des Lebens und lässt ihnen nur mehr die alleroberflächlichsten Gestalten. So stellt sich heute, mit den neuen Informationstechnologien, das Verhältnis von Abstraktem und Konkreten dar: Nicht mehr durch fordistischen Zwang, vielmehr durch eine ebenso leer laufende wie einvernehmliche Aneignung, legitimiert durch den Schein einer Oberflächlichkeit, die fremdbestimmte Arbeit als individuelle und selbstbestimmte Initiative erscheinen lässt: Eine Selbstverwirklichung, die der Sache nach angeleitet und verwaltet wird, erscheint als kreatives individuelles Vermögen.
Diese Revolution der Informationstechnologien charakterisiert heute den Grundzug, wie der Kapitalismus, diese Ausbreitung einer Akkumulation abstrakten Reichtums, sich der Welt in ihrer Gesamtheit bemächtig, sich in alle ihre Bereiche einschreibt und sie leer und oberflächlich werden lässt. Die Logik dieses Prozesses, realer als das Leben selbst, dringt immer tiefer in alle Lebensbereiche und in ihre Zeitlichkeiten ein und unterwirft sie einer kapitalistischen Akkumulation, die auf der gesellschaftlichen Oberfläche nur noch die Gesellschaft des Spektakels und der ebenso hysterischen wie formelhaften Aufführungen zurücklässt, ohne jede Tiefe.
Wie aber diesem Weberianischen „stahlharten Gehäuse“ zu entkommen wäre, das muss an anderer Stelle erörtert werden.
Übersetzung aus dem Italienischen: Frank Engster
[1] * = Deutsch im Original.
[2] Für diese Lesart des „Kapital“darf ich den Leser auf meine beiden eigenen Rekonstruktionen des Marx’schen Werks verweisen: Roberto Finelli, Un parricidio mancato. Hegel e il giovane Marx, Torino 2004 (Englisch: Failed Parricide. Hegel and the Young Marx, Leiden 2016); ders., Un parricidio compiuto. Il confronto finale di Marx con Hegel, Milano 2015.
[3] Zu Marx’ Unterscheidung zwischen Produktion und Realisierung des Mehrwerts im Zusammenhang mit dem Problem der Transformation von Werten in Preise sei auf die Arbeiten der römischen Marxistischen Schule verwiesen, die in den 1970er Jahren von Alberto Gianquinto in Zusammenarbeit mit dem Ökonomen Gerhard Huber geleitet wurde; vgl. Alberto Gianquinto/Gerhard Huber, Marx e la centralità della teoria della trasformazione, Roma 1975.
[4] „Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen.“ Karl Marx, Das Kapital, Vorwort zur ersten Auflage, MEW Bd. 23, S. 16.
[5] Zur Frage der Technologie im Marx’schen Werk vgl. Guido Frison, Linnaeus, Beckmann, Marx and the foundation of Technology. Between natural and social sciences: a hypothesis of an ideal type, in: „History and Technology”, 1993, Bd. 10, S. 139-173.
[6] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, Berlin 1974, S. 144.
[7] Mit dem hier nicht weiter erläuterten Begriff des Simulakrums in den Sozialwissenschaften beziehe ich mich auf Fredric Jameson, Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism, London [u.a.] 1991, Kap. 1.
[8] Vgl. dazu David Harvey, The Condition of Postmodernity, Oxford 1991.