Am 8. März 2017 – dem Internationalen Frauenkampftag – demonstrierten in Saarbrücken mehrere tausend Klinikbeschäftigte für mehr Personal im Krankenhaus. Die Wahl des Datums war kein Zufall. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die den von der saarländischen Landesregierung und der saarländischen Krankenhausgesellschaft unterstützten Protesttag initiiert hatte, wollte damit der Tatsache Rechnung tragen, dass die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in den Krankenhäusern weiblich ist. Nicht nur das: Die Gesundheitsdienstberufe stellen mit 84 Prozent Frauenanteil die mit Abstand „weiblichste“ Branche in der Bundesrepublik Deutschland dar (Hans-Böckler-Stiftung 2011).[1]
In den letzten Jahren hat eine Reihe von Streiks in den frauendominierten Berufsfeldern stattgefunden (neben Krankenhausstreiks zum Beispiel Arbeitskämpfe im Sozial- und Erziehungsdienst oder bei den Grundschullehrkräften in Berlin). Die Rede ist in diesem Zusammenhang von der „Tertiarisierung und Feminisierung von Arbeitskämpfen“ (Bewernitz/Dribbusch 2014: 397).[2] Allerdings ist eine Zunahme der Arbeitskämpfe in diesen Bereichen nicht unbedingt Folge der Feminisierung dieser Lohnarbeitszweige, denn die Berufe waren auch in der Vergangenheit weiblich dominiert. Vielmehr resultieren die Konflikte aus einem wachsenden Selbstbewusstsein auf Seiten der Beschäftigten einer- und den spürbaren Folgen der Rationalisierung der Arbeit andererseits. Ver.di wies 2015 darauf hin, dass die Anzahl der Beschäftigten in der Pflege zwischen 2000 und 2014 zwar abgenommen, die Fallzahlen aber zugenommen haben (Ver.di Infodienst 2015). Blickt man etwas weiter zurück, wird der Trend noch deutlicher: Während die Fallzahlen in den Krankenhäusern seit 1995 um knapp zwölf Prozent gestiegen sind, hat die Zahl der Pflegekräfte um gut 13 Prozent abgenommen. Hinzu kommt, dass Patient_innen pflegeintensiver geworden sind, was unter anderem in der steigenden Lebenserwartung begründet liegt. Insgesamt geht ver.di von 162.000 fehlenden Vollzeitkräften an deutschen Kliniken aus, 70.000 davon fehlen in der Pflege (ver.di Personalcheck 2013).
In anderen Frauenberufen, in denen in den vergangenen Jahren gestreikt wurde (Sozial- und Erziehungsdienst, Grundschullehrkräfte in Berlin) sind die wachsenden gesellschaftlichen Anforderung an den Beruf (wie frühkindliche Bildung) bei gleichbleibend niedrigen Löhnen und einer Arbeitsverdichtung ausschlaggebend gewesen für die Aufwertungskampagnen der Gewerkschaften ver.di und GEW.
Während die Konflikte im Sozial- und Erziehungsdienst und bei den Grundschullehrkräften (vorerst) beigelegt sind, ist die Bewegung an den Krankenhäusern in vollem Gange. Das kleine Saarland ist dabei derzeit Schrittmacher dieser Bewegung, die ver.di „Tarifbewegung Entlastung“ getauft hat. Ihren Anfang genommen hat sie vor einigen Jahren an der Berliner Charité. Die dortige ver.di-Betriebsgruppe hatte im Frühjahr 2011 einen mehrtätigen Krankenhausstreik für 300 Euro mehr Lohn geführt (die Charité wurde in diesem Jahr 300 Jahre alt, was ver.di zudem Slogan „300 Jahre – 300 Euro“ inspirierte). Nach Ende des mehrtägigen Streiks, der für die Charité-Beschäftigen ein respektables Ergebnis brachte, streikten die 2007 outgesourcten Servicemitarbeiter der Charité Facility Management GmbH (CFM) drei weitere Monate für einen Tarifvertrag – allerdings damals noch erfolglos.[3]
Nach diesen Arbeitskampferfahrungen nahm sich die ver.di-Betriebsgruppe Zeit, um unter den Charité-Beschäftigten zu erfragen, wo der Schuh besonders drückt. Das Ergebnis war eindeutig: Auch wenn keiner etwas gegen mehr Lohn hatte, war das vorrangige Anliegen der meisten eine Entlastung am Arbeitsplatz und damit mehr Personal.[4] So kam es zum ersten Kampf an einem deutschen Krankenhaus (neben Warnstreiks bildete der zehntägige Vollstreik im Juni 2015 den Höhepunkt der Auseinandersetzung), der nicht für mehr Geld, sondern für mehr Personal geführt wurde, wie die Presse erstaunt feststellte.
Und es kam am Ende zu einer tarifpolitischen Sensation, dem ersten Tarifvertrag, der Personaluntergrenzen an einer Klinik festlegt. Dieser Tarifvertrag war (und ist es noch) hart umkämpft und man kann annehmen, dass er wegen seiner Vorreiterrolle in die Geschichte eingehen wird, vergleichbar mit dem Lohnrahmentarifvertrag II von 1973, der auch die berühmte „Steinkühlerpause“ umfasste (Bispinck 2013). Damals ging es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen am Fließband, womit die IG Metall tarifpolitisches Neuland betrat. Heute ist es die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die neue Wege beschreitet um für erträgliche Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Nebenbei wurde von den Charité-Kolleginnen auch das deutsche Streikrecht erweitert. Denn lange war umstritten, ob für ein Anliegen wie mehr Personal überhaupt gestreikt werden darf – auch in der Gewerkschaft selbst herrschten unterschiedliche Auffassungen darüber. Mit ihrem Beharrungsvermögen hat die Charité-Belegschaft durchgesetzt, dass gestreikt werden darf, um den Krankenhausalltag zugunsten von Beschäftigten und Patienten zu verbessern.
Wobei diese Geschichte nur einen Teil der Wahrheit wiedergibt. Lässt man den Blick noch weiter zurückschweifen, landet man nämlich unter anderem abermals: Im Saarland. Denn dort verfügen die Beschäftigten durchaus über eigene Streik-Erfahrungen. „Schreckliche Schmerzen – doch sie durfte nicht operiert werden“ hatte die Bild-Zeitung am 9. April 2006 getitelt. Es ging um das Uniklinikum Homburg. Dort wurde 2006 drei Monate lang für den Erhalt der Tarifbindung gestreikt. Zwar fanden zu dieser Zeit bundesweit Krankenhausstreiks statt, das Saarland aber war damals besonders betroffen und die Kolleginnen mit einer medialen Hexenjagd konfrontiert. Man lasse Menschen sterben, schrieb die Bild; die öffentliche Meinung war feindselig gegenüber den Beschäftigten. Der Streik war zwar erfolgreich, doch das Lehrgeld hoch.
Ein Fazit, das damals gezogen wurde, war – so drückte es die ver.di-Aktivistin Charlotte Matheis aus –, dass „ein Streik im Krankenhaus etwas ganz anderes ist als ein Streik am Fließband“ (Tügel 2016). Frank Murer, Sprecher der ver.di-Vertrauensleute im Uniklinikum Homburg erklärte es so: „Wir müssen auf andere gesellschaftliche Gruppen und die Bevölkerung zugehen und sie über die Situation in den Krankenhäusern und über unsere Forderungen informieren. Das ist auch eine Schlussfolgerung aus dem Tarifkonflikt von 2006. Seinerzeit haben in der Bevölkerung viele nicht gewusst, worum es geht, das muss dieses Mal anders sein. Von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen sind schließlich alle betroffen – sowohl das Personal als auch die Patientinnen und Patienten“ (Behruzi 2016).
Auch wegen dieser Erfahrung aus dem Jahr 2006 wurde der Fall Charité so begierig in anderen Teilen der Bundesrepublik studiert. Denn an der Charité konnte – zunächst vor allem in den eigenen Reihen – erfolgreich vermittelt werden, weshalb der Streik auch den Patient_innen nützt. Und es wurde mit Betten- und Stationsschließungen gearbeitet. Der Clou: Eine Notdienstvereinbarung legt fest, dass ver.di rechtzeitig ankündigt, welche Betten bestreikt und welche Stationen komplett geschlossen werden, die Geschäftsleitung verpflichtet sich im Gegenzug, diese nicht neu zu belegen und Stationen zusammenzulegen. Damit liegt die Verantwortung beim Arbeitgeber, nicht bei den Kolleginnen. Gleichzeitig ist ein wirklicher Druckaufbau möglich. Denn vorher waren zwischen ver.di und den Arbeitgebern an Krankenhäusern oft Notdienstvereinbarungen geschlossen worden, die nur Streiks in homöopathischen Dosen ermöglichten und die zum Teil sogar Personalbesetzungen vorsahen, die über dem lagen, was die Kolleginnen aus dem Arbeitsalltag kannten.[5]
Moralischer Druck und ökonomisches Druckpotential
Die Problematik, die 2006 deutlich wurde, konnte also an der Charité vorerst gelöst worden. Doch sie verweist auf ein grundlegendes Problem, das sich streikwilligen Kolleginnen gerade in den weiblich dominierten Berufen immer wieder offenbart. Einerseits ist der ökonomische Druck, der durch eine Arbeitsniederlegung erzeugt werden kann, oft geringer als wenn der Lokführer den Güterverkehr oder der Daimler-Arbeiter die Produktion bestreikt. In manchen Fällen ist er sogar gar nicht erzeugbar. So behaupteten einige Kommunen während des fünfwöchigen Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst im Jahr 2015, sie würden durch den Ausstand Geld sparen, da die streikenden Kolleginnen in dieser Zeit das Streikgeld von ver.di bezogen.
Im Krankenhausbereich sieht dies zwar etwas anders aus, denn Kliniken arbeiten – auch wenn sie in öffentlichem Besitz sind – spätestens seit dem Übergang zu den diagnose-bezogenen Fallpauschalen (DRGs) im Jahr 2003 – wie Privatunternehmen und stehen unter ständigem Druck, schwarze Zahlen zu schreiben.[6] So hat die Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip an den Krankenhäusern dazu geführt, dass nun auch hier durch Ausstände erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstehen kann.
Doch auch wenn man die Frage des ökonomischen Druckpotentials außer Acht lässt, bleibt ein Problem: Der moralische Druck auf die Streikenden wächst mit jedem Streiktag. Die Leidtragenden des Ausstandes seien – so die Botschaft – Kranke, Kinder und Alte. Hier offenbart sich eine Krux: Pflegende Berufe sind einerseits unverzichtbar für die Gesellschaft, andererseits werden sie kaum angemessen honoriert und sie werden zu einem Großteil von Frauen erledigt.[7]
Gerade in diesen Berufen sind die Möglichkeiten, sich zu wehren, ungleich erschwert. Wer Kranke pflegt, so eine weitverbreitete Haltung, darf nicht streiken. Es stimmt zwar auch, dass es im Vergleich zur Jahrtausendwende in den vergangenen Jahren einen „Stimmungsumschwung zugunsten der Gewerkschaften“ gegeben hat (Dörre et. al 2016: 24), doch auch hier gibt es einen „Gender-Gap“. Denn – wie im Fall des Arbeitskampfes im Sozial- und Erziehungsdienst – gab und gibt zwar durchaus Wohlwollen gegenüber den Anliegen der Kolleginnen, doch droht dieses zu kippen, wenn aus den bunten und fröhlichen Arbeitskämpfen wirklich harte Auseinandersetzungen mit spürbaren Konsequenzen zu werden drohten.
Auf der anderen Seite steht der vom Marburger Bund organisierte Ärztestreik von 2006, der also im selben Jahr stattfand wie der bereits erwähnte Pflegestreik. Der Ärztestreik war nicht nur erfolgreich, sondern auch von Wohlwollen begleitet (Schroeder et al 2008: 53-55). Auch bei den Ärzt_innen ändert sich zwar die Zusammensetzung – der Trend zur weiblichen Ärztin ist steigend –, dennoch sind auch im Jahr 2016 noch mehr als die Hälfte aller Ärzt_innen männlich. Es ist keineswegs immer so, dass Ausstände in männlich dominierten oder geschlechtsunspezifischen Bereichen (mehr als 30 Prozent, aber weniger als 70 Prozent Frauenanteil) grundsätzlich eher Sympathien genössen. Verwiesen sei hier auf den GDL-Streik 2014/2015 oder auch auf die schwere Niederlage, die die IG Metall 2003 einstecken musste bei dem Versuch, die 35-Stunden-Woche für die Metall- und Elektroindustrie in Ostdeutschland einzuführen. Dennoch ist es unbestreitbar, dass vor allem in Frauenberufen das tendenziell geringere ökonomische Druckpotential mit moralischem Druck und im Fall der Krankenhausbeschäftigten der „neoliberalen Mobilisierung des Pflegethos“ (Wolf 2013) zusammenfällt.
Und eben jene Haltung – wer pflegt und streikt, gefährdet die ihm Anvertrauten – zu durchbrechen, war ein zentrales Anliegen der Charité-Kolleginnen und zugleich Voraussetzung für ihre erfolgreiche Streikbewegung, ebenso wie für die sich nun verbreitende „Tarifbewegung Entlastung“.
Wie haben die Charité-Kolleginnen das geschafft? Indem eine im Grunde einfache Botschaft vermittelt werden konnte, zum Teil in der Öffentlichkeit und der Stadt, aber vor allem in den eigenen Reihen: Wir wollen nicht nur für uns die Bedingungen verbessern, sondern auch für die Patient_innen. Denn diese – so die Kolleginnen – sind ebenso wie wir die Leidtragenden des chronischen und eklatanten Personalmangels an der Klinik. Intensivschwester und Tarifkommissionsmitglied Dana Lützkendorf hatte es folgendermaßen erklärt: „Wir streiken, damit wir wieder unsere Arbeit machen können“ (Boewe/Schulten 2015).
Pointiert zum Ausdruck gebracht wurde diese Botschaft zudem im Slogan der Streikbewegung: Mehr von uns ist besser für alle! Ein weiterer populärer Slogan des Charité-Kampfes war: „Nicht der Streik gefährdet die Patienten, sondern der Normalzustand.“
Um die Botschaft zu verbreiten und die Deutungshoheit über den Streik zu erlangen, wurden mehrere Schritte unternommen. Allen voran die Gründung des Bündnisses „Bürgerinnen und Bürger für mehr Personal im Krankenhaus“ im Jahr 2013, in dem Beschäftigte der Charité gemeinsam mit Beschäftigten anderer Berliner Kliniken und Betriebe und zivilgesellschaftlichen Kräften sich zusammenschlossen. Während des zehntägigen Streiks im Juni 2015 spielte dieses Bündnis eine zentrale Rolle. Am Vorabend des Streiks lud das Bündnis zu einer Auftaktveranstaltung ein. Bemerkenswert war dort die Mobilisierung unterschiedlichster Unterstützer_innen. Neben Gewerkschafter_innen und Parteienvertreter_innen reichte das Spektrum vom Kinderhilfswerk „Terre des Hommes“ über das Berliner Bündnis Mietenvolksentscheid bis zum Hamburger Schauspieler Rolf Becker.
Der Kampf um die öffentliche Meinung – dessen waren sich die Charité-Kolleginnen bewusst – würde entscheidend sein und auch von Arbeitgeberseite geführt werden. Gewerkschaft und Bündnis hielten von Beginn an mit einer eigenen Strategie dagegen: Unterstützer_innen waren jeden Tag vor Ort an den Streiklokalen und beteiligten sich an den Aktionen der Kolleginnen. In der zweiten Woche des Streiks lud das Bündnis auf dem Gelände der Charité zu einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Patient_innen ein, die den Streik unterstützten. Zu den prominenteren Fürsprecher_innen für die Sache der Kolleg_innen gehörte auch Karin Stötzner, die Patientenbeauftragte für Berlin.
Wie bereits erwähnt, sind in den Gesundheitsdienstberufen 84 Prozent der Beschäftigten weiblich. Entsprechend waren auch die Streikführer_innen, die Gesichter des Streiks, überwiegend weiblich. Zwar ist auch der sich selbst als Kinderkrankenschwester bezeichnende Betriebsgruppensprecher Carsten Becker zweifellos eines der bekanntesten Gesichter der Charité, doch neben Dana Lützkendorf, Grit Wolf, Ulla Hedemann oder Kati Ziemer (von der CFM) ist er die Ausnahme, nicht die Regel.
Von der Unterstützerin zur Akteurin
Dass vermehrt Streiks – auch konfrontative Vollstreiks – in weiblich dominierten Berufen stattfinden, ist ein deutlicher Unterschied zu den „großen Kämpfen“ der 1970er und 1980er Jahre. Historisch haben Frauen in Streiks eher in einem Helferinnen-Verhältnis zu streikenden Männern gestanden. Es gibt natürlich eine Reihe von Ausnahmen: Der (trotz weitreichender Sympathien unter großen Bevölkerungsteilen erfolglose) Crimmitschauer Textilarbeiterinnenstreik aus den Jahren 1903/1904 für die Einführung des 10-Stunden-Tags, der Streik der Petrograder Textilarbeiterinnen 1917, der Streik im Belgischen Herstal von 1966[8] oder der Streik der Pierburg-Frauen 1973 (Braeg 2013).
Nichtsdestotrotz waren die „großen Kämpfe“ der jüngeren Geschichte Auseinandersetzungen, die in der Industrie mit hohem Männeranteil geführt wurden: Die Streikwelle von 1969, die migrantisch geprägten wilden Streiks von 1973 oder der britische Miners’ Strike waren Männerstreiks – auch wenn Frauen hier oft eine aktive und eigenständige Rolle als Unterstützerinnen gespielt haben. So zum Beispiel in dem Angehörigennetzwerk „Women Against Pit Closures“, das den Miners’ Strike im gesamten Vereinigten Königreich unterstützte. Es wäre verkürzt, die Aktivistinnen von WAPC auf „Ehefrauen“ zu reduzieren, vielmehr waren sie eigenständige, politische Protagonistinnen, die neben der Unterstützung für den Streik auch eigene Themen artikulierten (Holden 2014). Ähnliches passierte während des 160 Tage andauernden Arbeitskampfes um den Erhalt des Krupp-Werkes in Duisburg-Rheinhausen 1987/88. Auch hier gab es eine Reihe von expliziten Frauengruppen, deren Anliegen die Unterstützung des Kampfes war. Aber es bleibt dabei: Frauen waren hier die Hilfstruppen, nicht die eigentlichen Akteure.
Dies hat sich mit einer Verlagerung der Auseinandersetzungen in den Dienstleistungsbereich grundlegend gewandelt.[9]
Zu erwähnen ist zudem, dass besonders in den frauendominierten Berufsfeldern, in denen in den vergangenen Jahren gestreikt wurde, neue partizipative Elemente der Streikführung ausprobiert wurden. Während des Arbeitskampfes im Sozial- und Erziehungsdienst wurde von ver.di unter anderem auf Streikdelegiertenversammlungen zurückgegriffen.[10] Und auch im Krankenhausbereich ist eine bemerkenswerte Entwicklung zu beobachten. Die ver.di-Betriebsgruppe an der Charité hatte in Vorbereitung auf den 2015er-Streik ein Netz vom Tarifberater_innen aufgebaut. Dem vorausgegangen war, dass die Vertrauensleutestrukturen mehr oder weniger eingeschlafen waren, es aber gleichzeitig notwendig erschien, auf gut informierte Verbindungspersonen zwischen Tarifkommission und den Teams auf den Stationen zurückgreifen zu können. So sollte Kommunikation in beide Richtungen ermöglicht werden. Die Idee, solche Tarifberater_innen für jede Station zu finden, hat sich nicht nur als hilfreich für die Kommunikation während des Streiks, sondern auch als aktivierend und mobilisierend erwiesen. Und auch hier wurde ein an der Charité erprobtes Konzept an Kliniken landauf landab aufgegriffen. Inzwischen gibt es an vielen Krankenhäusern Tarifberater_innen.
Die Charité galt schon immer als Ort von Innovation, als Vorreiterin in Medizin und Forschung. Große Männer wie Robert Koch oder Rudolf Virchow haben hier bahnbrechende Entdeckungen gemacht. Nun kann festgehalten werden, dass die Frauen der Charité ebenfalls Vorreiterinnen sind, die in der ganzen Bundesrepublik Nachahmerinnen finden bei dem Versuch, gute Arbeit und gute Pflege zu erkämpfen.
Literatur
Artus, Ingrid/ Pflüger, Jessica (2015): Feminisierung von Arbeitskonflikten. Überlegungen zur gendersensiblen Analyse von Streiks, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien Jahrgang 8, Heft 2,, S. 92-108.
Behruzi, Daniel (2016): Beistand für Klinikbeschäftige, https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/entlastung/++co++1c33c396-bd1f-11e6-9b7b-525400940f89.
Bewernitz, Thorsten/ Dribbusch, Heiner (2014): „Kein Tag ohne Streik“: Arbeitskampfentwicklung im Dienstleistungssektor, WSI Mitteilungen 5/2014.
Bispinck, Reinhard (2013): „Steinkühlerpause“ und mehr. Der Lohnrahmentarifvertrag II - ein Meilenstein der Tarifgeschichte, WSI-Tarifarchiv.
Boewe, Jörn/ Schulten, Johannes (2015): An der Charité läuft die Operation Streik, https://www.verdi.de/themen/arbeit/++co++598f09f2-198e-11e5-95b7-5254008a33df.
Braeg, Dieter (2013): Wilder Streik – das ist Revolution! Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973, Berlin.
Dörre, Klaus et al (2016): Streikrepublik Deutschland – Die Erneuerung der Gewerkschaften in Ost und West, Frankfurt a. M, S. 24.
Gürgen, Malene (2016): Ausgewandert, Ausgebeutet, Aufständig, in: taz vom 16.1.2016, S. 42-44.
Dies. (2016): „Das sind Knebelverträge“, Interview mit ver.di-Sekretär Kalle Kunkel, in: taz vom 16.1.2016, S. 45.
Hans-Böckler-Stiftung (2011): Horizontale Segregation des Arbeitsmarktes, https://www.boeckler.de/53494.htm.
Holden, Triona (2005): Queen Coal – Women of the Miners’ Strike, London.
Kerstgens, Michael (2014): Coal not Dole, Berlin.
Krankenhaus statt Fabrik! (2017): Kostendruck – Personalnot – Überlastung, 16.1.2017, https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/121.
Schneidemesser, Lea/ Kilroy, Juri (2016): Streikmonitor: Die Arbeitskonflikte im ersten Halbjahr 2016, in: Z 108 (Dezember 2016), S. 145-158
Schroeder, Wolfgang / Kallas, Viktoria/ Greef, Samuel (2008): Kleine Gewerkschaften und Berufsverbände im Wandel, Böckler Forschungsmonitoring 3, Düsseldorf, S. 53-55.
Tügel, Nelli (2016): Was geht, wenn nichts mehr geht? In: neues deutschland vom 03.06.2016.
Ver.di Fachbereich 3 (2015): Ver.di Infodienst Krankenhäuser 2015: 2.
Ver.di (2013): Personalcheck, https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/mehr-personal/++co++613712f0-c165-11e6-83d5-525400940f89.
Wolf, Luigi (2013): „Patienten wegstreiken“ – Arbeitskämpfe an der Charité, in: Luxemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Heft 15, 1/2013.
[1] Die Autor_innen einer Studie zur horizontalen Segregation des Arbeitsmarktes definieren frauendominierte Berufsfelder folgendermaßen: „Berufsfelder mit einem Frauenanteil von mehr als 70 Prozent werden als frauendominierte Berufsfelder definiert. Umgekehrt gelten Berufsfelder mit einem Frauenanteil unter 30 Prozent als männerdominierte Berufsfelder. (...) Frauendominierte Berufsfelder mit einem Frauenanteil von über 70 Prozent finden sich vor allem in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen. Frauen stellen den größten Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Gesundheitsdienstberufen und den Sozial- und Erziehungsberufen bzw. unter Seelsorger/innen, sowie ebenfalls bei den Friseur/innen, Gästebetreuer/ innen, Hauswirtschafter/innen und Reiniger/innen.“ (Hans-Böckler-Stiftung 2011).
[2] Auf Leerstellen in der gendersensiblen Analyse von Streiks haben Ingrid Artus und Jessica Pflüger hingewiesen (Artus/Pflüger 2015).
[3] Auslagerungen an so gut wie allen deutschen Krankenhäusern haben in den vergangenen Jahren zu Belegschaftsspaltungen geführt. Zum Teil haben Kliniken in öffentlicher Hand – wie im Fall von Vivantes in Berlin – mehr als zehn Tochtergesellschaften gegründet um so die geltende Tarifbestimmungen umgehen zu können. Bei Vivantes sind von der Ausgründung auch Frauendomänen betroffen, wie die Physio- und Ergotherapeutinnen, die seit mehr als einem Jahr für die Wiedereingliederung in den Mutterkonzern kämpfen. Betroffen vom Outsourcing sind auch – und zwar oft zuerst – die Reinigungskräfte und Küchenangestellten. Doch auch Bereiche wie die Technik, die Botendienste, Hausmeister und Patientenbegleitservice, die häufiger von Männern ausgeführt werden, sind heute allerorts outgesourct. Alle Betroffenen haben gemeinsam, dass sie wie Beschäftigte zweiter Klasse behandelt werden – deutlich niedriger bezahlt als die direkt bei der Klinik angestellten und zum Teil – wie im Fall der CFM – mit Union Busting Methoden bekämpft, wie dem massenhaften Einsatz von Werkvertragnehmern (wo vorher Leiharbeiter tätig waren) um Streiks zu unterlaufen.
[4] Ein bundesweiter Trend übrigens: Charlotte Matheis, 60 Jahre, Krankenschwester seit 1976 am Uniklinikum Homburg im Saarland sagte dazu, an sie als Mitglied der bundesweiten Tarifkommission hätten sich immer wieder Kolleg_innen gewandt. Der Tenor: „Hört uns auf mit euren paar Prozent Lohnerhöhung. Unser Problem sind die Arbeitsbedingungen“ (neues deutschland 03.06.2016).
[5] Zu Arbeitskämpfen im Gesundheitswesen 2016, der Bedeutung der Auseinandersetzungen an der Charité und der Aushandlung von Notdienstvereinbarungen vgl. die Darstellung im „Streikmonitor“ von Schneidemesser/Kilroy 2016, S. 149ff.
[6] Begonnen hatte die Ökonomisierung der Krankenhäuser freilich schon viel früher: „Seit den 70er Jahren zielen Reformen der Krankenhausfinanzierung darauf ab, Kosten zu senken. Das Prinzip einer kostendeckenden Vergütung von Krankenhausleistungen wurde seit den 70er Jahren schrittweise durch Pauschalentgelte ersetzt.“ (Krankenhaus statt Fabrik 2017). Die Pauschalen sind oft so bemessen, dass sie die Klinken unter Kostendruck setzen. Gespart wird beim Personal durch Arbeitsverdichtung und Outsourcing.
[7] Diese sind es auch, die Care-Arbeit zusätzlich unbezahlt leisten. Und es sind oft Migrantinnen, die im Pflegebereich (auch in der Altenpflege) als Niedriglöhnerinnen angeheuert werden und nicht selten ihrer grundlegendsten Rechte beraubt werden. So zum Beispiel Pflegekräfte aus den südlichen EU-Staaten, die nach Deutschland gelockt und hier mit Knebelverträgen in den oft schlecht bezahlten Stellen unter schlechten Arbeitsbedingungen festgehalten werden (Gürgen 2016: 42-45).
[8] 3.000 Arbeiterinnen der belgischen Rüstungsfabrik „Fabrique Nationale d'Armes de Guerre“ (FN) hatten 1966 unter der Parole „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ die Produktion lahmgelegt. Es war der erste europäische Ausstand dieser Art. Der Spiegel sprach Ende April 1966 gar vom „Streik des Jahrhunderts“. Das Unternehmen weigerte sich, den von ihm beschäftigten Frauen den gleichen Lohn zu zahlen wie 7.000 männlichen Arbeitern. Ein Paragraf des Gründungsvertrages der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aus dem Jahr 1957 galt den streikenden Frauen als Bezugspunkt. Dort war im Artikel 119 formuliert worden, dass „gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ob Frau oder Mann“ anzustreben sei. Jahrelang blieb Artikel 119 ein Lippenbekenntnis ohne spürbare Folgen – bis er schließlich ab Mitte der 1960er Jahre von Frauen „entdeckt“ und Gegenstand mehrerer Kampagnen wurde. 1966 hatte sich dann in Herstal eine explosive Situation zusammengebraut: Zum einen machte die Nachricht vom Artikel 119 und dem Recht auf gleichen Lohn die Runde. Zum anderen erlebten die Arbeiterinnen ihre eigene Situation – und zwar als diametral entgegengesetzt zum Versprechen einer gleichen Bezahlung. Auch aufgrund des niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrades stießen diese beiden Zustände ohne Puffer unvermittelt aufeinander. Von Februar bis Mai 1966 dauerte der Streik an und endete mit einem Erfolg. Der öffentliche Druck war so groß geworden, dass sich der belgische Arbeitsminister schließlich gezwungen sah, einzugreifen und den Konzern dazu zu drängen, die Forderungen weitgehend zu erfüllen. Ein ähnlicher Streik zur Durchsetzung der Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ war 1968 der Dagenham Frauenstreik bei Ford, der in der Filmkomödie „Made in Dagenham“ (deutscher Titel „We want Sex!“) von 2010 verarbeitet wurde.
[9] Wobei festzuhalten bleibt, dass dies keineswegs im Umkehrschluss bedeutet, dass Ehemänner oder männliche Partner nun die Hilfstruppen bildeten. Es fand nicht einfach ein Rollentausch statt.
[10] Was zu dem einmaligen Vorgang führte, dass das Schlichtungsergebnis entgegen der Empfehlung der Tarifkommission von den Mitgliedern nicht angenommen wurde.