Die aktuellen Auseinandersetzungen um Erwerbsquoten, Arbeitszeiten und Lebenslaufperspektiven von Frauen, um „Entgeltlücke“, „Teilzeitfalle“, Doppelbelastung bei Hausarbeiten, Kinderbetreuung und Pflege, in denen die systematische und hartnäckige Diskriminierung und Unterdrückung der Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft des heutigen Kapitalismus zum Ausdruck kommt[1] und die auf je unterschiedliche Weise von Frauenbewegung, Gewerkschaften, Linken (aber auch dem konservativ-neoliberalen „Feminismus“ einer Madame Lagarde) thematisiert und in Parteiprogrammen aller Couleur abgehandelt wird, werfen u.a. die Frage nach historischen Trends der Feminisierung der Lohnarbeit und ihrer Widersprüche auf. Dem wird im Folgenden nachgegangen.
Historischer Ausgangspunkt
Der Kapitalismus hat sich im Europa der industriellen Revolution in den drei Hauptländern England, Frankreich und Deutschland auf ganz unterschiedliche Weise entwickelt und durchgesetzt. Das politisch und ökonomisch gegenüber England und Frankreich weit zurückgebliebene Deutschland trug noch in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts „halbfeudalen“ Charakter. Die politischen und sozialökonomischen Unterschiede bei der Herausbildung der neuen Produktionsweise, deren ungleichmäßige Entwicklung in den genannten Ländern und die damit verbundenen wirtschaftlichen Rückwirkungen prägten u.a. auch die jeweilige Entwicklung der arbeitenden Klassen.[2] Wenn z.B. in England die Textilindustrie mit ihrem hohen Anteil an weiblichen Arbeitskräften für die Industrialisierung und die Herausbildung der Arbeiterklasse eine tragende Rolle spielte[3], so konnte sie diese Rolle in Deutschland (wo sie für die Frühindustrialisierung gleichfalls große Bedeutung hatte) gerade wegen des Drucks der britischen Konkurrenz nicht in gleichem Maße spielen; für die Entwicklung der Lohnarbeiterschaft kam in Deutschland der Schwerindustrie, der Metallwirtschaft und Infrastrukturprojekten wie dem Eisenbahnbau größeres Gewicht zu.[4] Völlig anders gestaltete sich in Deutschland z.B. auch die Auflösung der feudalen Strukturen auf dem Lande, Hauptrekrutierungsquelle der neuen Lohnarbeiterschaft. Die Unterschiede im Grad der Urbanisierung und der Herausbildung gewerblich-verdichteter und industrieller Zentren sowie Branchen bedeuteten im Vergleich der Länder auch unterschiedliche Erwerbschancen („Arbeitsplatzangebote“) für Frauen. Generell gilt jedoch, dass auf dem Lande die Einbeziehung der Frauen in den Arbeitsprozess i.d.R. intensiver war als in den Städten und Industrialisierungszentren, in denen die neuen Arbeitsverhältnisse primär auf Männer zugeschnitten waren. Wenn also nach den Bedingungen und Formen der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit und der Feminisierung der Lohnarbeit gefragt wird, so muss auch hier die diesbezügliche – seit Mitte der 1970er Jahren inzwischen sehr umfangreiche – konkret-historische Forschung zu Rate gezogen werden;[5] der abstrakte Verweis auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Entwicklung hilft nicht weiter.[6]
Geschlechterspezifische Arbeitsteilung
Die auch heute gegebene Grundstruktur der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung bei der Erwerbsarbeit wird mit der kapitalistischen Entwicklung selbst herausgebildet. Der sukzessive Übergang von der vorkapitalistischen einfachen Warenproduktion sowohl auf dem Lande wie in den Städten ist mit der schrittweisen Trennung der unmittelbaren Produzenten vom Eigentum an ihren Produktionsmitteln – Boden, handwerkliche Arbeitsmittel –, der Aufspaltung der ursprünglichen Einheit von Haushalt bzw. Hauswirtschaft und Arbeitsstätte sowie von Familie und Produktion und der zunehmenden Differenzierung der Berufsstruktur geprägt. Dieser sich über Jahrzehnte erstreckende Prozess vollzog sich als Freisetzung einer großen agrarischen und handwerklichen Überschussbevölkerung, die über lange Jahre von der kapitalistischen Gewerbe- und Fabrikproduktion nicht voll aufgefangen werden konnte – eine der Ursachen des Pauperismus, der Hungernöte, der Weberaufstände besonders in den 1840er Jahren – und als ausgeprägte Land-Stadt-Wanderung, erleichtert durch Gewerbefreiheit, die Aufhebung der Leibeigenschaft und den durch Staat und aufkommenden Kapitalmarkt (Aktiengesellschaften) vorangetriebenen Infrastruktur(Eisenbahn-, Chaussee)ausbau, an dem Hunderttausende der auf dem Lande freigesetzten Arbeitskräfte beteiligt waren.[7]
Während auf dem Lande die Frauen in der Agrarwirtschaft mehr oder weniger vollständig – gemessen am Arbeitskräftepotential, d.h. der weiblichen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – in die Arbeit eingebunden waren, hatte sie das zünftige Handwerk schon seit langem weitgehend aus der gewerblichen Arbeit verdrängt. Die Zunftgesetze untersagten die Beschäftigung von Frauen im Gewerbe, die „normale“ Arbeitsteilung wies allein dem Mann die gewerbliche Tätigkeit zu; der Frau „oblagen (u.U. mit Hilfe von Dienstboten) der Haushalt, die Kinderaufzucht und -erziehung sowie die anfallende Garten-, Vieh- und Landwirtschaft.“ Wo sie, wie z.B. im „unzünftigen“, zunehmend proletarisierten Handwerk, mithelfen musste, führte sie „überwiegend Handlangerdienste und Hilfstätigkeiten“ aus.[8] Anders bei der neu aufkommenden, frühkapitalistischen hausindustriellen Familienwirtschaft (etwa der klassischen Weber). Hier arbeiten alle Familienangehörigen gewerblich; die „übliche rigide Trennung der Arbeitsbereiche von Mann und Frau“ war aufgehoben. Im Rahmen der „familialen Kooperation“ kamen sowohl gleiche Arbeit von Mann und Frau wie auch ausgeprägt arbeitsteilige Verfahren vor. Die sonstige Hausarbeit blieb in allen Bereichen fast ausnahmslos Sache der Frauen.[9]
Die vorkapitalistischen Arbeits- und Lebensverhältnisse von Bauern, Landarbeitern und Handwerkern waren durch ausgeprägte patriarchalische Verhältnisse charakterisiert.[10] Frauenarbeit galt als notwendige Mitarbeit, verstanden als Beitrag zum Familieneinkommen. Die mit der bäuerlichen Lebensweise fest verbundene „absolute Dominanz des Bauern“, sein „struktureller Statusvorsprung“, gründete sich auf Tradition, im Normalfall auf den Besitz- und Eigentumstitel an Grund und Boden, seine Präsenz in der dörflichen Öffentlichkeit. Im alten Handwerk basierte der Ausschluss der Frauen vom Gewerbe und ihre schon dadurch bedingte Unterordnung nicht auf den Eigentumsverhältnissen (dem Eigentum des Meisters an den handwerklichen Produktionsmitteln), sondern auf der patriarchalischen, zünftigen Verfassung der Gesellschaft selbst, die den Ausschluss der Frauen vom Gewerbe begründete und auch nach Aufhebung des Zunftzwanges (Gewerbefreiheit) nachwirkte, wie die späteren intensiven Bemühungen um Ausschluss von Frauen z.B. aus dem Schneider-, Textil- und Bekleidungshandwerk zeigen.[11]
Übergang in die neue Lohnarbeiterschaft
Für die Frauen, die aus solchen Verhältnissen kommend in die von Gewerbe, Fabrik, Lohnarbeit und städtischer Dienstarbeit geprägte Welt der neuen kapitalistischen Produktionsweise eingebunden wurden, war der Zwang, arbeiten zu müssen, nichts grundsätzlich Neues. Das galt für Ledige ebenso wie für Verheiratete und war im bäuerlichen wie handwerklichen Bereich erlebte und tradierte Norm. Die, wie Rosenbaum schreibt, „fortexistierenden traditionellen, mit der Frauenarbeit verknüpften Mentalitäten“ schlossen auch die Akzeptanz niedriger Löhne (im Vergleich zu den Männern) ein, wobei wie in den kleinbäuerlichen oder Landarbeiter-Herkunftsfamilien nicht das individuelle Einkommen, sondern der Beitrag zum Familieneinkommen entscheidend war.[12]
Die Lohnarbeiterschaft der sich sukzessive durchsetzenden kapitalistischen Produktionsweise rekrutierte sich in erster Linie aus der in die Städte und aufkommenden Gewerbezentren zuwandernden agrarischen Überschussbevölkerung (Kleinbauern, Häusler, Insten, Heuerlinge, Landarbeiter) und bereits proletarisierten Schichten in Stadt und Land wie Tagelöhner, Manufakturarbeiter, Handwerksgesellen und kleine, formell selbständige Warenproduzenten aus dem hausindustriellen Gewerbe („Heimgewerbe“).[13] Berlin wuchs z.B. 1851 per saldo um rd. 5.450 Gewerbegehilfen (Fabrikarbeiter und Handwerksgesellen) und Lehrlinge, über 1.000 Tagelöhner und 5.400 Dienstboten (insgesamt 2/3 Männer, 1/3 Frauen; 2/3 im Alter von 15-30 Jahren) durch Zuzüge aus dem agrarischen Umland.[14] Zuziehende aus handwerklichen Schichten stellten in diesem Fall eher eine Übergangsgruppe von vordem landlos gewordenen Bauern und Bauernkindern, die zwischenzeitlich im dörflichen Gewerbe (Leineweberei u.a. Hausgewerbe) tätig gewesen waren; Dienstboten und Tagelöhner stammten zumeist direkt aus der agrarischen Überschussbevölkerung. Die Zuziehenden gingen als Ungelernte teils in Manufakturen und Fabriken, zu großen Teilen zum Eisenbahnbau, sie kamen z.T. beim Handwerk unter. Ein großer Teil gehörte als Tagelöhner zur Arbeitskraftreserve des städtischen Gewerbes. Die zugewanderten „Dienstboten“, insbesondere Frauen, leisteten teils Hausdienste, teils wurden sie gewerbliche Arbeitskräfte. Für die vom Lande abwandernden Frauen waren auch später familiale Dienstbotentätigkeiten oft Übergangsbeschäftigung vor un- oder angelernter Fabrikarbeit.[15]
Marianne Friese hat im Einzelnen die weibliche Proletarisierung im städtischen Handwerk und die Entwicklung des weiblichen Dienstleistungsproletariats Bremens untersucht, Bereiche, in denen weibliche Lohnarbeit weit verbreitet bzw. dominierend wurde. In den Familien der unzünftigen Gesellen („Gesellen-Lohn-Familien“ insbesondere im Textil- und Baugewerbe) kam den Frauen im Rahmen der familialen Arbeitsteilung „die unqualifizierten, niedrig bewerteten und geringer entlohnten“ arbeitsvorbereitenden Funktionen zu; die Frauen der Baugesellen verrichteten seltener Bauhilfsarbeit, meist Gelegenheitsarbeiten aller Art. Wo die Gesellen zur Saison- und Nebenarbeit übergingen, blieben ihre Frauen als billige Arbeitskraft im niedergehenden Gewerbe. Die quantitativ bedeutenden Gewerbe in Bremen – neben Textil die Gewerbe der Nahrungs- und Genussmittel incl. des Tabakgewerbes – waren als reine familiale Kleinbetriebe mit erheblichem Anteil weiblicher Arbeit organisiert. In dieser „proto-industriellen“ Wirtschaft herrschte „ein überkommenes System der geschlechtlichen Arbeitsteilung“, das Frauen mit der Mehrarbeit der familialen Reproduktion belastete.[16]
In solchen Detailstudien kann nicht nur nachvollzogen werden, wie sich der Übergang in Erwerbstätigkeit und Lohnarbeit vollzog, sondern auch, wie die unter vor- und frühkapitalistischen Produktionsverhältnissen herausgebildeten Formen geschlechterspezifischer Arbeitsteilung und patriarchalischer Geschlechterbeziehungen – im Kontext privat-familialer Produktion und Reproduktion können diese Geschlechterverhältnisse im Anschluss an Engels[17] als (Teil der) Produktionsverhältnisse verstanden werden – in die durch Lohnarbeit geprägte Welt der aufsteigenden kapitalistischen Produktionsweise mitgenommen und in einer Gesellschaft, in der „alle gesellschaftlichen Bereiche durchgängig patriarchalisch geprägt (sind), vom Bildungswesen über Politik, Wirtschaft bis zur Familie“[18], neu geformt und akzentuiert werden.
Erwerbstätigkeit und Feminisierung der Lohnarbeit –
Quantitative Entwicklungstrends
Als Trendindikatoren für den Nachvollzug der Entwicklung der Frauenerwerbsarbeit und der Feminisierung der Lohnarbeit können die Erwerbsquote bzw. die Erwerbstätigkeitsquote der Frauen[19] und der Frauenanteil an den abhängig Beschäftigten herangezogen werden. Die zeitliche Gliederung orientiert sich u.a. an der Verfügbarkeit von Daten aus Berufszählungen in Preußen, dem Deutschen Reich und der BRD.
Die Erwerbsquote ist eine sozialstatistische „Oberflächen“-Kategorie, die Informationen über den Grad der Einbeziehung einer Bevölkerungsgruppe in gegen Entgelt verrichtete Erwerbstätigkeit vermittelt, ohne die sozialen Verhältnisse und Beziehungen, unter denen sie verrichtet wird und in die die Erwerbstätigen eingebunden sind, erkennen zu lassen. Die so erfasste Frauenerwerbstätigkeit betrifft zur Arbeiterklasse gehörende lohnabhängige Frauen ebenso wie Selbständige oder unter familial-patriarchalen Bedingungen arbeitende Mithelfende. Sie ist also ggfs. weiter aufzuschlüsseln. Zudem ist zu bedenken, dass die statistischen Daten aus den verschiedenen Perioden der Entwicklung des Kapitalismus in Deutschland seit Anfang der industriellen Revolution in vieler Hinsicht (z.B. Erhebungsmethoden; Gebietsstand) nur bedingt vergleichbar sind[20]; es geht im Folgenden also nur um Trend-Aussagen.
Industrielle Revolution und vormonopolistischer Kapitalismus (1816 – 1882)
Für die Zeit vor 1882 liegen nur wenige statistische Erhebungsdaten vor. Den preußischen Fabriktabellen für die Jahre 1816, 1849 und 1861 kann eine Aufteilung der über 14jährigen beschäftigten „Zivilpersonen“ nach Geschlecht und Erwerbstätigkeit entnommen werden (Tab. 1).
Die Tabelle betrifft die „handarbeitenden Klassen“, in der Terminologie der preußischen Statistik „diejenigen Volksgruppen, … deren Angehörige für andere Personen … gegen Entgelt thätig sind“.[21] Es geht also um abhängige Lohnarbeit. Da die Tabelle die (nicht gegen Entgelt lohnarbeitenden) Bauern ausschließt, hat man, wie Kuczynski kommentiert, „fälschlicherweise den Eindruck, daß ein weit größerer Teil der Männer als der Frauen hauptberuflich beschäftigt“ ist.[22] Sie umfasst zwei Hauptgruppen: Einmal die ländlichen, hauptsächlich in der Landwirtschaft tätigen Unterschichten (Dienstboten, Gesinde, Tagelöhner, Handarbeiter); zum anderen die gewerblich-industriellen Berufe (Fabrik- und Bergarbeiter, Gewerbegehilfen und Lehrlinge).
Tab. 1: Erwerbstätige „Zivilpersonen“ über 14 Jahre, Preußen 1816 – 1861, nach Geschlecht (in Prozent)
Tabelle siehe PDF !
Ohne Bauern. Nach Gerhard 1978, S. 42, 48 (1816); Kuczynski 1963, S. 104 (1849, 1861). Summendifferenzen: andere Beschäftigtengruppen wie Apothekergehilfen, landw. Verwalter, Wirtschafterinnen auf Landgütern. Gesinde: zu 85 % in der Landwirtschaft; Tagelöhner und Handarbeiter: etwa zur Hälfte in der Landwirtschaft, incl. Eisenbahn- und Straßenarbeiter, weit überwiegend ländliche Unterschicht.
Bei den Frauen dominiert völlig der Anteil der zumeist unter patriarchalischen und feudal-agrarischen Bedingungen arbeitenden Dienstboten, Tagelöhnerinnen und Handarbeiterinnen usw. Ihre dem (städtischen) Gewerbe und der Fabrikarbeit zuzuordnenden Gruppen (Fabrikarbeiterinnen, Gewerbegehilfen, Lehrlinge) machen dagegen im Vergleich zu jenen der Männer nur einen sehr geringen Anteil aus. Insgesamt ist der Anteil der Fabrik-(und Bergbau)beschäftigung bei Männern wie Frauen äußerst klein; er zeigt aber die relativ stärksten Veränderungen.
Bereits in der Frühphase des industriellen Kapitalismus in Deutschland zeigt sich: Die Erwerbsquote der Frauen ist (bei allen Einschränkungen der statistischen Erfassung) deutlich geringer als die der Männer, und, was besonders hervorzuheben ist, sie verändert sich in den 45 Jahren von 1816 bis 1861 nicht wesentlich. Die Erwerbsquote nimmt bei den Männern um mehr als 10 Prozent, bei den Frauen nur um ca. 2 Prozent zu; damit vergrößert sich der Abstand zwischen den Erwerbsquoten von Männern und Frauen – der relative Anteil der Frauen an der Lohnarbeit nimmt ab.
Am Ende dieser Periode konzentriert sich die gewerblich-industrielle Beschäftigung weiblicher Arbeitskräfte ausweislich der preußischen Gewerbezählung von 1875 auf wenige Branchen.
Von 3,6 Mio. Beschäftigten in den preußischen Betrieben waren 590 Tsd. Frauen (16,4 Prozent). Annähernd 90 Prozent von ihnen arbeiteten in vier Gewerbezweigen. Dies sind:
- Bekleidung und Reinigung mit 233 Tsd. (39,5 Prozent),
- Textilindustrie mit 159 Tsd. (26,9 Prozent),
- Handelsgewerbe mit 63 Tsd. (10,6 Prozent) und
- Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln mit 50 Tsd. (8,5 Prozent).
Diese vier Branchen hatten einen Anteil an allen Beschäftigten von knapp 50 Prozent, aber von 89 Prozent an den weiblichen Arbeitskräften.
Der Frauenanteil an den Beschäftigten lag in Bekleidung/Reinigung bei 38 Prozent, im Textilgewerbe bei 36 Prozent, also weit über den 16,4 Prozent insgesamt. In den beiden anderen Branchen war er mit 16 bzw. 13 Prozent nur durchschnittlich. Keine der anderen Branchen erreichte auch nur annähernd vergleichbare Frauenquoten wie die Textilwirtschaft bzw. das Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe – das Bild eines klassischen segmentierten Arbeitsmarktes.[23]
Die hier erfasste Frauenbeschäftigung im gewerblich-industriellen Sektor incl. Handel/Verkehr betrifft neben Frauen, bei denen das Lohnarbeit-Kapital-Verhältnis ausgeprägt ist (Fabrikarbeiterinnen), große Beschäftigtengruppen im kleingewerblichen Sektor. Aber: Im gewerblich-industriellen Sektor ist zu dieser Zeit nur ein sehr begrenzter Teil der weiblichen Erwerbstätigen tätig.
Das zeigt ein Vergleich mit der Berufszählung (BZ) 1882 im Deutschen Reich.[24] Bei dieser BZ lag der Anteil der im Produzierenden Gewerbe und Handel/Verkehr tätigen Frauen (1,1 Mio.) an der Gesamtzahl der erwerbstätigen Frauen etwa bei einem Fünftel. Im – schlecht erfassten – primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Tierhaltung, Fischerei) waren es mit 2,5 Mio. oder 45,7 Prozent knapp die Hälfte, bei den Dienstleistungen (1,6 Mio.) 28,5 Prozent. 4/5 der erwerbstätigen Frauen arbeiten 1882 in Landwirtschaft und Dienste-Sektor.
Entwickelter Kapitalismus (1882 – 1939)
Ulla Knapp gibt eine mit den in Tab. 1 für Preußen genannten Erwerbsquoten für Männer und Frauen vergleichbar gemachte Reihe für die Zeit von 1882 bis 1933 (Erwerbstätige ohne Selbständige und mithelfende Familienangehörige), so dass in etwa eine Langfristbetrachtung der Erwerbsquote der abhängig Beschäftigten seit Anfang der Industrialisierung möglich ist (Tab. 2).[25]
Tab. 2: Erwerbsquote abhängig Beschäftigter in Preußen und im Deutschen Reich nach Geschlecht, 1816 – 1933 (in Prozent)
Tabelle siehe PDF!
Daten für 1816-1861 (Preußen) sh. Tab. 1; für 1882-1933 (Deutsches Reich) nach Knapp 1984, Bd. 2, S. 647. Bezug: Erwerbsfähige Bevölkerung.
Die so gefasste Erwerbsquote der Männer steigt gegenüber 1882 bis 1933 um 10 Prozent, gegenüber 1816 um 25 Prozent. Die Frauenerwerbsquote verbleibt dagegen auf dem Ausgangsniveau von Anfang/Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie steigt gegenüber 1882 bis 1933 nur geringfügig (um 3,2 Prozent). Der widersprüchliche Grundtrend prägt sich weiter aus: Die Frauenerwerbstätigkeit und -lohnarbeit nimmt in absoluten Zahlen deutlich zu, aber der Anteil der weiblichen Lohnarbeit expandiert kaum, die Spanne zwischen den Erwerbsquoten von Männern und Frauen nimmt weiter zu.
Tab. 3 kombiniert verschiedene Berechnungen der weiblichen Erwerbsquoten für die Jahre 1882 bis 1939. Die weiblichen Erwerbspersonen nach den jeweiligen Berufszählungen werden auf unterschiedliche Basisgrößen bezogen: Auf die Gesamtheit der weiblichen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter[26] (1, 2, 6), auf die weibliche Wohnbevölkerung insgesamt und in Großstädten (3, 5), auf die Erwerbspersonen insgesamt (4). Zum Vergleich wird die Erwerbsquote der Männer, bezogen auf die männliche Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, angeführt (8).[27]
Die Zunahme der weiblichen Erwerbsquote von 1882/1895 bis 1907 dürfte moderater gewesen sein als es die Statistik hier nahelegt. Der Anstieg um fast 10 Prozent gilt als statistisches Artefakt. Es beruht auf der schon seinerzeit kritisierten ungenügenden Erfassung der mithelfenden Familienangehörigen in Landwirtschaft und Handwerk in den Berufszählungen von 1882 und 1895, durch die die Erwerbsquote der Frauen unterschätzt wurde.[28]
Tab. 3: Weibliche Erwerbsquoten Deutsches Reich 1882 – 1939, nach Geschlecht (in Prozent)
Tabelle siehe PDf !
Quellen: Stat. BA; 1, 5-8 nach Willms 1980, S. 77, 81 und 84; 2-4 nach IMSF 1974, S. 185.
Dies in Rechnung gestellt zeigt die Entwicklung der Frauenerwerbsquote für die Jahre 1882, 1925 und 1939 bei unterschiedlichen Bezugsgrößen (1-4) einen vergleichbaren Trend. Der Anteil der erwerbstätigen Frauen an allen Erwerbspersonen (4), der 1882 (unkorrigiert) mit etwas über 29 Prozent angenommen wurde, aber höher gelegen haben dürfte, steigt auf knapp 36 Prozent 1925 bzw. 1939. Der Anteil der weiblichen Erwerbspersonen an der erwerbsfähigen weiblichen Bevölkerung (1) steigt auf ca. 48 Prozent 1925, geht 1933 politisch bedingt (Entlassung von Frauen als „Doppelverdienern“) zurück und steigt bis 1939 im Rahmen der faschistischen Aufrüstung und Militarisierung im Vorfeld des 2. Weltkrieges an.[29]
Im Vergleich zur Frauenerwerbsquote beträgt die Erwerbsquote der Männer gut das Dreifache. Sie bewegt sich stabil zwischen 94 (1882) und 92 Prozent (1933). Ihr Abfall auf 88 Prozent 1939 geht auf die Ausgliederung der Dienstverpflichteten (Soldaten, „Arbeitsdienst“) zurück.
Die erwerbstätigen Frauen sind in der gesamten Zeitperiode nach wie vor zu hohen Anteilen in ländlichen und „familialen“ Arbeitsverhältnissen tätig. Das zeigen die überdurchschnittlichen Anteile in Gemeinden unter 100 Tsd. Einwohner seit 1907 mit besserer Erfassung der ländlichen erwerbstätigen Frauen (6). Umgekehrt ist ihr Anteil an der Wohnbevölkerung im großstädtischen Milieu (5) mit um die 30 Prozent zwar 1925 und 1933 auch leicht erhöht, aber doch niedriger als auf dem Lande. (Auch hier wurde die Differenz zwischen Stadt und Land in den Berufszählungen von 1882 und 1895 eher verwischt, wie das sich seit 1907 umkehrende Verhältnis zwischen großstädtischem und kleinstädtisch-agrarischen Milieu zeigt.) Die großstädtische Quote liegt damit in der gleichen Größenordnung wie der Anteil weiblicher Erwerbspersonen in nicht-familialen Arbeitsverhältnissen (7).
Insgesamt zeigt sich also bei Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit zwischen 1882 und 1907 in den Folgejahren bis 1933 eine weitere Stagnation der weiblichen Erwerbsquote, die dann – wie auch im ersten Weltkrieg – im Zuge der Kriegsvorbereitung ansteigt, was bei der Berufszählung 1939 offenkundig wurde.[30]
BRD 1950 bis 1970
Der Anteil der weiblichen Arbeitskräfte an den abhängig Beschäftigten (hier: Arbeiter, Angestellte und Beamte als grobe Annäherung) bewegt sich im kapitalistischen Deutschland im Zeitraum von 1882 bis 1970 zwischen knapp 29 (1907) und 34 Prozent (1970), also bei etwa einem Drittel der Erwerbspersonen (vgl. Tab. 4). In den vierzig Jahren von 1882 bis zum Ende der Weimarer Republik stieg die Quote – wenn von den Kriegsjahren abgesehen wird – nicht an und sie liegt auch 1950 in Westdeutschland nur wenig über dem Stand von 1882. In den 1950er Jahren wächst sie um 3 auf über 34 Prozent, um dann bis Anfang der 1970er Jahre auf diesem Niveau zu verharren.
Tab. 4: Frauenanteil an den abhängig Beschäftigten (Erwerbspersonen) im Deutschen Reich und der BRD 1882 – 1970
Tabelle siehe PDF!
Zus. u. ber. nach Stat. BA., Bevölkerung und Wirtschaft 1872-1972, Wiesbaden 1972, S. 139ff.
Die relative Stabilität der Quote ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sich in diesem Jahrhundert kapitalistischer Entwicklung tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen vollzogen hatten. Dies betrifft mit dem Übergang zum monopolistischen und – nach 1945 – zum in hohem Maße staatlich regulierten, staatsmonopolistischen Kapitalismus die Produktionsverhältnisse insgesamt. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Wirtschaftsabteilungen (Landwirtschaft, Produzierendes Gewerbe, Handel/Verkehr, Dienstleistungen) unterlag starken quantitativen Verschiebungen hinsichtlich ihres sozialökonomischen Gewichts, ihres jeweiligen Arbeitskräfteanteils etc.[31], und in den einzelnen Wirtschaftsabteilungen veränderten sich Arbeit und Arbeitsteilung, Technik und Qualifikationen der Beschäftigten. Zugleich unterlagen die Reproduktions- und Lebensweise der Lohnabhängigen weitreichenden Veränderungen, die auch die soziale Stellung der Frauen, die Struktur der Familien, die Bedingungen von Hausarbeit und Kindererziehung betrafen.
Betrachtet man die Entwicklung der Erwerbsquoten von Männern und Frauen in den hundert Jahren von 1882 bis 1980, so zeigt sich bei den Frauen ein Anstieg von 24 auf knapp 33 Prozent (Tab. 5).
Tab. 5: Erwerbsquoten nach Geschlecht im Deutschen Reich und der BRD 1882 – 1980 (in Prozent)
Tabelle siehe PDF!
Stat. BA, nach: Gesellschaftliche Daten 1982, Bonn 1982, S.109. Erwerbspersonen; ab 1970 Erwerbstätige. Bezug: weibl. Wohnbevölkerung. 1939 Gebietsstand BRD.
Dass die Quote für 1882 aus Erfassungsgründen zu niedrig ausgewiesen wird und damit der Zuwachs von 1882 bis 1907 zu groß ausfällt, war bereits angemerkt worden. Im zwanzigsten Jahrhundert (von 1907 bis 1980) verbleibt diese Quote in der gleichen Größenordnung von 30 bis 33 Prozent – Fortsetzung des in Tab. 3 festgestellten Grundtrends. (Auch hier ist zu berücksichtigen, dass die Kriegsjahre Ausnahmekonstellationen erhöhter Frauenerwerbstätigkeit in der Rüstungswirtschaft sind.)
Nur zwischen 1970 und 1980 zeigt sich ein realer Zuwachs. Darin und in den gegenläufigen Veränderungen bei den Erwerbsquoten von ledigen und verheirateten Frauen deutet sich etwas Neues an. Die Quote der erwerbstätigen ledigen Frauen sinkt seit den 1950er Jahren, insbesondre in den 1960er Jahren. Das ist in erster Linie auf längere Ausbildungszeiten (Schulausbildung; zunehmende Studienquote von Frauen), also wachsende Qualifizierung, zurückzuführen. Der starke Anstieg der Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen drückt sich auch darin aus, dass 1970 absolut doppelt so viele verheiratete Frauen erwerbstätig waren wie 1950; damit kehrte sich das Anteilsverhältnis von verheirateten und ledigen Frauen bei den Erwerbstätigen um.
Auf weitere wesentliche Strukturveränderungen der Frauenerwerbstätigkeit in dieser Periode (weitgehender Abbau der Frauenbeschäftigung in der Landwirtschaft; starke Erhöhung des Anteils der Sphäre der Waren- und Geldzirkulation und des Dienstleistungsgewerbes; starker absoluter und auch relativer Anstieg bei den angestellten Frauen ) kann hier im Einzelnen nicht eingegangen werden. Dabei ist bemerkenswert, dass die Frauenanteile an den Erwerbstätigen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen sich nicht spektakulär verändern – das bedeutet, dass in dieser Phase die Strukturveränderungen der Wirtschaft Männer und Frauen relativ gleichmäßig betreffen.[32]
BRD 1970 bis 2015
Seit den 1970er Jahren steigt der Frauenanteil an den abhängig Beschäftigten kontinuierlich und deutlich an (Tab. 6). Er lag 1960/1970 bei etwas über einem Drittel (vgl. Tab. 4, Erwerbspersonen) und erreicht 2015 annähernd, wenn auch noch nicht ganz, die Hälfte der abhängig Beschäftigten. Die Wachstumsrate pro Jahrzehnt steigt von 1,5 Prozent (1950 bis 1970) auf annähernd das Doppelte (1970 bis 2010).[33] Insgesamt erhöht sich der Frauenanteil an den abhängig Beschäftigten in den 45 Jahren zwischen 1970 und 2010 um fast 14 Prozent, ein Zuwachs, wie es ihn vorher nicht gegeben hat.
Tab. 6: Frauenanteil an den abhängig Beschäftigten (Erwerbstätige) in der BRD 1970 – 2015
Tabelle siehe PDF !
Quelle: Eig. Ber. n. Stat. BA/Destatis 2017, Mikrozensus-Daten
(https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/12211-0006)
Das gleiche Bild zeigt sich bei der Erwerbstätigenquote der Frauen (Tab. 7; Bezug: gleichalterige Wohnbevölkerung). Sie erreichte Anfang der 1960er Jahre mit 47 Prozent gerade die Hälfte der Quote der Männer (über 90 Prozent). Sie ging in den 1960er Jahren leicht zurück und stieg dann seit den 1970er Jahren bis auf etwa 54 Prozent in der alten BRD (1990) an. Zwischen 2000 und 2015 nahm sie weiter um fast 13 Prozent zu. Die seit den 1970er Jahren im Gegensatz dazu deutlich rückläufige Erwerbstätigenquote der Männer fiel von annähernd 90 auf unter 80 Prozent 1990. Seit 2000 bewegt sie sich zwischen 73 und 78 Prozent.
Tab. 7: Erwerbstätigenquoten nach Geschlecht in der BRD und Deutschland 1960 – 2015 (in Prozent)
Tabelle siehe PDF!
Quelle: Stat. BA. Bezug: Erwerbstätige in Prozent der gleichaltrigen Wohnbevölkerung.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erwerbstätigenquote der Frauen in Ostdeutschland 1991, unmittelbar nach Anschluss der DDR, mit 66,7 Prozent gegenüber 54,6 Prozent im Westen weitaus größer war. Sie lag in der DDR in einer Größenordnung, die sie in der BRD nach 1990 erst 2010 erreichte. Die Ost-West-Differenz verminderte sich auf 2,7 Prozent 2010 bzw. etwa 1 Prozent 2015. (Stat. BA, Mikrozensus-Daten).
Die seit dem 19. Jahrhundert relativ stabile Differenz zwischen der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen hat sich mithin seit den 1970er Jahren stark vermindert. Der Frauenanteil an den abhängig Beschäftigten ist von etwas über einem Drittel auf annähernd die Hälfte gestiegen. Die Gender-Differenz bei der Erwerbstätigenquote, die 1970 fast 42 Prozent ausmachte, ging sukzessive auf etwa 25 Prozent 1990 (alte BRD) zurück und hat sich seitdem in jedem Jahrzehnt um etwa 5 Prozent weiter vermindert. 2015 betrug sie noch etwa 8 Prozent.
Beide Kennziffern verschleiern jedoch einen entscheidenden Aspekt. Die Zunahme der weiblichen Erwerbsbeteiligung erfolgte in hohem Maße nicht als Vollzeit-, sondern als Teilzeiterwerbstätigkeit (Tab. 8).
- In den 25 Jahren zwischen 1991 und 2015 wächst die Zahl der abhängig Erwerbstätigen um rd. 2 Mio. oder 6 Prozent. Einem Rückgang um rd. 910 Tsd. bei den Männern steht ein Zuwachs von annähernd 3 Mio. erwerbstätiger Frauen gegenüber.
- Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten verdoppelt sich zwischen 1991 und 2015 von 4,7 auf 10,3 Mio.; der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen abhängig Erwerbstätigen steigt von 14 auf fast 29 Prozent. In der gleichen Zeit geht die Zahl der Vollzeitbeschäftigten um etwa 12 Prozent zurück.
- Der Zuwachs beträgt bei den teilzeitbeschäftigten Frauen etwa 4 Mio. Beschäftigte, bei den teilzeitbeschäftigten Männern 1,6 Mio. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigung macht bei den Frauen 1991 ca. 30 Prozent aus und steigt bis 2015 auf 48 Prozent, also auf annähernd die Hälfte. Bei den Männern ist er 1991 mit 2 Prozent fast zu vernachlässigen und beträgt 2015 knapp 11 Prozent – fast 90 Prozent der Männer arbeiten also nach wie vor Vollzeit.
Tab. 8: Abhängig erwerbstätige Männer und Frauen nach Voll- und Teilzeitbeschäftigung 1991-2015 (in Tsd. und Prozent)
Tabelle siehe PDF !
Quelle: Destatis, Mikrozensus
Die Umrechnung auf Vollzeitäquivalente[34] für die Jahre 2005-2011 zeigt, dass sich die Differenz im verausgabten Arbeitsvolumen zwischen Frauen und Männern bei steigender weiblicher Erwerbstätigkeit kaum verändert hat.
Trendbruch
Diese Entwicklung wirft zwei Fragen auf. Warum stagnierte die Frauenerwerbsquote (unabhängig von der jeweiligen Berechnungsweise) so lange und warum steigt sie seit den 1970er Jahren?
Wenn man nach Ursachen in den inneren, widersprüchlichen und antagonistischen Interessenstrukturen und Triebkräften des Akkumulations- und Vergesellschaftungsprozesses sucht, so drängen sich m.E. folgende Argumente auf:
1.) Offenbar stellte, solange in der Phase der kapitalistischen Industrialisierung und der extensiv erweiterten Reproduktion andere – innere und äußere – Quellen der Arbeitskräftemobilisierung für den Sektor kapitalistischer Erwerbs-/Lohnarbeit noch nicht erschöpft waren, die Quote von etwa einem Drittel des Potentials der weiblichen erwerbsfähigen Bevölkerung eine Grenze dar, die vor dem Hintergrund der festgefügten geschlechterspezifischen Arbeitsteilung (und sonstiger demographischer wie sozialer Verhältnisse) gebildet wird durch die Arbeitsanforderungen der privat organisierten, familialen Reproduktion: insbesondere Geburt und Betreuung der Kinder, alltägliche Regeneration der Lebenskraft und des Arbeitsvermögens beider Geschlechter. Diese familialen, für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses essentiellen Tätigkeiten absorbieren ein großes gesellschaftliches Arbeitsquantum, erbracht von Frauen außerhalb des Erwerbslebens, deren Arbeitskraft damit nur eingeschränkt auf dem Arbeitsmarkt verfügbar ist, die daher nicht oder nur zeitweilig (in bestimmten Lebensphasen) als Erwerbstätige in der Statistik auftauchen und dies zumeist nur in Bereichen mit geringeren Qualifikationsanforderungen. Die oben registrierten zeitweiligen Überschreitungen dieser Quote der Erwerbstätigkeit von etwa einem Drittel werden in gesellschaftlichen „Ausnahmesituationen“ (Aufrüstung, Krieg) erzwungen durch ökonomische und außerökonomische Gewalt (materielle Not und Förderung; Leitbildwechsel und Aufhebung ideologischer Schranken; Zwangsverpflichtungen).
Innere und äußere Quellen für die Rekrutierung zusätzlicher Lohnarbeit stellen in dieser langen Phase neben den Erwerbslosen in erster Linie die agrarische Bevölkerung, die „mithelfenden Familienangehörigen“, dar, außerdem der externe (exterritoriale) Zuzug von Arbeitskräften (von wandernden Saisonarbeitern bis zu „Gastarbeitern“, Abwerbung und Abwanderung aus der DDR bis 1961 usw.). Damit korrespondiert die sehr viel höhere Erwerbstätigkeitsquote der (zumeist jungen) ledigen Frauen gegenüber der der verheirateten, wobei die Quote letzterer durchgehend eine ansteigende Tendenz hat.[35] Eine weitere „innere“ Quelle sind Umschichtungen innerhalb des mobilisierten weiblichen Arbeitskräftepotentials zwischen den Wirtschaftsbereichen zugunsten der dynamischen Sektoren (auch hier: Abbau von Beschäftigung im Agrarsektor, Rückgang von persönlichen Diensten etc. zugunsten industriell-gewerblicher und „tertiärer“ Beschäftigungsfelder).
2.) Der Nachkriegskapitalismus bringt ein ganzes Bündel von Veränderungen, die nicht zuletzt die o.a. „demographischen und sonstigen sozialen Verhältnisse“ betreffen. Dazu nur Stichworte. Mit dem „fordistischen Konsumkapitalismus“ werden langlebige (Haushalts-)Konsumgüter („Elektrifizierung des Haushalts“) auch für Lohnabhängige verfügbar, die die familiale Reproduktionsarbeit erleichtern und der Tendenz nach das für sie erforderliche gesellschaftliche Arbeitsquantum reduzieren. Zugleich werden damit starke Anreize für zusätzliche Erwerbstätigkeit von Frauen gesetzt.[36] Der Arbeitskräftebedarf für die Ausweitung des Akkumulationsprozesses zwingt zur Suche nach neuen Arbeitskraftquellen. Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte ist nur eine Reaktion. Da mit zunehmenden Ausbildungszeiten das Erwerbstätigkeitspotential junger Frauen relativ zurückgeht, wächst die Bedeutung der zunehmenden Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen. Hier werden rechtliche Schranken beseitigt. Von Belang sind auch demographische Faktoren (Rückgang der Geburtenhäufigkeit seit den 1960er Jahren), die Auflösung von Familienstrukturen (Zunahme der Single-Haushalte). Mit den wachsenden Möglichkeiten wuchsen zugleich die antipatriarchalen Ansprüche der Frauen, was sich in kulturellen Veränderungen, dem Aufschwung der Frauenbewegung und Veränderungen in staatlicher Politik niederschlug.
Mit dem Übergang zur intensiv erweiterten Reproduktion in den Kernbereichen der Wirtschaft (Indikatoren sind ein deutlicher Anstieg der Kapitalintensität bei rückläufigem Arbeitsvolumen in Arbeitsstunden/a und steigendem BIP) in den 1960er/1970er Jahren, der Verknappung an Arbeitskräfteressourcen (wachsende Schere zwischen offenen Stellen und Erwerbslosen) und zunehmendem Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften für die Produktions- wie Reproduktionssphäre (Bildungs- und Gesundheitswesen usw.)[37] steigen auch die Frauenerwerbsquote und die primär weibliche Teilzeitarbeit an (Tab. 7 und 8).
Dies ist zugleich die Umbruchphase zum Aufstieg des Neoliberalismus als Reaktion auf die sozialpolitischen Kräfteverhältnisse und die Krise 1974/75, verbunden mit einer massiven Aktivierung der Konkurrenz in der Gesellschaft und unter den abhängig Beschäftigten. Von einer Gleichstellung von Frauen und Männern kann nicht die Rede sein.[38] Der gewerkschaftliche Organisationsgrad von Frauen und Teilzeitbeschäftigten ist nach wie vor niedrig. Zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen bedeutet insofern keineswegs automatisch größere Kampfkraft; patriarchalische Familien- und Geschlechterbilder mögen angekratzt sein; nachhaltig erschüttert sind sie sicher noch nicht.
[1] Vgl. z.B. Jörg Meyer (Hrsg.), Arbeiten und Feminismus. Gespräche mit Christiane Benner u.a., Hamburg 2017; Christine Franz u.a., Arbeitszeiten von Frauen: Lebenslaufperspektive und europäische Trends, WSI-Mitt. 8/2012, S. 601ff; Doppelt belastet bis zur Erschöpfung, Böckler-Impuls 4/2014; Die Entgeltlücke, metallzeitung März 2017; Ingrid Artus u.a., Sorge-Kämpfe. Auseinandersetzungen um Arbeit in sozialen Dienstleistungen, Hamburg 2017.
[2] Vgl. u.a. Jürgen Kuczynski, Das Entstehen der Arbeiterklasse, München 1967, S. 137ff.
[3] Der Zensus von 1841 ergibt für England und Wales 1,1 Mio. Beschäftigte im Textil- und Bekleidungsgewerbe bei 1,8 Mio. Industriebeschäftigten insgesamt. Die Frauenquote in der Textilindustrie wird für 1838 mit über 55 Prozent angegeben (Männer: knapp 23, Kinder/Jugendliche 22 Prozent). Jürgen Kuczynski, Darstellung der Lage der Arbeiter in England von 1760 bis 1832, Berlin 1964, S. 99ff. („Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus“, Bd. 23).
[4] Kuczynski 1967, 210ff. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, München 1987, S. 614ff.; Zur Branchenentwicklung ab 1800 Friedrich-Wilhelm Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd. 2, Paderborn 1996, S. 447ff.
[5] Vgl. u.a. Ute Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen: Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1978; Angelika Willms, Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit im Deutschen Reich: eine historisch-soziologische Studie, Nürnberg 1980; Heidi Rosenbaum, Formen der Familie. Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozialstruktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1982; Walter Müller, Angelika Willms, Johann Handl, Strukturwandel der Frauenarbeit 1880-1980, Frankfurt/New York 1983; Stefan Bajohr, Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945, Marburg 1984 (2.A.); Angelika Willms-Herget, Frauenarbeit. Zur Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt, Frankfurt/New York 1985; Ulla Knapp, Frauenarbeit in Deutschland, 2 Bde., München 1986; Marianne Friese, Frauenarbeit und soziale Reproduktion. Eine Strukturuntersuchung zur Herausbildung des weiblichen Proletariats im Übergangsprozeß zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, dargestellt an der Region Bremen, Bremen 1991; Claudia S. Weber, Die Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland. Entwicklung von der Industrialisierung bis heute, Saarbrücken 2006; Jürgen Kocka, Arbeiterleben und Arbeiterkultur. Die Entstehung einer sozialen Klasse, Bonn 2015.
[6] Zum Zusammenhang von politisch-ökonomischer und historischer Kapitalismusanalyse vgl. die entsprechenden Bemerkungen im Vorwort zur ersten Auflage des Kapital, Bd. 1, MEW 23, S. 12/15.
[7] Sh. Hans Mottek, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, Bd. II, Berlin 1969, passim, bes. S. 221ff.; Henning 1996, Bd. 2, S. 743ff.
[8] Rosenbaum 1982, S. 155f.; Friese 1991, S. 122ff.
[9] Rosenbaum 1982, 229f.; Friese 1991, S. 178f.
[10] Vgl. Rosenbaum 1982, im Detail zu Arbeitsteilung, häuslichem Status der Geschlechter und den patriarchalischen Verhältnissen in den Bauernfamilien: S. 79ff, bei Handwerkern: S. 153ff. Sh. auch Margarete Tjaden-Steinhauer, Karl Hermann Tjaden, Gesellschaft von Rom bis Ffm. Studien zu Subsistenz, Familie, Politik, Bd. 2, Kassel 2001, S. 226ff, 233ff.
[11] Gerhard 1978, S. 33ff. „Daran zeigt sich im übrigen, daß das Patriarchat nicht auf die Eigentumsverhältnisse reduziert werden kann, sondern daß es sich bei beiden um unterschiedliche Strukturen handelt, die sich gegenseitig verstärken können…“ Rosenbaum 1982, S. 154.
[12] Rosenbaum 1982, S. 406. „Die Maxime ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ konnte unter diesen Bedingungen keinen Nährboden finden.“
[13] Vgl. Mottek 1969, 221ff.; Kocka 2015, 228-237, mit Verweis auf die neuere Literatur. Die regionalen und branchenbezogenen Unterschiede sind sehr ausgeprägt. Für die Fabrikarbeiterschaft in Württemberg (Esslingen u.a.) war z.B. das proletarisierte Handwerk Hauptrekrutierungsbasis; die bäuerliche Bevölkerung spielte für die dortige Textilindustrie keine Rolle, wohl aber für die Metallbetriebe (Maschinenbau). Peter Borscheid, Textilarbeiterschaft in der Industrialisierung. Soziale Lage und Mobilität in Württemberg (19. Jahrhundert), Stuttgart 1978, S. 307ff.
[14] Lothar Baar, Die Berliner Industrie in der industriellen Revolution, Berlin 1966, S. 171ff.
[15] Friese 1991, S. 198; Willms 1980, S. 37, 175. In der württembergischen Baumwoll- und Wollspinnereien, wo Frauenarbeit (1858 waren 42 Prozent der Beschäftigten Frauen, 21 Prozent Kinder) fast nur von unverheirateten jungen Mädchen verrichtet wurde, traten die meisten Jugendlichen nach der Schulentlassung in die Fabrik ein und verließen sie wieder mit 18, höchstens 20 Jahren, um Dienstboten zu werden. Borscheid 1978, S. 176, 371.
[16] Friese 1991, S. 130 Verallgemeinernd: „Diese Doppelarbeit der Frau, ihre gleichzeitige Einbindung in Produktion und Reproduktion, wird das entscheidende Strukturmerkmal des weiblichen Proletariats sein. Diese Doppelarbeit und mit ihr die ‚doppelte Vergesellschaftung‘ unterscheidet die Proletarierin von der Bürgerin und vom Proletarier zugleich.“ Ebd., S. 131.
[17] Vgl. Winfried Schwarz/Alma Steinberg, Der historische Charakter des Patriarchats. In: Patriarchat & Gesellschaft, Frankfurt/M. 1985, S. 51ff. „Beseitigung der Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft“ ist, so Engels, eine der beiden Voraussetzungen der Befreiung der Frau. Ders., Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, MEW 21, S. 76.
[18] Rosenbaum 1982, S. 439.
[19] Die Erwerbsquote einer sozialen Gruppe gibt den Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) dieser Gruppe an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wieder; bei historischen Daten ist neben unterschiedlicher statistischer Abgrenzung der erfassten Erwerbspersonen-Gruppen auch die unterschiedliche Altersbegrenzung zu beachten. Die Erwerbstätigkeitsquote berücksichtigt nur Erwerbstätige, nicht Erwerbslose.
[20] Zur Statistik Preußens und des Zollvereins: A. Hesse, Gewerbestatistik, Jena 1914 (2.A.), S. 100ff.; zu den Gewerbezählungen vor der Reichsgründung (Zollverein) und den Gewerbe- und Berufszählungen im Deutschen Reich und der BRD: Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin u.a. 1965, S.182ff., sowie Willms 1980, Anhang zur Entwicklung der Berufsstatistik in Deutschland. Eine kommentierte Zusammenstellung der älteren Erhebungsdaten bietet: Statistische Bundesamt, Bevölkerung und Wirtschaft 1872 – 1972, Stuttgart u.a. 1972.
[21] Zit. n. Gerhard 1978, S. 196. Die im Jahrbuch für die amtliche Statistik Preußens aufgeführten Daten (für 1816, 1822, 1846, 1849, 1852, 1858 und 1861) weisen aus Erhebungsgründen mancherlei Mängel auf, doch sind ansonsten kaum überregionale Daten verfügbar. Zur Kritik vgl. z.B. Werner Conze, Vom „Pöbel“ zum „Proletariat“ (1954), in: H.-U. Wehler (Hrg.), Moderne Deutsche Sozialgeschichte, Köln, Berlin 1970, S. 111 ff.; Walter Becker, Die Bedeutung der nichtagrarischen Wanderungen für die Herausbildung des industriellen Proletariats in Deutschland, unter besonderer Berücksichtigung Preußens von 1850 bis 1870, in: H. Mottek u.a., Studien zur Geschichte der industriellen Revolution in Deutschland, Berlin 1960, S. 209ff.
[22] Kuczynski 1963, S. 104.
[23] Ebd., S. 106. Zur Entwicklung des geschlechtsspezifisch segmentierten Arbeitsmarkts: Willms-Herget 1985.
[24] Man kann die preußischen Daten trotz der unterschiedlichen Erhebungsverfahren in etwa mit der Berufszählung 1882 im Deutschen Reich vergleichen. Sie ergab für das Produzierende Gewerbe und Handel/Verkehr eine etwas höhere Frauenquote an den Erwerbstätigen von 17,9 Prozent (Preußen 1875: 16,3 Prozent). Ber. nach Statistische Bundesamt 1972, S. 142 und 145.
[25] Knapp 1984, Bd. 2, S. 647. Die in den Berufszählungen des Deutschen Reiches zwischen 1882 und 1933 erhobenen Erwerbspersonen wurden um Selbständige und Mithelfende Familienangehörige bereinigt und die erhaltenen Werte in Beziehung zu den Personen im erwerbsfähigen Alter gesetzt.
[26] Als erwerbsfähiges Alter gilt 1882: 15 bis unter 70 Jahre; 1895: 16 bis unter 70 Jahre; 1907: 14 bis unter 70 Jahre; 1925 – 1939: 14 bis unter 65 Jahre.
[27] Angaben nach Willms 1980 (1,5-8) und IMSF, Klassen- und Sozialstruktur der BRD 1950 – 1970, Teil II, Sozialstatistische Analyse, 2. Halbband, Frankfurt am Main 1974, S. 181-228. Willms geht von der Berufszählung (BZ) 1882 aus, IMSF (2-4) bezieht die BZ 1882 auf die Volkszählungsdaten (VZ) von 1880; die Daten für 1939 beziehen sich bei Willms auf das damalige Deutsche Reich, beim IMSF zwecks besserer Vergleichbarkeit mit den Daten für 1950-1970 auf den Gebietsstand der BRD ohne Westberlin. 5: Großstädte mit 100 Tsd. und mehr Einwohnern. 7 nicht-familiale Arbeitsverhältnisse: außerhäusliche, marktvermittelte Arbeitsverhältnisse (vgl. Willms 1980, S. 14ff, 40ff.) 8: Männer 1939 ohne Dienstverpflichtete (Militär, „Arbeitsdienst“, ca. 4,4 Prozent).
[28] Vgl. Kuczynski 1963, S. 204: „Der Prozentsatz der erwerbstätigen Frauen stieg selbstverständlich von 1882 bis 1907. Aber der Sprung in den 18 Jahren von 1907 bis 1925 war mindesten so groß wie in dem Vierteljahrhundert von 1882 bis 1907.“ Hoffmann 1965, S. 182ff., schätzt, dass 1882 und 1895 ca. 1,4 bzw. 1,5 Mio. mithelfende Familienangehörige in der Land- und Forstwirtschaft in der Statistik nicht erfasst wurden. Willms 1980, S. 34*, konstatiert daher, es sei „kaum möglich, gesicherte Aussagen über die Anteile der Frauen an den Mithelfenden in Landwirtschaft und Handwerk vor 1907 zu machen“. Die adäquatere Erfassung der Mithelfenden zeigt sich auch bei dem deutlichen statistischen Anstieg der Frauenerwerbsquote. Die Daten in Tab. 2 sind von diesem Problem nicht berührt, da dort die mithelfenden Familienangehörigen nicht enthalten sind.
[29] Der Quotenunterschied zwischen der Zusammenstellung von Willms (1) und dem IMSF (2) dürfte auf dem unterschiedlichen Gebietsstand beruhen, der in den jeweiligen Berechnungen zugrunde gelegt wurde.
[30] Zum Vergleich: Der Frauenanteil an den Beschäftigten im – früher – industrialisierten England (Zensusdaten) wird für 1841 mit 26 Prozent, für 1851, 1861 und 1871 mit 30 bzw. 31 Prozent angegeben, für 1901 mit 29 Prozent. Er pendelt in dieser Periode also um 30 Prozent. Vgl. J. Kuczynski, Darstellung der Lage der Arbeiter in England von 1832 bis 1900, Berlin 1965 („Geschichte der Lage…“, Bd. 24) , S. 113 und 188. Die „Frauenindustrien“ sind in allen Jahren die Textil- und die Bekleidungsindustrie. 1911-1931 liegt der Frauenanteil an den Beschäftigten weiterhin zwischen 29 und 30 Prozent; nach 1950 beginnt er langsam zu steigen (1951: 30,8, 1961 33,8 Prozent). J. Kuczynski, Darstellung der Lage der Arbeiter in England von 1900 bis zur Gegenwart, Berlin 1965 („Geschichte der Lage…“, Bd. 25), S. 76. Die Größenordnungen sind also durchaus vergleichbar.
[31] Einer der klassischen Sektoren der Frauenerwerbstätigkeit, die Textil-, Bekleidungs- u. Lederindustrie, hatte 1882 den mit weitem Abstand höchsten Anteil an den Industriebeschäftigten im Deutschen Reich von 40,8 %; danach kam die Nahrungs- u. Genußmittelindustrie – ebenfalls ein Bereich überdurchschnittlich hoher Frauenbeschäftigung – mit 14,2 %, zusammen 55 % aller Industriebeschäftigten. Der Anteil beider Branchen fällt innerhalb von hundert Jahren auf 14,7 Prozent (1982; 1950: 33,4 %). Vgl. H. Bömer/U. Bohnenkamp, Regionalentwicklung der Wirtschaftsstruktur und Arbeiterklasse, in: Marxistische Studien. Jahrb. d. IMSF 6, 1983, S. 112f. Die Frauenquote hat sich in beiden Branchen zwischen 1882 und 1982 mehr als verdoppelt: Sie lag in der Textil-, Bekleidungs- u. Lederindustrie 1882 bei 34,1, 1950 bei 58,4 und 1982 bei 67,1 %; in der Nahrungs- u. Genußmittelindustrie 1882 bei 12,1, 1950 bei 35,2 und 1982 bei 42,4 %. Vgl. Werner 2006, S. 54.
[32] Vgl. dazu IMSF 1974, Bd. 2/2, S. 181-228 für die Jahre 1950 bis 1970.
[33] Der DDR-Anschluss bewirkt auf Grund der höheren Frauenerwerbstätigkeit in der DDR eine zusätzlichen „Sprung“ um 1,8 Prozent. Dis gilt auch für die Erwerbstätigenquote (vgl. Tab. 7, Sprung um 2 Prozent). In den folgenden Jahren hat die weitreichende Deindustrialisierung Ostdeutschlands jedoch eine gewisse Abschwächung des Zuwachses des Frauenanteils an den abhängig Beschäftigten zur Folge.
[34] D.h. die Zahl der auf Normalarbeitszeit umrechneten Beschäftigungsverhältnisse; vgl. Dominik Asef u.a., Statistische Messung des Arbeitseinsatzes, in: Wirtschaft und Statistik H.11/2011, S. 1058-1064.
[35] Sh. Willms 1980, S. Tab. 11, S. 84 für 1882 bis 1939; IMSF 1974, S. 184-206, 223-228.
[36] Hauptmotiv für die Arbeitsaufnahme von verheirateten Frauen ist in der gesamten Geschichte des deutschen Kapitalismus das unzureichende Einkommen der erwerbstätigen Männer. „Unzureichend“ gemessen am jeweiligen historischen Niveau der Reproduktionskosten, dem „moralischen“ Element. Hier kann auf die lohntheoretische Fragestellung im Einzelnen nicht eingegangen werden („Familienlohn“), der für die Frage der Frauenerwerbstätigkeit jedoch große Bedeutung zukommt.
[37] Der z.B. mit einer Verdoppelung des Studierendenanteils an der gleichaltrigen Bevölkerung zwischen 1965 und 1980 bei stark überdurchschnittlicher prozentualer Zunahme der Studentinnen verbunden ist. Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung setzt sich in dieser Umbruchphase mit der Konzentration des überproportionalen Zuwachses weiblicher Studierender auf die „typisch weiblichen Studienfächer“ fort. Vgl. Gesellschaftliche Daten 1982, S. 66f., 84f.
[38] Vgl. die Beiträge von U. Schumm-Garling, S. Lehndorff, M. Zander und A. Leisewitz in Z 100 (Dezember 2014) „1974-2014 – Epochenumbruch“, S. 91ff., über Klassen-, Geschlechter- und Arbeitsverhältnisse unter den neuen Konkurrenzbedingungen. U. Schumm-Garling in diesem Heft; Meyer (Hrg.), Arbeiten & Feminismus, S. 7ff., 95ff.