Auf dem alljährlichen Branchentreffen der Rückversicherungsunternehmen in Monte Carlo wurde viel über einen „weichen“ Markt diskutiert: Seit 2013 fallen die Preise. Kunden der Rückversicherer sind sogenannte Erstversicherer wie die deutsche Allianz oder die französische Axa. Teilweise sind beide Geschäftsvarianten auch in einem Konzern gebündelt. Grundsätzlich spiegelt das Geschäft der Rückversicherer den gesamten Markt der Assekuranz wider.
Und da gibt es neben sinkenden Preisen durchaus noch andere Trends. Zum einen schwimmen die Konzerne – anders als Europas Großbanken – quasi im Geld. Daten des angesehenen, global aktiven Maklers Aon Benfield zeigen, dass das Angebot in Form von Kapital im ersten Halbjahr noch einmal um 4 Prozent gestiegen ist: Insgesamt stehen inzwischen 585 Milliarden Dollar für Schäden zur Verfügung. Das sind über 70 Prozent mehr als noch im Krisenjahr 2008.[1] International lässt sich also im zurückliegenden Dezennium eine im marxschen Sinne „Konzentration“ von Kapital in der Assekuranz beobachten.
Gleichzeitig – dies ist eine Parallele zu den Banken – drängen neue und teilweise kapitalstarke Anbieter in den an sich lukrativen Markt. Grund sind die Ultraniedrigzinsen der Zentralbanken, die einerseits den Kreditinstituten das „Gelddrucken“ zum Nulltarif erlauben und anderseits die Suche nach höher verzinslichen Anlagen fördern. Die Eindringlinge in den angestammten Markt der Versicherer sind oft kleine, innovative Neugründungen von Firmen, digitale Startups, sogenannte Fintechs (eine Ableitung von „Finanztechnologie“). Diese Neulinge dürften über kurz oder lang in die traditionellen Assekuranzstrukturen integriert werden.
Nachhaltiger dürfte das – im Branchenjargon – „alternative Kapital“ aus Pensions- und Hedgefonds die Branche verändern. Auch solche Unternehmen drängen in das angestammte Geschäft der Versicherer. Inzwischen sollen diese laut Aon Benfield 75 Milliarden Dollar für Versicherungsdeals aufbringen. Es gibt also neben der Konzentration auch eine „Zentralisierung“ von Kapital.
Am Rande sei erwähnt, dass nun wiederum Versicherer neue Geschäftsfelder erschließen oder alte ausdehnen. So brechen sie auch in die Stammlande von Banken und Fonds ein. Beispielsweise ist die Assekuranz ein wichtiger Finanzier von Infrastrukturprojekten. Politisch ist bemerkenswert, dass Versicherer infolge ihrer grundsätzlich langfristigen Anlagestrategie Vorreiter bei „grünen“, nachhaltigen Geldanlagen waren und sind.
Abstieg von Ergo
Die beschriebenen internationalen Trends bewegen meiner Erfahrung nach auch den deutschen Markt. Ein spezieller Fall ist jedoch Ergo. Einst als Hamburg-Mannheimer/Victoria/DKV in Sichtweite des Branchenprimus Allianz, stürzte der Riese ins Mittelfeld der Branche ab. Im Konkreten passierte dies infolge eklatanter Managementschwächen. Ergo zeigt aber auch – wie ehedem der Niedergang des Elektrokonzerns AEG – dass Kapitalstärke allein nicht vor Ungemach bewahrt. Ergo gehört dem weltgrößten Rückversicherer, Munich Re. Am fehlenden Geld liegt es also nicht.
Das Wachstum der Erstversicherer in Deutschland wie Ergo, Allianz oder die italienische Generali wird seit einigen Jahren gebremst durch einen gesättigten Markt. Die Alterung der Gesellschaft oder die niedrigen Zinssätze, welche den früheren Bestseller „Lebensversicherung“ für Anbieter und Kunden unattraktiv gemacht haben und andere Faktoren erschweren das Tagesgeschäft.
„Und wieder ein paar Versicherer weniger“, titelte jüngst ein Branchenblatt. Zuletzt waren einige Lebensversicherer von der Assekuranzlandkarte verschwunden; 2016 hat es dann diverse Schaden-/Unfall- und Rechtsschutzversicherer erwischt. Laut dem „Bafin-Journal September 2016“ hat die Aufsicht in diesem Jahr eine ganze Reihe von Verschmelzungen und Vermögensübertragungen genehmigt. Ein Trend, der seit längerem wirkt. Mal mehr, mal weniger dynamisch. Seit 1980 sank die Anzahl der Versicherungsunternehmen in Deutschland von 809 auf 539 (2015).[2]
Insofern findet eine sogenannte Konsolidierung der Branche, eine Zentralisierung, statt. Allerdings sind davon lediglich kleinere Unternehmen oder bestimmte Geschäftsbereiche wie die klassische Kapital-Lebensversicherung betroffen, deren beste Zeiten aufgrund veränderter Rahmenbedingungen vorbei sind.
Drei Säulen
Der Anteil der zehn größten Unternehmen an den Beitragseinnahmen aller Versicherungsunternehmen hatte in der Spitze über 60 Prozent betragen. Seit 2010 sank der Anteil laut Monopolkommission auf unter 60 Prozent.[3] In der Kommission schätzt man diesen Konzentrationsgrad nicht als besonders hoch ein und verweist beispielsweise auf den weit höheren im Lebensmitteleinzelhandel. Zudem seien die Versicherungsmärkte offen für neue Anbieter.
Generell profitiert der Wettbewerb in Deutschland von den drei Säulen, auf denen die Branche ruht. Wie bei den Banken gibt es ein Dutzend öffentliche Versicherer wie etwa die Provinzial, die besonders regional verankert sind und mit den Sparkassen zusammenarbeiten. Laut Angaben des Verbandes VOEV beträgt der Marktanteil der öffentlichen Versicherungsgruppen über 11 Prozent.
Noch größere Dimensionen erreichen die 60 genossenschaftlich organisierten Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. wie die R+V-Versicherung. Sie wirken im Verbund mit den Volks- und Raiffeisenbanken. Genossenschaftliche und öffentliche Versicherer gibt es vielen Ländern. In Deutschland scheinen sie aber besonders stark zu sein.
Im selben Zeitraum seit 1980 stieg der Kapitalanlagenbestand der Erst- und Rückversicherer in Deutschland von rund 126 auf 1.509 Milliarden Euro (2015). Damit wuchs das den Versicherern zur Verfügung stehende Kapital drei Mal schneller als das deutsche Bruttoinlandsprodukt.
Allerdings spielen Sonderfaktoren wie die Integration der Versicherungen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik, die teilweise Privatisierung der Renten- und Krankenversicherung oder der steile Anstieg der Aktienkurse an den Börsen seit 2012 eine gewichtige Rolle. Und um die Höhe des Kapitalanlagebestandes von rund 1,5 Billionen Euro weiter zu relativieren, sei darauf hingewiesen, dass die deutschen Investmentfondsgesellschaften fast den doppelten Betrag verwalten.
Der wesentliche „Vorteil“ der Versicherer gegenüber Fonds, aber auch Banken, ist freilich deren Nachhaltigkeit. Anleger können ihr Geld aus einem Investmentfonds jederzeit abziehen – die an eine Versicherung gezahlten Beiträge liegen meist auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte fest.
Inzwischen stagnieren die Ausgaben der Verbraucher, wenngleich auf hohem Niveau. Im Schnitt gab ein Bundesbürger im vergangenen Jahr 2.371 Euro für Versicherungspolicen aus – ein Euro weniger als im Vorjahr. Die Deutschen liegen damit deutlich über dem kontinentalen Schnitt. In der Summe enthalten sind auch die Ausgaben für Schaden-, Unfall- und Krankenversicherungen. Etwa die Hälfte der Beiträge der deutschen Verbraucher fließt in „kapitalbildende“ Verträge.[4]
Verfügung über Kundengelder
Aus beiden Sparten „Sachversicherung“ und „Leben“ konnten die Unternehmen in den zurückliegenden Jahrzehnten einen erheblichen Kapitalstock bilden. Dieser gehört zwar rechtlich weitgehend den Kunden. Die „Kundengelder“ stehen den Konzernen aber für ihre Anlagestrategien zur Verfügung.
Die Anlagemöglichkeiten der Assekuranz sind allerdings vom Gesetzgeber in Deutschland stark reguliert worden. So sind riskante Investitionen, selbst in Aktien, nur in geringem Umfang möglich. Versicherer im angelsächsischen Raum haben hier mehr Spielraum. Sie sind aber ebenfalls nicht so frei in ihren Anlageentscheidungen wie etwa Banken und Fondsgesellschaften.
Zum verfügbaren Kapital der Versicherer gehört zweitens auch das im engen Sinne eigene Kapital („Eigenkapital“). Dies ist ökonomisch betrachtet zwar der harte Kern des Kapitals. Quantitativ ist es aber die kleinste Größe.
Drittens wirken viele Versicherer als Kapitalsammelstelle und Vermögensverwalter. Das prominenteste Beispiel ist Pimco. Die „Pacific Investment Management Company“ gehört der Allianz. Die US-amerikanische Investmentgesellschaft zählt zu den wichtigsten ihrer Branche.
In Zahlen: Der Allianz-Konzern verfügt über ein Eigenkapital von rund 60 Milliarden Euro. Insgesamt beträgt das von der Allianz SE verwaltete Vermögen jedoch umgerechnet 1.763 Milliarden Euro. Davon sind „nur“ 487 Milliarden Euro Vermögen des Allianz-Konzerns (Kundengelder plus Eigenkapital). Vom gesamten verwalteten Vermögen entfiel der mit Abstand größte Teil, nämlich 1.276 Milliarden Euro, auf das für Dritte verwaltete Vermögen.[5]
Rund drei Viertel des Drittvermögens der Allianz werden von Pimco gemanagt. Dazu bedarf es laut Firmenangaben lediglich 2.300 Beschäftigte. Weit arbeitsintensiver ist das eigentliche Versicherungsgeschäft. Im Konzern arbeiten weltweit mehr als 140.000 Menschen. Die Allianz SE und ihre Konzernunternehmen bieten in über 70 Ländern Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Schaden- und Unfallversicherung, Lebens- und Krankenversicherung sowie „Asset Management“ (Vermögensverwaltung) an. Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit ist Europa.
Systemrelevante Allianz
Dass dies gewaltige Dimensionen sind, ist offensichtlich. Doch was sagt uns dies darüber hinaus? Weltweit betreut die Allianz rund 80 Millionen Kunden – was in etwa der Zahl der Bundesbürger entspricht. Daher sei der Äpfel-Birnen-Vergleich mit dem Haushalt der Bundesregierung erlaubt: Dieser beträgt für das Jahr 2016 rund 317 Milliarden Euro, während die Allianz über 1.763 Milliarden Euro verfügt.
Bedeutender ist womöglich der Hinweis auf die sogenannte Systemrelevanz. Gemeint sind damit Konzerne, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Größe und ihrer globalen Verflechtungen das weltweite Finanzsystem gefährden könnten, wenn sie in existentielle wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.
Die Gruppe der zwanzig größten Industrie- und Schwellenländer (G 20) hat den Finanzstabilitätsrat FSB („Financial Stability Board“) damit beauftragt, Lösungsvorschläge für das „Too Big to Fail“-Problem zu machen. Zunächst standen die Banken im Fokus des Rats. Sie hatten 2007/2008 maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die amerikanische Immobilienblase zu einer weltweiten Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise auswuchs. Die global systemrelevanten Banken haben laut Bundesfinanzaufsicht Bafin, um ihre Verlusttragfähigkeit zu erhöhen, ihr hartes Kernkapital mittlerweile um rund 500 Milliarden US-Dollar aufgestockt. Dies taten allerdings vor allem amerikanische und asiatische Banken, weniger die europäischen.
Bei den Versicherern mit ihrem ganz anders gearteten Geschäftsmodell steckt die Lösung des „Too Big to Fail“-Problems, gemessen an den Banken, noch in den berühmten Kinderschuhen. In der Finanzkrise kam es weltweit lediglich zu einer größeren Fast-Pleite. Die US-Regierung rettete die American International Group 2008 durch eine zeitweise Teilverstaatlichung. AIG gehörte damals noch zu den drei größten Versicherungskonzernen weltweit.
Im Regelfall werden Probleme einzelner Versicherer branchenintern und geräuschlos geregelt. In der Bundesrepublik gab es daher nur einen einzigen Pleitefall, im Jahr 2003 die (kleine) Mannheimer Lebensversicherung AG. Damals gründete die Branche eine Sicherungseinrichtung, die nun die Altverträge abwickelt und notfalls bereitstünde, weitere Versicherer – genauer: ihre Verträge – zu retten.
Der Finanzstabilitätsrat FSB schätzt die Zahl der riskanten Versicherer niedriger ein als bei den Banken. Die Liste der „Global Systemically Important Banks“ (G-SIBs) umfasst 30 Geldinstitute. Systemrelevante Versicherer (Global Systemically Important Insurers – G-SIIs) wurden dagegen lediglich neun ausgemacht, darunter Allianz und die französische Axa.
Weltweit wie Deutschland
International lassen sich die gleichen Prozesse wie in Deutschland beobachten. Im zurückliegenden halben Jahrhundert wuchsen die Versicherer als Kapitalsammelstelle erheblich. So nahmen die Erstversicherer in den Vereinigten Staaten im Jahr 1980 Beiträge von rund 190 Milliarden Dollar ein – 2015 waren es dann mehr als 1.316 Milliarden Dollar.[6]
Den immer größeren Kuchen dürften sich in den meisten Industrieländern weniger, dafür aber größere Versicherer teilen. Gleichzeitig sind diese internationaler geworden.
Dagegen ist die „Allfinanz“ aus der Mode gekommen. Damit war der Zusammenschluss von Banken und Versicherern gemeint. So hatte die Allianz im Jahr 2011 die Dresdner Bank übernommen. Sieben Jahre später verkaufte sie ihre Beteiligung wieder an die Commerzbank. Dennoch gibt es auch heute (personelle) Verflechtungen zwischen den beiden Finanzdienstleistungsbranchen. Und wie in anderen Bereichen der Wirtschaft taucht immer wieder die uralte „maritime“ Diskussion darüber auf, welches Modell profitabler ist: Risikostreuung im Universalkonzern („Tanker“) oder Fokussierung auf Kernkompetenzen („Schnellboot“).
Es gibt zwar in der Branche einen Trend zu „The Winner takes it all“ – so beträgt der Marktanteil des Branchenprimus Allianz in Deutschland in einigen Segmenten bis zu einem Drittel. Dabei hilft, dass Verbraucher größere Unternehmen für sicherer halten. Aber dennoch gibt es viele, auch starke Anbieter auf dem Markt. Eine kartell-, fusions- oder wettbewerbsrechtliche Verzerrung kann ich auf keinem der großen Märkte international erkennen.
Es gibt einen gegenläufigen Trend. Wie bei den Transnationalen Unternehmen (TNC) insgesamt - über welche die Welthandelsorganisation UNCTAD in ihrem „World Investment Report“ seit langem berichtet – nahm die Gesamtzahl der transnationalen Versicherer zu. Dies liegt daran, dass neue Akteure auf neue Märkte vor allem in Asien drängten und sich teilweise auch schon international bewegen. Hier ist vor allem China zu nennen, aber auch Brasilien oder Südkorea. Global wird der Markt aber noch von den Versicherungsgiganten aus Europa und den USA dominiert.
Die Macht der Giganten
Immer größere Kapitalsammelstellen, immer mehr Kapitalsammelstellen. So das Fazit, das wir aus den verfügbaren Materialien ziehen müssen. Die Entwicklung kann von mehreren Seiten betrachtet und bewertet werden.
In der Wirtschaftswissenschaft, auch der linken, ist durchaus umstritten, ob durch Konzentration und Zentralisation die Konkurrenz zu- oder abnimmt. Das eingangs erwähnte Beispiel aus Monte Carlo nährt meine Auffassung, dass diese Prozesse den Wettbewerb unter bestimmten Bedingungen verschärfen können.
Aus Sicht der Verbraucher hat sich „der Markt“ spätestens seit der Öffnung des Europäischen Binnenmarktes Anfang der 1990er Jahre verbessert. Es gibt erhebliche Preisunterschiede und auch bei den Leistungen konkurrieren die Anbieter. Das betrifft vor allem die Sachversicherungen. Bei „Leben“ – also Kapitalanlagen wie in der Altersvorsorge – konkurrieren die Versicherer sogar zunehmend mit anderen Finanzbranchen wie Banken und Fondsgesellschaften.
Grundsätzlich ist dieser Bereich der Finanzdienstleistungen besonders stark reguliert. Gegenüber Politik und Gesellschaft hat die Macht der Versicherer dennoch aufgrund der Kapitalakkumulation zugenommen. Eine verstärkende Wirkung spielt dabei, dass Versicherer weltweit vermehrt Infrastrukturprojekte nicht allein versichern, sondern selber finanzieren.
Insgesamt ist die Branche weiterhin auf ihre klassische Kernkompetenz konzentriert, die Absicherung von finanziellen Risiken des Lebens. Wirtschaftspolitisch sind drei Aspekte von zentraler Bedeutung. Die grundsätzliche Trennung zwischen Banken und Versicherern muss gewahrt bleiben. Das Drei-Säulen-Modell mit öffentlichen und genossenschaftlichen Versicherern ist zu fördern. Die Regulierung der ganz großen Assekuranzkonzerne muss zukünftig eine Antwort darauf geben, wie die Gesellschaft mit der wachsenden Kapitalmacht der Versicherer umgehen will.
[1] Aon Benfield, Reinsurance Market Outlook September 2016, S. 2.
[2] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Statistisches Taschenbuch 2016, Berlin 2016, Tabelle 1.
[3] Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Bonn 2016, S. 156.
[4] Versicherungsjournal.de vom 14.9.2016.
[5] Allianz Konzern, Geschäftsbericht 2015, S. 89/90.
[6] Swiss Re, Sigma Explorer, Oktober 2016.