Betriebliche Konflikte

Im Boxring

Strategisch gegen Gewerkschaftsfeindlichkeit und gespaltene Belegschaften kämpfen

von Thomas Goes/Marcel Thiel
Dezember 2016

Die Sozialpartnerschaft mag als Leitidee in Teilen der Gewerkschaften lebendig sein, in den Geschäftsführungen vieler deutscher Unternehmen ist sie es nicht mehr. Journalistische Untersuchungen (Rügemer/Wiegand 2015) haben ans Tageslicht befördert, was für Belegschaften längst keine Randerscheinung mehr ist, sich möglicherweise sogar „normalisiert“: Versuche, einfachste Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen und/oder einen Tarifvertrag auszuhandeln, treffen auf Abstufungen feindseliger Gegenwehr der Arbeitgeber (AG), seien diese nun organisiert oder spontan, eher subtil oder brachial (Dörre u.a. 2016, 123ff.; Behrens/Dribbusch 2014). In diesen Fällen gleicht der Betrieb einem Boxring. Wer am Ende ausgezählt wird, hängt ebenso vom strategischen Handlungsvermögen wie von der Technik und der Schlagkraft der Akteurinnen und Akteure ab.

Angesichts der medialen Öffentlichkeit, die Themen wie Union Busting und ‚Bossing‘ bisher erlangt haben, ist gewerkschafts- und mitbestimmungsfeindliches Arbeitgeberhandeln erstaunlich unterforscht. Grund genug, um im Weiteren Formen des Arbeitgeberwiderstandes zu rekonstruieren, auf die wir in einer Studie zur Erneuerung von gewerkschaftlicher Organisationsmacht in Ostdeutschland gestoßen sind. In 17 von 21 untersuchten Betrieben fanden wir Schattierungen von Arbeitgeberdruck, der versuchte, betriebliche Mitbestimmung oder Tarifverhandlungen zu ver- bzw. behindern.

Belegschaftsspaltungen sind ein wichtiger Zwischenschritt der Geschäftsführungen, um unliebsame Aktivisten zu marginalisieren und wirksame Interessenpolitik zu verhindern. Voraussetzung dafür ist lediglich ein fruchtbarer Boden in den Belegschaften – solche Spannungen, Konkurrenzbeziehungen, Ängste vor dem Arbeitsplatzverlust oder Loyalitäten dem AG gegenüber sind allerdings eher die Regel als die Ausnahme. Ob aus ihnen offene Spaltungen werden, hängt vom Zutun betrieblicher Aktiver und des AG ab. Auch wenn nicht jedes Agieren des AG antigewerkschaftliche Koalitionen in den Belegschaften nach sich zieht: Wo es gelingt Bündnisse zwischen Führungskräften und Teilen der Belegschaft zu mobilisieren, da stehen sich dann Gruppen von Kolleginnen und Kollegen gegenüber – nicht selten in emotional aufreibenden Auseinandersetzungen. Aber Arbeitgeberwiderstand ist keine unüberwindbare Hürde, wie wir zeigen wollen. Durch strategisches Vorgehen, beteiligende Gewerkschaftsarbeit, kompetente Unterstützung von Seiten hauptamtlicher Gewerkschafter und einen langen Atem in der betrieblichen Auseinandersetzung kann der Aufbau stabiler Organisationsmacht im Betrieb gelingen.

Im Folgenden werden wir verschiedene Formen von Angriffen der AG und des Vorgehens betrieblich Aktiver rekonstruieren, auf die wir gestoßen sind. Wir ergänzen unsere „ostdeutsche Empirie“ durch ein westdeutsches Fallbeispiel. Es verdeutlicht nicht nur die Komplexität betrieblicher Ringkämpfe, sondern auch, dass es sich um kein „Ostproblem“ handelt. Abschließend werden wir einige strategische Handlungsmöglichkeiten bilanzieren, die es erleichtern, Angriffe des AG erfolgreich zu bewältigen.

1. Gewerkschaftsfeindliches Handeln

Im Rahmen des Projekts „Rückenwind für die Gewerkschaften“ (Dörre u.a. 2016) haben wir Fälle des erfolgreichen gewerkschaftlichen Organisationsaufbaus in ostdeutschen Unternehmen untersucht.[1] Wohlgemerkt, es handelte sich fast ausschließlich um ein Positivsampling, in dem gescheiterte BR-Gründungen (bis auf eine Ausnahme) nicht analysiert wurden. In 17 der 21 Betriebsfälle wurden uns von gewerkschaftlich Aktiven verschiedene Arten von Arbeitgeberdruck geschildert. Dieser sollte entweder die Wahl von BRs be- bzw. verhindern oder weitere gewerkschaftspolitische Schritte sabotieren. Experteninterviews, die wir mit Gewerkschaftssekretären der IG Metall und NGG führten, haben diesen Eindruck stark konflikthafter Beziehungen unterstrichen. In der Regel treffen sie auf Widerwillen, nicht auf Kooperationslust der Geschäftsführungen[2].

Von unten mobilisierter Gegenmacht wird auf der Gegenseite mit strategischem Kalkül begegnet. Wo der Konflikt keine zu hohen Kosten verursacht, wird er gesucht. Umgekehrt heißt das: Wo Gewerkschaften gleichzeitig effizient Interessen vertreten wollen, ist ein klares strategisches Vorgehen notwendig. Wo es an betrieblicher Mobilisierungsfähigkeit mangelt, fehlen auch die Anreize für das Kapital, sich zu mäßigen. Gehen wir deshalb davon aus, sozialpartnerschaftliche Haltungen seien in Deutschland verschwunden? Im Gegenteil, aktuelle Studien zeigen, dass sie in abgestufter Form durchaus verbreitet sind (Bluhm et al. 2014; Helfen 2013). Allerdings halten wir kooperative Arbeitgeberstrategien selbst nicht für ‚das Normale‘, von dem Verhinderungsversuche lediglich abweichen, sondern für Regierungs- und Führungstechniken, die nach Bedarf gewählt werden. Wo sich wettbewerbs- und marktkonforme Interessenorientierungen bei den Belegschaftsrepräsentanten auf konfliktarmem Wege erzeugen lassen, wird dieser auch eingeschlagen. Entscheidend ist letztlich, wie Mitbestimmungs- und Tarifpolitik der Belegschaften aussieht. Um es hegemonietheoretisch zu formulieren: Tragen Belegschaftsrepräsentanten die Worte des Managements auf ihren Lippen, dann sind drakonische Störaktionen überflüssig. Entwickeln sie aber im Rahmen gewerkschaftlicher Erneuerungsbewegungen Ansätze autonomer Gewerkschaftspolitik, treffen sie überwiegend auf harte Gegenwehr. So lautet unsere weitergehende These.

Im engeren Sinne verstehen wir unter gewerkschaftsfeindlichem AG-Handeln aggressive und kampagnenförmige Strategien, die den Aufbau von Mitbestimmung und gewerkschaftlicher Gegenmacht verhindern sollen. Im Extremfall spielen professionelle Berater dabei eine wichtige Rolle. Hintergrund für solche Versuche sind aggressive Wettbewerbs- und Flexibilitätsstrategien der Unternehmen, teilweise aber auch schlicht autoritäre Haltungen (oder auch eine Kombination von beidem): Das Management will im eigenen Unternehmen keine machtfähigen Widersacher dulden, sondern seine Verwertungsbedingungen „frei“ gestalten. Das alles ist kein Zufall, sondern Teil der Neoliberalisierung der Gesellschaft, also der Wiederherstellung und Festigung von Klassenherrschaft (Organisieren Kämpfen Gewinnen 2016: 4-5).

Geschäftsführungen versuchen auf sehr unterschiedlichen Wegen, Mitbestimmung und gewerkschaftlichen Einfluss zu verhindern. Längst nicht i. d. R. sind professionelle Berater aktiv, wenngleich diese Branche zu wachsen scheint. Die Maßnahmen bilden vielmehr einen bunten Strauß: Sie reichen von persönlichen Schikanen über gezielte Versuche, Spaltungslinien in der Belegschaft hervorzurufen oder zu vertiefen, bis hin zu aggressiven Störaktionen und Schikanen gegenüber ganzen (Belegschafts-) Gruppen. Grundsätzlich setzen diese Be- und Verhinderungsstrategien zu allen Zeitpunkten der betrieblichen Organisierung ein. Es kann bereits beim ersten Anzeichen gewerkschaftlicher Aktivität beginnen – etwa dann, wenn Beschäftigte darüber leichtfertig betriebsöffentlich sprechen. In anderen Fällen greifen Arbeitgeber erst ein, wenn deutlich wird, dass Betriebsräte mit gewerkschaftlicher Unterstützung gegründet werden sollen. Manchmal klingen die Alarmsirenen des Managements erst nach der Gründung eines handlungsfähigen Betriebsrates. Dann geht es nicht selten um gezieltes Streuen von Falschinformationen, um zwischen Belegschaft und Betriebsräten Keile zu treiben.

In unserer Untersuchung[3] sind wir auf all diese Varianten gestoßen. Wir sprechen daher von Abstufungen oder Schattierungen der Mitbestimmungs- und Gewerkschaftsfeindlichkeit.

1. Desinformationspolitik: Durch gezielte Falschinformationen wird der Rückhalt der Aktiven zu schwächen versucht, indem sie als Personen, ihre Arbeit bzw. ihre Ziele diskreditiert werden. In einem Untersuchungsbetrieb etwa streuten leitende Angestellte das Gerücht, durch einen neuen Tarifvertrag würde es zu ungünstigeren Nachtschichtregelungen für die Beschäftigten kommen; oder dass die Betriebsratsmitglieder lediglich Kaffee tränken, während die Mitarbeiter den Arbeitsausfall, den die Interessenvertreter auslösten, kompensieren müssten. Besonders wirksam ist die Drohung, im Fall von Betriebsratsgründungen oder einer Tarifierung käme es zu Arbeitsplatzverlusten. Das Ziel ist klar, neben die Diskreditierung von Gewerkschaftsaktivisten tritt die Angstmacherei.

2. Eine weitere Methode zur Verhinderung gegenmachtfähiger Interessenvertretungen ist die Platzierung arbeitgebernaher Betriebsratskandidaten: Entpuppen sich alternative Vertretungsorgane (eine Karte, die Geschäftsführungen gerne ausspielen) als Ablenkungsmanöver und scheitern offene Versuche Betriebsratsgründungen zu verhindern, dann reagieren Geschäftsführungen häufig, indem sie ihnen wohlgesonnene Beschäftigte zur Kandidatur ermutigen.

3. Kooptation von Aktiven und Beschäftigten: Zum Teil versuchen Geschäftsführungen betrieblich Aktive an sich zu binden oder die Loyalität von Teilen der Belegschaft durch Zugeständnisse zu gewinnen. Diese Strategien reichen von „vertraulichen Gesprächen“, in denen Aktive überzeugt werden sollen, dass es im eigenen Interesse sei, eng mit der Geschäftsführung zusammenzuarbeiten, über Angebote zu finanziellen Besserstellung oder hohen Abfindungen der Aktiven bis hin zu Lohnerhöhungen oder Besserstellungen. Sie kann auch die Form von ideologischen Anrufungen annehmen, die den Interessenkonflikt verklären. Man könne doch in der „Betriebsfamilie“ Ungereimtheiten auf dem direkten Weg klären oder müsse im Interesse der Kundenzufriedenheit bestimmte Härten erdulden, heißt es beispielsweise. Die erfolgreiche Kooptation ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu wirkmächtigen antigewerkschaftlichen Koalitionen.

4. Angriffe auf Aktive: Oft werden Aktive oder deren Unterstützer in der Belegschaft von leitenden Angestellten gemaßregelt oder benachteiligt. Z. B. werden sie auf unangenehme Arbeitsplätze versetzt, von der Belegschaft isoliert oder in Personalgesprächen scharf gemaßregelt. In anderen Fällen wurden Aktive auf Betriebsversammlungen verspottet. Diese Angriffe sollen nicht nur die Aktiven selbst, sondern auch ihre potenziellen Anhänger verängstigen. Ziel ist es, die Herausbildung eines stabileren Kollegenkreises zu erschweren, der zum Kern eines betrieblichen Reformbündnisses werden könnte.

5. Verzögerung und Erschwerung der Arbeit von Betriebsräten oder Tarifkommissionen: In Form eines interessenpolitischen Kleinkriegs werden beispielsweise Wahlen zum Betriebsrat behindert, in dem kurzfristig juristische Anfechtungen geltend gemacht werden, bei der Wahl zum Wahlvorstand zugesagte Räume kurzfristig belegt sind, Betriebsräte Zahlungen für Schulungen nicht bewilligt bekommen und gleichzeitig mit Arbeit überhäuft werden.

6. Abmahnung und Kündigung: In einigen Betrieben wurden Aktive und ihre Unterstützer durch Abmahnungen oder Kündigungen verunsichert.

Vermutlich, darauf weisen weitere Berichte betrieblich Aktiver hin, erschöpft sich die AG-Gegenwehr nicht auf diese Maßnahmen. Zu bedenken ist, dass auch aktive Bündnisbildung, die Etablierung betrieblicher Leitbilder und die Verankerung von betriebsgemeinschaftlichen Identitäten strategisch gut aufgestellten Managern dazu dienen, gegenmachtorientierten Aktiven den Wind aus den Segeln zu nehmen. Unternehmerische Umstrukturierungen, um ein letztes Beispiel zu nennen, gehören dann ebenfalls zur Werkzeugkiste. Im Folgenden wollen wir dies anhand unseres westdeutschen Fallbeispiels[4] diskutieren.

2. Belegschaftsspaltungen und Organisationsmacht – am westdeutschen Beispiel

Natürlich folgt nicht aus jedem Schritt der Gegenwehr die Spaltung der Belegschaft. Es wäre auch falsch, diese schlicht auf „Anstiftung“ seitens des Managements zurückzuführen. Es muss eigenständige Ängste und Stimmungen geben, ansonsten würden sich Teile der Belegschaften kaum gegen ihre Kollegen mobilisieren (lassen). Nur wenn beides in Rechnung gestellt wird – gezieltes Vorgehen der Vorgesetzten und der eigenlogische Humusboden in der Belegschaft – können gewerkschaftlich Aktive im betrieblichen Stellungskrieg erfolgreich sein. Klar ist: Sie selbst beeinflussen durch ihr strategisches Vorgehen, wie sich die Auseinandersetzungen entwickeln. Unser Fallbeispiel zeigt das gut.

Im Fall des Werkzeugbauers Maditek ging die Organisierung von einem kleinen Kreis hoch motivierter Aktiver aus. Er traf auf ein strategisch agierendes Management, das wirtschaftliche Optimierungsprozesse im Rahmen eines Change-Management-Prozesses (Kotter 2015) durchzusetzen suchte. Den Rahmen der Organisierung bildete ein eigensinniges betriebliches Herrschaftsregime. Dessen genaues Verständnis wurde zur Bedingung nicht nur erfolgreicher Organisierung, sondern ebenfalls für die Abwehr geschickter AG-Gegenwehr und Spaltungsversuche. Von zentraler Bedeutung bei Maditek ist die Firmenphilosophie des „unternehmerischen Denkens“, zu dem das Management die Beschäftigten permanent anhält. Nicht das Management, sondern die Kunden bzw. der Markt seien Arbeitgeber, jeder Beschäftigte müsse daher kundenorientiert denken. Dieser ideologische Kitt soll positiv einbinden, die Beschäftigten von vornherein dazu bringen mit den Augen des Unternehmens zu sehen. Aber: Dabei handelt es sich nicht um das Gegenteil von rabiaten antigewerkschaftlichen Methoden, sondern um ein komplementäres Instrument, das subtil autonome Interessenvertretung verhindern soll. Ein Resultat war eine „ideologische Vergemeinschaftung“, die von vornherein Spaltungslinien innerhalb der Belegschaft anlegte. Denn natürlich ging diese Anrufung als „Beutegemeinschaft in rauer Marktsee“ nicht spurlos an den Kollegen vorbei.

Durch die Widersprüche des Managementhandelns und permanente Flexibilitätsanforderungen entstanden dennoch Unzufriedenheiten in der Belegschaft, an die der spätere Aktivenkreis anknüpfen konnte. Allerdings verlangte das ein strategisches Vorgehen und auf mittlere Dauer angelegte Organisierungsarbeit. Zum strategischen Vorgehen gehörten u.a. eine genaue Beobachtung der Geschäftsführung und deren Rückhalt in der Belegschaft. Dabei griffen sie u.a. auf Werkzeuge des „Organizings“ zurück: Sie suchten Kontakte zu Meinungsführern in möglichst allen Arbeitsbereichen, um dort Verbündete zu haben. Das taten sie im Wissen, dass auch die AG-Seite in den meisten dieser Bereiche eigene „Botschafter“ pflegte. Gemeinsam mit anderen Unzufriedenen bauten sie einen breiteren Aktivenkreis auf, der sich regelmäßig traf. Im Zuge der weiteren Auseinandersetzungen erweiterten die Aktiven ihr Netzwerk auch über den Betrieb hinaus, indem sie mit anderen Gewerkschaftsaktiven und kritischen Wissenschaftlern den Austausch suchten. Ein Schritt, der auf kleiner Stufenleiter weitere strategische Kapazitäten schaffen sollte.

Diese Schritte sollten sich im Laufe der Zeit bewähren. Denn die Auseinandersetzung mit dem Management begann sofort, wenngleich zunächst ohne große Eskalation. Die Betriebsratswahl etwa hatte es nicht torpediert, sondern ihr nahestehende Beschäftigte zur Kandidatur ermutigt. Das Ergebnis war ein gemischtes Gremium. Für die gewerkschaftlich Aktiven stellte sich nunmehr die Aufgabe, dort Mehrheiten für eine eher gegenmachtorientierte Linie zu finden. Das ist allerdings nur ein Beispiel für subtile Gegenwehr des AG. Es folgten Kooptationsversuche, Disziplinierungen (Zuweisung schlechterer Arbeitsplätze) und ein andauernder Versuch, Teile der Belegschaft gegen den neuen Betriebsrat aufzuwiegeln. Eine neue Eskalationsstufe war schließlich eine Unterschriftensammlung gegen den Betriebsrat, zu dem die Geschäftsführung einen ihr zugewandten Kollegen anregte. Erfolgreich bestehen in all diesen Auseinandersetzungen konnten die Aktiven nur aufgrund ihrer nachhaltigen Vertrauenspflege: sich mit den Kollegen abstimmen und über Meinungsführer die Propaganda der Geschäftsführung widerlegen.

Ein aufwendiger und zermürbender Stellungskrieg entwickelte sich, in dem es den Aktiven schließlich gelang, einige gute Betriebsvereinbarungen auszuhandeln – Erfolgsbeispiele, auf die in weiteren Auseinandersetzungen immer wieder verwiesen werden konnte. Als größter Erfolg gilt einem der Aktiven allerdings etwas anderes. Versuchte die Geschäftsführung im Rahmen des Change Managements, ihre „Kultur der Flexibilität“ weiter voranzutreiben, gelang es den Gewerkschaftern hier einen „Moment der Gegenhegemonie“ zu schaffen: Infolge der langen Auseinandersetzung und der kleinen Erfolgsbeispiele veränderte sich die betriebliche Alltagskultur. Für eine größere Zahl von Kollegen wurde es normal, Anfragen der Geschäftsführung nach Wochenendarbeit o.ä. abzulehnen. Dies führte allerdings zu einem neuen Eskalationsschritt. Das Management ging nun zum offenen Union Busting über, arbeitete mit einem Beratungsunternehmen zusammen und initiierte schließlich einen betriebswirtschaftlichen Umstrukturierungsprozess, durch den es den unliebsamen Betriebsrat loswerden möchte – mit offenem Ergebnis.

3. Was tun? Strategische Handlungsmöglichkeiten

Bisher fehlen solide sozialwissenschaftliche Befunde, die das Ausmaß gewerkschaftsfeindlicher Arbeitgeberstrategien einerseits, ihre Verwobenheit mit normalen Managementstrategien (z. B. des so genannten Change Managements) andererseits aufklären. Wir können dennoch davon ausgehen, dass die Arbeitgeberseite in den seltensten Fällen völlig spontan und unbedacht reagiert. Wie auch immer sie entwickelt wird – mit Hilfe von Experten oder eher aus dem „gesunden Menschenverstand“ heraus –, es handelt sich um strategisches Handeln der Geschäftsleitungen. Bestehen können Belegschaften unseres Erachtens darin nur, wenn sie ebenso strategisch vorgehen.

Dazu gehört ein ganzheitliches Verständnis des Vorgangs: Was wir beobachten können, sind betriebliche Stellungskriege, in denen es zwar manchmal auf schnelle Bewegungen ankommt (Fehler des Gegenübers ausnutzen, Angriffe abwehren), in denen es aber grundsätzlich darum geht, ein handlungs- und mehrheitsfähiges Bündnis in den Belegschaften zu schmieden und aufrecht zu erhalten. Arbeitgeberangriffe versuchen das i. d. R. auf vier Wegen zu verhindern: 1. durch die Verängstigung der Kollegen; 2. durch die Verbreitung von Hoffnungslosigkeit; 3. durch die aktive Spaltung; 4. durch die Diskreditierung der Aktiven.

Wie im Boxring entscheidet nur selten der eine Schlag, sondern es sind viel Beinarbeit, Standfestigkeit und zahlreiche strategische Angriffe nötig. Das strategische Handlungsvermögen betrieblicher Aktiver, das im Wechselspiel mit unterstützenden Hauptamtlichen zu entwickeln ist, entscheidet über Sieg und Niederlage.

Entscheidende Grundlage des Erfolges ist daher ein möglichst breit in der Belegschaft vernetzter Kreis von Aktiven, der sich vertraut und unterstützt. Er sollte sich darum bemühen, seine Verankerung in der gesamten Belegschaft kontinuierlich auszubauen. Dieser Kreis hat gleichzeitig zwei Rollen zu erfüllen: Als ‚Organisierer’ müssen die Aktiven die Belegschaft zusammenbringen, sie ermutigen, Austausch ermöglichen; als ‚Leader’ müssen sie vorbildhaft vorangehen und für das Erreichen der gemeinsamen Ziele sorgen (Staples 2004: 27f). Zusammengehörigkeit über Differenzen und Spaltungen hinweg zu stiften ist möglich, indem sie (niedrigschwellige) kollektive Aktionen anregen, Räume der Verständigung mit dem weiteren Kreis an Sympathisanten in der Belegschaft schaffen und gemeinschaftsstiftende Symbole nutzen.

Die betrieblichen Ziele sind strategisch zu wählen: Sie müssen realistisch sein und an Ungerechtigkeitswahrnehmungen anknüpfen, die in der Breite der Belegschaft geteilt werden. Kleine, aber rasche Erfolge sichern den Rückhalt und die Standfestigkeit des Aktivenkreises. Diese oder Erfolge aus anderen Betrieben des gleichen Arbeitgebers können der Rohstoff für „Legenden“ sein, die zeigen, dass man sich gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen kann. Auf sie kann im Zuge weiterer Auseinandersetzungen immer wieder verwiesen werden: „Erfolge sind machbar!“

Dabei ist darauf zu achten, dass die Auseinandersetzungen in der (Betriebs-) Öffentlichkeit nicht als ein Grabenkampf zwischen GF und renitentem Aktivenkreis wahrgenommen, sondern als ein Konflikt für oder gegen eine Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Interesse der gesamten Belegschaft gerahmt wird. Das ist voraussetzungsvoll. Aktive dürfen sich nicht von der Mehrheit – oder zumindest einer großen Minderheit – ihrer Kollegen isolieren lassen. Positiv formuliert: Vertrauensarbeit und permanenten Rückkopplung sind das A und O im Ring. Sie schafft Deckung und Schlagkraft zugleich.

Um die Rollen als ‚Organisierer’ und ‚Leader’ ausfüllen zu können, ist es wichtig, dass sich dieser Kreis als ein „lernendes Zentrum“ versteht. Regelmäßige Treffen, auf denen der Stand im betrieblichen Ringen um Hegemonie evaluiert, nächste Schritte entwickelt, klare Absprachen getroffen und Aufgaben auf möglichst viele Schultern verteilt werden, sichern dessen Handlungsfähigkeit. Ein realistischer Blick auf die Kräfteverhältnisse ist nötig: Dazu gehört ein klares Wissen über die Verteilung von Unterstützern, Gegnern und Entschlossenen in der Belegschaft (‚Mapping’) ebenso wie das Eingeständnis eigener Defizite (z. B. im Bereich sozialer Kompetenzen oder Wissenslücken). Gezielte Weiterbildung und Beratung erweitern die Handlungsfähigkeit des Aktivenkreises und sind die Grundlage für das Ausstrahlen von Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit in der Belegschaft.

Diesen Befähigungsprozess zu unterstützen ist eine wichtige Aufgabe von Hauptamtlichen und anderen außerbetrieblichen Akteuren. Damit deren Wissen, Kompetenzen und Aktionsrepertoire allerdings innerbetrieblich die Kräfteverhältnisse zugunsten des Aktivenkreises verschiebt, ist eine enge Verzahnung nötig. In der überbetrieblichen Vernetzung liegt eine Ressource, die in den meisten der untersuchten Fälle unterschätzt wurde. Sie ist wertvoll, weil sie das strategische Handlungsvermögen beträchtlich erweitert. Die Bereicherungen können von der betriebsnahen Bildungs- über die Öffentlichkeitsarbeit und Kontakte zu wichtigen „pressure groups“ bis hin zum Lernen von und mit Aktiven aus anderen Betrieben reichen.

Eine wichtige Aufgabe haben bei alledem die Hauptamtlichen, die dem Trainer in der Ecke gleichen. Sie ermuntern, machen Mut, geben strategische und taktische Tipps, versorgen die Aktiven mit Faktenwissen. Voraussetzung ist – ähnlich wie im Verhältnis zwischen Boxer und Coach – ein vertrauens- und respektvolles Verhältnis. Die Aktiven müssen manchmal zum eigenständigen Vorgehen ermuntert werden, insofern wirken Hauptamtliche zum Teil zwingend aktivierend. Das hat aber notwendig Grenzen – zwischen demokratisierender Aktivierung (Anregung zur Mündigkeit) und Aktivierungszwang liegt ein weites Feld. Umgekehrt ist sicher: Verfallen Hauptamtliche der Versuchung, stellvertretend für die Aktiven zu handeln, ist der Boxkampf vermutlich bereits in der ersten Runde verloren.

Literatur

Behrens, M./Dribbusch, H. (2014): Arbeitgebermaßnahmen gegen Betriebsräten. In: WSI Mitteilungen (2). S. 140–148. Düsseldorf.

Bluhm, K./Martens, B./Trappmann, V. (2014): The long shadow of the ‚German model’. Business leaders in social and institutional change, in: K. Bluhm/B. Martens/V. Trappmann (Hrsg.): Business leaders and new varieties of capitalism in post-communist Europe, London/New York, S. 79–108.

Boewe, J./Schulten, J. (2015): Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten. Berlin.

Dörre, K. u.a. (2016): Streikrepublik Deutschland? Frankfurt/M.

Goes, T. (2016a): Aus der Krise zur Erneuerung? Köln.

Helfen, M. (2013): Sozialpartnerschaft bei Arbeitgeberverbänden. In: WSI-Mitteilungen (7). S. 482–490. Düsseldorf.

Kotter, J.P (2015): Leading Change. Wie sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern. München.

Organisieren Kämpfen Gewinnen (2016): Organisieren am Limit. Union Busting und gewerkschaftliche Gegenwehr in einem höchstflexiblen Unternehmen. Kassel.

Rügemer, W./Wiegand, E. (2015): Die Fertigmacher. Köln.

Schmalz, St./Dörre, K. (Hg.) (2013): Comeback der Gewerkschaften? Frankfurt/M.

Staples, L. (2004): Roots to power. A manual for grassroots organizing, Westport.

[1] Untersucht wurden Organisierungserfahrungen in NGG- und IG Metall-Betrieben in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Belegschaftsgrößen reichen von 50 bis 1.000 und umfassen sowohl Dienstleistungsbetriebe als auch Betriebe der Nahrungsmittel-, der Automobilzuliefer-, der Stahl-, der Textil-, der Elektronik- und der Optikindustrie.

[2] Der Fall Amazon (Boewe/Schulten 2015) zeigt, dass es diese Problematik auch in anderen Sektoren gibt. Ver.di-Funktionären, die wir in anderen Arbeits- und Forschungszusammenhängen sprechen konnten, haben diesen Eindruck weiter erhärtet. Auch hier ist mitbestimmungsfeindliches Handeln, das zwischen renitenter Gegenwehr und offensiven Verhinderungsstrategien pendelt, wohlbekannt – auch in öffentlich geführten Unternehmen.

[3] Ausführlich haben wir diese Zusammenhänge in „Streikrepublik Deutschland?“ erörtert (Dörre u.a. 2016).

[4] Ausführlicher wird dieses Beispiel in der Broschüre „Organisieren am Limit“ diskutiert (Organisieren Kämpfen Gewinnen 2016), die unter info@okg-mail.de bestellt werden kann.

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