Von besonderem Interesse beim Schwerpunktthema in Z 107 sind für mich immer die Stellen gewesen, wo man sich mit Möglichkeiten reformerischer Politik im Kapitalismus nach 1990 befasste. Deppe schreibt, dass Reformpolitik durch Schröder diskreditiert war und die Restlinke nicht über die Kraft verfügt habe, eine vorwärtstreibende Reformpolitik auch nur anzustoßen. Reusch/Goldberg schreiben, dass die Krisenerfahrungen das Vertrauen in die Steuerungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft erschüttert haben, was vor allem die Gestaltungsfähigkeit auf der staatlich-politischen Ebene in Frage stellt. Beide Aussagen stelle ich in Frage aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen. Wenn ich auf meine berufliche Zeit in der Umweltverwaltung von 1979 bis 2008 zurückblicke, dann lässt sich die so zusammenfassen: Es gab bis zur Wende 1990 erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten im Verein mit dem Druck der Umweltbewegung, die nach 1990 sukzessive kaputt gemacht wurden. Die Verbände aus Wirtschaft und Handwerk übten einen enormen Druck nach der Wende aus, die Vorschriften im Umweltrecht zu schleifen und sorgten zudem gemeinsam mit der Politik dafür, dass viele Vorschriften im praktischen Vollzug so ausgelegt und gehandhabt wurden, dass sie den Unternehmen kaum noch weh taten. Verschlechterungen gab und gibt es auch durch die Übernahme von EU-Recht bzw. die Anpassung geltenden Rechts an EU-Vorgaben.
Trotzdem ist die Lage nicht hoffnungslos. Sie ist nur schwierig. Man kann geltendes Recht wieder nachschärfen, geltende Regeln härter auslegen und anwenden. Und man kann viele rechtliche Möglichkeiten wieder auspacken, die nicht zum Einsatz kommen, weil man der Wirtschaft nicht weh tun will. Teilweise wird man sich auch mit EU-Recht anlegen müssen. Hier verweise ich auf Andreas Fisahn (der ja Umwelt- und Technikrecht in Bielefeld lehrt und Mitglied in der Partei DIE LINKE ist) und der Ungehorsam gegenüber der EU nicht ausschließt. Im Zusammenhang mit Reformmöglichkeiten möchte ich auch auf die zahlreichen Gutachten des SRU mit seinen rechtlichen Handlungsvorschlägen verweisen, auf die vielen guten Rechtsvorschläge im Agrarrecht der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, im Umwelt- und Naturschutzrecht auf NABU und BUND. Es ließen sich viele weitere Verbände mit vielen guten Reformvorschlägen nennen. Auch die Memo-Gruppe ist doch der Beweis, was sich alles machen ließe.
Kurzum, es gibt also nach wie vor genügend Möglichkeiten, reformerisch zu handeln und zwar auch mit durchgreifenden Ergebnissen. Das aber begreifen viele Linke nicht, wobei ich ehrlicherweise zugeben muss, dass ich auch zu Beginn meiner Berufstätigkeit ahnungslos war, was es alles für rechtliche Handlungsmöglichkeiten gab. Bei den Linken muss ich differenzieren aufgrund meiner Erfahrungen hier in Berlin, seit ich in Rente bin. Im Osten fehlen die Kampferfahrungen aus der alten Bundesrepublik und gewiefte linke Juristen, die Dampf machen können und die hohe Kunst beherrschen, Vorschriften knackig zur Anwendung zu bringen oder so nachzuschärfen, dass bei der Wirtschaft keine Freude aufkommt. Zudem will die Linke im Osten überwiegend, und das betrübt mich, zu rasch wieder an die Fleischtöpfe und ist deshalb zu kompromisswillig mit Blick auf Koalitionen. Im Westen haben sich dagegen viele Linke unter schwierigen beruflichen Verhältnissen durchschlagen müssen. Hier ist vielfach hohe Abneigung gegenüber reformerischem Handeln gegeben und der Kampf gilt dem System. Das Ausschöpfen von Reformmöglichkeiten im System als wichtiger Etappe der Kämpfe wird nicht begriffen oder bewusst abgelehnt, nicht zuletzt, weil man die Integration in die herrschenden Verhältnisse und mithin eine Sozialdemokratisierung fürchtet.