Vor einhundert Jahren, 1916, begann mit der 1. Mai-Kundgebung auf dem Potsdamer Platz in Berlin, der Verhaftung Karl Liebknechts und den folgenden politischen Streiks die gärende Unzufriedenheit mit dem Krieg in der Arbeiterbewegung offen auszubrechen. Gleichzeitig ging die Formierung einer linken politischen Opposition gegen die Kriegspolitik der Regierung und den Burgfrieden der SPD in eine neue Phase. Auch wenn viel zur politischen Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg geleistet worden ist sollte dieser zentrale Zusammenhang auf dem Weg zu den Revolutionen von 1917 und 1918 noch einmal nachdrücklich in den Mittelpunkt gerückt werden.
Denn Antikriegspolitik ist nicht zuletzt zentral für linke Politik in der Gegenwart. Aber es stellt sich die Frage, wieweit Antikriegspolitik auch Politik für die Überwindung der kapitalistischen Ordnung sein musste (und muss). Daran schieden sich nicht nur zwischen 1914 und 1918 die Geister. Revolution als Ausweg: Gegen die eigene Regierung – so die Antwort der radikalen Linke um Liebknecht und Luxemburg, erst recht der russischen Bolschewiki. Die Chance des Kriegs nutzen für eine Demokratisierung des Kaiserreiches und den staatstragenden Weg in eine bessere Gesellschaft – so die Hoffnung der Mehrheitssozialdemokraten. Diesem Konflikt, seinen subjektiven, aber vor allem objektiven Bedingungen suchte diese Konferenz mit ca. 35 Teilnehmenden nachzugehen.
Es ging um zentralen Lehren jenes ersten Großen Krieges, der ausgelöst wurde trotz einer klaren Antikriegsposition der europäischen Linken, trotz hochtrabender Beschlüsse etwa in Stuttgart und Berlin. Die Sozialdemokratie versprach, alles zu unternehmen, um den Krieg zu verhindern. Die Realität ist bekannt. Zwar wurden die Friedensschwüre noch Stunden vor den ersten Kriegshandlungen in Berlin und Paris wiederholt, trafen sich dort linke Parteiführer. Aber rasch sahen loyale und staatstragende Sozialdemokraten – bis auf die russische Partei – ein, dass die wie auch immer manipulierten Argumentationen ihrer Regierungen auch linkes Handeln zu bestimmen hätten: Vaterlandsverteidigung, in Deutschland unter des Kaisers Wort, das er noch Deutsche kenne, und keine Parteien mehr. Allerdings, so übermächtig dieses Umschwenken auf die Linie von Großbourgeoisie und Großgrundbesitzer, von Politik und Militär war, so hartnäckig widerstanden Teile der Linken dieser Versuchung, Anerkennung von der falschen Seite zu bekommen und freudigen Herzens ihr Leben auf dem Altar des Vaterlandes in den Schützengräben zu opfern.
Die Referentinnen und Referenten wandten sich unterschiedlichen Fragestellungen zu, die in der Gesamtschau allerdings ein durchaus aussagefähiges Mosaik unter der gewählten Themenstellung der Konferenz ergaben. Stefan Bollinger (Berlin) suchte in seinen Überlegungen einen übergreifenden Blick zu eröffnen, der ausgehend von Zimmerwald und Kiental zu den Notwendigkeiten einer revolutionären Lösung der Frage Krieg oder Frieden führen konnte. Ein konsequenter Zusammenschluss dieser radikalen Linken war für ihn die einzige erfolgversprechende Strategie, die sich von der abwartend, angepassten Linie auch inzwischen nachdenklich gewordener Sozialdemokraten etwa in der deutschen SPD abhob, die aber nur die Spaltung der Partei in Kauf nahmen und letztlich vor der letzten Konsequenz zurückschreckten. Ralf Hoffrogge (Berlin) entwickelte ausgehend von seinen gründlichen Studien zur Biografie vonWerner Scholemeine Auseinandersetzung um die Kriegserinnerungen dieses jüdischen Kommunisten und des kriegsbegeisterten Konservativen Ernst Jünger. Dabei zeigte er den scharfen Kontrast von Kriegsverherrlichung und strikter Antikriegsausrichtung, aber auch die unerwartet gemeinsamen Elemente, die mit ihrer Gewalterfahrung und ihrem „Fronterlebnis“ verknüpft waren. Diese führten sie letztlich in gegnerisch politische Lager.
Zu den anregendsten Beiträgen gehörte der von Marcel Bois (Hamburg), der über Netzwerke der deutschen Linken während des Ersten Weltkriegs referierte. Mit den Verweis auf den methodischen Ansatz der Netzwerk-Theorie arbeitete er an drei Beispielen heraus, wie unterschiedliche linke, friedensorientierte künstlerische und politische Milieus zur Formierung einer Antikriegsbewegung beitrugen. Bei ihnen handelte es sich teils um Freundschaftsgeflechte, teils um rein politische Zusammenhänge. Sie unterschieden sich von Organisationen und Parteien vor allem dadurch, dass sie informell aufgebaut waren. Es gab keine offizielle Mitgliedschaft, kein Organisationsstatut und keine gewählte Führung. Dennoch agierten diese Zusammenhänge durchaus im politischen Feld, wie Bois erklärte. Er exemplifizierte dies an dem „Eisbrecher“-Kreis, einem linken Netzwerk in der (Berliner) SPD; dem Kreis um die von Franz Pfemfert aufgebaute Antikriegszeitschrift „Aktion“ und dem Netzwerk in der Marine, das die Matrosenbewegung von 1917 initiierte und den gescheiterten Flottenaufstand vom Juli 1917 vorbereitet hatte.
Marga Voigt (Berlin) stellte in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen die Berner Friedenskonferenz der Sozialistinnen gegen den Krieg und die aktive Rolle Clara Zetkins in diesem Ringen. Voigt spitzte zu: „Die Geschichte der Berner Friedenskonferenz der Sozialistinnen ist mindestens so spannend, wie die Geschichte der Sozialisten-Internationalisten in Zimmerwald, Kiental und Stockholm. Sie gehört ausführlich erzählt: Wer sagt, dass Leidenschaft nur eine emotionale Seite hat. Hat sie nicht ebenso eine geistige, ethische und sittliche Seite? Sind Leidenschaft wie Wissenschaft nicht beide gleichermaßen unentbehrlich für gesellschaftlichen Zusammenhalt? Wenn auseinander driftet, was zusammengehört? – Mann und Frau, Heim und Straße, Stadt und Land, die Güter, Geschichten und Kulturen der Welt?“ In eine ähnliche Richtung argumentierte Gisela Notz (Berlin). Sie erinnerte an die handlungsorientierte Rolle von Frauen gegen den Krieg, als Betroffene und politisch bewusste Persönlichkeiten. Linke Frauen gegen den Krieg – und für eine sozialistische Gesellschaft wurden von ihr an den Beispielen unterschiedlicher Frauenpersönlichkeiten in der Linken exemplifiziert. Dabei zeigte sie, dass viele dieser Proteste gegen den Krieg aus frauenspezifischen Situationen heraus sich entwickelten und erst in der Konsequenz politisch wurden. Viele Frauen fanden den Weg in die Antikriegsparteien der Linken jenseits der MSPD. Trotzdem hatte die Spaltung der Linken Konsequenzen. Nach dem Krieg war die sozialistische Frauenbewegung trotz des errungen Frauenwahlrechts schwächer und zerstrittener als vor 1914.
Einen Kontrapunkt zu Hoffrogges Ausführungen setzte Julian Nordhues (Berlin), in dem er an kriegskritische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg – Themen und Motive erinnert. Erich Mühsam, Theodor Wolff, Karl Kraus und seine „Fackel“, Alfred Hermann Fried entwickelten eine pazifistische Kritik am Krieg, die bis weit in die Weimarer Republik hinwirkte.
Diese Konferenz war Bestandteil einer ganzen Reihe von Veranstaltungen im 25. Jahr der Hellen Panke – RLS Berlin, einer Geburt linken kritischen Geistes in den Zeiten der „Wende“ und der Suche nach neuen Diskussions- und Arbeitsmöglichkeiten für linke Intellektuelle zunächst aus dem untergehenden DDR-Milieu, alsbald aber von Linken aus Ost und West in der deutschen Hauptstadt. Fast 10.000 Veranstaltungsbesucher Jahr für Jahr, inzwischen 144 hefte zur ddr-geschichte, 202 Hefte Pankower Vorträge, 41 Hefte der Reihe Philosophische Gespräche und viele andere Publikationen, sind längst trotz oder gerade wegen ihres Charakters als „graue Literatur“ zu wissenschaftlichen Geheimtipps in ganz Deutschland und jenseits der Grenzen geworden.