„Österreich ist eine kleine Welt,
in der die große ihre Probe hält.“
Marie Ebner-Eschenbach (1830 – 1916)
Österreichische Erfahrungen
Der Sieg des Kandidaten der radikal rechten FPÖ, Norbert Hofer, in der ersten Runde der Präsidentenwahl in Österreich hat im In- und Ausland für Irritation gesorgt. Innenpolitisch steht er für den Bankrott der aus konservativen Christdemokraten und Sozialdemokraten gebildeten Koalition, die das Land ein dreiviertel Jahrhundert regiert haben.
Als Bundespräsident würde Norbert Hofer den Schlüssel in der Hand halten, über eine von ihm selbst herbeigeführte Krise der Institutionen den Weg zu Neuwahlen frei zu sprengen[1], um, wie der Chefkommentator der Wiener Tageszeitung Der Standard warnt, die „Orbànisierung Österreichs“ einzuleiten.
In der zweiten Runde wird es Norbert Hofer mit dem Kandidaten der Grünen, Alexander Van der Bellen zu tun haben, einem Politiker, den man am treffendsten als moderat und liberal beschreibt. Mit gutem Grund hat sich die österreichische Linke, einschließlich der KPÖ, entschlossen, für dessen Wahl[2] aufzurufen. Noch ist nichts entschieden, aber die Gefahr ist evident.
Von Viktor Orbàn unterscheidet sich die FPÖ in einem wesentlichen Detail. Ihr Nationalismus bezieht sich nicht auf die eigene Nation. Als Repräsentantin der deutschnationalen Tendenz der österreichischen Rechten erachtet sie die deutsch sprechenden Österreicher_innen als Teil einer deutschen „Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft“.[3] Ein Sieg Norbert Hofers würde so eine Bresche in den bislang die Republik Österreich tragenden Konsens der nationalen Eigenständigkeit schlagen. Dies muss sich nicht kurzfristig auswirken, aber im Szenario der Krise der EU und angesichts des Aufstiegs der radikalen Rechten in Deutschland wäre dies eine neue und verstörende europäische Tatsache.
Der Deutschnationalismus bildet indessen nicht nur den harten Kern des deutschgeprägten Österreich-Bewusstseins der FPÖ; er erlaubt ihr auch den Schulterschluss mit der einflussreichen Subkultur Deutscher Burschenschaften (in Österreich), neurechter Zeitschriften, der Kameradschaft der ehemaligen SS-Angehörigen, dem Kärntner Abwehrkämpferbund und dem Österreichischen Turnerbund, die ihrerseits den Resonanzboden der rechtsradikalen und neonazistischen Agitation im Lande bilden. Die regelmäßigen so genannten „Tabubrüche“ [4] – gemeint sind positive Bezugnahmen von Parteigrößen auf das Dritte Reich – stellen trotz der meist eilfertig nachgereichten Entschuldigungen und Richtigstellungen auch keine Entgleisungen dar, sondern bedienen exakt dieses Milieu, in dem die Partei Nachwuchs und Intellektuelle[5] rekrutiert.
Der Deutschnationalismus und die Affinität zum Nationalsozialismus sind ideologischer Kernbestand der FPÖ, aber das erklärt nicht ihren Erfolgslauf, der 1986 mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Jörg Haider einsetzte. Damals stand die Partei – übrigens in einer Koalitionsregierung mit der SPÖ – bei knapp 5 Prozent. Heute sehen sie die Umfragen bei 30 Prozent.
Tab. 1: Der Aussage „Wien ist sehr lebenswert“ stimmten zu (in Prozent)[6]:
SPÖ-Wähler_innen
89
ÖVP-Wäher_innen
71
GRÜNE-Wähler_innen
94
NEOS-Wähler_innen
81
FPÖ-Wähler_innen
30
Ein Blitzlicht auf die komplexen Ursachen dieser Entwicklung liefert eine Wähler_innenbefragung, die im Nachklang auf die Wiener Gemeinderatswahl im Herbst 2015 publiziert wurde. Bei dieser Nachwahl kam die FPÖ auf knapp ein Drittel der Stimmen, wobei ihre Stimmengewinne am stärksten in den ehemaligen Hochburgen der Sozialdemokratie ausfielen. Wien zeigte sich hier zweigeteilt. Die Wähler_innen aller Parteien, mit Ausnahme der FPÖ, schienen sich in ihrer Stadt wohl zu fühlen. Umgekehrt werden die Wähler_innen, die mit der Qualität ihres Lebens in der Stadt nicht zufrieden sind, zu 70 Prozent von der FPÖ repräsentiert. Damit war die FPÖ auch jene Partei, die von der insgesamt gestiegenen Wahlbeteiligung am meisten profitieren konnte.
Das sich manifestierende Monopol einer rechtsradikal-populistischen Partei bei der Vertretung der Unzufriedenen hätte in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit, wachsender Angst vor sozialem Abstieg und allgemein prekärer werdenden Lebensumständen bereits voriges Jahr die SPÖ als Wetterleuchten des über sie hereinbrechenden Unwetters alarmieren müssen.
Der drei Jahrzehnte kontinuierlich andauernde Aufstieg der FPÖ bedeutet andererseits auch das Scheitern aller gegen sie angewandten Gegenstrategien. Von der Verharmlosung bis zur schrittweisen Übernahme der ausländerfeindlichen Agenda durch die Sozialdemokratie, von der Dämonisierung in der liberalen Presse und dem Versuch, einen Cordon sanitaire politischer Korrektheit zu errichten, bis zum Aktivismus der linksradikalen Gruppen, für die der antifaschistische Straßenkampf gleichbedeutend mit dem Kampf gegen den kapitalistischen Staat ist.
Als besonders kontraproduktiv allerdings erwies sich, dass Teile der SPÖ die gegen die FPÖ wirkenden antifaschistische Reflexe in Wahlkämpfen instrumentalisierten, um sie dann regelmäßig durch die von ihr in Regierung und Parlament betriebene Politik zu enttäuschen.[7]
Faschistisch, populistisch, rechtsradikal oder rechtsextrem?
Wie überall neigt man auch in Österreich dazu, die Besonderheit der eigenen politischen Erfahrung zu übertreiben. Der Blick auf die Ergebnisse der Europaparlamentswahlen (Tab. 2) relativiert diese Sicht, zeigt sich doch ein europaweiter Prozess.
Das Spektrum der Rechtsaußenparteien ist vielfältig. Sinnvoll ist, zwischen Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus zu unterscheiden Als rechtsextrem werden Parteien und Gruppen bezeichnet, die Gewalt anwenden und sich in den meisten Fällen ostentativ in die Tradition des Nationalsozialismus stellen, das heißt, an dessen Symbolik und Rhetorik anknüpfen. In dieses Kapitel gehören die griechische Goldene Morgenröte, der ungarische Jobbik und die British National Party. Den speziellen Fall eines modernisierten Rechtsextremismus bilden die „identitären Bewegungen“, die ideologisch nicht am Nationalsozialismus anknüpfen, sondern ihre aggressiven Aktionen mit der von der Neuen Rechten entwickelten Idee des Ethnopluralismus legitimieren. Im Unterschied zu rechtsextrem werden als rechtsradikal oder rechtspopulistisch Parteien bezeichnet, die sich vom Rechtsextremismus distanzieren und behaupten, sich im Rahmen der parlamentarischen Demokratie zu bewegen. Zu diesen modernisierten Rechtsaußenparteien zählen beispielsweise UKIP (Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreichs), der französische Front National, die Dänische Volkspartei, die Schwedendemokraten, die niederländische Partei für die Freiheit, Polens Partei Recht und Gerechtigkeit, die [Wahren] Finnen und die FPÖ.
Tab. 2: Rechtsaußenparteien im Europaparlament[8]
Legislaturperiode
Anteil der Sitze Rechtsaußenparteien (Prozent)
2014-2019
22,9
2009-2014
15
2004-2009
12,5
1999-2004
11
Die Grenzen zwischen Rechtradikalismus und Rechtsextremismus sind porös und beweglich. Nach den letzten Wahlen sind in Polen eine rechtsradikale und eine rechtsextreme Partei im Sejm vertreten, in Ungarn leben FIDESZ und Jobbik trotz politischer Konkurrenz eine partielle Symbiose, und in Österreich bietet die FPÖ, die weithin als Teil des politischen Mainstreams akzeptiert ist, der neonazistischen Subkultur einen sicheren Hafen.
Das Spektrum der rechtsradikalen Parteien ist in sich selbst fragmentiert. Allerdings rechtfertigen die gemeinsamen charakteristischen Eigenschaften, die in unterschiedlicher Kombination in allen Fällen existieren, von einer Parteienfamilie zu sprechen. Diese Eigenschaften sind:[9]
- Populistischer Politikstil („Volk gegen Eliten“; „Anti-System“)
- Autoritäres Gesellschaftsbild
- Völkischer Nationalismus (Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Anti-Europäismus)
- Sozialer Chauvinismus (Sozialstaat ausschließlich für Inländer_innen)
Sieben Wochen nach den Wahlen in Polen, die der Partei „PiS – Recht und Gerechtigkeit“ die absolute Mehrheit im Parlament brachten, las man in der Zeit folgendes: „Wie ein neuer Staat entsteht: Schritt für Schritt baut die neue Regierung Polen zu einem rechtsnationalen Staat um.“ Hervorgehoben wurden Einführung von Zensurmaßnahmen, politisch motivierte Kündigungen von Journalist_innen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und der Angriff auf das Höchstgericht. Ähnliches ist auch in Ungarn zu beobachten, wo FIDESZ die 2010 gewonnene Zweidrittelmehrheit nutzte, um ein neues Grundgesetz zu verabschieden. In dessen Präambel wird Ungarn als eine ethnisch begründete Kulturnation definiert, womit ein neuer rechtlich bindender Maßstab für Gesetzgebung, Judikatur und Verwaltung geschaffen wurde. Die Auswirkungen sind inzwischen im gesamten gesellschaftlichen Leben einschließlich der Kultur- und Bildungspolitik zu spüren.[10]
Die modernisierten Rechtsparteien sind eine Gefahr für die Demokratie
Die Rebellion der Populist_innen ist ein Fake. Wenn überhaupt, handelt es sich dabei um eine konservative Rebellion, die die bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse unangetastet lässt.[11]
Ihre Anti-System-Rhetorik zielt auf die Bewahrung und Stabilisierung der sozio-ökonomischen Ungleichheit, allerdings in Zeiten der Krise und politischen Risiken für die Herrschaft durch Anwendung autoritärer, repressiver Mittel. Dazu will sie die geeignete Ideologie und das entsprechend rücksichtslose politische Personal bereitstellen.
Rechtsradikale Parteien, die die Führung von Regierungen übernehmen, wollen die Macht mit niemandem – und schon gar nicht mit dem Volk – teilen. Ihr Ziel ist es, es auf eine neue Weise zu repräsentieren. Daher ist logisch, dass der Front National unter dem Titel „Eine Verfassungsreform für die Wiedererrichtung der Demokratie“ als erstes die Verlängerung der Amtszeit des im politischen Systems Frankreich mit enormer Machtfülle ausgestatteten Präsidenten fordert.[12]
Die direkte Demokratie, von der sie reden, zielt darauf, eine direkte und exklusive Beziehung zwischen Geführten und charismatischem Führer herzustellen. Auch wenn es so nicht ausgesprochen wird: Zu Ende gedacht ist die dafür adäquate Staatsform nicht die Demokratie, sondern die Diktatur, in der nach dem Prinzip regiert werden kann, „Wer gegen den Führer ist, ist gegen das Volk.“[13]
Die Frage lautet, ob man den modernisierten Rechtsradikalismus als faschistisch bezeichnen soll. Meine Antwort ist ambivalent. Zu berücksichtigen ist einerseits, dass, wenn wir heute von Faschismus sprechen, wir aus der Retrospektive, d.h. in Kenntnis der einzigartigen Monstrosität des Nationalsozialismus sprechen. Doch Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Außerdem kann es aus politischer Sicht keinen Sinn machen, Elektorate von einem Drittel der Bevölkerung als potentielle Komplizen eines Massenmordes anzusprechen, umso mehr als die so adressierten Parteien nicht müde werden, das Gegenteil zu beteuern.
Doch die zeitgenössische Perspektive war eine andere. Verstört stellt man bei Lektüre zeitgenössischer Autoren (Arthur Rosenberg, Antonio Gramsci, Walter Benjamin, Otto Bauer, Karl Polanyi u.a.) fest, dass der von ihnen beobachtete, sich zur politischen Massenbewegung formierende Faschismus jenes Bündel von Merkmalen aufweist, die man in der heutigen Politikwissenschaft als rechtspopulistisch bezeichnet.
Die europäische Perspektive
Die Parteienfamilie der radikalen Rechten stellt sich als zerstritten dar, sodass ihre Mandatare im Europaparlament unter verschiedenen Dächern eine Heimstatt gefunden haben (vgl. Tab. 3). In folgenden Fraktionen des Europaparlaments sind rechtsradikale Parteien maßgeblich beteiligt:
- EKR (Europa der Konservativen und Reformer). Hier fanden sich unter anderem die britischen Konservativen, die polnische Partei „PiS - Recht und Gerechtigkeit“ die „Alternative für Deutschland“, die „Dänische Volkspartei“, die „Wahren Finnen“ und die „Neue Flämische Allianz“ zusammen.
- EFDD (Europa der Freiheit und der direkten Demokratie). Gebildet wird diese Fraktion zum großen Teil aus Mandataren der UKIP (Großbritannien) und der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo (Italien).
- ENF (Europe der Nationen und Freiheit). In dieser 2015 gebildeten Fraktion sammeln sich „Front National“, FPÖ, PVV (Niederlande), „Lega Nord“ (Italien) und „Vlaams Belang“ (Belgien).
Keine dieser Fraktionen, die vor allem durch ihre Gegnerschaft zur Europäischen Union zusammengehalten werden, findet es anstößig, dass sich über sie ein warmer Regen europäischer Fraktions- und Parteienförderung ergießt. So erhielten die Rechtsaußenfraktionen im Europaparlament in der Periode 2009 bis 2014 20 Millionen Euro und ihre Europaparteien weitere 10,2 Millionen.[14]
Die Mandatare der explizit neofaschistischen „Goldenen Morgenröte“ (Griechenland) und „Jobbik“ (Ungarn) konnten an keine der drei Rechtsaußenfraktionen andocken und firmieren unter „Fraktionslose“. Die ungarische FIDESZ, die man als eine rechtsradikale Partei bezeichnen kann, hat ihren Platz in der Europäischen Volkspartei (EVP) an der Seite von Christdemokraten gefunden.
Die Unterschiede und Gegensätze zwischen den rechtsradikalen Parteien sind real. Doch sollte man ihre Spaltung nicht nur als Fragmentierung interpretieren. Sie ermöglicht – unbeabsichtigt, aber deswegen nicht unwirksam – eine Dispersion rechtsradikalen Einflusses in einem Spektrum, das bis ins Zentrum der Europapolitik reicht.
Tab. 3: Stimmenanteile rechtsradikaler Parteien bei den Europa-parlamentswahlen 2014 (in Prozent)
Land
Partei
Gruppe im Europa-Parlament
Stimmenanteil (%)
2009
2014
Österreich
FPÖ – Freiheitliche Partei Österreichs
ENF
12,7
19,7
Belgien
NVA – Neue Flämische Allianz
EKR
6,1
16,4
Belgien
VB – Vlaams Belang
ENF
9,9
4,1
Bulgarien
BU – Bulgarien Unzensuriert
EKR
-
10,7
Bulgarien
ATAKA
fraktionslos
12,0
3,0
Dänemark
DF – Dänische Volkspartei
EKR
15,3
26,6
Finnland
Wahre Finnen
EKR
9,8
12,9
Frankreich
FN – Front National
ENF
6,3
25,0
Deutschland
AfD – Alternative für Deutschland
EKR
-
7,0
UK GB
UK IP – United Kingdom Independence Party
EFDD
16,5
26,8
UK GB
BNP – British National Party
fraktionslos
6
1,1
Griechenland
Goldene Morgenröte
fraktionslos
-
9,4
Griechenland
LAOS
EFD*
7,2
2,7
Ungarn
FIDESZ
EVP
56,4
51,5
Ungarn
Jobbik – Bewegung für ein besseres Ungarn
fraktionslos
14,8
14,7
Italien
LN – Lega Nord
ENF
10,2
6,2
Lettland
NA – Nationale Allianz
EKR
-
14,3
Niederlande
PVV – Partei für die Freiheit
ENFD
16,9
14,2
Polen
PiS – Recht und Gerechtigkeit
EKR
27,4
31,8
Polen
KNP – Kongress der Neuen Rechten
ENF
-
7,2
Schweden
SD – Schweden-Demokraten
EFDD
3,3
9,7
* EFD: „Fraktion Europa der Freiheit und Demokratie“, nicht mehr existent.
Die Erfolge rechtsradikaler Parteien sind nicht auf die europäische Ebene beschränkt. Tabelle 4 zeigt, dass die sechs rechtsradikalen Bestperformer aus Ungarn, Polen, Frankreich, Dänemark und der Schweiz kommen, das heißt aus allen Teilen Europas. Es zeigt sich, dass wir es nicht nur mit einer parallelen Entwicklung in zahlreichen europäischen Staaten zu tun haben, sondern mit einem europäischen Phänomen, das Element und Ausdruck einer allgemeinen, europäischen Krise ist (Abb.1).
Tab. 4: Aktuelle Wahlergebnisse rechtsradikaler Parteien –
Parlamentswahlen (in Prozent)
Land
Rechtspopulistische/ rechtsradikale Partei
Wahljahr
Wahl-ergebnis (%)
Österreich
Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)
2013
20,51
Belgien
Neue Flämische Allianz (NVA)
2014
20,26
Belgien
Vlaams Belang (VB)*
2014
3,67
Bulgarien
Bulgarien Unzensuriert (BU)
2014
5,68
Bulgarien
ATAKA*
2014
4,52
Dänemark
Dänische Volkspartei (DF)
2015
21,10
Finnland
Wahre Finnen
2015
17,65
Frankreich
Front National (FN)
2015
22,23
Deutschland
Alternative für Deutschland (AfD)
2013
4,70
Griechenland
Goldene Morgenröte*
2015
6,28
Ungarn
FIDESZ
2014
44,54
Ungarn
Jobbik*
2014
20,54
Italien
Lega Nord (LN)
2013
4,08
Lettland
Nationale Allianz (NA)
2014
16,61
Niederlande
Partei für die Freiheit (PVV)
2012
10,10
Polen
Recht und Gerechtigkeit (PiS)
2015
37,58
Polen
Kukiz‘15
2015
8,81
Slowakei
Slowakische Nationalpartei (SNS)
2016
8,64
Slowakei
Unsere Slowakei (L’SNS)
2016
8,04
Slowenien
Slowenische National Partei (SNS)
2014
2,20
Schweden
Schwedendemokraten (SD)
2014
12,86
GB UK
United Kingdom Independence Party (UK IP)
2015
12,60
Schweiz
Schweizerische Volkspartei (SVP)
2015
29,40
Norwegen
Fortschrittspartei (FrP)
2013
16,20
Datenbasis von Barbara Steiner; *Extremistische, Neo-Nazi-Parteien (fraktionslos).
Abb. 1: Der Einfluss rechtsradikaler Parteien in Westeuropa
Krise und Nationalismus
Die europäische Integration ist nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion. Durch sie wurde auf kapitalistischer Grundlage die im Gefolge des Zweiten Weltkriegs entstandene Ordnung staatlicher und nationaler Beziehungen institutionalisiert. Gegen diese Institutionalisierung wendet sich der Anti-Europäismus der radikalen Rechten, mit dessen Hilfe der Nationalismus neuerlich die Beziehungen zwischen den europäischen Völkern vergiftet.
Was in den Staaten gilt, nämlich dass der rechte Populismus die Krise der Demokratie anzeigt, gilt auch im europäischen Maßstab. Das Anwachsen des Nationalismus ist Indikator einer durch die neoliberale Austerität ausgelösten Krise der nationalen Beziehungen. Er ist der reale „Plan B“ eines maßgeblichen Teils der herrschenden Klasse für den Fall der weiteren Verschärfung der europäischen Krise.
Der Aufstieg des Rechtsradikalismus hat den Sozialwissenschaften ein Déjà-vu mit Schubumkehr beschert. Waren sich viele Autor_innen bis vor kurzem noch darin einig, dass die Arbeiterschaft ihre Rolle in der Politik ausgespielt und die von ihr gezogene sozialökonomische Konfliktlinie ihre Bedeutung für die Politik verloren habe, so lautet das neue Mantra, dass eine von Modernisierung und Globalisierung bedrohte Arbeiterklasse an den Erfolgen der rechtsradikalen Parteien schuld sei.
Für das Vorstoßen rechtsradikaler Parteien in die proletarischen, traditionell sozialdemokratischen Wählerschaften gibt es zahlreiche Belege, zuletzt wieder in Österreich. Eine Nachwahlbefragung zur ersten Runde der Bundespräsidentenwahl ergab, dass 72 Prozent der Arbeiter für den Kandidaten der FPÖ gestimmt haben.[15] Dieser Befund bleibt aber einseitig, solange den veröffentlichten Untersuchungen nicht die Stimmenanteile entnommen werden können, die von der FPÖ in anderen Wählersegmenten erreicht wurden. Die Ergebnisse in landwirtschaftlich und touristisch geprägten Gemeinden Tirols und Salzburgs lassen vermuten, dass es der FPÖ dort gelungen ist, mit ihrer antiislamischen Kampagne in ein traditionell katholisch konservatives Segment der Gesellschaft vorzudringen. Die konservative Wiener Tageszeitung Die Presse weiß wiederum unter dem bezeichnenden Titel „Höret die Signale“ von einer wachsenden Unterstützung der FPÖ unter den Mitgliedern der exklusiven Vereinigung Österreichischer Industrieller[16] zu berichten.
Ein ähnliches Bild zeichnet Richard Seymour für England, wenn er die Ukip als eine genuin klassenübergreifende Partei beschreibt, die wie ein Keil die nationale Politik nach rechts schiebt. Für die Wahlen 2014 konstatiert er eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung des Einflusses über breite gesellschaftliche Segmente, indem die Partei jeweils von einem Viertel klassischer Arbeiter, Kleinunternehmer, hoher Manager und großen Unternehmern unterstützt worden sei.[17]
Nicht nur aus empirischer Sicht erweist sich die These von den Rechtsradikalen als den neuen Arbeiterparteien als problematisch und vorurteilsbeladen. Vor allem aus theoretischer Sicht gibt es wichtige Einwände, ihre Wahlergebnisse als den Reflex einer bestimmten sozialen Lage zu interpretieren. Die Ursachen für den Aufstieg der rechtsradikalen Parteien sind vielmehr komplex und schließen zahlreiche politische und kulturelle Faktoren ein: Neben Krise, Prekarität und Abstiegsangst der Mittelschichten sind es der Verfall der Sozialdemokratie, der, wenn er auf der Linken nicht durch eine glaubwürdige radikale Alternative kompensiert wird, die Enttäuschung über das politische System nur allzu leicht auf die Mühlen der radikalen Rechten leitet. Elisabeth Gauthier machte in ihren Arbeiten über den Front National immer darauf aufmerksam, dass der hohe Stimmanteil des FN statistisch und politisch das Resultat der Wahlenthaltung und der Demobilisierung der von der Politik des PS und leider auch der des Front de Gauche enttäuschten linken Milieus darstellt.
Ein Schluss
Der Kampf gegen den Rechtsextremismus und Neonazismus ist in den meisten Fällen ein Kampf an den Rändern des politischen Spektrums. Der Kampf gegen den Rechtsradikalismus ist inzwischen zu einem Kampf um Mehrheiten in der Mitte der Gesellschaft geworden.
Eine Erfahrung der Zwischenkriegszeit behält ohne Zweifel ihre Gültigkeit: Der Siegeszug der radikalen Rechten, namentlich in Deutschland und Österreich, war durch Massenarbeitslosigkeit und Verelendung der Mittelschichten ausgelöst worden. Das heißt, ohne europaweiten Kampf gegen Arbeitslosigkeit, für Verteidigung, Weiterentwicklung und Umbau des Sozialstaats, für Ausbildungsplätze und gesetzlich geregelte Arbeitsverhältnisse, für das Recht auf Wohnen und die öffentlichen Dienste kann der Rechtsradikalismus nicht besiegt werden. Das erfordert eine nachhaltige Wirtschaftspolitik, Kontrolle der Finanzmärkte, eine Politik der industriellen Rekonstruktion und einen ökologischen Umbau. Hier gibt es nicht Gelegenheit, ins Detail zu gehen, erwähnen möchte ich aber, dass eine solche Wirtschaftspolitik nicht mit den makroökonomischen Instrumenten des vergangenen Jahrhunderts auskommen wird und sich auch nicht ausschließlich auf die traditionellen Schichten der Arbeiter_innenklasse und ihren Sichten stützen kann, sondern die Lebenslage der Frauen, Arbeitslosen, Prekarisierten und Migrant_innen einbeziehen muss.
Der Machtanspruch rechtsradikaler Parteien ist eine Bedrohung der liberalen Demokratie, die von vielen Menschen und jenseits parteipolitischer Bindungen wahrgenommen wird. Der Kampf um eine andere sozialökonomische Politik reicht daher nicht aus. Der Rechtsradikalismus ist aber auch nicht die einzige Gefahr, die heute der Demokratie droht. Die autoritären Mittel, mit denen in der EU die Austeritätspolitik durchgesetzt wird, der unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus aufgerüstete Sicherheits- und Überwachungsapparat, der medial vervielfachte anti-muslimische Rassismus und die zur Abwehr von Flüchtenden geschlossenen Grenzen, sie alle bereiten nicht nur ein Klima, in dem Rechtsradikalismus gedeiht. Sie stellen für sich genommen Einschränkungen und Gefahren für Demokratie und Freiheit dar.
Zivilgesellschaft, Kirchen, Antifa-Gruppen und politisch Liberale sind hier nächste Verbündete der Linken. Die entstehenden neuen Allianzen sind nicht dieselben wie auf dem Gebiet der Sozialökonomie, doch deshalb nicht weniger wertvoll im Hinblick auf eine neue Hegemonie.
Die Krise der EU ist so real, wie die Feindschaft ihr gegenüber das gemeinsame Programm aller rechtsradikalen Parteien ist. Können und sollten wir uns an deren Spiel beteiligen? Positiv wäre eine Auflösung der EU dann, wenn sich die großen Probleme, vor denen die Gesellschaften stehen – globalisierte Finanzmärkte, Migration, Entwicklung, Klimawandel, Sicherheit –, in einem Europa der 28, 35 oder 50 nationalen Währungen, Nationalstaaten und Grenzregime besser lösen ließen. Das erscheint nicht rational. Vor allem aber ist das Terrain des Nationalismus besetzt. Andererseits ist die EU in ihrer neoliberalen Ausformung nicht das Projekt der Linken. Aufgrund der in ihrem Namen exekutierten Austeritätspolitik befindet sie sich einer Sackgasse. Soll die Idee einer friedlichen Integration Europas vor dem anwachsenden Nationalismus gerettet werden, so erfordert das die Neubestimmung ihres Sinns. Wenn Linke von der Notwendigkeit der Neugründung der EU sprechen, meinen sie, dass der Lissabonner Vertrag und der Fiskalpakt aufgehoben werden müssen und dass das Europa, für das die Linke kämpft, ein demokratisches und parlamentarisches sein muss, das die demokratischen Rechte der Mitgliedsstaaten sowie die Selbstbestimmung der Nationen und Volksgruppen respektiert.
Abschließend ein Wort zur europäischen Verstörung, die sich im Rechtsradikalismus reflektiert. Europas Gesellschaften befinden sich vor einem dramatischen Prozess der Anpassung an neue globale Realitäten. In zwanzig Jahren wird die Welt von 10 Milliarden Menschen bevölkert sein, unter denen die Europäer_innen eine kleine Minderheit bilden. Eine Umverteilung von Reichtum, Macht und Lebenschancen wird stattfinden. Man kann verstehen, dass diese Perspektive, die die Menschen über das Fernsehen und das Internet in den Wohnzimmern erreicht, Angst macht; zum einen, weil die herrschende Politik keine solidarischen und humanistischen Auswege weist, zum anderen weil die dahinter stehenden sozialen Prozesse zu wenig verstanden werden.
Das aber verweist auf das weite Feld des geistig kulturellen Kampfes, der moralisch intellektuellen Reform, von der Antonio Gramsci gesprochen hat, ohne die weder Fortschritt möglich ist noch der Rückfall in die Primitivität abgewehrt werden kann, den die Rechtsaußenparteien, egal welcher Nuance, bezwecken.
[1] Sollte Norbert Hofer seinen Erfolg im zweiten Wahlgang bestätigen, könnte ein für die Schlamperei der Republik Österreich im Umgang mit sich selbst typisches Detail eine fatale Wirkung entfalten. Die Rolle des Bundespräsidenten ist in der österreichischen Verfassung nämlich keineswegs so eindeutig auf eine reine Repräsentation festgelegt, wie sie die bisherigen Amtsinhaber ausgeübt haben. In der aktuellen Ausgestaltung geht sie auf eine Verfassungsnovelle zurück, die die Sozialdemokraten ihren christdemokratischen Widersachern zugestanden, als diese Ende der 1920er-Jahre bereits unverkennbar auf die Diktatur zusteuerten. Durch diese wurde dem seit damals durch Volkswahl bestimmten Staatsoberhaupt nicht nur der Oberbefehl über die Streitkräfte, sondern auch die Kompetenz übertragen, die Regierung zu entlassen und das Parlament aufzulösen. 1945 wurde gegen den Widerstand der damals mitregierenden Kommunistischen Partei darauf verzichtet, dieses Stück autoritären Präsidialsystems aus der wieder in Kraft gesetzten Verfassung der Republik zu entfernen.
[2] Der Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag vor dem Termin der Stichwahl am 22. Mai (d. Red.).
[3] Wörtlich heißt es im gültigen Programm der FPÖ: „Sprache, Geschichte und Kultur Österreichs sind deutsch. Die überwiegende Mehrheit der Österreicher ist Teil der deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft.“ In: „Parteiprogramm der Freiheitlichen Partei (FPÖ). Beschlossen vom Bundesparteitag am 18.6 2011 in Graz“, www.fpoe.at/fileadmin/Content/portal/PDFs/_dokumente/2011_graz_parteiprogramm_web.pdf.
[4] Die beiden wohl bekanntesten „Tabubrüche“ sind die folgenden: Jörg Haider (1988): „Das wissen Sie so gut wie ich, dass die österreichische Nation eine Missgeburt gewesen ist, eine ideologische Missgeburt, denn die Volkszugehörigkeit ist die eine Sache, und die Staatszugehörigkeit ist die andere Sache.“ Und: Jörg Haider vor dem Kärntner Landtag (1991): „Na, das hat’s im Dritten Reich nicht gegeben, weil im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, was nicht einmal Ihre Regierung in Wien zusammenbringt. Das muss man auch einmal sagen.“ Die Presse (10.10.2013), http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/1462760/Ideologische-Missgeburt _Haiders-umstrittenste-Sager?from=suche.intern.portal
[5] 11 von 38 Abgeordneten der FPÖ zum österreichischen Nationalrat sind Deutsche Burschenschafter, das heißt sie bekennen sich nicht zur österreichischen Nation.
[6] „Wahltagsbefragung“, Quelle ISA/SORA, 11. Oktober 2015; zitiert nach orf-online: https: //www.facebook.com/ZeitimBild/photos/a.381568636877.161891.182146851877/10153571900376878/?type=3&theater
[7] In diesem Zusammenhang muss die Ausnahme, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, erwähnt werden, der entgegen der Regierungspolitik und der Bundesführung der SPÖ den Rechtsschwenk in der Flüchtlingspolitik nicht mitmachte.
[8] Jansen, Thilo (2016): Geliebter Feind Rechtsaußenparteien und die Europäische Union, Rosa Luxemburg Stiftung Rechtsaußenparteien und die Europäische Union, S. 8.
[9] Siehe etwa: Mudde, Cas (2014): The Far Right and the European Elections, in: Current History Magazine 03/2014; in: Eurozine, http://www.eurozine.com/articles/2015-03-13-mudde-en.html.
[10] Eine eindrucksvolle Darstellung der gesellschaftspolitischen Veränderungen in Ungarn findet man in: Droppa, György (2016): Recipe for turning a weak democracy into a strong dicatorship, in: https://prezi.com/ph3oq2cx9a02/recipe-for-turning-a-weak-democracy-into-a-strong-dictatorship/
[11] Benjamin, Walter (1963): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main, S. 42. Immer wieder lesenswert: „Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen.“
[12] „Notre Projet“ - Programme Politique du Front National (2012), S. 44ff.
[13] Scharsach, Hans-Henning: Rückwärts nach rechts – Europas Populisten, Wien 2002, S. 213.
[14] Jansen, Thilo, a.a.O., S. 33.
[15] Siehe Die Presse, 24.6. 2016: „Rekorde, Motive, Trends: Interaktive Grafiken zur Hofburgwahl, http://diepresse.com/home/politik/bpwahl/4974900/Rekorde-Motive-Trends_Interaktive-Grafiken-zur-HofburgWahl
[16] Siehe Die Presse, 2. 5. 2016 http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/kordiconomy/ 4978742/ Hort-die-Signale-der-FPO? _vl_backlink=/home/index.do
[17] Seymour, Richard (2015): Ukip and the crisis of Britain, in: Panitch, Leo/Alobo, Greg: Socialist Register 2016, London, S. 35.