1. Historischer Rahmen und Aktualität
Nach dem Tod Josef Stalins 1953 war eine weltweite Krise sichtbar geworden. Sie betraf sowohl den administrativen Staatssozialismus, der sich seit 1929 in der Sowjetunion und seit 1947 auch in Osteuropa, China, Nordkorea und Nordvietnam ausformte, als auch die bis an den Rand eines heißen Krieges zugespitzten Beziehungen der beiden Weltblöcke unter sowjetischer und US-amerikanischer Führung. Die Krise erfasste ebenso das imperialistische Kolonialsystem, das in en folgenden Jahren unter den Schlägen nationaler Befreiungsbewegungen eine „Dritte Welt“ mit eigenen Entwicklungswegen hervorbrachte. Im Unterschied zu Indien entschied sich China für einen nichtkapitalistischen Weg. War der erste Parteitag nach Stalins Tod im Februar 1956 ein Start- und Richtungspunkt zur Überwindung der existentiellen Krise im sowjetischen Imperium? Gab er auch Antworten auf die Lösung der angespannten Beziehungen zwischen den Weltmächten USA und UdSSR? Es war die öffentlich gewordene sog. Geheimrede des sowjetischen Parteiführers Nikita Chruščov vom 25. Februar 1956 Über den Personenkult und seine Folgen[1], die alle anderen programmatischen Erklärungen des XX. Parteitages anfänglich in den Hintergrund der öffentlichen Debatten rückte:
- die ökonomische Hauptaufgabe der UdSSR und der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen beiden Systemen,
- die friedliche Koexistenz der Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen,
- der friedliche Übergang zum Sozialismus und die Vielfalt seiner Formen,
- die Neugestaltung der Beziehungen im sozialistischen Lager und in der kommunistischen Weltbewegung,
- der nichtkapitalistische Entwicklungsweg in der Dritten Welt.[2]
Die „Geheimrede“ verband erstmals die schon seit März 1953 eingeleitete erste Stufe der Entstalinisierung (Beseitigung des inhumanen und selbstzerstörerischen Massenterrors gegen Nomenklatura [„Dienstklasse“] und Bevölkerung) mit der direkten Kritik an die Person Stalin. Sie löste ein gesellschaftliches Erdbeben aus, eröffnete nicht nur im sowjetischen Herrschaftsbereich und in der kommunistischen Weltbewegung öffentliche ideologische und politische Debatten, die zu Zerwürfnissen und Spaltungen führten, sondern initiierte Unruhen und Aufstände in Stalins Heimatrepublik Georgien im März 1956,[3] danach in Polen und Ungarn. Diese Aufbrüche boten Möglichkeiten der Entstalinisierung des sowjetischen Staatssozialismus und als auch der Beziehungen der im Entstehen begriffenen sozialistischen Staatengemeinschaft. Die Entscheidungen des XX. Parteitages beförderten einerseits eine Annäherung Jugoslawiens an die UdSSR und andererseits auch den Bruch mit China, Nordkorea und Albanien. Zugleich entwickelte die KPdSU mit der Auflösung des im September 1947 geschaffenen Kommunistischen Informationsbüros (Kominform) im April 1956 neue Formen in den Beziehungen zu den kommunistischen und Arbeiterparteien. Angesichts der ersten Auswirkungen der „Jahrhundertrede“ des sowjetischen Parteichefs im eigenen Lande, im sozialistischen Lager und in der kommunistischen Weltbewegung[4] sah sich die sowjetische Führung veranlasst, das für den 4. Juni 1956 einberufene ZK-Plenum zur Fortführung der Stalin-Debatte abzusetzen.[5] Stattdessen veröffentliche das Parteipräsidium am 30. Juni 1956 den ZK-Beschluss „Über den Personenkult“[6], der die Kritik an Stalin wesentlich abschwächte. Diese Kritik erreichte erst wieder mit dem XXII. Parteitag (1961) einen neuen Höhepunkt.
Die Folgen der „Geheimrede“ sind bis heute umstritten: Brachten diese Enthüllungen den Erben Stalins nicht zwangsläufig einen enormen Vertrauensverlust, da sie selbst für diese Verbrechen – wenn auch in unterschiedlichem Maße – mitverantwortlich waren? War Chruščov eher ein Arzt am Krankenbett des sterbenden Stalinismus als ein Reformer für ein alternatives Modell zum sowjetischen Staatssozialismus? Die Antwort kann nur auf die konkrete Zeit gegeben werden: In der Chruščov-Ära (1953-1964) gelang es der Führung, die schon nach Stalins Tod ausgebrochene Gesellschaftskrise in den Ländern des sowjetischen Einflussbereichs zeitweilig zu überwinden. Die Entstalinisierung blieb aber in ihrer ersten Stufe stecken, sie führte nicht zum Umbau des Staatssozialismus in einen emanzipatorischen und demokratischen Sozialismus. Ein anderer Sozialismus war damals kein Thema, denn Chruščov wie auch seine Nachfolger bis zur Machtübernahme von Michael Gorbačov (1985) setzten auf den raschen Übergang zum Kommunismus.[7] Dennoch – der Einfluss der Sowjetunion und der mit ihr im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (1949) und im Militärbündnis Warschauer Vertrag (1955) vereinten Gruppe sozialistischer Länder auf die Weltentwicklung nahm zwischen 1953 und 1964 erheblich zu und begrenzte den internationalen Aktionsradius des Weltkapitalismus.
Die Debatte über das für und wider der Entstalinisierung ist aber bis heute nicht abgeschlossen. Die in Russland seit einem Vierteljahrhundert erschienen umfangreichen Quelleneditionen und Monographien beförderten wesentlich die wissenschaftliche Aufarbeitung des Stalinismus. Zugleich wird aber auch mit einer Flut von Publikationen, Fernsehsendungen und Filmen Stalin als der erfolgreiche Gründer und Führer der einstigen Weltmacht wieder glorifiziert und seine Politik unumschränkt positiv beurteilt, Chruščov und nachfolgende Reformer hingegen als „Revisionisten“, „Nestbeschmutzer“ und Mitverantwortliche am Untergang des sowjetischen Imperiums denunziert.[8] An diesen Debatten beteiligen sich auch Intellektuelle aus anderen Ländern wie der US-amerikanische Spezialist für mittelalterliche englische Literatur Grover Furr (*1944).[9] Er sieht in Chruščov einen „politischen Gangster“, der „in Wirklichkeit der Verbrechen schuldig (war), die er in seiner ‚Geheimrede‘ wissentlich und fälschlich Stalin unterschob.“[10] Unbestritten ist, dass der „Geheimbericht“ nicht die ganze Wahrheit über den Stalinismus vermittelt. Das war von der damaligen Führung weder beabsichtigt, noch wäre das möglich gewesen. Das historische Dokument vom 25. Februar 1956 enthält Wahrheiten, Weglassungen und Vertuschungen. Daraus aber den Schluss zu ziehen, Chruščov sei der große Lügner und Verbrecher, nimmt von Stalin die Hauptverantwortung für die Massenrepressalien, ignoriert die historische Bedeutung der Geheimrede. Oleg Chlevnjuk misst diesem Geschichtsrevisionismus deshalb mehr als nur akademische Bedeutung bei: „Wir erleben eine Zeit, in der der Verstand vernebelt wird von Mythen eines ‚alternativen‘ Stalin, dessen effiziente Führung als nachahmenswertes Beispiel gepriesen wird. Stalins Apologeten versuchen heute nicht mehr wie einst, die Verbrechen seines Regimes zu leugnen. … Der Zynismus einiger gipfelt gar in der Auffassung, der Terror sei berechtigt gewesen, da es sich bei den auf Stalins Befehl vernichteten Millionen Menschen um ‚Volksfeinde‘ gehandelt habe.“[11] Er erklärt, warum das Bild über den Diktator überlebt und seine Anziehungskraft in seinem Land nicht verloren hat: „Ein beträchtlicher Teil der russischen Gesellschaft sucht in der stalinistischen Vergangenheit Lösungen für die Gegenwart. Populäre Vorstellungen von der Größe des stalinistischen Imperiums, von sozialer Gleichheit und dem Kampf gegen die Korruption … werden von skrupellosen Meinungsmachern und Politikern ausgenutzt. … Kann es sein, dass Russland im 21. Jahrhundert in Gefahr schwebt, die Fehler des 20. Jahrhunderts zu wiederholen?“[12]
2. Krise und erster Reformschub durch Stalins Erben 1953-1955
Die Neubestimmung der innen- und außenpolitischen Strategie, die ersten Schritte der Entstalinisierung (im engeren Sinne) erfolgten nicht erst auf dem XX. Parteitag 1956, sondern bereits nach dem Tod des Diktators. Nach seinem Treffen am 28. Februar 1953 mit seinen damals vier „engsten Mitstreitern“ Georgij Malenkov (1901-1988), Lavrentij Berija (1899-1953), Nikita Chruščov (1894-1971) und Nikolai Bulganin (1895-1978), war Stalin am 1. März 1953 in seiner wenige Autominuten vom Kreml entfernten „bližnaja“ Datscha von seinen Leibwächtern bewusstlos aufgefunden worden. Erst am darauf folgenden Tag bestätigten die Ärzte, dass er durch einen Schlaganfall handlungsunfähig geworden war. Als am 3. März 1953 sicher war, das sein Tod nur noch eine Frage weniger Tagen sein werde, ergriff der verblieben Führungskreis erstmals die Initiative, eigenmächtig die höchste Macht im Staate neu zu strukturieren und untereinander aufzuteilen: Der als designierter Nachfolger angesehene Malenkov übernahm Stalins Amt als Ministerpräsident. Auf ihren hohen Posten blieben weiterhin Innenminister und Herr der Lager Marschall Berija wie auch Verteidigungsminister Bulganin. Vjačeslav Molotov (1890-1986) wurde nach seiner Kaltstellung 1949 am 2. März 1953 wieder in das ZK-Präsidium aufgenommen, erhielt erneut das Außenamt. Ebenso bekam Anastas Mikojan (1895-1978) seinen Posten als Minister für Außenhandel wieder. Zu diesen Ersten Stellvertretern des Regierungschefs gehörte auch Kaganovič (1893-1991), der sich unter Stalin auf zahlreichen wichtigen Partei- und Regierungsposten bewährt hatte. Chruščov, seit 1949 1. Sekretär der hauptstädtischen Parteiorganisation, übernahm faktisch Stalins Amt als Parteichef.[13] Kliment Vorošilov (1881-1969) wurde Staatsoberhaupt. Der todkranke Stalin blieb formal Mitglied des Parteipräsidiums (bis 1952 Politbüro), das allerdings von 25 auf 11 Personen verkleinert wurde.[14] Ministerrat, ZK-Plenum und Oberster Sowjet bestätigten diese Nachfolgeregelung am 5. März 1953, eine halbe Stunde vor Ableben Stalins. Die neue Partei- und Staatsführung ordnete eine viertägige Staatstrauer an und entschied, den einbalsamierten Leichnam Stalins neben dem Lenins im Kremlmausoleum aufzubahren. Damals war die neu gebildete kollektive Führung weder willens noch fähig, Stalin als Hauptverantwortlichen für die Verbrechen und Fehlentscheidungen zu verurteilen. Das wäre weder in der Bevölkerung noch innerhalb der Mehrheit der Mitglieder und Funktionäre der KPdSU akzeptiert worden. Die neue Kremlführung berief sich daher nach wie vor ohne Abstriche auf Stalin und sein Vermächtnis, obwohl sie dessen innen- und außenpolitischen Kurs grundlegend zu ändern begann, um die absehbar gewordene Krise in der UdSSR und im osteuropäischen Einflussbereich, aber auch in den internationalen Beziehungen zu überwinden. Schon nach dem Tod des Diktators begann zugleich innerhalb der sog. kollektiven Führung ein Machtkampf unter Stalins Erben wie schon drei Jahrzehnte zuvor nach der schweren Erkrankung und dem Tod Lenins (1923/24). Regierungschef Malenkov, der als Favorit und Nachfolger Stalins galt, und sein Erster Stellvertreter Berija, der mit dem Repressivapparat, Lagersystem und den NKWD-Truppen einen Staat im Staat beherrschte, waren zunächst die einflussreichsten Politiker, die die Entstalinisierung und den neuen innen- und außenpolitischen Kurs einleiteten. Beide trugen federführend zur Entspannung auf der Halbinsel Korea bei, beendeten die feindselige Politik mit Jugoslawien und waren besonders erfolgreich bei der zeitweiligen Überwindung der Krisen im westlichen Vorposten der UdSSR (DDR, Tschechoslowakei und Ungarn) im Frühsommer 1953 bei. Berija erließ am 27. März 1953 eine Amnestie für die Hälfte der GULAG-Häftlinge (972.829 Personen)[15]. Die Macht und die selbstwussten Aktionen des Innen- und Sicherheitsministers beunruhigten die übrigen Mitglieder der neuen Kremlspitze, die sich als kollektive Führung des Landes verstanden. Vor allem Chruščov begriff wie kein anderer, dass Berija seine Hausmacht ausbaute, sich der Kontrolle der verfassungsmäßig verankerten Führungsrolle der Staatspartei entzog und offenkundig „beabsichtigte, der kollektiven Führung ein schnelles Ende zu bereiten.“[16] Am 26. Juni 1953 ließ er ganz in stalinistischer Manier Berija mit Unterstützung von Militärs unter Leitung von Marschall Georgij Šukov (1896-1974) verhaften und nach einem Geheimprozess im Dezember 1953 als „Agent des internationalen Imperialismus“ hinrichten. Chruščov holte sich auf dem ZK-Plenum vom 2. bis 7. Juli 1953 nachträglich die Legitimation für die Palastrevolution.
Stalins Erben versuchten seit 1953 durch innen- und außenpolitischen Kurswechsel das staatsozialistische System aus der Krise herauszubringen, ohne dabei Stalin in Verbindung mit den Verbrechen und Fehlentscheidungen zu bringen.[17] Das Juli-Plenum 1953 brachte keine kritische Vergangenheitsbewältigung. Mit dem Vollstrecker der Massenrepressalien Berija war ein Sündenbock für alle jene Verbrechen gefunden worden, für die Stalin hauptverantwortlich war, was diesen aus der Schusslinie der Kritik nahm. Die Historiker Knoll und Köllm ziehen aber den Schluss, dass in der auf dem Juliplenum 1953 erfolgten moderaten, „für die damaligen Verhältnisse aber dennoch gewagten Kritik … unbewusst ein Ventil geöffnet wurde, das später nur mit Mühe wieder geschlossen werden konnte.“[18]
3. Absicht und Inhalt des „Geheimberichts“
Der „Geheimvortag“ war keine Improvisation Chruščov wie lange Zeit angenommen wurde. Der Parteichef hielt die Auseinandersetzung für notwendig, hatte auch Mut und die Risikobereitschaft, das Thema auf die Tagesordnung des ersten Parteitages nach Stalins Tod zu setzen. Erst acht Monate nach Einberufung des XX. Parteitages beauftragte des ZK-Präsidium offiziell am 31. Dezember 1955 eine Kommission zur Untersuchung der Massenrepressalien zwischen 1935 und 1940[19], die der ZK-Sekretär und bisherige Direktor des Instituts Marx-Engels-Lenin-Stalin, Pjotr Pospelov (1898-1979), leitete.[20] Ihre hochrangigen Mitglieder nahmen an drei Beratungen des ZK-Präsidiums (1., 9. und 13. Februar 1956) teil, legten Dokumente und Analysen über Verbrechen Stalins vor.[21] Am 13. Februar 1956, einen Tag vor Eröffnung des Parteitages, beschloss das ZK-Präsidium, dass Parteichef Chruščov auf einer geschlossenen Sitzung des Parteitages in einem Vortrag darüber informieren sollte. Da nicht abzusehen war, wie die Parteitagsdelegierten reagieren, wurde entschieden, den „Geheimbericht“ erst nach den Wahlen zu den leitenden Parteiorganen in einer geschlossenen Sitzung ohne Pressevertreter und ohne Diskussion vorzutragen.[22] Am 18. Februar legten die ZK-Sekretäre Pospelov und Averkij Aristov die erste Redevariante vor[23], die Chruschtschow am 19. Februar wesentlich erweiterte[24], bis zum 23. Februar 1956 ergänzte und von den Mitgliedern und Kandidaten des ZK- Präsidiums bestätigen ließ.[25]
3.1. Personenkult – massenhafte Repressalien und Großer Terror
Es ging im Bericht – wie der Titel vorgibt – fast ausschließlich nur um die eine Frage, „die für die Partei in Gegenwart und Zukunft gewaltige Bedeutung besitzt – darum, wie sich der Kult um die Person Stalins herausgebildet hat, der in einer bestimmten Phase zur Quelle einer ganzen Reihe äußerst ernster und schwerwiegender Entstellungen der Parteiprinzipien, der innerparteilichen Demokratie und der revolutionären Gesetzlichkeit wurde. Angesichts dessen, dass sich noch nicht alle bewusst sind, wohin in der Praxis der Personenkult geführt hat, welchen gewaltigen Schaden die Vergewaltigung der Prinzipien der kollektiven Leitung in der Partei und die Konzentration einer unermesslichen und unumschränkten Macht in den Händen einer Person (Hervorhebung, K.-H. G.) angerichtet hat, hält es das Zentralkomitee für erforderlich, dem XX. Parteitag der KPdSU Materialien zur Kenntnis zu geben, die diese Frage betreffen.“[26] Die diktatorische Einzelherrschaft führte im Verlaufe von drei Jahrzehnten zu folgenschweren Fehlentscheidungen in der sozialistischen Entwicklung des Landes, bedrohte zudem die Nomenklatura und beträchtliche Teile der Bevölkerung existentiell. Insofern berührte der „Geheimbericht“ eine wichtige Seite der Aufarbeitung und Überwindung des Stalinismus. Chruščov verwies auf das sog. Politische Testament Lenins, d. h. Lenins Briefe an den Parteitag, die er während seiner Krankheit zwischen den 23.12.1922 und dem 4.1.1923 diktierte.[27] Stalin hatte damals entschieden, diese Dokumente nicht zu veröffentlichen; sie wurden unmittelbar vor dem XIII. Parteitages 1923 auf einer Plenartagung am 21. Mai 1924 verlesen. Erst 33 Jahre später erhielten die Delegierten des XX. Parteitages davon Kenntnis.[28] Lenin schrieb bereits am 24. Dezember 1922: „Gen. Stalin hat, nachdem er Generalsekretär geworden ist (April 1922, K.-H.G.), eine unermessliche Macht in seinen Händen konzentriert, und ich bin nicht überzeugt, dass er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen.“[29] Am 4. Januar 1922 schlug er der Parteiführung vor, „sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte und jemand anderes an diese Stalle setzen, der sich in jeder Hinsicht nur durch einen Vorzug unterscheidet, nämlich dadurch, dass er toleranter, loyaler höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft usw. ist.“ Unter der Sicht einer möglichen Spaltung der Partei, sei das „keine Kleinigkeit, oder eine solche Kleinigkeit, die entscheidende Bedeutung erlangen kann.“[30] Chruščov erklärte den Delegierten, dass Lenins Befürchtungen berechtigt waren: „Stalins negative Eigenschaften … entwickelten sich während der letzten Jahre zu einem schweren Missbrauch der Macht, was unserer Partei unermesslichen Schaden zufügte.“ Wer sich Stalin nicht unterordnete, „war zum Ausschluss aus dem Leitungskollektiv und in der Folge zur moralischen und physischen Vernichtung verurteilt.“[31] Der Redner bezog dieses harte Urteil über Stalin nur auf die Jahre nach 1935. Und hier wiederum wesentlich nur auf höhere Parteikader, die auf dem XVII. Parteitag 1934 gewählt worden waren. Es gehört zweifelsohne zu den Verdiensten Chruščovs, dass er die „massenweisen Repressalien von Staatswegen“[32] in das Zentrum der Auseinandersetzung mit Stalin rückte. Es handelt sich vor allem um die drei Moskauer Prozesse (August 1936, Januar 1937 und März 1938) in denen herausragende Vertreter der sog. Leninschen Garde zu Unrecht zum Tode verurteilt worden waren.[33] Sie waren Generalprobe und Auftakt für den Großen Terror 1937/1938. Im Geheimbericht wird auf die für den Übergang zur massenhaften Terrorpolitik wesentliche Anweisung Stalins verwiesen, die auch Molotov und Kaganovič im Herbst 1936 erhielten: „Wir erachten es für absolut notwendig und dringend, Gen. Jeschow mit dem Posten des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten zu betrauen. Jagoda stand deutlich nicht auf der Höhe der Aufgaben bei der Entlarvung des trotzkistisch-sinowjewistischen Blocks. Der OGPU[34] ist in dieser Frage um vier Jahre in Verzug.“[35] Das sei auf dem Februar-Märzplenum 1937 Stalins Begründung für den Übergang zur Politik der Massenrepressalien gewesen. Damit habe sich die Zahl der Verhafteten 1937 gegenüber 1936 verzehnfacht.[36] Die Partei-, Staats- und Armeefunktionäre bilden die größte Opfergruppe. Aber der Terror richteten sich auch gegen andere Bevölkerungsschichten – gegen Groß- und Mittelbauern, Handwerker, Intellektuelle, Geistliche, Adlige, ehemalige Beamte des Zarenregimes, enteignete Gutsbesitzer Kapitalisten und sog. NÖP-Männer, Angehörige sozialistischer, bürgerlicher und monarchistischer Parteien. 1937/1938 wurden 108.100 der 136.900 verhaftet Kulaken sowie 35.300 der 83.600 verhafteten Geistlichen ermordet.[37] Der Pospelov-Bericht vom 9. Februar 1956 informierte anhand der Archive des Innenministeriums: Zwischen 1935 und 1940 wurden 1.920.635 Personen verhaftet, davon 688.503 erschossen.[38] Offenbar schreckte Chruščov davor zurück, das Ausmaß der politischen Verfolgung und physischen Vernichtung von Sowjetbürgern offen zu legen; er verwies lediglich darauf, dass das Militärkollegium des Obersten Sowjet bis Ende 1955 erst 7.679 Personen rehabilitiert hatte, darunter viele posthum.[39] Allein zwischen 1936 und 1939 ließ Stalin 1,2 Mio. Kommunisten (die Hälfte aller Parteimitglieder) verhaften, von denen 600.000 umgebracht wurden.[40] Es ist also durchaus verständlich, warum Stalins Großer Terror gegen die KPdSU auf dem ersten Parteitag nach Stalins Tod eine so zentrale Rolle spielen musste.
Nach Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung liegt gegenwärtig die schreckliche Bilanz der unter Regie bzw. mit Billigung Stalins 1930-1953 von Staatswegen allein zum Tode Verurteilten und Hingerichteten sowjetischen Staatsbürger vor.[41] Der Großen Terror war Höhepunkt der Vernichtungspolitik: Von den 1.575.350 verhaften Sowjetbürgern wurden 1.344.923 verurteilt, davon 686.000 zum Tode. Von Repressalien in dieser Zeit waren nahezu alle Völker der UdSSR betroffen: Der Anteil der größeren Nationen war besonders hoch: Russen (46,3%), Ukrainer (13.3%) und Belorussen (4,1%). Von den nationalen Minderheiten standen Polen (7,4%), Deutsche (5,3%) und Juden (2,1%) an der Spitze.[42] Im Gulag, in den Gefängnissen und Sondersiedlungen befanden sich etwa 3 Mio. Häftlinge.[43] O. Chlevnjuk beurteilt die Zeit zwischen Frühjahr 1937 und Herbst 1938 wie folgt: „Keines der anderen Verbrechen, die Stalin an der sowjetischen Bevölkerung verübte, nahmen ähnliche Ausmaße an oder verlief annähernd so brutal, und nur wenige andere Ereignisse der Menschheitsgeschichte sind mit ihm vergleichbar. Die enormen Opferzahlen sind der Grund dafür, dass der Große Terror zum Symbol für Stalins Diktatur und seine persönliche Grausamkeit wurde. Dass er selbst den Terror inszenierte, ist von der seriösen Wissenschaft nie in Frage gestellt wurden, und weitere Beweise für seine Beteiligung wurden durch die Recherchen in den Archiven gefunden. Durch das neue Material wurde deutlich, wie stark Moskau in die Operationen involviert war. Nachdem zweifelsfrei feststeht, dass Stalin der Anstifter der Organisation des großen Terrors war, widmet sich die Geschichtswissenschaft nun der Aufgabe, seine Pläne und Absichten in jenen blutigen Monaten zu rekonstruieren.“[44]
Aus heutiger Kenntnis und Sichtweise war die damalige Kritik am Verhalten des langjährigen Generalsekretärs der KPdSU gegenüber seiner Partei aus einem anderen Grund unzureichend, ungenau und halbherzig: Stalin habe seit 1922 bis Mitte der 30er Jahre eine positive Rolle gespielt beim sozialistischen Aufbau und im ideologischen und politischen Kampf gegen den „Linksblock“ (1925-1927) um Lev Tročkij, Georgij Zinovjev und Lev Kamenev, die „Rechtsabweichler“ (1928-1930) um Nikolai Bucharin, Alexej Rykov und Michail Tomskij und gegen die sog. bürgerliche Nationalisten. Das sei ein notwendiger „unbarmherzige ideologische Kampf“ gewesen, denn deren antileninistische Linie hätte „im Grunde genommen zur Wiedererrichtung des Kapitalismus, zur Kapitulation vor der Weltbourgeoisie geführt.“ Es hätte keine Schwerindustrie und keine Kolchosen gegeben und das Land wäre „der kapitalistischen Umkreisung gegenüber ohne Verteidigung und machtlos gewesen.“[45] Falsch und verbrecherisch sei aber gewesen, dass Stalin zwischen 1935 und 1938 massenhafte Repressalien organisierte, „zuerst gegenüber den Gegnern des Leninismus: gegenüber den Trotzkisten, Sinowjewleuten und Bucharinleuten, die schon seit langem politisch zerschlagen waren, später auch gegenüber vielen ehrliche Kommunisten, gegenüber denjenigen Parteikadern, die die schwere Last des Bürgerkrieges sowie der ersten und schwierigsten Jahre der Industrialisierung und Kollektivierung auf ihren getragen hatten.“[46] Lenin habe niemals gegenüber Parteioppositionellen die Frage ihrer Verhaftung oder gar Erschießung gestellt.[47] Diese herausragenden Funktionäre, die sog. Leninschen Garde, wurden durch Stalins Kampf um die Alleinherrschaft ausgeschaltet und umgebracht, blieben aber nach Stalins Tod weiterhin „Unpersonen“. Ihre Rehabilitierung wurde im Dezember 1956 grundsätzlich abgelehnt[48], sie erfolgte teilweise erst in der Perestroika.
3.2. Zwangsdeportationen von Völkern und nationalen Minderheiten
Der „Geheimbericht“ informiert anhand von Materialien zur Kaukasusregion über einen weiteren wesentlichen Komplex der Verbrechen Stalins – über die Zwangsdeportationen ganzer Völker und nationaler Minderheiten 1943/1944[49], wobei das Ausmaß der Opfer unerwähnt bleibt: Von Sommer 1942 bis Frühjahr 1943 besetzte die deutsche Wehrmacht den Kaukasus. Kollaborateure einer Reihe kaukasischer Völker unterstützten die deutsche Besatzungsmacht gegen sowjetische Truppen und Partisanen. Das war der Grund, warum nach der Befreiung dieser Gebiete Stalin und Berija unter dem Einsatz von 110.000 Mann der NKWD-Sondertruppen Massendeportationen der 91.919 Kalmücken (24.-27. 12. 1943), 362.282 Tschetschenen und 134.178 Inguschen (23.-28. Februar 1944), 68 327 Karatschaier und 37.406 Balkaren in mittelasiatische und sibirische Sondersiedlungen planten und organisierte.[50] Das Ausmaß der Massenrepressalien gegen andere Völker der multiethnischen UdSSR zwischen 1930 und 1953 wurde erst später bekannt.
Die Pospelov-Kommission legte im Februar 1955 allerdings auch Materialien über die sog. nationalen Operationen des NKWD vor.[51] Diese repressiven Aktionen fanden im Geheimbericht keine Erwähnung. Die Repressionspolitik gegen nationale Minderheiten und nationale Gruppen bildet eine wesentliche Seite des Stalinismus. Zu den folgenschweren Fehlentscheidungen in der nationalen Frage kam es schon als Stalin seine Alleinherrschaft errichtete. Er musste schon Ende der 20er Jahre zur Kenntnis nehmen, dass die bisher propagierte Formel vom Aufblühen und Annähern der Völker der UdSSR bis hin zur Bildung eines sowjetischen Volkes (Sowjetvolk) ein langwieriger und widersprüchlicher Prozess ist, der nicht in einigen Jahrzehnten zu erreichen ist. Die Führung unter Stalin beendete die bisherige Nationalitätenpolitik Lenins, die Politik des nationalen Verwurzelung (Korenisacija) und der Annäherung. Nunmehr sollte mit repressiven Mitteln in wenigen Jahren ein homogenes Sowjetvolk geschaffen werden. Offenbar bestand in der Führung eine Furcht vor einer möglichen nationalen Separation und einem Auseinanderfallen des Föderationsstaates. In der Verfassung der UdSSR war noch immer das Recht einer jeden Unionsrepublik auf Austritt aus der UdSSR festgeschrieben. Zu der Serie von repressiven Operationen des Großen Terror (NKWD-Befehl Nr. 00447) gegen sog. linke und rechte Abweichler der Kommunistischen Partei, politische und soziale Gruppen kamen noch Massenrepressionen gegen mehr als ein Dutzend nationale Minderheiten und ausländische Emigranten. In diesen sog. Nationalen Operationen wurden allein 1937/1938 346.713 Personen verhaftet, von denen 335.513 abgeurteilt wurden – 247.157 zum Tode, 96.556 zu Lager- und Gefängnishaft.[52] Der Geheimbericht gibt keine Informationen über diese Seite des Großen Terrors, der gegen die meisten nationalen Gruppen wie auch gegen ausländische Emigranten, vor allem in die UdSSR geflüchtete Kommunisten, gerichtet war. Die in der sowjetischen Grenzregion zu Japan im Fernen Osten lebenden 168 300 Koreaner wurden im Herbst 1937 nach Kasachstan und Usbekistan zwangsdeportiert. Sie lebten dort in geschlossenen Sondersiedlungen. Die „Polnischen Operation“ (NKWD-Befehl Nr. 00485 vom 11. August 1937) traf zunächst die meisten kommunistischen Politemigranten. Stalin veranlasste schon im November 1937 die KP Polens als „eine von Spionen, Provokateuren, der polnischen Polizei und fremden Geheimdiensten“ aufzulösen.[53] Von den 37 Mitgliedern und Kandidaten des ZK der KP Polen überlebten nur acht, von den seit 1936 in der UdSSR emigrierten 3.417 Kommunisten weniger als 100.[54] Am härtesten traf es jedoch die starke polnische nationale Minderheit in der Sowjetunion (636.220 Personen, davon 417.000 in der Ukraine, 120.000 in Belorussland und 92.000 in der RSFSR): 139.000 Polen wurden verhaftet und zumeist in Sondersiedlungen deportiert.[55] Im Zuge der Deutschen Operation (Befehle Nr. 00439 vom 25. Juli 1937 und Nr. 00698 vom 28. Oktober 1937)[56] wurden von der großen Minderheit der 1.4 Mio. Russlanddeutschen 65.339 Deutsche (darunter auch etwa 800 der 4.000 in der UdSSR lebenden deutschen Staatsbürger und Politemigranten) inhaftiert.[57] In weiteren „Nationalen Operationen“ erfolgte die Verhaftung und Deportation von Letten (23.539), Iranern (15.946), Griechen (15.654), Finnen (10.598), Rumänen (9.043), Esten (8.819) u.a.[58] Diese Operationen Moskaus reichten bis in die von der UdSSR völlig abhängige Mongolische Volksrepublik. 1937/1938 wurden 17.000 Mongolen, vor allem geistliche Würdenträger, verhaftet.[59] Unerwähnt blieben im „Geheimbericht“ die neue Welle der Repressionen gegen Eliten und Bevölkerung in den 1939/1940 zur UdSSR hinzugekommenen ostpolnischen (Westukraine, Westbelorussland), ostrumänischen (Nordbukowina, Bessarabien) Gebiete und der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Hunderttausende polnische, rumänische, litauische, lettische und estnische Staatsbürger wurden Opfer von Stalins Terror. Die Massenrepressionen nach den Kriterien und Methoden des Großen Terrors bis zum Kriegsausbruch richteten sich gegen potenzielle, aber auch reale antisowjetische und pronazistische Teile der Bevölkerung. In den drei baltischen Ländern wurden im ersten Jahr der sowjetischen Herrschaft 20.000 Staatsbürger inhaftiert, davon allein 14.467 in den großen NKWD-Operationen vom 13. bis 18. Juni 1941. Weitere 43.000 Litauer, Letten, Esten, Polen und Juden des Baltikums wurden in das Innere der UdSSR zwangsumgesiedelt, der größte Teil (25.711 Personen) erst kurz vor Kriegsausbruch. Repressivmaßnahmen erreichten nicht – wie als Ziel und Grund der Operation angegeben – die eigentliche „Fünfte Kolonne“, die bis zum Kriegsausbruch überlebte. Zu ihr gehörte der im Juni 1941 intakte antisowjetische und pronazistische Untergrund von 20.000 Litauern, 12.000 Esten und 8.000 Letten, der den Einmarsch der Hitlerwehrmacht, die deutsche Okkupation und den Judenmassenmord maßgeblich unterstützte.[60] Ebenso wurde auch in den von der Roten Armee annektierten ostpolnischen und ostrumänischen Gebieten (Bessarabien, Nordbukowina) 22.648 Moldauer (Rumänen) in sibirische Sondersiedlungen deportiert.[61]
Ähnliches geschah im Zusammenhang mit der sowjetischen Eroberung und Besetzung der ostpolnischen Gebiete (200.000 km², 13,4 Mio polnische Staatsbürger – Ukrainer, Polen, Juden und Belorussen u.a.). 900.000 (der 5 Mio. ethnischen Polen) wurden zwischen September 1939 und Juni 1941 in die östlichen Gebiete der UdSSR deportiert, davon 230.000 polnische Berufs- und Reserveoffiziere, Soldaten, Polizei- und Sicherheitsbeamte. Entsprechend einem Politbürobeschluss vom 5. März 1940, unterzeichnet von Parteichef Stalin, Staatsoberhaupt Kalinin, Innenminister Berija, Regierungschef und Außenminister Molotov, Verteidigungsminister Vorošilov und Vizepremier Mikojan, wurden polnische Berufs- und Reserveoffiziere, Polizei- und Sicherheits- und Verwaltungsbeamte, Gutsbesitzer, Priester, Ärzte, Lehrer, Künstler, Wissenschaftler aus den drei NKWD-Lagern Kosel‘sk (4.421), Starobelsk (3.920) und Ostaškov (6.311) sowie aus den westlichen Gebieten der Ukraine und Belorussland (7.305) in den Wäldern von Katyn (Gebiet Smolensk) sowie in den Gebieten Kalinin (Twer) und Charkov erschossen. Davon erfuhr die Weltöffentlichkeit erstmals, als die deutsche Wehrmacht im Frühjahr 1943 bei Katyn auf die Massengräber stieß und durch eine Untersuchungskommission (April-Juni 1943) mit internationaler Beteiligung die sowjetische Führung für den Massenmord verantwortlich machte. Moskau stritt das ab und setzte nach der Befreiung des Gebietes im September 1943 eine eigene Untersuchungskommission ein, die den Mord der deutschen Wehrmacht zuschob und dann auf dem Nürnberger Prozess die Naziführung des Völkermords anklagte. Obwohl es im Nürnberger Urteil keine Feststellung zur deutschen Schuld darüber gab, hielt auch die sowjetische Führung von Chruščov (er kannte die Hintergründe des Massenmords seit 1959) bis Gorbačov an dieser Geschichtsfälschung fest. Erst unter Präsident Boris Jelcin wurde dieses Verbrechen weitgehend vollständig von einer Experten-Kommission des Obersten Militärischen Prokurators Russlands aufgeklärt und von der Regierung Russlands anerkannt. Es liegen umfangreiche Dokumente und Tatsachen nunmehr vor, die dies eindeutig belegen.[62] Unerwähnt bleiben im Geheimbericht die zwischen August 1941 und Juni 1942 erfolgte Massendeportationen von 1,2 Mio der insgesamt 1,4 Mio) Russlanddeutschen (u.a. die 370 000 Deutschen der Autonomen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen sowie der Deutschen in der Ukraine, im Kaukasus, Leningrad oder Moskau). Keine Erwähnung findet der antikommunistische Untergrundkrieg von Kollaborateuren und kriminellen Banden in den westlichen Gebieten der Ukraine (40.000 Mann) und Belorusslands (2.200) sowie im Baltikum (17.100), der in den Nachkriegsjahren 1944-1953 fortgeführt wurde. Zehntausende Westukrainer, Litauer (34.000), Letten (30.000) und Esten (8.000) wurden aber auch wegen des Widerstandes der Bevölkerung gegen militärische Zwangsrekrutierungen und gewaltsame Kollektivierung der Landwirtschaft in geschlossene Sondersiedlungen in östliche Teile der UdSSR deportiert. [63] Der sog. Geheimbericht gibt auch keine Auskunft über die von Stalin aufgelöste Autonome Republik der Krimtaren und die Zwangsdeportation eines großen Teils der Bevölkerung der Krim. Zwangsausgesiedelt wurden nicht nur die 180.000 Krimtataren (18.-20. Mai 1944), die tragende Nation der Halbinsel, sondern auch die hier ebenfalls lange ansässigen 37.000 Bulgaren, Griechen und Armenier (Juni 1944). Auch im Grenzgebiet Georgiens zur Türkei lebenden 86.000 Turkmescheten, Kurden und Chemchinen wurden zwischen dem 15. und 25. November 1944 in Sondersiedlungen verbannt.[64]
Im Zusammenhang eines drohenden neuen antikommunistischen und antisowjetischen Kreuzzuges sieht der Historiker Chlevnjuk eine entscheidende Ursache für den Übergang Stalins zur Politik der Massenrepressalien und terroristischer Gewalt: Um das Wesen des stalinischen Regimes zu verstehen, müsse man berücksichtigen, dass die bolschewistische Partei durch Krieg gegen die ausländischen Interventen an die Macht gekommen sei. Die alleinherrschende Staatspartei musste immer damit rechnen, dass sie ihre Macht und ihren Staat durch koordinierte Anstrengungen kapitalistischer Großmächte und innerer Konterrevolution verlieren konnte. Um das zu verhindern, sah die sowjetische Führung unter Stalin zwei ständige Aufgaben: „eine leistungsstarke Militärindustrie und ein sicheres Heimatterritorium. Letzteres machte die Vernichtung innerer Feinde erforderlich.“[65] So bestand ein enger Zusammenhang mit der drohenden Kriegsgefahr und den ersten Aggressionsakten Nazideutschlands, Italiens und Japan. Vor allem durch den Spanischen Bürgerkrieg – so Chlewnjuk – „fühlte sich Stalin in seiner Überzeugung bestätigt, dass die Sowjetunion gesäubert werden müsste, um einen Angriff standhalten zu können. Der Bürgerkrieg brachte viele wohlvertraute Übel hervor: Anarchie, Guerillakrieg, eine … unscharfe Trennlinie zwischen Hinterland und Front, Verrat. Und es war dieser Krieg, in dem der Begriff der ‚Fünfte Kolonne‘ entstand.“[66] Stalin sah die Gefahr, dass vor allem die Staaten des Antikomintern-Pakts (Deutschland, Italien, Japan) die UdSSR in ein zweites Spanien verwandeln könnten.[67] Die Sowjetunion frühzeitig von einer sog. Fünften Kolonne zu säubern „war in den Dreißigerjahren in der gesamten UdSSR ein Dauerthema und für Stalins Weggefährten ein Glaubenssatz.“[68] In seinem Gespräch mit dem Journalisten Čuev hat Stalins engster Mitstreiter Molotov, Regierungschef und Außenminister, noch ein halbes Jahrhundert später danach diese tiefverwurzelte Auffassung jener Zeit bekräftigt: „Neunzehnhundertsiebenunddreißig war notwendig, wenn man in Betracht zieht, dass wir nach der Revolution gegen Rechts und Links kämpften und siegreich waren, aber andere Arten von Feinden dablieben und sich angesichts der unmittelbaren Gefahr einer faschistischen Aggression womöglich vereinen würden. Wir haben die Tatsache, dass wir während des Krieges keine fünfte Kolonne hatten, 1937 zu verdanken.“[69] Zur potentiellen sog. Fünften Kolonne zählte Stalin auch seine engere Führung.
3.3. Was bleibt im Geheimbericht tabu?
Die sowjetische Führung sah 1956 keinen Grund, an den mit der Oktoberrevolution und dem Sieg der Sowjetmacht geschaffenen staatlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen Kritik zu üben. Sie entstanden mit der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg (sog. Kriegs- bzw. Militärkommunismus). Sie wurden teilweise im Zusammenhang mit der Einführung der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) 1921-1929 aufgebrochen. Es entstanden bei Dominanz des Staatssektors privatkapitalistische und genossenschaftliche Wirtschaftssektoren. Doch die herrschende Parteifraktion unter Generalsekretär Stalin sah Ende der 20er Jahre in der NÖP die drohende Gefahr für eine Rückkehr des Kapitalismus. Trotz der verheerenden Folgen des Kriegskommunismus (1918-1920) entschied Stalin den Abbruch der NÖP. Er sah im Requirieren des Mehrproduktes der bäuerlichen Bevölkerung zugleich die Möglichkeit, die Industrialisierung des Landes schneller voranzutreiben. Doch ähnlich wie während des Kriegskommunismus unter Lenin stießen die Zwangskollektivierung und Enteignung der mittelständischen Kulaken auf Widerstand der bäuerlichen Bevölkerung. Es kam erneut zu Unruhen und Aufständen in den überwiegend ländlichen Regionen der UdSSR. Die Zahl der aufständischen Bauern stieg von 1929 bis 1930 von 244.000 (1.300 Aktionen) auf 3,4 Mio (13.800 Aktionen). Die Hälfte der Aufständischen entfiel auf die größte Unionsrepublik, die Ukraine.[70] 1933 befanden sich 2,5 Mio. Bauern in Arbeitslagern, Gefängnissen oder in weit entlegenen Sondersiedlungen.[71] Der von Stalin organisierte „Große Sprung“ einer forcierten Industrialisierung und der erzwungenen Kollektivierung schlug fehl und endete in einer landesweiten Hungersnot, vor allem in der Ukraine, im Nordkaukasus, Kasachstan und in einigen russischen Gouvernements, wo 70 Mio. der 160 Mio. Einwohner des Landes lebten.[72] Eine der schlimmsten Folgen der Zwangskollektivierung und der gewaltsamen Enteignung und Zwangsaussiedlung eines Teils der bäuerlichen Bevölkerung, vor allem der Großbauern (Kulaken) und teilweise Mittelbauern sowie der gewaltsamen Requirierung eines Teils der landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch den Staat waren die Hungersnot und das Massensterben von über sieben Mio. Menschen – davon schätzungsweise die Hälfte in der Ukrainischen SSR (3,5 Mio.), aber auch 2,5 Mio. in der RSFSR (vor allem Wolgagebiet, Nordkaukasus, Zentrales Schwarzerdegebiet, Südural) und in der Autonomen Republik Kasachstan (1,7 Mio.), die damals noch zur RSFSR gehörte. Es handelt sich nicht, wie vor allem Politiker und Ideologen der heutigen Ukraine, aber auch eine Reihe Historiker behaupten, um einen Genozid am ukrainischen Volk (Holodomor-Hungerterror).
Die Hungersnot war natürlich keine Naturkatastrophe, sondern das Resultat einer verfehlten und im Endeffekt verbrecherischen Politik des Stalinregimes.[73] Ein Teil der damaligen Führung, die Anhänger der NÖP mit dem prominenten Theoretiker und Politiker Nikolai Bucharin, konnte sich damals nicht durchsetzen. Sie wurden als „rechte Abweichler“ denunziert, aus der Führung ausgeschlossen und während des Großen Terrors ermordet. Der „Geheimbericht“ kritisiert diesen Rückfall in das kriegskommunistische Gesellschaftsmodell nicht. Das ist auch der Grund, weshalb die sog. Rechtsabweichler, die sich gegen die Rückkehr zu kriegskommunistischen Methoden in Gestalt der Entkulakisierung wandten, nicht rehabilitiert wurden und praktisch weiterhin „Unpersonen“ blieben. Das erklärt, warum die neue kollektive Führung erst im August 1954 das Zwangssystem für die noch am Leben gebliebenen 20.000 Kulaken lediglich aus ökonomischen Überlegungen aufhob. Die Verbannten blieben aber auch weiterhin in den einstigen Sondersiedlungen und wurden auch nicht rehabilitiert.[74] Im Gegenteil: Die seit Ende der 20er Jahre von oben mit Gewalt erzwungene forcierte Überindustrialisierung und Massenkollektivierung der Landwirtschaft zählten damals zu den großen Verdiensten Stalins im Kampf um die Errichtung des Sozialismus.[75] Die neue kollektive sowjetische Führung war weder 1953 noch nach dem XX. Parteitag 1956 an einer NÖP im Sinne eines Umbaus des Staatseigentums in Richtung genossenschaftlichen Eigentums und genossenschaftlicher Produktionsverhältnisse interessiert. Sie sahen in den Staatsgütern und Kolchosen bereits realen Sozialismus, von dem aus der Start in eine klassenlose kommunistische Gesellschaft auch auf dem Lande erfolgen sollte.
Der „Geheimbericht“ enthält keine Kritik an Stalins Außenpolitik mit Ausnahme der Fehlentscheidungen gegenüber dem sozialistischen Jugoslawien. Kein Wort über seine Hegemonialpolitik gegenüber der verbündeten osteuropäischen Staatengruppe, die diktatorischen Einmischungen in ihre inneren Angelegenheiten (Baltikum 1939/1940, sowjetisch-finnischer Krieg 1939/40). Kein Thema war ebenfalls die differenziert zu bewertende Politik Stalins gegenüber Nazideutschland und der – angesichts des realistischerweise erwarteten Angriffs Nazideutschlands und der einen Beistandspakt de facto verweigernden Haltung der Westmächte erfolgte – Abschluss der deutsch-sowjetischen Verträge über Nichtangriff und Freundschaft im August und September 1939, die dem Land Zeit verschaffen sollten, und die damit verbundenen Annexionen des Baltikums, ostpolnischer und ostrumänischer Staatsgebiet sowie Massenrepressalien an den Staatsbürger dieser sechs Staaten. Auch wurde die Beschwichtigungs- und Befriedungspolitik 1939/1940 gegenüber dem deutschen faschistischen Aggressor keiner Kritik unterzogen.[76]
[1] Die KP der Tschechoslowakei, der DDR, Polens, Ungarns, Rumäniens, Bulgariens, Albaniens, Jugoslawiens, Chinas, Nordvietnams, Nordkoreas, Nordvietnams, Frankreichs und Italiens wurden mit der „Geheimrede“ am 27. Februar 1956 und am 28. März 1956 16 KP-Vertreter aus Europa; Nahost und Lateinamerika. 16 KP vertraut gemacht. Am 5. März 1956 beschloss das ZK-Präsidium der KPdSU, die gedruckte Rede den Parteiführungen aller Sowjetrepubliken, den Gebiets- und Regionskomitees zu übermitteln, um sie allen Kommunisten, Komsomolzen sowie die Aktivs der parteilosen Arbeiter, Angestellten und Kolchosbauern in Betrieben und Einrichtungen zu verlesen (vgl. Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina na XX s-ezde KPSS, Moskva 2002, S 252-254 (Dok. 24, 25 und 26). Sie war am 4. Juni 1956 von der New York Times, vom USA-Außenministerium und von der Le Monde publiziert worden. In deutscher Sprache erschien sie in der Zeitschrift Ost-Probleme, Köln 1956 Nr. 25/26. In seinen Memoiren Chruschtschow erinnert sich. Authentische Memoiren (1970), bestätigte der ehemalige Erste Sekretär der KPdSU, die Identität seiner Rede. Sie wurde in der UdSSR erst nach 33 Jahren abgedruckt (Izvestija Centralnogo Komiteta, Moskva 1989, Nr. 3, S. 128-170) und in deutscher Sprache nachgedruckt: Die Geheimrede Chruschtschows. Über den Personenkult und seine Folgen, Berlin 1990.
[2] Vgl. Nikita S. Chruschtschow: Rechenschaftsberichte des Zentralkomitees der KPdSU an den XX. Parteitag, Berlin 1956. Nikolai A. Bulganin: Richtlinien des XX. Parteitages der KPdSU für den sechsten Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft in der UdSSR in den Jahren 1956-1960, Berlin 1956.
[3] Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina, S. 257-265 (Dok. 1), S. 369-376 (Dok. 36); V. A. Kozlov: Političeskie volnenija v v gruzii posle XX.S-ezda KPSS, in: Otečestvennaja istorija, Nr. 3/1997, S. 22-51,
[4] Vgl. M. Ju. Prozumenščikov: „Sekretnyj“ Doklad N. S. Chruščova na XX c-ezde KPSS i mezdunarodnoe kommunistitečeskoe dviženie, in: Doklad N. S. Chruščova o kul’te licčnosti Stalina, S. 17-40 und S. 609-795.
[5] Vgl. Archivy Kremlja: Prézidium CK KPSS 1944-1964, Černovye protokol’nye zapisi zasedanij Stenogrammy. Glavnyj redaktor A. A. Fursenko, Tom I, Moskva 2004, S. 136 (Dok. 51 /25. 5. 1956) und S. 139 (Dok. 54); Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina, S. 287f (Dok. 11) und S. 347f (Dok. 29). Zu den nichtgehalten Bericht von ZK-Sekretär D. T. Šepilov und dem Beitrag von Marschall Žukov, vgl. ebenda, S. 325-342 ( Dok. 26) und S. 309-323 (Dok. 24)
[6] Vgl. Pravda vom 30. Juni 1956, Nachdruck in: Neues Deutschland (B) vom 3. Juli 1956, S. 3-4.
[7] Vgl. Karl-Heinz Gräfe: Arbeiterunruhen in und um Novočerkassk im Juni 1962, in: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 92, Dezember 2012, S. 132-144.
[8] Vgl. Nikoljaj Koposov: Pamjat‘ strogogo režima. Istorija i politika Rossii, Moskva 2011; Anna Becker: Mythos Stalin, Berlin 2016.
[9] Vgl. G. Furr: Antistalinistskaja podlost‘, Moskva 2007; ders: Teni XX. S-ezda, Moskva 2010; Juri Muchin/Grover Furr/Aleksej Goležov: Obolžannyj Stalin, Moskva 2010; G. Furr: Stalin ve Demokrasi - Trotzki ve Naziller, Istambul 2013.
[10] Grover Furr: Chruschtschows Lügen, Berlin 2014, S. 255. Zur Kritik vgl. auch Roger Keeran: Chruschtschows „Geheimrede“ und die historische Wahrheit. Zu Grover Furrs Buch, in: Marxistische Blätter 2/2016, S. 103-110.
[11] Oleg Chlevnjuk: Stalin. Eine Biographie, München 2015, S. 9 und 11.
[12] Ebenda, S. 516.
[13] Regierungschef Malenkov verzichtete schon am 14. März 1953 auf sein Amt als Parteiführer. Das ZK-Plenum bestimmte ein kollektives Leitungsorgan der Staatspartei, das ZK-Sekretariat mit den Sekretären Chruščov (er wurde von seiner Funktion als hauptstädtischer Parteichef entbunden), Michaiil Suslov, Pjotr Pospelov, Nikolai Šatalin und Semjon Ignat’ev. Von ihnen gehörte nur Chruščov dem engsten Führungskreis, dem ZK-Präsidium, dem früheren Politbüro (bis 1952), an. Er wurde im September 1953 offiziell als Erster Sekretär des ZK der KPdSU.
[14] Zum Präsidium des ZK der KPdSU gehörten nach Stalins Tod am 5. März 1953 Berija, Bulganin, Malenkov, Mikojan, Molotov, Kaganovič, Perwuchin, Saburov, Vorošilov und Chruščov.
[15] Bis zum 10. Augst 1953 wurden 1.032.000 Lagerhäftlinge entlassen. Vgl. Andrej Suchomlinov: Kto vy, Lavrentij Berija, Moskva 2003, S. 11, Anm. 1.
[16] Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung, Plenum des ZK der KPdSU Juli 1953. Stenographischer Bericht. Herausgegeben und aus dem Russischen übersetzt von Viktor Knoll und Lothar Kölm, Berlin 1993, S. 13.
[17] Im internen Kreis, auf dem geheimen Juliplenum 1953, kritisierte Malenkov als Einziger erstmals Stalin und den „Personenkult“ um seine Person und dessen Abkehr von der „kollektiven Leitung der Partei“. Vgl. Der Fall Berija, S. 313-320.
[18] Der Fall Berija, S. 10.
[19] Vgl. Archivy Kremlja: Prezidium CK KPSS 1944-1964, Dok. 24, S. 78-80.
[20] Zur Pospelov-Kommission gehörten KGB-Vors. (seit 1954) I. A. Serov (1905-1990), Generalstaatsanwalt (seit 1953) P. A. Rudenko (1907-1981), Vors. der Parteikontrollkommission (seit 1952) P. T. Komarov (1898-1981), Vors. der Gewerkschaften (seit 1953) M. N. Svernik (1888-1970) und der ZK-Sekretär (seit 1952) A. P. Aristov (1903-1973).
[21] Vgl. Archivy Kremlja: Prezidium CK KPSS 1944-1964, Dok. 30, 32 und 33, S. 95-106, Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličcnosti Stalina, Dok. 9-18, S.175-240.
[22] Vgl. ebenda, Dok. Nr. 19, S. 241-243.
[23] Vgl. ebenda, Dok. Nr. 2 vom 18.Februar 1956, S. 120-133.
[24] Vgl. ebenda, Dok. Nr. 3 vom 19. Februar 1956, S. 134-162.
[25] Vgl. ebenda, Dok. Nr. 1 vom 25. Februar 1956, S. 51-119.
[26] Ebenda, S. 8f.
[27] Das sog. Politische Testament spielte im Kampf um die Macht im Zusammenhang mit Lenins Erkrankung, seiner politischen Isolierung und auch nach seinem Tode eine wichtige Rolle in den Machtkämpfen 1924-1929. Vgl. Wladislaw Hedeler: Nikolai Bucharin. Stalins tragischer Opponent. Eine politische Biographie, Berlin 2015, S. 220ff. und S. 230 ff.; vgl. u.a. Konstantin Romanenko: Bor’ba i pobedy iosifa Stalina. Tajny „Zavečanija Lenina“, Moskva 2007; Vdallen Sirotkin: Počemu proigral Tročkij, Moskva 2005.
[28] Das „Testament“ Lenins wurde erstmals in „Kommunist“ Nr. 9/1956 veröffentlicht, In deutscher Sprache abgedruckt in: W. I. Lenin. Werke, Bd. 36, Berlin 1976, S. 577-596.
[29] Ebenda, S. 579.
[30] Ebenda, S. 580.
[31] Die Geheimrede Chruschtschows. Über den Personenkult und seine Folgen, Berlin 1990, S. 13f.
[32] Ebenda, S. 16.
[33] Vgl. Wladislaw Hedeler: Moskauer Schauprozess gegen den „Block der Rechten und Trotzkisten“, Berlin 1998.
[34] OGPU (russ) – Vereinigte Staatliche Politische Hauptverwaltung (Staatssicherheit)
[35] Die Geheimrede, S. 29f. Nikolaj Ivanovič Éšov (1895-1940), 1936-1938 Volkskommissar für Inneres (NKVD), Generalkommissar für Staatssicherheit 1937, 1939 verhaftet und 1940 hingerichtet; Genrich Grigor‘evic Jagoda (1891-1938), 1934-1936 Innenminister (NKWD), 1935 Generalkommissar für Staatssicherheit, 1936/1939 Volkskommissar für Verkehrswesen, 1937 verhaftet und 1939 hingerichtet.
[36] Vgl. ebenda, S, 30ff.
[37] Zu den Nachweisen vgl. Džon Kip/Apter Litvin: Epocha Iosifa Stalina v Rossii. Sovremennaja istoriografia, Moskva 2006, S. 289 und 291.
[38] Vgl. Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina, Dok. Nr. 11 vom 9. Februar 1956, S. 185.
[39] Vgl. Die Geheimrede, S. 40. Die Parteiinstanzen rehabilitierten bis dahin 5.798 Kommunisten. Vgl. Rehabilitacija:kak eto Bylo. Dokumenty Presidiuma čK i drugie materialy, tom 1: Mart 1953- fevral‘ 1956, Moskva 2000.
[40] Istorija Kommunističeskoj Partii Sovetskogo Sojuza, Moskva 2013, S. 235.
[41] Hinrichtungen in der Sowjetunion zwischen 1922 und 1953*:
Tabelle siehe PDF !
Vgl. Istorija Kommunističeskoj Partii Sovetskogo Sojuza, Moskva 2013, S. 235, Anm. 223.
* Diese Opferzahlen sind unvollständig: 2,3 Mio. der 5,3 sowjetischen Kriegsgefangenen überlebten. Von 1,8 Mio in die Heimat Repatriierten wurden 994.000 verhaftet und abgeurteilt, 157.000 erhielten die Todesstrafe. Insgesamt wurden 1941-1945 2,5 Mio. sowjetische Soldaten und Offiziere inhaftiert, davon 225.000 hingerichtet. Vgl. Džon Kip/Apter Litvin: Epocha Iosifa Stalina v Rossii, S. 292f.
[42]Vgl. V. V. Karpov: Generalisimus, Moskva 2003,Kniga1, S. 148f.
[43] Nikolas Werth: Ein Staat gegen sein Volk, in: Das Schwarzbuch, München/Zürich 1998, S. 237.
[44] Oleg Chlevnjuk: Stalin, S. 247.
[45] Die Geheimrede, S. 15.
[46] Ebenda, S. 16.
[47] Vgl. ebenda, S. 20f.
[48] Vgl. Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina, Dok. Nr. 42 vom 14. Dezember 1956, S. 392f.
[49] Die Geheimrede, S. 56f.
[50] V.N. Zemskov: Sočposelency v SSR 1930-1960, S. 105ff
[51] In dem NKWD-Rapport an Stalin vom 10. September 1938 wurde informiert, dass von 227.086 verhafteten Personen aus einem Dutzend nationaler Minderheiten (Polen, Deutsche, Esten, Letten, Finnen, Koreaner („Charbiner“), Rumänen, Griechen, Iraner Afghanen u.a.) 172.830 erschossen wurden. Vgl. Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina, Dok. Nr. 11 vom 9. Februar 1955, S. 191.
[52] Vgl. Leonid Naumov: Stalin i NKWD, Moskva 2010, S. 215.
[53] Zitiert nach Ryszard Nazarewicz: Die Kommunistische Internationale und Polen (1938 bis 1943/1945, in: Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung, Heft 21, Berlin 2003, S. 3-38, hier S. 9.
[54] Ryszard Nazarewicz: Die Kommunistische Internationale, S. 8 ff.
[55] Im Zwischenbericht über die sog. Nationalen Operationen vom 10. September 1938 wurden 106.666 Personen der polnischen Minderheit verhaftet, davon 84.471 erschossen, nur 2.234 kamen wieder frei. Vgl. Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina, Dok. 11, S. 191.
[56] Abgedruckt in Hermann Weber/Ulrich Mählert (Hg): Terror stalinistischer Parteisäuberungen 1936-1953, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998, S. 165ff.
[57] Der NKWD-Bericht vom 10. September 1938 informiert über 31.753 verhaftete Deutsche, von denen 24.858 zum Tode verurteilt und nur 569 wieder frei kamen. Doklad N. S. Chruščova o kul’te ličnosti Stalina, Dok. 11 vom 9. Februar 1955, S. 191.
[58] Vgl. Leonid Naumov: Stalin i NKWD, S. 207-217; O. Masochin: Pravo na represii, S. 335ff; Mark Junge/Rolf Binner: Kak terror stal „bol’šim“, Moskva 2003, S. 227f. Zu den Dokumenten der einzelnen „Nationalen Operationen“ vgl. ebenda, S. 322ff.
[59]Vgl. Mark Junge/Rolf Binner: Kak terror stal „bol’sim“, S. 40.
[60] Vgl. Karl-Heinz Gräfe: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz. Die baltischen Staaten zwischen Diktatur und Okkupation, Berlin 2010, S. 122 -128 sowie die Kapitel 5, 6 und 7.
[61] Vgl. V.N. Zemskov: Socposelency v SSR 1930-1960, S. 90f, Anm. 6*. Zu den polnischen Zwangsdeportierten und Kriegsgefangenen vgl. Gerd Kaiser: Das Staatsverbrechen – das Staatsgeheimnis, Berlin 2002.
[62] Vgl. I. S. Jazborovskij/ A. Ju. Jabloko/ V.S. Parsadanov: Katynskij sindrom v sovetsko-pol’skich i rosijsko-pol’skich otnosženijach, Moskva 2001; zum Bericht der Expertenkommission beim Obersten militärischen Prokurator zur Strafsache 159 vom 2. August 1939, vgl. ebenda, S. 446-494 (Anlage); Gerd Kaiser: Das Staatsverbrechen – das Staatsgeheimnis, Berlin 2002.
[63] Vgl. K.-H. Gräfe: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz, S. 220ff., S. 286ff. und S. 339ff.
[64] Vgl. N. Zemskov: Sočposelency v SSR 1930-1960, ebenda, S. 110ff.
[65] Chlevjuk: Stalin, S. 249.
[66] Ebenda. S. 250. Als im Oktober 1936 vier Kolonnen gegen die Hauptstadt der Republikanischen Regierung vorrückten, behauptete der nationalistische General Emilio Mola, er habe in Madrid eine fünfte Kolonne, die ihm bei der Einnahme der Stadt helfen werde. Vgl. Mark Junge/Rolf Binner: Kak terror stal „bol’sim“, S. 342ff.
[67] Chlewnjuk: Stalin, S. 254.
[68] Ebd.
[69] Sto sorok besed. Iz dnevnika Čueva, Moskva 1991, S. 39f., zitiert in deutscher Sprache nach O. Chlevnjuk: Stalin, S. 250ff.
[70] Vgl. Viktor Danilov: Tragedija sovetskoj derevni. Kollektivisacija i raskulažcivavije, Moskva 2000, Bd.2, S. 703 und S. 789.
[71] Chlevnjuk: Stalin, S. 199.
[72] Zu den unterschiedlichen Schätzungen der diesen Jahren umgekommenen Menschen in diesen Regionen. Vgl. Viktor Kondrašin: Golod 1932-1933 goda: Tragedija Rossijskoj derevni, Moskva 2008, S. 189-192 und S. 237-248.
[73] Vgl. Vernichtung durch Hunger. Der Holodmor in der Ukraine und der UdSSR, in: Osteuropa, Heft 12, Berlin 2004.
[74] Linn Viola: Krest’janskij Gulag. Mir stalinskich specposelenij, Moskva 2011, S. 228f.
[75] Die Geheimrede, S. 8.
[76] Vgl. Karl-Heinz Gräfe: So werden Kriege gemacht. Schicksalsjahr 1939: Weg in den Zweiten Weltkrieg, Pankower Vorträge, Heft 190, Berlin 2014. Vgl. auch Isaac Deutscher: Stalin. Eine politische Biographie, Berlin 1989, S. 542-587; Christoph Koch (Hrg.): Gab es einen Stalin-Hitler-Pakt? Charakter, Bedeutung und Deutung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages vom 23. August 1939, Frankfurt am Main 2015.