1956 – XX. Parteitag und KPD-Verbot

KPD-Verbot vor 60 Jahren

Eine rechtlich-politische Nachbetrachtung aus historischem Abstand

von Hans-Henning Adler
Juni 2016

Die KPD wurde am 17. August 1956 durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts verboten, die Organisation wurde aufgelöst, das Parteivermögen wurde eingezogen. In allen großen westdeutschen Städten standen Polizeikommandos bereit, um den Karlsruher Richterspruch durchzusetzen. Parteibüros wurden durchsucht und geschlossen, Druckereien beschlagnahmt, zentnerweise Propagandamaterial sichergestellt, das Parteivermögen eingezogen. Zahlreiche Funktionäre wurden verhaftet. Der KPD-Vorsitzende Max Reimann und andere Führungskader hatten sich der Verhaftung entzogen und in die DDR abgesetzt.

Historischer Kontext

Eine umfassende rechtliche Analyse des Verbots kann nicht allein aus den Urteilsgründen heraus vorgenommen werden. Man muss einbeziehen, was vorher und auch was nachher geschah.

1. Kalter Krieg

Zum Zeitpunkt des Verbotsantrages durch die Adenauer-Regierung 1951 tobte der Kalte Krieg wegen des Krieges in Korea besonders heftig. Führende Kommunisten wurden schon lange vor dem Verbot in Gefängnisse gesperrt. Zeitgleich mit dem Verbotsantrag wurde 1951 mit sofortiger Wirkung die Jugendorganisation der KPD, die FDJ, verboten. In den Jahren 1950 bis 1954 waren Ermittlungsverfahren gegen 35.189 Mitglieder der FDJ durchgeführt worden. 6.429 Mitglieder wurden verhaftet und in 425 Prozessen zu insgesamt 1.012 Jahren Gefängnis verurteilt, darunter Jupp Angenfort, der Vorsitzende, allein zu 5 Jahren Zuchthaus.[1] Seine Immunität als Abgeordneter des Landtages von Nordrhein-Westfalen wurde ignoriert. Zwischen 1951 und 1956 wurden in der Bundesrepublik über 3.000 Personen wegen politischer Delikte verurteilt.[2] Möglich war dies durch das „Blitzgesetz“ vom Juli 1951, eine Änderung des Strafgesetzbuches, durch das Sonderstrafkammern eingesetzt wurden. Politische Aktivitäten gegen die Remilitarisierung, z.B. das Sammeln von Unterschriften im Rahmen einer selbst organisierten Volksbefragung, wurden als „Ungehorsam gegen die Gesetze und Aufforderung zur Nichtbeachtung staatlicher Entscheidungen“ – so wörtlich der Bundesgerichtshof[3] – bewertet und als verfassungsfeindliche strafbare Betätigung geahndet.

Verurteilt wurde wegen „Staatsgefährdung“ (§ 88), eine Strafvorschrift, die nach den Worten des damaligen Justizministers Dehler Handeln, „das vor dem Hochverrat liegt“, unter Strafe stellen sollte.[4] Als „Staatsgefährdung“ galt eine Tat, die darauf hinzielt, die Bundesrepublik „ganz oder teilweise unter fremde Botmäßigkeit zu bringen“, was wegen der politischen Nähe der KPD zur SED leicht zu konstruieren war. Weitere Strafbestimmungen waren „Verfassungsverrat“ (§ 89) und der § 90a, die „Gründung und Förderung einer verfassungsverräterischen Vereinigung“. Landesverräterische Beziehungen zu einem staatsgefährdenden Nachrichtendienst wurden bereits angenommen, wenn jemand eine Kinderferienfahrt in die DDR organisierte und zu diesem Zweck die Geburtsdaten der Kinder weitergegeben hatte.[5]

Die Unterstellung des Vorsatzes, im Sinne der kommunistischen Sache zu handeln, reichte aus, um juristisch belangt zu werden. So wurden Taten, die für den normalen Bürger nicht strafbar waren, für Kommunisten strafbar, z.B. der Besitz von politischen Büchern aus der DDR.

Die von der KPD organisierte Volksbefragung gegen die Remilitarisierung fand durchaus Zuspruch und wurde wohl gerade deshalb per Kabinettsbeschluss vom 24.4.1951 als „verfassungswidrig“ mit der Begründung verboten, dass es im Grundgesetz keine Volksbefragung gebe. Dass die Befragung unabhängig davon einen zulässigen demonstrativen Charakter hatte und eindeutig durch die Freiheitsrechte des Grundgesetzes gedeckt war, wollten die Gerichte damals nicht hören. Das Verbot dieser Aktion hatte strafrechtliche Konsequenzen und bedeutete nach dem „Blitzgesetz“ Freiheitsstrafe, z.B. für die Kommunisten Oskar Neumann und Karl Dickel als „Rädelsführer“ in Höhe von jeweils drei Jahren.[6]

Kommunisten wurden wegen ihrer politischen Tätigkeit für die KPD schon vor dem Verbot zu Freiheitsstrafen verurteilt. Erst am 21.3.1961 hob das Bundesverfassungsgericht den § 90a des Strafgesetzbuches als verfassungswidrig auf[7], der die strafrechtliche Verfolgung legaler Parteitätigkeit vor Ausspruch des Verbots ermöglicht hatte.

Zum Zeitpunkt des Verbotsantrages am 22.11.1951 herrschte ein politisches Klima, das aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist. Bundesminister Seebohm wollte „Böhmen und alle Gebiete, in denen Deutsche einst siedelten“, eingliedern; Adenauer forderte, „junge Bauern müssten dazu beitragen, den Osten zu kolonialisieren“, sein Minister „für besondere Aufgaben“ Waldemar Kraft (Ex-NSDAP und „Ehren“-Hauptsturmführer der SS) verlangte die „Rückgliederung“ des Memelgebiets, Danzigs und anderer Ostgebiete.[8] Das Kanzleramt wurde von dem Alt-Nazi und Mitautor der Rassegesetze Hans Globke geführt.

2. Politisch motivierte Justiz

Das politische Umfeld des KPD-Urteils wird auch anschaulich beleuchtet, wenn man die Entwicklung nach dem Verbotsurteil in die Betrachtung einbezieht. Hierzu nur wenige Schlaglichter:

Zum Zeitpunkt der Verbotsentscheidung gehörte das Saargebiet noch nicht zur Bundesrepublik. Folglich gab es dort eine eigenständige Kommunistische Partei, die KP Saar. Durch das Verbotsurteil konnte sie nicht betroffen sein. Nach dem Anschluss des Saargebiets 1957 wurde sie aber vom Bundesverfassungsgericht zur „Nachfolgeorganisation“ erklärt, obwohl sie ja schon lange vor dem Verbotsverfahren außerhalb der Bundesrepublik als eigenständige Partei existierte. Im Urteil vom 21.3.1957 heißt es, ihr Charakter als Nachfolgeorganisation sei „evident“. Sie nenne sich „Kommunistische Partei“ und würde ein „Auffangbecken“ aller politischen Kräfte sein, die in der verbotenen KPD wirksam waren.[9] Nach diesen juristischen Maßstäben hätte die 1968 gegründete DKP keinen Tag lang existieren dürfen.

Wenn eine Partei verboten wird, ist es logisch, dass die Gründung von Ersatzorganisationen unzulässig ist. Der Bundesgerichtshof hat den Begriff allerdings so weit gefasst, dass jede oppositionelle politische Organisation, die in Teilzielen mit der verbotenen KPD übereinstimmte, dazu gerechnet werden konnte. Der BGH definierte: „Eine Ersatzorganisation ist ein Personenzusammenschluß, der an Stelle der aufgelösten Partei deren verfassungsfeindliche Nah-, Teil- oder Endziele teilweise, kürzere Zeit, örtlich oder überörtlich, offen oder verhüllt weiterverfolgt oder weiterverfolgen will.“[10]

Opfer der politisch motivierten Justiz wurden nicht nur Kommunisten. Betroffen waren auch Sozialdemokraten, christliche Pazifisten, Gewerkschafter. Potentieller „Verfassungsfeind“ war jeder Bundesbürger, der im Widerspruch zur regierungsoffiziellen Politik der Wiederaufrüstung, der Sozial-, Deutschland- und Ostpolitik stand.

Rechtsanwalt Heinrich Hannover berichtet, wie Angehörige des „Düsseldorfer Friedenskomitees“ vor Gericht gestellt wurden, und zwar wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“; ihre Friedensaktivitäten würden „das Vertrauen der Bevölkerung zur Regierung untergraben“. Ihnen wurde ein „systematischer Hetzfeldzug gegen den Bundeskanzler“ vorgeworfen.[11]

Kontakte zur DDR waren höchst gefährlich. Der Deutsche Turn- und Sportbund der DDR wurde als Ersatzorganisation der verbotenen KPD eingestuft. Kontakte zu ihm waren deshalb strafbar. Heinrich Hannover berichtet von einem parteilosen Bremer Betriebsrat, der als Gast an einem Kongress des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) der DDR teilgenommen hatte und auf Grund dieser „Kontaktschuld“ im Januar 1962 vom Landgericht Lüneburg wegen „verfassungsfeindlicher Beziehungen“ und wegen Verstoß gegen das KPD-Verbot zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wurde. Die Strafe wurde allerdings zur Bewährung ausgesetzt, weil der Angeklagte „im Krieg seine Pflicht erfüllt hatte“.[12]

3. Richter mit brauner Vergangenheit

Der Prozess gegen die KPD wurde von Richtern geführt, die teilweise schon während der Nazi-Zeit sich ihre juristischen Sporen verdient hatten. Der damalige Präsident des Gerichts, Josef Wintrich, der das Verfahren des 1. Senats leitete, war 1940 zur Beförderung als Oberstaatsanwalt vorgeschlagen worden, weil an „seiner nationalsozialistischen Gesinnung keine Zweifel bestanden“[13]. Ein diesbezüglicher Befangenheitsantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der abgelehnte Richter „erklärt hatte, dass er sich nicht befangen fühlt.“[14]

Der Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung, Ritter von Lex, vormals tätig im NS-Innenministerium, führte das Verfahren ganz im Geist und der Diktion seines früheren Dienstherrn: „Sie (die KPD) ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet.“[15] Worum es der Bundesregierung hauptsächlich ging, verriet Ritter von Lex in seinem Eingangsplädoyer: „Diese Partei verdächtigt die Bundesregierung seit Jahren der Remilitarisierung.“[16] Sie würde „mit psychologischen Mitteln jeder Art arbeiten“; typisch für ihre Propaganda sei, dass sie „die Oder-Neiße-Linie als endgültige Grenzziehung nach Osten“ bezeichne.[17] Im Schriftsatz der Bundesregierung vom 12.2.1955 hieß es dann auch, dass „die kommunistische Propaganda und Agitation Unzufriedenheit in der Bevölkerung weckt“.[18]

Der Funktionär der KPD Walter Fisch, der als Bevollmächtigter am Verfahren teilnahm, saß zu Beginn des Verfahrens schon im Gefängnis und konnte an den Verhandlungen nur teilnehmen, weil er „freies Geleit“ bekommen hatte. Öffentliche Erklärungen durfte er nicht abgeben. Mit Pressevertretern durfte er nicht sprechen.[19] Gleichzeitig wurde der Prozess von der Bundesregierung mit Broschüren gegen die KPD in Millionenauflage begleitet.[20] Beweisanträge der KPD zu ihrer tatsächlichen Betätigung oder dazu, dass die von ihr z.B. zur Absicht der Wiederbewaffnung aufgestellten Behauptungen wahr seien, wurden abgelehnt.[21]

Entscheidungsgründe

Betrachten wir nun die Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts und seine Argumentation, die zum Verbot führten.

Im ersten Schritt wird die Unvereinbarkeit der Ziele der KPD, nämlich „sozialistische Revolution“ und anschließende Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes (fdGO) begründet. Diese Beweisführung hätte viel kürzer ausfallen können, weil die KPD-Vertreter im Prozess diese Unvereinbarkeit gar nicht abgestritten hatten.

Die Unvereinbarkeit einer allgemeinen oder ferneren Zielsetzung mit der fdGO reichte aber schon deshalb für ein Verbot nicht aus, weil in Art 21 Abs. 2 des Grundgesetzes steht: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ Es musste also eine gegenwärtige aktiv-kämpferische Betätigung gegen die fdGO nachgewiesen werden. Für diesen Nachweis bediente sich das Bundesverfassungsgericht des im November 1952 vom Parteivorstand beschlossenen „Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands“[22] und interpretierte dieses Programm vor dem Hintergrund theoretischer Schriften von Lenin und Stalin. Hierbei wurde u.a. hervorgehoben, dass Stalin „das Gesetz von der gewaltsamen Revolution des Proletariats“ als „unumgängliches Gesetz der revolutionären Bewegung der imperialistischen Länder der Welt“ angesehen habe.[23]

Es wurde festgestellt, dass die KPD im von ihr bekämpften „Adenauer-Regime“ ein „Protektorat“ der „imperialistischen westlichen Besatzungsmächte“ sah und die Bevölkerung zum Widerstand gegen die „koloniale Versklavung“ aufgerufen wurde.[24] Die von der KPD angestrebte „Regierung der nationalen Wiedervereinigung“ würde „grundlegend andere soziale und politische Verhältnisse in der Bundesrepublik herbeiführen“[25], „sie würde im Prozess der Wiedervereinigung natürlich Zugeständnisse in den Verhandlungen mit der DDR-Regierung machen“[26] und schließlich würde der von der KPD angestrebte „nationale Widerstand“ auch darauf gerichtet sein, diese Politik gegen Rückschläge zu sichern. Im „Programm zur Nationalen Wiedervereinigung“ heißt es dazu, dass „eine Regierung der nationalen Wiedervereinigung … alle Voraussetzungen besitzen (würde), um die Feinde der nationalen Wiedervereinigung zu zügeln…“.[27] Zitiert wird die Parteizeitung „Der Agitator“, wo es (Heft Nr. 5/1953, S. 165) heißt: „Bereits im Programm der KPD für die nationale Wiedervereinigung ist festgelegt, daß das Adenauer-Regime nicht auf parlamentarischem Wege gestürzt werden kann, sondern nur im unversöhnlichen, revolutionären, außerparlamentarischen Kampf. Dies ist gegenwärtig die zentrale Aufgabe aller westdeutschen Patrioten.“[28]

In diesem Zusammenhang wurde der KPD vorgehalten, dass sie die ihren Vorstellungen widersprechende Politik der Bundesregierung insgesamt als verfassungswidrig beurteile und damit zum Ausdruck bringe, andere politische Meinungen niemals tolerieren zu wollen. Das Verfassungsgericht hielt der KPD entgegen: „Jede Partei muß deshalb auch die Variationsbreite der in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zulässigen Gestaltungen des Gemeinschaftslebens und damit die Möglichkeit verschiedener verfassungsmäßiger politischer Wege und Ziele anerkennen und ihren politischen Kampf auf dieser Basis führen. Gerade das tut die KPD nicht. Sie führt ihren politischen Kampf mit der umfassenden Behauptung, daß Wege und Ziele der gegenwärtigen politischen Führung in der Bundesrepublik, die nicht den Auffassungen der KPD entsprechen, grundgesetzwidrig seien. Die KPD will nicht nur in Einzelfällen, sondern systematisch Politik, die sie mißbilligt, die aber das Grundgesetz erlaubt, ausschalten mit der Behauptung, daß sie grundgesetzwidrig sei. Darin liegt eine Verneinung der Vielfalt der politischen Möglichkeiten“.[29]

Die KPD wolle dagegen während der Geltungsdauer des Grundgesetzes die in ihr verkörperte freiheitliche demokratische Ordnung nicht um ihrer selbst willen erhalten.[30] Die KPD habe eine „Kampfhaltung gegen diese Ordnung“ eingenommen. Sie wolle „nach ihren Erklärungen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor der Wiedervereinigung nicht zu Fall bringen; aber sie will sie doch bereits unterminieren“.[31]

Um diese „Kampfhandlung“ zu verdeutlichen widmete sich das Bundesverfassungsgericht in einem ganzen Kapitel des Urteils dem „politischen Gesamtstil“ der Partei und zitierte (sich dabei unfreiwillig selbstentlarvend), dass sich die Partei scharf gegen das „Blitzgesetz“ positioniert hatte, durch das führende Vertreter der Partei schon lange vor dem Verbot allein wegen ihrer legalen Betätigung für die KPD in die Gefängnisse geworfen wurden. Die Charakterisierung dieses Strafrechtsänderungsgesetzes als „Zuchthausgesetz“, „Rechtsverwilderung“ oder „Verfassungsbruch“ würde ihre feindliche Haltung zur fdGO beweisen.[32]

Zum Gesamtstil der KPD gehörte freilich auch ihre sektiererische Verbalradikalität, die auf einer völligen Fehlanalyse der tatsächlichen politischen Situation, der Kräfteverhältnisse und der sich daraus ergebenden politischen Möglichkeiten Anfang der fünfziger Jahre beruhte. Wahlgesetze der Bundesrepublik Deutschland wurden als „Wahlbetrugsgesetze“, „faschistische Wahlbetrugsgesetze“ oder „Wahlfälschungsgesetze“ gekennzeichnet.[33] Das Adenauer-Regime gehe immer stärker „zur Anwendung faschistischer Methoden über“.[34]

Weiter stellte das BVerfG fest, der „nationale Befreiungskampf“ der KPD in der Bundesrepublik sei ein Kampf zur Herstellung einer günstigeren Ausgangsposition für den späteren Kampf zur Durchsetzung ihrer revolutionären Ziele. Das stünde ganz in Übereinstimmung mit Stalin, der aus dem Jahre 1924 („Über die Grundlagen des Leninismus“) wie folgt zitiert wurde: „Die Revolution gegen den Zarismus näherte sich somit der Revolution gegen den Imperialismus, der proletarischen Revolution, und mußte in sie hinüberwachsen.“ Aus Stalins „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ (1952) wurde angeführt:[35]: „Es ist möglich, daß bei einem bestimmten Zusammentreffen von Umständen der Kampf für den Frieden sich hier und da zum Kampf um den Sozialismus entwickelt, aber das wird nicht mehr die gegenwärtige Friedensbewegung sein, sondern eine Bewegung zum Sturz des Kapitalismus.

Soweit das Bundesverfassungsgericht auf die Unvereinbarkeit der theoretischen Auffassungen der KPD zur Diktatur des Proletariats mit der fdGO abgestellt hatte, war die Verteidigungslinie der KPD eigentlich ganz einfach: Ihre Prozessvertreter ließen diese Argumente mit dem Hinweis darauf ins Leere laufen, dass es gar nicht das Ziel der KPD sei, die von ihr angestrebte Diktatur des Proletariats in der Bundesrepublik Deutschland und unter der Herrschaft des Grundgesetzes einzuführen. Ihre Zielsetzung sei die Wiedervereinigung, das Grundgesetz sei nach seinem eigenen Verständnis nur eine Übergangsverfassung, bis dieses Ziel verwirklicht werde. Ob eine Unvereinbarkeit der Ziele der KPD mit der dann neu zu beschließenden Verfassung des wiedervereinigten Staates bestehe, könne das Bundesverfassungsgericht ja jetzt nicht feststellen. Die Feststellung der Nichtvereinbarkeit der Ziele der KPD mit der Verfassungsstruktur der Bundesrepublik läge deshalb „neben der Sache“[36]. Die Beweisanträge der Bundesregierung zu diesem Thema würden „offene Türen einrennen“[37].

Der KPD-Vertreter Walter Fisch erklärte: „Die KPD erstrebt eine politische Ordnung in Westdeutschland, die die Voraussetzung für eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands schafft. Das ist weder eine Alleinherrschaft der KPD noch eine Herrschaft der Diktatur des Proletariats... Der Weg zur Errichtung der Regierung der nationalen Wiedervereinigung, die Mittel, die die KPD auf diesem Weg anzuwenden gedenkt, sind ausschließlich gesetzliche, ja durch das Grundgesetz ausdrücklich garantierte Mittel des politischen Kampfes.“[38] Die Beweisaufnahme habe keinerlei konkrete Handlungen nachweisen können, die auf gewaltsame Aktionen gerichtet waren. Gegenbeweisanträge der KPD-Prozessvertreter in dieser Richtung wurden ja auch abgelehnt. Bei dieser Argumentation blieb als Befund zunächst nur eine verbalradikale Kraftmeierei der KPD. Die stand allerdings in eklatantem Widerspruch zu deren tatsächlicher politischer Isolation[39] in Westdeutschland, die in Folge des kalten Krieges und der sektiererischen Politik der KPD-Führung eingetreten war.

Das Bundesverfassungsgericht stellte fest: „Die grundlegende politische Doktrin von der prinzipiellen Unerläßlichkeit der gewaltsamen Revolution gegenüber dem Imperialismus zur Herbeiführung des Sozialismus-Kommunismus (s. oben S. 273 f., 286 f.) führt zwangsläufig nicht nur im unmittelbaren Dienst des Endziels der KPD, sondern auch im Dienst ihrer Wiedervereinigungspolitik zu einer ‚Entlarvung‘ der ‚bürgerlichen‘ Demokratie als Trugbild für das Volk, bestimmt zur Verschleierung und Aufrechterhaltung der wirklichen Herrschaftsverhältnisse dieser ‚Pseudodemokratie‘ oder ‚Demokratie minderen Ranges‘ im Vergleich z. B. zu der fortschrittlicheren Demokratie der DDR oder der ‚Diktatur des Proletariats‘ überhaupt.“ [40]

Hierbei spielte eine Rolle, dass die KPD damals die von Stalin vertretene Auffassung teilte, dass ein friedlicher Übergang zum Sozialismus unmöglich sei. Über den „Befreiungskampf“ hieß es im „Programm zur nationalen Wiedervereinigung“: „Unzweifelhaft wird unser Kampf Opfer fordern. Aber für jeden im Kampf gefallenen oder aus dem Kampf herausgerissenen Patrioten werden Tausende neue aufstehen.“[41]

Prozess-Abschluss unter Druck Adenauers

So gesehen, könnte das KPD-Urteil vielleicht doch – von der juristischen Argumentation her – zu Recht ergangen sein. Aber dennoch ein Fehlurteil, und zwar aus einem ganz anderen Grund:

Nach dem Verbotsantrag von 1951 hatten die Bundesverfassungsrichter erst Ende 1954 mit den 51 Verhandlungstagen begonnen, die dann bis in den Juli 1955 andauerten. Dann trat wieder eine lange Pause ein, was Adenauer veranlasste, unverhohlen Druck auf das Bundesverfassungsgericht auszuüben. Er griff zu einem in der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik einzigartig gebliebenen Mittel: Er ließ den Bundestag am 21.7.1956 ein Gesetz verabschieden, wonach beim 1. Senat schwebende Verfahren, soweit sie nicht bis zum 31.8.1956 abgeschlossen sind, „in der Lage, in der sie sich befinden“ auf den 2. Senat des Gerichts übergehen. Diesem Druck hatte sich dann der 1. Senat gebeugt und am 17. August noch vor Ablauf der gesetzten Frist das Urteil erlassen.

Unter diesem Druck sah sich der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts auch nicht in der Lage, 1956 erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten. Dazu bestand aber durchaus Anlass. Im Februar 1956 hatte der XX. Parteitag der KPdSU stattgefunden, der nicht nur wegen der bekannt gewordenen Geheimrede Chruschtschows über die Verbrechen in der Stalin-Ära Schlagzeilen machte. Der Parteitag hatte, ausgehend von der Erkenntnis, dass Kriege auch unter imperialistischen Bedingungen „nicht mehr schicksalhaft unvermeidlich sind“[42], zu einer Politik der friedlichen Koexistenz aufgerufen und das Ziel formuliert, „sich parlamentarischer Wege für den Übergang zum Sozialismus zu bedienen“[43].

Die KPD reagierte durchaus darauf. In einer Erklärung „Es muss und kann anders werden“ vom 18.3.1956 bezeichnete sie die Losung vom „revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes“ als „falsch“[44] und bekannte sich im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten Dr. Kröger, Böhmer und Dr. Kaul vom 5.4.1956 ausdrücklich dazu, ihre Ziele „auf der Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne der Prinzipien des Grundgesetzes“ zu verfolgen.[45]

In einigen kommunistischen Parteien entwickelten sich Diskussionen, welche über die von der sowjetischen Parteiführung gezogenen Grenzen hinausgingen. Namentlich der Generalsekretär der Italienischen Kommunistischen Partei, Palmiro Togliatti, kritisierte die in Moskau abgegebenen Erklärungen für die Herausbildung des Stalinschen Systems mit dem „Personenkult“ in einem Interview mit der Zeitschrift „Nuovi Argomenti“ als unzureichend. Eine Übersetzung ins Deutsche wurde von der noch legalen KPD im Juni 1956 veröffentlicht.[46] Togliatti mahnte eine marxistische Analyse an, verwies auf die „Überspitzung der Bürokratie“ im Gefolge altrussischer Tradition, auf einen „neuen Typ bürokratischer Führung [aus] dem Schoße der neuen führenden Klasse“, und konstatierte das Fehlen von „demokratischen, wesentlichen Merkmale der sozialistischen Gesellschaft“ in der UdSSR.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hatte die Prozessvertretung der KPD am 5.4.1956 den Antrag auf Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung gestellt und beanspruchte die Verlesung der oben genannten Erklärung und wichtiger Dokumente des XX. Parteitages der KPdSU wie Auszüge aus der Chruschtschow-Rede oder des Grußwortes von Togliatti.[47] Diese Anträge wurden von der Prozessvertretung der Bundesregierung als „Lippenbekenntnisse“ abgelehnt, obwohl offensichtlich war, dass in der kommunistischen Bewegung ein Umbruch stattgefunden hatte. Das Bundesverfassungsgericht hat das Vorbringen im Urteil vom August 1956 dann mit der Bemerkung abgetan, dass es „nicht geeignet“ sei, eine andere Beurteilung der KPD herbeizuführen.[48]

Der Senatspräsident Külz beim Bundesverwaltungsgericht bemerkte später hierzu, dass damit der KPD das Grundrecht auf rechtliches Gehör verwehrt worden sei.[49] Somit erwies sich das Verbotsurteil als politisches Urteil, das den Geist des Kalten Krieges atmete, und nicht als reine Rechtsanwendung, wie es der Präsident des Gerichts bei der Urteilsverkündung weismachen wollte.[50]

Das Bundesverfassungsgericht hat ein hohes Ansehen in der Bevölkerung und der juristischen Fachwelt erworben und hat mit zahlreichen grundlegenden Entscheidungen wie dem Lüth-Urteil, dem Fernseh-Urteil oder dem Urteil zur Volkszählung regierungskritisch entschieden und auch Rechtsgeschichte geschrieben, beim KPD-Urteil war das Gericht der herrschenden Politik jedoch mehr verpflichtet als dem Verfassungsgesetz.[51]

[1] Hans Canjé: Vom Umgang mit deutschen Kommunisten – zum 50. Jahrestag des Verbots der KPD, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS. August 2006 http://archiv2007.sozialisten.de/politik/publikationen/kpf-mitteilungen/view_html?zid=33522

[2] Georg Fülberth: KPD und DKP, Heilbronn 1992, S. 91.

[3] Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg, München 1991, S. 247.

[4] Fülberth, S. 87.

[5] Posser, S. 261.

[6] Posser, S. 158.

[7] Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht (BVerfGE), Bd. XII, S. 296ff.

[8] Friedrich Karl Kaul, in: Urteil: KPD-Verbot aufheben, Köln 1971 S. 26.

[9] BVerfGE, Bd. VI, S. 308.

[10] Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (BGH St) 16, S. 264 ff.

[11] Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht, München und Berlin 2012, S. 63, 66, 68.

[12] Hannover, S. 112.

[13] KPD-Prozess: Dokumentarwerk zu dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, hrg. v. Gerd Pfeiffer, 3 Bde, Karlsruhe 1955/1956 (im Folgenden: Protokoll), hier: Bd. I, S. 95.

[14] Protokoll, Bd. I, S. 100.

[15] Protokoll, Bd. III, S. 116.

[16] Protokoll, Bd. I, S. 151.

[17] Ebenda.

[18] Protokoll, Bd. III, S. 447.

[19] Max Schäfer: KPD-Verbot von 1956, in: Antikommunismus – vom Kölner Kommunistenprozeß 1852 zu den Berufsverboten heute, Frankfurt/M. 1972, S. 128.

[20] Angelika Lehndorff-Felsko/Fritz Rische: KPD-Verbotsprozess 1954/56, Frankfurt/M. 1981, S. 120.

[21] Ebenda, S. 120.

[22] Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands. Beschlossen vom PV der KPD (2.11.1952), in: KPD 1945-1968. Dokumente. Hrg. u. eingel. von Günter Judick, Josef Schleifstein und Kurt Steinhaus, Neuss 1989, Bd. 1, S. 396-414.

[23] Protokoll, Bd. I, S. 568.

[24] Urteil BVerfGE, Bd. 5, S. 288.

[25] Urteil, S. 342.

[26] Urteil, S. 354.

[27] Protokoll, Bd. II, S. 13; KPD 1945-1968, S. 404.

[28] Protokoll, Bd. II, S.165

[29] Urteil, S. 318.

[30] Urteil, S. 237.

[31] Urteil, S. 330.

[32] Urteil, S. 381.

[33] Protokoll des KPD-Parteitages von 1954, S. 30; Protokoll, Bd. II, S. 409, 151.

[34] Protokoll, Bd. II, S. 15.

[35] Protokoll, Bd. II, S. 311.

[36] Prozessvertreter Prof. Dr. Kröger, Protokoll, Bd. I, S. 892.

[37] Ebenda.

[38] KPD-Vertreter Fisch: Protokoll, Bd. II, S. 775.

[39] Zwischen 1947 und 1953 hatte die KPD nach eigenen Angaben 230.000 Mitglieder verloren. (KPD 1945-1968, Bd. 1, S. 52) Die sektiererische Haltung der KPD stand deutlich im Widerspruch zu den Erkenntnissen, die sie auf ihrer Brüsseler und Berner Konferenz 1935 und 1939 bereits gewonnen hatte und die im Aufruf des Zentralkomitees vom 11.6.1945 ihren Ausdruck gefunden hatte, in dem die „Aufrichtung eines antifaschistischen demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“ als Ziel formuliert worden war (KPD 1945-1968, Bd. 1, S. 135-143, hier: S. 139).

[40] Urteil, S. 317.

[41] Protokoll, B. II, S. 15; KPD 1945-1968, Bd. 1, S. 409.

[42] Zitiert bei Luciano Gruppi: Togliatti und der italienische Weg zum Sozialismus, Frankfurt/M. und Hamburg 1980, S. 109.

[43] Ebenda, S. 111.

[44] Es muß und kann anders werden. Erklärung der 23. PV-Tagung der KPD (18.3.1956), in: KPD 1945-1968, Bd. 2, S. 97-104, hier: S. 104.

[45] Protokoll, Bd. III, S. 569.

[46] Palmiro Togliatti: Interview mit der Zeitschrift Nuovi Argomenti, in: „Freies Volk“ (Düsseldorf) v. 23., 24. und 26. Juni 1956. Nachdruck in: Geschichtskorrespondenz. Marxistischer Arbeitskreis zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der Partei DIE LINKE, H.1/2012, S. 9-30. Der Text ist auch enthalten – in einer anderen Übersetzung – in Palmiro Togliatti: Ausgewählte Schriften, Frankfurt/M. 1967, S. 89-123.

[47] Protokoll, Bd. III, S. 596.

[48] Urteil, S. 391.

[49] Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 8/1966, S. 736.

[50] Zur Anmaßung des Ersten Senats und seines Präsidenten Wintrich, die Verfassungsordnung nicht zu interpretieren, sondern zu „entfalten“, vgl. insbesondere Wolfgang Abendroth: Das KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in: ders., Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied und Berlin 1967, S. 139-174, hier: S.169ff.

[51] Ähnlich dem Zeitgeist folgend das Urteil vom 10.5.1957, mit dem die Strafbarkeit der homosexueller Handlungen als mit den Grundrechten für vereinbar erklärt wurde (BVerfG Bd. 6, 389).

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