Georg Lukács – essentials
Lothar Peter, Georg Lukács. Kultur, Kunst und politisches Engagement, Wiesbaden: Springer VS 2016, 49 S., 9,99 Euro
Lothar Peter hat sich der schwierigen Aufgabe angenommen, das Wesentliche (oder die essentials – so der Reihentitel) des ereignisreichen Lebens und umfangreichen Werks des ungarischen Philosophen Georg Lukács auf nicht einmal 50 Seiten zusammenzufassen. Dabei ist es erstaunlich (und erfreulich), dass in einer auf schnelle Information ausgelegten Reihe ein ‚unzeitgemäßer‘ Theoretiker wie Lukács überhaupt seinen Platz findet. Peter‚beackert‘ das weite Feld von der Essaysammlung Die Seele und die Formen (1911) bis zur Begründung einer marxistischen Ästhetik in Die Eigenart des Ästhetischen (1963), nebst einigen Bemerkungen zu dem zu Lebzeiten unveröffentlichten Werk Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins. Lukács, der mit Die Seele und die Formen als lebensphilosophisch geprägter Essayist einem internationalen Publikum bekannt wird, leidet wie viele seiner Zeitgenossen an den Widersprüchen der untergehenden Monarchie und der Kultur der westlich geprägten Moderne. Eine gesellschaftliche, diesseitige Perspektive der Überwindung scheint nicht in Sicht, so dass Lukács nach einer ästhetischen Lösung sucht. Das gilt im Wesentlichen auch für die in der Zeit des Ersten Weltkriegs geschriebene Theorie des Romans, wobei Peter zurecht darauf hinweist, dass hier „die Möglichkeit einer gelingenden literarischen Aneignung von Wirklichkeit“ anklingt, „die weder mit einem nostalgischen Blick auf eine vergangene ideale Bürgerlichkeit endet noch zu ästhetischer Realitätsabstinenz Zuflucht nimmt.“ (3) Dabei sind es, wie Peter ausführt, aus dem Studium bei Georg Simmel, dem Kontakt mit dem Kreis um Max Weber und der Beschäftigung mit der Philosophie Hegels gewonnene Impulse, die Lukács zu einer „Annäherung an die gesellschaftliche Totalität“ (3ff) führen. Mit der ‚Totalität‘ gewinnt Lukács in der Theorie des Romans einen Schlüsselbegriff seiner weiteren Entwicklung, der auch und vor allem in der berühmten Aufsatzsammlung Geschichte und Klassenbewußtsein (1923) eine wesentliche Rolle spielt. Der Schritt zum Marxismus, von der „Kulturkritik zum politischen Engagement“, der vor allem mit Lukács‘ Eintritt in die Kommunistische Partei Ungarns im Jahr 1918 besiegelt wird, ist für die Zeitgenossen eine Überraschung, kann aber nicht als ein plötzlicher Bruch in Lukács‘ Entwicklung verstanden werden. Peter weist auf die Einheit von Kontinuität und Diskontinuität in dieser Entwicklung hin und bestimmt die Diskussionen im Budapester „Sonntagskreis“ als Vermittlungsmoment zwischen einer ethisch motivierten Kritik der als krisenhaft wahrgenommenen Kultur der Gegenwart und der marxistischen Gesellschaftskritik und politischen Praxis. Dieser Übergang zum Marxismus schlägt sich in Geschichte und Klassenbewusstsein nieder. Peter hebt die Produktivität von Lukács‘ Theorie des ‚zugerechneten‘ Klassenbewusstseins im Unterschied zum empirischen hervor und zeichnet die im zentralen Aufsatz Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats entfaltete Argumentation auf knappem Raum nach. Im Anschluss verweist er auf die widersprüchliche, aber bis heute anhaltende Rezeption und betont die „wegweisende Funktion“ des Verdinglichungstheorems „für gesellschaftskritisches Denken“ (11). Lukács siedelt 1931 im Auftrag der Kommunistischen Internationale nach Berlin über, um die Arbeit des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) theoretisch zu begleiten und entwickelt anhand der Kritik u.a. von Reportage- und Montageromanen eine programmatische Theorie des Realismus, die auch seinen ab 1933 im Moskauer Exil geschriebenen Artikeln zur Literaturgeschichte und -theorie zugrunde liegt. Berühmt wird v.a. sein Artikel Größe und Verfall des Expressionismus, mit dem er sich1934 in die sog. „Expressionismus-Debatte“ einschaltet, wobei er ideologiekritische Aspekte im Kampf gegen den Faschismus in den Mittelpunkt stellt. Lukács‘ „grobmaschige wie dezisionistische“ (16) Auffassung des Expressionismus, die diesen in einen Zusammenhang mit der Ideologie der USPD bringt, ihm kleinbürgerliche Klasseninhalte bescheinigt und die Gefahr eines Umschlags in ‚Kritik von rechts‘ konstatiert, kritisiert Peter scharf und führt insbesondere die prominenten Lukács-Kritiken von Bloch, Brecht und Seghers an. Vor allem Lukács‘ Orientierung am Realismus des 19. Jahrhunderts betrachtet Peter als Schranke, die das Begreifen der Moderne verhindere; auch den Kurzschluss zwischen Expressionismus und bestimmten ideologischen Richtungen – USPD wie Faschismus – lehnt er ab. Mit Brecht und Seghers kritisiert er zudem Lukács‘ Realismuskonzept, besonders dessen „autoritative[n] und kanonische[n] Duktus“ (23) sowie mangelnde Historizität. Zusätzlich führt Peter Adornos gegen Lukács‘ Buch Wider den mißverstandenen Realismus gerichtete Polemik von 1958 an, der er attestiert, sie sei zwar in wichtigen Punkten „bestechend“, scheue aber an einigen Stellen „vor bösartigen Unterstellungen nicht zurück“ (30). Peter wendet sich in den letzten Kapiteln Lukács‘ großen Nachkriegswerken zu. Zum einen der ideologiekritischen Abrechnung mit dem Irrationalismus seit Schelling in Die Zerstörung der Vernunft (1952), zum anderen der Begründung einer marxistischen Ästhetik in Die Eigenart des Ästhetischen (1963). Lukács‘ Geschichte des (insbesondere deutschen) Irrationalismus, die diesen nicht zuletzt unter dem Aspekt der ideellen Vorgeschichte des Faschismus betrachtet, gilt Peter, wenn auch unter Vorbehalt, als „große[r] ideologiekritische[r] Entwurf“ (33), wobei er vor allem die Heidegger-Kritik positiv hervorhebt. Allerdings fehle häufig ein differenzierter Blick auf die verhandelten Theorien, da Lukács nach einem „rigoros gehandhabten Prinzip“ verfahre, „alle berücksichtigten Auffassungen und Theorien, die nicht in wesentlichen Punkten mit Postulaten des Marxismus übereinstimmten oder sich ihnen annäherten, auf eine gemeinsame Bewegung zum Irrationalismus hin zu justieren.“ (32) Ergänzen könnte man Peters Darstellung – in aktueller Absicht – hinsichtlich Lukács‘ Betonung des dialektischen Denkens, dem sich der Irrationalismus verweigere und der Theorie der ‚indirekten Apologetik‘, die die Widersprüche des Kapitalismus nicht leugne, sondern sie als condition humaine verewige. Besonders erfreulich ist die ausführliche Würdigung des „Ästhetik-Projekts“ (37-42), da Lukács‘ ästhetisches Hauptwerk Die Eigenart des Ästhetischen bis heute weitgehend ignoriert wird. Peter zeichnet die Argumentation von Lukács‘ „grandiose[m] Versuch, auf der Basis des Marxismus eine systematische Theorie des Ästhetischen zu entwickeln“ (43) in ihren wesentlichen Linien nach und stellt die wichtigsten Kategorien dar. Betont wird neben der materialistischen Grundlegung dieser Ästhetik insbesondere die „emanzipatorische Funktion“ (41), die Lukács der Kunst zuspricht. Peters Bilanz, dass Lukács‘ Werk einige „die normale Verfallszeit geistiger und kultureller Produkte weit überdauernde Leistungen“ enthält (43), ist vorbehaltlos zuzustimmen. Einen Schwerpunkt seiner Aufzählung bilden neben der späten Ästhetik die frühen Schriften. Für eine knappe Einführung wie die vorliegende ist m.E. das Verhältnis von Darstellung und Kritik bzw. Referat kritischer Einwände etwas unausgewogen geraten, zumal der Marxist Lukács öffentlich deutlich unterrepräsentiert ist (eine kritische Auseinandersetzung bleibt selbstredend notwendig). Dennoch ist es ein Verdienst, Lukács‘ Leben und Werk auf knappem Raum einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Daniel Göcht
Eine neue Bucharin-Biographie
Nikolai Bucharin – Stalins tragischer Opponent. Eine politische Biographie. Aufgeschrieben von Wladislaw Hedeler, Matthes & Seitz, Berlin 2015, 640 S., 39,90 Euro
Nach der politischen Konjunktur kommt die historische Forschung. Bucharins 100. Geburtstag und 50. Todestag 1988 gaben in der späten UdSSR Anlass zu seiner juristischen und politischen Rehabilitierung. Am 21. Juni 1988 wurde er posthum wieder in die KPdSU aufgenommen, im Oktober 1988 erhielt er den im Mai 1937 aberkannten Titel eines Mitglieds der Akademie der Wissenschaften der UdSSR zurück. Michail Gorbatschow berief sich wiederholt auf Bucharin als einen historischen Kronzeugen der Perestrojka. Einige seiner Schriften aus der Periode der Neuen Ökonomischen Politik (1921-1929) wurden wieder ediert, und es begann die Veröffentlichung vereinzelter Materialien aus Moskauer Archiven. Aber nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 „änderte sich die Situation von Grund auf. Der als Theoretiker des Sozialismus wiederentdeckte Bucharin war gewissermaßen über Nacht uninteressant geworden und konnte mit dem sozialistischen Trümmerhaufen entsorgt werden. … Danach ist es um Bucharin sehr still geworden“ (539-541).
Nach zahlreichen Vorarbeiten hat nun Wladislaw Hedeler eine umfangreiche Bucharin-Biographie vorgelegt, deren Quellenbasis sehr viel breiter ist als die früherer Lebensbeschreibungen. Der Autor hat auch zahlreiche unveröffentlichte Materialien aus verschiedenen Moskauer Archiven verarbeitet. Die wechselhafte russische Archivpolitik setzt jedoch der Forschung nach wie vor Grenzen: „Was ‚dem Liebling der Partei’ nach seiner Verhaftung in der Lubjanka angetan wurde, ist bis auf den heutigen Tag in den Archiven begraben und der Forschung bis auf wenige Dokumente unzugänglich.“ (540) Der vorgelegte, strikt an den Quellen arbeitende Band enthält auch zahlreiche, bisher unbekannte Fotos und Karikaturen (einige von Bucharins Hand), ferner eine Zeittafel, ein detailliertes Literaturverzeichnis, das zum Weiterforschen einlädt, und vor allem ein kommentiertes Personenregister mit den Berufen, Funktionen und Lebensdaten zahlreicher Menschen, die Bucharins Lebensweg gekreuzt haben. Sehr oft fallen ihre Todesdaten in die zweite Hälfte der 30er Jahre und lenken den Blick in die Abgründe und Schrecknisse des Stalin’schen Massenterrors. Beim Studium der Schicksale dieser Personen steigen Fassungslosigkeit und Trauer auf.
Die Biographie ist breiter angelegt, als der Titel andeutet. Ihr Thema sind nicht nur die persönlichen und politischen Kontakte und Konflikte mit Stalin, sondern auch die Beziehungen Bucharins zu einer Vielzahl anderer Akteure – etwa zu Alexander Bogdanow, Georgi Plechanow, Lenin, August Thalheimer, Karl Kautsky, Lew Kamenew, David Rjasanow, Ilja Ehrenburg, Nadeshda Krupskaja sowie zu zahlreichen Angehörigen der „Bucharin-Schule“ (meist Publizisten, Philosophen, Ökonomen), schließlich zu Männern und Frauen aus seinem persönlichen Umfeld.
Hier tauchen auch unerwartete Personen auf, z.B. Willi Budich, ein Teilnehmer an der Münchener Räterepublik, der, um sich der drohenden Verhaftung zu entziehen, nach Moskau floh, wo er sich 1920 in Bucharins Frau Nadeshda Michailowna Lukina verliebte. Diese Liebe aber wurde nicht erwidert. Budich kehrte nach Deutschland zurück, wurde 1932 für die KPD in den Reichstag gewählt und 1933 von der Gestapo verhaftet. Es gelang ihm, abermals nach Moskau zu fliehen, aber hier wurde er 1936 vom NKWD verhaftet und im März 1938 zum Tode verurteilt und erschossen (188-190).
Hedeler zitiert zahlreiche Zeitgenossen, die ein farbiges Charakterbild Bucharins zeichnen und seine große Denkkraft, Sensibilität und Vielseitigkeit hervorheben. Vielen erschien er eher als „Denker und Künstler“ (477), denn als Politiker und Parteimann. Als Wissenschaftler und Publizist war er ungewöhnlich produktiv und veröffentlichte zu den verschiedensten philosophischen, ökonomischen, soziologischen, literarischen und tagespolitischen Themen. Seine Imperialismusstudien sind bis heute aktuell und relevant. Bucharin schrieb Gedichte, malte Landschaften und verfolgte auch naturwissenschaftliche Interessen.
Ausführlich geht Hedeler auf die Jahre nach der Verdrängung Bucharins von der Macht (1929) ein, die in der bisherigen Forschung wenig beleuchtet wurden. Bucharin bleibt bis 1936 auf den verschiedensten Feldern aktiv. Auf dem sowjetischen Schriftstellerkongress 1934 hält er eine dreistündige Grundsatzrede. In der Akademie der Wissenschaften arbeitet er ab 1932 als Direktor des Instituts für Geschichte der Wissenschaft und Technik. (Womöglich kann dieses Kapitel seiner Tätigkeit im Archiv der Akademie der Wissenschaften noch genauer erforscht werden.) 1930 bis 1933 arbeitet er in der Abteilung für wissenschaftlich-technische Leitung im Obersten Volkswirtschaftsrat und ist an der Ausarbeitung des zweiten Fünfjahrplans beteiligt, wobei er versucht, die aufgetretenen volkswirtschaftlichen Disproportionen zu reduzieren und eine wissenschafts- und technikbasierte Industrialisierung auf einem nicht länger nur extensiven, vielmehr einem intensiven Entwicklungspfad voranzubringen. 1934 bis 1936 ist er Chefredakteur der Regierungszeitung „Iswestija“. Die Zeitschrift „Sozialistische Rekonstruktion und Wissenschaft“ (Sorena) wird von ihm herausgegeben. Er publiziert Artikel über den Faschismus und warnt vor seiner Ausbreitung in Europa. Auf Kongressen in London (1931) und Paris (1936) vertritt er die sowjetische Wissenschaft im Ausland (305). 1935 gibt Bucharin gemeinsam mit dem Genetiker Nikolai Wawilow Charles Darwins „Entstehung der Arten“ in russischer Sprache heraus (307). 1936 wird er nach Paris geschickt, wo er den Nachlass von Marx und Engels vom SPD-Parteivorstand kaufen soll, ein Vorhaben, das jedoch scheitert. Neben einigen Briefen kann er immerhin den Lehnstuhl, in dem Marx sein „Kapital“ schrieb, erwerben (402). Bucharin kehrt im April 1936 nach Moskau zurück, obwohl er spürt, dass sich dort die Schlinge um ihn immer enger zusammenzieht. Bis zu seinem Tod bleibt er der Sowjetmacht gegenüber loyal. 1936 wirkt er, wie auch Karl Radek, noch an der Ausarbeitung der „Stalin’schen Verfassung“ mit. Auf der Feier zum Jahrestag der Revolution am 7. November 1936 steht er am Fuße des Lenin-Mausoleums, als ein Wachsoldat erscheint und grüßt: „Genosse Bucharin, Genosse Stalin lässt Ihnen sagen, dass Sie nicht am richtigen Platz stehen. Kommen Sie aufs Mausoleum.“ (428)
Wenige Wochen später wird Bucharin auf dem Februar/März-Plenum des ZK 1937 verhaftet und als „Rechtsabweichler“, „Konterrevolutionär“, „Spion“ und „faschistischer Söldner“ tituliert. Im Inneren Gefängnis der Lubjanka schreibt er noch drei Bücher („Der Sozialismus und seine Kultur“, „Philosophische Arabesken“ sowie den autobiographischen Roman „Zeiten“) und zahlreiche Gedichte. Sein Begnadigungsgesuch an Stalin vom 10. Dezember 1937 zeigt ihn als gebrochenen und verzweifelten Menschen (in diesem Band veröffentlicht S. 528-533). Im dritten großen Moskauer Schauprozess wird Bucharin zum Tode verurteilt und am 15. März 1938 im Lefortowo-Gefängnis erschossen, der Leichnam auf dem NKWD-Gelände Butowo-Kommunarka bei Moskau verscharrt.
Hedeler arbeitet im Detail heraus, dass der damals auch auf Deutsch veröffentlichte „Prozessbericht über die Strafsache des antisowjetischen ‚Blocks der Rechten und Trotzkisten’“, Moskau 1938, nicht das Originalprotokoll darstellt, vielmehr von den Verfolgungsbehörden und von Stalin persönlich mehrfach redigiert und retouchiert worden ist. Im Kontext der Verurteilung Bucharins werden fast alle seine Schüler (ein Verzeichnis ihrer Namen findet sich auf S. 376), zahlreiche Bekannte, Freunde und Familienangehörige verfolgt, ins Lager gesperrt oder erschossen. Seine erste Ehefrau, die Bucharin in mehreren Briefen an Stalin verteidigt, wird am 1. Mai 1938 verhaftet und zwei Jahre später erschossen. „Da Nadeshda Lukina wegen eines Wirbelsäulenleidens kaum laufen konnte, trug man sie auf einer Trage zur Erschießung. Ihr Leichnam wurde kremiert und die Asche auf dem Donskoe-Friedhof verstreut“ (514). Alle Erinnerungen an mögliche politische, ökonomische und kulturelle Alternativen zur Stalin`schen „Generallinie“ sollten ausgelöscht werden. Die Mechanismen dieses Destruktionsprozesses werden von Hedeler anhand des überlieferten Schriftverkehrs der Parteispitze nachgezeichnet, wobei sozialhistorische oder partei- und machtsoziologische Fragen eher in den Hintergrund treten.
Der Biograph hat neue Quellen zur persönlichen und politischen Entwicklung Bucharins erschlossen und zeichnet seine Kindheits- und Jugendjahre in Moskau und in Bessarabien nach (er stammt aus einer Lehrerfamilie). Bereits als Schüler und dann, seit 1907, als Student an der Juristischen Fakultät der Moskauer Universität trifft Bucharin auf Zirkel der russischen Sozialdemokratie und findet vor allem in den philosophischen und organisationswissenschaftlichen Schriften Alexander Bogdanows einen Zugang zur revolutionären Arbeiterbewegung (49-63). 1910 erscheinen seine ersten Artikel in der Parteipresse. Er ist als Agitator in Arbeiterzirkeln tätig, wird verhaftet und in den Hohen Norden verbannt, kann jedoch Ende August 1911 fliehen und geht ins Exil nach Deutschland. Sein erster Aufenthalt ist Hannover, wo er im November 1911 in die SPD eintritt. In Hannover studiert er in der Bibliothek des Partei- und Gewerkschaftshauses in der Nikolaistraße das „Kapital“ und weitere nationalökonomische Literatur. 1912 nimmt er am Chemnitzer Parteitag der SPD teil. Dann studiert er in Wien, wo er zeitweilig für den Marx-Forscher Rjasanow arbeitet und erstmalig Anfang 1913 kurz mit Stalin zusammentrifft, der hier Material über die Nationalitätenfrage sammelt. 1914, nach Kriegsbeginn, wird Bucharin aus Österreich in die Schweiz ausgewiesen, er reist dann weiter über Skandinavien in die USA, wo er als Redakteur der Tageszeitung „Nowy Mir“ arbeitet. Mitte Januar 1917 trifft auch Trotzki in New York ein, der über den Empfang schreibt: „Bucharin hieß uns mit offenen Armen willkommen. Neunundzwanzig Jahre, die Lebhaftigkeit in Person, ein offenes lachendes Gesicht, ein sympathisches Wesen, ein munterer Plauderer voller Humor“ (138).
Nach sechsjähriger Emigration kehrt Bucharin im Mai 1917 nach Moskau zurück, wo er Mitglied im Sowjet wird und im Oktober den Moskauer Aufstand mitorganisiert. In der Folgezeit steht er als einer der führenden „linken Kommunisten“ (März – November 1918) in der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik, in Erwartung einer unmittelbar bevorstehenden weltweiten Revolution, auf prononciert linken Positionen. Im März 1919 ist er Mitbegründer der Kommunistischen Internationale in Moskau und Mitglied im Präsidium ihres Exekutivkomitees (bis November 1929).
Zwanzig Jahre nach der Oktoberrevolution schreibt Bucharin im November 1937 in seiner Moskauer Gefängniszelle, anknüpfend an Motive seines Lieblingsschriftstellers Heinrich Heine, die Abschiedszeilen: „Während meiner Wanderungen habe ich einen Kranz aus den schönsten Blumen geflochten. Und wenn es mir vielleicht nicht gelungen ist, den Kranz zu Ende zu flechten, so habe ich doch Wurzeln und Samen mitgebracht. Andere können sie einpflanzen...“ (499).
Gert Meyer
Zur Biographie Werner Scholems
Ralf Hoffrogge, Werner Scholem. Eine politische Biographie (1895-1940), UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz und München 2014, 495 S., 24,99 Euro
Ende des vergangenen Jahrhunderts kam völlig unverhofft ein deutscher Kommunist zu literarischen Ehren, der bis dahin wohl nur jenen bekannt war, die mit der Geschichte der Weimarer Republik und/oder den Fraktionskämpfen in der Komintern bzw. der Sowjetunion vertraut sind: Werner Scholem. Aus einem der führenden Köpfe der Ultralinken in der KPD machte die literarische Fiktion einen Spion, der bei Alexander Kluge gar die Qualitäten eine James Bond hat. Scholem, so geht die Legende bei Franz Jung und Hans Magnus Enzensberger, „soll Maria Luise von Hammerstein, die Tochter des obersten Generals der Reichswehr verführt haben, um ihr militärische Geheimnisse zu entlocken und nach Moskau weiterzuleiten“ (11). Doch das ist nur literarische Fiktion. Was Realität ist und wie das Leben eines Linksradikalen zwischen Utopien und Apparat verlief erfährt man hingegen in der gut dokumentierten und anregend geschriebenen Biografie von Ralf Hoffrogge.
Stefan Zweig nannte die Zeit vor dem ersten Weltkrieg in der Werner Scholem aufgewachsen war „das goldene Zeitalter der Sicherheit. Alles hatte seine Norm, sein bestimmtes Maß und Gewicht“. So war es auch bei den Scholems: der Vater Druckereibesitzer, die Mutter im Geschäft tätig, die beiden ältesten Söhne im Fahrwasser der Familie. Doch es gab einen gewichtigen Unterschied. Die Scholems waren assimilierte Juden. Wie Arthur Schnitzler bemerkte war es aber für einen Juden nicht möglich „davon abzusehen, dass er Jude war, da es die anderen nicht taten“. Die beiden jüngeren Söhne rebellierten wie in den 1890er Jahrgängen häufig anzutreffen gegen die geistige und moralische Leere des satten selbstzufriedenen Bürgertums. Sie suchten den „Neuen Menschen“. Im Wandervogel, im „Stahlgewitter“ (wie Ernst Jünger Werners Schulbanknachbar 1913), in Expressionismus, Sozialismus und Zionismus. Werner rebellierte gegen die kapitalistische Arbeitsethik des Vaters, Gerhard (der sich später Gershom nannte) gegen die Verdrängung der jüdischen Identität. Beide begriffen den Familienkonflikt als gesellschaftlichen Konflikt, konsequenterweise wurde der eine Sozialist, der andere Zionist.
Für Werner war „der Sozialismus das umfassenderer Emanzipationsprojekt und wichtiger als die besondere jüdische Perspektive“ (144). Er engagierte sich in der Arbeiterjugend und trat sobald er 18 Jahre alt war (Dezember 1913) in die SPD ein. 1915 wurde er eingezogen und nach der Novemberrevolution Mitglied der USPD. Als diese 1920 zerbrach ging er mit dem linken Flügel zur KPD. Er bekam ein Mandat im Preußischen Landtag (1921/24) und wurde durch seine Begabung als polemischer Rhetoriker überregional bekannt. Scholem gehörte zur „Linken Opposition“ deren Kennzeichen die „Ablehnung aller Absprachen, Bündnisse oder gar Einheitsfront mit Sozialdemokraten und Gewerkschaften zugunsten einer unmittelbaren „revolutionären“ Politik“ (235) war. Der Konflikt mit der KPD-Führung um Brandler eskalierte im Ruhrkampf 1923. Wie der Autor an Hand bisher unveröffentlichten Materials belegt lehnte die Linke den „nationalrevolutionären“ Kurs der Zentrale ab und ebenso den Eintritt der KPD in die Landesregierungen von Sachsen und Thüringen. Was den Auftakt des „deutschen Oktobers“ bilden sollte wurde indes zum Fiasko. Die Absetzung der beiden „Arbeiterregierungen“ durch die Reichswehr wurde widerstandslos hingenommen und der Hamburger Aufstand blieb eine surreale Episode.
Auf dem Frankfurter Parteitag 1924 schlug dann die Stunde der „Linken Opposition“. Scholem stieg zum Organisationsleiter der Gesamtpartei auf und führte gemeinsam mit Arkadij Maslow und Ruth Fischer die KPD. Dazu Hoffrogge: „Scholems Flucht nach vorne war genau das Programm, das die geschlagene und verunsicherte Partei gerne hörte. Die Mitglieder wollten keine Zweifel und Selbstkritik, keinen taktischen Rückzug … Sie wollten die Revolution, und zwar möglichst schnell. Werner Scholem versprach ihnen die Revolution, und dies war das Geheimnis seines Aufstiegs.“ (233) Clara Zetkin zeichnete hingegen ein ganz anderes Bild der neuen Zentrale. Sie sprach von der „wirrköpfigen Dreistigkeit“ Scholems, der „zynischen Schnoddrigkeit“ Maslows und der „tönenden Rhetorik“ Fischers (239). Die Führung versuchte die KPD zu einer Avantgardepartei im bolschewistischen Sinne zu formen. Das Projekt war jedoch von kurzer Dauer, da sich mit dem Ende der Inflationskrise die revolutionäre Stimmung und damit auch die Unterstützung für die Konzepte der Linken verflüchtigte. Infolge des Desasters bei der Reichspräsidentenwahl verlor die „Linke Opposition“ bereits im Herbst 1925 ihre Posten im Zentralkomitee und wurde im November aus der KPD ausgeschlossen. Der für die „Bolschewisierung“ der KPD verantwortliche Scholem wandelte sich in dieser Zeit „mehr und mehr zum Verteidiger der innerparteilichen Demokratie gegen den entstehenden Stalinismus (236). Für Hoffrogge illustriert die „kommunistische Biografie“ Scholems wie kaum eine andere den Unterschied zwischen den Mechanismen der Bolschewisierung und der Stalinisierung: „Erstere … überformte die KPD mit einer zentralistischen Struktur, die zur schlagkräftigen Vertretung politischer Inhalte gedacht war. Scholems mehrfache persönliche Weigerung, diese Inhalte in einer ‚Kapitulation‘ preiszugeben stand beispielhaft für ein Primat des Politischen in der KPD-Linken. … Die Stalinisierung hingegen machte die KPD zum Vehikel austauschbarer Inhalte, die bestimmt wurden von der Herrschaftssicherung Stalins … Sie benötigte das Mittel der persönlich-politischen Kapitulation“ (312).
Scholems politisches Engagement endete mit den Reichstagswahlen 1928 als er aus dem ultralinken „Leninbund“ austrat und auf Grund der damaligen Annäherung Stalins an die linke Opposition in der Sowjetunion zur Wahl der KPD aufrief. „Er hatte als sein politisches Ziel einmal formuliert, ‚die organisatorische Elastizität des Bolschewismus mit seiner unbeugsamen politischen Starrheit zu verbinden‘. Doch letztlich hatte die Starrheit gesiegt. … Für Karl Korsch oder Arthur Rosenberg war der ultralinke Dogmatismus ein Durchgangsstadium, aus dem sie Kraft für eine Neubestimmung marxistischer Theorie zogen. Für Scholem blieb er politische Endstation.“ (339) Im April 1933 wurde Scholem, der inzwischen im Justizdienst tätig war verhaftet und des Hochverrats angeklagt. Der Prozess vor dem Volksgerichtshof endete im März 1935 mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen. Er wurde jedoch sofort in Schutzhaft genommen und wanderte durch eine Reihe von Lagern. 1938 wurde Scholem nach Buchenwald überstellt wo er am 17. Juli 1940 von der SS ermordet wurde.
Karl Unger
Kommunismus – Ende der Warenökonomie?
Hermann Jacobs, Reflexionen Nr. 54, Januar 2016, 19 S., kostenloser Bezug : hermann.jacobs@web.de
Seit vielen Jahren verficht Hermann Jacobs (u.a. auch in „Z“) die These, dass schon mit dem Beginn der ersten Phase des Kommunismus, also dem Sozialismus, die Überwindung der Warenökonomie einsetzen müsse und in der Geschichte des Realsozialismus eingesetzt habe, dass also Vorstellungen, die vom Sozialismus als einer eigenständigen Gesellschaftsordnung mit Warenökonomie ausgingen, irreführend seien. Er vertritt diese Auffassung unbeschadet der Fortexistenz von Geld, Preisen und Waren in den ehemaligen sozialistischen Ländern; dahinter habe sich bereits der „Übergang von der Wert- zur Gebrauchswert-Ökonomie“ verborgen. Von diesem – freilich, wie er selbst zugesteht, heute ziemlich einsamen – Standpunkt aus kritisiert er auch die theoretischen Debatten, die u.a. in der UdSSR und der DDR um Reformen des ökonomischen Systems auf Basis der Wert- bzw. Warenökonomie geführt wurden (z.B. das NÖS der DDR). Stattdessen seien Reformen der zentral geleiteten Planwirtschaft notwendig gewesen. Daneben beschäftigt Jacobs seit langem die Frage nach Ursachen der permanenten Inflation im Kapitalismus.
Die vorliegende Broschüre gibt einen knappen Überblick über die Vorstellungen des „kommunistischen Querdenker“ Jacobs (Heinz Jung in Z 23, S. 235) und enthält eine Bibliographie seiner großen Zahl an (Eigen)Publikationen zu diesen Themen – allemal Herausforderung und Anregung zu weiterem Nachdenken.
André Leisewitz
Der Staat
Frank Deppe, Der Staat, PapyRossa Verlag, Köln 2015, 118 Seiten, 9,90 Euro
Ein Überblick über die materialistische bzw. marxistische Staatsanalyse von den Ursprüngen bis zum komplexen System von Ökonomie, Politik und Gesellschaft im entwickelten Kapitalismus – das klingt nach einer mehrbändigen Monografie von beträchtlichem Umfang. Tatsächlich hat Frank Deppe das Kunststück fertig gebracht, dieses umfassende Thema in einem 120 Seiten umfassenden Büchlein in der Reihe Basiswissen des Papyrossa-Verlags abzuhandeln. Das ist umso bemerkenswerter, als der Autor auf diesem engen Raum nicht nur die Verästelungen der Staatstheorie, sondern auch die reale Entwicklung und Veränderung des Staats im Kapitalismus vom 19. bis ins 21. Jahrhundert skizzenhaft nachzeichnet. Diese enorme Stofffülle erfordert die Beschränkung auf thesenhafte Zuspitzung. Um es vorab zu sagen: Es ist eine rundum äußerst gelungene und spannend zu lesende Einführung in ein schwieriges und hochaktuelles Thema geworden.
Deppes Staatsanalyse ist materialistisch. Sie unterscheidet sich von bürgerlichen Staatstheorien dadurch, dass sie den Staat im Zusammenhang mit den Eigentums- und Produktionsverhältnissen begreift, aus denen die bekannten Strukturen sozialer Ungleichheit und unterschiedliche politische Formen entstehen (103f.) „Materialistische Staatsanalyse ist immer auch Staatskritik!“ (104). Diese auf die Utopie der „Herrschaftsfreiheit“ (ebd.) bezogene Leitidee durchzieht das ganze Buch.
Deppe legt den Schwerpunkt auf Funktion und Tätigkeiten des Staats der Gegenwart. Um die Leserinnen und Leser dorthin zu führen, skizziert er zunächst in großen Linien, ohne Überfrachtung durch Details die lange Geschichte seiner Herausbildung von der Antike über das europäische Mittelalter und den Absolutismus. Der moderne Staat ist ein spätes Produkt der europäischen Geschichte (17). Die Bezeichnung Staat für ein „Gemeinwesen“ ist historisch gesehen neu. Sie hat sich erst im Übergang zum 19. Jahrhundert durchgesetzt (16). „Wesentliche Merkmale des modernen Staates (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt im Besitz der Souveränität, Monopol der Gewalt nach innen und außen) bilden sich in dieser Epoche aus“ (18). So entstand der „moderne Staat“, und er war das Ergebnis von Kriegen und von Klassenkämpfen (20). Mit der Herausbildung der industriekapitalistischen Produktionsweise, mit Handel, Warenaustausch und Geldverkehr organisierte sich die Gesellschaft nach und nach in Form des Staates. Beide sind jetzt erstmals voneinander geschieden. Der Staat wird zur „Wirkungsform“ und „Stütze“ der bürgerlichen Gesellschaft. Deppe zitiert Marx und Engels (MEW 3: 62), die dem Staat die Rolle einer „besonderen Existenz neben und außer der bürgerlichen Gesellschaft“ zuschrieben (22).
Nach dieser knappen und dichten Zusammenfassung wendet Deppe sich dem Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Klassen zu. Er setzt seine eigene Position in Kontrast zur neueren konservativen Staatstheorie, für die „Staatssouveränität vor der Anerkennung der Volkssouveränität“ kommt (24). Diese nahezu religiöse Staatsverehrung prägte die antidemokratischen Tendenzen in Deutschland und ist auch heute noch im politischen Raum virulent. Zahlreiche Äußerungen von konservativen Politikern wie de Maizière oder Seehofer zeigen das. Im liberalen Denken wurde und wird diese Staatsvergötzung der Konservativen kritisiert. Und in der Tat wird im naturrechtlichen Vertragsdenken staatliche Herrschaft als „Übereinkunft rational denkender und handelnder Individuen“ (25) betrachtet. Hier ist der Staat auf den Schutz der individuellen Freiheitsrechte verpflichtet. Dieser liberale Staat, der auch das Privateigentum der Bürger und die freien Märkte zu sichern hat, war allerdings, wie Deppe unterstreicht, niemals schwach im Sinne eines „Nachtwächterstaats“ (26). Er war immer so stark, wie es die historische Situation erforderte – er führte auch Kriege, schützte Investitionen und schlug Streiks und Revolutionen nieder.
Der moderne Staat ist ein Klassenstaat – in jeder politischen Form. Das ist zugleich auch der Kern der Staatstheorie von Marx und Engels, auf die Deppe im fünften Kapitel eingeht. Sie ist auch das zentrale Element ihrer Revolutionstheorie. Im Wesentlichen ging es Marx und Engels darum, in der Auseinandersetzung mit bürgerlichen Denkrichtungen den Zusammenhang zwischen Produktions- und Klassenverhältnissen und den Funktionen und Formen des Staates präzise zu erfassen (36). Deppe greift Engels‘ Position auf, der Staat sei eine „Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten“, er sei „der ideelle Gesamtkapitalist“ (38, mit Bezug auf MEW 20: 262). Deppe führt den Gedanken fort, auf die Verhältnisse des heutigen Kapitalismus bezogen: Es gibt demnach ein „allgemeines“ oder „Durchschnittsinteresse“ der Bourgeoisie, das aber mehr ist als die Summe der Einzelinteressen der Kapitalisten (41f.). Die Klassenmacht der Bourgeoisie übersetzt sich in die Macht und Tätigkeit des Staates. Fraktionelle Interessen organisieren sich über politische Parteien. „Auf diese Weise wird das ‚allgemeine Interesse‘ auf dem politischen ‚Markt‘ gleichsam herausgefiltert.“ Daraus ergibt sich die relative Autonomie des Staates, die, so Deppe, „von Marxisten oft unterschätzt wurde (und wird)“ (42). Es war daher eine unzulässige Vereinfachung, wenn Marxisten und insbesondere Marxisten-Leninisten des 20. Jahrhunderts den Staat „gleichsam monokausal als Instrument der herrschenden Klasse (bzw. der in ihr dominierenden Klassenfraktion)“ gefasst haben (51).
Deppe zeichnet die Veränderungen in der Staats- und Revolutionstheorie von Marx und Engels nach. Unter dem Eindruck der Pariser Commune sprach Marx 1875 von einer Übergangsperiode, deren Staat „die revolutionäre Diktatur des Proletariats“ (MEW 19: 28) sein müsse, die freilich radikaldemokratisch verfasst gedacht wurde (45). Das sollte keineswegs eine lange historische Periode sein, sondern eher eine recht kurze Übergangsphase. Die Besitzergreifung der Produktionsmittel, so Engels wenig später, sei zugleich der letzte selbstständige Akt des Staates als solcher. Im Anti-Dührung fügte er hinzu: „Der Staat wird nicht abgeschafft, er stirbt ab“ (46).Darin steckte noch die Fixierung auf die gewaltsame Eroberung der Staatsmacht, die Engels später mit dem Wachstum der Sozialdemokratie zur Massenpartei und ihren Wahlerfolgen relativierte. Die Zeit der Überrumpelungen durch kleine Minderheiten, durch eine Avantgarde (MEW 22: 523) sei vorüber. In dem Maße, wie der Staat immer mehr direkt ins Wirtschaftsleben eingreife, wie sich die ökonomischen und sozialen Funktionen des Staates erweiterten, müsse sich auch eine revolutionäre Strategie verändern. „Das Staatseigentum an den Produktionsmitteln ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung“ (MEW 20: 260) (49).
Einem knappen Exkurs zum Verhältnis von Nationalstaat und Nationalismus folgt ein längerer Abschnitt über die verschlungenen Wege der marxistischen Staatskritik im frühen 20. Jahrhundert (54ff.). Diese Wege nachzuzeichnen würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Deppes Darstellung reicht von Lenin und der kommunistischen Internationale über Gramsci, Mao Zedong, Hilferding bis zum Austromarxismus. Aufschlussreich ist seine Gegenüberstellung von Lenin und Gramsci. Lenin stellte die eher verstreuten Anmerkungen von Marx und Engels über die Notwendigkeit einer „Diktatur des Proletariats“ ins Zentrum seiner Theorie und gelangte nach Deppes Einschätzung zu einer „extremen(n) Verengung der ‚Staatsfrage‘“, die im peripheren und unentwickelten Russland wohl wirksam, für die Kampfbedingungen der Arbeiterbewegung in den entwickelten kapitalistischen Ländern aber nicht hilfreich sein konnte (56). Zwar wollte Lenin diese Diktatur als ein Rätesystem organisiert sehen. In der sowjetischen Realität und in der Parteidoktrin der III. Internationale wurde daraus jedoch rasch die „Diktatur der Partei“. Deppe führt den Zusammenbruch der Sowjetunion u.a. auch darauf zurück, dass dieses „System der politischen Herrschaft sich niemals aus den Machtstrukturen einer Entwicklungsdiktatur gelöst hatte“ und deshalb mehr und mehr „zu einer Schranke der Entwicklung“ geworden war (67).
Daher, so Deppe, kann es nicht verwundern, dass die theoretischen Überlegungen Antonio Gramscis für die Parteien der kommunistischen Internationale keine Orientierungsfunktion hatten (60). Gramsci wollte die Staats- und Revolutionstheorie an die Verhältnisse in den entwickelten kapitalistischen Ländern anpassen, in denen kein Sturm auf das Winterpalais, keine überfallartige „Machteroberung“ durch eine entschlossene Avantgarde möglich sei. Deppe skizziert Gramscis Staatsverständnis, das im Kern darin bestand, den Staat „als ein komplexes gesellschaftliches Verhältnis“ zu begreifen, „in dem die klassische Trennung von öffentlich und privat, aber auch von Basis und Überbau aufgehoben“ sei. Demnach müsse der Eroberung der politischen Macht, des staatlichen Gewaltapparats im engeren Sinne der erfolgreiche Kampf um die Hegemonie in der Zivilgesellschaft vorausgehen (59).
Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts – im „Jahrhundert der Nationalstaaten und des Interventionsstaates“ (71ff.) veränderte sich der kapitalistische Staat beträchtlich. Die marxistische Staatstheorie entwickelte parallel dazu neue Diskussionsstränge. Deppe beschränkt sich hier nun ausdrücklich auf die „entwickelten westlichen Gesellschaften“ (73). Die Grundtendenz ist klar: „Im 20. Jahrhundert nimmt die Bedeutung des Staates für die Entwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft deutlich zu“ (74). Die klassische Funktion des Staates, Gewaltinstrument der herrschenden Klasse zu sein, bleibt bestehen, aber die Staatsfunktionen erweitern sich nun in die Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion (75). Der „moderne Interventionsstaat“ (79) entsteht und wird die unentbehrliche Stütze für das „Funktionieren des kapitalistischen Wirtschaftssystems“ (78).
Im rheinischen Kapitalismus der alten Bundesrepublik – aber auch in anderen entwickelten kapitalistischen Ländern – führte diese Erweiterung der Staatstätigkeit zu einer sozialpartnerschaftlich geprägten „Entschärfung des Klassenkonflikts“ (83) und somit zu „Sozialstaatsillusionen“ auch bei linken Kräften und in den Gewerkschaften. Die marxistische und insbesondere marxistisch-leninistische Staatskritik galt als völlig überholt. Deppe benennt zwei Stränge der marxistischen Staatsdebatte, die sich mit dieser Entwicklung kritisch auseinandersetzten: Zum einen die so genannte „Staatsdebatte“, die von marxistischen Intellektuellen seit den 1960er Jahren in Westeuropa und den USA initiiert wurde, die sich scharf vom Marxismus-Leninismus abgrenzte und den kapitalistischen Staat direkt aus der Marxschen Analyse des „Kapitals“ selbst abzuleiten versuchte, um so den Kern der marxistischen Staatstheorie herauszuschälen (83f.). Der Staat ist demnach „in letzter Instanz Organ jener Interessen, die innerhalb des ‚Blocks an der Macht‘ mit dem Eigentum an den Produktionsmitteln und dem Finanzsystem verbunden sind“ (84). Mit Bezug auf Poulantzas wendet sich Deppe hier gegen eine vereinfachte Sichtweise auf den Staat als direktes Organ der Monopolbourgeosie. Er verfüge vielmehr über „relative Autonomie“ und eine „materiale Eigenständigkeit“ (85).
Der andere Diskussionsstrang, sozusagen das bewusste Gegenmodell zur so genannten „Ableitungsdebatte“ – ist die der kommunistischen Bewegung verbundene Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus, die zeitweilig auch stark in die linke Sozialdemokratie ausstrahlte. Deppe charakterisiert die Essentials dieser „Stamokap-Theorie“ so: Sie habe in Anknüpfung an Lenin „zentrale Elemente der Entwicklung des Interventions- und Wohlfahrtsstaates“ aufgegriffen, „aber auch den Charakter der Klassenkämpfe in dieser Periode“ reflektiert (84). Unter der einschlägigen Literatur findet sich auch ein kurzer Hinweis auf die zweibändige Staatsstudie des IMSF „Der Staat im staatsmonopolistischen Kapitalismus der Bundesrepublik“ (1981/82). Immerhin hat z.B. diese umfangreiches empirisches und theoretisches Material zum modernen kapitalistischen Interventionsstaat des späten 20. Jahrhunderts zusammengetragen.
In kritischer Auseinandersetzung mit Versuchen, das Wesen des Staats direkt aus einer Art „Kapitallogik“ abzuleiten, unterstrich die SMK-Theorie, insbesondere in der im IMSF entwickelten Form, den hohen Stellenwert politischer Prozesse im Verhältnis zwischen Monopolen und Staat, was schließlich auch zur Analyse einer privatmonopolistischen Entwicklungsvariante führte. Im Ansatz war das bereits die theoretische Erfassung der neoliberalen Ausformung kapitalistischer Entwicklung, durchaus eine starke Seite der SMK-Theorie. Die Internationalisierung des Kapitals mit starken Strukturveränderungen auf der nationalen Ebene (in der BRD die Auflösung der sog. „Deutschland-AG“) und der wachsenden Dominanz des Finanzmarktkapitalismus bei vordergründiger Zurückdrängung staatlicher Aktivitäten (die dann zur „Rettung“ in der Finanzkrise ab 2008 umso dringender gebraucht wurden) hat die SMK-Theorie – neben anderen Aspekten wie ihre Bindung an das Konstrukt der „allgemeinen Krise des Kapitalismus“, ihre Assoziation mit der DDR, aber auch das Fehlen systematischer Untersuchungen zu Staat-Monopol-Beziehungen – dann nach 1990 in den Hintergrund treten lassen.
Wir nähern uns der Gegenwart, und es geht um die Kreativität marxistischer Staatskritik am Anfang des 21. Jahrhunderts – im Zeichen der Globalisierung und der „neoliberalen Konterrevolution“ (David Harvey). Deppe fasst seine diesbezüglichen Überlegungen unter die Fragestellung: „Ende der Renaissance des Leviathan?“ (86ff.). Er greift die weit verbreitete Auffassung auf, der Staat sei in dieser Situation im Grunde ein Opfer des Marktes, dessen Kräften er sich beugen müsse. Dieser These widerspricht er nachdrücklich. „Alle diese Thesen über den Niedergang des Staates und den Sieg des Marktes bzw. eines globalen ‚Turbokapitalismus‘ unterschätzen bzw. negieren jedoch die aktive Rolle des Staates in der ‚Großen Transformation‘“ (94). Denn gerade bei Privatisierung, Deregulierung und Flexibilisierung spielt der Staat eine höchst aktive Rolle. Seine Funktion bei der Stabilisierung des globalen Finanzmarktregimes nimmt drastisch zu (97). Die ideologischen Staatsapparate wurden enorm ausgeweitet (108). Die Staatsaufgaben werden immer komplexer. Wer genau sie definiert und dominiert, wird vom jeweiligen „Kräfteverhältnis innerhalb des ‚Blocks an der Macht‘ und zwischen den Klassen bestimmt“ (96). Allerdings haben sich die Akzente verschoben: Mit dem Ende des „Golden Age“ und der Systemkonkurrenz sind die „gesellschaftlichen Reproduktionsfunktionen des Staates sowie seine Verantwortung für die Organisierung des Klassenkonflikts“ zurückgetreten – zugunsten der Funktionen zur „Sicherung von Kapitalverwertung und Wettbewerbsfähigkeit“ und der „Disziplinierung der Gesellschaft“. (107).
Deppe zieht daraus mehrere Schlussfolgerungen: Die Vorstellung einer ausschließlich eindimensionalen Abhängigkeit des Staates von den „Interessen bestimmter Kapitalfraktionen (z.B. Monopolkapital, Transnationale Konzerne) ist falsch und kann nicht im Zentrum einer zeitgemäßen materialistischen Staatstheorie stehen. Allerdings bleibt dann die Frage, wie sich das allgemeine oder Durchschnittsinteresse der Bourgeoisie (41f.) eigentlich herausbildet? Das erfordert in jeder konkreten Situation konkrete Analysen, für die natürlich in dieser knappen Zusammenfassung kein Raum ist.
Auch die Alternative „Nationalstaat oder EU“ ist falsch, unterstreicht Deppe. Ebenso falsch ist die These, „dass transnationale Politik in der Gegenwart ‚jenseits des Nationalstaats‘ stattfinde“ (96). Der Nationalstaat ist weiterhin die entscheidende Ebene im Kampf gegen neoliberale Austeritätspolitik. Auf der einen Seite bedeutet das allerdings auch: Die autoritären und repressiven Teile innerhalb der Organisation des Staats werden stärker; die oligarchischen Tendenzen nehmen zu (102). Es gibt eine „Krise der Demokratie“ (107).
Im internationalen Kapitalismus und vor allem im so genannten westlichen „kooperativen Imperialismus“ wird damit auch die Frage nach den Führungsstrukturen neu auf die Tagesordnung gesetzt. Deutlich wird hier vor allem, dass die Führung durch die USA einer Ergänzung bedarf durch eine Führungsrolle des deutschen Staats (103). Der kürzliche Besuch des scheidenden US-Präsidenten Obama in Deutschland hat hierzu einiges Anschauungsmaterial beigesteuert.
Letzten Endes geht es materialistischer und marxistischer Staatskritik auch darum, linker politischer Praxis Impulse zu geben, um „in der Gesellschaft und Wirtschaft“ Machtpositionen zu erringen und Positionen in der Staatsmacht zu besetzen, „ohne die keines der großen Reformprojekt einer grundlegenden Transformation durchgesetzt werden“ kann (113).
Deppe entlässt die Leserin und den Leser mit dem Eindruck, eine außerordentlich interessante und gelungene Zusammenfassung zum Stand der materialistischen Staatstheorie gelesen zu haben. Wer will, kann diesem Buch prononcierte Anregungen für eine weitere aktuelle Staatskritik und -diskussion entnehmen.
Jürgen Reusch
Marxistischer Feminismus
Frigga Haug und Ruth May (Hrsg.), Wege des Marxismus-Feminismus. Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Heft 314. Hamburg, 2016, 352 Seiten, 26 Euro.
Als „unglückliche Ehe“ beschrieb die US-Ökonomin Heidi Hartmann 1981 das Verhältnis von Marxismus und Feminismus. Man sollte meinen, die beiden seien längst nicht mehr zusammen, beruft sich doch die feministische Theorie heute überwiegend auf den Poststrukturalismus. Doch nach 35 Jahren scheinen neue Bande geknüpft zu werden. Im März 2015 trafen sich in Berlin „mehr als 500 Frauen aus über 20 Ländern zum weltweit ersten Kongress vom Marxismus-Feminismus“, um „drei Tage intensiv zu diskutieren.“ Dies schreibt eine der Herausgeberinnen, Ruth May, in einem einleitenden Beitrag zum Tagungsband „Marxismus-Feminismus“. Der Titel ist übrigens eine etwas unglückliche Bindestrichkonstruktion, die an „Marxismus-Leninismus“ erinnert und sich nicht durchsetzen wird. Frigga Haug, die andere Herausgeberin, spricht in ihrem Aufsatz von den Geschlechterverhältnissen als Produktionsverhältnissen. Damit meint sie die sonst unter dem Stichwort Reproduktionsarbeit verhandelte traditionelle, in Auflösung begriffene Arbeitsteilung, innerhalb derer Männer in der kapitalistischen Produktion arbeiten und viele Frauen oft unentgeltlich Tätigkeiten zur Erhaltung von Menschen verrichten, von der Kindererziehung über Haushaltsführung bis zur Pflege. Allerdings sind für Haug selbst Freundschaft und Liebe „fürsorgliche Arbeit“. Diese Totalisierung des Arbeitsbegriffs ist eine bedeutende Schwäche der Debatten um „Sorgearbeit“: Wenn alles Arbeit ist, verliert der Begriff an Kontur und Muße wird gleichsam undenkbar. Ein Heftschwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit dem Konzept der „Intersektionalität“, der ‚Überschneidung’ von Unterdrückungsverhältnissen. Die Soziologin Martha Gimenez kritisiert, in diesem Konzept werde der Klassenbegriff auf eine persönliche Identität reduziert, „im Einklang mit dem herrschenden ideologischen Bild der amerikanischen Gesellschaft, in dem der Klassenbegriff nicht mehr vorkommt.“ Für Gimenez befördert dies eine „Identitätspolitik in Einklang mit dem für die kapitalistische Gesellschaft typischen Konkurrenz-Individualismus“. Der Aufstieg von einigen Angehörigen der adressierten Kategorien gehe einher mit sinkenden Löhnen und mit Konservierung der unterdrückenden Verhältnisse. Die Soziologin Lise Vogel zeichnet nach, wie Intersektionalität aus der Trilogie „Rasse“, Klasse und Geschlecht hervorging. Das Problem sei, dass die Kategorien nicht auf einer Ebene liegen: „Manchmal scheint es um die Formation der jeweiligen subjektiven Identität zu gehen, manchmal um ihre strukturelle Verortung.“ Zugleich handele es sich um beschreibende Begriffe, die keine Erklärungen anbieten.
Herausragend ist die Studie von Christa Wichterich über indische Leihmütter und die globale Reproduktionsindustrie, weil die Autorin genuin marxistische Fragen nach Arbeit, Ausbeutung und Verwertung überzeugend am empirischen Beispiel erörtert. Ebenso überzeugend ist die Untersuchung Gabriele Dietrichs zur Rolle der indischen Frauenbewegung in den dortigen Klassenkämpfen. Im Vergleich dazu fällt die Empirieferne der meisten anderen Texte auf. Mehrere Aufsätze beschäftigen sich mit sozialen Bewegungen in Kurdistan, Spanien und Griechenland. Der Band enthält viele lesenswerte Beiträge, u.a. von Saskia Sassen, Sharzad Mojab, Hester Eisenstein und Lynne Segal, aber leider auch einige sehr befremdliche Artikel. „Männer“, meint etwa Cynthia Cockburn, „verbrauchen von der Liebes- und Fürsorgekraft fortwährend mehr, als sie ihnen zurückgeben“; wie Kapital durch entfremdete Arbeit akkumuliert werde, so beruhe männliche Autorität durch „Akkumulation entfremdeter Liebe“. Und Erica Burman vermengt ein ernstes Thema, den offenbar schwer misslungenen Umgang mit einem Vergewaltigungsvorwurf in der britischen Socialist Workers Party, mit einigermaßen bizarren Szenedebatten über ein BDSM-Outing zu einer nicht nachvollziehbaren Argumentation. Die Aufnahme solcher Elaborate steigern nicht eben die Qualität, aber das ist vielleicht ein Preis, den man bei der Herausgabe eines Tagungsbandes zahlen muss.
Michael Zander
Ökologische Krise, Kapitalismus und westlicher Rationalismus
Gerhard Armanski, Monsieur le Capital und Madame la Terre. Blauer Planet im Würgegriff, Münster 2015, Verlag Westfälisches Dampfboot, 265 S., 24,90 Euro
Der Kultur- und Sozialgeschichtswissenschaftler Armanski verfügt über breites Wissen und vielfältige Interessen, die von der europäischen Gewaltgeschichte über Religionswissenschaft bis zu antiken Göttinnen reichen. Das ist zugleich Vorteil wie Nachteil, wie das vorliegende Buch zeigt. Nicht überall kann man in die Tiefe gehen, weshalb an manchen Stellen der Eindruck entsteht, als picke sich der Autor aus den unterschiedlichen Wissensgebieten jene Aspekte und Thesen heraus, die in sein Weltbild passen. Auf der anderen Seite aber weiß er um die Begrenztheit und Idiotie von Einzelwissenschaften, erkennt daher jene ‚Beschränktheit‘, die in der Trennung zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften begründet ist.
Dem Autor zufolge steht die Welt „an einer Gabelung zwischen ökosozialistischer Zukunft (und) überhandnehmendem Unheil“ (236). Er untersucht die Ursachen der Fehlentwicklung und versucht, Wege in die ökosozialistische Zukunft auszumachen. Seine theoretischen Grundlagen bestehen im Konzept der „tiefen Ökologie“, die das Mensch-Naturverhältnis in den Mittelpunkt stellt, der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie und einem theologischen Ansatz, der „von der göttlichen Geschöpflichkeit aller Lebewesen ausgeht“ (238).
Die 10 Kapitel behandeln drei Schwerpunkte: Der erste Hauptteil, Kapitel 1 und 2, enthält die gedrängte Darstellung der ökologischen Probleme und eine Kritik der Versuche, diese mittels Geoengineering und „grünem Kapitalismus“ zu steuern. Die Kapitel 3 bis 6 widmen sich dem, was der Autor als Kernursache der Fehlentwicklung betrachtet: dem verkehrten Verhältnis Mensch-Natur, d.h. dem seit der neolithischen Revolution, seit der Existenz von Klassengesellschaften, dominierenden anthroprozentristischen Weltbild. Der Kapitalismus ist der extremste Ausfluss dieses Weltbilds, in welchem der Mensch die Natur (einschließlich seiner eigenen) zum Ausbeutungsobjekt degradiert. Armanski argumentiert aber inkonsequent: Obwohl er im Titel „Monsieur le Capital“ zum Bösewicht erklärt und verschiedentlich behauptet, die Akkumulation des Kapitals sei „der große Paukenschlag, der das Ende der bisherigen gesellschaftlichen und noch weithin naturwüchsigen Verhältnisse verkündet“ (81), ist das Buch darauf angelegt, den Beginn des „Anthropozäns seit gut 10.000 Jahren“ zum historischen Einschnitt zu erklären (85). „Die anthropomorphische Umwandlung der Natur durch Arbeit ist nicht irgendeinem „menschlichen Wesen an sich“ geschuldet, sondern der Logik einer vom Klasseninteresse getriebenen Produktions- und Lebensweise.“ (61) Diese Beschreibung erfasst nicht nur den Kapitalismus, sondern alle Klassengesellschaften. Indem er den Kapitalismus als extremste Ausformung des anthropozentrischen Weltbilds bezeichnet, impliziert er einen historischen Determinismus, erklärt den Kapitalismus zum historisch notwendigen Ergebnis einer Entwicklung, die mit der Sesshaftwerdung des Menschen begann. Er zeichnet ein Bild der menschlichen Geschichte, in der die Menschheit lange Zeit im Einklang mit der Natur gelebt habe: „Der Steinzeitjäger empfand sich als Teil der Natur und stand den Tieren, seinen Verwandten nahe. … Arbeit in unserem Sinn kannten die ‚Primitiven‘ nicht. Wesentlich mehr Zeit verwandten sie auf den Umgang mit Geistern, gemeinsame Riten und Zeremonien, Feste sowie die Kunst.“ Der Autor behauptet, „dass der Cro-Magnon-Mensch vor 40.000 Jahren für seinen Lebensunterhalt 4 Stunden pro Tag aufzuwenden hatte, lange vor dem Übergang zur Landwirtschaft.“ (65) Dieses idyllische Bild ‚belegt‘ er mit Aussagen, denen zufolge die Buschmänner der Kalahari von 72 Tagen Jagen und Sammeln ein ganzes Jahr leben konnten. Das ist, abgesehen vom Kurzschluss von modernen Buschmännern auf Steinzeitmenschen, gelinde gesagt spekulativ (um nicht zu sagen: blühender Unsinn). Es sei hier nur auf das Buch von Parzinger (Die Kinder des Prometheus) verwiesen, der alle bisher bekannten ‚steinzeitlichen‘ Kulturen auflistet, die jeweils sehr unterschiedlich waren. Einige von ihnen scheinen sogar durch selbst verursachte ökologische Katastrophen untergegangen zu sein. Vor allem aber zeigt er, dass es die vorhandenen Quellen nicht erlauben, Rückschlüsse auf das Denken der „Steinzeitmenschen“ zu ziehen: Darüber weiß man nichts. Was z.B. die von Armanski angeführten Höhlenmalereien bedeuteten ist unbekannt: Dass sie von einer „symbiotischen Beziehung“ zwischen Mensch und Tier künden ist (zumal Menschen dabei nur selten auftauchen) reine Spekulation. Und dass Märchen, biblische Geschichten usw. „in die ältesten Schichten“ vorschriftlicher Zeit reichen und also das Naturverständnis besagten ‚archaischen‘ Zeitalters enthüllen ist reiner Mythos. Der von Armanski unterstellte Zyklus der menschlichen Evolution, der sich, im archaischen Zeitalter mit der „Einbettung des Menschen in die natürliche Umwelt“ (199) beginnend, nunmehr auf höherer, bewußter Stufenleiter“ (199) im Ökosozialismus vollenden würde, ist eine spekulative Konstruktion. Was genau der ‚Sündenfall‘ im Konzept des Verhältnisses Mensch/Natur ist und vor allem worauf er zurückzuführen ist bleibt unklar: „Was man die ökologische Krise nennt, ist unzweifelhaft auf die ideologische und praktische Herrschaft der Menschenspezies über die Natur zurückzuführen“, behauptet er an einer Stelle. Wenige Sätze später heißt es: „Die rationalistische Kultur des Abendlandes hat eine scharfe epistemologische und reale Trennung der menschlichen Identität von der Natur vollzogen…“ (150) Das aber unterstellt, dass die Idee der Herrschaft des Menschen über die Natur eine „abendländische“ Idee sei. „Das antiökologische Narrativ ist seit der Antike tief in die westliche Kultur eingelassen.“ (152) Nur in die westliche Kultur? Wie steht es z.B. mit dem Mensch-Natur-Verhältnis in China, das bekanntlich bis in die frühe Neuzeit hinein technologisch entwickelter war als das „Abendland“? Damit befasst Armanski sich nicht, er hat nur Europa im Blick.
Der dritte Hauptteil, Kapitel 7 bis 10, behandelt existierende Ansätze zur „ökologischen Befreiung“ und jene Kräfte, die diese bewirken könnten. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass dies nur im Kontext der Überwindung des Kapitalismus möglich ist: Auch wenn der Kapitalismus in Wirklichkeit nicht der antiökologische „Paukenschlag“, sondern wohl nur der ‚Gipfel‘ (199) im destruktiven Naturumgang ist, so ist für den Autor doch die Beseitigung des Kapitalismus Voraussetzung für eine „Befreiung der Natur“: „Realisierbar ist (diese) nur dann und insoweit, als die produktiven Potenzen der Geschichte sich des Kapitaldiktats entledigen.“ (200). Dies ist daher „letztendlich eine Klassenfrage.“ (247) Hier argumentiert der Autor differenziert: Die Abschaffung des Kapitalismus allein gewährt keinen vernünftigen Naturumgang. „Denn erst, wenn die Produktivkräfte derart gestiegen sind, daß sie eine reife und freie Gesellschaft ermöglichen, kann diese den Stoffwechsel mit der Natur und die Beziehungen ihrer Glieder untereinander rational und frei gestalten.“ (252) Das ist ein spannender Gedanke, dem allerdings nicht weiter nachgegangen wird: Schließlich bemisst sich der Stand der Produktivkräfte bis heute wesentlich am Grad der Naturbeherrschung. Was die Beziehung zwischen Mensch und Natur angeht so muss die Bewegung zur „Befreiung von Madame la Terre“ nicht bei null beginnen. Denn „Praktiken und Ideen der (Wieder)Anschmiegung an (die Natur sind) niemals ganz verschwunden, sondern mannigfach erhalten oder wieder belebt worden.“ (199). Der Autor erkennt sowohl in sehr alten Bestrebungen (der Gartenkultur, 204 ff) als auch in modernen Konzepten der „ökologischen Modernisierung“ (218) Ansatzpunkte für eine Bewegung zur „Versöhnung von Natur und Gesellschaft“ (228). Dabei ginge es zwar oft nur um „kosmetische Veränderungen der herrschenden Gesellschaft“, diese seien aber trotzdem wertvoll: „Wie gering diese auch immer zu veranschlagen sind, eröffnen sie doch die Tür zu weiteren Einsichten. Denn es ist die soziale Praxis, die eigenen Lebensbedingungen zu sichern und zu verbessern, welche die Tür zu weiter reichenden Perspektiven öffnen kann.“ (227)
Es ist dieser praktische Zugang zu den Problemen der Gegenwart, der m.E. den Wert des Buchs ausmacht. Ob die Menschheit wirklich irgendwann in der vom Autor behaupteten Symbiose mit der Natur gelebt hat, ist für die gegenwärtige Praxis irrelevant. Angesichts der Bevölkerungsdichte und dem Stand des Ressourcenverbrauchs ist klar, dass eine „Versöhnung von Natur und Kultur“ (204) heute einerseits unumgänglich ist, andererseits aber völlig neue Formen annehmen muss.
Jörg Goldberg
Ein politisches Leben in
Albanien
Erwin Lewin, Koço Tashko 1899-1984. Ein politisches Leben in Albanien (Biographische Annäherung). NORA Verlagsgemeinschaft, Berlin 2015, 324 S.,19,90 Euro
Jahrhunderte lang wurde Albanien vom Osmanischen Reich beherrscht, die Mehrheit der Bevölkerung islamisiert. Wie einige armenische Nationalisten hatte auch so mancher albanische Politiker seine Hoffnungen auf die Jungtürken gesetzt und sich mit dem Ittihad-Komitee verbündet. Ihre Hoffnungen auf eine eigene, gleichberechtigte nationale Entwicklung aber wurden enttäuscht. In der politischen Krise vor dem ersten Balkankrieg riefen im November 1912 einige albanische Politiker einen eigenen Staat aus, der zunächst auf ein sehr kleines Gebiet in Zentralalbanien beschränkt war. In den Balkankriegen 1912/13 versuchten die Nachbarstaaten Serbien und Griechenland, den neuen Staat unter sich aufzuteilen, was die Großmächte verhinderten. Vor allem Österreich-Ungarn wollte mit allen Mitteln einen Zugang Serbiens zu einem Adria-Hafen verhindern und Albanien als Pufferstaat zu Serbien benutzen.
Albanien erhielt schon vor dem ersten Weltkrieg seine heutige territoriale Gestalt. Nach dem Weltkrieg wollten dieselben Nachbarn Albanien erneut aufteilen, die Pariser Friedenskonferenz 1919 unterstützte sogar diese Absicht. Durch eine faktische Neugründung des Staates konnte Albanien dies verhindern. Allerdings wurde das mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosova vom neuen Staat Jugoslawien annektiert und alsbald zum historischen Herzland der Serben erklärt.
Nachdem seit den 1990er Jahren albanische Archive teilweise auch für ausländische Historiker zugänglich wurden, hat Erwin Lewin mehrere Arbeiten zur Geschichte der Kommunistischen Partei Albaniens (KPA, ab 1948 Partei der Arbeit) publiziert und wichtige Dokumente übersetzt.1 Koço Tashko, dessen weltweit erste Biographie er hier vorlegt, dürfte den meisten deutschen Lesern ebenso wenig bekannt sein wie die Genese und Entwicklung der KPA und ihr siegreicher Widerstandskampf gegen die italienischen und deutschen Besatzer im zweiten Weltkrieg. 1899 als Sohn eines albanischen Hoteliers in Ägypten geboren, konnte Tashko nach dem ersten Weltkrieg in Boston an der Harvard-University Ökonomie studieren. Er verband sich mit der linken albanischen Emigration in Nordamerika und Europa. Als im jungen albanischen Nationalstaat 1924 nach einer Revolution eine demokratische Regierung unter dem Bischof Fan S. Noli, dessen Sekretär Tashko in den USA zeitweise gewesen war, an die Macht kam, übernahm Tashko den Posten eines Konsuls in den USA. Die Regierung Noli wurde bald gestürzt, an ihre Stelle trat die Diktatur von Ahmet Zogu, der die herrschenden Gutsbesitzer vertrat und sich später zum König ausrief.
Nach dem Ende seiner kurzlebigen diplomatischen Tätigkeit arbeitete Tashko in den 1920er Jahren in verschiedenen nationalen Komitees, Redaktionen und Organisationen des albanischen Exils mit, bevor er schließlich zu einer kommunistischen Gruppe fand. Es gelang ihm, ab 1930 die Leninschule der KI in Moskau zu besuchen. Nach deren Abschluss erteilte ihm Georgi Dimitroff 1932, damals noch nicht Generalsekretär der KI, sondern Leiter ihres Westeuropäischen Büros, den Auftrag, nach Albanien zu gehen und die dortigen sektiererischen und untereinander verfeindeten kommunistischen Gruppen zu einigen. In Albanien wegen seiner revolutionären Tätigkeit in Abwesenheit zum Tode verurteilt, konnte er erst nach einer Amnestie zurückkehren.
Im Februar 1937 fasste das EKKI-Sekretariat einen Beschluss zur albanischen Frage und schickte Tashko mit dem offiziellen Auftrag nach Albanien, den prinzipienlosen Fraktionskampf verfeindeter kommunistischer Gruppen (v.a. in Korça und Shkodra) zu beenden und eine einheitliche Partei zu formieren. Er sollte die Volksfrontpolitik der KI auf Albanien übertragen. Das Sekretariat verurteilte die bisherige Politik der Vorbereitung eines Aufstandes gegen König Zogu als falsch und schädlich. Tashko erhielt die Direktive, eine breite Volksfrontbewegung als Massenarbeit auf legalem Boden gegen die koloniale Unterdrückung durch den italienischen Faschismus und für eine Demokratisierung des Landes zu organisieren. Dazu sollten alle Oppositionellen in einer einheitlichen Bewegung zusammengefasst und ein neuer Anlauf unternommen werden, eine Kommunistische Partei zu formieren. Im Juli 1937 traf Tashko in Albanien ein, das inzwischen immer mehr zu einem italienischen Protektorat geworden war und 1939 von Italien militärisch besetzt wurde.
Lewin hat eine Reihe der Berichte Tashkos an das Balkan-Länder-sekretariat des EKKI aufgefunden und abgedruckt. Sie sind sehr konkret und informieren ehrlich über die Schwierigkeiten und Widersprüche, auf die der Abgesandte traf. Tashko bildete eine arbeitsfähige Landesleitung, er selbst leitete die Gruppe von Korca. Eine handlungsfähige Partei zu formieren, gelang erst in einem erneuten Anlauf 1941. Tashkos Bericht vom Mai 1938, den er in Paris verfasste, beschreibt, dass es in der Koordinierung und Zusammenarbeit der kommunistischen Gruppen von Korça, Tirana und Shkodra kaum Fortschritte gab. Die Meinungsverschiedenheiten aus persönlichen Rivalitäten oder Divergenzen über die von der KI geforderte Abrechnung mit Parteifeinden blieben. Und da solche Differenzen stalinistisch als Sabotage oder Trotzkismus bewertet wurden, waren die Auseinandersetzungen auch heftig und gewalttätig.
Tashkos Politik zielte darauf ab, als Hauptfeind die italienischen Besatzer zu bekämpfen. Dazu war nur ein kleiner Teil der albanischen Gesellschaft bereit. Selbst Teile der Shkodra-Gruppe waren dagegen, sie sahen die Okkupationsmacht als nützlichen Protektor, der die dringend benötigten Industrieinvestitionen leisten sollte, und hofften, mit einer Industrie auch eine Arbeiterschaft als Grundlage für eine Parteibildung zu schaffen. Albanien hatte in den 1930er Jahren nur einige Kleinbetriebe mit sehr wenigen Arbeitern, die für die Okkupanten seltene Bodenschätze ausbeuten sollten. Es gab keine Gewerkschaft, keine politische Arbeiterbewegung, keine höheren Bildungseinrichtungen. Die Bevölkerung war zu über 80 Prozent Analphabeten, die Infrastruktur mittelalterlich. Die zu bildende Partei rekrutierte sich aus der Intelligenz und dem Kleinbürgertum, im militärischen Kampf wollte sie sich auf die armen Bauern stützen.
Die Tatsache, dass Tashko im offiziellen Auftrag der KI tätig war und dabei die Volksfrontkonzeption der KI nach dem VII. Weltkongress vertrat, brachte ihm nicht nur Autorität und Sympathien ein, sie rief auch Aversionen und selbst ein Attentat auf ihn hervor. Die Shkodragruppe orientierte sich auf die KP Jugoslawiens, die sich bereits im Partisanenkrieg gegen die deutsche Besatzungsmacht befand. Diese Bruderpartei entsandte 1941 zwei Funktionäre aus Kosova als Vermittler. Mit ihrer Hilfe wurde im November 1941 die KP Albaniens gegründet, sie hatte 200 Mitglieder. Im Ergebnis fungierte der serbische Kommunist Miladin Popovic nicht mehr nur als Vermittler, sondern als faktischer albanischer Parteiführer, wofür ihm jedoch die politischen und theoretischen Voraussetzungen fehlten. Sein „Internationalismus“ war nicht frei von großserbischen Ansprüchen.
Die KPA war die erste politische Partei des Landes, die die nationale Unabhängigkeit durch den bewaffneten Kampf erringen und eine demokratische Volksrepublik mit einem neuen Gesellschaftssystem schaffen wollte. Und das ist ihr gegen alle Rückständigkeit und trotz aller Widersprüche zwischen dem angestrebten (jugoslawischen) Parteimodell und der albanischen Realität auch gelungen, entscheidend dank der militärischen Schlagkraft ihrer Partisanen. Tashko hatte wesentlichen Anteil daran, besonders am Gelingen der Konferenz vom September 1942 in Peza, auf der eine Plattform für den Zusammenschluss aller antifaschistischen Kräfte in der Nationalen Befreiungsfront geschaffen wurde.
Um Gruppenkämpfe nicht wieder aufleben zu lassen, war Tashko nicht der Parteileitung beigetreten, er wirkte als kritisches Korrektiv der Führung. Es gehört zur Ironie dieser Geschichte, daß ausgerechnet Tashko den späteren Diktator Enver Hodscha, der ihn nach 1960 verfolgen ließ, zum Mitglied der Parteileitung vorschlug.
Zwischen Tashko und Miladin Popovic gab es von Anfang an grundlegende Differenzen über die zwei entscheidenden Fragen des Widerstandskampfes: Das war erstens die Frage eines Bündnisses mit konservativen und selbst mit antikommunistischen Widerstandskräften. Die KPA unterschätzte die militärische Kampfkraft der antikommunistischen Balli Kombetar. Zweites Konfliktfeld war die nationale Frage, unmittelbar brisant hinsichtlich Kosovas und perspektivisch noch mehr in Bezug auf die staatliche Selbständigkeit Albaniens. Beide Fragen hingen unmittelbar zusammen: Die italienische und ab 1943 die deutsche Besatzungsmacht hatten den Großteil des Kosova sowie kleinere griechische und montenegrinische Territorien dem besetzten Albanien angegliedert und so ein Großalbanien geschaffen. Als die Nazis ab 1943 auf dem ganzen Balkan verstärkt um antikommunistische Widerstandskräfte für eine Kollaboration warben, rühmte sich die deutsche Besatzungsmacht, sie hätte das Kosova vom serbischen Joch befreit.
Diese Werbung hatte durchaus Erfolg. Im Kosova bekam die KPA keinen Fuß auf den Boden, und sie bemühte sich trotz aller Warnungen etwa Tashkos auch kaum darum, das überließ sie der KP Jugoslawiens. Die Werbung der Nazis aber hatte Erfolg: Sie konnten die SS-Division Skanderbeg aus albanischen Kosovaren rekrutieren und kosovarische Kollaborateure gegen jugoslawische Partisanen einsetzen. Untätigkeit und Schweigen der KPA, so schreibt Tashko in seinen Bericht an die KI vom Herbst 1942, ließen Kosova zu einer „wichtigen Basis für bewaffnete Reserven im Dienste des Faschismus“ werden. Sein Bericht ist das aussagekräftigste Dokument dieses Buches.
Nach dem Bericht Tashkos vom Herbst 1942 an das Balkansekretariat des EKKI verdrängte die Parteiführung der KP Albaniens unter Popovic Tashko aus allen Führungsfunktionen in der Partei und der Befreiungsarmee. Erst auf Druck höherer jugoslawischer Emissäre wurde er im März 1943 auf Führungsebene reaktiviert und fungierte seit der ersten Landeskonferenz der KPA 1943 als politischer Vertreter des ZK bei den Partisanen in Südalbanien bzw. seit Juli 1943 bei der britischen Militärmission.
Das Leben und Wirken Tashkos nach der Befreiung im neuen albanischen Staat seit 1944 war ebenso eine Melange aus Widerspruch und Loyalität wie zuvor. Er übernahm hohe Staatsfunktionen, als Vorsitzender der Verfassungskommission und faktisch Autor der Verfassung, als Botschafter in Moskau und Sofia, als stellvertretender Außenminister. Doch gehörte er nie dem Politbüro an, sondern lebte im Widerspruch zur Führungsclique um Hodsha, bewahrte eine selbständige Position und fungierte erneut als kritisches Korrektiv der Parteiführung.
„Als gebildeter, unbestechlicher, sozial engagierter und empfindsamer Intellektueller, der hohe Ansprüche an sich stellte, stieß er auf objektive Umstände, die durch Rückständigkeit, archaische Lebensformen, überholte gesellschaftliche Anschauungen und Fatalismus wie subjektives Unvermögen in seinem Umfeld, durch Intrigen, politische Engstirnigkeit, persönliches Machtstreben und Führungsstreit seiner Gegner gekennzeichnet waren.“ (Hintere Umschlagseite des Buches)
Offen und öffentlich brach Tashko erst mit der albanischen Parteiführung, als die Gruppe um Hodsha die Beziehungen zur Sowjetunion 1960/61 abbrach und sich entschied, Chinas weltpolitische Positionen zu übernehmen. Unmittelbare Folgen seiner Verurteilung dieses Schritts waren Tashkos Verhaftung und Verbannung, schließlich Verurteilung zu zehn Jahren Gefängnis. Insgesamt brachte Tashko bald ein Vierteljahrhundert in Verbannung und Haft zu und wurde in Albanien zur Unperson gemacht.
Lewin konnte seine Biographie erst schreiben, nachdem wenigstens ein kleiner Teil der archivalischen Dokumente in Tirana zugänglich geworden war. Dennoch leidet der Autor unter einem eklatanten Mangel an Quellen, weshalb so manche Frage zur Politik Albaniens nach 1944, dem Verhältnis Tashkos zu Hodsha 1944-1960, zu Tashkos Haltung zum jugoslawischen Protektorat bis 1948 und zum Bruch mit Jugoslawien nicht ausreichend beantwortet werden konnte. Umso bemerkenswerter sind daher die Dokumente, die Lewin der Biographie beigefügt hat.
Werner Röhr
Wiederkehrend: „Millionen stehen hinter mir!“
Karsten Heinz Schönbach, Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926-1943 (= Hochschulschriften, Bd. 38), trafo Verlagsgruppe Berlin 2015, 658 S., 59,80 Euro
Wer kennt nicht jene Fotomontage, mit der John Heartfield im Oktober 1932 auf seine Weise den Sinne des Hitler-Grußes darstellte: In die erhobene rechte Hand des „Führers“ legt eine überlebensgroße Gestalt – Sinnbild mächtigen Unternehmertums – ein Bündel von 1000-Mark-Scheinen. Damit sah sich ein strukturelles Merkmal politischer Interessenvertretung in der kapitalistischen Gesellschaft gekennzeichnet. Seither und keineswegs zufällig nimmt gerade diese Illustration wirkungsmächtiger Ursachen für den Aufstieg Hitlers in allen Darstellungen zur NSDAP-Geschichte und darüber hinaus auch in allen faschismustheoretischen Deutungen breiten Raum ein. Kaum einem anderen Kunstwerk, das als Karikatur gleichermaßen aufklärend wie plakativ politischen Auseinandersetzungen diente, wurde bislang mehr Aufmerksamkeit zuteil. Benutzt wird es jedoch oftmals auch für Versuche, gesellschaftliche Ursachenkomplexe entweder zu erhellen oder sie auszublenden, zu negieren und kleinzureden. Als eine Art Negativfolie dient es der These, die Nazis wären in demokratischen Wahlen zur Macht gekommen, vor allem jedoch den ideologie- und personengeschichtlichen Erklärungsbemühungen, die dem Motto frönen: „Der Hitler war’s“ – kein anderer, nichts anderes!
Zu allen dieser üblich gewordenen Interpretationen der NSDAP-Geschichte steht der vorliegende Band in striktem Gegensatz. Sein Autor rechtfertigt den eigentlichen Sinn des Spruches von den Millionen, die hinter und eigentlich ja über Hitler stehen. Der Text, den Heartfield für seine Collage wählte, gehört nicht zum Buch-Titel, er erscheint, einem Wasserzeichen gleichend, lediglich auf dem Einband. Versehen ist er hier allerdings mit zwei Ausrufezeichen – berechtigt, wie die Lektüre ergibt, überzeugend, weil alles dem Motto „Fakten, Fakten und nochmals Fakten“ gemäß geschrieben wurde. Zu lesen ist beispielsweise, dass am 17. April 1931 der Hamburger Großreeder Wilhelm Cuno, Reichskanzler des Jahres 1923, im Düsseldorfer Industrieclub erklärte, man brauche die NSDAP, weil „in unserem Volke immer mehr der Glaube an Kraft und Segnung des Kapitalismus schwindet.“ Auch der Großindustrielle Rudolf Blohm sah zu dieser Zeit in der Nazibewegung „ein Instrument zur Unterdrückung des Klassenkampfes und zur Sicherung der kapitalistischen Weltordnung.“ Die vertrauliche Niederschrift über eine Aussprache von Mitgliedern der Geschäftsführervereinigung der landschaftlichen Industrieverbände im Reichsverband der Deutschen Industrie enthält die Forderung, es sei dafür zu sorgen, „dass Geist von unserem Geist in der Nationalsozialistischen Partei Wurzel fasse“. Ausgesprochen hatte sie Max Schenker, seines Zeichens Hauptgeschäftsführer des einflussreichen Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, bekannt als Langnamverein. Als Mitte des folgenden Jahres einige Nazi-Führer verstärkt „sozialistische“ Ansprüche propagierten und dem Reichstag entsprechende Anträge vorgelegten, stellten Experten der Reichsbank in einer internen Untersuchung fest: „Die Anträge sind darauf abgestellt, die Massen bei der Stange zu halten. Eine Partei, die auf der einen Seite mit kapitalistischen Wirtschaftsführern liebäugelt (Krupp, Thyssen, Kirdorf, Abbé, Mannesmann, Siemens), sich gleichzeitig mit der sozialistischen Arbeiterschaft nicht entzweien will [...] muss notwendigerweise nach allen Richtungen hin Konzessionen machen. Ihre Anträge bilden daher ein Kuriosum, wie es in der Wirtschaftsgeschichte wohl einzigartig dasteht.“
Zuhauf finden sich im vorliegenden Band solche Selbstbekundungen, die den so oft bestrittenen kausalen Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus eindeutig erhellen. Sie gesammelt und befragt sowie analysiert und mit überzeugender Kritik an den führenden deutschen Großindustriellen und Bankiers bewertet zu haben, das darf getrost als ein wissenschaftlich und geschichtspolitisch bedeutsames Ergebnis gewürdigt werden. Denn: Viele Regale der Bibliotheken sind gefüllt mit Arbeiten von Historikern und Publizisten, denen es um nichts anderes geht als eben diesen Zusammenhang zu verschleiern oder sogar zu leugnen. Ganz nach dem Motto, das der amerikanische Historiker Henry Ashby Turner bereits 1972 so formulierte: „Entspricht die weitverbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System nicht zu verteidigen.“ Der Vf. hält sich da eher an das – im Buch jedoch nicht auftauchende – Wort Max Horkheimers, dass, wer nicht vom Kapitalismus reden wolle, auch vom Faschismus schweigen solle.
Mit Recht führt S. alle nach dem Zweiten Weltkrieg in die Welt gesetzten Behauptungen auf die Verteidigungsstrategie zurück, die der Großindustrielle Ernst Poensgen – zuletzt Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke – bereits im Februar 1945 in einem Manuskript mit dem Titel „Hitler und die Ruhrindustriellen“ entwickelt hatte. Sachkundig zerpflückt und widerlegt werden „Argumente“, die seitdem immer wieder auftauchen und besagen, es habe unter den Förderern der NSDAP nur einige Einzelgänger, erst recht keine hochkarätig zu nennenden Großindustriellen gegeben. Diese hätten keineswegs hinter Hitler gestanden. Es sei auch kein Geld an die Nazis gezahlt worden. Deren Kassen wären vor allem durch Selbstfinanzierung gefüllt worden, ein Argument, das völlig realitätsfremd von Turner mit der Behauptung auf die Spitze getrieben wurde, die NSDAP sei die erste Partei gewesen, die eine heute übliche (sic!) Selbstfinanzierung der Parteien praktiziert habe. Zuwendungen habe es für die NSDAP erst nach dem 30. Januar 1933 gegeben. Und diese seien lediglich dem Versuch geschuldet, eine politische Absicherung der eigenen Geschäfte zu erreichen. In der Wirtschaftsorganisation des Dritten Reiches wäre von den Unternehmern versucht worden, „das Schlimmste zu verhindern“. Auch hätten sie den Krieg abgelehnt. Was getan worden sei, wäre nur dem Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland geschuldet gewesen.
In seiner gründlichen Auseinandersetzung mit solchen „Argumenten“ schöpft S. aus vorhandenen und neuen, zudem sehr intensiv erschlossenen Quellen. Zu letzteren gehören zeitgenössische Veröffentlichungen von Industrie- und Bankverbänden, zahlreiche interne Geschäftsberichte, Reden und Briefe führender Industrieller und ihrer Zu- bzw. Mitarbeiter. Allein das Verzeichnis der in Archiven benutzten Bestände füllt fünf Seiten und bezeugt sowohl immensen Fleiß als auch ein gutes Gespür für aussagekräftiges Material. Dass die Nutzung von Betriebs- und Verbändearchiven kritischen Historikern nach wie vor erschwert und teils auch verwehrt wird, durfte auch S. erleben. Dennoch gelang es ihm, Einsicht in die Akten von 12 Industrie-Konzernen, sieben Banken und sechs Industrieverbänden zu nehmen. Selbstverständlich nutzte er ferner das in den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher vorgelegte Material. Oft stützt er sich auf die in der DDR herausgegebenen Dokumentenbände und Darstellungen aus der Feder marxistischer Historiker (u.a. Eberhard Czichon, Roswitha Czollek, Dietrich Eichholtz, Kurt Gossweiler, Fritz Klein, Ludwig Nestler, Kurt Pätzold, Joachim Petzold, Hans Radandt, Werner Röhr, Wolfgang Ruge, Wolfgang Schumann, Manfred Weißbecker), darüber hinaus auch auf die kritischer Wissenschaftler, die in der BRD publizierten (u.a. Ulrike Hörster-Phillips, Reinhard Kühnl, Reinhard Opitz).
Als Autoren jener Rechtfertigungsschriften, die unmittelbar dem Konzept von Poensgen folgten, benennt der Vf. August Heinrichsbauer, Louis Lochner, Tilo Freiherr von Wilmowsky und Wilhelm Zangen. Zu Beginn der 1970er Jahre war es vor allem Turner, der erneut daran anknüpfte. Dessen Thesen widersprach in der Bundesrepublik vor allem Dirk Stegmann. Ebenso befassten sich mit ihnen Bernd Weisbrod, Reinhard Neebe, Dieter Petzina. Demgegenüber sei in Publikationen von Arthur Schweitzer, Tim Mason, Gerhard Mollin, Ludolf Herbst, Gustav Luntowski u.a.m. „eine Art Negation des Kapitalismus als einer geschichtlichen Komponente“ erfolgt, verbunden mit der Erhebung Hitlers zu einem universellen Handlungsträger, hinter dem die Großindustrie verschwinden würde. An die Stelle einer sorgfältigen Geschichtsschreibung sei ein stilisierter „Hitlerismus“ getreten mit einem „geradezu übermenschlichen, gottgleichen aber unhistorischen Diktator im Zentrum“. (25)
In diesem Sinne bietet die Einleitung des Bandes eine historiografische Übersicht zum Stand der Forschungen. Manches könnte man sich in detaillierterer Form vorstellen, doch das tut der Qualität des Bandes keinen Abbruch. Alles ist zugleich als eine Geschichte der zum Thema geleisteten Forschungsarbeiten zu lesen, in der auch die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen geschichtswissenschaftlicher Arbeit und geschichtspolitischer Deutungen – Stichwort: Kalter Krieg – nicht ausgeklammert werden. Als Ziel seiner Studie benennt S. eine Darstellung der politischen Dimensionen im Verhältnis der maßgeblichen deutschen Großindustriellen und Bankiers zur NSDAP-Führung. Diese bezeichnet er als „Kapitalelite“ (32) und sucht, deren politische Fern- und Hauptziele vor und im Ersten Weltkrieg sowie in der Weimarer Republik zu ergründen. Ferner fragt er nach der Rolle, welche die NSDAP in den politischen Konzepten deutscher Großindustrieller und Bankiers während der Weimarer Republik gespielt hat. Darüber hinaus fragt er auch, ob die Kapitalelite in der Zeit nach 1933 entscheidenden Einfluss auf den Staatsapparat ausgeübt und den politischen Kurs mitbestimmt habe.
Die umfangreiche Gliederung mag zunächst erstaunen. Sie erfasst eine Fülle dargestellter Ereignisse, Absichten, Erklärungen usw. in acht großen Kapiteln: I. Die politischen Hauptziele der deutschen Großindustriellen und Bankiers zwischen 1900 und 1933; II. Die Beziehungen zwischen Großbanken, Industrie und NSDAP von 1927 bis Sommer 1932; III. Der Angriff auf die Republik; IV. Der Aufstieg der NSDAP-Führung zur Regierung; V. Die Rekonsolidierung des Kapitalismus in Deutschland; VI. Der Raubzug nach Südosteuropa; VII. Der Raubzug durch Europa; VIII. Der Raubzug nach Osten. Sie untergliedern sich in zahlreiche – in einem Kapitel sogar 14 – Teilstücke. Einige gleichen eigenständigen Studien, vor allem jene in den beiden letzten Kapiteln.
Im ersten Kapitel greift S. in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Hier untersucht er Inhalte und Entstehung wesentlicher Kriegsziele, die der auf Regierungsebene betriebenen Kriegszielpolitik „als Vorhut“ voran liefen und nicht im Gefolge hinterher. Behandelt wird das Konzept der „Ostexpansion“, dessen Größenwahn selbst das spätere Hitlerregime kaum noch habe übertreffen können. (48) Was an Belegen zitiert wird, regt nicht zuletzt an, das bereits vor 1918/19 existierende faschistische Gedankenpotential zu analysieren und damit jenen entgegenzutreten, die wider besseres Wissen sogar meinen, alle Ideen von „Lebensraum“, „Volk ohne Raum“, „Wiederaufstieg der Nation“, „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ seien allein Hitler zuzuschreiben. Selbst jenen ins Rassistische gewendeten Antisemitismus gab es bereits auch im politischen Denken großer Unternehmer (dazu sehr aufschlussreich: 100-109). Profitmaximierung insbesondere aus rüstungswirtschaftlichen Quellen und antisoziale Gegnerschaft zur Demokratie bezeugten die von Turner bestrittenen politischen Aktivitäten von Großindustriellen und Bankiers und mündeten in deren direkte Einflussnahme auf Regierungen und Parteien. Eine diktatorische Staatsform stand voran auf ihrer Wunschliste, empfanden sie doch zumeist Demokratie, Parlamentarismus und Parteienwesen lediglich als Störung des „wirtschaftlichen Gesamtprozesses“. (98)
Von solchen Positionen ausgehend stellt S. in den weiteren Teilen des Bandes den Weg zum 30. Januar 1933 als einen langwierigen, ungleichmäßig verlaufenden und komplizierten Prozess dar, in dem immer radikalere Lösungen angestrebt wurden. Aus der Fülle des verarbeiteten Materials, das in einer Rezension nicht einmal annähernd benannt werden kann, seien hier beispielhaft lediglich zwei Themenkomplexe herausgegriffen. So geht S. im Rahmen der Darstellung des Beziehungsgeflechts zwischen Industriellen, Bankiers und NSDAP auch auf die vielfach umstrittene, mitunter in der Bedeutung überhöhte, zumeist aber beschönigte Frage der NSDAP-Finanzen ein. Glänzend wird Turners These von der Selbstfinanzierung der NSDAP widerlegt, besonders in den Abschnitten „Das finanzielle Budget der NSDAP“ und „Legenden zur NSDAP-Finanzierung“ (183-207). Zugleich wird das Auf und Ab in den finanziellen Zuwendungen eingeordnet in den Komplex von Reibungen, taktischen Differenzen und Zerwürfnisse, die es insbesondere immer dann gab, wenn in der Propaganda der NSDAP so genannte antikapitalistische Ziele in den Vordergrund traten. Da dominierten Zweifel und Befürchtungen, und dies selbst angesichts eines von deren Führung speziell, für Ohren und Augen der Kapitalelite gedachten Wirtschaftsprogramms. Insgesamt urteilt S. resolut: Ohne die Zuwendungen durch Großindustrielle und Bankiers wäre die NSDAP nicht in der Lage gewesen, „den Weg ihres Aufstiegs zu finanzieren.“ (207)
Ein zweiter hier zu benennender Themenkomplex sei dem fünften Kapitel entnommen. Hier wird u.a. die Frage verfolgt, wie sich das 1933 installierte Nazi-Regime gegenüber den Wünschen der führenden deutschen Kapitalisten verhielt. S. vergleicht die Versprechungen aus der Zeit vor 1933 mit der Realität der Jahre danach und konstatiert einen krassen Widerspruch, dargelegt am Beispiel der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern der Opel-Firma und ihres Chefs: Die einen wurden im Juni 1936 fristlos entlassen, nachdem sie gegen eine Lohnsenkung protestiert hatten, hingegen hätte Fritz von Opel auf der Grundlage des „Volksverratsgesetzes“ von 1933 eine Zuchthausstrafe wegen Steuerhinterziehung erwarten müssen – er kam jedoch mit einer vergleichsweise niedrigen Geldstrafe davon. Das Verfahren wurde nicht in der vorgeschriebenen Schärfe durchgeführt, noch dazu „in Kenntnis und mit Willen des Reichswirtschaftsministers und des Führers“, wie es amtliche Berichterstatter formulierten. Der Vf. schlussfolgert: „Die einen – die Kapitalisten – schützte die Hand des 'Führers' und die anderen – die Arbeiter – waren der Mittel zur Verteidigung ihrer sozialen Rechte beraubt und es blieb ihnen im Ernstfall nichts anderes übrig, als jede Misshandlung hinzunehmen.“ Die vielgepriesene „Volksgemeinschaft“ erwies sich in der Praxis als eine Fiktion. (399 f.) Die deutsche Kapitalelite hatte also nach 1933 nicht mehr zu befürchten, dass antikapitalistisch auftretende Nazis irgendeinen Erfolg hätten erreichen können. Selbst die Gefahr einer Wiederholung diverser Sozialisierungs-Versprechungen musste nicht befürchtet werden.
Es sei zitiert, wie S. seine Sicht auf die politischen Hauptziele der führenden deutschen Großindustriellen und Bankiers zusammenfassend formuliert: „Erstens, eine Ostexpansion, die darauf abzielte, diese Wirtschaftsräume in direkten Besitz zu nehmen; zweitens, die Beseitigung des Versailler Vertrages und der Wiedereinstieg ins lukrative Rüstungsgeschäft; drittens, der sogenannte ‚Wiederaufstieg’; viertens, der radikale Abbau des sozialen Systems der Weimarer Republik; fünftens, die Errichtung einer diktatorischen Regierungsform mit stark wirtschaftspolitischem Charakter, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft.“ (115 f.) In seinem Fazit (603-614) geht S. auf solche dem Kapitalismus immanente Faktoren nicht noch einmal ein. Er skizziert hier in Auseinandersetzung mit drei Grundrichtungen bisheriger Geschichtsschreibung zum Thema (benannt als marxistische, konservativ-westliche und kritisch-westdeutsche Historiografie) fünf Phasen, die es in den Beziehungen zwischen der deutschen Großindustrie und den Bankkonzernen zur NSDAP gegeben habe: In der Zeit von 1926 bis zum Sommer 1931 sieht er eine Phase der Annäherung, in der bis zum März 1933 eine Bündnisphase, vom Sommer 1933 bis Ende 1935 eine Phase der frühen Rüstung, dann bis 1939 eine Phase der Auslieferung der wirtschaftspolitischen Macht an die deutschen Großindustrie- und Bankkonzerne sowie fünftens eine von Mai 1940 bis zum Herbst 1942 reichende Phase der Konfrontation zur Naziregierung. Für die von S. nicht untersuchten Jahre 1941 bis 1945 wird angedeutet, es habe weitere Transformationsprozesse gegeben, durch die neue Problemfelder und Auseinandersetzungen zwischen der NS-Administration und der Großindustrie entstanden seien.
Mit zwei gewichtigen Thesen endet der Band. Die eine besagt, dass die gesellschaftliche Oberschicht maßgeblich am Aufstieg der NSDAP beteiligt gewesen ist. Großindustrielle und Bankiers haben sich „jahrelang dafür eingesetzt, in Kooperation mit führenden Militärs, höchsten Staatsbeamten, Großgrundbesitzern und rechtskonservativen Historikern, die Voraussetzungen für jene politische Situation zu schaffen, welche die Vernichtung der Republik und in Zusammenhang damit die Auslieferung der politischen Macht an Hitler überhaupt erst möglich machte.“ Die zweite lautet: „Die führenden deutschen Konzerne hatten entscheidenden Anteil an der Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Weltkrieges, wobei ihnen dieser Anteil nicht unter dem Zwang der Hitler-Regierung zufiel. Sie nahmen Anteil aus freiem, eigenem Willen und verfolgten dabei eigene Ziele. Die deutschen Konzerne setzten eine eigene Rüstungskonzeption um, und die Banken trugen den Großteil der Finanzierung. Die deutschen Konzerne übernahmen durch Raubgeschäfte einen großen Teil der europäischen Industrie und Rohstoffquellen. Durch das Prinzip der 'wirtschaftlichen Besetzung' waren die deutschen Konzerne selbst an der Unterwerfung der europäischen Länder unter das deutsche Primat beteiligt und dehnten dabei ihre eigene wirtschaftspolitische Macht über nie erreichte Grenzen hinweg aus. Dazu erfolgte bis 1941 eine Abgabe nahezu aller wirtschaftspolitischen staatlichen Befugnisse und Kompetenzen von Seiten der NS-Administration an führende Konzerne der Chemieindustrie, der Schwerindustrie und des Bankensektors.“ (613 f.)
Man kann sicher sein: Die Bemühungen um eine wie auch immer geartete Relativierung der historischen Verantwortung deutscher Großindustrieller und Bankiers für Faschismus und Krieg werden ihre Fortsetzung finden. Doch die vorliegenden Untersuchungsergebnisse des 1972 in Eisenhüttenstadt (DDR) geborenen und von Wolfgang Wippermann zur Promotion geführten Autors wird niemand umgehen können.
Manfred Weißbecker
Späte Erkenntnisse
Ulrich Mählert (Hrsg.), Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema. Metropol Verlag, Berlin 2016, 220 S., 19,00 Euro
Der Band versucht ein zweites Mal eine Bilanz der DDR-Forschung in Deutschland zu ziehen.
Die erste Bilanz aus dem Jahre 2003 war weniger auf die DDR-Forschung als auf die „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ ausgerichtet, die in 53 Beiträgen auf durchschnittlich etwa acht Druckseiten behandelt werden. Stark von der Totalitarismus-Doktrin geprägt wurde eine durchgängige Delegitimierung der DDR versucht. Von den sieben Teilen des Buches sind drei den Forschungsfeldern „Herrschaft und Repression“, „Widerstand und Opposition“ sowie der „Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur“ gewidmet. Sie enthalten 25 Beiträge. Denen stehen nur zehn Beiträge zur Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte gegenüber. Sehr informativ ist der Beitrag von Matthias Buchholz zur Problematik der „DDR-Archive“. Nur 15 Autoren sind Ostdeutsche, unter denen sieben schon in der DDR mit Geschichte befasst waren. Die allermeisten Autoren stammen aus der Bundesrepublik, und viele von ihnen wandten sich der DDR-Geschichte erst in den neunziger Jahren zu.1
Die jetzt vorliegende zweite Bilanz hat diese Proportion der Autoren Ost/West weiter zugespitzt. Von den 20 Autoren, ist nur ein einziger (!) dabei, der seine wissenschaftliche Ausbildung in der DDR erfahren hat. Die Historiker aus dem Umfeld der Historischen Kommission der Partei „Die Linke“ wurden überhaupt nicht in die Arbeit einbezogen, was nicht nur auf ein Demokratie-Defizit hindeutet. Es ist wohl auch ein Zeichen dafür, dass sich diese Partei hinsichtlich der DDR-Geschichte selbst zunehmend rarmacht.
Der Herausgeber Ulrich Mählert, der eine undifferenzierte Bewertung der Forschungsleistungen der DDR-Historiker vornimmt, verweist darauf, dass seit 1990 etwa 7.000 Publikationen zum Thema erschienen sind. Angesichts dieser großen Zahl ist die Feststellung von Jürgen Kocka im Jahre 2003, dass die DDR „überforscht“ sei, nahe liegend. Vor allem in den 90er Jahren entwickelte sich eine Konjunktur in der DDR-Forschung, die angesichts der plötzlich geöffneten Archive, den zahlreichen Fördertöpfen für Vergleichsuntersuchungen zu den „beiden deutschen Diktaturen“ interessierte Historiker zu schnellem Erfolg und sofortigen Buchpublikationen kommen ließ. Mählert deutet an dieser Stelle vorsichtige Kritik an, andere Verfasser sind da konsequenter.
Kernstück der Bilanz ist die mit dem Buchtitel überschriebene Expertise von Dierk Hoffmann, Michael Schwartz und Hermann Wentker. Diese Expertise berücksichtigt nur die Resultate der in der comunity etablierten Forscher. Ergebnisse von ostdeutschen und ausländischen Historikern werden überwiegend nicht berücksichtigt. Es wird auch nicht an „heilige Kühe“ herangegangen. Die bürgerliche DDR-Forschung leidet seit langem darunter, dass die in der Zeit des Kalten Kriegs etablierten Geschichtsmythen nicht angetastet werden. So bewegt sie sich nolens volens in einem Prokrustesbett. Nur einmal taucht der Terminus „internationale Arbeiterbewegung“ auf. Wie aber soll DDR-Geschichte als Chance begriffen werden, wenn die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung so völlig ausgeklammert bleibt? Erwähnenswert ist, dass Ulrich Wehlers Abwertung der DDR-Geschichte als „sowjetische Satrapie“ zurückgewiesen wird. Als mager wird die Forschungssituation zum Jahr 1956 bezeichnet, ohne die dazu vorliegende Literatur zu nennen. Ein Hinweis auf die seit 2013 erscheinenden „Schriften Wolfgang Harichs aus dem Nachlass“2 erfolgt nicht. Über das Politbüro der SED wird gesagt, dass es nach außen hin stets als Kollektiv aufgetreten und daher nur wenig über Meinungsverschiedenheiten im Politbüro bekannt geworden sei. Dabei wurde völlig übersehen, dass sich Alfred Neumann gerade dazu dezidiert geäußert hat.3 Gefordert wird auch, in der künftigen Forschung stärker ehemalige Kombinats- und Betriebsleiter in den Blick zu nehmen. Dass es dazu bereits maßstabsetzende Publikationen gibt, wird dem Leser vorenthalten.4
Nach wie vor tritt das von Günter Gauß widerholt erörterte Problem des Grüßens von „Gessler-Hüten“ auf: „SED-Diktatur“, „zweite deutsche Diktatur“ und all die von der CDU vorgegebenen tendenziösen Begriffsprägungen im Zusammenhang mit der DDR-Geschichte5, wobei viel vorsichtiger, als es die wissenschaftliche Abteilung beim Bundestag tat, hinter den Begriff „Unrechtsstaat“ ein Fragezeichen gesetzt wird. Die Autoren fordern den Vergleich von DDR-Geschichte und Geschichte der UdSSR und der Volksdemokratien. Dabei müsste ihnen auffallen, dass die DDR das entwickelteste Mehrparteiensystem hatte. Die UdSSR verstand sich als „Bündnis der Mitglieder der KPdSU mit den Parteilosen“. Wenn also die DDR mit ihren fünf Parteien schon als „SED-Diktatur“ gilt, was soll denn dann erst die Sowjetunion gewesen sein?
Es gibt auch einige Novationen, die es wert sind, hervorgehoben zu werden. Kathrin Hammerstein und Edgar Wolfrum weisen darauf hin, dass sich die DDR 1989/90 zur Demokratie wandelte. Diese Phase sei fester Bestandteil ihrer Geschichte. Sie warnen auch vor der Gefahr der Geschichtsklitterung, wenn sich die Zeitgeschichtsforschung nicht aus den Umarmungsversuchen durch die Politik befreit. Jürgen Kocka widerspricht Stefan Heym, in dem er feststellt, dass die DDR-Geschichte viel mehr als nur eine Fußnote war: „Die DDR war vielmehr auch der Versuch, dieses alternative Modell in einem zwar durch vorangegangene Katastrophen und fortlaufende Fremdherrschaft beeinträchtigten, aber ökonomisch, sozial und kulturell wie wissenschaftlich höchst modernen Land zu verwirklichen.“ (136) Martin Sabrow hält dem immer wieder ausgestreckten Zeigefinger auf die „Opfer der SED-Diktatur“ entgegen, dass die Zeitgeschichte als wissenschaftliche Disziplin keine moralische Anstalt sei. Zugleich tritt er dafür ein, die DDR-Forschung aus allen konjunkturstützenden Maßnahmen außerwissenschaftlicher Akteure zu entlassen. Peter Steinbach wendet sich gegen die „Verzwergungsthese“ von Arnulf Bahring, die den Zweck hatte, die DDR-Bevölkerung auch mental zu diskreditieren und so zu verletzen. Er spricht auch die Neigung zum Kahlschlag bei der Straßenumbenennung und beim Schleifen von Denkmalen kritisch an: „Leicht konnte der Eindruck entstehen, die westdeutschen ‚Sieger‘ der Geschichte machten von ihrer Macht Gebrauch und vergriffen sich an Monumenten ostdeutscher Identität.“ (196) Dorothee Wierling fordert dazu auf, bestimmte dynamische Elemente in der DDR-Gesellschaft anzuerkennen. Sie zählt zu den kulturellen Modernisierungsschüben den generationellen Wandel, die Liberalisierung der sexueller Normen und die Veränderung der Geschlechterverhältnisse. Trotz der anfangs scharfen Kritik an der Kita-Erziehung der DDR sei heute evident, dass sie sich im gesamteuropäischen Vergleich auf der Höhe der Zeit befunden habe. Im Westen werde eine nachholende Modernisierung auf diesem Gebiet erst jetzt in Angriff genommen.
Ein reichliches Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR kommen diese Erkenntnisse reichlich spät. Sie zeigen aber an, dass die von ostdeutschen Historikern weitestgehend gesäuberte comunity nicht mehr nur auf agitatorischen Pfaden wandelt.
Siegfried Prokop
Am Beispiel Marburg
Die gekaufte Stadt? Der Fall Marburg: Auf dem Weg zur „Pohl-City“?, herausgegeben von Sebastian Chwala, Frank Deppe, Rainer Rilling und Jan Schalauske, VSA:Verlag, Hamburg 2016, 271 S., 16,80 Euro.
Zurück in der kleinen Stadt. Der schäbige Bahnhof samt Vorplatz, der versiffte Weg in die Innenstadt – alles so schön sauber! Ein nagelneues Kongresszentrum mit Restaurants, Café und allem Drum und Dran, ein „besseres“ Hotel. Groß, aber nicht zu groß; gediegen, aber nicht protzig; bieder. Eine „Allee“ ist nach einer Frau (!) benannt, allerdings nach einer mir bis dato unbekannten. Was mir meine Gastgeberin später beim Tee erklärt, klingt ungefähr so: „Und Spoelmann finanzierte den Staat. Der Vorgang war groß und klar in seinen Grundzügen; ein Kind hätte ihn verstehen können – und tatsächlich erklärten ihn glückstrahlende Väter ihren Kindern, während sie sie auf den Knien schaukelten.“ (Thomas Mann, Königliche Hoheit, Frankfurt am Main 1960, 1974, S. 352) Doch die Geschichte spielt nicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts im fiktiven Grimm-, sondern zu Beginn des 21. im realen Marburg. Und nicht vom „weltberühmten, richtigen Spoelmann“ ist die Rede, sondern von Reinfried Pohl (1928-2014), Gründer und langjähriger Chef der Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG), eher in Marburg weltberühmt (ungerecht, wurde er doch 2013 auf 3,1 Milliarden Euro geschätzt; https:// de.wikipedia.org/wiki/Reinfried_Pohl).
Nun ist ein Buch erschienen, das meine temporäre Verwirrung aufhellt: „Die gekaufte Stadt? Der Fall Marburg. Auf dem Weg zur ‚Pohl-City’?“. Dreizehn Autoren, unter ihnen Protagonisten dessen, was manche „Marburger Schule“ nennen, nehmen sich der allerjüngsten Geschichte der Universitätsstadt an und entdecken Exemplarisches. Wie bei Thomas Mann geht es im Kern um die Staatsfinanzen, konkret um Kommunal- und öffentliche Rentenkassen. Kai Eicker-Wolf und Achim Truger (225ff.) belegen, dass im Zeichen von Austeritätspolitik und Krise die Einnahmen und Ausgaben der hessischen Kommunen seit den 1990ern nicht nennenswert gewachsen, deren Kassenkredite hingegen kontinuierlich angestiegen sind, essentielle kommunale Leistungen daher empfindlich eingeschränkt wurden. Christoph Ehlscheid klärt darüber auf, welche politischen Entscheidungen der Regierungen des Pohl-Freundes Kohl und des Maschmeyer-Freundes Schröder dazu geführt haben, dass die gesetzliche Rente immer mauer ausfällt, die Gewinne der deutschen Versicherungswirtschaft und Finanzdienstleiter hingegen explodiert sind. Ehlscheid weiß auch, was dagegen zu tun ist: „Rücknahme des Agenda-Kurses“ (243).
Kinderleicht zu verstehen. So sehen Vermögens- und Anlageberater sich genötigt, ein Heer von „wirtschaftsnahen Wissenschaftlern, Medienvertretern … und konservativ-liberalen Politikern“ (Ehlscheid, 243) auf uns anzusetzen. Daher geht es vor allem um die in Pohl-Hagiographien, im DVAG-Museum, in DVAG-Events, in der Architektur der DVAG-Bauten, in der DVAG-eigenen „Fachhochschule für Wirtschaft“, auch in Unterrichtsmaterialien für öffentliche Schulen aufgespielte, ideologische Begleitmusik zur neoliberalen Praxis, die Jürgen Nordmann, Frank Deppe, Christian Christen, Christian Schönholz, Bernd Albert, Ralf Schrader, Nico Biver, Georg Fülberth, Henning Köster-Sollwedel und Rainer Rilling sorgfältig analysieren. Sie erzählen und kontextualisieren die Saga von Professor Dr. Dr. h. c. mult. Reinfried Franz Pohl, von seinen Mitarbeitern respektvoll „der Doktor“ genannt. Zum Doktor der Jurisprudenz hatte der Flüchtlingsjunge, Frontkämpfer und Streiter gegen den Kommunismus sich einst emporgearbeitet. Schmied seines eigenen und zugleich des Glückes seiner übers Land verstreuten 30.000 Mitarbeiter, allesamt Teil der großen, gut verschachtelten DVAG-Familie. „Mutter der Kompanie“: eine Marburger Konditorentochter, die Namensgeberin der Anneliese Pohl Allee. In der Familie zählte, wer dem Patriarchen am nächsten stand. Das Fußvolk verkaufte in Drückerkolonnen Versicherungspolicen. Den Löwenanteil der Provisionen strichen Ranghöhere ein; eine Pyramide, an der Spitze frühere CDU-Politiker (die CDU wurde in der Pohlschen „Landschaftspflege“ besonders bedacht; vgl. Biver, 165ff., Fülberth, 178ff.), ganz oben die hohe Familie (vgl. Christen, 130). Alles vom Geld der um ihre Alterssicherung besorgten Normalverdiener, um deren Vermögen sich „der Doktor“ kümmerte wie ein Arzt um die Gesundheit seiner Patienten. Bei Gesundheit und Vermögen werden allerdings Garantie und Haftung für Risiken und Nebenwirkungen gemeinhin ausgeschlossen, zumal in Zeiten des Niedrigzinses.
Im Gegensatz zum fiktiven Spoelmann finanzierte der reale Pohl mit dem eigenen Vermögen nun keineswegs die Stadt, aber er zahlte doch Gewerbesteuern, freilich mit einer Summe zwischen 4 und 5 Millionen Euro jährlich „Peanuts im Vergleich zu Nachfolgefirmen der (traditionsreichen, pharmazeutischen, EA) Behringwerke“ (Nordmann, 33) und weniger als am früheren Firmenhauptsitz Frankfurt am Main (vgl. Christensen, 172ff.). Aus dem Ersparten spendete er großzügig an universitäre, kulturelle, soziale Institute, Projekte und Vereine, die ihm persönlich am Herzen lagen (vgl. Nordmann, 32f.). Dafür wurde er mit Dank überhäuft: Ehrendoktor, Ehrensenator, Ehrenbürger, Ehrenprofessor. „Anerkennung für Geld“ (Nordmann) oder Ehre, wem Ehre gebührt.
Wie so etwas Altvorderes, Verlässliches in einer Welt sich auflösender ökonomischer und sozialer Gewissheiten bestens funktionieren kann, demonstrieren die Autoren (besonders Deppe, 77ff.) in guter, ideologiekritische Tradition, die den Gegenstand ernst nimmt und zugleich weit über ihn hinausweist. Man lernt auf höchst unterhaltende Weise viel Neues über das Zusammenspiel von „Politik und Wirtschaft“, über Arm und vor allem über Reich (vgl. Rilling, 195ff.), die Spielräume von Kommunalpolitik im 21. Jahrhundert und nicht zuletzt über die Valenz dessen, was früher „Überbau“ hieß. Auch dies beispielhaft.
2012 kommt das System ins Stolpern. Eine skurrile Anekdote dazu erzählen die Herausgeber auf den ersten Seiten; sie wurde zum Anlass der von der Rosa Luxemburg Stiftung geförderten Untersuchung. Und ein Nachtrag zum Schluss: Am 21. März 2016 verhängt der Marburger Magistrat eine Haushaltssperre. Ein Steuersubjekt hat ca. 20 Millionen Euro Gewerbesteuerrückzahlungen geltend gemacht, ein Viertel des städtischen Haushalts. Nicht etwa um die Pohlsche DVAG geht es, sondern um eine weltweit operierende britische Nachfolgefirma der Behringwerke.1 Es scheint, der „weltberühmte, richtige Spoelmann“ wird in Marburg nun doch noch dringend gebraucht.
Elisabeth Abendroth
Nicht nur eine Erpressergeschichte
Andreas Wehr, Der kurze griechische Frühling. Das Scheitern von SYRIZA und seine Konsequenzen; PapyRossa Verlag, Köln 2016, 191 S., 13,90 Euro
Flüssig und für politisch Interessierte verständlich geschrieben, legt Andreas Wehr sein zweites Buch zur ‚Griechenlandkrise’ vor. Sein erstes – „Griechenland, die Krise und der Euro“ von 2010/2011 – hatte sich mit Verlauf und Ursachen der ‚Eurokrise’ befasst, die beiden ersten ‚Rettungspakete für Griechenland’ seziert und die soziale Katastrophe, die sie anrichteten. Der vorliegende Band knüpft daran an und nimmt insbesondere den Aufstieg der ‚radikal-linken’ Syriza und ihre Kapitulation vor den EU-Institutionen in der dritten ‚Griechenlandkrise’ 2015 in den Fokus. Die zentrale Schlussfolgerung des Autors auf dem Einband lautet: „Es wurde offensichtlich, dass es ein ‚demokratisches und soziales Europa’ unter den Bedingungen des Euros und der EU nicht geben wird.“
Im Kapitel ‚Von der Finanz- zur Eurokrise’ (9-28) erläutert er, dass die mit der Krise 2007/2009 sichtbar gewordenen wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone nicht allein mit der unterschiedlichen Entwicklung von Lohnstückkosten und 'deutschem Lohndumping' erklärt werden können. Mit Berufung auf Rudolf Hilferding, W.I. Lenin, Hans-Werner Sinn und Lucas Zeise macht er den Kapitalexport aus den kerneuropäischen Ländern in die EU-Peripherie für diese verantwortlich, die zunächst z.B. in Spanien, Irland, Griechenland usw. zu spekulativen Booms mit hohen Wachstumsraten (Immobilien- und Finanzwirtschaft etc.) führten, nach ihrem Platzen die Banken- und Finanzkrise beförderten und durch eine verfehlte Bankenrettung in einer Staatsschuldenkrise mündeten. Aus meiner Sicht wären einige Erläuterungen zur Wirtschaftskrise – dem anhaltenden 'langen Abschwung' der westlichen kapitalistischen Ökonomien seit 1973 – als Hintergrund dieser Entwicklungen sinnvoll gewesen.
Wehr hält nichts von der singulären These von ‚dem Fall Griechenland’ (28-46). Er ruft in Erinnerung, wie zunächst ab 2009 angesichts der Zahlungsbilanzkrisen in Lettland, Ungarn und Rumänien von EU und IWF die gleiche Strangulierungspolitik durchgesetzt wurde wie später gegenüber Hellas. Sie waren bereits das Testfeld für die dann kommende ‚Troika’-Konstruktion und das Vorgehen gegenüber Irland, Portugal und Zypern danach. Die osteuropäischen ‚Versuchskaninchen’ für den Austeritätskurs der EU werden auch in der westeuropäischen Linken bis heute kaum wahrgenommen.1 Wehrs ‚systemische’ Analyse finde ich aufklärerisch gegenüber einer überwiegend sozial-moralischen Empörung zum ‚Fall Griechenland’, die in der Linken weit verbreitet ist.
Fundiert und gut belegt schildert Wehr kurz und knapp (46-63) die Maßnahmen und Auswirkungen der ersten beiden Troika-Memoranden und wie das politische System Griechenlands dadurch völlig in die Krise geriet (Scheitern der großen Parteien PASOK und Nea Dimokratia). Es folgt ein informativer Überblick zur griechischen Linken und den Faktoren, die zum Aufstieg Syrizas führten (63-80). Die folgenden vier Kapitel widmen sich dem ‚Kampf um eine Ende der Austerität in Griechenland’ – vom ersten Wahlsieg Syrizas am 25. Januar 2015 über die fünf Monate dauernden Verhandlungen mit den EU-Institutionen, das ‚Nein’ beim Referendum vom 5. Juli 2015 bis zur Kapitulation durch die Annahme des Dritten Memorandums am 12. Juli 2015.
Wehrs These vom ‚Putsch in der Syriza’ (148-163) ist gut belegt. Immerhin 109 von 210 Mitgliedern des Zentralkomitees von Syriza lehnten die Vereinbarung über das dritte Memorandum vor der Parlamentsabstimmung ab. Dort kam es danach nur durch, weil die Opposition (PASOK, ND, To Potami) mehrheitlich dafür stimmte – die Stimmen der Regierungskoalition aus Syriza und der rechten ANEL reichten nicht. De facto bildete sich so eine Mehrheit in der Logik einer ‚nationalen Einheitsregierung’ heraus, wie zuvor unter PASOK und ND. Ein Parteitag von Syriza vor der von Tsipras lancierten Neuwahl am 20. September 2015 kam nicht zustande – obwohl Ende Juli 2015 die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags vom Zentralkomitee von Syriza beschlossen wurde. Die Syriza-Dissidenten – 39 Abgeordnete von ihnen stimmten gegen das Memorandum – verließen die Partei. Erst mal Fakten schaffen, später beraten und abstimmen war allerdings schon seit längerem die ‚Methode Tsipras’. Von der einstigen ‚Aktivistenpartei’ Syriza mit einer starken Verankerung in sozialen Netzwerken und Bewegungen ist nach einem Massenexodus von Mitgliedern nur noch ein Schatten ihrer selbst übrig geblieben. Geblieben sind überwiegend die Akademiker von Synapsismos sowie Beschäftigte des Parteiapparats und von Regierungsstellen – die Neue Syriza.
Wehr analysiert m.E. zu Recht, dass Griechenland durch das dritte Memorandum abermals zu einer Halbkolonie der EU herabgestuft wurde. Alle Schritte zur Umsetzung des Memorandums müssen nunmehr mit dem ‚Quartett’ aus EU-Kommission, IWF, EZB und ESM vorab abgestimmt werden, bevor sie überhaupt im Kabinett und dem griechischen Parlament beraten werden dürfen (159). Diesmal wird die institutionelle Aufsicht allerdings noch weiter verschärft. Die Zentrale Steuerbehörde Griechenlands (General Secretariat of Public Revenue) wurde zu einer von der Regierung unabhängigen Behörde gemacht, deren Dekrete sind Entscheidungen des Kabinetts gleichgestellt. Diese Behörde wird im Hintergrund von Brüsseler Beamten gesteuert. Ferner wurde ein aus fünf Mitgliedern bestehender ‚Rat für Haushaltsdisziplin’ (Council for Fiscal Discipline) eingerichtet. Auch dieser ist von der Regierung unabhängig und wird vom ‚Quartett’ streng überwacht. Er kann Ausgabenkürzungen in jedem Bereich verhängen, sofern er der Auffassung ist, dass das geplante Ziel eines Haushaltsüberschusses von 3,5 Prozent bis 2018 gefährdet sein könnte.
Das Schlusskapitel – ‚Das Scheitern von Syriza – ein Lehrstück’ (163-185) – verweist darauf, dass die Regierung Tsipras zu keiner Zeit einen ‚Plan B’ in Erwägung zog – sei es auch nur, um den EU-Institutionen damit zu drohen, um einen ‚ehrenhaften Kompromiss’ herausholen zu können. Wehr stellt dabei die Vorschläge von Costas Lapavitsas zu einem Plan B für Griechenland als Alternative dar. Eine kritische Bewertung der Diskussion innerhalb der europäischen Linken nach der Wende von Syriza schließt den Band ab.
Jene Linke, die weiter auf ein Abrücken der Regierungskoalition von Syriza und Anel von der Austeritätspolitik hoffen, können bislang auf keinerlei solche Signale verweisen. Tsipras setzt das Memorandum bisher Schritt für Schritt um, inklusive einer erneuten Kürzung der Renten. Generalstreiks der Gewerkschaften und massive Proteste von Bauern, Freiberuflern und kleinen Selbständigen zeigen, dass der soziale Widerstand in Griechenland noch nicht gebrochen ist. Über eine Erweiterung der Koalition um PASOK und die liberale To Potami wird laut nachgedacht.
Auch andere Entwicklungen dürften die Europäische Linkspartei nicht freuen: „Das Außenministerium hat eine Erklärung herausgegeben, dass es mit der EU-Politik der Kennzeichnung von Produkten aus den von Israel besetzten Gebieten nicht einverstanden ist. Tsipras besuchte Jerusalem und erkannte es als die Hauptstadt Israels an; das haben nicht einmal die USA gemacht. (...) Schäuble verlangte Rentenkürzungen und die Verpfändung von Immobilien an die Banken, er forderte allerdings nicht Unterwürfigkeit gegenüber Netanyahu.“2 Den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei lehnt Dietmar Bartsch für die Bundestagsfraktion der LINKEN scharf ab – Tsipras will ihn mit Hilfe von Experten und Mitarbeitern der EU strikt umsetzen. Das UNO Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisierte, dass die Registrierungszentren für Flüchtlinge in Griechenland durch die Vereinbarung mit der Türkei zu geschlossenen „Hafteinrichtungen“ geworden sind, weshalb es seine Aktivitäten an den Hotspots einschränkte. Es ist also nicht nur das Thema Austeritätspolitik, bei dem die Europäische Linke mit ihrem einstigen Hoffnungsträger der ‚radikalen Linken’ in Griechenland Probleme bekommt.
Klaus Dräger
Kapitalismus
als Fluchtursache?
Slavoj Žižek, Der neue Klassenkampf. Die wahren Gründe für Flucht und Terror. Ullstein, Berlin 2015, 96 Seiten, 8 Euro.
Der prominente slowenische Philosoph Slavoj Žižek verspricht im Titel seines neuen Buchs, die „wahren Gründe für Flucht und Terror“ aufzudecken. Und der Klappentext verrät auch schon das Ergebnis: „Nicht die Flüchtlinge bedrohen unsere Gesellschaft – vielmehr bedroht das globale Kapital die gesamte Weltordnung.“ Stutzig macht zunächst die Rede von „unserer Gesellschaft“. Die bloß europäische, um nicht zu sagen eurozentrische Perspektive durchzieht das gesamte Buch: „Die Pariser Terroranschläge wie auch der Flüchtlingsstrom“, schreibt der Autor, „erinnern uns für einen Augenblick an die gewalttätige Welt außerhalb unserer Kuppel.“ Žižek streift in seinem Essay durch die Konfliktregionen der Welt, allerdings ohne erkennbaren roten Faden. Auf dem Weg fallen inhaltsleere Sätze wie dieser: „Die USA und China sind, metaphysisch betrachtet, beide gleich: der gleiche hoffnungslose Wahnsinn einer entfesselten Technologie und einer entwurzelten Lebensweise des Durchschnittsbürgers.“ Kritisiert werden die rechtsradikalen Parteien Europas, aber auch angebliche linksliberale Vorurteile. Dazu zählt der Autor die „Vorstellung der Schutz der eigenen Lebensweise sei an sich protofaschistisch oder rassistisch.“ Das Problem ist hier das Wort „eigene“, als ob „wir“ eine exklusive Lebensweise hätten. Wie Millionen Menschen in Europa, so behandelt Žižek stellenweise auch die Immigranten als Kollektivsubjekt, dem er pauschal Absichten zuschreibt: „Die Flüchtlinge wollen ein Stück vom Kuchen abhaben – sie erwarten im Grunde genommen, die Vorzüge der westlichen Wohlfahrtsstaaten nutzen zu können, ohne ihren eigenen Lebensstil zu ändern, dessen Grundzüge jedoch teilweise nicht mit den ideologischen Grundlagen westlicher Sozialstaaten vereinbar sind.“ Es sei eine „Tatsache, dass die meisten Flüchtlinge aus Kulturen kommen, die mit den westlichen Begriffen von Menschenrechten unvereinbar sind.“ Unterstellt wird eine homogene Gruppe, ohne politische oder Klassenunterschiede, ohne Verschiedenheit der Herkunft oder der Generationen, ohne jene Gegensätze zwischen links und rechts, Stadt und Land, Konservatismus und Fortschritt, die im „arabischen Frühling“ deutlich zutage traten. Immerhin wird anerkannt, dass „viele“ Immigranten versuchen, „den schrecklichen Bedingungen in ihrem Heimatland zu entfliehen.“
Es steht auch Richtiges im Buch, etwa, dass Fluchtursachen auch in der Destabilisierung Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens durch die westliche Kriegspolitik zu finden sind oder im westlichen Ressourcenverbrauch, der Rohstoffkriege in Zentralafrika befeuert. Was das mit dem „globalen Kapital“ zu tun hat, bleibt offen. Geopolitisch argumentiert Žižek
Impressum
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naiv und höchst unplausibel, wenn er mutmaßt, dass die „versteckte Absicht hinter der deutschen Großherzigkeit“ hinsichtlich der sogenannten Flüchtlingsfrage „im Versuch besteht, den bitteren Nachgeschmack runterzuspülen, den der Umgang mit den Griechen Anfang 2015 hinterlassen hat.“ Der Essay endet mit dem, was man ein „Rotschwänzchen“ nennt: „Wir müssen den Klassenkampf wieder auf die Tagesordnung bringen. Und das ist allein dadurch zu bewerkstelligen, dass man auf der globalen Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten besteht.“ Ohne Konkretisierung bleiben solche Aufrufe phrasenhaft und folgenlos. Und vielleicht ist das ganze Thema auch zu ernst, um auf die Schnelle darüber Pamphlete zu verfassen und auf den Buchmarkt zu werfen.
Michael Zander
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Redaktionsschluss: 30.04.2016.
1 Siehe: Antifaschistischer Widerstand in Albanien (1942-1943/44). Neue Quellen zu Akteuren und Zielen, RLS Leipzig 2007; Das II. ZK-Plenum der KP Albaniens 1944 – Versuch einer Wende in der Politik. Dokumentation, Berlin 2014 (dort weitere Literaturangaben).
1 Ausführliche Besprechung von Siegfried Prokop in „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, 9/2004, S. 871 f.
2 Herausgegeben von Andreas Heyer im Tectum Verlag, Marburg 2013 ff.
3 Ulbrichts Favorit. Auskünfte von Alfred Neumann. Mit einem Vorwort von Hans Modrow sowie Beiträgen von Friedrich Wolff und Edgar Most, Berlin 2009.
4 Vgl. Die Kombinatsdirektoren. Jetzt reden wir. Was heute aus der DDR-Wirtschaft zu lernen ist, Berlin 2013. Karl Döring: EKO. Stahl für die DDR-Stahl für die Welt. Eine Autobiographie, Berlin 2015.
5 Vgl. Geteilt. Vereint. Gemeinsam. Perspektiven für den Osten. Antrag des Bundesvorstandes der CDU Deutschlands an den 22.Parteitag am 1./2.Dezember 2008 in Stuttgart.
1 http://www.ffh.de/news-service/ffh-nachrichten/Controller/News/nAction/how/ Category/mittelhessen/nId/69994/nI
1 Ausführlicher dazu siehe Klaus Dräger/Andreas Wehr: Die EU und die Krise: 'Die ewige Wiederkehr des Gleichen', in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus 1/2010; http://www.dielinke-europa.eu/ article/7065.die-eu-und-die-krise-supplement-der-zeitschrift-sozialismus-1-2010.html
2 Stathis Kouvelakis: Syriza's Rise and Fall; in: New Left Review 97, Jan./Feb. 2016, S.68/69.