Betrachten wir zum Einstieg zwei Fälle, die zeigen, wie unterschiedlich mit dem Thema Migration und Arbeitsmarkt umgegangen werden kann. Im ersten Fall demonstrierten im Dezember 2005 rund 100.000 irische, polnische, litauische und lettische Arbeitergemeinsam gegen Versuche ihrer Chefs, Migranten zu geringerem Lohn und unter schlechteren Bedingungen einzustellen als ihre irischen Kollegen. Im zweiten Fall legten im Januar 2009 mehrere hundert Arbeiter unter dem Slogan „Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter“ die Arbeit nieder. Ersteres zeigt die Möglichkeit von Solidarität und die Zurückweisung des Prinzips von „divide et impera“, letzteres die besorgniserregende Situation, die entsteht, wenn sich verängstigte Arbeiter in einem Vereinigten Königreich des Arbeitsplatzabbaus und der wirtschaftlichen Krisen gegen „Ausländer“ wenden.
Die Frage der Migration hat die herrschenden Klassen immer besonders beschäftigt, vor allem in den kapitalistischen Zentren. Es ging darum, den Bedarf an migrantischer Arbeitskraft in Phasen wirtschaftlicher Expansion gegen die Kosten von Reproduktion und Erhaltung dieser Arbeitskräfte abzuwägen. Große Wanderungsbewegungen haben eine lange Geschichte (Haywood 2008; Emmer 1993; Fagan 1990). Die frühesten fanden in Asien statt, besonders in China, im Mittleren Osten und in Afrika. Vom 16. Jahrhundert an wuchsen die Migrationsströme in Europa aufgrund der sich verändernden wirtschaftlichen und militärischen Kräfteverhältnisse (Held et al. 1999). Politische Konflikte im östlichen, südlichen und in Zentral-Europa führten zu großflächigen Vertreibungen von ethnischen Gruppen über im steten Wandel begriffene Grenzen, während die Nachfrage nach hoch qualifizierter Arbeitskraft in den merkantilistischen Staaten und Reichen immer weiter stieg. Europäische Eroberungen des 17. und 18. Jahrhunderts und die Kolonisierung der beiden Amerikas sind ohne den Sklavenhandel – die gewaltvolle und brutale Entführung von Menschen, vor allem im subsaharischen Afrika und über den Atlantik – nicht vorstellbar.
Bei seiner Expansion verließ sich der Kapitalismus nicht selten auf rohe Gewalt. Die Unterjochung und Entführung von Menschen und das System der Vertragsarbeit waren die Grundpfeiler der Kaffee- und Teeplantagen in Ceylon (jetzt Sri Lanka), der Zuckerrohrplantagen in der Karibik und der Minen und Plantagen in Brasilien (Sassen 1988). Nach dem Verbot der Sklaverei 1838 wurde die massenhafte Migration asiatischer Arbeiter unter dem Label des Kuli-Handels zum Ersatz für die offene Sklaverei. Kuli-Arbeit basierte generell auf Kurzzeitverträgen mit strengen Strafsanktionen und ging oft mit der Verschuldung der Arbeiter aufgrund von Transitgebühren, mit barbarischen Arbeitsbedingungen und absoluten Hungerlöhnen (Kale 1998; Northrup 1995) einher. Eine der größten Migrationswellen des 19. Jahrhunderts kam aus Indien und setzte sich sowohl aus Vertragsarbeitern als auch Verwaltungskräften zusammen, die bis in die letzten Winkel des britischen Empire auswanderten. Eine Schätzung geht davon aus, dass zwischen 1834 und 1937 rund 30 Millionen Menschen Indien verließen; 24 Millionen seien wieder zurückgekehrt. (Tinker 1974, zit. n. Nayyar 2006) Vergleichbar ist das nur mit der chinesischen Arbeitsmigration. Für kurze Zeit, saisonal oder dauerhaft wanderten Menschen sowohl nach ganz Südostasien als auch in die USA aus, wo sie das Rückgrat der Arbeitskräfte bildeten, die die Erdarbeiten des Gold Rush und den Bau der Eisenbahnen bewältigten (Lewis 1977, zit. n. Nayyar 2006).
Die Zeit von Mitte des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war die der großen transatlantischen Wanderungsbewegungen. Die ungleichzeitige Entwicklung des Kapitalismus produzierte eine große Anzahl verarmter und vertriebener bäuerlicher Arbeiter in Europa, die gebraucht wurden, um das explosive Wachstum des Kapitalismus in Nord- und Südamerika zu befeuern. Zwischen 1870 und 1914 verließen 50 Millionen Menschen den alten Kontinent. Zwei Drittel von ihnen gingen in die Vereinigten Staaten, der Rest wanderte nach Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika, Argentinien und Brasilien aus. Diese Massenemigration betraf um 1900 ein Achtel der damaligen Bevölkerung Europas, in Ländern wie Britannien, Italien, Spanien und Portugal waren es 20 bis 30 Prozent (Stalker 1994).
Die Krise und die Eindämmung des Weltkapitalismus nach dem ersten Weltkrieg stoppten diese Wanderungen; in den USA wurden die Einwanderungsgesetze mit rassistischen Begründungen verschärft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings führte der wachsende Arbeitskräftebedarf in vielen entwickelten kapitalistischen Ökonomien vor allem in Europa zu Formen aktiver Anwerbung. Großbritannien, Frankreich und die Niederlande rekrutierten Arbeiter in ehemaligen Kolonialgebieten, während andere Länder ihren Arbeitskräftebedarf in der südlichen Peripherie von Europa, in der Türkei und in Nordafrika deckten. Westdeutschland schloss Anwerbeverträge mit Italien (1955 und 1965), Griechenland und Spanien (1964), Marokko (1963), Portugal und der Türkei (1964), Tunesien (1965), Jugoslawien (1968) und Korea (1962). 1973 machten Migranten in Frankreich und Deutschland rund 10 Prozent der Arbeitskräfte aus (Harris 1995).
Die Rezession von 1973ff. markierte das Ende des offenen Arbeitsmarktes. In den 1980er Jahren wurden in vielen europäischen Ländern drakonische Einwanderungsgesetze erlassen. Ein Aspekt der Nachkriegszeit, vor allem in den letzten drei Dekaden, war die gewaltige und gewaltmäßige Vertreibung von Menschen aus Entwicklungsländern, vornehmlich durch Armut, Krieg und Verfolgung. Der Irakkrieg beispielsweise hat eine beachtliche Anzahl von Flüchtlingen produziert. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge berichtet, dass 4,2 Millionen Iraker vertrieben wurden. Bei der einen Hälfte handele es sich um Binnenflüchtlinge; die anderen Flüchtlinge hätten das Land ganz verlassen.
Eine industrielle Reservearmee
Migrantische Arbeit spielt eine bedeutende Rolle im Kapitalismus, sowohl als „Industrielle Reservearmee“ als auch als Mittel, um die Ausbeutungsrate zu erhöhen. Jene „Industrielle Reservearmee“ ist allerdings nichts Neues. Schon 1845 schrieb Friedrich Engels, „daß zu allen Zeiten, ausgenommen in den kurzen Perioden höchster Blüte, die englische Industrie eine unbeschäftigte Reserve von Arbeitern haben muß, um eben während der am meisten belebten Monate die im Markte verlangten Massen von Waren produzieren zu können.“ (Engels 1845/1980: 314f.)
Fortgeschrittene kapitalistische Ökonomien suchen regelmäßig Arbeiter aus Entwicklungsländern mit spezifischen Qualifikationen, so z.B. Krankenschwestern, Lehrer und Sozialarbeiter. Im Vereinigten Königreich existiert eine Art „On- und Off“-Migration, um den Bedarf nach flexibler, saisonaler und kostengünstiger Arbeitskraft zu decken. Die Unternehmer benutzen dabei Sonderregelungen (engl.: „special schemes“) in der Landwirtschaft und im Gastgewerbe, um Arbeitskräfte für kurze Zeiträume anzuwerben.
Nachdem acht ehemals kommunistische Staaten[1] der EU 2004 beigetreten waren, konnten sich die Kapitalisten der alten EU-Länder in Zentral- und Osteuropa die besten Arbeitskräfte aussuchen. Bei meinen Recherchen stieß ich beispielsweise auf ein Bustouristikunternehmen aus den englischen Midlands, das in Warschau ein Hotel angemietet hatte und um den städtischen Busbahnhof herum Flugblätter verteilte. Den zahlreichen Fahrern, die zu dem beworbenen Treffen strömten, wurden (für polnische Verhältnisse) gute Löhne versprochen. In den folgenden Wochen zogen 20 Fahrer ins Vereinigte Königreich. Sie erhielten zwar den Mindestlohn; der Vertrag beinhaltete aber eine Klausel, nach der keine festen Stunden, sondern nur Arbeit nach Bedarf vereinbart war. Das bedeutete im Klartext, dass in manchen Wochen das versprochene Gehalt gar nicht verdient werden konnte und sie in anderen Wochen mitten in der Nacht geweckt wurden und 60 Stunden arbeiten mussten. Als sich einige über diese Zustände beschwerten, wurde kurzerhand ein Englisch-Test anberaumt und drei Fahrer wurden gefeuert.[2]
Migrantische Arbeitskräfte eignen sich deshalb so gut als Teil der „Industriellen Reservearmee“, weil man sie einfach wieder loswird. Die USA, Belgien und Frankreich wiesen während der Großen Depression massenhaft Migranten aus. Nigeria schob im Zuge des Kollapses des heimischen Ölgeschäfts in den frühen 1980ern zwei Millionen Arbeiter aus anderen afrikanischen Ländern ab (Strikwerda & Guerin-Gonzales 1993). Nach der Wirtschaftskrise in Südostasien 1997 wurden in Japan, Hong Kong, Korea, Taiwan, Malaysia und Thailand strengere Grenzkontrollen und Überwachungsmaßnahmen eingeführt, Verstöße gegen Einwanderungsgesetze mit Geldstrafen belegt. Südkorea, Thailand und Malaysia schoben Migranten in ihre Heimatländer ab, selbst wenn sie einen legalen Aufenthaltsstatus vorweisen konnten.
Hinzu kommt, dass Arbeitsmigration dem Empfängerland erlaubt, die Reproduktionskosten der Arbeitskraft zu externalisieren. Der Staat nutzt sie als Lückenbüßer am Arbeitsmarkt, trägt aber meistens nicht die Kosten der Niederlassung der Arbeitskräfte und ihrer Familien. In Großbritannien z.B. haben Migranten erst Anrecht auf Sozialleistungen, wenn sie 12 Monate lang bezahlte Arbeit geleistet haben. Das neue Punktesystem für Immigranten (von außerhalb Europas) ist eine Methode, gut ausgebildete Migranten auszusieben und sicherzustellen, dass niemand, der in das Vereinigte Königreich einwandert, eine „Last“ für den Staat wird: Tatsächlich eignet sich das Empfängerland so die Ausbildungskosten der Entsendeländer an.
Die Migration in reichere Länder hat ökonomische und soziale Konsequenzen für die ärmeren Auswanderungsländer. In Moldawien z.B. arbeiten 26 Prozent der Bevölkerung außerhalb des Landes. Die globale Ungleichheit der kapitalistischen Entwicklung setzt eine Kette von Migrationsbewegungen in Gang, wobei die Behandlung immer schlechter wird, je weiter unten die Betreffenden stehen. Die Lücke, die der Wegzug von Schweißern aus den Werften von Gdansk in Polen hinterlassen hat, wurde mit Arbeitern aus Indien und Nord Korea aufgefüllt, die bis zu 16 Stunden am Tag arbeiten, teilweise unter Kontrolle und Aufsicht der Nordkoreanischen kommunistischen Partei (Gazeta Wyborcza).
Steigerung der Ausbeutungsrate
Die Unternehmer wollen aber nicht nur zusätzliche Arbeitskräfte. Sie wollen Beschäftigte, die unter spezifischen Bedingungen eingesetzt werden können, um den Grad der Ausbeutung zu steigern. Allgemein beinhalten diese Bedingungen „eine Form der Kontrolle über die Arbeitskraft, die die Machtlosigkeit der Arbeiter voraussetzt“ (Sassen 1988, S. 39). So werben Unternehmer selbst dann Migranten an, wenn der heimische Arbeitsmarkt noch Arbeitskräfte bereithält, weil davon ausgegangen wird, dass der Migrantenstatus es einfacher macht, Arbeiter aus anderen Ländern auszubeuten.
Selbst wenn migrantische Arbeiter legal angestellt sind, stoßen sie doch auf große Probleme am Arbeitsplatz. Der Missbrauch von Arbeitern aus Zentral- und Osteuropa, die legal im Vereinigten Königreich angestellt sind, ist gut dokumentiert. Die Beschwerden umfassen ausufernde Arbeitszeiten mit viel zu kurzen Pausen und unbezahlten Überstunden. Bekannt ist auch, dass Vermittlungs- und Zeitarbeitsfirmen hohe Vermittlungsgebühren verlangen, weniger bezahlen als vereinbart oder Löhne ganz zurückhalten (Fitzgerald 2007; Hardy und Clark 2007; Anderson et al. 2006). Ein weiteres Problem sind Zwangsunterbringungen, wobei die Unternehmer die Schlafmöglichkeiten bereitstellen. Beschwerden von Migranten beklagen überteuerte, überfüllte und schäbige Unterkünfte.
Die große Mehrheit migrantischer Arbeiter übernehmen die schlimmsten und am schlechtesten bezahlten Arbeiten. Ken Loachs Film „Its a free World“ ist eine schreiende Anklage gegen die Ausbeutung legaler und illegaler Migrationsarbeiter im Vereinigten Königreich. Allerdings legt der Film den Fokus auf die „schwarzen Schafe“ unter den Arbeitgebern, wohingegen in Wirklichkeit Arbeiter aus den neuen EU-Ländern zentral für den britischen Kapitalismus und direkt oder indirekt bei den größten Firmen des Landes angestellt sind. Es steht außer Zweifel, dass einige der Leiharbeitsfirmen am Rande der Legalität operieren, andere sind jedoch große transnationale Firmen, die man als legale Menschenhändler bezeichnen könnte.
Migrationsarbeiter, Löhne und Arbeitsbedingungen
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Lage migrantischer Arbeiter und den Veränderungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen allgemein? Im Vereinigten Königreich ist eine Fülle von Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, was jeweils dazu diente, unterschiedliche Positionen innerhalb der herrschenden Klasse zu begründen (Rowthorn, 2008). Eine Fraktion profitiert nicht von migrantischer Arbeit und ist daher nicht bereit, die damit verbundenen Kosten zu tragen, während eine andere sich darin befleißigt, die Vorteile der Immigration hervorzuheben.
Zwei Arbeitspapiere der Regierung belegen diese Interessenunterschiede. Im ersten, einem Bericht des Innenministeriums, der sich auf die traditionsreiche Unternehmerorganisation „Institute of Directors“ und die britische Handelskammer beruft, wird ein Zusammenhang zwischen Immigration und Lohndumping bzw. Arbeitslosigkeit zurückgewiesen (Innenministerium 2007). Ähnlich klang es in einer Rede der Innenministerin Jacqui Smith, die vom „klaren ökonomischen Nutzen“ der Migration sprach. Der damalige Immigrationsminister Liam Byrne fügte hinzu, Migration biete „enorme Vorteile“, der „positive Effekt ließe sich auf 6 Milliarden Pfund beziffern“. (House of Lords 2008: 22)
Damit bezieht man sich auf die Analysen gleich gesinnter Ökonomen wie David Blanchflower. In einer Rede vor der Bank of England kam dieser zum Schluss, dass „Studien weltweit keinen oder kaum einen Nachweis eines spürbaren Einflusses von Immigration auf den heimischen Arbeitsmarkt im Hinblick auf Löhne und Unterbezahlung zeigen. Das deckt sich auch mit Befunden aus dem Vereinigten Königreich selbst.“ (Blanchflower et al. 2007) Ein zweites Paper, diesmal aus dem Oberhaus, bezweifelt eher, dass die positiven ökonomischen Effekte der Immigration deren Kosten rechtfertigen würden. Eine andere Studie kommt zu nochmals anderen Schlüssen und legt nahe, dass die Immigration die Verdienste besser bezahlter Beschäftigter positiv beeinflusst, die Löhne in den unteren Einkommenssegmenten dagegen sinken lässt (Dustmann et al 2007).
Dass die unteren Einkommen besonders unter Druck stehen, ist nicht Schuld migrantischer Arbeiter. Das Streben nach immer mehr „Flexibilität“ am Arbeitsmarkt und noch niedrigeren Löhnen dominierte schon vor der Ankunft von Arbeitskräften aus Zentral- und Osteuropa. Privatisierung, ‚outsourcing‘ und Subunternehmertum haben in den letzten zwei Jahrzehnten in Branchen wie dem Reinigungsgewerbe oder bei anderen schlecht bezahlten Jobs den Wettbewerb intensiviert.
Wie Stobart darlegt, wäre es falsch davon zu sprechen, Migration habe einen homogenisierenden Einfluss auf Löhne und Arbeitsbedingungen; vielmehr variieren die Effekte innerhalb der Sektoren (Stobart 2008). Entscheidend sind meistens die Intensität des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen, der Konflikt zwischen Qualifikationsanforderungen einerseits und dem Lohndruck andererseits und die Fähigkeit der abhängig Beschäftigten, über die Branchen hinweg und am individuellen Arbeitsplatz Widerstand zu organisieren.
Ohne Zweifel haben es manche Kapitalisten darauf angelegt, Migranten zu schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen zu beschäftigen, wie das Beispiel der Arbeitskämpfe der irischen Fährarbeiter zeigt (EIROnline 2005). Kräfte sind am Werk, die versuchen, die Löhne in ganz Europa zu senken (Cremers et al 2007). Das zeigte sich deutlich an den Arbeitskämpfen von Bauarbeitern in Großbritannien im Januar 2009, als Subunternehmer Arbeiter aus Italien und Spanien auf die Baustellen brachten. Die Entsenderichtlinie von 1996 bestimmt, dass Arbeiter, die temporär in ein anderes Land „entsandt“ werden, die im „Gastland“ durch Gesetz oder Tarif vereinbarten Mindestvergütungen erhalten. In Wirklichkeit aber brauchen die Unternehmer nur das Minimum zu bezahlen; selbst wenn sie darunter bleiben fehlt migrantischen Arbeitern oft das Wissen um ihre Ansprüche.
Unter diesen Bedingungen ist es ein Einfaches, Arbeiter zu schlechteren Bedingungen und Bezahlung einzustellen. Ob das gelingt, ist aber eine politische Frage.
Staat und Migration
Obgleich die Rhetorik der neoliberalen „Globalisierung“ etwas anderes nahe legt, hat der Staat immer eine aktive Rolle bei der Steuerung des Zu- und Abflusses von Arbeit über die Grenzen gespielt. Im 19. Jahrhundert z.B. förderten Regierungen aktiv den Export der verelendeten Massen, welche die europäische Landflucht hervorgebracht hatte, indem Restriktionen bei der Auswanderung gelockert wurden und staatliche Einrichtungen, Gewerkschaften, philanthropische und koloniale Gesellschaften finanzielle Anreize gaben (Held et al 1999).
Mit dem Aufstieg des kapitalistischen Staates etablierten sich feste Grenzen und eindeutige Staatsbürgerschaften, die Immigranten von Staatsbürgern schieden. Vor dem 19. Jahrhundert waren es Städte und Gilden, nicht der Staat, die bestimmten, ob „Fremde“ arbeiten durften oder nicht (Strikwerda & Guerin-Gonzales 1993). Der moderne Nationalismus spaltete manche Gruppen und verschmolz andere; Sachsen und Bayern, die nach Frankreich emigriert waren, wurden plötzlich „Deutsche“. Nationale Identität war oft nur lose definiert, da das Dorf oder die regionalen und religiösen Identifikationen meist stärker waren als nationale. Immigranten, die es vor dem ersten Weltkrieg in die USA zog, verstanden sich oft weiterhin als Italiener oder Polen.
Während des ersten Weltkriegs versuchten die modernen Staaten, die Kontrolle über Grenzbewegungen zu erlangen. Reisepässe waren der papierne Ausdruck, begleitet von der Expansion einer Immigrationsbürokratie, um die Politik dieses Systems zu steuern (Caplan and Torbey 2001). Obwohl frühe Formen von Reisepässen schon lange in Gebrauch waren, wurden moderne Ausweispapiere im Vereinigten Königreich und anderen europäischen Ländern erst 1914 eingeführt, meist aus militärischen Gründen und mit dem Ziel, gut ausgebildete Arbeiter im Land zu halten.
Grenzkontrollen sind ein Mechanismus, der es erleichtert, billige Arbeitskräfte zu bekommen, indem einem bestimmten Segment der Arbeiterklasse der kriminelle Status illegaler Immigranten aufgedrückt wird. Allerdings sollten wir, wie mir Nick Clark schrieb, nicht den Fehler machen, Einwanderer wie die Kapitalseite nur als Arbeitskräfte zu betrachten: „Es ist die menschliche Seite der Immigration, die den Autoritäten (und Arbeitgebern) Probleme bereitet. Dass Menschen nicht nur emigrieren, um zu arbeiten. Die Kategorien Flüchtling, Wirtschaftsmigrant, Tourist, Familiennachzügler, Geschäftsreisender oder Student verwischen sich angesichts der Realität, die Menschen begegnen dem System mit ihren ganz eigenen Wünschen und Vorstellungen. Alle brauchen– abgesehen von den ganz Reichen – materielle Unterstützung; doch dies ist nicht der einzige Grund warum sie umziehen. Als ich eine (kleine) Stichprobe machte und Menschen fragte, warum sie geblieben sind, hatte das niemand geplant; viele hatten hier einfach einen Partner gefunden.“
Kapitalistische Staaten müssen ständig intervenieren, um die Beziehung zwischen Staat und Arbeit im Interesse der Kapitalakkumulation zu steuern. Kriege führen zur massiven Vertreibung und Entwurzelung von Menschen. Doch es ist die ungleichzeitige Entwicklung als Eigenschaft des Kapitalismus, die eine beständige Tendenz zur Arbeitsmigration schafft, mit „Pull“-Faktoren in den expandierenden Ländern und „Push“-Faktoren dort, wo Grundlagen der Produktion und Arbeitsplätze vernichtet werden. Kapitalisten brauchen einerseits die ständige Beweglichkeit der Arbeit, andererseits aber einen gewissen Grad an Stabilität und Verfügbarkeit von Qualifikationen, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können.
Allerdings erschweren die widersprüchlichen Interessen verschiedener Kapitalgruppen mit ihren unterschiedlichen spezifischen Anforderungen an den Arbeitsmarkt die Durchsetzung einer konsistenten staatlichen Migrationspolitik. Dies lässt sich gut an der Debatte über die mexikanische Immigration in die USA demonstrieren. Bis zum Juli 2007 zählte man in den 50 Bundesstaaten 1404 entsprechende Gesetze und Verordnungen. Allein 2007 kamen 170 neue Bestimmungen hinzu, die das Leben illegaler Migranten erschwerten. Zu diesem Zweck wurden auch die Grenztruppen auf 11.000 Mann verstärkt und mit high-tech Überwachungstechnologie ausgestattet. Trotzdem ist die Verfügbarkeit mexikanischer Arbeiter von enormer Bedeutung für den US-Kapitalismus. Die Zahl mexikanischer Wanderarbeiter hat sich seit den 1990ern auf 2,9 Millionen verdoppelt. Noch 1990 konzentrierte sich die Abwanderung aus Mexiko auf Kalifornien und Texas, 2009 aber waren mexikanische Arbeiter über die ganzen USA verteilt (American Immigration Law Foundation 2002).
Wie organisiert man migrantische Arbeiter?
In mancher Hinsicht tendieren wir dazu, migrantische Arbeiter in ihren jeweiligen Sektoren als passive oder schlecht zu organisierende Opfer des Kapitals zu sehen. Doch sie fanden sich auch oft in der ersten Reihe bei Streiks, Gewerkschaftsgründungen und politischer Aktivität, wie Camille Guerin-Gonzalez und Carl Strikwerda in ihrem Buch „The Politics of Immigrant Workers“ dokumentieren (Guerin-Gonzalez/Strikwerda 1993). Viele von der Basis kommende Arbeiterführer brachten ihre Tradition von Gewerkschaftsaktivismus oder Bindungen an linke politische Ideen mit in die neue Heimat. Es gibt allerdings keine „natürlichen Anlagen“ der einen oder anderen Nationalität, die sie mehr oder weniger für linke Politik oder Gewerkschaftsarbeit disponieren würden. Während Italiener in den USA z.B. oft als „konservativ“ galten, stellten sie in Argentinien und Brasilien überdurchschnittlich oft Führerpersönlichkeiten der Arbeiterbewegung. Der hohe Grad gewerkschaftlicher Organisiertheit unter türkischen und italienischen Arbeitern ab den 1950ern in Westdeutschland und deren niedriger Organisationsgrad in der Schweiz hatten mehr mit der relativen Stärke der Gewerkschaften überhaupt als mit „nationalen Charakteristiken“ zu tun.
Doch Solidarität zwischen Arbeitern ist keinesfalls selbstverständlich. In den Schlachthöfen von Chicago, die Upton Sinclair in seinem Roman „Der Dschungel“ so lebendig beschrieben hat, setzte sich die Belegschaft aus ethnisch und durch Hautfarbe getrennten Gemeinschaften zusammen. Der Historiker James Barret fand heraus, dass „die Existenz von ethnischen oder durch die Hautfarbe bedingten Traditionen entweder zu Einheit oder Fragmentierung führen konnte, je nachdem, welche Rolle einflussreiche Anführer der Gemeinschaften oder Institutionen dabei spielten“. (Barrett 1987)
Einige Wissenschaftler haben von einer segmentierten Arbeiterklasse gesprochen, in der Migranten eine separate Gruppe bilden, was dazu führt, dass sie sich für das „Teile und Herrsche“-Prinzip anbieten. Doch wenn wir uns die jüngste Welle von Migration aus den neuen Ländern der EU nach Großbritannien anschauen, kann diese Hypothese eines hermetisch abgeschlossenen Segments des Arbeitsmarktes nicht mehr aufrechterhalten werden. Während in einigen Branchen migrantische Arbeitskräfte überwiegen, so in der Landwirtschaft oder der Lebensmittelverarbeitung, arbeiten sie in anderen Bereichen Z.B. als Busfahrer, auf Baustellen oder in Logistikzentren zusammen mit britischen Arbeitern.
Die Organisation migrantischer Arbeiter in den USA
Die US-amerikanische Arbeiterklasse zeichnete sich immer schon dadurch aus, zu großen Teilen aus Immigranten und deren Nachkommen zu bestehen. In ihrem Buch „Organising Immigrants“ hat Ruth Milkman die Organisationsverhältnisse migrantischer Arbeiter seit der Zeit ihrer Ankunft in den USA im 19. Jahrhundert dargestellt (Milkman 2000; 2006). Viele Gewerkschaften nord- und westeuropäischen Ursprungs waren offen feindlich gegenüber neueren Migranten aus Süd- und Osteuropa eingestellt, da diese oft als Streikbrecher eingesetzt wurden und häufig arbeitslos waren. Obwohl zwischen den 1880er und 1890er Jahren die Amerikanische Federation of Labour (AFL) Versuche startete, neue Immigranten zu organisieren, kamen um die Jahrhundertwende die meisten Arbeiterführer zu dem Schluss, dass diese nicht organisierbar wären. Sie unterstützten politische Maßnahmen zur Begrenzung der Einwanderung. Selbst in den progressivsten Gewerkschaften konnte Rassismus vorkommen, besonders auffällig gegenüber schwarzen und nichteuropäischen Arbeitern wie solchen aus China (Mink 1986, zit. n. Milkman 2000). Neue Immigranten organisierten sich zwar in einigen der AFL zugehörigen Gewerkschaften, vor allem in der Bekleidungsindustrie und dem Kohlebergbau. Insgesamt blieben Migranten aber mehrheitlich unorganisiert; erst in den 1930er Jahren wurden sie im Rahmen einer Welle von Gewerkschaftsaktionen, ebenso wie afroamerikanische Arbeiter, gewerkschaftlich integriert.
1965 markiert den Punkt, an dem neue Immigrationsgesetze zu einem verstärkten Zustrom von Neuankömmlingen führten, vor allem zur Vergrößerung der lateinamerikanischen Bevölkerungsgruppen. Die Rekrutierung migrantischer Arbeiter war zentral für den Wiederaufbau der Arbeiterbewegung, und in den 1990er Jahren zeigten einige spektakuläre Erfolge, wie groß das Organisationspotenzial unter Migranten ist. 1995 gewann ein progressives Führungsteam die Wahlen zum Vorsitz des AFL-CIO Gewerkschaftsbundes, und manche der Mitgliedsgewerkschaften begannen damit, Ressourcen in die Aufbau- und Rekrutierungsarbeit zu stecken; über Jahrzehnte hatte es ein solches Organizing nicht gegeben (Milkman 2000; 2006). Die Kampagne „Justice for Janitors“ (etwa: Gerechtigkeit für Reinigungskräfte) war ein großer Erfolg migrantischer Organisationsarbeit. Als Teil einer Top-Down Strategie, um die „Service-Employees International Union“ (SEIU) wieder aufzubauen, erreichte sie vor allem einfache migrantische Arbeiter.
Militante Demonstrationen, die gewalttätige Antwort der Polizei und öffentlichkeitswirksame Aktionen wurden von Ken Loach in seinem Film „Brot und Rosen“ in Szene gesetzt. Migrantische Arbeiter waren oft gewillt, hohe Risiken einzugehen, wie den Verlust des Arbeitsplatzes (Waldinger et al 1998: 117, zit. n. ebd.).
Es gab weitere Arbeitskämpfe, die von der Basis organisiert wurden, etwa die lateinamerikanischer Immigranten um höhere Löhne und Krankenversicherung oder mexikanischer Bauarbeiter um bessere Bezahlung (Milkman/Wong 2000). Diese Arbeitskämpfe lehren, dass migrantische Arbeiter organisiert aktiv werden und Erfolg haben können, auch unter schwierigen Umständen. In den Industrien, in denen sie sich organisiert hatten, gab es bis dato kaum Gewerkschaften; im Fall der Bauarbeiter sahen sie sich ständigen Angriffen durch die Unternehmer ausgesetzt. Die Arbeiter, die oft kaum richtig Englisch sprachen, konnten ihre Ziele trotz Einschüchterung, Gewalt und drohender Abschiebung durchsetzen.
Die Organisation migrantischer Arbeiter im Vereinigten
Königreich
Der Nachkriegskapitalismus in Großbritannien war zum großen Teil von Migranten aus Westindien, Indien und Pakistan abhängig, die die am schlechtesten bezahlten Jobs in der Textilindustrie und im Öffentlichen Sektor ausübten. In seinem Tagebuch dokumentiert Hassan Mahamdallie, wie sich Migranten aus Asien seit den 1960ern vermehrt mit ihren Arbeitgebern anlegten und sich dabei sowohl mit dem Rassismus von Gewerkschaftsfunktionären als auch dem ihrer Bosse auseinandersetzen mussten (Mahamdallie 2007). Der Streik asiatischer Arbeiter bei der Firma Imperial Typewriters in Leicester 1974 wurde zu einem Politikum, als er neben Lohnfragen auch Fragen von Rassismus und Demokratie in den Gewerkschaften thematisierte. Die Streikenden mussten sich dabei mit dem offenen Rassismus sowohl weißer Gewerkschaftsmitglieder als auch der Funktionäre auseinandersetzen. Die Herausforderung, die der Kampf für die Rechte migrantischer Arbeiter für die britischen Gewerkschaften darstellte, fand ihren Höhepunkt in Grunwick zwei Jahre später, als vornehmlich asiatische Frauen gegen jämmerliche Löhne und Arbeitsbedingungen protestierten. Dabei ergab sich eine großer Unterschied zwischen der lauen Unterstützung durch die TUC und der massiven Unterstützung durch einfache Gewerkschafter: „Grunwick war der wichtigste Arbeitskampf in der Geschichte der britischen Arbeiterbewegung hinsichtlich des Bewusstseins schwarzer und farbiger Arbeiter, die nicht vorbereitet waren, Gewerkschaften beizutreten und somit den Lohn der weißen Arbeiter unterliefen.“ (Ebd.)
Die Position des Dachverbandes TUC war nicht immer von Solidarität geprägt – nicht einmal in rhetorischer Hinsicht. In den 30 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg nahmen der TUC und einige Mitgliedsgewerkschaften nicht selten offen feindliche Positionen Migranten gegenüber ein und versuchten, diese aus gewissen Branchen auszuschließen. In den Betrieben gab es sehr unterschiedliche Reaktionen, von der Zurückweisung der Mitgliedschaft für dunkelhäutige Arbeiter in manchen Berufsgewerkschaften bis hin zur aktiven Anwerbung durch mehrsprachige Flugblätter (Castle/Kovack 1973).
Vom Mai 2004 an kamen Arbeiter aus den neuen EU-Staaten, zwei Drittel davon aus Polen (Borderand Immigration Agency 2007), die im Vereinigten Königreich Arbeit suchten. Diese neue ‚Welle‘ von Migranten war jünger und weiblicher als vorherige – mit 82 Prozent zwischen 18 und 34 Jahren und einem Frauenanteil von 43 Prozent (ebd.). Die TUC und ihre angeschlossenen Gewerkschaften reagierten nun positiv, zum Teil als Folge von Politiken, für die sich vor allem Sozialisten in der Bewegung stark gemacht hatten, durch die Selbstorganisation farbiger Menschen und teils auch, weil eine kleine Sektion der TUC bereits mit portugiesischen Gastarbeitern gearbeitet hatte. Die Antwort der Gewerkschaftsbürokratie war zudem von der Erkenntnis geprägt, dass der Zustrom von Arbeitern in Millionenhöhe die Situation am Arbeitsmarkt fundamental ändern und die Nichtorganisation dieser Arbeiter die Gewerkschaften schwächen würde.
Die Rekrutierung polnischer Arbeiter bot neue Herausforderungen für die Gewerkschaften. Eine große Anzahl konzentrierte sich auf den privaten Sektor und in Leiharbeitsfirmen, wo Gewerkschaften wenig Macht und Einfluss hatten. Sprachbarrieren, fehlende Bankkonten, aggressive und bösartige Unternehmer und begrenzte Gewerkschaftsfinanzen machten die Sache nicht einfacher. Nichtsdestotrotz erwies sich die Basis der britischen Gewerkschaften als innovativ und ideenreich. So wurde ein polnischer Gewerkschafter zur Nordwestlichen TUC delegiert. Der Union Learning Fund[3] wurde genutzt, um am Arbeitsplatz Sprachkurse zu organisieren. In Zusammenarbeit mit Rechtshilfevereinen, Kirchen und Kommunalen Gruppen wurden „Kenne deine Rechte“-Events organisiert. In East Anglia veranstaltete die GMB-Gewerkschaft Angelausflüge, um polnische und englische Arbeiter einander näher zu bringen (Fitzgerald/Hardy 2007).
Wo polnische Arbeiter organisiert wurden, streikten sie zusammen mit britischen Arbeitern. Eine Studie von Bridget Anderson fand heraus, dass der noch niedrige gewerkschaftliche Organisationsgrad polnischer Arbeiter nicht, wie behauptet, auf antigewerkschaftliche Vorurteile, sondern auf andere Faktoren zurückzuführen war (Anderson/Clark/Parutis 2006). Es gäbe, so die Studie, im Gegenteil viel Interesse an gewerkschaftlicher Organisation. Die nichtorganisierten Arbeiter gaben zumeist praktische Gründe an, wie Kosten, Mangel an Informationen, oder sie verwiesen auf die Tatsache, dass sie nur kurze Zeit im Vereinigten Königreich blieben. Weniger als zehn Prozent nannten ideologische Gründe oder negative Erfahrungen mit Gewerkschaften als Gründe für das Nichtbeitreten. Als Motiv für die Mitgliedschaft wurden nicht nur praktische Aspekte (Rechtsschutz, gewerkschaftliche Dienstleistungen, „Versicherung“) genannt; Motive waren auch das Gemeinschaftsgefühl am Arbeitsplatz und die Erkenntnis, dass es ein „Schwert der Gerechtigkeit“ geben müsse.
Debatten über die Organisation von Migranten
Um die Organisierung von Migranten haben sich viele Debatten entsponnen, besonders um die Frage von „community unionism“ und separaten Organisationen. Die Idee des „community unionism“ wurde zu großen Teilen in den USA entwickelt und konzentrierte sich meist auf die Existenz von „Worker Centers“ (Fine 2006). Diese Zentren bekamen immer mehr Einfluss, weil Migranten mit traditionellen Methoden nur schlecht erreicht und ihre Probleme am Arbeitsplatz nur schwer angegangen werden konnten. Auch kümmerte man sich dort um weitergehende Probleme wie Unterbringung und rechtlichen Aufenthaltsstatus. Worker Centers kombinieren Dienstleistungen, Rechtsbeistand und Organizing, sowohl durch individuelle Unterstützung als auch durch kollektive Aktionen. Im Mai 2005 gab es 137 dieser Zentren in den USA, 122 von ihnen werden zumeist von Immigranten frequentiert. Allerdings verließen sich diese Zentren eher auf breit angelegte Kampagnen als darauf, die Organisation am Arbeitsplatz in den Mittelpunkt zu stellen. Fine kommentiert: „Während ich meine Studie durchführte, war ich darüber erschrocken, wie wenig die Workers Centers die ökonomische Macht der migrantischen Arbeiter selbst einsetzten.“ (Ebd.: 257) Manche der Zentren haben sich von durch die Gewerkschaft inspirierten, radikalen öffentlichen Protestgruppen zu kleinen Unternehmen entwickelt, die unter dem Modewort „Social entrepreneurship“ firmieren. Die East Los Angeles Community Union beispielsweise wurde durch die United Auto Workers in den 60er Jahren gegründet und schaffte es mithilfe einer ausgefeilten Kampagne, den öffentlichen Wohnungsbau voran zu bringen. Seitdem hat es sich jedoch in ein gewinnorientiertes Grundstückverwaltungs- und Entwicklungsunternehmen verwandelt (Pratt Center for Community Development).
Ein Äquivalent zu den Worker Centers existiert im Vereinigten Königreich nicht, auch wenn die Kampagne „Campaign for a Living Wage“ manche dieser Politiken aufgegriffen hat. Die East London Community Organisation (Telco), schaffte es, manche Unternehmer zu überzeugen, den Living Wage von 7.20 Britischen Pfund (im Gegensatz zum Mindestlohn) zu zahlen. Dem folgte eine Kampagne der Gewerkschaft TGWU, die ungefähr 1500 Reinigungskräfte rekrutierte und mit führenden Subunternehmern in Canary Wharf Tarifverträge abschloss (Wills 2008).
Für diese mit am schlechtesten bezahlten und behandelten Berufsgruppen Verbesserungen herauszuschlagen war ein großer Erfolg. Weiterhin brachte die Kampagne antirassistische Ideen in den Mainstream der Gewerkschaftsbewegung. Die Idee des „community organising“ birgt allerdings auch Gefahren: Das Prinzip, „eine Vielfalt an Akteuren mit einer Vielzahl von Interessen“ zusammen zu bringen, tendiert dazu, die Existenz einheitlicher sozialer Klassen aus dem Bewusstsein zu verdrängen (ebd.: 306). Lohnarbeiterthemen werden zunehmend nur noch als Probleme spezifischer „Communities“ formuliert, allgemeine Klasseninteressen werden durch die Brille von „community“, Immigration, Hautfarbe und Religion betrachtet. Der Zusammenhalt im Rahmen ethnischer Gemeinschaften ist sehr wichtig, wenn es um die Unterstützung von Streiks geht; sie waren der Schlüssel zum Bergarbeiterstreik von 1984-85. Oft haben migrantische Arbeiter ihre eigenen Netzwerke, Gemeinschaften und Traditionen. Doch letzten Endes ist es nur die Einheit der sozialen Klasse – Männer und Frauen, Migranten und Einheimische –, welche die Kraft verleiht, Arbeitskämpfe zu gewinnen.
Die zweite Debatte beschäftigt sich mit der Frage spezieller Zweiggewerkschaften für migrantische Arbeiter, was manche als Spaltpilz innerhalb der Arbeiterklasse ansehen. Dafür gibt es im Vereinigten Königreich nur ein Beispiel – das von GMB Southhampton, die einen polnischen Zweig haben. Unterm Strich muss man feststellen, dass viele polnische Arbeiter (auch die aus anderen neuen EU-Ländern) kein Englisch sprechen und keinen Zugang zu Sprachkursen haben. Die Southhampton-Branche wurde auf Wunsch der polnischen Gemeinde eingerichtet; beim ersten Treffen 2006 drängten sich über 100 Menschen in einem kleinen Pub (Fitzgerald/Hardy 2007). 2008 war die Gruppe von 50 auf 500 Mitglieder angewachsen und brachte viele polnische Aktivisten und Organizer hervor. Dies wirkte wie ein Katalysator für die Rekrutierung und Organisierung an anderen Arbeitsplätzen.
Es gibt nicht viele solcher Präzedenzfälle. Es sollte aber daran erinnert werden, dass die Sozialistische Partei Amerikas[4] am Beginn des 20. Jahrhunderts sieben fremdsprachige Gewerkschaften gegründet hatte, die erfolgreich neu angekommene Migranten organisierten. Sie galten als die radikalsten Sektionen der Partei und wurden 1919 zusammen mit anderen ausgeschlossen, da sie nach der russischen Revolution auch in Amerika Revolutionen für möglich hielten. Eigene fremdsprachige Gewerkschaften zu gründen ist sicher keine Dauerlösung, könnte jedoch dazu beitragen, der Einheit von britischen und polnischen Arbeitern ein Stück näher zu kommen.
Krise und Migration
In der gegenwärtigen Krise (2008ff.) sind migrantische Arbeiter als erste von Arbeitslosigkeit bedroht und sehen sich nicht selten der Gefahr der Abschiebung ausgesetzt. Die tschechische Regierung hat z.B. für entlassene Arbeiter 500 Euro und ein Rückfahrticket bereitgestellt. Das klingt vergleichsweise altruistisch, schaut man nach Italien, wo es zu Massenabschiebungen kam. In Russland arbeiten an die 10 Millionen Migranten, von denen unverhältnismäßig viele von Armut und Verfolgung betroffen sind, vor allem nachdem die Baubranche in die Krise geriet. Eine in Moskau agierende Menschenrechtsgruppe berichtet, dass in nur 12 Monaten zehn Menschen durch rassistische Anschläge ihr Leben verloren haben. Auch für ärmere und Entwicklungsländer ergeben sich Probleme, z.B. wenn die Geldüberweisungen der Emigranten ausbleiben. Diese bilden oft einen signifikanten Teil des heimischen BIP, z.B. in Südostasien, und sorgen für den Lebensunterhalt vieler Familien.
Als Mitte 2008 im Vereinigten Königreich der Wert des Pfunds gegenüber anderen Währungen in den Keller stürzte, darunter auch gegenüber dem polnischen Zloty, gab es Berichte über den massenhaften Exodus polnischer Arbeiter. Es gibt aber keine Daten zu den Auswirkungen der Krise auf die Migration, nur Mutmaßungen auf anekdotischer Basis. Die gegenwärtige Krise ist global, und die einzige Frage lautet, wie tief sie sein und welche spezifische Form sie in verschiedenen Ökonomien noch annehmen wird.
Fazit
Der Kapitalismus ist ein System, das auf dem Prinzip von Teilen und Herrschen basiert. Immer wieder haben die Regierungen in Großbritannien die Ausländerkarte gespielt oder versucht, mit Fremdenhass Arbeiter gegeneinander aufzuwiegeln. Die Finanzblasen in den USA und im Vereinigten Königreich sind nun geplatzt, die Länder bewegen sich auf die Krise zu und immer mehr Arbeitsplätze fallen weg, wobei migrantische Lohnarbeiter als erste getroffen werden. Die Angst einheimischer Arbeiter mag berechtigt sein, doch es besteht immer die Gefahr, dass ihre ausländischen Kollegen als Sündenböcke missbraucht werden. Für Sozialisten ist es eine zentrale Aufgabe, an ihrem Arbeitsplatz und in ihren Gewerkschaften die Sache ins rechte Licht zu rücken und ausländische Arbeiter gegen solche Anschuldigungen in Schutz zu nehmen. Die Implementierung neoliberaler Regularien in ganz Europa hat zu einer verschärften Konkurrenz geführt, die im Kern anarchisch ist. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass migrantische und einheimische Arbeiter gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen und darin auch erfolgreich sein können. Wir müssen sozialistische Ideen unter migrantischen Arbeitern ebenso stärken, wie wir unter einheimischen Arbeitern für eine internationale Perspektive eintreten müssen.
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* Entnommen aus: International Socialism. A quarterly review of socialist theory (London), Nr. 122, 2009; geringfügig gekürzt. Übersetzung: Alan Ruben van Keeken.
[1] Litauen, Lettland, Estland, Ungarn, Polen, Slowakei, Slowenien und die Tschechische Republik.
[2] Ein Teil des für diesen Artikel verwendeten empirischen Materials wurde im Rahmen des Projekts „zwischenstaatliche Gewerkschaftszusammenarbeit und die Migration polnischer Arbeiter“ gesammelt. Das Projekt wurde zwischen Februar 2007 und April 2008 durch das Economic und Social Research Council finanziert und von Ian Fitzgerald geleitet.
[3] Der Union Learning Fund wurde 1988 durch die Regierung eingeführt, um Gewerkschaften zu ermutigen, ihre Mitglieder im Rahmen einer „Lernenden Gesellschaft“ zu aktivieren. Die Rolle des von der Gewerkschaft gestellten Bildungsbeauftragten ist dabei ähnlich der Gewerkschaftssicherheits- und Gesundheitsbeauftragten. Siehe auch www.unionlearningfund.org.uk.
[4] Die Partei wurde 1905 gegründet und war eng mit der Arbeiterbewegung verbunden.