Kapitalismusanalyse – methodische Aspekte

Missverständnisse über Kapitalismus

Dezember 2011

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Die gegenwärtige Weltwirtschafts- und Finanzkrise stellt auch die Kapitalismuskritik vor eine große Herausforderung. Viele marxistische Analytiker bezeichnen die gegenwärtige Krise unpräzise als Systemkrise. Dabei ist es für eine Begründung der Alternativen von immenser Bedeutung, was genau sich hinter der gegenwärtigen Krise tatsächlich verbirgt. Denn die Geschichte des Kapitalismus ist im Grunde die Geschichte von Krisen. Mehr noch: Der Kapitalismus ist ohne Krise undenkbar, Krisen spiegeln einerseits den Wandel wider und sind andererseits in der Regel Momente der Wiederherstellung des Gleichgewichts und der Stabilität. Mit der Systemkrise meint man offenbar etwas ganz anderes, genau genommen eben das Ende des Kapitalismus, also nicht nur den Zusammenbruch des kapitalistischen Akkumulationskreislaufs (der Mehrwertproduktion, der Mehrwertrealisierung auf den Märkten, des Geld- und Kreditsystems), sondern auch den flächendeckenden Vertrauensverlust in die Zukunftsfähigkeit des Systems. Meinte man mit der Systemkrise diesen finalen Zustand, der bevorsteht, der aber gegenwärtig nur durch diverse Rettungspakete, letztlich also durch Steuergelder, künstlich aufrechterhalten wird, dann bestünde die Lösung unserer aller Probleme nur noch darin, das System zu überwinden. Oder handelt es sich bei der gegenwärtigen Krise nicht um eine Systemkrise, wie oben beschrieben, sondern um die Krise einer spezifischen Erscheinungsform des Kapitalismus? Dann wäre allerdings zu untersuchen, worin das Spezifische der in die Krise geratenen Erscheinungsform des Kapitalismus bestehen soll.

Diese Differenzierung ist unabdingbar und zwar nicht nur aus Gründen wissenschaftlicher Konsistenz. Sie ist auch hoch politisch, weil nur dadurch möglich wird, analytische Fehleinschätzungen und politische Sackgassen zu vermeiden. Haben wir in der letzten 200-jährigen Geschichte des Kapitalismus nicht lernen und auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Kapitalismus stets in der Lage war, seine Krisen zu überwinden, weil diese eben keine Krisen im Sinne des Systemzusammenbruchs waren? Und haben wir uns nicht auch endlich angesichts der historischen Erfahrungen antikapitalistischer Bewegungen fragen müssen, ob diese Bewegungen oft deshalb gescheitert sind, weil sie stark dazu neigten, jede kleinere und größere Krise als Systemkrise zu deklarieren und, in trügerischer Hoffnung auf die Revolution, die angeblich vor der Haustür stünde, sich folglich jegliche Handlungsperspektive für radikale Reformen zu verbauen?

Die Verlockungen, sich über die komplexen Krisenursachen tatsächlich hinwegzusetzen und alle Krisenerscheinungen, aber auch alle konfliktreichen Ereignisse – selbst wenn sie nur vermittelt kapitalistisch begründet waren – undifferenziert dem Kapitalismus zuzuschreiben, waren schon immer stark. Diese reduktionistische Methode dominierte historisch das Denken linker Analytiker und die Programmatik linker Parteien. Sie beherrscht auch heute noch weitgehend die linken Debatten.[1] In vielen politischen Kongressen und Publikationen nach der zweiten Weltwirtschafts- und Finanzkrise in 2009 haben beispielsweise verheißungsvolle Attribute wie „das Ende“ oder „die letzte“ Hochkonjunktur.[2] Ohne Frage, der Kapitalismus spielte bei allen Ereignissen der vergangenen Jahrhunderte eine entscheidende Rolle. Allerdings ist die überaus wichtige Frage die, ob und inwiefern Krisenerscheinungen und die für die Menschheit folgenreichen Ereignisse ausschließlich oder gar „in letzter Instanz“, wie Friedrich Engels sagen würde, aus den inneren Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen der Kapitalakkumulation herrühren oder ob auch andere Faktoren dabei berücksichtigt werden müssten, die einer eigenen von der kapitalistischen unterscheidbaren Logik und außerhalb des kapitalistischen Akkumulationskreislaufs zu suchen sind.

Diese Frage muss m. E. jedoch sowohl bei Phänomenen wie dem Kolonialismus und dem Imperialismus sowie bei historischen Katastrophen wie dem Faschismus und den beiden Weltkriegen ebenso gestellt werden wie bei zahlreichen Kriegen in den letzten 60 Jahren, letztlich auch bei der gegenwärtigen globalen Hunger- und Klimakrise sowie der Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass die historisch äußerst komplexen Ereignisse und Krisen nicht isoliert, sondern im historischen Kontext des Zusammenwirkens des Kapitalismus mit Bedingungen und Faktoren, die ihrem Wesen nach von ihm, dem Kapitalismus, unabhängig sind, real aber existieren, überhaupt angemessen erfasst werden können. Mit der Ausklammerung dieser Frage und der Reduktion der Ursachen aller konfliktreichen Entwicklungen auf den Kapitalismus mag man zwar moralisch immer auf der richtigen Seite stehen, weil der Kapitalismus ohnehin ein ausbeuterisches System ist, dass man immer wieder auf die Anklagebank setzen kann, diese Reduktion wird aber politisch ziemlich oft zu einer Falle, die man sich selbst stellt: Einerseits erschiene bei allen aktuellen Krisen und konfliktreichen Ereignissen keine andere Lösungsperspektive im Bereich des Möglichen als eben eine Beseitigung des Kapitalismus oder – sofern dies unmittelbar nicht möglich ist – bestenfalls auf sein Ende zu warten und, dabei in dieser naiven Haltung verharrend, alle politisch wirkungsvollen Gelegenheiten zu Reformen preiszugeben, die unterhalb der Systemfrage anzusiedeln sind. Andererseits wird dadurch ebenso naiv die Illusion verbreitet, jenseits des Kapitalismus würde das Paradies auf Erden kommen und eine Welt entstehen, die frei von allem Übel ist. Robert Kurz, der sicherlich zum Kreis der wichtigsten Kapitalismuskritiker im deutschsprachigen Sprachraum zählen dürfte, um ein prominentes Beispiel zu nennen, kann als der authentischste Vertreter dieser Strömung genannt werden. Seine auf hohem analytischen Niveau geschriebenen Publikationen, ganz besonders sein umfangreiches Werk „Schwarzbuch Kapitalismus“,[3] sind ein Beleg für das, was ich als Kapitalismusfalle bezeichne.

Nun wäre es müßig, nach Motiven zu forschen, die antikapitalistische Analytiker und Bewegungen zur reduktionistischen Methode der Kapitalismusfixierung und Ausblendung aller Faktoren verleiten, die mit den Gesetzmäßigkeiten der Kapitalverwertung nicht erfasst werden können. Ich werde im Folgenden versuchen darzulegen, dass die Hauptursache der reduktionistischen Methoden darin besteht, in der Analyse den Unterschied zwischen dem Logischen und dem Historischen Kapitalismus zu übersehen und, dass die Missachtung dieses Unterschieds politisch verhängnisvoll war und auch heute noch ist.

Über den Unterschied zwischen Logischem und Historischem Kapitalismus

Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien ist eine wichtige Voraussetzung, um die kapitalistisch dominierte Welt besser verstehen und den jeweils aktuellen Zustand möglichst objektiv und präzise abbilden zu können. Denn die Realität kapitalistischer Gesellschaften ist immer eine Synthese aus der Wechselbeziehung zwischen konkreten Verwertungsmechanismen des Kapitals und dessen jeweils historischem Umfeld. In der Regel pflegt man in der marxistischen Literatur mit der Unterscheidung zwischen Manchesterkapitalismus, dem Angelsächsischen, dem Rheinischen, dem Skandinavischen, dem Chinesischen Kapitalismus begrifflich den verschiedenen historischen und regionalen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Tatsächlich verbergen sich hinter diesen Typen von Kapitalismus zwei unterschiedliche Akkumulationsmodelle, die in jeweils zahlreichen Varianten auftreten. Im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts dominierte die absolute Mehrwertproduktion (extensives Modell der Kapitalakkumulation), weil das Kapital auf dieser Grundlage angesichts der „überschüssigen“ Bevölkerung, damit der Massenarbeitslosigkeit und des Lohndumpings, höchste Profitraten erzielte, während in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dank keynesianischer Wirtschaftspolitik und drastischer Abnahme der „Reservearmee“ in den Nachkriegsjahren sich die Methode der relativen Mehrwertproduktion (des intensiven Modells der Kapitalakkumulation) durchsetzte, das Lohnniveau anstieg und die Profitraten zu sinken begannen. Der Manchesterkapitalismus ist der ausgeprägteste, jedoch keineswegs der einzige Typ des Modells absoluter Mehrwertproduktion. Wie damals in Europa dieses Modell in jedem Land seine besondere Ausprägung fand, nimmt es heute in den Entwicklungs- und Schwellenländern Formen und Merkmale an, die – wie wir sie in China, Indien, Brasilien, Mexiko und anderen Ländern beobachten können – beträchtliche Unterschiede aufweisen. Ähnliches gilt auch für das Modell der relativen Mehrwertproduktion, die wir in vielen Varianten kennen.

Diese Beobachtung dürfte vorerst ausreichen, um folgende Hypothese zu formulieren: Unterschiedliche Rahmenbedingungen haben offensichtlich entscheidenden Einfluss auf das jeweils herrschende Modell der Kapitalakkumulation, so dass die Realität kapitalistischer Gesellschaften stets als eine Synthese zwischen kapitalistischen Funktionsmechanismen und deren gesellschaftlich-geografisch spezifischem Umfeld oder – wenn man so will – als eine Modifikation des Logischen Kapitalismus durch äußere Faktoren erscheint. Hieraus folgt auch die methodisch unabdingbare Schlussfolgerung, dass im ersten Schritt die logischen Analyseebenen von den empirischen zu trennen sind, um dann in einem weiteren Schritt die synthetische Realität umfassend und präzise erfassen zu können. Mit anderen Worten, es wäre unwissenschaftlich, konkrete Erscheinungen wie Hungersnöte, Kriege, Massenarbeitslosigkeit, Finanzkrisen, Vollbeschäftigung etc. ausschließlich aus dem Kapitalbegriff herleiten zu wollen.

Marx selbst entwickelte dazu systematischer als anderswo in seiner Darlegung der „Methode der politischen Ökonomie“ in den „Grundrissen“ die Aneignung der Realität vom Abstrakten zum Konkreten: „Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und Vorstellung ist. Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens.“[4]

Der Begriff vom Kapital ist die gedankliche Rekonstruktion eines historisch entstandenen Ganzen, der sowohl seine einzelnen genetisch-strukturell entwickelten Bestandteile wie die Wechselwirkung dieser Bestandteile erfasst. Er ist die gedanklich rationale Aneignung der kapitalistischen Wirklichkeit. Er umfasst die Gesetzmäßigkeiten der Kapitalverwertung, die innere Gliederung, die organischen Beziehungen, Triebkräfte und Bewegungen, die Konkurrenz. „Die Analyse von Marx bewegt sich auf zwei Ebenen“, schreibt der marxistische Philosoph Jindrich Zelený in seinem Werk „Wissenschaftslogik und das Kapital“: „auf der Ebene der theoretischen Entwicklung (zuweilen spricht Marx von logischer Entwicklung’) und auf der Ebene der wirklichen historischen Bewegung. Jedoch ist die Bewegung auf der Ebene der theoretischen Entwicklung abgeleitet, ist in gewisser Hinsicht ebenfalls Bewegung der wirklichen Geschichte, insofern sie divergieren und auch in entgegengesetzter Richtung als Bewegung der wirklichen Geschichte verlaufen kann. Die Bewegung auf der Ebene der theoretischen Entwicklung ist keine Konstruktion a priori, sondern ‚spiegelt … nur das Leben des Stoffes wider’ […]. Das unaufhörliche Oszillieren zwischen der abstrakten dialektischen Entwicklung und der sinnlichen konkreten historischen Wirklichkeit durchdringt das gesamte ‚Kapital’ von Marx. […] Diese Loslösung (der beiden Ebenen M.M.) ist nicht im Interesse der Entfernung von der historischen Wirklichkeit […] und es ist keine idealistische Flucht vor der Wirklichkeit. Sie erfolgt vielmehr im Interesse der rationalen Aneignung der Wirklichkeit, im Interesse der Annäherung an die Wirklichkeit. […] Dieses ‚ideelle’ Verfahren der gedanklichen Reproduktion der Wirklichkeit ist notwendig, um die faktisch-historische Wirklichkeit zu begreifen, aber es wäre ein Fehler anzunehmen, dass es irgendwann die faktische historische Wirklichkeit ersetzen würde.“[5]

Der Kapitalismus als Begriff, als gedankliche Rekonstruktion der Wirklichkeit und in seiner logischen Reinheit ist ein Steuerungs- und Regulationssystem, das auf dem Umstand beruht, die menschliche Arbeitskraft unaufhörlich der abstrakten Wert- und Mehrwertproduktion zu unterwerfen. Seine innere Dynamik und die ihm innewohnende Konkurrenz zwingen ständig zur Vermehrung des abstrakten Reichtums, in dem er, der Kapitalismus, einerseits eine immer größere Anzahl menschlicher Arbeitskraft, über Regionen, Länder und Kontinente hinweg, in seinen Bann zieht und andererseits gleichzeitig menschliche Arbeit überflüssig macht. In seiner Reinheit funktioniert der Kapitalismus insofern unabhängig von Zeit und Raum nach demselben Prinzip, er hat keine Seele, keine Moral und unterscheidet weder zwischen Religionen noch ethnischen Zugehörigkeiten der Menschen, die Wert und Mehrwert produzieren. Im Grunde genommen ist er vergleichbar mit einem unsichtbaren Maschinennetzwerk, bei dem die Konkurrenz eine sich selbst versorgende Antriebskraft darstellt, die nach dem Prinzip perpetuum mobile nie zum Stillstand kommt und alle Teile des Netzwerkes (individuelle Kapitale) in Bewegung hält. Die Aufgabe dieses unsichtbaren seelenlosen Maschinennetzwerks (nach Adam Smith die unsichtbare Hand) ist die ständige Suche nach neuen Quellen menschlicher Arbeitskraft, um deren Umfang quantitativ und qualitativ zu vermehren und sie qualitativ zu verdichten. Der Prozess der Verdichtung der menschlichen Arbeit im technischen Sinne ist nichts anderes als das, was Marx im werttheoretischen Sinne als Prozess der Vermehrung des abstrakten Reichtums als Hauptzweck der kapitalistischen Produktionsweise bezeichnet hat. Hinter diesem Prozess verbirgt sich der Zwang zur Arbeit, zur Disziplinierung der Arbeitskraft, der Zwang zur Qualifizierung, zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung und zu allen technologischen Entdeckungen und Revolutionen.

Ich vergleiche die Funktionsweise des logischen, seinem „Begriff“ entsprechenden Kapitalismus bewusst mit der Arbeitsweise eines Maschinennetzwerks, um zugespitzt verständlich zu machen, dass der logische Kapitalismus als Begriff ausschließlich durch die eigenen inneren Gesetzmäßigkeiten und Triebkräfte erklärt werden kann – und auch muss. Um die Komplexität der gesellschaftlichen Realität zu reduzieren, erfordert die Analyse der reinen Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Akkumulation die Abstraktion vom jeweils historisch vorzufindenden Umfeld und die Herstellung von quasi Laborbedingungen. Durch diese Methode der Trennung des logischen Kapitals von seinem konkreten geografischen, politischen und sozialen Umfeld kann überhaupt erreicht werden, dass einerseits die Realität, d. h. der historische Kapitalismus in seinen synthetisch unterschiedlich gebildeten Erscheinungsformen, differenziert wahrgenommen wird und andererseits die jeweils spezifisch historischen Besonderheiten identifiziert werden. Erst auf diesem Wege können die Ursachen z. B. der gegenwärtigen Finanzkrise, die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit, der Wachstumskrise oder aber auch die Hintergründe – um ein völlig anderes Beispiel zu nennen – der US-Kriege in der Gegenwart präzise erforscht werden. Nur so können auch die Adressaten des politischen Handelns angemessen herausgearbeitet und benannt werden. Andernfalls läuft man Gefahr, die tatsächlichen Krisen- und Konfliktstifter im Dunklen zu lassen oder gar von ihnen abzulenken. Bei den kritischen Analysen des US-Krieges in Irak, um nur ein Beispiel herauszugreifen, wurde überwiegend wie selbstverständlich und als ein ritualisiertes „Muss“ reduktionistisch ein wie auch immer geartetes kapitalistisches Motiv unterstellt. Profitmaximierung als Hauptmotiv mag bestenfalls dazu geeignet sein, für die moralische Verurteilung des Krieges und Fixierung des Feindbildes eine plausible Handhabe zu liefern. Zur Erweiterung des analytischen Blicks, um die gesamten komplexen Vorgänge realitätsnah und politisch weiterführend abzubilden, taugt diese Plattitüde jedenfalls nicht. Hegemonialpolitische Interessen, die dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben, folgen beispielsweise der machtpolitischen Logik und können als solche den Profitmaximierungsinteressen des hegemonialen Staates oder Blocks sogar zuwiderlaufen.[6] Daher bin ich auch überzeugt, dass derartig reduktionistisches Vorgehen zur Beurteilung der Realität nur noch dazu beiträgt, dass die kapitalismuskritische Bewegung in ihrem Schattendasein weiter ausharrt. Sie wird so nie und nimmer dazu fähig werden, die historische Perspektive „Jenseits des Kapitalismus“ zu denken, erst recht nicht, sie politisch vorzubereiten und durchzusetzen.

Marx’ Ausführungen über die „Methode der politischen Ökonomie“ in den Grundrissen, um auf die methodischen Fragen zurückzukommen, enthalten allerdings keine systematische Begründung für die Notwendigkeit der methodischen Trennung zwischen der abstrakt logischen Analyse und den konkret historischen Erscheinungen, er äußert sich jedoch dazu immer wieder und an vielen Stellen der „Grundrisse“ und des „Kapital“ und bleibt auch selbst dieser Methode durchgehend treu. Will man sich über den Charakter der einzelnen Kapitel, Abschnitte und Teile in den drei Bänden des „Kapital“ differenziert nach logischen bzw. historischen Aspekten einen Überblick verschaffen – Marx selbst hat dazu keine näheren Angaben gemacht – so ergibt sich im Einzelnen folgendes Bild:

Marxens Abhandlungen mit ausschließlich oder wesentlich logischen Aspekten findet man im Band I in den ersten zwei Abschnitten (Ware und Geld sowie die Verwandlung des Geldes in Kapital) ferner im gesamten Band II sowie in den Abschnitten 2, 3 und 5 des III. Bandes (die Verwandlung des Mehrwerts in Profit und Durchschnittsprofit, Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate und die Spaltung des Profits in Zins und Unternehmergewinn). Hier erläutert Marx die historischen Bezüge oft in den Fußnoten teilweise sogar sehr ausführlich.

In allen anderen Abschnitten in Band I und Band III findet man dagegen eine Mischung von logischen Abhandlungen in Verbindung mit vielen historischen Beispielen, aber auch zusammenhängende Exkurse. Zu dieser Kategorie gehören in Band I der 3. Abschnitt (Die Produktion des absoluten Mehrwerts, insbesondere „der Arbeitstag“ im 8. Kapitel), der 4. Abschnitt (Die Produktion des relativen Mehrwerts), der 5. Abschnitt (Die Produktion des absoluten und des relativen Mehrwerts), der 6. Abschnitt (Der Arbeitslohn) und der 7. Abschnitt (Der Akkumulationsprozess des Kapitals). In Band III zählen zu den Abschnitten mit historischem Bezug der 1. Abschnitt (Die Verwandlung des Mehrwerts in Profit und der Rate des Mehrwerts in Profitrate), der 4. Abschnitt (Verwandlung von Warenkapital und Geldkapital in Warenhandlungskapital und Geldkapital) und schließlich der 6. Abschnitt (Verwandlung und Surplusprofit in Grundrente).

Das Methodenthema mag abstrakt und sehr mühselig sein, es ist jedoch weder unwichtig, noch soll es ein intellektuelles Bedürfnis befriedigen. Immerhin will ich die These begründen, dass Missverständnisse über den Kapitalismus für antikapitalistische Bewegungen politisch handlungsrelevant sind und nicht nur ihr Scheitern in der Vergangenheit zu einem gewissen Teil nachvollziehbar machen, sondern auch Erfolge in der Zukunft vereiteln können. Somit liegen gewichtige Gründe vor, das Thema zu vertiefen. Das „Kapital“ von Marx liefert uns hinreichend Stoff, den Unterschied zwischen dem Logischen und dem Historischen Kapitalismus besser zu verstehen und die Kapitalismuskritik zur Analyse der gegenwärtigen Globalisierung unter Berücksichtigung logischer wie historischer Bestimmungsfaktoren fruchtbarer zu machen. Die Illustration dazu soll am Beispiel von zwei Themenkomplexen des „Kapital“ stattfinden: zum einen am Beispiel der so genannten „ursprünglichen Akkumulation“ im ersten Band und zum anderen am Beispiel der „Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente“ im dritten Band des Kapital, somit einem Themenkomplex, dem Marx überdurchschnittlich lange Abschnitte gewidmet hat.

Die so genannte ursprüngliche Akkumulation

An keiner anderen Stelle im Kapital untermauert Marx seine Argumentation so stark mit der Darlegung historischer Abläufe wie im Kapitel 24 des ersten Bandes. Der Grund liegt auf der Hand: Hier geht es nicht um den Kapitalbegriff, um den Logischen Kapitalismus als einer bereits etablierten Produktionsweise, sondern um die Entstehung des Kapitals aus seinem historischem Umfeld und Ausgang, nämlich aus dem europäischen Feudalismus im Zeitraum 15. bis 19. Jahrhundert. Die Analyse der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals kann daher nur eine historische sein. Es geht um die Analyse der konkreten Sozialgeschichte Englands, also jenes Landes, in dem die Geburtsstunde des modernen Kapitalismus geschlagen hat. Dabei geht es um nichts weniger als um das Wissen, wie die Fundamente eines neuen Gesellschaftssystems mit eigener logischer Ordnungsstruktur und Funktionsmechanismen aus dem Schoß einer älteren Gesellschaft historisch hervorgegangen ist. Umso gewichtiger wird dieses Interesse wenn man weiß, dass dieser Prozess im globalen Maßstab immer noch nicht abgeschlossen, sondern immer noch im Gange ist. Gleich in der Einleitung des 24. Kapitels im Kapital, Band I, hebt Marx das Wesen und den Kern dieser epochalen Transformation hervor:

Das Kapitalverhältnis setzt die Scheidung zwischen den Arbeitern und dem Eigentum an den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit voraus. Sobald die kapitalistische Produktion einmal auf eigenen Füßen steht, erhält sie nicht nur jene Scheidung, sondern reproduziert sie auf stets wachsender Stufenleiter. Der Prozess, der das Kapitalverhältnis schafft, kann also nicht andres sein als der Scheidungsprozess des Arbeiters vom Eigentum an seinen Arbeitsbedingungen, ein Prozess, der einerseits die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsmittel in Kapital verwandelt, andrerseits die unmittelbaren Produzenten in Lohnarbeiter. Die sog. ursprüngliche Akkumulation ist also nichts als der historische Scheidungsprozess von Produzent und Produktionsmittel. Er erscheint als ‚ursprünglich’, weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise bildet“.[7]

Sodann arbeitet Marx den historischen Werdegang beider Stränge „des Scheidungsprozesses des Arbeiters vom Eigentum an seinen Arbeitsbedingungen und der Verwandlung der Lebensbedingungen und Produktionsmittel in Kapital teils deskriptiv, teils analytisch und Schritt für Schritt heraus. Im langwierigen Prozess sozialer Auseinandersetzungen zwischen den feudalen Bastionen und der aufsteigenden Bourgeoisie findet die Trennung der großen Masse der arbeitenden Menschen vom Grund und Boden und ihren handwerklichen Kleinbetrieben statt. Erst diese historisch neuartige soziale Selektion führte zur Entstehung der Lohnarbeit. In einer ebenso langwierigen parallelen Entwicklung entsteht aus reich gewordenen Kleinbauern, ehrgeizigen Handwerkern und den Manufakturbesitzern der industrielle Kapitalist, und zwar am Ende einer Kette der ineinander greifenden Stufen der Reichtumsproduktion durch Ausbeutung der Lohnarbeit sowie durch den kolonialistischen Raub der Reichtümer anderer Länder und die Entstehung funktionierender Kreditinstitutionen. Beide Stränge dieser historischen Transformation, die Entstehung des Lohnarbeiters und die Herausbildung des industriellen Kapitalisten, gehen in England über mehrere Jahrhunderte Hand in Hand. Der innere Markt ist das ökonomische und gesellschaftliche Transmissionsmedium, das beide Seiten der Maschinerie und der Kapitalakkumulation miteinander verzahnt und jene sozialen, technisch-wissenschaftlichen und kulturellen Antriebskräfte mobilisiert, die erforderlich sind, um die erste industrielle Revolution anzukurbeln.

Dieser historisch in diesem Umfang und in dieser Intensität einmalige Vorgang der Lostrennung der Menschen von ihren bäuerlichen Wurzeln und ihrer Unterordnung unter die neue Lebensweise in den neu entstandenen Standorten für den kapitalistischen Betrieb in der Stadt stellte an die überkommenen staatlichen Institutionen neue Anforderungen. Die Ungleichzeitigkeit der Lostrennung vom alten und die Absorption vom neuen sozialen und ökonomischen Umfeld erzeugten Elend, Armut und Vagabundentum großer Menschenmassen in einem bis dato nie gekanntem Ausmaß. Auch die nach außen gerichtete koloniale Expansion, die mit der nach innen gerichteten sozialen Umwälzung einherging, brachte vielfältige politische und militärische Anforderungen an dieselben staatlichen Strukturen mit sich. So entwickelte sich ein nach innen und nach außen gewaltsam agierender Staat. In diesem vorbürgerlichen Nationalstaat, der die Geburt des Kapitalismus begleitet und als eine Art Hebamme mit vorantreibt, scheint sich der Geist der nackten Gewalt – des dominierenden Herrschaftsmittels – der aussterbenden feudalen Gesellschaft mit der Rationalität des Geistes der im Entstehen begriffenen neuen Gesellschaft (Disziplin, Effizienz, Geschwindigkeit im Produktionsprozess, Kostensenkung) mit einer neuartigen Brutalität synthetisch gegen die Gattung Mensch verbündet zu haben. Die Entstehung des Kapitalismus (die ursprüngliche Akkumulation) stützte sich insofern auf vier Säulen: die Entstehung 1. des Lohnarbeiters, 2. des industriellen Kapitalisten, 3. des inneren Marktes und 4. der staatlichen Gewaltherrschaft. Diese begann in England Anfang des 15. Jahrhunderts und war am Ende des 18. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen. Der Auflösung der alten Gesellschaft und dem Beginn der neuen Epoche voller Entfaltung kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten stand nichts mehr im Wege. Es bietet sich an, dazu Marx selbst ausführlich zu vernehmen:

„So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriierte, verjagte und zum Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk-terroristische Gesetze in eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht, -gebrandmarkt, -gefoltert.

Es ist nicht genug, dass die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als Kapital treten und auf den andren Pol Menschen, welche nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Es genügt auch nicht, sie zu zwingen, sich freiwillig zu verkaufen. Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Übervölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit und daher den Arbeitslohn in einem den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den ‚Naturgesetzen der Produktion‘ überlassen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital. Anders während der historischen Genesis der kapitalistischen Produktion. Die aufkommende Bourgeoisie braucht und verwendet die Staatsgewalt, um den Arbeitslohn zu ‚regulieren‘, d. h. innerhalb der Plusmacherei zusagender Schranken zu zwängen, um den Arbeitstag zu verlängern und den Arbeiter selbst in normalem Abhängigkeitsgrad zu erhalten. Es ist dies ein wesentliches Moment der sog. ursprünglichen Akkumulation.“[8]

Ist das Kapitalverhältnis einmal aus den seinem Wesen nach fremden vorkapitalistischen Bedingungen hervorgegangen, so folgt das Kapital seiner eigenen inneren Logik der Kapitalverwertung und Kapitalakkumulation. Einerseits hebt sich der Kapitalismus mit allen seinen Funktionsmechanismen von seinem historischen Ursprung, dem europäischen Feudalismus, ab. Andererseits ist er in Wirklichkeit weiterhin in einem vorkapitalistischen Umfeld eingebettet, das räumlich Europa und den gesamten Globus umfasst. Im Grunde genommen bildet der Globus das globale Umfeld des Kapitalismus im Norden, in dem sich der Prozess der ursprünglichen Akkumulation immer noch fortsetzt.[9] Im Zeitalter der Globalisierung verzahnen sich beide Seiten des globalen Kapitalismus dialektisch und in verheerender Weise: Einerseits gerät die ursprüngliche Akkumulation in allen Transformationsgesellschaften des Südens und des Ostens unter den Konkurrenzdruck des entwickelten Kapitalismus des Nordens. Und andererseits begünstigen diese Bedingungen der ursprünglichen Akkumulation in Entwicklungsgesellschaften ihrerseits den Siegeszug der neoliberalen Konterrevolution in den kapitalistischen Kernländern, indem sich auch hier mehr oder weniger die Methoden der ursprünglichen Akkumulation wie Lohndumping, Verlängerung der Arbeitszeit, Zunahme des sozialen und psychologischen Elends für Millionen Menschen wiederkehren.

Die Verwandlung des Profits in Grundrente

In der kapitalistischen Gesellschaft resultiert die Grundrente daraus, um – wie oben angekündigt – das zweite Beispiel über das Verhältnis des Logischen Kapitals zu dessen historischen Umfeld zu illustrieren, dass das Kapital den Mehrwert mit einer ihm äußerlichen und systemfremden Eigentümerklasse teilen muss, die ihre sozialen und politischen Wurzeln historisch gesehen im europäischen Feudalismus hat und als Grundeigentümerklasse längst vor der Entstehung der Kapitalistenklasse präsent ist: „Die Analyse des Grundeigentums in seinen verschiedenen geschichtlichen Formen liegt jenseits der Grenzen dieses Werkes“, schreibt Marx in der Einleitung des sechsten Abschnittes des dritten Bandes des „Kapital“, um an der selben Stelle zu erläutern, warum er sich nur mit einer spezifischen Form des Grundeigentums befasst:

„Wir beschäftigen uns nur mit ihm, soweit ein Teil des vom Kapital erzeugten Mehrwerts dem Grundeigentümer anheimfällt. Wir unterstellen also, dass die Agrikultur, ganz wie die Manufaktur, von der kapitalistischen Produktionsweise beherrscht, d. h. dass die Landwirtschaft von Kapitalisten betrieben wird, die sich von den übrigen Kapitalisten zunächst nur durch das Element unterscheiden, worin ihr Kapital und die von diesem Kapital in Bewegung gesetzte Lohnarbeit angelegt ist. […] Die von uns betrachtete Form des Grundeigentums ist eine spezifisch historische Form desselben, die durch die Einwirkung des Kapitals und der kapitalistischen Produktionsweise verwandelte Form, sei es des feudalen Grundeigentums, sei es der als Nahrungszweig betriebnen kleinbäuerlichen Agrikultur, worin der Besitz von Grund und Boden als eine der Produktionsbedingungen für den unmittelbaren Produzenten und sein Eigentum am Boden als die vorteilhafteste Bedingung, als Bedingung der Blüte seiner Produktionsweise erscheint.“[10]

Marx entwickelt in diesem Abschnitt die bereits von Adam Smith und David Ricardo formulierten Ansätze zur Theorie der Grundrente einerseits systematisch in aller Ausführlichkeit und Differenzierung (Absolute Rente, Differentialrente I II.) weiter. Andererseits kann er mit Bezug auf die Geschichte und die Einbeziehung einer neben der Kapitalistenklasse existierenden Klasse der Grundeigentümer mit den eigenen vom Kapital unabhängigen gesellschaftlichen Machtressourcen erklären, weshalb das Kapital sich die im kapitalistischen Akkumulationskreislauf erzeugte Mehrwert- bzw. Profitmasse mit der Grundeigentümerklasse teilen muss und wie sich letztere einen Teil des Profits als Grundrente aneignet.

Der Leser mag hier schon ahnen, zu welch weitreichenden und Erkenntnis fördernden Schlussfolgerungen die Marxsche Methode der Absonderung des Logischen vom Historischen Kapitalismus und die synthetische Verbindung beider Ebenen führen kann: In kapitalistischen Gesellschaften können neben den Kapitalisten grundsätzlich auch soziale Gruppen an der Verteilung des Mehrwerts bzw. der gesamten Wertschöpfung teilnehmen, sofern sie über die Fähigkeit verfügen, gesellschaftliche Ressourcen zu monopolisieren. Im dritten Band des „Kapital“, geht es zwar um die Grundeigentümer, die durch die Monopolisierung des landwirtschaftlichen Grund und Bodens eine mächtige soziale Gruppe darstellen. Im Prinzip kann dieses Muster der Mehrwertaufteilung jedoch auf alle monopolisierbaren Ressourcen (Energiequellen, Rohstoffe, Gewässer, Standorte etc.), aber auch auf alle monopolisierbaren gesellschaftlichen Ressourcen (Medien, Wissen, Bildung, künstlerische Fähigkeiten) übertragen werden. Um die spezifischen Formen dieser Art von Mehrwertaneignung zu ermitteln, bedarf es allerdings der genauen Analyse der Besonderheiten des jeweiligen Monopols.

Mit anderen Worten reicht für die Analyse der kapitalistischen Wirklichkeit die Analyse der logischen Bewegung des Kapitals allein nicht aus. Sie muss vor allem durch die spezielle Analyse von gesellschaftlichen Machtressourcen vervollständigt werden, die entweder als Relikt vorkapitalistischer Epochen schon da sind oder jeweils neu entstehen und die Fähigkeit erlangen, die Teilhabe am erzeugten Reichtum durchzusetzen, ohne selbst eine eigene Leistung vollbracht zu haben. Tatsächlich ist die Geschichte des Kapitalismus seit seiner Entstehung in England bis zu seiner Globalisierung heute voll von allerlei monopolistischen Strukturen und Machtpotenzialen, die einer eigenen Logik folgen und sich neben und im Kapitalismus herausbilden. Monopolitische Machtressourcen folgen in der Regel der eigenen Logik der Teilhabe am produzierten Reichtum und an der Konservierung bestehender Verhältnisse, während die kapitalistische Logik die Tendenz hat, Verhältnisse zu revolutionieren und die Produktion von Reichtümern zu koordinieren. Als Beispiel kann auf die besondere monopolistische Macht der privaten oder staatlichen Eigentümer an natürlichen Ressourcen (fossile Energien, Mineralien) verwiesen werden,[11] ohne deren gesonderte Analyse jedwede Kapitalismuskritik unvollständig wäre.

Methodisches Resümee

Eine Kapitalismuskritik, die für sich den Anspruch erhebt, Handlungsstrategien zu formulieren, die der historischen Situation jeweils angemessen sind, kommt nicht umhin, die komplexe Wirklichkeit als synthetisches Ergebnis des Verhältnisses zwischen der Kapitalbewegung, die ihren logischen Gesetzmäßigkeiten folgt und dem historisch spezifischen Umfeld zu begreifen und die Komplexität durch die Trennung der Analyseebenen zu reduzieren. Eines der herausragenden Merkmale der wissenschaftlichen Leistung von Marx besteht nicht zuletzt auch in der Durchdringung der logischen und der historischen Seite der kapitalistischen Wirklichkeit.

In der kapitalistischen Gesellschaft beeinflussen die inneren Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus und die vielschichtigen gesellschaftlichen Faktoren um sie herum gegenseitig genau so wie die Naturgesetze durch ihre Umgebung. Beispielsweise fallen Gegenstände von welcher Höhe auch immer niemals so auf den Boden, wie sie herunterfallen würden, wenn ihre Fallbewegung ausschließlich von der Erdanziehungskraft bestimmt wäre. Der tatsächliche Verlauf der Fallbewegung ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenwirken der Erdanziehungskraft und anderer unabhängig davon wirkenden Kräfte, wie beispielsweise die Windkraft, die den Verlauf der Fallbewegung mit beeinflusst. Ohne methodische Selektion zahlreicher in verschiedene Richtungen weisender Kräfte wäre die Flugtechnik und erst recht die Mondlandung nicht möglich gewesen. Dieser Vergleich sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Analysen der gesellschaftlichen Wirklichkeit um ein Vielfaches komplizierter sind als die Analyse des Zusammenwirkens der Naturkräfte. Für die Entdeckung der reinen Gesetzmäßigkeiten der Kapitalbewegung bedurfte es jedenfalls der außergewöhnlichen Fähigkeiten der Abstraktion und der gedanklichen Rekonstruktion eines Genies wie Karl Marx, dem es gelang, die einzelnen Bewegungsmomente des Kapitalismus nicht nur in ihrer logischen Abfolge und in deren historischem Entstehungsprozess, sondern auch in ihrer Totalität präzise zu beschreiben und die zukünftige Entwicklung bis hin zur Globalisierung vorauszusagen. „Was viel wichtiger für uns ist“, schreibt Marx in den „Grundrissen“, „…zeigt unsre Methode die Punkte, wo die historische Betrachtung hereintreten muß, oder wo die bürgerliche Ökonomie als bloß historische Gestalt des Produktionsprozesses über sich hinausweist auf frühre historische Weisen der Produktion. Es ist daher nicht nötig, um die Gesetze der bürgerlichen Ökonomie zu entwickeln, die wirkliche Geschichte der Produktionsverhältnisse zu schreiben. Aber die richtige Anschauung und Deduktion derselben als selbst historisch gewordner Verhältnisse führt immer auf erste Gleichungen – wie die empirischen Zahlen z. B. in der Naturwissenschaft –, die auf eine hinter diesem System liegende Vergangenheit hinweisen. Diese Andeutungen, zugleich mit der richtigen Fassung des Gegenwärtigen, bieten dann auch den Schlüssel für das Verständnis der Vergangenheit – eine Arbeit für sich, an die wir hoffentlich auch noch kommen werden. Ebenso führt diese richtige Betrachtung andrerseits zu Punkten, an denen die Aufhebung der gegenwärtigen Gestalt der Produktionsverhältnisse – und so foreshadowing der Zukunft, werdende Bewegung sich andeutet.“[12]

Die bisherigen Überlegungen erlauben mir hinsichtlich der logischen und der historischen Analyseebenen folgende methodischen Schlussfolgerungen:

Der Logische Kapitalismus ist ein System der Kapitalakkumulation mit unendlich vielen Einzelkapitalien, deren Bewegungen sowohl die Dynamik und die Schwankungen wie aber auch Gleichgewichtszustände hervorrufen. In diesem System werden sowohl Kapitalisten wie Lohnarbeiter als bereits existent vorausgesetzt. Es herrscht vollständige Konkurrenz, zwischen allen Bestandteilen des Systems findet ein ungehinderter Austausch statt. Die Summe aller Preise deckt sich mit der Summe aller Werte, was impliziert, dass auch die Ware Arbeitskraft zum vollen Wert entlohnt wird. Der Logische Kapitalismus ist in der historisch materialistischen Betrachtung eine logische Konstruktion, wie die Figur des homo oeconomicus in der Nationalökonomie. Der Historische Kapitalismus umfasst dagegen die historisch jeweils wahrnehmbare Realität der kapitalistischen Gesellschaft als Synthese von Logischem Kapitalismus und den gesamten wirkungsmächtigen Faktoren im kapitalistischen Umfeld. Dieses Umfeld ist in Abhängigkeit von Raum und Zeit sehr verschieden und die eigentliche Ursache für den jeweils historisch, also in verschiedenen Epochen, Regionen und Ländern vorzufindenden Typ des Kapitalismus. In der Nationalökonomie werden diese unterschiedlichen Umstände als Dilemmastrukturen bezeichnet, die den homo oeconomicus jeweils formen.[13]

Mit anderen Worten, der Logische Kapitalismus folgt ausschließlich den Gesetzmäßigkeiten der Kapitalakkumulation in ihrer Reinheit und unabhängig von äußeren Gegebenheiten. Er ist eine von der geschichtlichen Wirklichkeit losgelöste Konstruktion zur rationalen Aneignung der äußerst vielfältigen Wirklichkeit. Erst durch das synthetische Ineinanderübergreifen der reinen Gesetzmäßigkeiten mit den jeweils so unterschiedlichen Gegebenheiten entsteht der wirkliche, eben der Historische Kapitalismus, den wir in zahlreichen Erscheinungsformen kennen. In Europa entwickelte sich der Kapitalismus als industrieller Kapitalismus, in Übersee – und entsprechend der damaligen internationalen Arbeitsteilung und der steigenden europäischen Nachfrage nach Agrarprodukten – dagegen ursprünglich als agrikoler Kapitalismus. In den asiatischen Inselstaaten Singapur, Malaysia, Hongkong etablierte sich wegen ihrer Standorte ein Konsumgüterkapitalismus, in den skandinavischen Staaten dominiert noch heute der keynesianische Kapitalismus, während in den Ländern Westeuropas dieser längst durch den neoliberalen Kapitalismus abgelöst worden ist. In Westeuropa ist der Kapitalismus historisch mit fossilen Energiequellen, vor allem diversen Kohlearten, in den USA viel stärker mit Öl zusammengewachsen. Er wird aber nicht zusammenbrechen, wenn sämtliche Kohle- und Ölressourcen aufgebraucht sind. Der Kapitalismus kann auch mit der Solarenergie auskommen und mit dieser unerschöpfbaren Energiequelle möglicherweise sogar eine höhere Stabilität aufweisen.[14] Er kann in Imperialismus ausarten, aber auch ohne ihn auskommen. Ich verwende in diesem Zusammenhang hier den Begriff ausarten, weil der Imperialismus, wie ich es an einer anderen Stelle ausführlicher begründen werde,[15] nur als Synthese von Kapitalakkumulation und einem bestimmten historischen Umfeld und nicht zwingend als Systemkomponente zu begreifen ist. Die Unterscheidung zwischen dem Logischen und dem Historischen Kapitalismus und die Trennung zwischen inneren Gesetzmäßigkeiten der Kapitalakkumulation und deren jeweils historischem Umfeld soll zuletzt auch zur Klärung des Verhältnisses zwischen Kapitalismus und Imperialismus dienen. In einem Land wie den Vereinigten Staaten etabliert sich ein militär-industriell-dominierter Kapitalismus, während der Kapitalismus in Japan und Westdeutland nach dem Zweiten Weltkrieg gerade wegen einer von außen gesetzten politischen Rüstungsrestriktion (Verbot von Rüstungsproduktion durch die alliierten Siegermächte) florierte. In beiden Ländern wurden Kapital und Arbeit in produktiven Branchen eingesetzt und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Ökonomien auf dem Weltmarkt drastisch gesteigert, statt sie in einem unproduktiven Zweig zu vergeuden.

Während der Kapitalismus im Iran – um ein anderes Beispiel zu nennen – sich seit über hundert Jahren zunächst mit einer diktatorischen Monarchie und dann mit der islamisch-theokratischen Despotie herumschlägt, um in einem rentierstaatlich-klientelistisch unproduktiven System stecken zu bleiben, benötigt er in den asiatischen „Tigerstaaten“, Singapur, Malaysia, Hongkong, dank besonders günstiger Standorte und hoher Bevölkerungsdichte dieser Staaten, nur weniger als drei Jahrzehnte, um sich weitestgehend durchzusetzen und den Anschluss an den kapitalistischen Norden zu erreichen.

Der Kapitalismus ist – entgegen einer weit verbreiteten Annahme – nicht einmal an eine bestimmte Eigentumsform organisch gekoppelt. Das Privateigentum ist zwar bisher die dominante Grundlage des Kapitalismus. Diese Eigentumsform konnte offensichtlich ziemlich leicht auch im Kapitalismus fortbestehen, weil sie schon im Feudalismus das Rückgrat der europäischen Gesellschaften bildete. Der Kapitalismus setzt zwar die Trennung der unmittelbaren Produzenten, wie Marx sagen würde, voraus, diese könnten sich unter den Bedingungen moderner Großproduktion jedoch in Genossenschaften wieder vereinen, die weiterhin und solange kapitalistisch bleiben, wie sie in Konkurrenz zueinander stehen und solange ihre Beziehung untereinander durch Wertproduktion und Profitmaximierung und die Arbeitsteilung über Märkte und den Warenaustausch koordiniert wird. Der Kapitalismus kann also unter Bedingungen der genossenschaftlichen Eigentumsform weiter bestehen, wie er auch als Staatskapitalismus sich in zahlreichen Staaten – wie in Russland – etablierte oder gar unter der Kontrolle einer kommunistischen Partei, wie in China, über einen längeren Zeitraum Wachstumsraten hervorrufen kann, die kein kapitalistischer Staat mit Privateigentum zuvor hervorgebracht hatte.

Das historische Umfeld

Man mag nun erkennen, es gibt zahlreiche Formen von real existierenden Historischen Kapitalismen, die sich in ihrer spezifischen Struktur – z. B. mit starkem Rüstungssektor wie ohne jedwede Rüstungsproduktion – ausschließlich durch verschiedene spezifisch vorgegebene äußere Umstände unterscheiden, wenngleich ihnen allen dieselben systemimmanenten Gesetzmäßigkeiten – derselbe Logische Kapitalismus – innewohnen. Welches sind aber nach dieser Betrachtungsweise die spezifisch historischen Faktoren, die den Logischen Kapitalismus formen, den Typus, die Dynamik und die Erscheinungsformen desselben prägen? Grundsätzlich sind zwei von einander qualitativ unterscheidbare Umfelder möglich:

Erstens ist es das natürliche Umfeld, das Faktoren wie Bevölkerungsgröße, Klima, Bodenfruchtbarkeit, Rohstoffreichtum und territoriale Größe eines Staates umfasst. Während beispielsweise in Europa der Kapitalismus spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an territoriale, ressourcenmäßige Schranken stößt und imperialistische Kriege veranstaltet, befindet er sich in den Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt noch intern in voller Entfaltung, nachdem der Kapitalismus erst im Zuge der Auswanderung von Millionen Europäern und Nichteuropäern in die dünn besiedelten Territorien gigantischen Ausmaßes und nach der Beendigung von Bürgerkriegen zu gedeihen begonnen hatte. In Großbritannien, Frankreich und Deutschland geben die eigenen Kohlevorkommen der Industrialisierung und dem Kapitalismus erheblichem Auftrieb, während der italienische Kapitalismus hinterherhinkt, obwohl der Warenaustausch und die kapitalistische Industrieproduktion in den norditalienischen Städten sich früher als anderswo entwickelt hatte. Historiker mögen die Etappen kapitalistischer Entwicklung in verschiedenen Regionen unterschiedlich beurteilen. Es dürfte aber unstrittig sein, dass die äußeren natürlichen Rahmenbedingungen den Verlauf kapitalistischer Entwicklung, damit also den Historischen Kapitalismus, in verschiedenen Ländern und Regionen beeinflussten.

Zweitens sind es die jeweils vorherrschenden vorkapitalistischen Bedingungen, unter denen die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals stattfindet. Europa, das gerade für sich nicht beanspruchen kann, ein Hort von tausendjähriger Hochkultur und Zivilisation gewesen zu sein, bot offensichtlich die besten sozialen und politischen Voraussetzungen für die Entstehung und das Gedeihen des Kapitalismus, während er sich in allen Hochkulturen, wie z. B. Indien, China, Iran auch heute noch mit erheblichen Anstrengungen und nur durch den äußeren Druck des Weltmarktes durchsetzen kann.

Drittens sind es historisch gewachsene Machtpotenziale, die – der eigenen Logik folgend – dem Logischen Kapitalismus symbiotisch ihren Stempel aufdrücken. Die Begründung für die Eigenständigkeit von Macht gegenüber dem Kapital erfolgte ausführlich an einer anderen Stelle.[16] Hier beschränke ich mich lediglich auf den zentralen Unterschied zwischen der Logik der Macht und der Logik des Kapitals. Die Logik der Macht entspringt aus ihrer Kernfunktion der Monopolisierung gesellschaftlicher Ressourcen. Ohne die Möglichkeit und Fähigkeit von Monopolisierung verschwindet auch die materielle Basis der Macht. Ihre Logik folgt insofern der monopolistischen Anhäufung von Machtinstrumenten und der monopolistischen Aneignung von Ressourcen unterschiedlichster Art, beispielsweise Aneignung von Grund und Boden, Energie- und Wasserquellen bis zum Saatgut aus den entlegensten Ecken der Welt. Die Vermehrung der Macht besteht demnach darin, deren materielle Grundlage (z. B. Zahl der Panzer, Atomsprengköpfe und Trägersysteme, aber auch der Umfang von Grund und Boden, Energiequellen etc.) zu vergrößern. Im Unterschied dazu folgt das Kapital einer Logik, die der monopolistischen Logik der Macht diametral entgegengesetzt ist. Es folgt der Logik der Konkurrenz. Der Kapitalismus und sein Zweck, nämlich die Produktion des abstrakten Reichtums, der die historische Transformation in das moderne Zeitalter hervorbrachte, setzt die Konkurrenz verschiedener Kapitale voraus. Macht und Machtvermehrung konservieren die Verhältnisse, während das Kapital sie revolutioniert, Machtlogik neigt zur Stagnation, Kapitallogik zur Dynamik. Damit ist allerdings nicht gesagt – um möglichen Missverständnissen vorzubeugen –, dass Kapitalismus und Macht keinerlei Symbiosen eingehen können, ganz im Gegenteil. Diese Symbiose ist sogar der materielle Kern verschiedener historischer Kapitalismen.

Kapitalismusanalyse heute

Was wir heute tatsächlich in der Welt, in einzelnen Ländern, Regionen oder global vorfinden, ist nirgendwo der Kapitalismus in Reinkultur, der ausschließlich seiner inneren Logik folgt. Vielmehr beobachten wir fast immer eine Synthese aus dem Kapitalismus und komplexen Machtpotenzialen – in den weniger entwickelten Ländern Afrikas und Asiens finden wir gesellschaftliche Verhältnisse vor, die immer noch stark durch Machtlogik determiniert sind und im hoch entwickelten Kapitalismus Verhältnisse, die viel stärker durch kapitalistische Logik geprägt sind. Ausdruck dieser Synthese ist der neoliberale oder finanzgetriebene Kapitalismus mit dem heute die Menschheit konfrontiert ist. Er folgt, um die Methode der Trennung der Analyseebenen für die aktuelle Kapitalismusanalyse fruchtbar zu machen, einer doppelten Logik: der Logik der Kapitalakkumulation und der Produktivitätssteigerung in der Realwirtschaft einerseits und der Logik der Vermögenskonzentration durch Umverteilung, eben der Logik der Macht andererseits. Das Finanzkapital ist zwar ohne Zweifel eine Kapitalkategorie, da dessen Existenz darauf beruht, sich zu vermehren. Es folgt, das mag überraschen, jedoch nicht der Logik des Kapitals, sondern der Logik der Macht. Denn die Quelle seiner Vermehrung ist, soviel sollte hier vorerst genügen, nicht Mehrwertproduktion und Produktivitätssteigerung, sondern Umverteilung von unten nach oben. Das historische Umfeld des gegenwärtigen globalisierten Kapitalismus wird gebildet durch eine mächtige Machtallianz, die sich aus den Finanzakteuren, den Investmentbanken, einfach allen Geldvermögensbesitzern rekrutiert, die es vorziehen, ihr Geldkapital auf den internationalen Finanzmärkten anzulegen.

Der Neoliberalismus ist die Ideologie dieser Allianz, die mit beträchtlicher institutioneller Macht ausgestattet ist und sich einer starken sozialen Basis in der Politik, der Wissenschaft und den Medien erfreut. Die historischen Wurzeln der finanzkapitalistischen Allianz und des Finanzkapitals selbst reichen in das 19. Jahrhundert. Schon damals – und nicht erst in den 1970er Jahren, wie gemeinhin angenommen wird –, koppelte sich das Finanzkapital von der Realökonomie ab und stellte sich über die gesamte Gesellschaft. Es begann, den Staat, insbesondere dessen Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik, in seinen Bann zu ziehen. Steigende Staatsverschuldung, wachsende Staatsabhängigkeit von den Finanzmärkten hat unter den Bedingungen der Hegemonie des Finanzkapitals in kapitalistischen Gesellschaften Methode. Dessen Repräsentanten wussten damals, und sie wissen auch heute ziemlich genau, warum sie die Steuersenkung für die Reichen und gleichzeitig den Abbau des Haushaltsdefizits zu ihrem Dogma machen, von dem sie unter keinen Umständen bereit sind, auch nur einen Millimeter abzurücken.

Literatur

Altvater, Elmar (1974): Ölkrise, Energiekrise oder Krise des Kapitalismus. Vorbemerkung in: Probleme des Klassenkampfes, Nr. 11/12

Altvater, Elmar (2006): Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster

Homann, Karl/Suchanek, Andreas (2005): Ökonomik. Eine Einführung, Tübingen

Jäger, Michael/Strohschneider, Tom, (Hrsg.) (2009): Die letzte Krise? Analysen zur Zukunft des Kapitalismus, Berlin

Kurz, Robert (1999): Schwarzbuch Kapitalismus – Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Frankfurt/M. [erw. Neuauflage 2009]

Mandel, Ernest (1972): Der Spätkapitalismus, Frankfurt/M.

Marx, Karl (1953): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin

ders.: (1969): Das Kapital, Band I, Berlin

ders.: (1966): Das Kapital, Band II, Berlin

ders.: (1969): Das Kapital, Band III, Berlin

Massarrat, Mohssen (1974): Energiekrise oder Krise des Kapitalismus, in: Probleme des Klassenkampfes Nr. 11/12

Massarrat, Mohssen (2006): Kapitalismus – Machtungleichheit – Nachhaltigkeit. Perspektiven revolutionärer Reformen, Hamburg

Massarrat, Mohssen (1993): Endlichkeit der Natur und Überfluss in der Marktökonomie, Marburg

Zelený, Jindrich (1973): Die Wissenschaftslogik und Das Kapital, Frankfurt/M. und Wien

* Der folgende Beitrag ist das 1. Kapitel meines geplanten Buches Jenseits des Kapitalismus, das gegenwärtig in Arbeit ist. Ich möchte es schon jetzt zur Diskussion stellen.

[1] Ich selbst habe meiner Analyse der ersten Energiekrise in 1974 den Titel „Energiekrise oder die Krise des Kapitalismus übergestülpt (Massarrat 1974), obwohl der Inhalt der Analyse den Schluss nahe legte, dass die Energiekrise jener Epoche gerade umgekehrt die Ausdehnung des Kapitalismus in die ölproduzierenden Staaten reflektierte. Von einer Krise des Kapitalismus in diesem Kontext konnte jedoch beim besten Willen keine Rede sein. Dass damals dieser Widerspruch niemandem, auch nicht der Redaktion der Zeitschrift, die meinen Text veröffentlichte, auffiel, ist symptomatisch für das Selbstverständnis, bei jeder Gelegenheit die eigene moralisch geprägte antikapitalistische Haltung zu unterstreichen. Auch in der Vorbemerkung von Elmar Altvater zu meiner Analyse und zur Ölkrise kommt diese Haltung deutlich zum Ausdruck: „Die Krise des Kapitalismus wurde flugs zur Ölkrise umdefiniert. Nicht mehr die Widersprüche des kapitalistischen Systems und der Klassengegensatz eskalieren in der Krise, sondern diese ist von außen durch die Araber aufgezwungen“ worden und „erfordert von allen das ihrige…“ (Altvater 1974).

[2] Beispielsweise fand der von attac-Deutschland im März 2009 durchgeführte Kapitalismuskongress mit der Ankündigung „Kapitalismus am Ende?“ statt. Ein 2009 publizierter Reader der Wochenzeitung „Freitag“ mit Analysen zur Zukunft des Kapitalismus – um nur zwei Beispiele zu nennen – trug den Titel „Die letzte Krise“ (Jäger/Strohschneider [Hrsg.] 2009).

[3] Kurz 1999 (erw. Neuauflage 2009).

[4] Marx 1953: 21 f.

[5] Zeleny 1973: 59 f.

[6] Ausführlicher zu den Hintergründen des Irakkrieges siehe Massarrat 2006: Kapitel 3.

[7] Marx 1969: Kapital, Band I, 742.

[8] Ebenda: 765 f.

[9] Vgl. dazu auch die Ausführungen Ernest Mandels in seinem Hauptwerk „Der Spätkapitalismus“ (Mandel 1972: 55ff.).

[10] Marx 1969, Das Kapital, Band III: 627.

[11] Ausführlicher dazu s. Massarrat 1993: 180ff. und 247ff.; derselbe 2000: 74ff. und 171f. und derselbe 2006: 127f.

[12] Marx, Grundrisse, 1953: 364f.

[13] Homann/Suchanek, 2005: 389ff.

[14] Insofern sind Annahmen, der Kapitalismus würde ohne fossile Basis zusammenbrechen und das solare Zeitalter widerspräche den kapitalistischen Mechanismen und Triebkräften, wie Elmar Altvater unterstellt, unzutreffend und ahistorisch. Altvater 2006: 72ff., 86f., 212f.

[15] In meinem geplanten Buch „Jenseits des Kapitalismus“.

[16] Massarrat 2006, Kapitel 2. Siehe dazu auch Kapital 2 des geplanten Buches.