I
Zur Niederlage der Linken in Griechenland äußern sich Linke außerhalb Griechenlands oft sehr gewunden. Man wolle aus der sicheren Entfernung keine wohlfeilen Ratschläge geben oder gar Noten verteilen. Auch sei man im eigenen Land ja noch weit hinter der Stärke des linken Lagers in Hellas zurück. Schließlich sei die Niederlage keineswegs allein eine der Linken Griechenlands, sondern der gesamten Linken Europas.
Alle diese Vorbehalte und Bedenken treffen zu. Von Deutschland aus, mit Kranken- und Arbeitslosenversicherung und Hartz IV, ist es, trotz der subjektiv beschissenen Lage, relativ wohlfeil, die Griechinnen und Griechen anzutreiben im Kampf gegen Austeritätsmaßnahmen. Und in der ganzen Eurozone gibt es 18 neoliberal ausgerichtete Regierungen, nur die eine linke – von Syriza geführt – in Griechenland. Und in der Tat hat die Linke Europas noch viel eklatanter verloren als die in Griechenland. Syriza hat von Anfang darauf gesetzt, darauf setzen müssen, dass sich europaweit eine soziale, politische Bewegung entfalten muss, um ihre Chancen auf die Abwehr des Austerity-Diktats aus Brüssel zu wahren. Diese Bewegung hat es nicht gegeben. In München sind 40.000 Menschen marschiert gegen TTIP und in Berlin waren es 250.000. Das ist hervorragend. Es muss aber zu denken geben, wenn bei uns bei jeder Demo für gesunde Ernährung, soziales Wohnen und solare Energie weit mehr Menschen demonstrieren als für Solidarität mit Griechenland und ein Ende der von Brüssel und Berlin diktierten Austeritätspolitik.
Hier liegt die Schwäche der europäischen Linken, dass sie in ihren jeweiligen Ländern kaum Bewusstsein schaffen konnten, dass an Griechenland ein Exempel statuiert wird, dass Politik in allen Euro-Ländern nach dem Austeritäts-Muster à la Griechenland durchgeführt wird. In Griechenland wurde die reaktionäre Zukunft aller Euro-Länder fortgeschrieben. Jede Niederlage Griechenlands ist eine schlimme Hypothek auf die Zukunft von allen. In Griechenland gab es bei den Wahlen im September noch mal einen Kick für eine soziale, von Brüssel unabhängige Zukunft. In keinem anderen Land der Eurozone wäre das möglich, auch nicht in Spanien.
II
Und dennoch müssen die gravierenden Fehler von Syriza und von uns anderen diskutiert werden. Es geht um die Schwäche eines Reformismus, der die Möglichkeiten, innerhalb vorhandener Kräfteverhältnisse linke Ziele zu erreichen, überschätzt und gleichzeitig die Mobilisierungspotenzen des kapitalistischen Gegners unterschätzt.
Dies war das Grundproblem von Syriza. Einer ihrer Vertreter, Giorgos Chondros, schätzt ein: Unsere Strategie basierte auf der Annahme, dass wir unter den gegebenen Kräfteverhältnissen in der Eurozone einseitig die Austeritätspolitik würden abschaffen können. Unsere Taktik basierte darauf, dass unsere Gegner es nicht wagen würden, uns aus dem Euro zu werfen, weil sie dann ein Vielfaches draufzahlen würden. Beide Annahmen, sagt das Mitglied des Zentralkomitees von Syriza, waren falsch.
Sie waren falsch, und diese Falschheit hatte dramatische Folgen. Weil Syriza es für aussichtslos hielt, einen Zwei-Frontenkrieg gegen die EU-Gewalten und die einheimische Oligarchie zu führen, verzichtete man auf den frontalen Angriff auf die Reichen und Mächtigen im eigenen Land. Dies tat man im Glauben, man käme auf der Kampf-Front mit den EU-Gewalten zurecht. Was ein absoluter Fehler war, denn die linke Athener Regierung hatte sich auch in der taktischen Annahme, ein Rausschmiss Griechenlands aus der EU/Eurozone käme dem europäischen Kapital zu teuer, komplett geirrt. Bei der Aufrechnung der Kosten eines Grexits gegen den linken Impuls, der von einem erfolgreichen Aufbäumen Syrizas gegen das Brüssel-Diktat ausgehen würde, war das europäische Kapital sich schnell einig, den Griechen müsse diese Lektion für alle mit der nötigen Wucht erteilt werden: Aus der neoliberalen EU-Anstalt gibt es kein linkes Entkommen.
Anstatt sich auf die Bekämpfung der einheimischen Oligarchie, auf den Kampf mit der EU und auf die weitere zivilgesellschaftliche Selbstorganisierung zu konzentrieren – auf diesem Gebiet war viel geleistet worden, von Mieten und Wohnraum bis hin zur Gesundheitsversorgung – verausgabte die Syriza-Regierung den Großteil ihrer Kräfte im schließlich erfolglosen Verhandlungspoker mit der EU.
Zum Kampf mit der EU hätte eine Mobilisierung der europäischen Zivilgesellschaft gehört. Dass diese ausblieb, ist zwar in erster Linie auf das Versagen der Linken in den europäischen Ländern zurückzuführen, hat aber auch seinen Grund in der Strategie von Syriza. Indem sie sich einließ auf das Ziel „optimaler Verhandlungen“, räumte sie den Sprengsatz aus dem Weg, der einer linken europäischen Bewegung hätte Dampf machen müssen und können: die Entschlossenheit der Griechen, die Bedingungen des Spar-Diktats nicht hinzunehmen. In allen Abstimmungen hat eine eindeutige Mehrheit der GriechInnen diese Entschlossenheit dokumentiert. Doch Syriza stellte in den Mittelpunkt ihrer Politik jetzt die kluge, ehrliche, clevere Verhandlungsführung mit der EU. Dies hatte in Griechenland die schrittweise Lähmung der gesellschaftlichen Bewegung von unten zur Folge und half in Europa, dass eine zivilgesellschaftliche Bewegung für ein anderes Europa nicht entstand.
Die Niederlage in Griechenland ist auch in diesem Sinne eine Niederlage für die europäische Linke.
III
Was ist jetzt zu tun? Wie kann die Linke aus der Niederlage zurückfinden in eine Position des Vormarschs? Varoufakis hat zusammen mit Stuart Holland und James K. Galbraith Anfang des Jahres schon mal gezeigt, wie es nicht funktionieren kann. Ihr „Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“ potenziert die Probleme der alten Strategie. Sie wollen der Gegenseite, dem globalen EU-Kapital, erklären, wie man sich gemeinsam der Probleme entledigen kann. Ihre Vorschläge zur Bankenkrise, Schuldenkrise, Investitionskrise und sozialen Krise haben durchweg die Aura des Absurden. Ihr Ausgangspunkt ist der Appell, es sei „die moralische und politische Pflicht der EU, so schnell wie möglich zu handeln, um die Grundbedürfnisse der europäischen Bürger zu befriedigen“. Dann kommen eine Menge technischer Hinweise, wie man die Target2-Salden besser nutzen könnte, also die Ungleichgewichte im Europäischen System der Zentralbanken. Dass dies völlig nebensächlich ist, dass es um die Frage des politischen Zugriffs auf die Macht in Europa geht, ob die TNK (Transnationalen Konzerne) total kontrollieren, oder ob die Zivilgesellschaft an Einfluss gewinnt, kommt in dem Buch nicht vor.
Völlig anders nähert sich dieser Frage ein Plan A und B, den Varoufakis, Konstantopoulos, Mélenchon, Fassina und Lafontaine jüngst vorgestellt haben. Die Autoren sehen in dem Vorgehen der Europäischen Zentralbank, die Schließung der griechischen Banken zu erzwingen, bis die Athener Regierung eine neue Version eines mehrfach gescheiterten Programms akzeptiert hat, einen „Finanz-Staatstreich“, der deshalb durchgezogen wurde, „weil das offizielle Europa die Idee nicht ertragen konnte, dass ein Volk, das unter einem zerstörerischen Austeritätsprogramm leidet, es wagt, eine Regierung zu wählen, die entschlossen ´Nein´ sagt.“ Die Europäische Union ist, stellen diese Linken aus Griechenland, Frankreich, Italien und Deutschland fest, zu einem Werkzeug geworden, „um demokratische Kontrolle über Produktion und Verteilung auszuhebeln“.
Um dieses „Europa“ zu überwinden, schlagen die Initiatoren den „Plan A“ vor: „Wir werden alle in unseren Ländern, und alle zusammen überall in Europa, auf eine vollständige Neuverhandlung der europäischen Verträge hinzuarbeiten.“ Bis diese Neuverhandlung erreicht ist, gilt der „Plan B“: Wir „beteiligen uns in einer Kampagne des europäischen zivilen Ungehorsams gegenüber willkürlichen, europäischen Praktiken und irrationalen ‚Regeln’ an den Kämpfen der Europäerinnen und Europäer überall in Europa.“
Die beiden wichtigsten Lehren aus der Niederlage in Griechenland sind damit gezogen: 1) Es geht nicht in erster Linie um möglichst geschickte Verhandlungen mit der heute herrschenden Elite, sondern um die Änderung des Verhältnisses der Kräfte zwischen diesen Eliten und den von ihnen beherrschten Subalternen. 2) Die Entwicklung der Kraft der heute Subalternen muss ansetzen an der Organisation der Zivilgesellschaft gegen die Zumutungen der EU-Staatlichkeiten und an der Entwicklung alternativer demokratischer Formen der Befriedigung elementarer Bedürfnisse. Das muss weit hinausgehen über die Frage von Parallelwährungen, Austritten aus der Eurozone u.ä., wie sie von den Autoren der Pläne A und B vor allem erwähnt werden. Wir müssen erreichen, die drückenden Alltagsnöte der Menschen in den Zusammenhang mit der europäischen Krise zu stellen (Mario Candeias) und helfen, die Menschen zu den Akteuren ihrer Zukunft zu machen.
IV
Wie geht es in Griechenland selbst weiter? Syriza versucht, einen großen Teil der von der Troika auferzwungenen „Reformen“ im Oktober/November dieses Jahres durchzuführen, wozu u.a. die Kürzung der Pensionen, die Anhebung des Pensionsalters, die Erhöhung von Massensteuern und die Abschaffung der Zuschüsse für Rentnerinnen und Rentner mit niedrigsten Pensionen gehören, also heftige Einschnitte bei den Bedürftigsten. Sollte die Syriza-Regierung „diesen Tsunami der laufenden Reformen“ (Nikos Chilas) überstehen, wolle man sich Reformen jenseits des Memorandums zuwenden. Dies ist im gegebenen Rahmen eine Illusion. Im dritten Memorandum ist die Syriza-Regierung folgende Verpflichtung eingegangen: „Die Regierung verpflichtet sich, alle zur Verwirklichung der Ziele des Memorandum of Understanding erforderlichen Maßnahmen mit der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfond zu beraten und zu vereinbaren, bevor sie ausgearbeitet und rechtsgültig verabschiedet werden.“ Chilas gab seiner Analyse zur Lage Griechenlands nach der Wahl zu Recht den Titel: „Syriza an der Regierung – Gläubiger an der Macht“. Solange Syriza sich den Raum seiner Politik durch die Verdikte der Troika abstecken lässt – und Tsipras hat diesen Maßstab seiner Regierung als verbindlich vorgegeben – können von hier keine größeren Impulse für eine Umwälzung der Kräfteverhältnisse in der EU ausgehen.
Es wird sich zeigen, ob und wie sehr das Einschwenken von Syriza in die Kommandostruktur der Troika – entgegen den Mehrheitsbescheiden der Bevölkerung – die Chancen der Linken in Europa beschädigt hat. Der erste große Test findet bei den Wahlen in Spanien im Dezember statt.