Fritz Langs ‚Metropolis’ gilt als „one of the inexhaustible texts of world cinema“ (Brockmann 2010, 95). Doch trotz der vielseitigen Auslegungsmöglichkeiten ist es erstaunlich, dass bis heute ganze Sammelbände zum Film erscheinen können, in denen noch nicht einmal das Wort ‚Antisemitismus’ vorkommt (wie etwa Minden/Bachmann 2010). Schließlich soll Adolf Hitler über den Regisseur gesagt haben: „Das ist der Mann, der uns den nationalsozialistischen Film schenken wird“ (Töteberg 1985, 78). Zwar ist dieser Ausspruch unbelegt. In jeder Hinsicht gesichert ist jedoch die Einschätzung Siegfried Kracauers (1984, 172), dass die volksgemeinschaftliche Klassenversöhnung am Ende des Films „ohne weiteres von Goebbels“ hätte stammen können.
Die Handlung von ‚Metropolis’ ist so banal wie wirkungsmächtig. Sie erzählt vom Elend einer futuristischen Stadt, in der Arbeit und Kapital durch eine zum Moloch gewordene Technologie getrennt werden. Deren Rhythmus knechtet und zermürbt die Arbeitenden, deren Ausbeuter nur noch über Zahlen informiert sind und nichts vom Elend der Unterdrückten wissen. Die Zustände geraten in Bewegung, als sich der Sohn des Beherrschers der Stadt in Maria, die Fürsprecherin der Armen, verliebt und sein Vater versucht, dieses Verhältnis zu unterbinden. Dabei will er sich der Unterstützung des für Technik wie Magie zuständigen Erfinders Rotwang bedienen. Dieser jedoch verfolgt, indem er die sanfte Maria gegen eine intrigante Maschinenfrau austauscht, seine eigenen Pläne. Sie führen zum sozialen Aufruhr, der die Stadt beinahe zerstört. Über diese Katastrophe hinweg finden die sozialen Klassen am Ende gleich doppelt zueinander. Der Kapitalistensohn und die Arbeitermaria blicken in eine gemeinsame Zukunft und der Stadtherr besiegelt mit dem Vorarbeiter per Handschlag die kommende Volksgemeinschaft.
Der dieser Geschichte gegenüber geäußerte Antisemitismusverdacht sieht, wie Uwe Wiedleroither in seinem als ‚Filmprogramm’ veröffentlichten Szenenprotokoll (1993, 24 u. 19), einen „Davidstern“, wo keiner ist: an der Haustür des erfinderischen Wissenschaftlers Rotwang und an der Wand seines Laboratoriums. Der Davidstern ist aber ein Hexagramm, während der Stern in ‚Metropolis’ nur fünf Ecken hat. Über seine Bedeutung für den Film hat sich dessen Drehbuchautorin, Thea von Harbou, in einem als Grundlage für das Filmprojekt geschriebenen Roman (1984, 42 f.) langatmig ausgelassen:
„Es gab ein Haus in der großen Metropolis, das war älter als die Stadt. Viele sagten, daß es älter sei als selbst der Dom, und bevor der Erzengel Michael noch seine Stimme als Rufer im Streite für Gott erhob, stand das Haus in seiner bösen Düsterheit und trotzte den Dom aus trüben Augen an [...].
Ins schwarze Holz der Tür eingedrückt stand kupferrot, geheimnisvoll, das Siegel Salomonis, das Pentagramm.
Es hieß, ein Magier, der aus dem Morgenlande gekommen war (in den Spuren seiner roten Schuhe wanderte die Pest), habe das Haus in sieben Nächten gebaut [...]. Kein Meisterspruch und kein gebänderter Strauß hatten nach frommem Brauch das Richtfest geheiligt. Die Chronik der Stadt berichtete nichts davon, wann der Meister gestorben war und wie. Eines Tages [...] drang [man] in das Haus ein und fand keine lebende Seele darin. Doch schienen die Räume [...] in Schlaf versenkt auf ihren Meister zu warten [...].
In alle Türen eingedrückt stand kupferrot, geheimnisvoll, das Siegel Salomonis, das Pentagramm.
Dann kam eine Zeit, die Altes niederriß. Da wurde der Spruch gefällt: Das Haus muß sterben! Aber das Haus war stärker als der Spruch, wie es stärker war als die Jahrhunderte. Es erschlug die Menschen, die Hand an seine Mauern legten, mit jählings niederbrechenden Steinen. Es öffnete den Boden unter ihren Füßen und riß sie in einen Schacht hinunter [...]. Es war, als hockte die Pest, die einst den roten Schuhen des Magiers nachgewandert war, noch in den Winkeln des schmalen Hauses und spränge den Menschen von rückwärts ins Genick. Sie starben und kein Mensch erkannte die Krankheit. Es wehrte sich das Haus so hart [...] gegen seine Zerstörung, daß [...] sich zuletzt kein redlicher Mann mehr fand, der es gewagt hätte, den Kampf mit ihm aufzunehmen [..., mit der] Gewalt dieser hämischen Mauern, dieser klinkerlosen Türen, die mit dem Siegel Salomonis versiegelt waren [...].
Da kam eines Tages ein Mann von fernher in die Stadt, der sah das Haus und sagte: ‚Das will ich haben’. [...] Er kaufte das Haus um sehr geringen Preis, bezog es sogleich und ließ es unverändert.
Der Mann hieß Rotwang. [...] Wenn Rotwang, was selten geschah, das Haus verließ und über die Straße ging, so gab es viele, die heimlicherweise nach seinen Füßen sahen, ob er vielleicht in roten Schuhen schritt.“
Der Stern an Rotwangs Haus ist ein Pentagramm, das von der Autorin aber in einen orientalistischen und antisemitischen Zusammenhang gerückt wird. Das Haus, errichtet von einem ‚Magier aus dem Morgenland’, ist ‚böse’, wurde nie ‚geheiligt’ und ‚trotzt’ dem Christentum. Seine ‚geheimnisvolle Macht’, die es über die Jahrhunderte der Zerstörung widerstehen lässt, wird durch das ‚Siegel Salomonis’ symbolisiert. Die Autorin kennzeichnet damit ihren Orient als jüdisch und verbindet ihn mit politisch-religiöser Macht wie geheimwissenschaftlicher Magie. Die eine wird repräsentiert durch den König des vereinten Israels und Erbauer des ersten Tempels. Die andere spielt auf eine okkultistisch verstandene Kabbala an.[1]
Um hinsichtlich ihrer Intentionen nicht missverstanden zu werden, verknüpft die Autorin diese Erzählung zusätzlich mit einer der großen antisemitischen Legenden des Abendlandes. Im Gefolge des jüdischen Magiers lässt sie die Pest nach Europa kommen. Vor dem Hintergrund einer rassistischen Verschwörungstheorie, die Moslems, Juden und Aussätzige beschuldigte, die Christenheit durch heimlich in die Brunnen geschüttetes Gift vernichten zu wollen (Graus 1994, 302 ff.), kam es Mitte des 14. Jahrhunderts im Zuge der großen Pestwelle in deutschen Städten zu Pogromen, die ganze jüdische Gemeinden auslöschten. Von da an zieht sich die Beschuldigung der Juden als Krankheitsverbreiter durch die antisemitischen Diskurse des Abendlandes. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden sie bezichtigt, in Berlin die Pocken zu verbreiten, weswegen die ‚Staatsbürger Zeitung’ vom 16. November 1895 verlangte, den „Zuzug russisch-galizisch-ungarischer Juden in das Pestnest“ des „Scheunenviertels“ zu unterbinden (Thießen 2014, 21). Zu diesem Zeitpunkt war die Bezichtigung, Krankheiten zu verbreiten, in der antisemitischen Rhetorik schon lange mit dem Stereotyp des Juden verschmolzen worden. Am 30. Dezember 1922 forderte der ‚Völkische Beobachter’, die „jüdische Pest“ müsse „unschädlich gemacht“ werden (Hambrock 2003, 192).
Diese Maxime galt auch im Bereich der Wissenschaft. Seit 1920 setzten sich die beiden Protagonisten einer ‚deutschen’ Physik, die Nobelpreisträger Philipp Lenhard und Johannes Stark, für die „Erhaltung reiner Wissenschaft“ und die „Judenreinheit der deutschen Wissenschaft“ ein (Grundmann 1998, 152). Wenige Jahre später hatte einer ihrer Hauptgegner, Albert Einstein, ebenfalls den Nobelpreis bekommen, wogegen sie in einem Beitrag in der ‚Großdeutschen Zeitung’ vom 8. Mai 1924 unter dem Titel „Hitlergeist und Wissenschaft“ das ‚arisch-germanische Blut’ und seinen ‚einzigartigen Geist’ beschworen (Hentschel 1996, 7 ff.).
Selbstverständlich überlagern sich in der Figur Rotwangs zahlreiche Züge von ‚mad scientists’ – über Faust und Frankenstein bis Jekyll-Hyde und Moreau einschließlich ihrer Vorfahren aus den Zeiten der Alchimisten und Zauberer. Aber es bedürfte schon eines gehörigen Maßes an Geschichtsverachtung, um die öffentliche Auseinandersetzung um die Relativitätstheorie als Hintergrund der Denunziation von Wissenschaft in ‚Metropolis’ zu ignorieren. Schon früh hatte Albert Einstein im Berliner Tageblatt (1920) bemerkt, die Debatte liefe wohl anders, wenn er „Deutschnationaler mit oder ohne Hakenkreuz statt Jude von freiheitlicher, internationaler Gesinnung“ wäre. Einer der Beteiligten an der Auseinandersetzung meinte, die Losung der Stunde wäre ‚Einsteinianer oder Antisemit’ (Wazeck 2009, 287).
Im Film wurde die Verknüpfung von Judentum und verhängnisvollem wissenschaftlichen Schöpfertum mit dem magischen Zeichen des Pentagramms optisch unterstrichen.[2] Dazu bediente Lang sich einfach zweier Bildzitate. Sowohl die Architektur des Rotwangschen Hauses als auch das Zeichen an dessen Tür waren den Kinogängern geläufig (vgl. Abb. 1). Sie stammten aus dem Ghetto von Prag, wie es Paul Wegener wenige Jahre zuvor in seinem ungemein erfolgreichen und viel gesehenen Film ‚Der Golem’ inszeniert hatte (Dolgenos 1997, 71). Dort erschafft ein Rabbi (der sich dazu mit einem Dämon verbündet und als Magier betätigt) einen künstlichen Menschen, der durch ein Pentagramm auf seiner Brust zum Leben erweckt wird. Anschließend verliert der Rabbi die Kontrolle über sein Geschöpf. Der Golem wird zum Mörder und setzt das Ghetto, das er eigentlich beschützen sollte, in Brand.
(Abb. 1: Künstlicher Mensch mit Pentagramm – der Golem im Ghetto) Abbildungen siehe PDF !
Der Stern an Rotwangs Haus hat aber nicht nur magische Eigenschaften, sondern auch eine Farbe: Er ist rot. 1926, als Thea von Harbou ihre Romanversion schrieb, konnte sie bei der Kombination dieser Farbe mit einem Pentagramm auf die dadurch bewirkte Assoziation vertrauen. Kurz zuvor war der utopische Roman ‚Der rote Stern’ von Alexander Bogdanov (1923)[3] in deutscher Übersetzung erschienen – zu eben der Zeit, zu der die Initiatoren des ‚Hamburger Aufstands’ versuchten, die ihrer Auffassung nach unvollendete Revolution in Deutschland im Zeichen des roten Sterns weiter zu treiben (Hund 1983 u. 1992). Dieser war damals bereits Teil eines Staatswappens und auf der Fahne der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu sehen, deren Geschichte er symbolisch mit der internationalen Arbeiterbewegung verband (Stites 1989, 87).
(Abb. 2: Das Pentagramm der Revolution – Denkmal für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg)
Im selben Jahr, in dem sich Thea von Harbou ihre antisemitisch-antikommunistische Urszene von der verderblichen Kraft jüdischer Geheimwissenschaft ausdachte, wurde das von Ludwig Mies van der Rohe geplante Denkmal für die ermordeten Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht errichtet (vgl. Abb. 2). Eine der Entwurfszeichnungen zeigt die prominente Position des Sterns, der den markanten Backsteinbau politisch zuordnete (Drexler 1986, 342 ff.). Er charakterisiert eine politische Agenda, der gegenüber die Autorin von ‚Metropolis’ buchstäblich rot sieht. Nicht nur ist ‚rot’ die Farbe des verderblichen Pentagramms. Auch sein Benutzer kommt in ‚roten’ Schuhen einher. Und dessen Nachfolger ‚Rotwang’ trägt die Farbe schließlich sogar im Namen. Sie wäre aber im Schwarzweiß des anschließenden Films auch sonst nicht verblaßt. Dafür bürgen zwei miteinander verflochtene Handlungsstränge, deren einer durch die Topographie der Stadt geprägt wird, während der andere davon erzählt, wie diese in Unordnung gerät.[4]
Der Ort Metropolis ist als Pyramide entworfen, deren Spitze vom kapitalistischen Machtzentrum im Turm Babel gebildet wird und deren Basis die tief unter der Erde liegenden Wohnquartiere der arbeitenden Klasse abgeben. Zwischen beiden liegen die als gigantische Maschinenhallen gezeigten Produktionsstätten, in denen die Technik den Rhythmus der Arbeit so vollständig bestimmt, dass sie zum Martyrium wird, das sinnbildlich zum Kreuzestod an den Zeigern einer riesigen Uhrmaschine führt (vgl. Abb. 3). Entfremdung ist hier als Trennung von Kapital und Arbeit durch seelenlose Technik inszeniert, für deren Konstruktion ein Erfinder verantwortlich gilt, dessen Charakteristika ihn zur Projektionsfläche für antisemitische Zuschreibungen machen.
(Abb. 3: Entfremdung durch Technik – Martyrium der Arbeit)
Die gehen so weit, dass sie selbst die alarmistische Botschaft ins Bild setzen, die schon Wilhelm Marr, dem die Erfindung des Begriffs Antisemitismus zugeschrieben wird, in einer Schrift mit dem Titel ‚Der Sieg des Judentums über das Germanentum’ verbreitet hat. In Langs Film trägt das Hauptquartier des technokratisch-autoritäten Systems, der Turm ‚Babel’, auf seiner Spitze ein riesiges Pentagramm (vgl. Abb. 4). Der hinterhältige Erfinder Rotwang hat das Zeichen seines unheilvollen Wirkens selbst dem Machtzentrum der metropolitanischen Gesellschaft aufgeprägt.
(Abb. 4: Machtzentrum mit Pentagramm – Turm ‚Babel’)
Im übrigen halten Drehbuchautorin und Regisseur für all jene, die Zeichen nicht lesen können oder ihnen misstrauen, noch einen zweiten Handlungsstrang bereit. Die ausgebeuteten proletarischen Massen hoffen auf Veränderung. Dabei werden sie von einer Frau namens Maria gleichzeitig unterstützt und vertröstet. Sie predigt zu ihnen in den Katakomben der Stadt von einem kalvarienbergförmigen, mit Kreuzen bestückten Podest herab und verheißt dabei das Kommen eines ‚Erlösers’. Rotwang bemächtigt sich ihrer mit Gewalt und überträgt ihre Züge vor einem in seinem Labor überdimensional an die Wand gemalten Pentagramm auf einen von ihm konstruierten Roboter. Anschließend schickt er diese Maschinenmaria zu den Arbeiterinnen und Arbeitern, um sie aufzuhetzen. Während diese der Täuschung erliegen, ist sie für die Zuschauer unübersehbar. Die falsche Maria predigt nicht nur Aufruhr, sie macht das auch mit erregter Gestik und verzerrter Mimik. Die Arbeiter reagieren entsprechend emotional. Viele von ihnen zeigen das Symbol des sozialen Aufstands, die erhobene Faust (vgl. Abb. 5).
(Abb. 5: Aufhetzung zum Klassenhaß – Agitation in Metropolis)
Für eine Frau, die Arbeitermassen zur Revolution aufputscht, hatte das reaktionäre zeitgenössische Bewusstsein einen Namen: Rosa Luxemburg. Daß ihr zur Zeit der Konzipierung von ‚Metropolis’ ein Denkmal gesetzt wurde, verzahnt Film und Zeitgeist zusätzlich. Interpreten konstatieren deswegen bis heute: „Maria in Metropolis [...] is modeled after [...] Rosa Luxemburg“ (Kaes 2015, 310). Auch wenn die Figur der Maschinenfrau noch andere Züge trägt, ist diese Konnotation von enormer symbolischer wie politischer Bedeutung. Hinsichtlich der Suche nach den Schuldigen an sozialem Elend und politischer Gefährdung der Gesellschaft nährt sie antisemitisch-antikommunistische Unterstellungen und Verdächtigungen. Dadurch eröffnet sie gleichzeitig die Perspektive auf ein rassistisches Weltbild und eine faschistische Lösung sozialer Probleme.
Der Rassismus des Filmes liegt nicht in der rassischen Kennzeichnung von Figuren, sondern in seiner Inszenierung negativer Vergesellschaftung (Hund 2014 a). Zwar behauptet die zeitgenössische Filmtheorie, der Stummfilm brauche ‚Typen’, denen sich ihr ‚Charakter’ auf den ersten Blick ansehen läßt: „Da der Filmschauspieler alles, Rassecharakter sowie individuellen, mit seinem Äußeren darzustellen hat, muß sein Spiel dadurch entlastet werden, daß man einen Schauspieler wählt, der den Rassecharakter nicht erst zu spielen braucht, sondern ihn besitzt“ (Balázs 2001, 70). Doch diese Unterstellung bewegt sich im trüben Fahrwasser des physiognomischen Rassismus und wird von der cinematischen Dramaturgie spielend widerlegt.
Das demonstrierte schon ‚Birth of a Nation’, David Wark Griffiths’ rassistische Gründungssaga der modernen Vereinigten Staaten. Die übelste ‚schwarze’ Figur des Films ist ein potentieller Vergewaltiger, der seine Schandtat nur deswegen nicht verüben kann, weil sich die von ihm verfolgte weiße Tugend in einen Abgrund zu Tode stürzt und so ihre Unschuld bewahrt. Der Schauspieler, der diese Figur verkörperte, besaß nicht etwa deren ‚Rassencharakter’, sondern war weiß und spielte seine Rolle in Blackface (Gubar 1997, 57 f)). In ‚Metropolis’ geht es ähnlich zu. Die Schauspielerin Brigitte Helm hat keine Probleme, sowohl die sanfte Maria wie die megärische Maria-Rosa darzustellen. Deren ‚Rassencharakter’ entspringt nicht Physiognomie oder Schauspielkunst, sondern ist Resultat einer Konstruktion, die in ihrer filmischen Variante ideologische Unterstellungen und ikonographische Zeichen zu einem rassistischen Schaustück verarbeitet. Dessen wesentlichste Funktion besteht in der Erzeugung illusorischer Gemeinschaftlichkeit auf Kosten rassistisch diskriminierter anderer (Hund 2007).
Das Elend der Klassengesellschaft von ‚Metropolis’ kann auf diese Weise zur Folge fremder Ingenieurskunst deklariert werden. Der schließlich gewaltsame Widerstand der arbeitenden Massen erscheint als unbedachte Reaktion auf fremde Einflüsterungen. Beide Operationen greifen auf einen verbreiteten Antisemitismus und auf von diesem skandalisierte zeitgenössische Ereignisse zurück. Die rassistische Lösung der Klassenfrage erfolgt schließlich als Opferfest, bei dem die antisemitisch konnotierten Figuren zur Projektionsfläche sozialen Unrechts wie sozialen Aufruhrs werden. Indem der magische Wissenschaftler durch die Fügung einer höheren Macht vom Dach der Kathedrale stürzt, auf deren Vorplatz zuvor sein zur Rebellion anstachelndes Geschöpf von den Volksmassen als Hexe verbrannt worden ist, sind die wahren Schuldigen an der gesellschaftlichen Schieflage gefunden und bestraft. Damit ist der Weg frei für einen wegweisenden Handschlag zwischen den Repräsentanten von Kapital und Arbeit. Er deutet unverhohlen in Richtung einer Volksgemeinschaft, für die Antisemitismus und Antikommunismus die zentralen ideologischen Bindemittel sind.
Geliefert werden sie durch die Konstruktion der Juden als „Gegenrasse“. Ob Theodor W. Adorno die mit diesem Konzept verbundenen Implikationen, die er zusammen mit Max Horkheimer (1947, 199) analysiert hat, je mit Fritz Lang, seinem „Freund aus Amerika“ (Claussen 2003, 198 ff), erörtert hat, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich hätte das auch nichts bewirkt. Noch wahrscheinlicher war es ohnehin nicht der Fall. Es dürfte auch schon deswegen schwer gewesen sein, weil Adorno nach einer Unterstellung Alexander Kluges (2007, 108) zwar durchaus ins Kino ging, dort allerdings am liebsten die Augen schloss. Das mag der einzige Gestus sein, mit dem sich ‚Metropolis’ ertragen lässt. Die Kritik des Films wie seiner antisemitischen und antikommunistischen Demagogie ersetzt er nicht.
Pornopolitische Beilage
Zu der Zeit, als ‚Metropolis’ gedreht wurde, hatte Max Weber den Stand der Rassentheorien schon länger beargwöhnt und entschieden, deren zentrale Kategorie für seinen soziologischen Rassismus überhaupt nicht zu benötigen. Der „godfather of cultural racism“ (Blaut 1992, 293) setzte statt dessen auf die Differenzierung von Orient und Okzident. Letzterer galt ihm als einzige Weltgegend, in der sich die Menschheit zur Höhe ihrer Möglichkeiten entwickelt hatte (Hund 2014 b, 46 ff).
Das hätten Thea von Harbou und Fritz Lang nicht bestritten. Ihr Orient war allerdings darüber hinaus (nicht zufällig) afrikanisch angereichert. Außerdem zerfiel er in zwei Teile. Aus beiden kam das Böse, einmal in Form des Strebens nach Weltherrschaft, das andere Mal als (von vergangener kultureller Blüte übriggebliebene) pure Dekadenz. Beide zusammen versinnbildlichten die Gefährdung und den Untergang von ‚Metropolis’. Die Frage nämlich, warum sich die Männer der herrschenden Klasse dem Anschlag auf das Funktionieren ihrer Stadt nicht in den Weg gestellt haben, beantwortet der Film mit dem Hinweis auf ihre Verführbarkeit durch orientalische Laster. Während des Anschlags der Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Maschinen sind sie in einem Etablissement namens ‚Yoshiwara’ dabei, sich zu vergnügen und an den erotischen Tänzen der falschen Maria zu delektieren.
‚Yoshiwara’ war gleichzeitig ein phantastischer und ein realer Ort: er trug den Namen des Vergnügungsviertels von Tokio (was der Besitzer des gleichnamigen Etablissement im Metropolis-Roman mit seinem „Japan-Lächeln“ bestätigt – von Harbou 1984, 74). Das Viertel war im Westen vor allem seiner in Käfigen zur Schau gestellten Prostituierten wegen berühmt wie berüchtigt. Sie hatten schon den ‚Punch’ (Nr. 104 vom 27. Mai 1893) dazu bewogen, in einem Gedicht mit dem Titel ‚O Sino San!’ den Frauen in ihren „Yoshiwara cages“ als „ancestor an ape“ zuzulegen (Townsend 2015). Ins deutsche öffentliche Bewusstsein wurde der Bezirk unter anderem durch den (posthum erschienenen) Roman ‚Yoshiwara’ von Hermione von Preuschen (1920)[5] gerückt (dessen Umschlag wie zufällig von zwei Hakenkreuzen geziert wurde, von denen eines nach japanisch buddhistischer Tradition nach links, das andere aber wie das im selben Jahr erstmals auftauchende Symbol der NSDAP nach rechts gewinkelt war).
Im ‚Yoshiwara’ von Metropolis war, wie die berühmte Szene mit den in Mehrfachbelichtung übereinander geblendeten aufgerissenen Augenpaaren zeigte, der Voyeurismus nicht weniger ausgeprägt als in Tokio. Seine Vergnügungen indessen waren nach der Dramaturgie des europäischen Rassismus und Sexismus inszeniert. Überzogen mit jeder Menge zusätzlicher apokalyptischer Symbolik, stieg die falsche Maria dabei, wie Enno Patalas in seinem Filmprotokoll (2001, 103 u. 111) beschreibt, aus „eine[r] Art chinesischer Räucherschale“, die von „muskulösen Schwarzen“ getragen wurde.
Bedrohung und Verworfenheit werden hier gleich mehrfach konnotiert. Einmal schreibt der Filmkritiker unter der Hand die wilhelminische Phrase von der ‚gelben Gefahr’ fort und kombiniert dabei unbesehen chinesische Räuchertechnik mit japanischer Verführungskunst. Das zeitgenössische Publikum wusste die Filmsymbolik freilich mit Namen wie Tshushima und Sun Yat Sen zu verbinden. Der eine stand für den Schock, der durch die westliche Welt lief, nachdem eine ‚weiße’ Großmacht von einer ‚gelben’ Armee geschlagen und dadurch die rassistische Weltordnung gehörig durcheinandergebracht worden war (Kowner 2007). Der andere signalisierte, wie August Wittvogel (1926) es in einem während der Dreharbeiten von ‚Metropolis’ erscheinenden Buch nannte, ‚das erwachende China’, mit dem verbunden ein neuer ‚roter’ Stern am politischen Firmament auftauchte.
Daneben verweist Patalas unfreiwillig auf eine weitere Dimension des zeitgenössischen Rassismus, als ihm wenige Seiten später die politisch korrekte Semantik entgleitet und er beschreibt, wie die Schale im Fortgang der Szene nicht länger von „Negern“, sondern von den „sieben Todsünden“ gehalten wird. Das dem vermeintlich bloß referierenden Betrachter hier fast ein dreiviertel Jahrhundert nach der Uraufführung des Filmes in den Sinn geratende N-Wort verdeutlicht die nachhaltige Penetranz rassistischer Bilder. Freilich hätten selbst zeitgenössische Zuschauer angesichts der zahlreichen Überblendungen des Films kein schlichtes ‚Verschwinden’ der ursprünglichen Träger gesehen. Tatsächlich findet im Verlauf der Szene eine Verwandlung statt, welche Schwarze und Todsünden verknüpft. Die einen werden als Sünder markiert und die anderen rassisiert (vgl. Abb. 6).
(Abb. 6: Sünde in Schwarzweiß – Tanz im ‚Yoshiwara’)
In der Figur der falschen Maria überlagern sich mehrere zeitgenössische Diskurse, die sich durchaus ergänzen. Zu den antisemitischen politischen Verdächtigungen treten die antifeministische Denunzierung der neuen Frau als herzloser Maschine und die sexistische Warnung vor der teuflischen Verführerin und Hexe. Alle drei Invektiven zusammen verwandeln die sanfte Predigern Maria in eine ‚Eve of Destruction’, der die Stadt beinahe zum Opfer gefallen wäre. Indem sie ihr schändliches Treiben mit einem an Salome orientierten Schleiertanz krönt, schließt die falsche Maria den Kreis zwischen dem orientalistischen Sexismus und dem politischen Antisemitismus des Films.
Dabei wird seine rassistische Botschaft durch die ikonographische Verbindung von weißer Frau, schwarzem Mann und sündhaftem Tun zusätzlich verstärkt. Sie hatte in der damaligen deutschen Öffentlichkeit einen symbolischen Ort, an dem sich konservative bis sozialdemokratische Kreise trafen: die sogenannte ‚schwarze Schmach’. So nannte eine internationale Kampagne den Einsatz von Kolonialtruppen bei der Besetzung des Rheinlands durch Frankreich. Sie richtete sich gegen die Stationierung von ‚Wilden’ im ‚kulturellen Zentrum’ Europas und gegen die davon ausgehende ‚Mulattisierung’ und ‚Syphilitisierung’ der ‚weißen Rasse’. Das wurde vor allem in der Beschwörung ‚weißer Frauenehre’ und der Anklage ‚schwarzer Vergewaltiger’ zum Ausdruck gebracht. Dabei war sie in eine umfassende Perspektive auf die angebliche rassische Bedrohung eingebettet. So mahnte und forderte ein Flugblatt: „Deutsche Frauen! Deutsche Mädchen! Haltet Euch fern von Juden, Negern, Russen, Mongolen und von allen fremd- und niederrassigen Männern!“ (Wigger 2007, 129). Solches Gebräu verdichtete Adolf Hitler (1932, 357) zu völkischen Phantasien, die gerade erschienen waren, als Thea von Harbou mit ihrer Arbeit an ‚Metropolis’ begann. Zu ihnen gehörte die rassistische Gewissheit, dass es „Juden waren [...] und sind“, „die den Neger an den Rhein bringen“, um durch die „zwangsläufig eintretende Bastardisierung die ihnen verhaßte weiße Rasse zu zerstören“.
Vor dem vermeintlichen Hintergrund einer jüdisch-kommunistisch-fremdrassigen Gefahr zeigt sich, dass der Schluss von Fritz Langs ‚Metropolis’ nicht minder pornographisch ist, als seine orientalische Tanzorgie. Wenn sich über die Leiche Rotwangs und die Asche der Maschinenmaria hinweg Arbeiterführer und Chefkapitalist die Hand reichen, bekunden sie ihren obszönen Willen zur rassistischen Volksgemeinschaft.
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[1] Es ist daher irrig, wie Anton Kaes (1994, 24 f.) anzunehmen, daß „Thea von Harbou’s novel wrongly identifies the pentagram as ‘the seal of Solomon’, i.e. the Star of David“. Sie stellt die Möglichkeit der Verwechslung oder Gleichsetzung beider Zeichen vielmehr bewußt her.
[2] Lang hatte mit Alberich bereits in seinen ‚Nibelungen’-Filmen eine „stereotype Judenfigur“ auf die Leinwand gebracht (Hoklas 2013, 72).
[3] Alexander Bogdanov leitete nach der Revolution nicht nur die Proletkult-Organisation, sondern auch ein Institut für Bluttransfusion, das durch den Austausch des Blutes junger und alter Menschen den Prozess des Alterns verzögern wollte. Er selbst hat sich dieser Prozedur ebenfalls unterzogen und ist schließlich an ihr gestorben (Groys 2005, 18). Über seinen Roman ‚Der rote Stern’ notierte Maxim Gorki kurz nach Erscheinen, „Bogdanows Der rote Stern“ sei „interessant als erster russischer Versuch, eine sozialistische Utopie zu schaffen“ (Möbius 2011, 187). Den Leserinnen und Lesern Lenins (1970) ist Bogdanov als Zielscheibe der Kritik in ‚Materialismus und Empiriokritizismus’ bestens, aber nur bedingt bekannt.
[4] Vor diesem Hintergrund ist es mehr als erstaunlich, dass ausgerechnet eine Studie mit dem Titel ‚The Dialectic of Enlightenment in Metropolis’ (Abrams 2008) oder Überlegungen, die behaupten, sie seien „viewed through a Marxist lens“ (Williams 2013, 38), weder auf die antisemitischen noch die antikommunistischen Tendenzen des Filmes eingehen.
[5] Im Vorwort erklärte freilich ein Professor aus Tokio, die Gitter, hinter denen die Frauen säßen, wären kein Käfig, sondern dienten ihrem Schutz vor Übergriffen. Auch wären „die Kurtisanen Yoshiwaras“ weitaus moralischer als „die Freudenmädchen europäischer Bordelle“ und arbeiteten dort überwiegend nur, um ihren Eltern oder Liebhabern über finanzielle Nöte hinwegzuhelfen (von Preuschen 1920, 9 ff).