Elektromobilität? Ja, aber …

Dezember 2011

Dass elektrische Antriebe zukünftig die Verbrennungsmotoren im Fahrzeugsektor ersetzen werden gilt als ausgemacht. Weniger ausgemacht ist demgegenüber, was „zukünftig“ heißen soll. Und alles andere als ausgemacht sind die Rahmenbedingungen und die konkrete Umsetzung künftiger Elektromobilität. Es sollte deshalb versucht werden, frühzeitig ökologischen und sozialen Gestaltungskriterien Geltung zu verschaffen.

Elektromobile Zukunft?

Nicht erst anlässlich der jüngsten Absatzkrise der Automobilindustrie im Jahr 2009 (hier jedoch mit besonders viel Verve) wurden Elektroautos als Rettungsanker im Abschwung ausgemacht, der die Verkaufszahlen schnell wieder steigern könnte.[1] Es kam dann allerdings ganz anders: Ein unerwarteter Nachfrageboom nach Mittel- und Oberklassemodellen mit traditioneller Antriebstechnik vor allem in China, Japan, USA und Brasilien ließ die Autoexporte deutscher Hersteller seit Mitte letzten Jahres geradezu explodieren. Schon vorher war der Inlandsmarkt spürbar durch den aus Steuergeldern bezuschussten Absatz von Benzin- und Dieselfahrzeugen stabilisiert worden („Abwrackprämie“). Hochtrabende Pläne einer schnellen Serienproduktion von Elektroautos waren damit rasch wieder vom Tisch. Gleichwohl wird der Elektromobilität schon allein aus ressourcialen Gründen und klimapolitischen Erwägungen die Zukunft gehören. Es fragt sich nur, wann diese Zukunft beginnt.

Bundeskanzlerin Merkel wird nicht müde, stets aufs Neue für ihr Ziel zu werben, bis zum Jahr 2020 mindestens eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen (heute sind es knapp 3.000). Im Frühjahr 2011 von der European Business School (EBS) befragte 140 Fachleute aus der Automobilindustrie sind da weitaus skeptischer: Ihrer Einschätzung nach ist die Elektromobilität auch im Jahr 2030 noch weit vom Durchbruch entfernt.[2] Auch eine im September 2011 vom Institut der Deutschen Wirtschaft gemeinsam mit Deutsche Bank Research vorgestellte Untersuchung prognostiziert für Elektroautos bis 2020 einen Marktanteil von lediglich acht Prozent (und vergisst nicht hinzuzufügen, dass dieser Anteil ohne ausreichende Subventionierung der Elektromobilität bei höchstens drei Prozent liegen werde).[3] Die vier Wochen vorher präsentierten Ergebnisse einer Umfrage bei 300 Unternehmen der europäischen Automobilindustrie, die die Unternehmensberatung Ernst & Young durchgeführt hat, lassen die elektromobile Zukunft wieder ein wenig näher an die Gegenwart heranrücken: nach Einschätzung der befragten europäischen Automobil-Manager markiert das Jahr 2022 den Durchbruch für Elektroautos – zunächst in Europa, später dann in Japan und China. Der traditionellen Fahrzeugproduktion scheint das jedoch keinen Abbruch zu tun: Allein die hiesigen Autokonzerne wollen ihre Produktionskapazität bis zum Jahr 2015 auf 17 Millionen Fahrzeuge (d. h. um ein Drittel) ausweiten.[4]

Ohne Moos nix los

Auch wenn die Meinungen über ihren Beginn auseinander gehen, in einem Punkt herrscht Einigkeit: Ohne staatliche Förderung wird die „elektromobile Zukunft“ ein Traum in weiter Ferne bleiben. Den institutionellen Rahmen einer aus öffentlichen Mitteln subventionierten Elektromobilität bildet in der Bundesrepublik die Anfang Mai 2010 ins Leben gerufene „Nationale Plattform Elektromobilität“ (NPE). Sie ist ein Netzwerk aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, gelenkt von H. Kagermann, dem ehemaligen Vorsitzenden des Softwarekonzerns SAP, gemeinsam mit dem Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) M. Wissmann und B. Huber, dem Vorsitzenden der IG Metall.

Während der letzten Rezession wurden im Sommer 2008 500 Millionen Euro für die anwendungsorientierte Forschung bereitgestellt, nachdem das Bundesforschungsministerium die Elektromobilität als Maßnahmenschwerpunkt im Rahmen des Konjunkturpakets II ausgewählt hatte. Dass es sich bei dieser Summe allenfalls um eine Auftaktfinanzierung handeln könne, machte Daimler-Forschungsvorstand Weber deutlich. Schließlich ginge es darum, eine Million Arbeitsplätze in der Fahrzeugbranche zukunftssicher zu machen. Auch eine erneute Absatzsubventionierung der Autokonzerne aus Steuermitteln dürfe nicht tabuisiert werden, denn „Elektrofahrzeuge brauchen mindestens zu Beginn zusätzliche Kaufanreize, um sich als neue Technologie am Markt zu etablieren. Wenn wir dies nicht ernst nehmen, wird es im internationalen Wettbewerb zu Verzerrungen kommen.“[5] Mitte Mai dieses Jahres übergab die NPE der Bundesregierung ihren zweiten Bericht. Dieser summiert den Investitionsbedarf für Forschung und Entwicklung bei Elektroautos allein für den Zeitraum 2012 bis 2014 auf knapp vier Milliarden Euro. Der Staat soll die Hälfte dieser Mittel beisteuern. Bewerben um die Gelder werden sich Konsortien, zu denen Konzerne wie Volkswagen, BASF oder Eon zählen, „dieselben Unternehmen“, konstatiert die FAZ am 9. Mai 2011, „deren Manager auch schon Mitglieder der Nationalen Plattform Elektromobilität sind, die die Subventionen empfiehlt.“ Weil eine unmittelbare Absatzsubventionierung politisch (noch) nicht durchsetzbar ist (schließlich fahren die Autokonzerne z. Zt. Rekordgewinne ein und die Erinnerung an die fünf Milliarden Euro, die der Fahrzeugbranche via „Abwrackprämie“ aus der Staatskasse zugeflossen sind, ist auch noch nicht verblasst), sollen flankierend erst einmal steuerliche Anreize (z. B. Sonderabschreibungsmöglichkeiten für gewerbliche Käufer) und nichtmonetäre Privilegien für Elektroautos hinzukommen (z. B. Vorrechte beim Benutzen von Busspuren). Es ist wohl nur eine Frage der Zeit (und der Automobilkonjunktur), wann auch die direkte Verkaufsförderung für Elektroautos durch Steuergelder einsetzt.

Staatliche Förderung im Verkehrssektor, um die Umstellung von verbrennungsmotorgetriebener auf Elektro-Mobilität zu forcieren, ist per se nicht abzulehnen. Elektromobilität ist tatsächlich umweltfreundlicher, wenn es gelingt, die erforderliche Antriebsenergie ausschließlich aus regenerativen Energiequellen zu gewinnen, die risikoarm und umweltverträglich sind. Und Elektromobilität ist auch unter weiterreichenden ökologischen und sozialen Bewertungsmaßstäben zukunftsfähig, wenn sie in den umfassenden verkehrspolitischen Zielkanon von Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und Verkehrsoptimierung eingepasst wird, wie er im „Verkehrswende-Konzept“ entwickelt worden ist.[6] Elektromobilität im so verstandenen Sinn ist eng verbunden mit einem grundlegenden Wandel gesellschaftlicher Mobilitätsvorstellungen und passt als wichtiger Baustein in den Rückbau und die Neuausrichtung der Automobilunternehmen als mannigfaltige Verkehrsdienstleister.

Was wird, was sollte gefördert werden?

Eine derartige, ökologischen und sozialen Ansprüchen gerecht werdende Elektromobilität müsste gezielt unterstützt werden, soll sie sich zukünftig durchsetzen. Gegenwärtig zeichnet sich allerdings ab, dass vor allem die Großunternehmen der Automobil- und Elektroindustrie sowie eher der motorisierte Individualverkehr von der staatlichen Förderung profitieren werden. Einerseits dominieren diese Konzerne die NPE und formulieren die Ansprüche an zukünftige Elektromobilitäts-Förderung. (So sollen nach dem o. g. zweiten NPE-Bericht mehr als 70 Prozent der Mittel in die Bereiche Batterie- und Antriebstechnologie sowie Fahrzeugintegration fließen; für den Bereich Recycling sind gerade einmal 2,3 Prozent vorgesehen.) Andererseits werden die vorherrschenden Förderintentionen auch in verschiedenen Modellprojekten deutlich, die im Bereich der Personenbeförderung angelaufen sind. Seit Frühjahr 2010 lassen Renault und der Essener Stromkonzern RWE im Verdichtungsgebiet Rhein/ Ruhr batteriegetriebene PKW Probe fahren. Im Sommer 2010 kam als weiteres Testgebiet die Rhein-Main-Region hinzu, die bundesweit die höchste Pendeldichte aufweist. Weitere mit öffentlichen Mitteln geförderte Feldversuche gibt es in Hamburg, Bremen/Oldenburg, Berlin/Potsdam, Sachsen, Stuttgart und München/ Allgäu.[7] Die Einsatzmöglichkeiten von Elektro-PKW werden somit in denjenigen Bereichen erforscht, wo sie nach der Maßgabe einer umwelt- und sozialverträglichen Verkehrspolitik nicht viel zu suchen haben. Gerade beim Pendelverkehr in Ballungsgebieten müsste Rang 2 des Zielkanons der „Verkehrswende“ zum Zuge kommen, die Verkehrsverlagerung: Hier ist der motorisierte Individualverkehr in hohem Maße auf die Verkehrsträger Füße, Fahrrad und öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) umzulenken (und auch vergleichsweise leicht umlenkbar). Die entsprechende Verkehrsinfrastruktur müsste ausgebaut und so attraktiv gestaltet werden, dass das „Umsteigen“ leicht fällt und (auch Zeit-)Vorteile bringt. Stattdessen werden öffentliche (und private) Mittel dafür vergeudet herauszufinden, wie der motorisierte Individualverkehr optimiert und lediglich antriebstechnisch verbessert werden kann.

Zukunftsfähige Modellprojekte zur Elektromobilität, die ebenfalls aus öffentlichen Mitteln gefördert werden, gibt es allerdings auch. Sie betreffen beispielsweise den Güternahverkehr. Während beim Güterfernverkehr im Sinne der „Verkehrswende“ die Verlagerung von der Straße auf die Schiene (und insofern auch die Elektromobilität) Vorrang hat, sollten im Güternahverkehr die nicht vermeidbaren Verkehrsleistungen immer weniger von benzin- und dieselgetriebenen, dafür vermehrt von elektrischen Transportfahrzeugen erbracht werden. Deshalb ist es begrüßenswert, dass in den bereits erwähnten Testgebieten für Elektromobilität auch die Einsatzmöglichkeiten entsprechender Müll- und Lieferfahrzeuge erkundet werden. Für den ÖPNV gilt das Gleiche. Für diesen gibt es Modellprojekte in verschiedenen Großstädten der Welt, wobei London als wichtigstes Beispiel gilt. Hier sollen ab 2012 nur noch Hybridbusse für den öffentlichen Verkehr neu zugelassen werden.[8] Im Bereich individueller Personenbeförderung wäre einerseits an elektrisch getriebene Taxis und Krankenwagen zu denken. Auf der anderen Seite hat die diesjährige Fahrradmesse „Eurobike“ erneut gezeigt, dass elektrisch unterstütztes Fahrradfahren (ohne staatliche Kaufanreize) einen enormen Aufschwung erlebt und dabei ist, nicht nur den wachsenden älteren Teil der Bevölkerung vermehrt zur Nutzung des sinnvollsten Verkehrsmittels anzuhalten. Auch im Bereich des motorisierten Individualverkehrs gibt es Elektromobilitäts-Projekte, die in die richtige Richtung gehen. Die Kooperation der Adam Opel GmbH mit der HSE AG, dem größten bundesdeutschen Anbieter von Ökostrom, ist ein entsprechendes Beispiel. Opel hat sich dafür entschieden, die HSE AG als bevorzugten Partner für die Stromversorgung des Opel-“Ampera“ zu wählen; also desjenigen Elektroautos, von dem Opel im Jahr 2012 auf dem bundesdeutschen Markt mindestens 10.000 Stück absetzen will. Darüber hinaus wollen beide Unternehmen u. a. beim Aufbau der erforderlichen Energieversorgungsinfrastruktur kooperieren und die Möglichkeiten der Nutzung von Autobatterien als mobile Stromspeicher im Kontext eines dezentral organisierten, „intelligenten“ Stromnetzes erforschen.[9]

Abwarten?

Auch die genannten sinnvollen Projekte zur Elektromobilität stehen unter dem Vorbehalt der Art der Energiequellen, die für die Stromerzeugung genutzt werden. Sollte deshalb gewartet werden, bis eine zukunftsfähige Energiebereitstellung flächendeckend eingeführt ist, bevor die Elektromobilität weiter erprobt und großräumig umgesetzt wird? Nicht nur unter Arbeitsplatzgesichtspunkten und dem Einbezug des Problems internationaler Konkurrenz im Fahrzeugbau ist diese Frage zu verneinen. Es wäre naiv anzunehmen, bei der Fahrt in Richtung Elektromobilität könne ein Zwischenstopp eingelegt werden. Worauf es ankommt ist zu versuchen, die Fahrtrichtung nachhaltig mitzubestimmen. Einerseits also Einfluss zu nehmen auf Art und Inhalt von Elektromobilitäts-Förderung (die Verhinderung zukünftiger Absatzsubventionierung für Elektroautos wäre beispielsweise ein gutes Zwischenziel, ebenso die Durchsetzung einer Fördermittelkonzentration beispielsweise im Güternahverkehr und auf Projekte für „mobile Stromspeicher“). Andererseits geht es darum, die gesamtgesellschaftlichen Mobilitätsvorstellungen und -verhaltensweisen zu verändern („Verkehrswende“). Auch Betriebsräte und Gewerkschaften sind gefordert: Eine Weichenstellung in Richtung sinnvoller Elektromobilität eröffnet einem betriebs- und unternehmensbezogenen „Co-Management“ neue, zukunftsorientierte Betätigungsfelder.

Vorschlag für den Hausgebrauch

Zum Schluss ein kleiner Tipp für den Haus- (besser: Betriebs-)gebrauch: Was hindert die Betriebsräte beispielsweise der Automobilindustrie eigentlich daran, via Betriebsvereinbarung eine aus Unternehmensmitteln zu finanzierende Bezuschussung der Anschaffung von Elektrofahrrädern (neusprachlich: E-Bikes) für Belegschaftsmitglieder durchzusetzen? Schließlich hat auch das „Job-Ticket“ klein angefangen. Die betrieblichen und überbetrieblichen Wirkungen solchen Handelns dürften in vielerlei Hinsicht angenehm überraschen.

[1] Vgl. Dietmar Düe, Rückbau der Automobilindustrie, in: Z 84, Dezember 2010, S. 62ff.

[2] Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung [FAZ] vom 9.5.2011.

[3] Vgl. FAZ vom 13.9.2011.

[4] Vgl. FAZ vom 30.8.2011.

[5] FAZ vom 23.11.2010.

[6] Vgl. M. Hesse/ R. Lucas, Verkehrswende, Schriftenreihe des IÖW 39/90, Berlin und Wuppertal 1990.

[7] Vgl. FAZ vom 10.3.2010 und 12.7.2010.

[8] Vgl. FAZ vom 10.3.2010.

[9] Vgl. FAZ vom 16.6.2010 und 24.8.2011.