Die chinesische Wirksamkeit ist diskret.
Denn die Anstrengung ist sichtbar, aber die
entstehende Wirkung ist unsichtbar.
François Jullien
Vorbemerkung
Vor zwei Jahren war die VR China das Partnerland auf der Frankfurter Buchmesse. Geplant war aus diesem Anlass eine Sammelrezension in Z vom Verfasser, die einen Überblick über die widersprüchlichen Chinabilder geben sollte; selbst die sich marxistisch verstehenden beiden deutschsprachigen Arbeiten von Dillmann (2009) und Peters (2009) unterscheiden sich in ihrem methodischen Herangehen und in ihren Urteilen grundlegend. Positionen, die im Denken marxistischer Ökonomie geschult sind (Arrighi 2007), kommen überdies zu ganz anderen Fragestellungen jenseits der eher ideengeschichtlich ausgerichteten deutschen Bücher. Dass in der Provinz eine großartige marxistische Arbeit wie die des langjährigen Herausgebers von ‚Marxism Today’ Martin Jacques (2009) unbekannt bleibt (mit Ausnahme von Frank Deppe[1]), ist voraussehbar. Nun, allein diese vier Titel mit ca. 2.000 Druckseiten (+ DVD) hätten einiges an Arbeitszeit benötigt; widrige Umstände verhinderten die Durchführung der Arbeit. Nach zwei Jahren und nachdem einige Besprechungen bereits in Z erschienen sind (deren Tendenz ich zustimme), steht ein andere Aufgabe an. Ausgangsüberlegung ist eine einleuchtende Beobachtung des vorzüglichen China-Kenners Sieren: „Die Linken in Deutschland sind verstimmt, weil ein kommunistisches Land rabiat kapitalistisch geworden ist und nun auch noch frech behauptet, dies sei ‚Sozialismus chinesischer Prägung’.“[2]
Meine herangezogene Literatur kann, bedingt durch die Zwänge eines Aufsatzes, nur einen kleinen Ausschnitt aus der Forschungslandschaft bieten. Gesichtspunkt war die Entfaltung eines Gedankens, der die manipulative China-Berichterstattung[3] zu transzendieren versucht. Mir ist überaus klar, dass der überwiegende Teil auch der Linken, die China kritisieren, blindlings jene nachbeten. Gewiss: alles was wir wissen, wissen wir aus den Massenmedien – so nicht ohne Ironie Luhmann. Doch zuweilen erscheinen am Rande der verwalteten Medienwelt in ihrem elitären Segment Aufsätze, die in ihrer Stringenz und durch den Erfahrungsschatz ihres Verfassers ganze Bibliotheken obsolet machen: für unser Thema der Aufsatz Zwei Revolutionen von Perry Anderson (2010).
Das waghalsige Geschäft, Geschichte zu prognostizieren
Bevor ich mich über Prognosen lustig machen werde, beginne ich selbst mit einer. Seit 1949 wird China durch ein politisches Zentrum gesteuert, welches bislang den Großen Sprung (1958), die Kulturrevolution (1966f.[4]) und die Post-Mao-Zeitphase mit leichter Hand und einigen geringen Reibungsverlusten überlebt hat, die KP Chinas. (Adolphi 2011, um ein wenig seine Chinesischkenntnissen zu demonstrieren, die etwa eine Dillmann nicht hat, pflegt von Gongchandang zu sprechen.) Ältere Literatur nimmt die KP noch ernst, wie Jürgen Domes (1965; darin eine schöne Zeittafel der am 1. Juli 1921 in Shanghai mit 12 Delegierten bei 57 Mitgliedern gegründeten Partei, 135ff.). Der leider zu früh Verstorbene hat keinen Nachfolger in Deutschland gefunden; aktuelle Kenntnisse über die Partei muss man amerikanischen Monographien entnehmen., Heberer (2006) ist zu knapp. „Seit der Gründung der VRCh am 1. Oktober 1949 gilt, was Mao Zedong in seiner 1957 gehaltenen Ansprache in die Formel brachte, die seit dem 17. Januar 1957 auch in der chinesischen Verfassung (Art.2, Abs. 1 nachzulesen ist: ‚Die kommunistische Partei Chinas ist der führende Kern des chinesischen Volkes.’“ (Senger 1982: 1) Einige Verfassungsänderungen der letzten Jahre haben diesen Verfassungsgrundsatz nicht abgeändert. Warum auch? Das Einparteiensystem ist an Komplexitätsbewältigung und Effektivität dem Mehrparteiensystem überlegen, zumal nach den Erkenntnissen Otto Kirchheimers aus den 60er Jahren, die bis heute empirisch valide sind, in allen wichtigen Entscheidungen die Mehrparteien in ihren parlamentarischen Abstimmungsverhalten zu Einparteiensystemen mutieren. Die funktionaläquivalenten Strategien der modernen Politik, die Ausdifferenzierung in zwei Formen von Parteikonstellationen, schienen bislang unter unseren Bedingungen einer Schönwetterdemokratie die andere in den Schatten zu stellen. Ist aber die Autonomie des Politischen als Eigenwert gefordert, z.B. um das ökonomische Feld wenigstens zu begrenzen, dann ist es mit der Komplexitätsfähigkeit vorbei: das Mehrparteiensystem ist ungeeignet, weil ineffektiv. „Im Einparteiensystem [dagegen; ML] wird die Reflexivität der Werte bestimmendes Moment einer einheitlichen Ideologie. Im Mehrparteiensystem wird sie durch die Pervertierung der Werte erreicht, nämlich dadurch, daß man sie systemrelativ instrumentalisiert.“ (Luhmann 1968: 290). Bekanntlich beschreibt sich unser System, auf das Werte durch die Politik systemrelativ zu beziehen sind, als Staatsmonopolitischer Kapitalismus (Jung 1986). Dass Frau Merkel bei ihrem letzten Chinatrip unter das rote Banner „Parteihochschule der KP Chinas“ gesetzt wurde, zeigt, dass man in China an die Lernfähigkeit der Menschenrechtsaktivistin Merkel zu glauben scheint.
Ein weitere Chinareisender, dessen Funktion in der Zeitschrift Lunapark darauf schließen lässt, das er eine dezidierte Meinung eines der zahllosen Flügel der Partei DIE LINKE repräsentiert, kommt ganz erschreckt nach Hause. Wachstum, wohin man sieht – zum Trost: dieses Jahr reduziert sich diese Fetischgröße, als die die Umweltkämpfer diese Messdaten dekonstruieren, im Dritten Quartal um 0,8% auf 9,1%, und schon erleidet der Dax einen seiner notorischen Anfälle und schwächelt. Hofbauer regt sich über allerlei auf, als Linker nicht so heftig über den klassischen Katalog – Menschenrechte, Todesstrafe, Nobelpreisträger im Gefängnis, begabte Künstler ebenda oder im Zwangsexil, Tibet. Dabei verbrennt sich hin und wieder eine heroische buddhistische Nonne, um die Rückkehr Seiner Heiligkeit vom dadurch zutiefst erschütterten Staat und oder/Volk zu erzwingen! Nein, Hofbauer konzentriert sich auf die Modernisierungsverlierer: „Mehr als zweihundert Millionen Wanderarbeiterinnen und -arbeiter, die zusammengepfercht in Containern und schnell errichteten Heimen nach 10- bis 12-stündigen Arbeitstagen (gesetzlich erlaubt sind nur 8 Stunden) auf ihre Stockpritschen fallen, gelten im Sprachduktus der Partei als Nachholer einer Entwicklung [...]“ und nach ein paar raschen Zwischengedanken prognostiziert er: „Wenn dann noch die staatlichen Branchen ihren staatlichen Monopolcharakter abstreifen, hätte die KPCh ihre modernisierende Aufgabe erfüllt, den ursprünglichen Akkumulationsprozess im neo-merkantilistisch-planwirtschaftlichen Sinn begleitet. Sie könnte die Gesellschaft in die Phase der reinen Kapitallogik entlassen.“ (Hofbauer 2011: 5) Doch, warum bedient sich Hofbauer bei Dillmann, die alles viel härter auf den Begriff bringt? Jede Gesellschaft, die „den Staat als rettende Instanz einer gerechten Warenproduktion reorganisiert ... und die vergesellschaftete Reichtumsproduktion erneut in den Dienst einer Nation stellt, überwindet das von ihr kritisierte System abstrakter Reichtumsproduktion nicht“ – und China folgt deshalb im Scheitern der Sowjetunion, Kuba, der DDR auf die Müllhalde der Emanzipationsgeschichte (Dillmann 2009: 380/81). Da die Autorin den in der Tat faszinierenden China-Bericht von Beauvoir uns „allen ans Herz gelegt“, sei hier das Original zitiert, welches deutlich eine radikal andere Position vertritt: „Nun ist allein der Kommunismus fähig, die Planung aufzustellen und aufzuerlegen. Für die Völker Asiens erscheint er also als das einzig mögliche Heil. Diese Verbindung ist kein Zufall. Die Planung erfordert die Unterdrückung des freien Unternehmertums und des Profits, mithin die Liquidierung des Kapitalismus, die nur gewaltsam möglich ist. Sich einbilden, man hätte das eine ohne das andere verwirklichen können, wie manche brave amerikanische Idealisten – Pearl Buck zum Beispiel – es sich zu erträumen scheinen, das ist pure Utopie. Gestern die Agrarreform, heute die Volksdiktatur, das sind unumgänglich nötige Etappen dieses langen Marsches, der China zur Großmacht machen wird.“[5]
Moral ihrer Geschichte: „Die kapitalistische Wirtschaftsweise des gewendeten China bringt systemnotwendig das hervor, was zu ihren ungeliebten Begleiterscheinungen gezählt wird: Armut, Gewalt, Konkurrenz, Militarismus, Umweltzerstörung.“ (Ebd. 381) Kleiner Einwand: Ist China eine Nation? Oder besser: wie Lucian Pye feinsinnig bemerkte, China sei eine Nation, die vortäuscht, ein Nationalstaat zu sein... Was aber die Sache für Dillmann und viele andere Linke nicht besser macht. Wenn es etwas gibt, was sie noch mehr verabscheuen als die Wiedereinführung des Kapitalismus, dann ist dies die in ihren Augen penetrante Ausrufung eines Nationalismus, den die Chinesen überdies zum Patriotismus verniedlichen: so ihre Schauergemälde. Schauen wir uns einen dafür ausgezeichneten Text an, der zudem gewissermaßen als Leitmotiv eines Chinaheftes von iz3w dienen sollte, dem sich die restlichen Autoren zu unterwerfen hatten. Der Verfasser, der sich erschüttert vom „schrecklichen Werk linkslinksradikaler Zerstörung“ der Kulturrevolution zeigt, benutzt ein Vokabular, welches seit den guten alten Zeiten des Antikommunismus etwa eines Konrad Löw zumindest in der China-/Kommunismusdebatte selten ist. „Die Volksrepublik hatte wie die Sowjetunion auch ein altes Reich beerbt. Noch deutlicher als die Russen in der SU dominieren demographisch die Han-Chinesen das nachrevolutionäre China. Die marxistisch-leninistische wie auch die maoistische Nationalitätenpolitik lösten für eine relativ lange Zeit den Widerspruch zwischen Reichsstruktur und nation building, und zwar durch relative Autonomie der nationalen Minderheiten und Korrumpierung ihrer erzieherischen Mittelschichten. Mit zunehmender Akkumulation nach Phasen linksradikaler Abenteuer und realsozialistischen Beruhigungsperioden bricht nun der alte Widerspruch auf und drückt sich in konkurrierenden nationalen Aspirationen aus. Nur existieren jetzt neue Mittelschichten, die zu Führern oder Trägern neuer Unabhängigkeitsbewegungen werden können, die die von realsozialistischer Ideologie uneingestandene Reichsstruktur bedrohen. [...]
Deswegen werden von den chinesischen Kommunisten ihre einzig verbliebenen Legitimationen ‚nationale Einheit’ (inclusive Recht und Ordnung) und ‚Unabhängigkeit’ gehütet wie ein Schatz. Man fühlt sich durch jeden Hinweis auf real existierendes Unrecht und Unordnung in seiner Existenz bedroht, diffamiert jede innergesellschaftliche Kritik als unpatriotisch (von Liao Xiabo bis Ai Weiwei) und sieht in jedem national sich artikulierenden Protest den Keim eines Separatismus, der mit allen Mitteln unterdrückt wird (Tibet, Uiguren, Mongolen etc.). Der Widerspruch zwischen innergesellschaftlichem Modernisierungsdruck und einem flächendeckenden Gulagsystem, zwischen Überbevölkerung, die immer neue Generationen von Auslandschinesinnen schafft, die nicht mundtot zu machen sind, und Zwangspolitik bis in die Familienstruktur hinein, ließ sich durch nationalistische Rhetorik zwar übertünchen. [...]
Diese Legitimation erneuerten die chinesischen Revolutionäre, als sie in den 1970er Jahren das schreckliche Werk linksradikaler Zerstörung, die Kulturrevolution, beendeten. Sie waren an der raubtierkapitalistischen Rekapitalisierung Chinas mit eigenen Unternehmen aktiv beteiligt: Es gab 1989 reale eigene Interessen zu schützen. Die Vernichtung der Demokratiebewegung bedeutete die Rettung der Diktatur, die Wiederherstellung von Unrecht und autoritärer Ordnung. Daraus resultiert außenpolitische Aggressivität mit nationalistischer Rhetorik.“ (Claussen 2011: D4)
Es muss österreichischer Sadismus sein, welcher den Wiener Verleger Hofbauer im Sommer 2011 zu Besuch nach Shanghai getrieben hat! Denn eines muss man Dillmann zugestehen: Zu diesen fundamentalen Meinungen und Untergangsprognosen muss niemand den vielstündigen Flug nach Shanghai unternehmen. Soll man wirklich in die Details gehen? Die Wanderarbeiter umfassten vor 2008 laut staatlicher Statistik ca. 60 Millionen Menschen weniger, aber Zahlen können ja gefälscht sein. Die Struktur der Arbeit hat sich nach der Krise völlig verändert: Inzwischen sucht der Markt Wanderarbeiter, allein in Kanton gibt es einen Mangel von ca. 1 Million; selbst leichter durchgesetzte höhere Löhne, die bezahlt werden müssen, auch weil neben mangelndem Angebot an Arbeit die Nachfrager inzwischen eine erheblich verbesserte Qualifikationsstruktur haben, ändern nicht diesen Arbeitskräftemangel. Es gibt einen Tarifvertrag für Leiharbeiter, die gesetzlichen Kontrollen von Arbeitsbedingungen werden sukzessive verschärft, und erste Ansätze einer Schulbildung für die Kinder und Fortbildung werden realisiert. Selbst das in der neoliberalen Zwischenphase der 80er, deren Delirium wie deren durch westliche Firmen verlängerte Nachzüglerei Kenner wie Rolf Geffken (2007) seit langem konstatieren, in die Verfassung 1982 aufgenommene Verbot des Streikrechts wird zumindest auf Provinzebene ausgehebelt. Jederzeit war die politische Führung auf eine Finanz- und Wirtschaftskrise des Kapitalismus eingestellt, die sich tief in die Exportmaschinerie Chinas einfräsen wird. Die 20 Millionen Arbeiter, die dadurch in die Arbeitslosigkeit getrieben wurden, wurden von der All-China Federation of Trade Unions unterstützt. Zentrales Motto ist, so Professor Wang Wie: „Es ist notwendig, Wanderarbeiter mit den Gewerkschaften vertraut zu machen. [...] Wir sollten lernen, wie sie zu organisieren sind, wie wir ihr Rechtsbewusstsein schärfen können, und wir sollten ihnen helfen, ihre Interessen aktiv und effektiv zu vertreten.“ (Naisbitt 2011: 232/3)
Am Schlimmsten für einen Linken aber ist die völlige Gleichgültigkeit gegenüber den Subjekten, den Wanderarbeiterinnen. Der iranisch-amerikanische Soziologe Yaghmaian (2011) hat das Schicksal von Yu Xinhong jahrelang beobachtet, ihren Weg aus dem Dorf über verschiedene Stationen der Wanderarbeit (ihr interner Aufstieg in höhere Positionen) zu einer Immobilienmaklerin in der Stadt, was ohne das Institut Wanderarbeit ausgeschlossen gewesen wäre. Sie würde zur Freude der Wanderarbeitsgegner heute noch knapp über Existenzminimum im Dorf Reis anpflanzen oder ihrer Großmutter zur Hand gehen. Weil sie die empirische Arbeit von Ngai kennt, schreibt eine scharfe Kritikerin der Wanderarbeit: „Pun Ngai bezeichnet die Dagongmei deshalb als die erste subalterne Klasse im China der Wirtschaftsreform, die einerseits im Prozess der internationalen Arbeitsteilung geopfert wird und sich anderseits gegen diesen Prozess auflehnt. [...] Trotzdem haben die Wanderarbeiterinnen Verhandlungsmacht aufgebaut, die ihren Forderungen nach fairen Löhnen, Rechten und Respekt und ihrem Eigensinn, wo sie arbeiten und leben wollen,“ dient.[6] Letzteres schließt doch auch m. E. die individuelle Entscheidung ein, Wanderarbeit als Mobilitätsvehikel zur persönlichen Karriere zu benutzen. Oder ist das den Subjekten zu untersagen, damit sie sich einzig im kollektiven Klassenkampf zu bewähren haben?
Noch ein weiteres Detail: Hofbauer mokiert sich über ‚Hukou’, das Wohnrecht, welches die unbeschränkte Slumbildung in den Megastädten durch den unkontrollierten Zuzug von Wanderarbeitern verhindert, und ist hier einer Meinung mit dem ihm sonst sehr fernen Liberalen Naisbitt (2009: 238). Inzwischen gibt es einen soziologisch interessanten Markt, sowohl als Verkauf von Berechtigungen durch die Städte wie auch einen schwarzen Markt mit dem intensiven Auftreten von Korruption, da bis 2030 nach offiziellen Statistiken 400 Millionen Chinesen sich in die Städte einbürgern wollen. Aber: hier müsste die umfangreiche Spezialliteratur zu Megastädten – etwa Saskia Sassen – daraufhin befragt werden, welche Unterschiede zwischen Indien oder Brasilien und China bestehen: ob das planvolle Nicht-Zulassen von Slums nicht einer der produktiveren Züge Chinas ist.
„Wie oft hat sich der geübte Kritiker an den europäischen Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten über den Begriff [Wirtschaftswunder] aus den 50er Jahren lustig gemacht. Und wie verirrt steht selbiger nun vor der Reinkarnation eines für euro-amerikanische Ohren historisch geglaubten Vorganges. Mit der Triebkraft des Kapitals, der Peitsche der Partei und der Disziplin des Volkes wird hier indes weniger wiederholt als übertrieben, was an wirtschaftlichem Aufschwung denkmöglich ist.“ (Hofbauer 2011: 4) Wäre es nicht in Dillmannscher Zuspitzung angebrachter, von einem durch ein staatliches Disziplinarregime zum Arbeitsfetischismus getriebenen Volk (Bevölkerung?) zu sprechen? Wirtschaftswunder ist eine frühe kabarettistische Formel für die Herstellung eines Teilhabekapitalismus, die bisher optimalste Lebensweise für die Arbeiterklasse im Kapitalismus, was Kabarettisten nicht zu wissen brauchen, jedoch Kritiker, denen Soziologie nicht fremd ist. Dieser Prozess ist brillant von Lutz (1984) analysiert worden: Wenn schon Blaupause, dann ist seine Rekonstruktion des zyklischen Verlaufs nach dem Weltkrieg der Politiken in der Ausnutzung kapitalistischer Produktivkraftentwicklung ein Strukturmodell, das die durchaus ähnliche Dynamik in China miterklären kann. Wirtschaftswunder ist die gelungene „illusio“, die nach Bourdieu als symbolisches Kapital das Feld auszeichnet, das den Gesamtprozess determiniert.
Diese Begriffsvorschläge könnten, auf China bezogen, folgendermaßen lauten: Für das ökonomische Feld – Ökologische Zivilisation (shengtai wenming)[7], für das politische – der alte Terminus des Meisters Han Fei: Staatskunst der Machtausübung (shu), und für das Gesamtfeld in der Funktion des symbolischen Kapitals – Harmonie (Hexie lt. Hu Jintao). Harmonie wird chinesisch verständlicher als das deutsche Wortfeld eines Biedermeier-Kitsches, wenn bedacht wird: „‚Regulieren’ bedeutet, durch die Veränderungen hindurch das Gleichgewicht bewahren (der Begriff des zong). Das ist die alte chinesische Idee der Harmonie (he), die man sich aber beweglich – im Prozess – vorstellen muss, und nicht statisch.“ (Jullien 2008: 24)
Treten wir einen Schritt zurück. Eine Sammlung von Reiseberichten von 1966 bis zum Tod Maos 1976 bereitet großen Spaß. Trotz aller Prominenz der damaligen China-Besucher (Mehnert, Ruge, Sommer, Erwin Wickert, gar nicht zu sprechen von Moravia oder Edgar Snow) reibt sich der heutige Leser, der das Material einigermaßen kennt, die Augen. Sicherlich, Historiker sind stets nach hinten gewandte Propheten (Schlegel), aber war denn gar nichts zu bemerken? Welche Elemente wie unsichtbar, diskret gewirkt haben, um das heutige China zu ermöglichen als die eine Form von Zukunft, die jetzt realisiert ist, während andere in der seinerzeitigen Gegenwart vorhanden waren, aber nicht evolutionär zum Tragen kamen? Über sich verbrennende Nonnen schrieb damals niemand, eher hätte man sich gewundert, dass solche Überbleibsel des Feudalismus frei herumlaufen. Ein welterfahrener Ökonom, prominent begleitet von den zwei späteren Nobelpreisträgern Leontief und Tobin, wohl eingeübt in Kapitalismus-Kritik beschreibt die Tiefenstruktur der chinesischen Ökonomie:
„Ein oder zwei weitere Punkte sollten noch hervorgehoben werden. Im Vergleich mit Osteuropa oder der Sowjetunion weist die chinesische Wirtschaft einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard auf. (Es gibt viel weniger Automobile als in Indien, und die Geschäfte sind weitaus schlichter und uninteressanter. Aber das darf man nicht dem niedrigeren, sondern dem einheitlicheren Lebensstandard zuschreiben.) Doch der niedrigere Lebensstandard scheint von einem reibungsloseren Funktionieren der Wirtschaft begleitet zu sein. Man hat ganz einfach das Gefühl, daß hier alles besser klappt als in Rußland oder Polen – wenigstens zur Zeit meines Besuchs dort vor einigen Jahren. In China greift alles richtig ineinander. Man merkt viel weniger von Pfusch oder schlechter Qualität. Das hängt teilweise auch mit dem liebenswürdigen, empfindsamen Charakter der Chinesen zusammen. Man überträgt seine Haltung auf die Gesellschaft. (Abweichler werden in China streng, aber vermutlich sehr höflich, zur Ordnung gerufen.) Es handelt sich um eine strikt autoritäre Gesellschaft, in der die Befehlenden lächeln und bitte sagen. Hinzu kommt die offenkundige Bereitschaft der Chinesen, fleißig zu arbeiten, wenn man ihnen nur die Gelegenheit dazu bietet. Aus welchen Gründen auch immer – die chinesische Wirtschaft scheint reibungslos und gut zu funktionieren.“ (Galbraith 1973:151)
Somit eine strikt autoritäre, oder, wie wir heute nach einer Relektüre von Webers Konfuzianismusthese sagen, eine konfuzianische Gesellschaft, und als ihr Movens die Bereitschaft zum Arbeiten. Beides in Gang gesetzt, erklärt die Dimension der derzeitigen ökonomischen Prozesse, die im Westen Angst und Bewunderung hervorrufen (und bei den Linken: Verachtung).
Eine positive Prognose
Der amerikanische Zukunftsforscher Naisbitt, dessen neuester Prognose-Versuch zugleich in Amerika, Deutschland und China veröffentlich wurde, entwirft „8 Säulen einer neuen Gesellschaft“ (Naisbitt 2009, Seitenangaben in Klammern).
(1) Emanzipation des Denkens, was bedeutet, den Menschen die Voraussetzungen bereitzustellen, den Denkapparat zu benutzen: 5 Millionen Universitätsabschlüsse jährlich, hunderttausende Studierende im Ausland, nicht zuletzt in Amerika. 10.000 wissenschaftliche Magazine, 750.000 Buchpublikationen pro Jahr. „Heute veröffentlicht China jährlich die weltweit größte Auflage an Publikationen, davon mehr als sechs Milliarden Magazine.“ (22) Darunter finden sich Klassiker des Liberalismus wie Isaiah Berlin, Klassiker des Sozialismus wie Karl Marx/Friedrich Engels (in einer ständig erneuerten, nach der MEGA verbesserten Ausgabe in ca. 70 Bänden, daneben in Vorbereitung eine dritte Auswahlausgabe in 10 Bänden), aber auch Klassiker des Konservatismus wie Carl Schmitt, den man gut gebrauchen kann, um den „Menschenrechtsimperialismus“ (Huntington) des Westen immanent zu bekämpfen. Ganz bedeutend daneben, um den Denkpluralismus zu ergänzen, ist die Internet-, Blogger-, Twitter Community. Die berühmtesten Liberalen (in unserem Sprachgebrauch Linksliberale) sind Michael Anti und Liu Yu; aber die kommunistische Konkurrenz hält neuerdings mit dem Internetforum „Utopia“ dagegen.
(2) Die Entstehung einer Zivilgesellschaft, demokratische Partizipationen, Protestbewegungen (72).
(3) Dem Wald Grenzen setzen, doch die Bäume wachsen lassen, oder: zur Dialektik einer vertikalen Demokratie, übertragen auf die Ökonomie. Flexible Rahmenbedingungen für Landwirtschaft (96), für Import/Export-Beziehungen (99), Programme für eine Ökoindustrie (103) und Nachhaltigkeit (109).
(4) Auf der Suche nach der Furt (à la Peters, 2009). Ökonomisch: „Die Zahl der kleinen Unternehmen steigt, [werden zunehmend] erste Wahl der Mehrheit aller chinesischen Universitätsabsolventen“ (170). Politisch: Parteiunabhängige Fachleute für hohe Staatspositionen, so in der Spitze die beiden Minister für Wissenschaft und Gesundheit (128); Massenmedien: „Letztendlich wird China ein weiteres Mal mittels Versuch herausfinden, wie es mit den Kommunikationswerkzeugen des 20. Jahrhundert umzugehen hat. Es wird den Fluss Stein für Stein durchqueren.“ (138)
(5) Die Globalisierung der chinesischen Kunst: Bildende Kunst, Film[8], eine boomende Filmindustrie (174) und vor allem, die städtische Revolution im Horizont eines neuen architektonischen Leitbildes der Moderne (Campanella (2008: 280f.) – „China Reinvents the City“. Systematisch werden die Strukturen einer proletarischen Öffentlichkeit, wenn mir erlaubt ist, mit einem Terminus von Negt/Kluge zu spielen, auf der Stadt- und sogar Dorfebene geschaffen, Naisbitt wählt die amüsante Formulierung, „Von der Kulturrevolution zur Kulturrevolution“ (N78ff.);
(6) Teil der Weltgemeinschaft, hier ausgewählt und konzentriert auf das Beispiel Afrika. Naisbitts Frage: „Die dringlichste Aufgabe in den meisten afrikanischen Ländern ist der Kampf gegen die Armut und die Schaffung von Sicherheit für den Menschen. Wie viel hat der Westen dazu beigetragen, dass Afrika diese Grundbedürfnis erfüllen kann?“ (205) Hu Jintaos Acht-Punkte-Paket auf dem Gipfel 2006 des chinesisch-afrikanischen Kooperationsforums verzichtet auf die Lieblingsthemen des Westens: Belehrung in Demokratie, wozu dienstbare Geister den politologischen Begriff „Good Governance“ erfunden haben, Tadel wegen Menschenrechtsverletzungen – womit nicht Guantanamo gemeint sein soll –, Abwürgen zarter Wachstumsraten des schwarzen Kontinents wegen Verweis auf die dadurch (durch Afrika!) bewirkte Klimakatastrophe, und am Schlimmsten: die kontraproduktive Entwicklungshilfe (zuletzt Moyo 2011). Stattdessen die chinesische Strategie, Straßen, Kanäle, Kraftwerke und Eisenbahnen zu bauen (205) – dazu ausführlich Goldberg 2010.
(7) Ausbau der sozialen Systeme: „Ende 2007 verfügten 201 Millionen Menschen Chinas über eine Mindestpension, 220 Millionen über eine Krankenversicherung und 116 Millionen über eine Arbeitslosenversicherung. Beinahe alle Provinzen haben ein System der Mindestsozialfürsorge aufgebaut.“ (223). Der Schwerpunkt liegt z.Zt. im Ausbau eines effektiven Gesundheitssystems, auch für die Bezirke der Megastädte etwa Changchun mit Elementen von ärztlicher Versorgung und Ausbildung von Laien für Standarduntersuchungen (Bejing,), und die Neupositionierung der in den Post-Mao-Zeiten modisch abgewerteten nicht-westlichen traditionellen chinesischen Medizin (N229). Mir ist klar, dass Dillmann/Hofbauer das für Peanuts halten, bestenfalls für rechtssozialdemokratischen Reformismus: Aber wie Theodor Bergmann (2008: 47/8) immer betont: Referenzland für diesen Punkt – Soziales – ist Indien, wo nichts davon zu erkennen ist, sondern die Bauern zunehmend am Rande des Verhungerns vegetieren, und natürlich nach dem erwartbaren Versagen der Obama-Gesundheitsreform unangefochten weiterhin die USA.
(8) Innovation in Wissenschaft und Technik. „Heute haben 60% von Chinas Technologien – wie Atomenergie, Weltraumtechnologie, Hochenergietechnologie und Robotik zum Stand des Westens aufgeschlossen und sind knapp davor dies zu tun.“ (263). Hier scheint mir Naisbitt zu zögerlich. In Konkurrenz zu Deutschland und in geschickter Übernahme seiner technischen Kompetenzen ist China punktuell weiter[9], in manchen Bereichen vielleicht sogar Weltmarktführer (etwa in der Umwelttechnik, in anderen (wie Flugzeug- und Raketenbau neben Europa und USA) im Prozess des Aufholens ähnlich, wo andere technologisches Wissen verschrotten (wie im Falle des Atomausstiegs), oder bloß in Ausstellungsobjekten verharren (wie bei den Elektroautos). Wenn, um scheinbar systemrelevante Banken permanent zu retten, ausdauernd und nachhaltig die finanziellen Ressourcen für Bildungssysteme reduziert werden, dann wird in wenigen Jahren (?) unser „Humankapital“ nicht mehr konkurrenzfähig sein. So wie jetzt niedrige materielle Arbeiten auf dem Weltmarkt sich in die Richtung Schwellen- und Entwicklungsländer – noch also nach China – verlagern, so ist der Umschlag erkennbar: Niedrige immaterielle Arbeit – die Bildungsabschlüsse in Europa und den USA werden sukzessiv in den zu erbringenden Leistungsanforderungen verdünnt – wird zukünftig Privileg der früheren Industriegesellschaften werden. Man drehe bloß die Perspektive von Silver (2010) um 180 Grad! Der längst begonnene Ausstieg aus den Bereichen unqualifizierter Billigarbeit wird in China seit Jahren planvoll vorbereitet, was Soziologinnen wissen, die Massenmedien nicht (vgl. Braun 2011).
***
Bilder Chinas, wie sie widersprüchlicher nicht sein könnten. Hier die Marxisten, die recht empiriefrei eine deutliche Auskunft geben, dort optimistische Amerikaner, die noch nie ein ernsthafteres theoretisches Buch in der Hand hatten. Mein Vorschlag wäre daher, sich mit Revolutionstheorie zu befassen, um Urteilskriterien zu gewinnen, ob in China eine Konterrevolution wie in Russland stattgefunden hat, oder ob der Revolutionsprozess auf erweiterter Stufenleiter – wie diskret auch immer! – fortgesetzt wird. Mit Deppe möchte ich abschließend einen Wegweiser für eine neue Reflexionsstufe aufstellen. „Schließlich zeigte sich auch immer wieder, dass die sozialistische Bewegung niemals alleine von den sozialökonomischen Interessen der Arbeiterklasse angetrieben wurde, sondern dass in den wirklichen Bewegungen, die durch Verzweiflung, Empörung und moralische Ansprüche auf Anerkennung angetrieben wurden, stets andere Motive und Interessen eine Rolle spielten: religiöse Vorstellungen, Nationalismus, Ansprüche auf ethnische und kulturelle Identität, Geschichtsmythen, Formen des Personenkultes usw. Vor allem die Bewegungen in den ehemaligen Kolonien und Halbkolonien an der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems, die sich als sozialistisch oder als antiimperialistisch bezeichneten (und von sozialistischen oder kommunistischen Parteien geführt wurden), folgten in der Regel einer anderen Logik als die Auseinandersetzungen in den hoch industrialisierten Metropolen des Kapitals. Oftmals war der Sieg der Sozialisten oder Kommunisten hier (z.B. in China, Vietnam, Algerien, Mosambik, Angola und Guinea-Bissau) das Ergebnis eines – Jahrzehnte währenden – Bürgerkriegs bzw. bewaffneten Kampfes gegen die Kolonialmacht, der überwiegend von Bauern getragen wurde, die sich aus quasi-feudaler Unterdrückung zu befreien suchten.“ (Deppe 2010)
Warum nicht zu seinen Ländern Russland 1917 hinzufügen? Für die Sozialisten aus der früheren Arbeiterbewegung war es keine Frage, dass die Marx/Engels’sche Prognose, eine Revolution wäre möglich nach der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus, wenn und weil sie durch diese Gesellschaftsformation an ihrer weiteren Entwicklung gehindert werden. Trotz einigen Schwankens entschieden sie sich, Russland keinen autonomen Weg zuzusprechen. Elementare Tatsache bis in die Gegenwart bleibt, dass in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Nationalstaaten, besonders den USA, aber auch den Zentralstaaten Europas, keine Revolution gemacht wurde, höchstens wie in Italien und Deutschland Konterrevolutionen. Dieser weltgeschichtlichen Lage muss sich die VR China stellen, sie muss sie berücksichtigen. Ihre Anstrengungen sind sichtbar, ihre Wirkungen nicht: sie müssen theoretisch konstruiert werden. Die klassische Theorie jedoch – Lenin eingeschlossen – dachte von der Warte entwickelter Gesellschaften her, was ihr den oberflächlichen, aber diskutablen Vorwurf eines Eurozentrismus einbringt. Anderseits sind die Reflexionsmöglichkeiten, marxistisch über hybride Gesellschaften nachzudenken, erheblich raffinierter. Ein solche Betrachtung wird sich um theoretische Chinabilder drehen, die Marxisten wie Peters und Jacques ihrer Geschichtsschreibung unterlegen, um jene, die gegenwärtig wie Wang in China diskutiert werden, und es muss versucht werden, das innovative Potential für eine marxistische Theorie abzurufen, das zum einen vorliegt mit den Thesen von vielfältigen Modernen (Boatcǎ/Spohn 2010) wie zum anderen den Überlegungen von Beck zu den Dialektiken der Moderne (Beck 2007: 375ff.).
Literatur
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Arrighi, Giovanni (2007): Adam Smith in Beijing. Hamburg (Rez: Florian Flörsheimer, Z 78, Juni 2009)
Beauvoir, Simone de (1960): China. Reinbek bei Hamburg
Beck, Ulrich ( 2007): Weltrisikogesellschaft. Frankfurt am Main
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Boatcǎ, Manuela/Spohn, Wilfried (Hg.) (2010): Globale, multiple und postkoloniale Modernen. München und Mering
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Braun, Anne J. (2011): Das Ende der billigen Arbeit in China. Wiesbaden
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Dabringhaus, Sabine (2009): Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert. München
Deppe, Frank (2010): Politisches Denken im Übergang ins 21. Jahrhundert [Politisches Denken Bd. 4] Hamburg
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Luhmann, Niklas [1968]: Politische Soziologie. Frankfurt am Main 2010
Moyo, Danbisa F. (2011): Dead aid: warum Entwicklungshilfe nicht funktioniert ... Berlin
Naisbitt, John & Doris ( 2009): Chinas Megatrends. München
Ngai, Pun/Lee, Ching Kwan (Hg.) (2010): Aufbruch der Zeiten Generation. Berlin; Hamburg
Peters, Helmut (2009): Auf der Suche nach der Furt. Essen [Rez.: Karl Unger, Z 86, Juni 2011]
Schmidt-Glintzer, Helwig (2009): Chinas Angst vor der Freiheit. München
Senger, Harro von (1982): Partei, Ideologie und Gesetz in der Volksrepublik China. Bern; Frankfurt am Main
Senger, Harro von (2008): [Moulüe] Supraplanung. München
Sieren, Frank (2008): Die Konkubinenwirtschaft. München
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Silver, Beverly J./Zhang, Lu (2010): China als neuer Mittelpunkt der globalen Arbeitsunruhen. In: Prokla 161: 604-618
Yaghmaian, Begzad (2011): The migrant’s long march. In: Le Monde diplomatique (engl. Ed.) January (internet-Version).
Wang, Hui (2009): The End of the Revolution. London/New York
Wichtering, Christa (2011): Brot und Rosen auf Chinesisch. In: iz3w 325: D-18/19.
[1] Auf der Sommerschule 2011 der Stiftung Gegen-Stand in der Villa Pallagione bei Volterra referierte Deppe über Jacques’ Buch; Verf. trug eine erste Skizze dieses Aufsatzes vor.
[2] Sieren 2011: 24. Ich hatte im Dezember 2009 das Vergnügen, Dillmann und Peters in einem Streitgespräch der „jungen Welt“ zu erleben (und in der jW darüber zu berichten); ganz unchinesisch ging es vor allem im Publikum arg unharmonisch zu.
[3] Vgl. Heinrich-Böll-Stiftung 2010. Erarbeitet wurde die Studie von Carola Richter und Sebastian Gebauer, mit Beiträgen von Thomas Heberer und Kai Hafez. Untersucht werden der Tibet-Konflikt, Menschenrechte & Meinungsfreiheit, die deutschen Beziehungen zu China, die chinesisch-afrikanischen Beziehungen, Umwelt- und Klimapolitik in China und Chinas Rolle in der globalen Wirtschaft. Würde es einem gelingen, für diese Felder je eine bestimmte Negation zu entfalten, wäre das die Bedingung der Möglichkeit einer gehaltvollen China-Diskussion unter Linken, die davon jedoch um Lichtjahre entfernt ist.
[4] Man vergleiche die ausgewogene Darstellung dieser Highlights des kommunistischen Chinas von Dabringhaus 2009 (132ff. & 142ff.), die sie unter der Rubrik ‚Katastrophen’ thematisiert, mit den Passagen (Rubrik: ‚Staatsmoralischer Fanatismus’) bei Dillmann (111ff.), und es wird deutlich, dass es keine Benachteiligung von Frauen ist, dass die letztere keine Professur hat, erstere jedoch eine an der Universität Freiburg. Über das Historische hinaus gewinnt die komparative Perspektive (Russland - China) dem Ganzen eine produktive Fragestellung ab. „Allem Anschein nach hatte die KP Chinas wie im Bann einer unabänderlichen gemeinsamen Dynamik die beiden schlimmsten Alptraumepochen der UdSSR reproduziert.“ (Anderson 2010: 56) Wichtig ist die Durchführung seiner Anfangsthese auf den nächsten Seiten; mit dem Schluss: „Mao hatte jene Art von Kommunismus vermeiden wollen, zu der Chruschtschows Politik, wie er sie sah, führen mußte. Das war ihm gelungen. Es konnte in China nicht zu einer langsamen Erstarrung konservativer Bürokratie kommen, die Wirtschaft und Gesellschaft paralysierte, wie es der UdSSR unter Breschnew gegangen war. Sein negatives Ziel hatte Mao ganz und gar erreicht. Aber seine positive Alternative hatte er vollständig verfehlt. Als er starb, war seine Politik in einer anderen historischen Sackgasse gefangen als der befürchteten.“ (Ebd. 57/8) Ob mein eigener Ansatz zum Verständnis der Kulturrevolution dem Andersons überraschend ähnelt oder ihm eher widerspricht, vermag ich nicht zu entscheiden. (Lauermann 2008)
[5] Beauvoir 1960: 591. Was macht Dillmann daraus? „Viele Beobachter sind erstaunt darüber, wie das Regime ein Programm verfolgt, das jede beliebige moderne und aufgeklärte, auf dem Fortschritt des Landes bedachte Regierung so handeln würde.“ (Dillmann 2009: 65; Beauvoir 491). Jede beliebige Regierung also liquidiert den Kapitalismus (genauer, gewaltsam die kapitalistischen Klassen, sie verfolgt aber bedauerlicherweise nicht die von Dillmann bevorzugte Aufhebung der Ware-Geld-Beziehungen)? Und jede beliebige Regierung konstituiert sich zudem als Volksdiktatur – wobei Beauvoir wie Mao selbstverständlich den Marxschen Terminus einer Diktatur des Proletariats mit diesem Begriff verbinden. Frau Dillmann muss jemand allein die letzte Seite des Buches kopiert und einen falschen Verlagsort gesagt haben. Die von den französischen Intellektuellen favorisierte Einheit von Klassenkampf und Volksdiktatur ist ständiger Diskurs des Buches (103-113: Kollektivierung; 185-188: beschleunigte Liquidierung des privaten Sektors ab 1955. Wenn die Denkgenossin Sartres etwas kritisiert, dann ist das eine zu große Liberalität der Marxisten gegenüber bürgerlichen Weltanschauungen (279f.) Mit dem Programm, was jede beliebige Regierung verfolgen würde, meint Beauvoir den „nationalistischen“ Charakter des Prozesses – nur diese Passage streicht vor lauter Ekel Dillmann!
[6] Wichterich 2011: D 19. Die Feldstudie (Ngai/Lee 2010) kann erheblich weniger eindimensional gelesen werden, was die Besprechung im selben isw3 Heft (D-20) mit dem Schwerpunkt, „Vorsicht Baustelle! Chinas Roter Kapitalismus“ unwillig konstatiert. Dies gilt gerade für die ethnologischen Beschreibungen, wie die von Zheng notierten interessanten Individualitätsformen.
[7] Schmidt-Glintzer 2009: 104 – dem ich viel mehr als dieses Wort verdanke.
[8] Wir vernachlässigen für China sträflich die Methoden der cultural studies: Welche Filme bestimmen seit 20 Jahren das Chinabild der Fernsehzuschauer, welche großen Filme konstituieren das historische Gedächtnis? Etwa: Der neunstündige Dokumentarfilm „Westlich der Gleise“ (2003) von Wang Bing, über das Schicksal des Fabrikdistriktes von Shenyang und seiner Arbeiter bis hin zu einem Film über die chinesische Revolution von vor hundert Jahren, „Xinhai Geming“, Regie Zhang Li (2011).
[9] Vgl. Sieren 2008.