An zwei Tagen mit insgesamt 24 Stunden (!) Programm, fünf Panels und zwanzig (!) Vorträgen gab das wissenschaftliche Flaggschiff der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das Institut für Gesellschaftsanalyse (IfG), einen Einblick in die von ihm betriebene und rezipierte Transformationsforschung. Als Tagung zu Ehren des 80. Geburtstags von Dieter Klein forderte das Programm auch dem Jubilar einiges an Durchhaltevermögen ab, was dieser jedoch mit Bravour bewältigte.
Warum sozialistische Transformationsforschung? Diese Frage des Eingangsbeitrags von Rainer Rilling nahm nicht nur die Frage nach den Inhalten der Transformationsforschung generell, sondern auch nach der hier vorgenommenen Spezifizierung einer sozialistischen Transformation in den Blick. Die Identifikation von Faktoren möglicher Transformationen heute, so seine allgemeine Beschreibung, sei das zentrale Tätigkeitsfeld. Dabei gehe sie von drei methodischen Maximen aus, in dem sie gesellschaftliche Referenz (also den Bezug auf die Gesamtgesellschaft), historische Referenzen und Zukunftsreferenzen berücksichtige. Zu identifizieren seien die „Kipppunkte“ der Gesellschaft und eine ihrer Fragen sei, wie diese Veränderungspotenziale mit Dynamiken versehen werden können, die eine emanzipatorische, sozialistische Entwicklung ermöglichten. Auf Robert Musil zurückgreifend sprach Rilling der Transformationsforschung das Potenzial zu, „Wirklichkeitssinn“ und „Möglichkeitssinn“ miteinander zu verbinden, um im Sinne radikaler Realpolitik Schritte in eine andere Wirklichkeit zu gehen.
Während am ersten Tag der Tagung Szenarien möglicher Entwicklungsrichtungen im Zentrum standen, ging es am zweiten Tag um die Akteure dieser potenziellen Veränderungen. Einig waren sich alle TeilnehmerInnen, dass es sich um eine substanzielle Krise des gegenwärtigen Kapitalismus handelt, die Potenziale für eine tiefgehende Transformation beinhaltet. Während Rolf Reißig vom Brandenburg-Berliner Institut für Sozialwissenschaftliche Studien vom Ende eines 200-jährigen Entwicklungsmodells ausging, das von einem Fortschrittsmodell zu einem Weltuntergangsmodell geworden sei, sprach Mario Candeias (IfG) mit Blick auf die aktuelle Entwicklung im Anschluss an Gramsci von einer organischen Krise, die unterschiedlichste Formen der Krisen (Ökonomie, Natur etc.) miteinander vereint. Der neoliberale Machtblock habe keine produktiven Lösungen der Krise mehr anzubieten, was jedoch nichts an seiner Vorherrschaft ändere. Allerdings könne im Sinne Gramscis nur noch von Herrschaft, nicht mehr von Führung gesprochen werden. Alle ReferentInnen betonten die Richtungsoffenheit der zukünftigen Entwicklung, die von Candeias in vier schon heute angelegten strategischen Projekten unterschieden wurde: 1. der autoritär-neoliberalen Restauration, 2. einem grünen Kapitalismus, 3. ein sozial-libertärer Green New Deal und 4. einem sozial-ökologischen grünen Sozialismus.
Eine ganz andere Form der Transformation mahnte Frigga Haug an, die ihr inzwischen breit rezipiertes „vier-in einem“-Konzept vorstellte, bei dem es um eine neue Form der Arbeitsteilung bei den zentralen Bereichen Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Gemeinwesenarbeit und (persönliche) Entwicklungschancen geht. Die mit dieser Perspektive angemahnte Transformation eines tradierten Arbeitsbegriffs stand bei Haug im Zentrum, die für eine Neuverhandlung der Teilung dieser notwendigen Arbeiten eintrat. Die vielfältigen Widerstände gegen diese Überwindung des tradierten Arbeitsbegriffs auch in der Linken wurden von ihr gleich mit referiert.
Im zentralen Abendvortrag des ersten Tages stellte Dieter Klein seine Überlegungen zu einer „zeitgemäßen Erzählung der Linken“ vor. Vier zentrale Dimensionen der Transformationen wurden von ihm benannt und auch ausgeführt (vgl. RLS Standpunktepapier 34/2011): 1. Die Umverteilung von Lebenschancen und Macht, 2. Sozialökologischer Umbau, 3. Partizipative Erneuerung der Demokratie, 4. Internationale Kooperation, Solidarität und Sicherheit.
Die Frage nach möglichen Akteuren einer Transformation wurde am zweiten Tag von Christina Kaindl (Redakteurin luxemburg) eröffnet. Die greifbare Differenz zwischen der theoretisch erkannten Notwendigkeit einer grundsätzlichen Veränderung und den realen Bewegungen war dabei ihr Ausgangspunkt. Das fehlende eigenständige politische Projekt der Linken und die Unklarheit über die Zielgruppe der Politik sei dabei ein strategisches Problem der Linken, wohingegen auf Seiten der Bewegungen häufig Machtlosigkeits- und Vergeblichkeitserfahrungen gemacht würden, die auch schon das Alltagsleben prägten. Dennoch gäbe es immer wieder ermutigende Beispiel der Selbstorganisierung, wie Kaindl am Beispiel prekärer Arbeitsbereich der USA deutlich machte.
Richard Detje (Zeitschrift Sozialismus) stellte seine Untersuchung zur Spiegelung der Krisenerfahrung im Alltagsbewusstsein bei abhängig Beschäftigten vor (vgl. Z 87) und sprach dabei eine zentrale Differenz zur Transformationsperspektive, wie sie vom IfG vertreten werde, an: Während hier Umverteilung als zentrales Konzept vertreten werde, plädierte Detje für eine stärkere Thematisierung der Quellen des Reichtums der Gesellschaft, die er im Produktionsprozess sieht. Wirtschaftsdemokratie anstatt reiner Umverteilung war deshalb seine Forderung. Deutlich wurde hier auch eine Differenz zu Gabriele Winker (TU Hamburg-Harburg), die in Anlehnung an Frigga Haug das Thema Reproduktionsarbeit stark machte und damit den tradierten Arbeitsbegriff in Frage stellte. Hier wäre eine weitere Debatte für die Linke dringend nötig.
Die abschließenden historischen Betrachtungen zur Transformation zum Kapitalismus von Wolfgang Küttler und Erhard Crome fielen leider – bezogen auf Diskussion und Aufnahmefähigkeit – ebenso wie der Vortrag von Beverly Silver „Jenseits des langen 20. Jahrhunderts“ zur Krise der US-Macht und den unterschiedlichen Phasen des Kapitalismus den allgemeinen Übermüdungserscheinungen nach zwei langen Konferenztagen zum Opfer.