Edgar Most, Sprengstoff Kapital. Verschwiegene Wahrheiten zum Aufschwung, Das Neue Berlin, Berlin 2011, 255 S., 14,95 €
Als Autor wurde der ehemalige DDR-Banker, der nach der Wende seinen Weg in die Führungsetagen der Deutschen Bank fand, mit seiner 2009 in mehreren Auflagen erschienenen Autobiografie bekannt. Im Anschluss an die Schilderung seines Lebens ließ sich Most im abschließenden Kapitel des Memoirenbandes auch über seine Vorstellungen zur Lösung der gegenwärtigen Finanzprobleme aus. Keine zwei Jahre sind vergangen und Edgar Most hat nachgelegt. In seinem neuen Buch sind die Proportionen zwischen Gegenwart und Vergangenheit gewissermaßen umgekehrt: Hauptsächlich geht es Most um die Darlegung seiner Auffassungen zur gegenwärtigen Finanzkrise. Immer wieder aber gibt es auch Rückblicke und Einschätzungen der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion und der Entwicklung in den neuen Bundesländern nach 1990.
Mosts zweites Sachbuch ist ein Interviewbuch. Die Fragen stellte Steffen Uhlmann, studierter Außenhandelsökonom und etwa bis zur Wende Journalist in der DDR, heute für die „Süddeutsche Zeitung“ tätig. Mit Uhlmann hat sich Most einen sachverständigen Fragesteller engagiert, der aufgrund seiner Biografie auch nachvollziehen kann, was Most fühlt, wenn er berichtet: „Im Osten bin ich für einige Leute zum Steigbügelhalter des Kapitals geworden, der sich an die Kapitalisten verkauft hat“. (115)
Im Mittelpunkt des Interviewbuchs stehen jedoch nicht Mosts Erinnerungen an seinen DDR-Vorgesetzten, Chef der DDR-Staatsbank Horst Kaminsky, bzw. an seinen letzten Chef, Josef Ackermann von der Deutschen Bank, sondern Zentrum ist die gegenwärtige Finanzkrise. Deren Gefahren nimmt Most sehr ernst: „Ich bin schon lange der Meinung, dass der wohlfeile Begriff von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise viel zu kurz greift. Wir haben es ganz klar mit einer Krise zu tun, deren auslösende Ursachen im System liegen, weil sich innerhalb dieses jetzt herrschenden Systems Finanz- und Realwirtschaft entkoppelt haben. Immer mehr Kapital fließt in die Finanzanlagen statt in die Realwirtschaft“. (35)
Auf „das System“, d.h. den Kapitalismus, zu verzichten, ist Most allerdings nicht bereit. Das Kapital und die Banken werden seiner Meinung nach auch in Zukunft gebraucht. Dass man auf beides nicht verzichten könne, hätten ihm die Erfahrungen seiner Jahre in führenden Positionen der ostdeutschen Wirtschaft deutlich gemacht. Der utopistischen Idee einer kommunistischen Gesellschaft hänge er nicht mehr nach. „Den neuen Menschen, der dafür gebraucht wird, gibt es einfach nicht.“ (220)
Doch was sieht der Banker als gesellschaftspolitisches Ziel? „Dem Kapitalismus müssen Zügel angelegt werden“, davon ist Most überzeugt, „aber abgeschafft werden muss er nicht. Es gibt einfach keine ernst zu nehmende Alternative.“ (221)
Aus der Sicht eines – in seinem ersten Buch wenn auch so deutlich nur im Untertitel angekündigten –„dritten Weges“ stellt Most fest: „Das neoliberale politische Großprojekt Entfesselung der Finanzmärkte ist grandios gescheitert. Unsere Gesellschaften sind damit weder sicherer noch reicher geworden.“ (222)
Um Wiederholungen der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise in Zukunft zu vermeiden, setzt Most auf die regulierende Funktion des Staates: Das Geldvolumen eindämmen und die Geldschöpfung strikt an die Kennziffern der Realwirtschaft koppeln, das könne nur mit Hilfe staatlicher Steuerung erreicht werden. „Solche Regelungen, die letztlich auch zu strukturellen Veränderungen führen, kann keine private Instanz einführen und überwachen, das müssen die Staaten und die von ihnen beauftragten internationalen Organisationen übernehmen.“ (223)
Ebenso wichtig wie die Behandlung der gegenwärtigen Finanzkrise sind für Most Rückblicke auf die vergangenen zwei Jahrzehnte ostdeutscher Wirtschaftsentwicklung seit der Wiedervereinigung. In der Art und Weise, wie die Währungsunion konzipiert und die Treuhandbetriebe privatisiert wurden, sieht der Banker wesentliche Ursachen der heutigen Wirtschaftsprobleme in den neuen Bundesländern. Man scheue sich, diese Zusammenhänge zu analysieren. Was auf dem bundesdeutschen Büchermarkt zu den neuen Bundesländern bzw. über wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der DDR erschienen ist, betrachtet Most ziemlich kritisch. „Mich regen die oberflächlichen Bestandsaufnahmen und Debatten zur DDR-Geschichte auf. Kaum einer macht sich die Mühe, den fundamentalen Unterschieden zwischen ost- und westdeutscher Sozialisation nachzuspüren.“ (19) Most vertritt die Meinung, dass die von ihm kritisierten unzureichenden Forschungsergebnisse darauf zurückzuführen sind, dass sich bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte vorrangig Personen engagieren, die in den alten Bundesländern sozialisiert sind. „Wir dürfen doch“, so Mosts Forderung,“ die Geschichte der DDR nicht nur Leuten überlassen, die gar nicht dabei gewesen sind oder ziemlich abseits standen.“ (19) Aus dieser Sicht ist auch sein Aufruf an frühere General- und Forschungsdirektoren von DDR-Kombinaten zu verstehen, ihre Erlebnisse und Erfahrungen mitzuteilen. „Schreib das auf, es war doch unsere gemeinsame Geschichte!“ (20)
Die Form des Interviews, die dem Buch zugrunde liegt, erlaubt es Uhlmann und Most, sich gegenseitig die Bälle zuzuspielen und zu einer Vielzahl von interessierenden Gegenwartsthemen Stellung zu nehmen. So etwa erfährt man die Ansichten des Bankers über die Grenzen der öffentlichen Verschuldung, über grünes Wachstums oder auch über Alternativen zur bisher üblichen Messung der Wirtschaftsleistung am Bruttoinlandsprodukt.
Fazit: Es handelt sich um ein sehr gut zu lesendes, viele Themen ansprechendes, aber auch zu tieferem Nachdenken anregendes Buch, zu dem man nicht nur einmal greifen wird, sondern das man nach der Lektüre in jene Sammlung von Sachbüchern einordnen wird, die man noch öfter zu Rate zu ziehen gedenkt.
Jörg Roesler