Editorial

Juni 2010

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch längst nicht beendet, wie der Übergriff der Krise auf die Ebene der Staaten – siehe Griechenland, Portugal, Spanien usw. usf. – zeigt. Konjunkturelle Erholungstendenzen ändern daran nichts. Der Um- und Abbau des Sozialstaats erreicht eine neue Stufe, das Durchschlagen der Krise auf die Kommunen hat dramatische Folgen, die Arbeitsbeziehungen werden tief greifend umgekrempelt. Alle diese Fragen werden weiter in Z zu thematisieren sein; in diesem Heft sind sie ebenfalls in einzelnen Beiträgen Diskussionsgegenstand unter theoretischen wie aktuellen Gesichtspunkten (Leibiger, Düe/Einenkel).

In dieser Ausgabe müssen wir den Tod unseres Freundes, Genossen und wissenschaftlich-politischen Weggefährten Eberhard Dähne mitteilen. Er starb am 21. April im 72. Lebensjahr nach kurzer schwerer Krankheit. Eberhard war Z seit dem Bestehen der Zeitschrift als Ideengeber und Autor eng verbunden.

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Mit drei weiteren Beiträgen zum Andenken an Jörg Huffschmid gehen wir auf zentrale Aspekte seiner Kapitalismuskritik ein. Jürgen Leibiger beschäftigt sich mit den Beiträgen zur marxistischen Krisentheorie und beleuchtet insbesondere deren Praxisbezug. Horst Heininger und Gretchen Binus widmen sich Jörgs Beiträgen zur Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus, wobei sie Unzulänglichkeiten und Aktualitäten abwägen. Einen kritischen Akzent setzen Leo Mayer und Conrad Schuhler, die sich mit der gemeinsam mit Heinz Jung veröffentlichten Arbeit „Reformalternative – Ein marxistisches Plädoyer“ auseinandersetzen. Abgerundet wird dieser Themenblock mit einem Bericht zur – von Z mitveranstalteten – wissenschaftlichen Tagung „Kapitalismuskritik heute“, die im Februar dieses Jahres zum Andenken an Jörg Huffschmid in Berlin stattfand.

Probleme und Perspektiven der Gegenwehr von Beschäftigten gegen die Auswirkungen von Krisen stehen im Mittelpunkt eines Interviews, das Dietmar Düe mit dem Betriebsratsvorsitzenden des Bochumer Opel-Werks, Rainer Einenkel, geführt hat. Es wird deutlich, dass die einfache Verteidigung von Arbeitsplätzen ohne Einbeziehung von weiteren Produktionsperspektiven rasch an die Grenzen der jeweiligen Standortinteressen stößt, die von der Kapitalseite leicht gegeneinander ausgespielt werden können.

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Die Schwerpunktbeiträge des vorliegenden Heftes behandeln Aspekte der Klimakrise. Alexis Passadakis und Hendrik Sander diskutieren die klimapolitische Konstellation nach dem Scheitern der Kopenhagener Konferenz vom Dezember 2009. Deren zentraler Streitpunkt – wie soll das klimapolitische Regime der Zukunft aussehen – konnte nicht gelöst werden. Passadakis/Sander führen dies auf im Wesentlichen zwei Ursachen zurück. Zum einen blieben die aggregierten Reduktionszusagen der entwickelten Industrieländer weit hinter den wissenschaftlich für notwendig erachteten Anstrengungen zurück, während die Zusagen der Schwellenländer weitergehend waren. Zugleich äußerte sich auf der Konferenz ein nicht zuletzt durch die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise verändertes Kräfteverhältnis, das die Autoren klimapolitisch als „Hegemoniekrise“ des Nordens interpretieren. Sie vermuten, dass der Kollaps von Kopenhagen die Grenzen des bisherigen Regulierungsansatzes deutlich gemacht habe und verweisen zugleich auf neue Konstellationen in der Klimabewegung – wachsende Bedeutung des Aspekts der „Klimagerechtigkeit“ und sozialer Bewegungen, wie sie auch bei der Konferenz von Cochabamba im April artikuliert wurden. (Dazu auch ein Diskussionsbericht von einer Berliner Tagung unter „Berichte“.)

Die historischen Ursachen der Klimakrise sieht Karl Hermann Tjaden in einem sich bedingenden Komplex von ökonomischer Produktionsweise und technischem Produktionsmodus. Er wendet sich daher gegen Positionen, die Alternativen allein in der Beschränkung bzw. Überwindung der Kapitalverhältnisse sehen. Notwendig sei ein neues Verhältnis zwischen vergegenständlichter und lebendiger Arbeit. Dieses zu verändern ist eine langfristige Aufgabe. Tjaden diskutiert eine Reihe von Übergangsmaßnahmen, die sowohl an den Stoff- und Energieströmen als auch an den Herrschaftsverhältnissen anzusetzen hätten.

Auf die ideologische Dimension der CO2-Diskussion geht Hans-Jörg Schimmel ein. Zunächst diskutiert er kritisch die technischen Lösungsvorschläge zur Reduzierung der CO2-Emissionen, die er als verengt und die soziale Dimension ausklammernd wertet. Schließlich untersucht er die Beziehungen der ökonomischen Triebkräfte zur politischen Ebene der CO2-Debatte, die von den herkömmlichen Wachstumsdogmen geprägt sei.

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Das Menschenbild bei Marx und die Entfremdung stehen im Mittelpunkt eines weiteren Themenschwerpunkts in diesem Heft. Florian Grams unterstreicht die Aktualität des Menschenbilds bei Marx, das er an Hand von Marx’ Schriften rekonstruiert und in seinen verschiedenen Rezeptionsphasen – im Realsozialismus, in der Diskussion der Neuen Linken – nachzeichnet. Das von Marx’ entwickelte Menschenbild ist aus seiner Sicht auch nach dem Ende der Systemauseinandersetzung nicht überholt und kann auch in Zukunft produktiv genutzt werden. Die gegenwärtigen tiefgreifenden Umwälzungen im Charakter der Arbeit im Allgemeinen und der Ware Arbeitskraft im Besonderen – vor allem die allgegenwärtige Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse – untersucht Philipp Lorig vor dem Hintergrund der Marx’schen Entfremdungstheorie, die er zur theoretischen Durchdringungen dieser Prozesse nutzt. Franziska Schößler fragt nach Möglichkeiten des Theaters, das Problem der Prekarisierung künstlerisch zu bearbeiten. In der Auseinandersetzung mit Arbeiten von René Pollesch und Christoph Schlingensief stellt sie alternative Wege vor, Prekarität auf der Bühne (und auf öffentlichen Plätzen) darzustellen.

Renate Wahsner hatte sich in Z 77 kritisch mit der Holz’schen Widerspiegelungstheorie (seinem Buch „Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der Dialektik“) auseinandergesetzt; im vorliegenden Beitrag „Noch einmal zu den Bedingungen einer materialistischen Spekulation“ antwortet sie auf ihre Kritiker Andreas Hüllinghorst und Thomas Metscher (Z 81). Wolfgang Förster stellt in Fortsetzung aus Z 81 die „Geschichte der Aufklärung und des Atheismus” von Hermann Ley vor (16. bis Ende des 18. Jhrh.). Die von Lothar Peter in Z 81 vorgetragenen Einwände gegen die heutige Gültigkeit der Marxschen Klassentheorie haben Peter Römer und Dieter Boris zu kritischen Repliken veranlasst. Beide bestreiten nicht die von Peter angeführten realsoziologischen Prozesse, wenden sich aber gegen seine theoretische Interpretation des Marxschen Klassenverständnisses. Werner Röhr stellt die abschließenden vier Bände der lexikalischen Reihe über die faschistischen Konzentrationslager vor und charakterisiert das umfangreiche Gesamtprojekt als nützliches Nachschlagewerk, das gleichwohl gravierende Mängel und Schwächen aufweist.

Schließlich enthält das Heft neben mehreren Tagungsberichten wieder zahlreiche Buchbesprechungen, bei denen diesmal historische Aspekte (Geschichte der Arbeiterbewegung und der Linken), Fragen der Wirtschaftskrise und der internationalen Politik dominieren.

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Z 83 (September-Ausgabe) wird sich u. a. mit Fragen der Auswirkungen der Krise auf der kommunal-staatliche Ebene und Problemen der Stadtentwicklung befassen.