Ein paar Monate bevor im März 2000 die Dot-Com-Krise den wahnhaften Aktienspekulationen der New Economy ein kurzes Ende machte, wurde hierzulande ein kleines, aber ambitiöses linkes Netzprojekt erfunden, das sich in doppelter Hinsicht von dieser schönen neuen Dot-Com-Welt unterschied: Hier ging es um Commons und nicht um Profit und es konnte demonstriert werden, dass solche Commonsprojekte lebensfähig und nachhaltig sein können. Nicht, dass es dabei keine Illusionen, geplatzten Hoffnungen und viele Mühen der Ebene gegeben hätte.
Anfang eines Projekts
Ab Sommer 1999 entstand auf Initiative von Markus Lauber, Rainer Rilling, Gerd Siebecke und Kai Wagner das Website-Projekt „LinksNet.de“. Am 5.11.1999 wurde in Köln ein Verein gegründet und die gleichnamige Domain „Linksnet.de“ gekauft. Nach anfänglichen Turbulenzen fand sich Mitte 2002 dann auch ein bis heute verantwortlicher Provider. In mehreren Seminaren wurden bis zum Frühjahr 2000 technische, ästhetische, ökonomische und politische Fragen diskutiert. Bis zu 20 Akteure waren in der Gründungsphase engagiert, fünf von ihnen gehören heute noch zum geschrumpften Kreis der Aktiven. Eine Betaversion des „Magazins“, in dem Volltextartikel aus damals elf linken Zeitschriften zusammengestellt wurden, ging am 7.7.2000 unter der Adresse http://62.140.13.29/index.cfm quasi halböffentlich zum Test aufs Netz. Als Ende Januar 2001 www.linksnet.de freigeschaltet wurde, gab es gerade mal 16 Artikel im Angebot. Über ein weiteres Jahr verging, bis die Eigenprogrammierung des Redaktionssystems und die Gewinnung eines Grundstocks von Kooperationspartnern im linken Zeitschriftenfeld vorläufig abgeschlossen werden konnte.[1] Im April 2002 gab dann erstmals ein Statistiktool über Besucher und ihre Herkunft, Zugriffe, Ein- und Abgangsseiten, Rechneradressen, Verweise und Suchanfragen an das neue linke Webangebot Auskunft. Mitte 2001 wurden 21 Zeitschriften identifiziert, 14 von ihnen wurden im Laufe der Jahre Mitglied des Kreises. Ende 2002 waren es dann schon 382 Artikel von 17 Zeitschriften. Bereits Ende 2001 wurde aufgrund der ersten Nutzungserfahrungen von Stefan Kühn ein Relaunch des Designs und Erscheinungsbildes der Website realisiert, das bis 2007/08 Bestand hatte und dann auf Grundlage einer Userbefragung aktualisiert und mit zahlreichen neuen Funktionalitäten ausgestattet wurde, mit denen das System den damaligen „state of the art“ professioneller Webpublizistik erreichte. Ein Newsletter oder ein Newsfeed und eine Facebook-Präsenz unterstützen mittlerweile die Verbreitung des Projekts.
Ein linkes netzpolitisches Projekt mit großer Reichweite
Nach einem ersten Werkvertrag zur Konzepterarbeitung, Organisation und Programmierung eines Redaktionssystems im Jahr 1999 wurde im Juli 2000 die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) für eine beträchtliche Initialfinanzierung für 2001 gewonnen, die in den Folgejahren in vergleichbaren Größenordnungen fortgesetzt werden konnte. Für die RLS blieb das Projekt für lange Jahre das externe linke netzpolitische Projekt mit der größten Reichweite, sie fördert das Projekt seit nunmehr zwölf Jahren mit einem Betrag von monatlich zwischen 500 und 1.000 €. Gleichwohl überwiegt bis heute der unentgeltliche Input an Arbeitskraft in das Projekt bei weitem. Mit der Förderung wurden vor allem die technische Betreuung und Weiterentwicklung der open source-Software (seit 2008 das Content Management System Drupal) sowie eine redaktionelle Grundversorgung durch den Verein LinksNet abgesichert. Insgesamt ermöglicht es die inzwischen erreichte Größenordnung des Projekts, dass durch die differenzierte Mobilisierung von Eigenmitteln ein Ausfall von Fördermitteln kompensiert oder vor allem eine überfällige Weiterentwicklung, Professionalisierung und deutliche Internationalisierung des Projekts angegangen werden könnte.
Erste Konzepte und Debatten gingen von der einfachen aber bislang bestätigten Einschätzung aus: „Das Internet wird das zentrale Medium eines entwickelten globalen Kapitalismus“.[2] Wer Sichtbarkeit erreicht und Aufmerksamkeit generiert, könne in dieser neuen medialen Machtordnung zentrale Positionen erreichen. Während heute zahlreiche zentrale Funktionalitäten (wie z.B. die Orientierung im Netz) durch Konzerne wie Google monopolistisch kontrolliert werden und versucht wird, große Stücke des Cyberspace zu privatisieren (facebook), lieferten sich vor einem Dutzend Jahren „Portale“ heftige Kämpfe um die Beherrschung zentraler Funktionalitäten. „LinksNet.de“, so war es im auf der Vereinsgründung präsentierten Strategiepapier formuliert, „soll langfristig ein linkes Portal eigener Qualität werden.“ Das Internetportal solle fünf Aufgaben realisieren: Aktuelle politische Informationen von links liefern, ein Serviceangebot durch den Aufbau eines Link-Katalogs (damals häufig das zentrale Instrument einer Portalbildung, das heute keine Rolle mehr spielt) entwickeln, konzentrierten Zugang zu linken Zeitschriften bieten, Communitybildung betreiben durch zusätzliche Leistungen (Freemail, Newsletter, Buchladen, Jobbörse etc.), um so letztlich ein Instrument realer politischer Kooperation und Vernetzung innerhalb linker Akteure aufzubauen. Von diesem weitreichenden Ansatz konnte im letzten Jahrzehnt de facto nur eine Aufgabe realisiert werden: der sukzessive Aufbau eines Portals für Politik und Wissenschaft, das Volltextinhalte linker Zeitschriften gebündelt im Netz zugänglich macht. Auf den ersten Blick nichts Besonderes: ein Projekt, das als Newsaggregator Inhalte zweitverwertet. Doch LinksNet ist mehr.
Zwischen 2002 und 2011 hatten zwar sieben Zeitschriften, die zeitweilig LinksNet angehörten, ihr Erscheinen (oder ihre Mitarbeit) eingestellt,[3] dem LinksNet-Verbund gehören aktuell jedoch 47 Zeitschriften und Publikationen an (2005: 30), darunter auch einige aus Österreich und der Schweiz.[4] In Europa und darüber hinaus gibt es keine vergleichbare Bündelung eines Medienangebots politischer Richtungen und Strömungen. Einige ähnliche Versuche in Italien oder aktuell in den USA waren nicht von Dauer. Unter richtungsübergreifenden Portalen ist vor allem das weitaus professionellere Eurozine zu nennen. LinksNet ist insoweit ein Unikat – von links.
Politische Ausrichtung
Die Gründungsakteure rechneten sich zumeist dem linken, linksliberalen oder gewerkschaftlichen Feld zu. Während vergleichbare meist radikallinke Versuche der damaligen Zeit (Nadir, Infolinks, Glasnost, partisan u. a.) mittlerweile nicht mehr existieren oder weiterhin daran festhalten, ausschließlich ein enges Richtungsspektrum zu repräsentieren (einige dort vertretene Medien sind mittlerweile bei LinksNet, viele gibt es nicht mehr), war das damalige politische Selbstverständnis des Gründungskreises linkspluralistisch orientiert, aber im weiteren Sinne auf Gewerkschaftsnähe fokussiert. Grüne und feministische Positionen waren nicht vertreten.[5] Mittlerweile hat sich das in LinksNet repräsentierte Spektrum in einer Weise verändert, welche die allgemeinen politischen Verschiebungen im politischen Kräftefeld reflektiert. Es kommt eher dem Nahe, was üblicherweise als Mosaiklinke bezeichnet wird. Zu dem in der Gründungszeit vorhandenen Spektrum stießen Medien der anarchistischen und autonomen bzw. der interventionistischen Linken sowie der antifaschistischen Publizistik, aus dem radikaldemokratischen und Bürgerrechtsbereich, weiter gewerkschaftliche oder stark gewerkschaftlich ausgerichtete Medien, mehrere Zeitschriften des klassischen Dritte-Welt-Bereichs, traditionsmarxistische bzw. kommunistische Publikationen sowie zwei stark in der Linkspartei verankerte Zeitschriften. Hinzu kamen politisch zurückhaltende und stark wissenschaftsorientierte Zeitschriften sowie einige Medien der feministischen und Kulturlinken.
Themen und Reichweite
Anfang 2006 waren es bereits 2.179 Artikel, die seit 1999 von ca. 20 Redakteuren eingepflegt wurden. Ein halbes Jahrzehnt später überschritt der Archivbestand des Linksnetprojekts die 5.000er Grenze (von mehr als 1.700 Autoren und Autorinnen, auf die insgesamt sieben Millionen Mal zugegriffen wurde). Mittlerweile wird in der Regel täglich ein neuer Artikel aufs Netz gebracht. Alle Artikel werden verschlagwortet und können nach Erscheinungsdatum, AutorIn und thematischer Kategorie recherchiert werden.[6] Ergänzend zu Zeitschriftenartikeln nimmt LinksNet auch Artikel einzelner Autoren auf. Vielfach sind diese in elektronischer oder gedruckter Form nicht mehr zugänglich, so dass die Archivfunktion des Webangebots für die wissenschaftliche Arbeit, politische Orientierung wie auch politische Bildung deutlich an Eigengewicht gewonnen hat. Für Themen- und Autorenrecherche im linken Feld spielt LinksNet eine kontinuierlich wachsende Rolle – vor allem, weil hier Artikel kostenlos im Volltext zugänglich sind.
Ein weiterer Expansionsversuch einer Communitybildung scheiterte letztlich: die Gründung des Gruppenblogs „Linkslog“ (2003-2009) sollte dem Projekt eine zusätzliche Basis jenseits des Inputs durch Zeitschriften geben. Trotz der Mitwirkung von bis zu einem Dutzend Autoren und über 750 Einträgen konnte keine eigene Identität ausgebildet werden. Der Blog gewann keine linke Prominenz als „Blogger“ und konnte oder wollte in die linke Debatte nicht dauerhaft meinungsbildend eingreifen. Auch das ist ein Beleg dafür, dass sich die ursprünglich weitreichende politische Intention des Vorhabens zu einer durchaus politischen, aber pragmatischen Servicefunktion „für links“ veränderte.
Dieses Kernprojekt ist stabil und sogar weiterhin expansiv. Die täglichen Besuche von Linksnet.de stiegen kontinuierlich an von 221 im Jahr 2002 auf 5.725 im Jahr 2006 und erreichten damit ein relativ stabiles Plateau.[7] Auf rund die Hälfte der Zeitschriften gab es mehr als 100.000 Zugriffe. Auf den einzelnen Beitrag wird im Schnitt zwischen 1.000 und 5.000mal zugegriffen, so dass von einem deutlichen Gewinn an Sichtbarkeit ausgegangen werden kann. Gerade ressourcenschwache Zeitschriften mit geringer Printauflage und Reichweitendefiziten profitieren deutlich von dem LinksNet-Projekt, aber auch etablierte Zeitschriften können von einem deutlichen Zuwachs an Sichtbarkeit und einer „aufmerksamkeitsökonomischen Dividende“ ausgehen. Für das runde Dutzend Zeitschriften, das vergleichsweise wenig Artikel zur Verfügung stellt oder einpflegt, trifft ein solcher Effekten nicht zu. Aufgrund der starken Differenzen in der Zugehörigkeitsdauer und der Anzahl der eingestellten Artikel lassen sich freilich kaum sinnvolle Aussagen über die Popularität („Ranking“) der Zeitschriften, der Autoren, Themen oder politischen Ausrichtungen machen. Immerhin ist deutlich, dass im Zeitschriftenangebot Beiträge zu allgemeinen Fragen der Gesellschafts- und Politikentwicklung eine herausragende Rolle spielen, ähnlich Ökonomie, Krieg & Frieden sowie internationale Beziehungen. Gender und Feminismus, Kultur, Medien- und Kommunikation sowie Ökologie sind wesentliche, aber deutlich geringer präsente Themen.[8]
LinksNet weist ein anderes Modell auf als die dynamische und expansive Interaktionskultur der Webs vom Typ Facebook. Die Verbreitungsrate von sozialen Netzwerken vermag das Portal nicht zu erreichen. LinksNet ist aber auch weniger flüchtig, Themen bleiben in ihrem Kontext und können jederzeit wieder in aktuelle Zusammenhänge gestellt werden. Inwieweit sich das Portal zu einem Kommunikationsmedium entwickeln kann, bleibt abzuwarten. Zwar haben sich über 500 Personen bei Facebook für LinksNet registriert, nehmen aber die Möglichkeiten zur Kommentierung kaum wahr.
Ebenso wenig gibt es mehr als eine sporadische politische Kooperation der beteiligten Zeitschriften bei der weiteren Professionalisierung des Projekts. Die bislang aus Gründen des Arbeitsaufwandes vermiedene Einbeziehung vor allem englisch-, französisch- bzw. spanischsprachiger Zeitschriften ist angesichts der aktuellen kulturellen Praxen und der Internationalisierung von sozialen Protesten ein bleibendes Problem und ausgesprochen bedauerlich. Zeit also für einen weiteren Schritt. Als deutschsprachiges Informationsmedium aber ist LinksNet ein Unikat und ein Nutzen für die Linke und darüber hinaus.
* Unter Mitwirkung des Linksnet-Redaktionskollektivs.
[1] Die Zeitschriften Alaska, Initial, Blätter für deutsche und internationale Politik, Das Argument, Blättchen, express, forum recht, forum wissenschaft, iz3w, Memo Forum, Ossietzky, Prokla, Sozialismus, Utopie kreativ, Wissenschaft und Frieden, Z, SPW.
[2] S. Mail Markus Lauber v. 19.7.1999 („Anstoss-linke Portalsite“); Projektpapier „Linksnet.de. Internet-basierte Kommunikationsstruktur für linke Politik und Wissenschaft“ (Wagner/Lauber v.8.8.1999); Präsentation Klein / Sturmberg/ Rilling / Lauber v.16.1.2000.
[3] Alaska, Ansprüche, Fantomas, Memo-Forum, sul serio, UTOPIEkreativ, ver.di Perspektiven.
[4] AIB - Antifaschistisches Info Blatt, ak - analyse & kritik, an.schläge, arranca!, AUSDRUCK, BIG Business Crime, Bildpunkt, Blätter für deutsche und internationale Politik, Bürgerrechte & Polizei/CILIP, Das Argument, Das Blättchen, Der Rechte Rand, express, Forum Recht, FORUM Wissenschaft, GID - Der Gen-ethische Informationsdienst, Graswurzelrevolution, grundrisse, INAMO, Initial - Berliner Debatte, isw - sozial-ökologische wirtschaftsforschung, iz3w - informationszentrum 3. welt, Kurswechsel, Lateinamerika Nachrichten, LOTTA, Lunapark21, Luxemburg, marx21, Marxistische Blätter, Ossietzky, PERIPHERIE, Perspektiven, prager frühling, PROKLA, SiG - sandimgetriebe, SoZ - Sozialistische Zeitung, Sozialismus, spw - sozialistische Politik und Wirtschaft, Streifzüge, tendenz, utopia, W&F, Wissenschaft & Frieden, WeltTrends, Widerspruch, Widersprüche, Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, ZAG. Interessante fehlende Medien sind etwa WOZ, Le monde diplomatique, Lettre International o.ä.
[5] Die Präsentation formulierte: „LinksNet.de versteht sich als politische Portalsite aus dem Spektrum der sozialistischen, pluralistischen Linken mit gewerkschaftlicher Orientierung und Bezug auf die parlamentarischen Parteien SPD, Grüne und PDS. Die Mitwirkenden rekrutieren sich derzeit aus SPD, Jusos, Juso-Hochschulgruppen, PDS, AWO-Jugendwerk, IMD, SPW, VSA-Verlag, Sozialismus, Z, Das Argument, Das Blättchen, Utopie kreativ, Forum Wissenschaft, Wissenschaft und Frieden. Angestrebt wird die Gewinnung weiterer Mitwirkender (weitere Zeitschriften, linkes Spektrum der Grünen, wissenschaftlicher Bereich.)“
[6] Als da sind: Alternativen / Bildung & Wissenschaft / Europa / Feminismus / Geschichte / Gesellschaft / Internationales Krieg & Frieden / Kultur / Linke Leute / Medien & Internet / Ökonomie / Politik / Sozialstaat / Theorie.
[7] Jeweils im Oktober, 2007 im Mai. (6629 in 2007; 5085 in 2009, 5054 in 2010 und 5151 in 2011). Das sind jährlich rund zwei Millionen Besuche (Daten von Stefan Kühn). Wird Politik dramatisch, nimmt die Anzahl der Besuche zeitweise auf das Doppelte zu.
[8] Angaben nach Unterlagen von Stefan Kühn und Markus Lauber.
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