Hermann Behrens (Bearbeiter), Naturschutzgeschichte und Naturschutzbeauftragte in Berlin und Brandenburg, hrsg. v. Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung a. d. Hochschule Neubrandenburg, Friedland 2010, Steffen-Verlag, 964 S. mit Kartenbeilage, gebunden, 58,80 Euro
Für die Überschrift dieser Besprechung muss ich um Entschuldigung bitten. Etwas genauer und langweiliger müsste es heißen: „… in Brandenburg und Berlin bis Töpfer und Merkel“, denn am Schluss dieses dicken Buches wird auch unsere wiedervereinigte alte Reichshauptstadt behandelt. Durch die vielleicht etwas aufreizende Wortwahl im Titel möchte ich dazu beitragen, dass nicht nur ein paar Naturfreaks, sondern möglichst auch ein paar Politikfreaks diesem gewaltigen Werk jene Aufmerksamkeit schenken, die es ohne Zweifel verdient.
Das Buch (der dritte Band des Lexikons der Naturschutzbeauftragten, das das Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung an der Hochschule Neubrandenburg herausgibt und das sich wesentlich auf das „Studienarchiv Umweltgeschichte“ dieses Instituts stützt) trägt zu Recht den sachlich umfassenderen Titel „Naturschutzgeschichte und Naturschutzbeauftragte“. Es behandelt diese Gegenstände für den Zeitraum seit der Reichsgründung bis zur Jahrtausendwende und bezieht sich grundsätzlich auf Brandenburg und Berlin in den heutigen Gebietszuschnitten. Die Geschichte der staatlichen Naturschutztätigkeit und derjenigen von Vereinen, Verbänden und Einzelpersonen in diesen Gebieten wird im Überblick auf mehr als 500 Seiten dargestellt, wobei notwendigerweise Grundzüge der jeweiligen gesamtstaatlichen Natur- und ggf. Umweltschutzpolitik in Erscheinung treten und mit behandelt werden. Auf beinahe 400 weiteren (ebenfalls vielfältig bebilderten) Seiten gibt es längere oder kürzere Biographien der Naturschutzbeauftragten der Kreise und der Provinz bzw. der Bezirke und des Landes mit Kurzdarstellungen ihres Wirkens. Naturschutzbeauftragte sind staatlich berufene und ehrenamtlich tätige Naturschutzarbeiter (die weibliche Form ist fast entbehrlich, weil es Frauen in einem solchen Amt nahezu nicht gab).
Die Entwicklung der tatsächlich verfolgten Naturschutzziele im betrachteten Gebiet und Zeitraum begann, betrachtet man den Wandel der Leitbilder sowie der Tätigkeiten der Beauftragten, die sozusagen zwischen diesbezüglicher Staatstätigkeit und Freiwilligenarbeit vermittelten, zu Kaiser Wilhelms Zeiten mit Bemühungen um einen Landschafts- und Heimatschutz gegenüber modernistischen Interventionen. Dieser konzentrierte sich während des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, als Schutz von Naturelementen vor den Menschen, vor allem auf die Erhaltung von Naturdenkmalen (geologische Bildungen, ausgewählte Pflanzen- und Tierarten, dazu auch Ausweisung kleiner Naturschutzgebiete) im Unterschied zur Bewahrung ganzer Landschaften. Auch unter dem – trotz faschistischer Geburtshilfe allgemein als verhältnismäßig fortschrittlich geltenden – Reichsnaturschutzgesetz ab 1935 blieb Konservierung ein in Theorie und Praxis leitender Gesichtspunkt; jedoch wurden unter dem NS-Regime, beginnend mit dem Autobahnbau und anderen Erdarbeiten des Reichsarbeitsdienstes, auch andere Seiten aufgezogen. Damals wurden „die Grundlagen für einen pflegenden (Landschaftspflege), gestaltenden (Landschaftsgestaltung) sowie planenden (Landschaftsplanung) Naturschutz gelegt, z. T. in einem verbrecherischen Kriegszusammenhang (‚Generalplan Ost’)“ (463). In den ersten Jahren nach Kriegsende wurde in der Sowjetischen Besatzungszone, in der, wie im Westen, das Reichsnaturschutzgesetz weiter galt und viele Naturschutzaktivisten sich um eine Reorganisation des Natur- und Landschaftsschutzes bemühten, auch eine „Wiederbegründung des Beauftragtenwesens“ erreicht, wobei die Tätigkeit dieser Fachleute angesichts der verschiedenartigen Kriegsschäden äußerst mühselig war. (148ff.) Seit den 1950er Jahren gewannen in der DDR die Pflege und die Nutzung von zu schützenden Naturgegenständen sowie die wissenschaftliche Begründung des Umgangs mit ihnen an Bedeutung. Unter dem Dach der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften wurde zu diesem Zweck schon 1953 das verdienstvolle Institut für Landes (bzw. Landschafts)forschung und Naturschutz (ILN) in Halle (mit Zweigstellen) gegründet, an dessen Schließung vor zwanzig Jahren (1991) gegenwärtig erinnert wird. Pflanzengeographische Kartierungen Brandenburgs gehörten zu den „ersten Forschungsarbeiten des ILN Potsdam“. (202f.) Aber schon in den ersten zwanzig Jahren der DDR-Geschichte entwickelten sich die Nutzungsansprüche an Naturdargebote, die der ökonomischen Produktion entsprangen, und die Schutzansprüche für die vorhandenen Naturraumpotenziale, die im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion vertreten wurden, gegeneinander. Hauptgründe waren zunächst die beanspruchte Ausweitung von Ackerland, sodann die Intensivierung der Agrarproduktion und schließlich die Durchsetzung ihrer vollständigen Kollektivierung, die „den Nutzungsdruck auf die Agrarlandschaft [erhöhte]“. (221) In den letzten beiden Jahrzehnten der Existenz des staatssozialistischen Systems entwickelten sich „Ökonomie und Ökologie“ im Naturschutz in einem offenkundigen Widerspruch: auf der einen Seite der steigende Druck auf die natürliche Umwelt durch die Agrar-, Bergbau-, Energie- und Industriepolitik, auf der anderen Seite ein wegweisendes Landeskulturgesetz (1970), welches die Aufgaben einer staatlichen Natur- und Umweltschutz-Politik miteinander verband und diese Politik auf die Gestaltung bzw. Wiederherstellung der Kulturlandschaften insgesamt ausrichten wollte, aber nicht konnte; ferner Natur- und Umweltschutzaktivisten, die mehr und mehr an den Rand gedrängt wurden und teilweise als politische Opposition wirkten; und nicht zuletzt hoch motivierte und qualifizierte Naturschutzbeauftragte, durchaus auch solche mit sozialistischen Überzeugungen, die versuchten, ein bißchen von dem durchzusetzen, was im Westen mittlerweile manchmal „ökosozialistisch“ genannt wurde; sie hatten dabei immer weniger Erfolg.
Nach dem Beitritt der DDR zur BRD traten schrittweise neue Regeln in Kraft. In Brandenburg und Berlin gibt es mittlerweile (Ausnahme: Landesbeauftragter in Berlin) keine „(Kreis-, Bezirks- oder Landes-)Naturschutzbeauftragten“ mehr (vgl. hierzu und zur Lage in den anderen Bundesländern 484-494). „Natur und Umweltschutz wurden ein profitabler Gegenstand kapitalistischer Verwertungszusammenhänge […].“ (501)
Hermann Behrens, der diesen außerordentlich informativen Band bearbeitet hat, resümiert als „vorläufigen Befund“ seiner Untersuchungen zur Naturschutzgeschichte und zu den Naturschutzbeauftragten (475): „Im Jahre 2006 jährte sich zum hundertsten Mal das Datum der Gründung der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen, das in der Naturgeschichtsschreibung als Beginn des staatlichen Naturschutzes gilt. Fragt man nach denen, die den Naturschutz in Gang gebracht und ‚getragen’ haben, so reift schnell die Erkenntnis, dass es bis 1945 im Deutschen Reich und dann bis weit nach 1945 in den beiden deutschen Staaten […] die ehrenamtlichen Beauftragten waren. Sie bildeten die wichtige ‚3. Säule’ des Naturschutzes neben dem staatlichen und dem wissenschaftlichen. Die Naturschutzbeauftragten sollten dabei als unabhängige Ansprechpartner vor Ort ein maßgebliches Bindeglied zwischen staatlicher Naturschutzverwaltung, freiwilligen Naturschutzhelfern und Landnutzern sein.“ Lange Zeit haben sie, ausweislich der Befunde dieser Untersuchung, diese Funktion zumindest partiell auch ausfüllen können. Das Buch ermöglicht einen Blick „von unten“ auf einen wichtigen Teil deutscher Gesellschaftsgeschichte und Geschichte des gesellschaftlichen Mensch-Umwelt-Verhältnisses, der nicht durch große, aber leere Worte verstellt wird.
Karl Hermann Tjaden