Die Debatte um Auto und Mobilität hat durch Veröffentlichungen und Tagungen von IG Metall, Heinrich-Böll-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung und die Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, über die hier berichtet wird, Schwung bekommen: ein Beleg für gewachsenes Problembewusstsein. Greifbare Lösungsansätze blieben rar. Dafür gibt es ein Bündel von Ursachen:
Nach der letzten größeren Branchenkrise, Anfang der 1990er Jahre, hat der Aufschwung durch die „Vereinigungskonjunktur“ den Blick auf die strukturellen Verwerfungen verstellt,
- die Komplexität globaler Produktion und die Verquickung mit anderen Branchen erschweren Lösungen,
- existenzielle Probleme wie Klimaveränderungen, Nahrungsmittelknappheit und millionenfache in Erwerbslosigkeit begründete Unsicherheit haben die Defizite überlagert,
- der 2009er Zusammenbruch der Weltwirtschaft, die Insolvenzen von GM und Chrysler, Konjunkturprogramme und Subventionen haben die Krise von Auto und Mobilität als beherrschbare Marginalie erscheinen lassen,
- die scheinbare Erholung durch Export und exorbitante Profite überdecken den 25%-Rückgang des Inlandsabsatzes im Jahr 2010 und das Auspressen der Beschäftigten durch milliardenschwere Kostensenkungsprogramme[1].
- Früh schon wurden Protagonisten möglicher Veränderungen aus ganz unterschiedlichen Gründen in den 1990er Jahren aus der öffentlichen Debatte verdrängt: Daniel Goeudevert und Edzard Reuter auf Konzernseite, Franz Steinkühler auf Seiten der Gewerkschaft.
Goeudevert und Reuter hatten erkannt, dass Einschränkungen des Motorisierten Individualverkehrs durch andere Mobilität und andere Produkte nicht zum Ende der Kapitalakkumulation für die Automobilkonzerne werden sollte und dachten dabei auch an die bisherigen Standorte und Belegschaften. Die IG Metall hatte mit Teilen der ökologischen Bewegung das Programm „Auto, Umwelt und Verkehr“ auf den Weg gebracht[2]. Später wurde der zuständige Gewerkschaftssekretär Personalvorstand bei VW und der programmatische Diskurs brach ab.
Holzwege und Hoffnungsschimmer
Die menschliche Überlebensrationalität[3] sollte bewirken, dass konzentriert an Lösungen des Problems gearbeitet wird; die kapitalistische Irrationalität („Es mag sein, dass es zu viele Autos gibt, sicher aber zu wenige BMW“[4]), die Veränderungs- und Abstiegsangst der relativ gut bezahlten Beschäftigten in den meisten Betrieben der Autoindustrie und die über ein Jahrhundert gewachsenen Mythen um das Auto (Freiheit, Sicherheit, Individualität, Geschwindigkeit, Wirtschaftlichkeit) führen zur Blockade von Lösungsansätzen und Denkblockaden.
Kaum jemand glaubt, dass Elektromobilität eine Lösung ist, dennoch wird in den Unternehmen der Auto- und Zulieferindustrie genau darauf gesetzt (Bosch, Conti, Opel, EON etc.). Für Forschung und Entwicklung werden Milliarden Subventionen von Bundesregierung und EU kassiert; es wird eine „Nationale Plattform E-Mobilität“ eingerichtet, um die Standortkonkurrenz gegen China und USA zu gewinnen und den Profitrahmen abzustecken[5]. Betriebsräte und Gewerkschafter widersprechen diesem Holzweg so wenig wie der „Abwrackprämie“, weil für kurze Zeit Beschäftigung gesichert werden kann; die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich jedoch durch Arbeitszeitverlängerung, Intensivierung der Arbeit und Personalreduzierung, durch Lohn- und Sozialabbau. Die Erkenntnis, dass befristete „Standortsicherung“ einher geht mit zusätzlichen Belastungen, führt nicht zu einer Änderung dieser Politik, die die Entsolidarisierung der Beschäftigten verschiedener Unternehmen und verschiedener Länder zum Ergebnis hat und keinerlei Beitrag zur Lösung der strukturellen Krise und zur Auflösung der Überkapazitäten leistet.
Bei den Tagungen zur Perspektive von Auto und Mobilität wurden wichtige Kritikpunkte benannt, u.a.:
- das absehbare Ende und die Risiken von Ölförderung (Peak Oil, Deepwater Horizon) und anderen Ressourcen und Raum;[6]
- das Erfordernis, die Umweltvergiftung zu beenden, die CO2-Emission aus Deutschland bis 2020 um 40% zu mindern, um die Erderwärmung nicht über die 2-Grad-Grenze ansteigen zu lassen,
- globale Gerechtigkeits- und Mobilitätsansprüche, die in Regionen mit geringer Infrastruktur (Afrika, China, Indien, Teile von Lateinamerika) höhere Verkehrsleistungen erfordern.
Anregungen zur Transformation – was, wer, wofür, wie viel, mit welchem Geld, welche Produkte – konnten kaum gegeben bzw. erarbeitet werden. Zunächst gibt es keine entwickelte Debatte darüber, dass solche Veränderungen die Produktionsverhältnisse berühren, dass also die Frage der Verfügungsgewalt gestellt wird. Hinweise auf Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie weisen in diese Richtung, müssen aber ökonomisch, technisch und politisch entwickelt und mit konkreten politischen und gewerkschaftlichen Aktionen begleitet werden.
Dann führt die gesellschaftliche Ideologie des Autos (Gorz), vor allem bei den Beschäftigten, zu Produzentenstolz und zu Verlust- und Veränderungsängsten. Die erfahrungsgestützte Abwehrhaltung des bestorganisierten Teiles der Beschäftigten im Organisationsbereich der IG Metall[7] und die dominante Rolle von Betriebsräten, die oft nur standortbezogen agieren, führen – ähnlich wie beim Kampf um die Arbeitszeitverkürzung in den ostdeutschen Ländern – zu einer Lähmung der Gewerkschaft in dieser Frage.[8]
So setzen Beschäftigte und Gewerkschaft auf „Augen zu und durch“, darauf, dass „ihr“ Unternehmen in der globalen Konkurrenz gewinnen möge; Gewinner werden sich bestätigt fühlen, über Verlierer spricht dann niemand mehr. Potenzielle Bündnispartner, Umwelt-, Erwerbslosen- und Verkehrsinitiativen, Globalisierungskritiker/innen und Internationalist/inn/en, Wissenschaftler/innen verzweifeln fast an der Ideenlosigkeit überwiegend strukturkonservativer Gewerkschafter und Betriebsräte.
Verlorene Jahrzehnte und die Aufgabe der Linken
Ungeachtet des Lobes von Gewerkschaften und Regierung, es hätte in der Krise keine Entlassungen gegeben, ungeachtet chauvinistischer Positionen („Stahl aus Deutschland ist ökologischer als Stahl aus China“[9]) berichteten Kollegen von Bosch-Stuttgart, dass per Betriebsvereinbarung jedes Jahr 250 Beschäftigte „sozialverträglich“ abgebaut würden. In der Auto-Branche wurden über 50.000 Stamm-Arbeitsplätze vernichtet und 100.000 Leiharbeiter entlassen.
Bei den Konferenzen wurde deutlich, dass die Debatte um Transformation von Auto- und Zulieferindustrie in den 1990er Jahren weiter war. Im Programm der IG Metall „Auto, Umwelt und Verkehr“ (siehe Fußnote 2) wurden folgende Vorschläge und Forderungen ausformuliert:
- Automobilproduktion ohne Gift- und Schadstoffe
- Rohstoffverbrauch durch Recycling der Altautos senken
- Weniger Emission und Energieverbrauch beim Autofahren (Null-Emission)
- Sicherheit statt Raserei
- Aufbau eines integrierten Verkehrssystems
- Ausbau des öffentlichen Verkehrs
- Vernetzung der Verkehrsträger
- Neue Fahrzeugkonzepte und Unternehmensstrategien
- Vernünftiges Verkehrs- und Verbraucherverhalten
- Bessere Grenzwerte und Preisreform, politische Initiativen und demokratische Beteiligung.
Ausgangspunkt waren die Erkenntnisse, dass der Nutzen des Autos mit wachsender Fahrzeugdichte schwindet[10], dass die Schäden und Belastungen aus dem Autoverkehr viel zu hoch und die Zukunftsvorsorge für Umwelt, Mobilität und Beschäftigung völlig mangelhaft sind.
Mit Spannung werden Positionen der IG Metall zum Branchenumbau erwartet. Hans-Jürgen Urban vom Gewerkschaftsvorstand beschrieb die Dimensionen der Krise mit dem hohem Beschäftigungsgrad und der Autoindustrie als Kern der kapitalistischen Ökonomie. Er benannte dann einige Punkte für die weitere Debatte:
- die „Geometrie“ des Problems (Nachhaltigkeit, Beschäftigung, Qualität der Arbeit und Konkurrenzminderung)
- die Transformation (Komplexität und Balance der geometrischen Punkte)
- die Beschäftigung (Strukturpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Arbeitszeitverkürzung und transnationale Regulation der Konkurrenz) sowie
- die Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie.
Als Akteure wurden Gewerkschaften, Betriebsräte, Beschäftigte (in dieser Reihenfolge), regionale Initiativen, soziale und ökologische Bewegungen, Wissenschaft, „Öffentlichkeit“ und „die Auto-Unternehmen“ genannt, allerdings ohne anzubieten, wann wer mit wem anfangen soll, diese „Ansätze mittlerer Reichweite“ zu planen und umzusetzen. Abschließend warnte er vor naiven „Antiindustriealismus“, ohne diesen irgendwie zu verorten.
Auch Elmar Altvater fiel – trotz hoher Erwartungen an die Konferenz[11] – zur Konversion nicht viel ein, einen „Kapitalismus ohne Öl“ konnte er sich schwer vorstellen. Ansonsten riet er zu Infrastrukturmaßnahmen, Flächennutzungsplänen und Bauordnung – ähnlich MdB Ulla Lötzer, die Ressourceneffizienz empfahl und Industriepolitik anmahnte. Der Daimler-Betriebsrat Tom Adler reklamierte den gesellschaftlichen Bedarf an Bildung und Gesundheit; er verwies so auf gesellschaftliches Brachland, dessen Bestellung Geld und Arbeit beansprucht, eine Alternative zur Überproduktion von Autos und Grenzüberschreitung des Profitsystems wäre. Den Konflikt auf den Punkt brachte Porsche-Betriebsrat Reiner Hofmann als er feststellte, dass die Konzerne solange kein Interesse an Transformation haben, wie sie mit dem Massenprodukt Auto Profite realisieren. Weitere Vorschläge haben Verkehrsinitiativen (Shared Space, Autofrei Leben, Null-Tarif) in die Debatten gebracht, die gute Ansatzpunkte für eine gesellschaftlich Transformation von Auto und Mobilität darstellen, aber inhaltlich und politisch zusammengefasst werden müssen. Das ist jetzt die dringende Aufgabe der Linken, nachdem die Debatte erfolgreich angestoßen wurde.
Hoffnungsvolle Ansätze gab es von den internationalen Gästen der RLS-Konferenz in der Beschreibung sich entwickelnder Arbeitskämpfe in China. Aus Mexiko wurde berichtet, dass durch die Übernahme eines ehemaligen Conti-Betriebes durch die Beschäftigten das Produkt noch nicht verändert wurde, die Arbeitsbedingungen aber verbessert und die Selbstverwaltung der Fabrik eine gute Schule für Veränderungen ist.
Freudvoller Wandel statt freudloser Verzicht
Die erforderlichen Schritte sind bekannt. Es geht um drastischen Ausbau und soziale Preisgestaltung des öffentlichen Verkehrs vor allem auf der Schiene; im gleichen Maße geht es um den Rückbau von Straßen in der Fläche wie in den Städten, um Städte und Land wieder menschengerecht und bewohnbar zu machen, um autofreie Städte, in denen Menschen sich gefahrlos bewegen können; um Dörfer mit ausreichendem Angebot an Lebensmitteln und Dienstleistungen. Es geht um eine drastische Arbeitszeitverkürzung[12], um gerechte Verteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, Erwerbstätigen und Erwerbslosen, zwischen den Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens. Letzteres schließt eine Umstellung auf regionale Kreisläufe ein und ermöglicht ganzheitliche Prozesse und eine Reduktion der überspannten und ungerechten Arbeitsteilung zwischen „Kopf und Hand“, zwischen den Geschlechtern und den Regionen. Es geht um demokratische Entscheidungen über das „was und wie“ der Produktion – um nützliche und nachhaltige Beschäftigung im Gesundheits- und Bildungswesen, um die Einbeziehung aller Pflege-, Erziehungs-, Beziehungs- und Hausarbeit in einen erweiterten Arbeitsbegriff und die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung all dieser Arbeit. Nachhaltige Produkte im Sektor Mobilität, eine andere Produktionsweise, die Verkürzung der Zeit für Lohnerwerbsarbeit und ein erweitertes Verständnis von Arbeit sind die Wegmarken für die Beschäftigten, die die notwendigen und gewünschten Veränderungen ohne Verlustängste tragen können[13]. Es geht – in Abwendung vom Mythos der Arbeit und der protestantischen Arbeitsethik – eben nicht um „Arbeit für alle“, sondern um „Gutes Leben für alle“. Die Erfahrung des 6-Stunden-Tages bei Volkswagen in den 1990er Jahren hat zu freudvollen Erkenntnissen geführt, was wir an gutem Leben gewinnen, wenn wir uns ändern[14].
Stephan Krull
[1] Die Zeit, 4.11.2010.
[2] Auto, Umwelt und Verkehr – Umsteuern, bevor es zu spät ist! Schriftenreihe der IG Metall Nr. 122, Frankfurt/M., ohne Datum.
[3] Harald Welzer in „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 11’10.
[4] Eberhard von Kuehnheim, BMW-Chef von bis 1970 bis 1993.
[5] Tagung der IG Metall am 21.9.2010 in Hannover.
[6] Peak-Oil-Studie des „Zentrum für Transformation der Bundeswehr“, http://www.peakoil. net/files/German_Peak_Oil.pdf, Online am 4.11.2010.
[7] Mit mehr als 500.000 Mitgliedern stellen die Automobilbeschäftigten fast ¼ aller Mitglieder der IG Metall und zahlen weit über ¼ der Beiträge der IG Metall.
[8] Zwar sprach Berthold Huber bereits 2009 von einem Branchenrat, die IG Metall hat es aber bisher nicht geschafft, ein Branchenprogramm als Grundlage für Bündnisse und Veränderungen zu erarbeiten.
[9] Tagung der Hans-Böckler-Stiftung am 14./15.9.2010 in Brüssel.
[10] André Gorz; Die gesellschaftliche Ideologie des Autos; Paris 1975
[11] Elmar Altvater; Interview in ‚analyse & kritik’ Nr. 554 vom 15.10.2010
[12] Die durchschnittliche Arbeitszeit aller Beschäftigten in Voll- und Teilzeit beträgt aktuell 30 Stunden pro Woche.
[13] Sabine Gruber, Frigga Haug, Stephan Krull; Arbeiten wie noch nie!?; Argument-Verlag, Hamburg 2010.
[14] Krull, Stephan; „Das nenne ich leben!“ Zwischen Traum und Alptraum, LuXemburg 3.2010