Frigga Haug (Hrsg.), Briefe aus der Ferne: Anforderungen an ein feministisches Projekt heute, Argument Verlag, Hamburg 2011, 317 S., 18,50 Euro
In ihrem Bemühen, als Feministin Einfluss auf die Programmdebatte der Linkspartei zu nehmen, hat Frigga Haug sich internationale Unterstützung erbeten: Enttäuscht von der Zurückhaltung vieler deutscher Kolleginnen, hat sie eine globale Umfrage initiiert und sozialistische Feministinnen aus aller Welt um Stellungnahmen zu notwendigen oder möglichen Linien feministischer Interventionen in die Zeitläufte gebeten. Die 49 Antworten liegen jetzt als „Briefe aus der Ferne“ in Buchform vor.
Was bei der Lektüre schnell auffällt: Die Autorinnen haben die ihnen gestellte Aufgabe sehr unterschiedlich interpretiert. Mal ist ein Brief kaum eine viertel Seite lang, mal umfasst er deren zehn oder mehr; vor allem aber wird auf unterschiedlichen Ebenen argumentiert: Während manches sehr nah an den akademischen Diskussionen bleibt, gehen andere den Schritt ins politisch-programmatische, und auch dies fällt unterschiedlich konkret aus. Hester Eisenstein z.B. fordert „das Recht auf eine ökologisch nachhaltige Wirtschaft als Alternative zur kapitalistischen Globalisierung, auf einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der Armut, Rassismus, Homophobie und Patriarchat ein für alle Mal beseitigt“ (92), während Harried Fraat vorschlägt, sich u.a. für einen „subventionierten Putz- und Wäschereinigungsservice“ (119) einzusetzen, um so das Anliegen einer Kollektivierung der Haushaltsarbeit zu aktualisieren.
Besonders lesenswert sind jene Beiträge, die in ihrem Bemühen um eine aufrichtige Antwort auf die Was-tun-Frage Ländervergleiche anstellen und aus dem jeweiligen nationalen Kontext heraus Empfehlungen oder skeptische Einwürfe entwickeln. So zieht Antje Schuhmann vor dem Hintergrund der Erfahrungen der südafrikanischen Frauenbewegung mit dem ANC die Orientierung auf Parteipolitik in Zweifel; Nora Räthzel hadert von Schweden aus stattdessen eher mit dem Begriff des Feminismus selbst. „Vielleicht liegt das daran, dass die feministische Politik in Schweden so langweilig ist, weil es da nur darum geht, Frauen in alle möglichen höheren Positionen zu bringen.“ (214) Ganz anders wiederum Lena Gunnarson, die von den Schwierigkeiten berichtet, eine feministische Perspektive in der schwedischen Linkspartei zu verankern. Das sich in einem solchen Prozess Konflikte um Prioritätensetzung und die Grenzen der Kompromissbildung auftun, zeigt sich auch an einem Beitrag aus Deutschland: Die Paderbornerin Ingrid Galster vermeldet knapp, sie sehe keinen Sinn darin, sich an der Programmdebatte einer Partei zu beteiligen, die der Präsidentschaftskandidatur von Gesine Schwan die Unterstützung versagt hat.
Ein Großteil der Autorinnen nimmt eine kapitalismuskritische Haltung ein; gleichwohl ist die Gefahr präsent, dass Frauen in linken Organisationen am Ende als „gelinkte Frauen“ (Birge Krondorfer, S. 169) dastehen. Ein roter Faden besteht darin, dieses Nähe-Distanz-Verhältnis zwischen Frauenbewegung und der sonstigen Linken sowie zwischen feministischer und marxistischer Kritik zu behandeln. Die Herausgeberin spricht letzterer gewissermaßen Vorbildcharakter zu, wenn sie schreibt: „Wir lernen aus dem Internationalismus der Arbeiterbewegung, der selbst eine große Kraft ist. Dies ist das Format, das wir anzielen.“ (15) Diese Unbescheidenheit macht den Charme des Buches aus. Inwiefern das, was hier im Denken vorweggenommen wird – die Formierung eines auf politischen Eingriff ausgerichteten Zusammenschluss des sozialistischen Feminismus – Realität werden kann, bleibt eine offene Frage.
Stefan Schoppengerd