Jutta Ditfurth, Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen, Rotbuch Verlag, Berlin 2011, 288 S., 14,95 EUR
Die Grünen sind in aller Munde: Im Wahljahr 2011 treten sie bei insgesamt sieben Landtagswahlen. In Baden-Württemberg gibt es den ersten grünen Ministerpräsidenten und in Berlin könnten sie die erste Regierende Bürgermeisterin stellen. Stehen die Grünen vor ihrem großen Comeback als Hoffnungsträger?
Eine Antwort auf diese Frage gibt Jutta Ditfurth in ihrem neuen Buch nicht. Ihre These lautet: Die Grünen seien nur noch eine Partei wie jede andere, hätten sie doch seinerzeit für den Jugoslawien-Krieg, für Hartz IV und die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke gestimmt. Ihr Unterscheidungskriterium im Parteienwettbewerb sei es, dass sie den WählerInnen am besten weismachen könnten, „anders“ zu sein. Eine Botschaft, die die ökonomisch durchweg gut gestellten WählerInnen der grünen Partei gerne glauben. Jutta Ditfurth war selbst prominente Mitbegründerin der Grünen und zeitweise eine der BundessprecherInnen. 1991 trat sie schließlich aus. Seitdem hat sie in mehreren Büchern dargelegt, wie eine relativ kleine Gruppe von Grünen die Partei gezielt auf einen realpolitischen Kurs brachte, was unter anderem dazu führte, dass Anfang der 1990er Jahre ein Viertel der Mitglieder austrat. Die danach neu eingetretenen Mitglieder kennen die sozialen Bewegungen und Kämpfe der 1970er und 1980er Jahre nicht mehr aus eigenem Erleben. Für sie sind die Grünen eine Partei, die – wie sie selbst – die NATO, die soziale Marktwirtschaft und Wachstum akzeptiert hat. In Wirklichkeit verschärften die Grünen, so Ditfurth, gefesselt von Kapitalinteressen und Sachzwängen des Machterhalts, in Aufsichtsräten, Regierungen und Parlamenten die Ausbeutung von Mensch und Natur. Als rot-grüne Regierungspartei seien sie konservativ, mitunter reaktionär geworden – lediglich auf der Straße geben sie manchmal noch die Opposition. Ditfurth schildert dies – und dieser Abschnitt ist der stärkste des Buches – am Beispiel der baden-württembergischen Grünen und ihrer auf Befriedung abstellenden Funktion im Protest gegen Stuttgart 21 und der nachfolgenden Schlichtung. Keine Rolle – und das ist verwunderlich – spielt in dem Buch die grüne Haushalts- und Steuerpolitik, ließen sich doch auch hier viele Beispiele für den Wandel der Grünen finden.
Den Aufstieg der grünen Partei kann Ditfurth aber nicht wirklich schlüssig herleiten, denn allein der „Verrat“ der Realos erklärt nicht die andauernde Attraktivität der Partei. Kam die Anpassung nicht auch „von unten“, aus dem tagtäglichen Kleinklein der kommunalen Abgeordneten? Ditfurth indes hat recht damit, dass die sozialen Bewegungen der 1970er Jahre alle ihre Erfolge ohne eine direkte parlamentarische Vertretung erzielt haben. Aber die 1970er Jahre, die Zeit, in der Ditfurth politisch sozialisiert wurde, sind lange her. Fraglich bleibt, was diese historische Erfahrung den heute politisch Engagierten noch sagen kann.
Bernd Hüttner