Berichte

The Memory of Labour - Erinnerungen an eine Bewegung

46. Linzer Konferenz der ITH, Linz, 9. - 12. September 2010

Dezember 2010

Nicht selten wird das Ringen um die politische Verfassung einer Gesellschaft von einem parallelen Kampf um die Erinnerung begleitet – im wiedervereinigten Deutschland ist dies immer dann besonders spürbar, wenn ein historisches Bild der DDR gezeichnet werden soll. Ostalgie und Unrechtsstaat stehen nebeneinander und bilden einen inszenierten Gegensatz der jene Zeitungsspalten füllt, die für die Beschreibung aktueller sozialer Kämpfe nicht zur Verfügung stehen.

Es ist daher vorwärts- und nicht rückwärtsgewandt, wenn vom 9.-12. September im österreichischen Linz Historiker und Historikerinnen zum Thema „Arbeiterbewegungen in globalen Erinnerungsprozessen“ diskutierten. Gemäß dem Grundsatz der Veranstalter war die Themenpalette breit gefächert. Von afrikanischen Eisenbahnstreiks der 1940er Jahre bis zum Skandinavischen Linksfeminismus reichte die Palette.

Eine Zusammenschau der einzelnen Beiträge zeigt jedoch, dass es so etwas wie eine „globale“ Erinnerung an die Arbeiterbewegung nicht gibt. Das kollektive Gedächtnis ist nach wie vor etwas Nationales, bestenfalls Regionales. Dies machte bereits der Einleitungsvortrag des in Frankreich lebenden italienischen Historikers Enzo Traverso klar, der unter den Oberbegriff „Entangled Perspectives – Verschlungene Perspektiven“ die Erinnerung an den 8. Mai 1945 in Osteuropa, Westeuropa und Nordafrika verglich. Während in Westeuropa und seit der Weizsäcker-Rede 1985 zunehmend auch in Westdeutschland die Erinnerung an die Befreiung von Holocaust und Nationalsozialismus im Vordergrund steht, wird das Kriegsende 1945 in Osteuropa seit 1990 vor allem als Stalinisierung definiert, als Ablösung einer Besatzungsherrschaft durch die nächste. Nicht selten werden hier unkritisch Nationalsozialismus und Stalinismus gleichgesetzt, oder gar wie mancherorts im Baltikum der Nationalsozialismus als kleineres Übel angesehen. Mit dem Ende des Staatskommunismus feierte also der staatliche Antikommunismus eine Wiedergeburt.

Auch in Nordafrika erinnert man sich des Jahres 1945 nicht als Befreiung. In Algerien wurden direkt nach den Feiern am 8. Mai 1945 im Massaker von Setif tausende Einheimische von Französischen Kolonialtruppen ermordet. Die Befreiung als Ende der Kolonialherrschaft kam hier erst Jahre später.

Die verschiedenen Perspektiven zeugen vom Fehlen einer globalen Erinnerung – sie zeigen aber auch, wie wenig Platz die sozialistischen Bewegungen im Geschichtsbewusstsein einnehmen. Wenn es also eine Gemeinsamkeit im globalen Geschichtsbewusstsein gibt, so ist es eine entlang der Achsen von Tätern und Opfern strukturierte Erinnerung: die großen Verbrechen Holocaust, Kolonialismus und Stalinismus dominieren. Die Arbeiterbewegung taucht allenfalls als Täter in der Erzählung vom Stalinismus auf. Ihre Aufbauarbeiten und Bemühungen zur Zivilisierung der bürgerlichen Gesellschaft finden wenig Beachtung.

Dies hat seine Ursache einerseits in der aktuellen politischen Schwäche linker Bewegungen – andererseits im historischen Identitätsverlust zahlreicher Akteure der Arbeiterbewegung selbst. Wenn die IG-Metall Arbeitsplatzverluste in der Rüstungsindustrie beklagt, wenn die SPD den selbst geschaffenen Sozialstaat abbaut und dazu auf lokaler Ebene auch immer wieder die Kooperation der Linkspartei findet – wie können diese Akteure dann einen positiven Bezug auf ihre eigene Geschichte als einer Geschichte des Widerstands finden? Diese offensichtliche politische Frage wurde auf der Linzer Konferenz leider nicht ausgiebig diskutiert. Allerdings ist dies auch nicht unbedingt die Aufgabe der Geschichtswissenschaft, sondern der politisch Aktiven. Sie müssen Erinnerung und Zukunft der Arbeiterbewegung gleichzeitig einfordern. Das Verdienst der Linzer Konferenz ist es, die Gretchenfrage nach Vergangenheit und Tradition von Arbeiterbewegung erstmals in ihrer globalen Totalität gestellt zu haben. Schon jetzt ist man gespannt auf den 2011 erscheinenden Tagungsband mit den Beiträgen der diesjährigen Konferenz. An dieser Messlatte wird sich jede zukünftige wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema messen lassen müssen. Die Erfahrungen der diesjährigen Konferenz zeigen: Die ITH, gegründet Ende der 1960er Jahre als „Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung“ hat mit ihrem Wandel zur „International Conference of Labour and Social History“ nicht nur einen Etikettenwechsel vollzogen. Sie ist mittlerweile eine führende Institution in den vielfachen Bestrebungen, das Feld der Arbeiterbewegungsgeschichte zu modernisieren. Die ITH hat es längst geschafft, vom überholten Ost-West-Gegensatz des Kalten Krieges wegzukommen und einem wissenschaftlichen Nord-Süd Dialog anzustoßen, der danach strebt, die Phänomene Arbeit und Arbeiterbewegung in Form einer „Global Labor History“ in seiner Gesamtheit zu erfassen.

Das Programm und weitere Berichte finden sich unter: www.ith.or.at

Ralf Hoffrogge