Medien- und Meinungsmacht

Die Mitte-Links Regierungen und die neue Medienpolitik in Lateinamerika

Juni 2011

1. Ausgangssituation der Mitte-Links-Regierungen

Die sich nun seit über 10 Jahren entfaltenden Mitte-Links Regierungen in Lateinamerika sind insofern demokratisch legitimiert, als sie aus vergleichsweise fairen und korrekten Wahlprozessen hervorgegangen sind, zum Teil mit Mehrheiten, wie sie in manchen Ländern nie zuvor erreicht worden waren (z.B. in Bolivien). Über die internen, regionalen und externen Bedingungen des Aufstiegs dieser Regierungen, die sich ihrerseits in manchen Aspekten unterscheiden, ist bereits viel publiziert worden (Panizza 2009; Lievesley/ Ludlam 2009; Boris 2007 u. a.) , was hier nur als Hintergrund knapp angedeutet werden kann.

Die internen sozialen Polarisierungs- und Verarmungsprozesse im Gefolge der „neoliberalen Reformen“, die auffälligen Demokratiedefizite sowie die – auch durch externe Interventionen nicht gebremsten – Entfaltungsmöglichkeiten sozialer Bewegungen haben in einer Reihe von Ländern (wie Venezuela, Brasilien, Argentinien, Bolivien, Ekuador, Paraguay) diesen Umschwung herbeigeführt; wobei nicht vergessen werden darf, dass von einem „generellen Linksruck“ deshalb nicht gesprochen werden sollte, da einzelne Länder wie Mexiko, Kolumbien, Peru, neuerdings wieder Chile sowie die meisten zentralamerikanischen Staaten den bisherigen neoliberalen Kurs nahezu unverändert weiter verfolgen und zudem die Abwendung von der neoliberalen Politik in den fortschrittlich regierten Ländern unterschiedlich tief greifend ausgefallen ist. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die neuen Mitte-Links Regierungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, in den praktizierten Demokratieformen und in der Außenpolitik neue Akzente gesetzt haben.

Der lang anhaltende und kräftige ökonomische Aufschwung von 2002/03 bis 2008 hat in den meisten Ländern, vor allem in den mitte-links regierten, die Armutsquote deutlich sinken lassen, die Einkommensungleichheit konnte in diesen Ländern leicht reduziert werden. Die Zunahme formaler Beschäftigung und die deutliche Erhöhung der Mindestlöhne sowie die Verbesserung gewerkschaftlicher Handlungsbedingungen haben wesentlich dazu beigetragen. Die Stabilisierung der Alterssicherung (teilweise verbunden mit der Rückkehr zu öffentlich abgesicherten Umlageverfahren, wie im Falle Argentiniens) und vor allem die Sozialtransfers zur Hungerbekämpfung und zur Verbesserung der Bildung bzw. Gesundheit der Kinder von armen Bevölkerungssegmenten (Conditional Cash Transfers, CCT) sind zweifellos in Staaten mit Mitte-Links Regierungen am deutlichsten und quantitativ relativ umfangreich angewandt worden (Vgl. Lopez-Calva/Lustig 2010).

Die Stärkung partizipativer Elemente der Demokratie, teilweise in Form von Verfassungsänderungen und der Aufwertung kommunaler Politikmöglichkeiten haben gerade in diesen Ländern die Akzeptanz der Demokratie im allgemeinen und der in den jeweiligen Ländern praktizierten Demokratie deutlich erhöht, was aus den alljährlich durchgeführten Befragungen des in Santiago de Chile ansässigen Forschungsinstituts „Latinobarómetro“ hervorgeht (Vgl. dazu Economist v. 10. Dez. 2009).

In der Außen- und Außenwirtschaftspolitik der mitte-links regierten Länder war die stärkere Betonung nationaler bzw. regionaler Eigenständigkeit und Autonomie ebenso deutlich ablesbar wie der Versuch, zum einen die regionalen Integrationsmodelle auszubauen, zum anderen auch jenseits der traditionellen Wirtschaftsbeziehungen zu den USA und den europäischen Ländern vielfältige wirtschaftliche und technologische Austauschprozesse vor allem mit Asien, dem nahöstlichen Raum und zu Afrika zu intensivieren.

2. Der Kampf um Hegemonie unter den Mitte-Links Regierungen

Getragen wurde der Regierungs- und teilweise Richtungswechsel in den entsprechenden Ländern von einem mehrheitlichen Willen, die mit der neoliberalen Politik verbundenen Verschlechterungen der Lebenslage aufzuhalten und eine neue Entwicklungsdynamik zu initiieren. Hierbei sollte der Staat wieder eine größere Rolle spielen, aber auch eine intensivere Partizipation der Bevölkerung, eine tendenziell umverteilende und Armut reduzierende Politik sowie die Betonung einer größeren nationalen bzw. regionalen Eigenständigkeit/Autonomie gehörten zu den programmatischen Leitlinien dieser Regierungen. Es liegt auf der Hand, dass diese Zielsetzungen nicht ohne harte Auseinandersetzungen - trotz zum Teil hoher elektoraler Mehrheiten - durchzusetzen sind. Die Transformationsversuche der Mitte-Links Regierungen waren und sind mit erheblichen Barrieren konfrontiert. Zum einen darf nicht vergessen werden, dass gerade in der vorausgehenden neoliberalen Ära insbesondere die großen Unternehmen sich stärken und noch mehr konzentrieren konnten. Das heißt, der Hauptgegner der intendierten Veränderungen war ökonomisch und in seinem politisch-kulturellen Einflussvermögen keineswegs geschwächt, sondern durch die Regierungswechsel allenfalls und zunächst in eine defensiv-abwartende Haltung versetzt worden. Zum zweiten bilden die Akkumulations- und Verwertungschancen dieser Kapitalgruppen gewissermaßen das Rückgrat der jeweiligen Ökonomien, da sie bedeutende Teile des Deviseneinkommens auf sich konzentrieren; eine deutliche Schwächung oder Blockierung ihrer Aktivitäten könnte für die Mitte-Links Regierungen verhängnisvolle Folgen haben, weswegen diese eine relativ moderate, die Eigeninteressen dieser Kapitalgruppen im wesentlichen mitberücksichtigende Politik ansteuern mussten.

Drittens konnten manche Mitte-Links Regierungen nicht in jedem Fall mit einer dauerhaften parlamentarischen oder außerparlamentarischen Unterstützung für ihre Vorhaben rechnen. In manchen Fällen, wie z.B. dem brasilianischen, bestand die Regierung Lula von vorneherein aus einer breiten Koalition vieler (auch zentristischer) Strömungen und umfasste viele Parteien bzw. Positionen.

Private Medienunternehmen sind in Lateinamerika wie überall in der kapitalistischen Welt einerseits Dienstleister bezüglich der Bereitstellung von Informationen und andererseits auf Gewinn abzielende Unternehmen, gewissermaßen in Personalunion. Sie verdienen allerdings immer weniger durch bloße Informationsvermittlung und das Angebot von Meinungen, sondern zunehmend durch die damit eng verquickte Werbung (ca. 25% der TV-Sendezeit in Lateinamerika sind diesem Zweck gewidmet), wodurch sich ihre Programmgestaltung überwiegend an Gesellschaftssegmenten orientiert, die über Kaufkraft verfügen. Durch vielfältige Prozesse horizontaler Konzentration (z.B. bei einem Medium oder verschiedene Medienarten betreffend) und vertikaler Verflechtung (vor- und nach gelagerte Stufen betreffend bzw. unterschiedliche Produktarten in Konglomeraten zusammenfassend), die in den letzten 20 bis 30 Jahren besonders forciert wurden (und mittlerweile europäische Dimensionen weit übertreffen), stellen diese fast monopolartigen Medienkomplexe per se eine ökonomische Macht dar, die im übrigen immer mehr internationale Verbindungen und Verflechtungen mit andern Branchen aufweisen (zuletzt ausführlich zu diesen Aspekten: Becerra/ Mastrini 2009). „Die Nationalstaaten sehen sich meistens nicht in der Lage, der Machtkonzentration innerhalb der Medienlandschaft Einhalt zu gebieten, zum einen, weil die Besitzstruktur durch neue Konsortiumsformen und internationale Einbindungen unübersichtlich wird, zum anderen jedoch auch, weil die Politiker selbst zu Medienunternehmern werden oder von den Medien für den eigenen Karriereerfolg abhängig sind“ (Costa 2004:22). Es liegt auf der Hand, dass jene dreiteilige Zweck- und Funktionsbestimmung der Medien (Werbeträger, Informations- und Meinungsübermittler und gewinnnorientiertes Unternehmen zu sein) sich zu Haltungen verdichten, die den Zielen der Mitte-Links Regierungen mehr oder minder direkt zuwiderlaufen. Umgekehrt hängen aber der Bestand dieser Regierungen und eine eventuelle Vertiefung der von ihnen begonnenen Prozesse von den Auseinandersetzungen um Hegemonie im öffentlichen und politischen Raum wesentlich ab.

Gerade weil Parteien, Parlamente, Verbände und institutionelle Kanäle die politischen Positionen und Interessen von wachsenden Bevölkerungssegmenten in vielen lateinamerikanischen Gesellschaften nicht mehr ausreichend abzubilden vermochten, wurden zunehmend alternative Artikulationsmöglichkeiten gesucht. Da öffentliche Kampagnen und Demonstrationen nur ausnahmsweise und zeitlich begrenzt diese Aufgabe erfüllen können, gelangte der Wunsch nach eigenen, selbst bestimmten Medien (meist auf lokaler Ebene) immer häufiger ins Visier sozialer Bewegungen und von Bevölkerungsgruppen, die ansonsten unsichtbar und nicht hörbar bleiben würden. (Hierbei konnte an frühere Ansätze angeknüpft werden, siehe weiter unten).[1] Dem steht gegenüber, dass sich die Medien in ihrer großen Mehrheit in fast allen Ländern Lateinamerikas fest in der Hand großer Medienkonzerne (teilweise auch im ausländischen Besitz: z. B. Bertelsmann)[2] befinden. Deren Botschaften in „ihren“ Medien sowie ihre offenen oder verdeckten Aktivitäten sind verständlicherweise gegen grundlegende Veränderungen der gesellschaftlichen Kräfte- und Machtverhältnisse gerichtet. Vor dem Hintergrund dieser seit Jahrzehnten gewachsenen Herrschafts- und Medienstrukturen (mit vielen Eigenheiten gegenüber der europäischen „Normalkonstellation“) wird erklärbar, warum die Medien in Lateinamerika – und vor allem das Medium, welches die größte Verbreitung und Wirkung entfaltet: das Fernsehen – gerade in den letzten Jahren in den Fokus des allgemeinen politischen und öffentlichen Interesses gerückt sind. Bildet doch die Medienlandschaft (neben dem Bildungswesen, den Versorgungsinstitutionen, der allgemeinen Infrastruktur) das kurz- und mittelfristig wichtigste Kampffeld, auf welchem Mehrheitsmeinungen, Wahlstimmungen, Problemdefinitionen und Situationsdeutungen wesentlich gebildet werden.[3]

3. Die Medien als besonders wichtiges Kampfterrain

Wie schon angedeutet, weisen die Strukturen und Entwicklungstendenzen des Mediensektors in Lateinamerika einige Besonderheiten auf, die sich zudem unter neoliberalen Rahmenbedingungen noch verstärkt haben. „In den beiden letzten Jahrzehnten (sind) private, monopolartige Medienkonzerne entstanden, die mit ihrem Interesse an größtmöglichen Gewinnen aus Werbung, Sport und Unterhaltung die Situation in großen Teilen des Kontinents beherrschen. Sie sind zu politischen Akteuren geworden und bestimmen in einigen der lateinamerikanischen Länder die Agenda entscheidend mit.“( FES 2008)

Eine neue Untersuchung über sieben Länder Lateinamerikas ergab, dass die jeweils fünf größten privaten Fernsehsender zusammen zwischen 72 und 97 Prozent des jeweiligen Gesamtmarktes dominierten. „Eine derartige Vormachtstellung privater Medienunternehmen ist außerhalb von Lateinamerika extrem selten. Beeindruckend sind hier auch die Marktanteile einzelner Konzerne: Der mexikanische Fernsehgigant Televisa beherrscht alleine 85% des mexikanischen TV-Marktes, Globo in Brasilien bringt es auf einen Marktanteil von 53%, und in Venezuela vereint die Unternehmensgruppe Cisneros mit ihrem Sender Televisa immerhin 44 Prozent auf sich. Die jeweils fünf größten Tageszeitungen kommen im Länderdurchschnitt auf einen Marktanteil von knapp 50 Prozent.“(Voigt 2007:43). Diese Tendenz hat sich bis 2004/05 stabilisiert bzw. – je nach Land und Medium – sogar noch weiter akzentuiert (Becerra/Mastrini 2009: 211ff.).

Die gerade während der letzten beiden Dekaden zu konstatierende wachsende Verflechtung der großen, in der Regel von bestimmten Familien oder ökonomischen Gruppen dominierten Medienkomplexe mit anderen Branchen (Finanzsektor, Agrobusiness, Supermarktketten, Brauereien, Gastronomie und Vergnügungsindustrie etc.) sowie die relativ direkte politische Instrumentalisierung dieser ökonomischen Machtpositionen zählen zu den weiteren Besonderheiten des Mediensektors in Lateinamerika. Die Vormacht bestimmter Medienmogule auch auf regionaler und lokaler Ebene, die in Personalunion nicht nur alle Medien in einem Territorium beherrschen, sondern zugleich maßgebliche Großgrundbesitzer, Fabrikanten, Aktionäre von Handelsketten und Banken und natürlich auch gewissermaßen nebenher noch Politiker sind, stellen gewiss in dieser Offenheit und Ungeschminktheit ein weiteres Charakteristikum Lateinamerikas dar. Dieses wird mit dem dort verbreiteten Klientelismus und Kazikentum in Zusammenhang gebracht. Wesentlich ist gegenüber den meisten europäischen Ländern, dass ein öffentlich-rechtlicher Mediensektor, der gemeinsam von gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen/ Institutionen kontrolliert wird und der jenseits von Staat bzw. Exekutive und Privatwirtschaft (zumindest idealiter) angesiedelt ist, in Lateinamerika nicht existiert. Traditionellerweise dominiert der Staat nur einen sehr kleinen Teil der Medien (einen staatlichen Radio- und Fernsehkanal und/oder eine Regierungszeitung), die aufgrund ihrer überwiegend bloßen Verkündungsfunktion und fast ausschließlichen Propaganda zwecks Legitimierung des Regierungshandelns kaum populär sind und in der Regel wenig beachtet werden. Aus Zeiten der Militärdiktaturen haftet ihnen noch ein negatives Image an, was aber zum Teil durchaus auch für die großen privaten Medienkonzerne gilt, die häufig mit den Diktaturen bestens zusammengearbeitet haben (man erinnere sich zum Beispiel an El Mercurio in Chile).

Auch der Umstand, dass sich unter solchen Rahmenbedingungen ein relativ objektiv berichtender und urteilender Journalismus, der auch unter europäischen Bedingungen nur eingeschränkt und stets bedroht realisiert werden kann, in Lateinamerika kaum herausbilden konnte, gehört zu den weiteren Spezifika der lateinamerikanischen Medienlandschaft. Nicht unerwähnt darf hierbei bleiben, dass kritische Journalisten in manchen Ländern, sofern sie sich überhaupt entfalten und artikulieren konnten, nicht nur in ihrer arbeitsrechtlichen Stellung ziemlich ungesichert, sondern nicht selten in ihrer physischen Existenz bedroht sind. Mexiko und Kolumbien rangieren gegenwärtig weltweit an der Spitze der Journalistenmorde.

Diese Konstellation einer zunehmenden Kommerzialisierung und Vermachtung der Medien, die noch durch die neuen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten teilweise akzentuiert wurde, ließ nicht nur die Einsicht in die Deformierung der „eigentlichen“ Aufgaben der Medien wachsen, sondern verstärkte zugleich die Exklusionserfahrung wachsender Teile der Bevölkerung. Die Skepsis gegenüber einer nur sehr oberflächlichen und auf formal-elektoraler Ebene stattfindenden Demokratisierung ließ die Kritik an den – diese Tendenzen ideologisch abstützenden – Medien wachsen. Denn die Stimmen der Opposition, der Marginalisierten und Unterdrückten gelangten praktisch nie in diese Bezirke, die sich fast ausschließlich ganz anderen Themen (High Society, Telenovelas, Prominente, Sport, Verbrechen usw.) widmeten.

Dies hat dazu geführt, dass die Medien und der Sensations-Journalismus in den letzten Jahren – sogar in den Augen moderater und eher konservativer Beobachter – deutlich an Glaubwürdigkeit verloren haben. Selbst glühende Apostel von „freier Marktwirtschaft und freiem Pressewesen“ bringt dies in Argumentationsschwierigkeiten. Denn einerseits sehen sie die krassen Schwächen und die die Demokratie bedrohenden Defizite des Medienwesens mehr oder minder deutlich, andererseits sind sie nicht bereit, daraus abgeleitete Forderungen nach erhöhter bzw. effektiver gesellschaftlicher Kontrolle zu akzeptieren, natürlich erst recht nicht, wenn sie von Repräsentanten der Mitte-Links-Regierungen erhoben werden. So registriert auch der Spezialist der Konrad Adenauer Stiftung für Medien in Lateinamerika, P. A. Behrens, diese neue gesellschaftliche Tendenz: „Spürbar ist, dass Medien- und Journalistenschelte nicht mehr in dem Maße sozial geächtet wird („Angriff auf die Pressefreiheit“) wie noch vor einigen Jahren. Der Ruf nach verstärkter Kontrolle der Medien ist mittlerweile fast schon populär und wurde wahrscheinlich deshalb relativ früh von Populisten wie den Präsidenten Chávez und Morales ins Spiel gebracht. Die Forderung, dass auch Medien der Gesellschaft gegenüber Rechnung abzulegen haben, ist offenbar politisch nicht mehr unkorrekt, unabhängig davon, was damit genau gemeint ist.“ (Behrens 2010:99)

Wie dieses Postulat umgesetzt werden kann, wird gegenwärtig in Lateinamerika heftiger diskutiert als je zuvor. Lokale Gruppen und soziale Bewegungen haben schon lange zuvor auf die bezeichnete missliche Situation reagiert[4]. Gerade auch die neuen technischen Möglichkeiten, wie das Internet, lokale Radio- und TV-Sender, Bürgernetzwerke haben die Generierung und Verbreitung von eigenständig gesammelten Informationen und die Artikulation autonomer Meinungen begünstigt; diese Tendenzen wurden häufig in besonderen Konfliktsituationen zwischen Regierung und Medienkomplexen potenziert und beschleunigt (Uriona 2008). „Zum ersten Mal in der lateinamerikanischen Geschichte verfügen ethnische Gruppen, Bürgerinitiativen, Frauenorganisationen und lokale Bürgervereinigungen überwiegend aus der unterprivilegierten Bevölkerung über Mittel und Wege, miteinander zu kommunizieren und ihre Interessen national und sogar darüber hinaus hörbar zu machen.“ (FES 2008:6)

In der Vergangenheit wurden diese Initiativen massiv behindert, stellten sie doch für die oligarchischen Medien eine unliebsame Konkurrenz dar und gerieten bei politischen Instanzen schnell in Verdacht, subversive Botschaften zu verbreiten. So waren die lokalen Radios ständig von Lizenzentzug bedroht und durften keine Einnahmen machen bzw. keine Werbeeinkünfte aufweisen. In einer Reihe von lateinamerikanischen Ländern setzen sich die Mitte-Links Regierungen für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen dieser lokalen Gemeinschaftsradios und TV-Sender ein. Es geht darum, einen gesetzlichen Rahmen für ein demokratischeres Medienwesen zu schaffen und den gesellschaftlichen Organisationen/Gemeinschaftsmedien die Chance zu eröffnen, ohne allzu große Behinderungen, Rechtsstreitigkeiten, klientelistische Gefälligkeiten und Schikanen so zu arbeiten, dass sie in Ansätzen eine pluralistische Konkurrenz gegenüber den sehr starken privatwirtschaftlichen Medien darstellen können. Zudem war es ohnehin an der Zeit, die teilweise aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts oder aus der Periode der Militärdiktaturen stammenden Medien- und Kommunikationsgesetze neu zu fassen.

4. Neue Mediengesetze und ihre Wirkungen

Mehr noch als die bisherigen Bemerkungen müssen die folgenden Ausführungen, deren Gegenstand eine breite und differenzierte Behandlung erforderte, skizzenhaft und fragmentarisch bleiben. Es dürfte nachvollziehbar sein, dass dort, wo breite Bevölkerungsmehrheiten sich gegenüber der herkömmlichen konservativ-neoliberalen Politik kritisch artikulieren (z.B. in Wahlen, Demonstrationen etc.), das Medienthema schnell auf eine prominente Stelle der politischen Agenda aufrückte. Nicht nur weil die bisher Stimmlosen sich nunmehr aktiv einbringen und realistische, sie betreffende Informationen erhalten wollen, sondern auch umgekehrt, weil – wie Raul Zibechi formuliert – dort wo „ die Neoliberalen die Staaten nicht mehr im Griff haben und die Mehrheitsparteien sie nicht mehr bedingungslos unterstützen, bleibt ihnen nur noch die Presse, um ihre Interessen durchzusetzen.“(Zibechi 2007:8)

Venezuela weist traditionellerweise einen hochkonzentrierten privaten Mediensektor auf, der nach dem Niedergang der alten Parteien im Laufe der 90er Jahre und nach dem Wahlsieg von Chávez 1998/99 eine neue zusätzliche Rolle übernahm: die Organisierung und Anleitung der Opposition gegen den seither in Gang gesetzten „bolivarianischen Prozess“. Venezuela steht seither im Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit. Früher hat kaum ein Beobachter, Politiker oder Demokratieforscher aus dem Westen Anstoß an dem hochgradig oligopolistisch-elitär verfassten Mediensektor genommen. Heute findet weltweit ein Aufschrei des Entsetzens darüber statt, wenn die Regierung die Lizenz eines marktbeherrschenden TV-Senders auslaufen lässt. Nicht zuletzt weil dieser sich aktiv an einem Putschversuch gegen den verfassungsmäßigen Präsidenten beteiligt hatte (2002) und bei anderen rechtlich sehr zweifelhaften Aktionen gegen die Regierung (mediale und praktische Unterstützung des „Unternehmerstreiks“ der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA 2002/2003) eine herausragende Rolle gespielt hatte. „Die meisten privaten Medien werden von den alten Eliten kontrolliert und ergreifen offen Partei gegen die Regierung von Hugo Chávez sowie die sozialen Bewegungen. Mit legitimer Kritik hat dies meist wenig zu tun. Medien wie Globovisión attackieren die Regierung fortwährend mit Halbwahrheiten und Lügen. Im April 2002 waren die wichtigsten privaten Medien maßgeblich am – letztlich gescheiterten – Putsch gegen Chávez beteiligt. Was in den meisten Ländern der Welt schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, führte in Venezuela 2007 lediglich zur Nicht-Verlängerung der öffentlichen Sendefrequenz des oppositionellen Fernsehsender RCTV, der heute nur noch über Kabel und Satellit empfangen werden kann.“ (Lambert 2009:18)

Mittlerweile wurde die Rolle der Medien in der neuen Verfassung allgemein festgelegt und durch mehrere konkretisierende Gesetze fixiert. In einem Gesetz aus dem Jahr 2000 zum Beispiel wurden die Rechte der Gemeindesender auf Frequenzen und die Modalitäten ihrer staatlichen Förderung festgelegt; darin wurden 14% aller Sendefrequenzen nicht-kommerziellen Medien vorbehalten. In dem „Gesetz für Soziale Verantwortung in Radio und TV“( 2004) wurden Regulierungen vorgenommen, die wenig spektakulär und in vielen Ländern üblich sind. Zum Beispiel wird darin vorgeschrieben, dass die audiovisuellen Medien 50 Prozent ihres Programms mit Produktionen aus dem Inland bestreiten, dass 90 Minuten pro Tag Programme für Kinder und Jugendlich ausgestrahlt werden müssen und die Sendungen erst zu später Stunde sexuelle oder gewalttätige Inhalte aufweisen dürfen. Werbung für Alkohol und Tabak wird darin ebenso verboten wie die Nutzung der Medien für persönliche Beleidigungen und Diffamierungen (Azzellini 2006:226f.).

Die Zahl der Basis-Radiosender und der lokalen TV-Sender hat sich in den letzten Jahren sprunghaft erhöht; gab es 2002, zur Zeit des Putschversuchs, nur 13 Basissender, so stieg deren Zahl bis heute auf über 250 an. Deutlich gewachsen ist aber auch die Zahl privater Radiosender, die mittlerweile auf die stattliche Zahl von 472 kommen. Dazu kommen noch 79 staatliche Sender. Insgesamt wurden die vergebenen Radiofrequenzen stark erhöht. Gegenüber dem Stand von 2000, als die damals 300 Sender fast allesamt privat geführt worden waren, sind nun die Proportionen deutlich zugunsten der kommunalen Basisradios und der staatlichen Sender verschoben, obwohl die kommerziellen Sender mit über 60 Prozent immer noch die Mehrheit bilden. Ähnlich verhält es sich im TV-Bereich: Hier stehen sich zurzeit 65 private, 37 kommunitäre und sechs staatliche Sender gegenüber (Lambert 2009:18). Das Spektrum hat sich also diversifiziert und demokratisiert, obwohl die privaten Medien aufgrund ihrer finanziellen und personellen Ressourcen nach wie vor eine dominierende - wenn auch nicht mehr absolut beherrschende - Rolle spielen. Ähnliches kann von den Tageszeitungen behauptet werden. Die meisten Tageszeitungen gehören einigen wenigen großen Privatunternehmen und sind strikt oppositionell ausgerichtet; die neu gegründete regierungsnahe Zeitung (Vea) und die lokalen basisnahen Blätter von Stadtteilen, sozialen Bewegungen etc. bilden ein kleines, aber keineswegs gleichwertiges Gegengewicht. Allerdings sind die beiden größten anti-chavistisch ausgerichteten Tageszeitungen (El Universal und El Nacional) von einer Tagesauflage von jeweils 250 000 auf unter 60 000 abgefallen (Azzellini 2006:223).

Zwischen Juli und September 2009 liefen die Lizenzen einiger privater Rundfunksender aus, und es fanden administrative und steuerliche Überprüfungen im Mediensektor statt, was rechtlich gesehen kaum anfechtbar zu sein scheint, aber wieder einmal starken politischen Wirbel verursacht hat. Abgesehen von der Ahndung rechtlicher und steuerlicher Verfehlungen, die teilweise auch zur Nichtverlängerung der Lizenzen führten, argumentiert die Regierung, dass durch den teils illegalen Aufbau von Medienoligopolen ein „medialer Großgrundbesitz“ entstanden sei, der nun demokratisiert werden müsse.

In Argentinien, wo die Struktur des Mediensektors als nicht grundsätzlich verschieden von der Venezuelas anzusehen ist, wurde im Dezember 2009 ein neues Mediengesetz verabschiedet. Im Gegensatz zum Mediengesetz während der Diktaturzeit (1976-1983), wonach nur Privatunternehmer TV- und Radiostationen betreiben konnten, sollen nun zu je einem Drittel Frequenzen bzw. Marktanteile auf den Staat, gesellschaftliche Gruppen/NGOs und private Unternehmen entfallen. Kabelbetreiber können nicht gleichzeitig terrestrische TV-Sender betreiben. Die Sendelizenzen pro Mediengruppe werden von 24 auf 10 reduziert, innerhalb eines Jahres müssen diejenigen, die mehr besitzen, diesen „Überschuss“ verkaufen. Kein Sender darf in einem regionalen Sendegebiet über mehr als 50 Prozent der dortigen Lizenzen verfügen (Schank/Schulten 2010). Die Einführung neuer technischer Standards müsse stets dem obersten Gebot der Pluralität unterworfen werden (Brock 2010:16). Mithin können nun erstmals legal und dauerhaft Gewerkschaften, Kooperativen, Universitäten, Stadtteilbewegungen, Frauen- und Indigena-Organisationen etc. ohne behördliche Hürden und Willkür Radio- und Fernsehstationen betreiben. Die Lizenzen sollen von einer siebenköpfigen Regulierungs- und Kontrollkommission vergeben werden, denen Vertreter der Exekutive, der Legislative und der Judikative angehören. Das im Dezember 2009 in Kraft getretene Gesetz ist zwar zwischenzeitlich von Gerichten als verfassungswidrig bezeichnet worden, doch hat dies nicht zur Suspendierung des Gesetzes geführt, da das oberste Gericht im Sinne der Regierung und der Parlamentsmehrheit entschied.

Die Rechte und die betroffenen Mediengruppen – allen voran Clarín, welche 53% des argentinischen Zeitungsmarkts und 73% des „Pay-TV“ beherrscht – bejammern den angeblichen Untergang der „Pressefreiheit“, der Demokratie etc. – übrigens in trauter Gemeinsamkeit mit den ausländischen „Klassenbrüdern“ von der Neuen Zürcher Zeitung, der New York Times, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung usw. Sie befürchten, dass die zivilgesellschaftlichen, gemeinnützigen Sender allzu regierungsnah sein könnten (was teilweise zutreffen mag und gewollt ist, teilweise aber auch angesichts deren Unabhängigkeit und Autonomie keineswegs zwangsläufig ist). Außerdem meinen Opposition und die großen Mediengruppen, dass die geforderten Verkäufe von Marktanteilen jene Käufer begünstigen könnten, die der Kirchner-Regierung nahe stehen. Dies mag der Fall sein – oder auch nicht, jedenfalls wird durch das neue Gesetz eindeutig die Konkurrenz und Pluralität im Mediensektor gestärkt und damit die Demokratie vertieft. Vielfach wird in der oberflächlich-ideologischen Kritik seitens der argentinischen Rechten argumentiert, das neue Mediengesetz stelle einen Racheakt gegenüber den kritischen Medien dar, vor allem eine Art „Bestrafung“ der Clarín-Gruppe, die seit dem Ausstand und Kampf der Agrarier zur Abwehr einer erhöhten Exportsteuer sehr kritisch gegen die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner vorgegangen war. Dies übersieht nicht nur den strukturellen und demokratietheoretischen Aspekt des neuen Mediengesetzes , sondern personalisiert die Angelegenheit insofern maßlos, als damit übergangen wird, dass bereits seit über 20 Jahren viele soziale Bewegungen und Gruppen – verstärkt seit 2004 in zahllosen Kommissionen – ihre entsprechenden Vorschläge vorgelegt haben, die nun zu einem Teil von der Regierung aufgegriffen wurden (Uriona 2010).

Auch in Bolivien haben sich im Mediensektor unter der Regierung von Evo Morales (seit 2006) einige Veränderungen ergeben, die allerdings als weniger durchgreifend und transformatorisch anzusehen sind als dies von dem politischen Image der Regierung zu erwarten gewesen wäre.

In Bolivien befinden sich die Leitmedien zu ca.85% in der Hand privater Akteure, der Konzentrationsgrad ist sehr hoch, andererseits gibt es eine starke lokale Zersplitterung (450 Fernsehkanäle, ca. 800 Rundfunkstationen). Bis 1995 existierten praktisch keine Beschränkungen für Zulassung und Lizensierung von Sendern, aber auch das „Ley de Telecomunicaciones“ von 1995 reguliert zwar letzteres, beschränkt sich aber ansonsten auf technische Aspekte der Rundfunkordnung, ohne Angaben zu Jugendschutzbestimmungen, zu Quoten- und Werbezeitregelungen zu machen (Hetzer 2009: 173). Etwa 80% der BolivianerInnen verfügen über Zugang zu Radio und/oder Fernsehen, und ca. 8-18% lesen eine Tageszeitung. Die Printmedien sind überwiegend regional ausgerichtet, befinden sich in der Hand einiger einheimischer Familiendynastien und haben Verbindungen zu TV- und Radio-Stationen. Die Verkaufserlöse machen in den meisten Fällen nur ein Drittel der Gesamteinnahmen aus; Werbeeinnahmen und Finanzspritzen der Besitzer halten selbst die größeren Zeitungen über Wasser. Die politische Funktion dieser Medien gewinnt daher in den Augen ihrer Besitzer, die in ihren sonstigen ökonomischen Machtpositionen durch die Regierung Morales bedroht werden, einen überproportional großen Stellenwert. „Die Politisierung der Medien wird … nicht nur gezielt von der neuen Regierung betrieben, sondern lässt sich aus den Besitzverhältnissen und den damit verbundenen Interessensansprüchen herleiten. Es herrscht eine einseitige Berichterstattung vor, die sich nicht selten in rassistischen Ressentiments gegen Indigene äußert.“ (Hetzer 2009:172)

Gemessen am hohen Anspruch der „Neugründung“ Boliviens als „pluri-nationalen Staat“ müssen die bisherigen medienpolitischen Initiativen der Regierung Morales als bescheiden bezeichnet werden. Eine Einschränkung der privaten Medienmacht hat es bislang nicht gegeben, die Regierung konzentriert sich eher auf die Wiederaneignung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Kommunikationskanäle und die Förderung von zumeist lokalen Medieninitiativen. Gegenwärtig verfügt die Regierung über einen staatlichen Fernsehsender, einen Hörfunkkanal sowie eine eigene Nachrichtenagentur; eine staatlich finanzierte Tageszeitung („Cambio“) erscheint seit Januar 2009. Überdies beteiligt sie sich aktiv an dem neuen regionalen alternativen Fernsehprojekt „Telesur“. Die Umsetzung von bestimmten medienpolitisch relevanten Verfassungsartikeln (z. B. über die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit in der Berichterstattung und über Vermeidung von Oligopol- und Monopolbildung im Mediensektor) in ein neues umfassendes Mediengesetz werden gegenwärtig heftig diskutiert. Von manchen fortschrittlichen Beobachtern wird die Gefahr wahrgenommen, dass der im Ausbau befindliche staatliche und kommunitäre Mediensektor zu stark in eine einseitige Abhängigkeit von der Regierung gelangen und damit instrumentalisiert und überpolitisiert werden könnte (so Hetzer 2009: 184). Damit sei eine authentische Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der Medien gefährdet. Solange aber die konzentrierte private Medienmacht unangetastet bleibt (bleiben muss?), scheint eine harmonisch-ausgewogene und völlig unabhängige basisdemokratisch verfasste Medienstruktur kaum realistisch zu sein. Der Aufbau eines gegenhegemonialen Kommunikationssystems ist wohl unter diesen Bedingungen als alternativlos anzusehen. Wichtig wird dann sein, dass die internen Kontrollen und die Transparenz in der Kommunikation zwischen Exekutive und Basis, zwischen Regierung und den sozialen Bewegungen gewahrt bleiben bzw. realisiert werden. Dies in extrem angespannten Phasen der Auseinandersetzungen - wie im gegenwärtigen Bolivien - voll zu befolgen, ist zweifellos sehr schwierig.

Eine leichte Entspannung an der „Medienfront“ scheint sich nach der – für die Regierung erfolgreichen – Durchführung des Verfassungsreferendums und nach dem erneuten hohen Wahlsieg Evo Morales’ (2009) abzuzeichnen (Hetzer 2010: 184).

In Ekuador ist die Situation im Mediensektor ähnlich wie in den vorangegangenen Fällen. Schon nach seinem ersten Wahlsieg bzw. Regierungsantritt (2006/07) kam es zu häufigen Konfrontationen zwischen der neuen Regierung Rafeal Correas und den großen privaten Medien des Landes. In der im September 2008 mit großer Mehrheit angenommenen Verfassung wurden einige Grundsätze zur Neuordnung des Medienwesens festgelegt und es ist überdies aufgegeben worden, ein neues Medien – und Kommunikationsgesetz zu erlassen. Letzteres hat die Regierung inzwischen vorgelegt, es ist aber heftig umstritten, teilweise sogar innerhalb der Regierung (Lucas 2010). In der Verfassung sind die Rechte der Bürger auf freien Zugang zu wahrheitsgemäßen Informationen und die Möglichkeit zu freier Meinungsäußerung in allgemeiner Weise fixiert. Medien dürfen in Zukunft nicht mehr mit Unternehmen aus anderen Branchen verbunden sein. So gehört zum Beispiel der weit verbreitete private Fernsehsender Teleamazonas in Quito dem Chef und Besitzer des größten Geldinstituts in Ekuador, der Pichincha-Bank. Er und einige andere, in ähnlicher Situation befindliche Angehörige der herrschenden Klasse in Ekuador müssen nun bis Oktober 2010 ihre Medienunternehmen verkaufen, weil „Bankbesitzer, -geschäftsführer oder -aktionäre nach den Bestimmungen der neuen Verfassung kein Kommunikationsmedium mehr besitzen dürfen.“ (FAZ vom 19. Okt. 2009)

Zwar ist es auf dieser allgemeinen Rechtsbasis gelegentlich zu kleinen Strafen gegenüber Sendern und Journalisten und einem zeitweiligen (24 bis 72 Stunden) Sendeverbot gekommen, aber ohne das neue Kommunikationsgesetz hat sich bislang nicht allzu viel geändert. Hier werden noch viele wichtige Elemente genauer zu diskutieren sein, so zum Beispiel die Zusammensetzung und die Kontrollmöglichkeiten eines „Rats für Kommunikation“ (der von der Regierung unabhängig sein sollte), nicht zuletzt weil sie die Kompetenz erhalten soll, Lizenzen zu vergeben, zu verlängern und die Art der Mediengestaltung nach allgemein akzeptierten Kriterien zu beurteilen usw. Auch die sehr wichtige Frage nach Höhe und Transparenz von Werbeaufträgen für Sender und Zeitungen wird Gegenstand des neuen Gesetzes sein müssen (Daniljuk 2009). Ende des Jahres 2009 nahm erstmals eine öffentliche Nachrichtenagentur (Agencia de Noticias del Ecuador y Suramérica, ANDES) ihre Arbeit auf.[5]

Immerhin wird selbst von eher konservativen Beobachtern konstatiert, dass die Medien in Ekuador, vor allem das Fernsehen, aber immer mehr auch die Printmedien nicht nur bei der Regierung, sondern auch in der breiten Bevölkerung einen zunehmend schlechten Ruf genießen. Dies bezeugt keineswegs ein notorischer Systemveränderer, sondern ein Redakteur des Schweizerischen katholischen Mediendienstes, der sich mit den Medienpraktiken in Ekuador vertraut gemacht hat. „Die Medien gebärden sich in Ekuador – wie in den meisten südamerikanischen Staaten – als politische Akteure. Wie neutrale Beobachter verhalten sie sich dagegen in den wenigsten Fällen. Denn die wichtigen Medien befinden sich in der Regel in der Hand großer Industriekonzerne und Banken, welche die Journalisten dazu drängen, ein rechtes, wirtschaftsnahes Meinungsbild zu zeichnen und Partei gegen die Linksregierung zu ergreifen… Die Journalisten geraten auf diese Weise zwischen Hammer und Amboss, zwischen Regierung und Arbeitgeber. Wollen sie ihren Beruf weiterhin ausüben, müssen sich die Medienschaffenden wohl oder übel der Meinung der Opposition anschließen. Im Gegenzug müssen sie damit rechnen, immer häufiger von der Regierung angegriffen oder geschmäht zu werden.“ (Wenzler 2010:3)

5. Erfolge, Defizite und Ambivalenzen

Auch wenn viele Einzelelemente der Restrukturierung des Mediensektors in Ekuador ebenso wie in Bolivien, Argentinien und Venezuela noch offen sind und Gegenstand weiterer politischer Auseinandersetzungen sein werden, so zeichnen sich doch schon gewisse Demokratisierungs- und Entflechtungstendenzen im Medienwesen ab, welche zum einen die extrem hohe private Machtkonzentration im ökonomischen Sinne einer Revision zu unterziehen versuchen, zum anderen danach trachten, allmählich Gegengewichte in Gestalt von mehr staatlichen und kommunitären Artikulationsmöglichkeiten aufzubauen. Beide Seiten dieser erst vor kurzem in Gang gekommenen Prozesse weisen klar in eine neue Richtung. Aus demokratietheoretischer Sicht ist dies auf jeden Fall zu begrüßen. Die Reichweite und die Wirkungen dieser Maßnahmen für die Herstellung einer demokratischen Öffentlichkeit auch in peripheren oder semi-peripheren Ländern werden erst in der Zukunft zu beurteilen sein.

Wichtig ist, dass ein zentrales Thema der Partizipation, der Bewusstseinsbildung und der Politisierung wieder offen und kontrovers diskutiert wird („steinerne Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden“) und sich konkrete Veränderungen in den einzelnen Ländern abzeichnen. Bemerkenswert ist, dass diejenigen (teilweise als linksliberal angesehenen) Stimmen, die das in fast allen Ländern Lateinamerikas vorherrschende Medienoligopol wenig gestört hatte, nun in das Geschrei um die „Erhaltung der Pressefreiheit“ und gegen „Maulkorbgesetze“ einstimmen und wenig differenzierte Kommentare präsentieren (z. B. El Pais v. 7.Sept. 2009 oder Der Freitag vom 11.Sept. 2009).

Erstaunlich ist, dass die großen Medienkonzerne Brasiliens auch unter der Regierung Lula offenbar Tabu blieben und umgekehrt viele Basis-Radiosender - trotz relativ fortschrittlicher Gesetzeslage von 1998 - in der Ausübung ihrer Tätigkeit und bei Verteidigung bzw. bei Erwerb von Sendelizenzen arg behindert wurden. „Unter der Regierung Ignacio Lula da Silvas wurden inzwischen weitaus mehr Freie und Community Radios geschlossen als unter seinem sozialdemokratischen Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso.“ (Brock 2010:18) Auch in Peru, Mexiko und Honduras sind die kommunitären Radiostationen nicht selten von Illegalisierung und Verfolgung bedroht (Tamayo 2010:2). Andererseits kam es in Uruguay (2007) und in Chile (2010) zu neuen Gesetzen, die kommunitäre Radiosender im Vergleich zu ihrem vorherigen (halblegalen) Status begünstigen.[6]

Allerdings bleibt in mancherlei Hinsicht noch viel zu tun, wenn die Ziele des medialen Gegengewichts oder sogar der Gewinnung einer Gegenhegemonie wirklich erreicht werden sollen. Die Mitte-Links Regierungen müssten mehr die hohe Bedeutung dieses Kampffeldes und dessen Zentralität für die reale Demokratisierung der Gesellschaften betonen und entsprechend mobilisieren. Gelegentlich kommt es auch zu Konflikten zwischen Basis-Medien und progressiven Regierungen, wie z.B. kürzlich in Ekuador; in solchen Fällen wäre nach institutionellen Kanälen zu suchen, die es ermöglichen, beiden Seiten gerecht werden. Die sozialen Bewegungen und fortschrittlichen Gruppierungen ihrerseits müssten diese Dimension des politischen Kampfes stärker akzentuieren und die permanente öffentliche Auseinandersetzung nicht scheuen. Dies ist in vielen Konstellationen durchaus Realität, es gibt aber auch die Tendenz, sich mit dem lokal erreichten zufrieden zu geben oder (subaltern-paternalistisch) auf die Allzuständigkeit einer linken Regierung zu vertrauen.

Nicht unerhebliche Unterstützung und Anregungen können diese medienpolitischen Tendenzen möglicherweise durch das überstaatliche Projekt Telesur erfahren. Diese von Präsident Chávez im Juli 2005 kreierte gesamtlateinamerikanische Nachrichtenagentur, die zugleich Informations- und Bildungssender ist, versteht sich explizit als Gegenkraft zu den großen privaten nordamerikanischen Fernsehstationen CNN und Univisión sowie den britischen BBC.

Telesur ist nicht gewinnorientiert und begreift sich als Sprachrohr sozialer Bewegungen und fortschrittlicher Regierungen Lateinamerikas. Die Bekämpfung von Ausbeutung, Ungleichheit und Diskriminierung gehört ebenso zu seinen Grundmaximen wie das Eintreten für die Einheit und Integration Lateinamerikas. An Telesur sind gegenwärtig – in unterschiedlichem Ausmaß – außer Venezuela noch Argentinien, Bolivien, Kuba, Ekuador, Nikaragua und Uruguay beteiligt. Inwiefern Telesur, der ein breites Korrespondenten- und Redakteursnetz unterhält und zur professionellen Ausbildung von Nachwuchsjournalisten beitragen will, wirklich diese antreibende und beispielgebende Rolle für Lateinamerika zu spielen in der Lage ist wird davon abhängen, ob es diesem Gemeinschaftsprojekt gelingt, eine von den Regierungen unabhängige, alternative Medienkultur glaubwürdig zu entfalten. (vgl. hierzu Aharonian 2008, der einige zentrale Probleme auf dem Weg dahin anspricht).

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[1] Auf die internationale Absicherung und vielfältige ökonomische Verflechtung der intern tätigen Medienkonzerne, also die gesamte Problematik der Rolle der Medien im Nord-Süd- Konflikt bzw. die Relevanz des „Medienimperialismus“ kann hier aus Raumgründen nicht eingegangen werden. S. hierzu schon sehr früh: Becker 1984: 16 ff. und aktuell: Wasko 2008: 33 ff.

[2] Vgl. hierzu: Wiebke Priehn 2007:28- 29

[3] Es hat den Anschein, dass dies nicht immer so pointiert gesehen wird. So z.B. ist es erstaunlich, wenn jüngst in einer „hegemonietheoretisch“ angeleiteten Analyse der Linkstendenzen in Lateinamerika die Medien und deren politisches Potenzial nicht ein einziges Mal explizit erwähnt werden, vgl. Brand/Sekler 2009:206ff.

[4] Die Geschichte alternativer medialer Kommunikationsformen in Lateinamerika ist sehr verzweigt, vor allem während Diktaturperioden kam es immer wieder auf lokaler Ebene zu entsprechenden Versuchen, die Zensur und Sprachlosigkeit zu durchbrechen, vgl. hierzu: Sel 2009:22-34

[5] „ANDES hat ihren Sitz im Gebäude der öffentlichen Medien des Landes in der Hauptstadt Quito. Dort sind bereits der mit venezolanischer Unterstützung aufgebaute staatliche Fernsehkanal Ecuador TV sowie der öffentliche Radiosender Radio Pública del Ecuador und die junge Tageszeitung El Telégrafo untergebracht (Graubner 2009).

[6] Diese Unterschiede in der Medienpolitik der so genannten Mitte-Links Regierungen führt Kitzberger auf die differierenden Grade des institutionellen Verfalls bzw. Stabilität des politischen Systems (Parteien, Parlament, Justiz etc.) bei deren Regierungsantritt zurück (Kitzberger 2010: 16ff.).