Mehr als ein Dutzend ReferentInnen sprachen zu Aspekten polizeilicher Kontrolle im städtischen Raum. Kristie Ball hielt das Eröffnungsreferat und stellte den aus der Werbeindustrie stammenden Begriff „Brandscaping“ vor. Mit diesem wird der Versuch bezeichnet, Firmenmarken so nah und so permanent wie möglich an den beworbenen Kunden zu platzieren, sowie das Erwecken von Konsumwünschen durch ‚erlebnisorientiertes Einkaufen’ mittels Assoziationsketten und suggerierte Kaufoptionen über mobile elektronische Medien. Die Vision der Branche sei die umfassende Gestaltung des öffentlichen Raums durch eine ‚Werbelandschaft’ mit einer größtmöglichen Kontrolle der KonsumentInnen. Wichtig sei dabei die permanente Generierung von Echtzeit-Information und eines individuellen Konsumprofils. Diese Vision sei jedoch voller Widersprüche, da sie von technologischen Machbarkeitsphantasien abhänge und die Möglichkeit bestehe, dass Informationen für kriminelle Aktivitäten missbraucht werden könnten.
Jenny Künkel referierte über die ‚Regulierung von Prostitution in der neoliberalen Stadt’ am Beispiel der beiden Hamburger Stadteile St. Georg und St. Pauli. Während es in St. Georg mittels öffentlich-privater Kooperationen zur Vertreibung der (Drogen-)Prostitution und zur Gentrifizierung kam, wurde die (Edel-Prostitution) von St. Pauli in ein neoliberales Stadtkonzept integriert: Prostitution wurde zum identitätsstiftenden wirtschaftlichen Standortfaktor, die Stadtteilpolitik dreht sich in Form formeller wie informeller öffentlich-privater Kooperationen – auch mit privatisierter Sicherheit – um die „Befriedung“ des Bezirks und um ein neues Image als „Event Gastronomie“.
Bernd Belina klärte über den ideologischen wie auch politisch umkämpften Begriff des ‚öffentlichen Raums’ auf, wie er auch die Rede vom „offene Zugang” dieses Raums als ideologische Sichtweise entlarvte. Beide Begriffe sind Teil sowohl rechter wie linker Gesellschaftsvorstellungen und Elemente des sozialen Klassenkampfs. Allerdings sei der Begriff gegenwärtig stark von der Rechten besetzt, was daran erkennbar sei, dass in den entsprechenden Diskursen die sozialdemokratischen Vorstellungen aus fordistischer Zeit nicht mehr auftauchten. Dagegen würden die neoliberalen Vorstellungen, die Interessen städtischen Unternehmertums, wie beispielsweise die Vertreibung der Armen aus den Innenstadtbezirken, dominieren. Die Strategie der sozialen Säuberung mittels Dominanz über den Raum würde dabei immer wichtiger. Belina erkennt in diesen Strategien den Wandel des Policing vom Wohlfahrtsstaat zum neoliberalen Typ präventiver (Raum-)Kontrolle. Vorrangig sei nicht mehr die Disziplinierung des Individuums, sondern das „Regieren über Distanz“, Druck und Kontrolle von „Devianz” aus der Entfernung. Dieser Strategie lägen nun mehrere Abstraktions-Ebenen zu Grunde. Zum einen die Definition eines konkreten Verbrechens (a), die Benennung eines individuellen Kriminellen (b), die Kennzeichnung einer kriminellen Gruppe (c), und die Definition eines kriminellen Raums (d). Diese ideologischen Abstraktionen werden dadurch ‚real’, dass sie in die Polizeistrategien einfließen. Nach diesen Abstraktionsebenen verlaufen die Stufen staatlicher Präventionsarbeit. Je höher die Abstraktion, desto stärker die Prävention. Die Perversion dieses Denkens ist dann erreicht, wenn die Prävention soweit geht, ein zukünftiges Verbrechen verhindern zu wollen. Ihr Fetischismus liegt in der Vision, Ort, Zeit und Person des Verbrechens im Voraus zu kennen.
Luis Fernandez und Chris Scholl blickten auf den polizeilichen Umgang mit den globalisierungskritischen Protestbewegungen der letzten Jahre. Das ‚Policing der Anti-Globalisierungsbewegung’, vor allem im Kontext großer politischer Konferenzen (G8 etc.). Das Interesse der Bewegung, sich durch die Besetzung des öffentlichen Raums politisch Gehör zu verschaffen, kollidiere mit der Angst der Herrschenden vor einer zu offenen Darstellung von Macht. Daher werden bei den Gipfeltreffen Räume des Ausschlusses geschaffen, die aber immer kostspieliger geworden sind. Auch sind immer wieder unmittelbar im Vorfeld solcher Veranstaltungen Gesetze erlassen worden, die die Befugnisse der Polizei oder des Militärs für die Räume in und um die Orte dieser Treffen erweiterten. Um die dabei auftretenden Protestmassen polizeilich-militärisch bewältigen zu können, werden immer wieder andere, weniger politisch brisante Veranstaltungen wie sportliche Großereignisse als Übungsfelder für die diversen Sicherheitsbehörden genutzt. Bemerkenswert war der Hinweis, dass auch hier aufgrund oft fehlender Kapazitäten die staatlichen Behörden mit privaten Institutionen wie beispielsweise Think Tanks, die eine entsprechende ‚Expertise’ besitzen, zusammenarbeiten.
Charles Woolfson stellte in seinem Vortrag öffentlichen Widerstand und Repression während der wirtschaftlichen Krise in Litauen dar. Eine wesentliche Triebkraft von Protest und Emigration war die gesellschaftliche Entsolidarisierung infolge der Einführung einer radikalen neoliberalen Politik nach der Wende von 1992. Doch anstelle einer Umkehr dieser Politik wurde der demokratische Protest mit polizeilicher Repression und schärferen Gesetzen beantwortet.
James Sheptycki unternahm einen globalen Blick auf die vergangenen weltweiten Proteste und forderte dazu auf, die globalisierungskritischen Proteste mit anderen Protesten wie in China (Urumqi, Tibet) oder Iran („grüne“ Bewegung) zusammenzudenken, da die Reaktionen der Staaten vergleichbar seien.
Massimiliano Mullone behandelte einen weniger erforschten Aspekt: die Kommerzialisierung der Polizeiarbeit durch Verkauf von polizeilichen Dienstleistungen. Während einerseits der Privatsektor immer mehr öffentliche Aufgaben der Sicherheit übernimmt, verhalte sich der öffentliche Sektor zunehmend wie ein privater Akteur. In der von ihm vorgestellten Fallstudie des Business Departments der Montrealer Polizei können Polizeihilfsbeamte gemietet, Beratung, Material oder Trainingseinheiten etc. eingekauft werden. Obwohl dieses Projekt bisher kaum Einnahmen erbracht habe, bestehe das Ziel in einer vollständigen Eigenfinanzierung der Polizei. Die negativen Folgen sind eine ungleiche Verteilung der Sicherheit sowie eine Verschlechterung polizeilicher Dienstleistungen aufgrund der Konkurrenz zu den privaten Anbietern, die im Widerspruch steht zur professionellen Kultur des Polizeiberufs. Die Folge: Polizei und Private werden sich immer ähnlicher. Der Referent konstatierte, dass diese Dynamik die Gefahr des Wandels zu einer privaten Polizei beinhaltet.
Alison Wakefield sprach über Formen der privaten Kontrolle in Großbritannien. Durch Kontinuität der neoliberalen Agenda hat die gegenwärtige Wirtschaftskrise nur geringe Folgen für die private Sicherheitsindustrie. Im Gegenteil, durch die weitere Reduzierung öffentlicher Ausgaben habe es mehr Aufträge für private Sicherheitsfirmen gegeben und die Ansprüche an die Firmen und deren Dienstleistungsportfolio hätten sich vergrößert. Die Branche sei auf dem Weg einer fortschreitenden Professionalisierung, sodass man von der Entwicklung hin zu einer ‚privaten Polizei’ sprechen könne.
Nik Theodore berichtete über die Einwanderungspolitik im Bundesstaat Arizona/USA, in dem kürzlich ein neues, die Diskriminierung von Einwanderern verschärfendes Gesetz erlassen wurde, das alle Einwohner zum permanenten Beisichtragen von Arbeits- bzw. Einwanderungspapieren verpflichtet, und somit die große Zahl ‚illegaler’ ArbeitsemigrantInnen einer erhöhten Abschiebe-Gefahr aussetzt. Auch dies wurde als eine aktuelle Form der räumlich orientierten polizeilichen Kontrolle bewertet.
Kendra Briken referierte über das private Sicherheitsbusiness in Deutschland. Da sich das Gewerbe durch vergleichsweise hohe Personalkosten aber niedrige Profitmargen auszeichne, sind die Löhne dort äußerst gering. Das Management rechtfertige diese schlechten Arbeitsbedingungen mit der notwendigen Unterordnung unter die Ansprüche ihrer Kunden. Der Preis, zu dem die Kunden bereit sind, Sicherheitspersonal einzustellen, hänge auch von den Ansprüchen der Versicherungsunternehmen ab, mit denen der Kunde einer Sicherheitsfirma Verträge hat. Als problematisch wurde allgemein die Beantwortung der Frage nach der Messbarkeit des ‚Werts’ der „Ware Sicherheit“ gesehen, da sie ihren Nutzen erst nachträgliche zeige, beispielsweise durch einen verhinderten Diebstahl.
Volker Eick übte Kritik am ‚Quartiersmanagement’ in Berlin durch „Non-Profit-Unternehmen”, die Hartz IV-Empfänger oder Freiwillige als Ordnungs- Sicherheitspersonal organisieren, um als „Auge und Ohr der Polizei“ zu fungieren. Er bezeichnete diese Non-Profits als das unterste Element der Sicherheitsbranche. Sie sorgten für Sicherheit im Nachbarschaftsraum, wo die Kosten für repressive Polizeieinsätze als zu hoch eingeschätzt werden. Diese privaten „Polizeikräfte“ übten direkte und indirekte Kontrolle in aller Regel mit Leuten aus, die selbst aus den „devianten“ Milieus stammen.
Oliver Arning, Öffentlichkeitsreferent des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS), präsentierte Zahlen und Fakten des deutschen Sicherheitsgewerbes und informierte über die Politik seines Verbandes. In Deutschland gebe es fast so viel privates Sicherheitspersonal wie Polizisten, im Durchschnitt 170.000, während es z.B. in Großbritannien oder den USA bereits viel mehr private Sicherheitsangestellte als Polizeibeamte gebe. Das größte Unternehmen in Deutschland sei die Securitas AG, eine Tochter des schwedischen Securitas AB Konzerns, mit 20.000 Angestellten. Da die Eintrittsschwellen in den deutschen Markt niedrig seien, gebe es circa 3.500 Firmen, von denen 830 Mitglieder im BDWS seien. Diese Mitgliedsfirmen haben einen Marktanteil von 80% mit einem Umsatz von mittlerweile mehr als vier Milliarden Euro jährlich, wobei das starke Wachstum früherer Jahre seit fünf Jahren abgeflaut sei. Da für den deutschen Markt eine vorläufige Grenze erreicht sei, gebe es Überlegungen, die Tätigkeit deutscher Sicherheitsfirmen auf den bisher noch nicht besetzten Bereich des Einsatzes für deutsche Behörden im Ausland auszuweiten – wegen einer unsicheren Rechtslage habe es bei der Industrie bislang kein Interesse an solchen „Auslandseinsätzen“ gegeben. Definitiv gebe es auch im deutschen Sicherheitsgewerbe eine große Nähe zu Militärfirmen. Die Wirtschaftskrise habe nach heutigem Kenntnisstand bis 2009 kaum negative Folgen für die Branche gehabt: Die Zahl der Beschäftigten, die im Jahr der WM 2006 200.000 erreichte, sei wieder auf 170.000 zurückgegangen. Der BDWS als größter Interessenverband der Branche pflege intensiven Kontakt zur Innenministerkonferenz und kooperiert mit einzelnen Bundesländern in der Sicherheitspolitik. Die Branche stoße sich indes am bundesdeutschen Föderalismus, da er durch die Vielzahl an Tarifregeln etc. die Arbeit der Firmen erschwere. Allerdings machen die Verhandlungen mit den Gewerkschaften bzw. der Bundesregierung um einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn Fortschritte – dieses Jahr noch soll eine Entscheidung fallen, weil ab 2011 die EU-Dienstleistungsrichtline auch für das Sicherheitsgewerbe in vollem Umfang gilt. Die Branche aber sei insgesamt EU-skeptisch, da deren Politik ein Problem für das nationale Gewerbe darstelle.
Peter Bremme von ver.di Hamburg berichtete über die Situation der Angestellten in der Sicherheitsbranche und kritisierte die niedrigen Löhne im Gewerbe. Die Auslagerung von Sicherheitsdienstleistungen bei Firmen schuf Niedriglohnbereiche im Gewerbe, sodass Arbeitsagenturen billig bezahlte Arbeit im Sicherheitsgewerbe zu 3,96 € pro Stunde bei 72 Wochenstunden anbieten, oder der Bundestag von privatem Sicherheitspersonal bewacht werde, dass für 5,75 € bei Vollzeit arbeitet. Er schloss daraus, dass diese Billiglöhne „vom Staat“ akzeptiert werden, auch bei Einkommen unter Hartz IV-Niveau. Da das Lohnniveau regional noch sehr unterschiedlich sei, vor allem zwischen Ost und West, führe dies dazu, dass viele Firmen nach Tarif im Osten angestelltes Personal für Arbeiten in Westdeutschland einsetzten. Diesen Zustand wollen die Gewerkschaften abschaffen, wobei er kritisch anmerkte, dass es diesen in den letzten 20 Jahren nicht gelungen sei, die Angestellten zu organisieren. Erfolgreiche Entwicklungen wie die Schaffung einheitlicher Lohngruppen seien ebenso im Interesse des BDWS. Weitere Probleme seien z.B., dass Firmen aus Tarifvereinbarungen aussteigen, wenn ihr Kunde dies verlangt, oder dass bei der öffentlichen Auftragsvergabe Subunternehmer mit der eigentlichen Auftragserfüllung beauftragt werden. Die „öffentliche Hand“ hat diesbezüglich Anteil am Lohndumping, weil sie in der Regel immer den billigsten Anbieter wähle. Einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 7,50 € wird es jedoch erst ab dem Jahr 2010 geben. Da sich das private Sicherheitsgewerbe internationalisiert habe, gebe es auch auf Seiten der Gewerkschaften mittlerweile länderübergreifende Initiativen, um der Preismacht der großen Sicherheitskonzerne gemeinsam entgegentreten zu können. Schließlich würden die Gewerkschaften versuchen, die Kunden zu überzeugen, tatsächlich nur qualifizierte und ihre Angestellten angemessen entlohnende Firmen zu beauftragen sowie den Aufbau von Betriebsräten in den Firmen zu ermöglichen.
Florian Flörsheimer