Peter Römer, Beiträge, Band I, Das kapitalistische Privateigentum, Sein Begriff, seine gesetzmäßige Entwicklung, sein Recht, Dinter-Verlag, Köln 2009, 238 S., 16, 90 Euro.
Der Band beinhaltet elf über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entstandene Arbeiten von Peter Römer, die als „methodischer Leitfaden” das Marxsche Verständnis vom Eigentum als zentralem materiellem gesellschaftlichem Verhältnis verbindet. So beginnt das Buch auch mit einem Zitat aus dem Dritten Band des Kapital, wonach es „jedesmal das ... Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten [ist] ...worin wir das innerste Geheimnis, die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion ... finden.“
Der erste Beitrag behandelt die Problematik, aus marxistischer Perspektive einen allgemeinen Begriff des Eigentums zu bilden, der sich von den Definitionen der bürgerlichen politischen Ökonomie und Rechtswissenschaft unterscheidet. Letztere ignorieren dem Verfasser zufolge bei ihrem Verständnis vom Eigentum als „ewiger” Einrichtung grundlegende historische Unterschiede, etwa zwischen Gemeineigentum der Urgesellschaft, Eigentum des Sklavenhalters und kapitalistischem Privateigentum. Diesen unrichtigen Abstraktionen der bürgerlichen Eigentumskategorie kommt nach Römer zum einen die ideologische Funktion zu, die historische Bedingtheit der verschiedenen Eigentumsformen zu negieren und zum anderen eine scheinbare Interessenidentität zwischen grundlegend verschiedenen Eigentümergruppen zu suggerieren- so zwischen dem Eigentümer von Produktionsmitteln und demjenigen, der lediglich persönliches Eigentum besitzt (12 ).
Den „Fehlern” idealistischer und positivistischer Begriffsbildung setzt der Autor die dialektisch-materialistische Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten entgegen (14 ff.) und gelangt so - gestützt auf Äußerungen von Marx in den Grundrissen - zu einem allgemeinen Begriff des Eigentums als „Verhalten zu den Bedingungen der Produktion als den eigenen“, was das Eigentum an den Produktionsmitteln und dadurch vermittelt, die Aneignung der Produkte des Arbeitsprozesses umfasst. Nur von diesem Ausgangsabstraktum aus können dem Verfasser zufolge die konkreten Erscheinungsformen des Eigentums verstanden werden (34).
An mehreren Stellen des Bandes setzt Römer sich ideologiekritisch mit den juristischen Eigentumslehren auseinander, insbesondere mit der Sachherrschaftstheorie, die Eigentum als statische Subjekt-Objekt-Beziehung auffasst und somit sowohl den prozesshaften Charakter der Aneignung als auch das Wesen des Eigentums als gesellschaftliches Verhältnis ausblendet und mit der Ausschließungstheorie, die ebenfalls den Aneignungsvorgang nicht reflektiert (25, 138, 150ff.). Der sechste Beitrag enthält darüber hinaus eine Darstellung der Auffassungen des Rechtspositivisten Hans Kelsen in Bezug auf die genannten Lehren.
Erörtert wird ferner die Rolle des Eigentumsrechts als juristischem Normenkomplex, wobei Römer sich gegen vereinfachende Betrachtungsweisen des Basis-Überbauverhältnisses ausspricht und auf die Bedeutung empirischer Umstände, insbesondere der Rechtstradition, für die konkrete Ausgestaltung des Eigentumsrechts verweist (38, auch 229 ff.). Interessant in diesem Kontext ist die von dem Autor aufgeworfene Fragestellung, ob das Eigentum als Rechtsverhältnis, also als konkretes von juristischen Normen geregeltes gesellschaftliches Verhältnis, nicht ganz oder teilweise der Basis zuzuordnen ist (40).
Gegen die Versuche „fortschrittlicher“ Ökonomen, die Eigentumsproblematik in die Verteilungssphäre zu verlegen, wendet sich der Verfasser entschieden mit dem Hinweis, dass nach Marx innerhalb der Totalität Produktion, Distribution und Konsumtion die Produktion das in letzter Instanz bestimmende Moment sei (32).
Der Band gibt weiter einen Überblick über die verschiedenen Formen des Privateigentums, wobei wesentlich zwischen dem privaten Arbeitseigentum kleiner Bauern und Handwerker und kapitalistischem Ausbeutereigentum sowie zwischen dem Eigentum an Produktionsmitteln und dem Konsum dienenden persönlichen Eigentum differenziert wird.
Insbesondere letztere Unterscheidung ist nach Römer aus marxistischer Sicht unerlässlich, da auch im Leben der Lohnabhängigen dem persönlichen Eigentum eine wichtige faktische Funktion zukomme, was sich im Bewusstsein, v.a. der weit verbreiteten (ideologischen) Verknüpfung von Privateigentum und Freiheit widerspiegele (117).
Obwohl dem Autor zuzustimmen ist, darf an dieser Stelle kritisch angemerkt werden, dass persönliches Privateigentum im Bewusstsein der Massen nicht nur positiv besetzt ist.
Radikal-egalitäre Vorstellungen und menschliches Gerechtigkeitsempfinden, die sich aus begründetem Zorn gegenüber Luxus und persönlicher Bereicherung der Besitzenden speisten, spielten bei linken Bewegungen immer eine Rolle. Dies sollte politisch ebenfalls nicht aus dem Blickfeld geraten.
Römer erörtert außerdem Funktion und Bedeutung des mit fortschreitender Zentralisation des Kapitals zunehmenden vergesellschafteten Privateigentums - bspw. in Form von Aktiengesellschaften - sowie des monopolistischen Privateigentums (43 ff., 120 ff., 200 ff. ). Er widerlegt dabei die These vom angeblich durch die Aktiengesellschaften entstandenen „Volkskapitalismus”, indem er anhand von Fakten und Statistiken die in der Praxis bestehende Diktatur der Großaktionäre belegt (122). Von aktuellem Interesse sind auch die in dem Band enthaltenen Ausführungen zum Wandel bürgerlich-ökonomischer Eigentumstheorien, insbesondere den Managertheorien und der Theorie der Property Rights (128, 139).
Der zweite Beitrag stellt die Behandlung der Eigentumsproblematik durch Marx im Kapital dar, wobei Römer zugleich eine umfassende Einführung in Grundbegriffe des Ersten Bandes, insbesondere Gebrauchs- und Tauschwert sowie abstrakte und konkrete Arbeit liefert. Der Autor befasst sich hier u.a. mit der Frage, warum Marx seine Analyse der kapitalistischen Produktionsweise mit der Ware und nicht dem Privateigentum als Ausgangsabstraktum beginnt. Römer zufolge war dies methodisch notwendig, da es Marx nur so gelänge, die Gesetzmäßigkeit aufzuzeigen, mit der die einfache - auf Identität von Arbeit und Eigentum basierende - Warenproduktion zur - auf Ausbeutung fremder Arbeit beruhenden - kapitalistischen Produktionsweise führt (50). Auf diese Weise würde reformistischen Ansätzen - wie dem Proudhons -, die meinen, man müsse nur die kapitalistischen Auswüchse der Warenproduktion bekämpfen, von Marx eine wirksame Absage erteilt (66). Auch tritt der Verfasser der in der bürgerlichen Literatur vertretenen Ansicht entgegen, dass bei der Marxschen Wertlehre das Privateigentum nur eine untergeordnete Rolle spiele. Dies sei schon deshalb falsch, weil Privatarbeit, die das Privateigentum an Produktionsmitteln voraussetzt, Merkmal jeder Warenproduktion sei. Außerdem habe das Kapitalverhältnis notwendig den freien, eigentumslosen Arbeiter, der seine Arbeitskraft als Ware verkaufen muss, zur Voraussetzung. Gesellschaftlicher Charakter der Produktion und private Aneignung des Arbeitsprodukts und somit die Eigentumsfrage wird nach Römer sowohl explizit wie implizit im Kapital als Grundwiderspruch kapitalistischer Produktionsweise behandelt (55, 70). Erwähnenswert sind auch die schlüssige Argumentation, mit der der Autor einer Einordnung von Marx als Vertreter einer Verelendungstheorie der Arbeiterklasse entgegentritt sowie seine Ausführungen zum dialektischen Umschlag des Eigentumsgesetzes, das zur Scheidung von Arbeit und Eigentum in der kapitalistischen Warenproduktion führt, welche Römer nicht als historische Abfolge, sondern vielmehr auch logisch als sich in entwickelten Gesellschaften ständig neu vollziehenden Prozess begreift (93).
Auch wenn sie der Lesbarkeit des Buches an manchen Stellen nicht förderlich sind, so lohnt es sich doch, die in den Fußnoten enthaltenen Textpassagen nachzuvollziehen. So erfährt man nämlich z. B., dass auch die erfolglose Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan den Versuch unternommen hat, die Marxsche Wertlehre zu widerlegen. Auf ihre - nicht sehr originelle- Kritik lässt Römer Marx selbst die Antwort geben (57).
Der siebte Beitrag des Bandes - 2004 in der Z erschienen- behandelt die Aktualität der Sozialstaatsinterpretation von Wolfgang Abendroth, wobei Römer konstatiert, dass die von Abendroth angenommene Möglichkeit, die Eigentumsverhältnisse durch einfache Gesetzgebung umzugestalten, angesichts der faktischen und rechtlichen Entwicklung der BRD v.a. seit der Wiedervereinigung nicht mehr bestünde. Dennoch sei eine Offenheit des Grundgesetzes bezüglich der Einführung sozialistischer Elemente im Wege einer Verfassungsänderung nach wie vor gegeben und könne politisch nutzbar gemacht werden (186).
Informativ ist der neunte Beitrag, in dem Römer der „Globalisierungshysterie“ (194) entgegentritt und tatsächliche Auswirkungen der so genannten digitalen Revolution auf die materielle Produktion und die globalen Austauschverhältnisse untersucht. Hier - ebenso wie in seiner polemischen Auseinandersetzung mit Robert Kurz und der These vom „Kasinokapitalismus“ (Beitrag 10) - gelangt der Autor schließlich zu der Schlussfolgerung: „In der Fabrik, nicht im Kasino wird nach wie vor das Kapital geheckt.“ (225)
Streitbar ist der elfte und letzte Beitrags des Bandes, in dem Römer versucht, eine materialistische Erklärung für den Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten in Osteuropa zu geben. Mängel im staatlichen und rechtlichen Überbau können ihm zufolge nicht ausschlaggebend gewesen sein, u.a. auch deshalb, weil den Menschen ein Leben in Frieden und relativem Wohlstand gewährleistet war (229). Der Autor kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass nicht-private Eigentumsformen zu Fesseln der Produktivkraftentwicklung in der UdSSR wurden, womit sich die auf Privateigentum basierenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse als die (momentan noch) fortschrittlichere Gesellschaftsform durchgesetzt hätten (234). Eine These, die Anstoß für weitergehende Debatten innerhalb der Linken sein könnte.
Sonja Mangold