Eric Hobsbawm, Globalisierung. Demokratie und Terrorismus, deutsche Erstausgabe, dtv, München 2009, 179 S., 14,90 Euro
Es ist immer wieder analytisch höchst anregend und politisch informativ, die Publikationen des international renommierten Historikers Eric Hobsbawm zu lesen. Von seinen bedeutenden Werken das bekannteste ist wahrscheinlich „Das Jahrhundert der Extreme“. Sein neues Opus „Globalisierung, Demokratie und Terrorismus“, 2007 – also vor Ausbruch der globalen Krise – in englischer Sprache und 2009 in deutscher Übersetzung erschienen, bleibt in Diktion und Aussagekraft nicht hinter seinen früheren Werken zurück. In zehn Kapiteln, die jeweils einem Vortrag entsprechen, bietet der Autor marxistisch fundierte Untersuchungen zu verschiedenen Themenbereichen, in denen stets Prinzipielles mit detailreicher Kenntnis verbunden ist.
Wenn im Folgenden Hobsbawm in wesentlichen Punkten widersprochen und eine Gegenposition präsentiert wird, ändert das nichts an der Akzeptanz des Gesamtwerks. Im Kapitel „Terror“ notiert der Verfasser auf Seite 133, dass Al Qaida, hier stellvertretend für alle Terroristen genannt, den Regierungen „so bedrohlich“ erschien, dass sie „mit absoluter Gegengewalt gegen sie vorgingen“. Hier liegt das Zentrum des Streitpunkts: Legitimiert man nicht indirekt die im „Krieg gegen den Terror“ angewandten Praktiken, im speziellen Fall die der damaligen US-Regierung unter Präsident George W. Bush, fortgesetzt auch unter dem US-Präsidenten Obama, wenn man den Terminus „Gegengewalt“ verwendet? Blendet man damit nicht auch aus, dass der – ebenfalls aus humaner Sicht nicht zu rechtfertigende – „Terror von unten“ reaktiver Natur ist? Weil sie die skrupellose und langdauernde Ausplünderung von Entwicklungsländern und die demütigenden Praktiken der Global Player gegen die Repräsentanten und die Völker nicht mehr hinzunehmen bereit sind, reagieren manche Konter-Akteure barbarisch auf die imperialistischen Praktiken, wie immer sie auch ihre Aktionen begründen – was aus humaner Sicht ebenfalls nicht zu rechtfertigen ist. Gewiss: Auch unter den „Terroristen“ (man könnte auch Aufständische sagen) wirken „Fanatiker“. Dies gilt natürlich für die Erfinder und Drahtzieher von Al Qaida und ihre Finanziers, aber seine breite Basis erreicht der Gegenterror eben nicht durch „Fanatiker“, sondern durch das massenhaft erfahrene Elend, das die Gobal Player produzieren, und durch Entwürdigungen, die durch die Praktiken der transnationalen Konzerne ständig stattfinden. Sie sind es, die religiösen Fundamentalisten Handlungsraum eröffnen.
Die einst hochmotivierten antiimperialistischen Befreiungsbewegungen der fünfziger, sechziger, siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wandten ebenfalls Gegengewalt an, und zwar eine geringere, als die Kolonialmächte zur Bewahrung ihrer Raubgüter gebrauchten. Damals existierten jedoch völlig andere internationale Kräfteverhältnisse und völlig andere Motivationen bei den aufständischen Akteuren. Gegenwärtig leisten nicht linksorientierte emanzipatorische Kräfte legitimen Widerstand, sondern es reagieren empörte Akteure – oft mit religiösen Beweggründen – auf die Skrupellosigkeit von Transnationalen Konzernen und die sie stützenden staatlichen Institutionen mit gleicher Brutalität.
Unkritisch erwähnt Eric Hobsbawm den 11. September 2001, den die US-Seite mit dem „Krieg gegen den Terror“ beantwortet (135), obwohl es Sache von Polizei und Justiz gewesen wäre, auf diese barbarische Aktion zu reagieren. Bis heute ist nicht geklärt, ob die sofort – ohne korrekte Prüfung des Sachverhalts – beschuldige Al Qaida der Urheber des Anschlags war. Durchaus seriöse Analysen sachkundiger Experten benennen die CIA als Urheber dieser infamen Aktion.1 Widersprüchliche Erklärungen der damaligen US-Administration zum 11. September und das Verhalten des US-Präsidenten, als er die Nachricht von dem Anschlag erhielt, bestätigen eher, dass man den 11. September benötigte, um eine längst vorhandene Planung zu realisieren. Bekanntlich hatte der US-Kongress 1989 die „Seidenstraßen-Strategie“ beschlossen, d. h. die Besitzergreifung der Rohstoffe vom Schwarzen Meer Richtung Osten. Zudem scheiterten sechs Wochen vor dem 11. September die Verhandlungen von US-Beauftragten mit den Taliban über eine Pipeline durch Afghanistan samt einem US-Militärstützpunkt an dieser Pipeline. Die US-Unterhändler drohten daraufhin mit Bomben, falls die Taliban nicht einlenkten.
Hobsbawm notiert, dass US-Präsident Bush „Feinde“ erfand (137), um damit „Ausdehnung und Einsatz der globalen Macht Amerikas“ zu legitimieren. Zugleich betont er an anderer Stelle, „die Gefahren des war against terror“ gingen „nicht von den muslimischen Selbstmordattentätern aus“. Solche Feststellungen widersprechen der These von der „Gegengewalt“. Hier wäre darauf hinzuweisen, dass der „Zwang zum Feind“ (Senghaas) zur Ablenkung von der eigenen Aggressivität sowie als Rechtfertigung für autogene Rüstungseskalation und Einschüchterungen innerstaatlicher Opponenten seit den sechziger Jahren überzeugend diagnostiziert wurde.
Nicht jeder Leser wird hinnehmen, wenn der Verfasser den „Megaterror“ gleichermaßen Hitler und Stalin zuordnet (128), womit das unwissenschaftliche Totalitarismus-Theorem unbeabsichtigt unterstützt wird. Den „neue Blanquismus“ der 1960er und 1970er Jahre, als kleine elitäre Gruppen durch bewaffnete Aktionen Regierungen zu stürzen versuchten (129), schildert der Autor, ohne deren – durchaus zu kritisierende – Motivationen zu nennen, obwohl er dies in anderen Fällen durchaus leistet. Wollte er das nahe liegende Problem ausklammern, ob „Regime“ nur auf demokratisch-reformistischem Weg oder auch auf revolutionärem zu überwinden sind? Diese Frage ist unlösbar mit dem speziellen Thema Hobsbawms verknüpft. Das neue Werk Eric Hosbwams ist sehr – so mein Fazit – zur Lektüre zu empfehlen, auch wenn ihm in etlichen Punkten kritisch zu widersprechen ist.
Lorenz Knorr
1 Die These, dass der 19. September möglicherweise von der CIA organisiert wurde, findet sich u.a. in dem Buch des Ex-Bundesministers Andreas von Bülow „Die CIA und der 11. September“, München 2003.