Ekkehard Sauermann, Obama. Hoffnungen und Enttäuschungen, Kai Homilius Verlag, Berlin 2009, 112 S., 7,50 Euro
Nach über einem Jahr, das der neue US-Präsident im Amt ist, könnte man verleitet sein, den Titel von Ekkehard Sauermanns Büchlein umzukehren. Verspürten wir bisher doch eher Enttäuschungen und schwanden die Hoffnungen auf Realisierung eines endlich einmal das Erträumen werten amerikanischen Traums. Gewiss, der sehr schwierige und nur knapp errungene Erfolg im Marathonlauf Gesundheitsreform hat die anfänglichen Erwartungen wieder etwas belebt. Die notwendige Zuversicht indes lässt sich angesichts bisheriger und noch ausstehender Rückschläge nur dann bewahren, wenn die gegenwärtigen Ereignisse in den USA in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang gestellt werden.
Ein Musterbeispiel hierfür gibt uns der Autor auf seinen kaum mehr als 100 Seiten. Was ihn dazu befähigt, ist, dass er bei aller Wertschätzung Barack Obamas nicht so sehr dessen Person und seine konkreten Verbündeten in den Mittelpunkt stellt, sondern die sie tragende Gesellschaftsentwicklung, gleichsam als den amerikanischen Part der weltumspannenden sozial-kulturellen Wandlung. Dadurch hilft er dem interessierten Leser, sich im Gestrüpp der Tagespolitik zurechtzufinden. Hatte man sich einst in den Gefilden des Realsozialismus daran gewöhnt, dass nahezu jedes politische Geschehen, fast schon langweilend, in vorgegebene Bahnen welthistorischer „Gesetzmäßigkeiten“ gezwängt wurde, scheint es heute die Regel zu sein, die Abwesenheit geschichtlicher Bewegung vorzutäuschen. Dies mit dem Ergebnis, dass selbst Politologen, zumindest aber die von ihnen bedienten Normalbürger unfähig geworden sind, den hinter dem Tagesgeschäft – wenn auch etwas träge – dahinfließenden Strom gesellschaftlicher Evolution zu erkennen.
Sauermann geht es deshalb nicht in erster Linie um die Details der Politik des „Yes-we-can-Wahlsiegers“, sondern um das gesellschaftspolitische Phänomen Obama. So bemüht er sich um die Einordnung der von der fortschrittlichen Welt zwar erhofften, aber wohl noch immer als überraschend angesehenen Tatsache, dass ein Mann wie der Afro-Amerikaner Obama sich beim eh und je vom großen Geld bestimmten Küren des Präsidenten durchsetzen konnte. Das Wesentliche dieses Ereignisses ist für ihn deshalb nicht der Wahlsieg jener Persönlichkeit, sondern das kaum für möglich Gehaltene: dass selbst in den USA das vom Willen der Herrschenden geprägte Wahlvolk diesen Aufstand gegen die machterhaltende Tradition wagte und zumindest beginnen konnte – ein Aufbegehren, dessen Bedeutung sich seine Akteure noch gar nicht so recht bewusst sind.
Sauermann möchte aufzeigen, welche Chance der Obama-Sieg eröffnet, im Kernland des Weltkapitalismus der geradezu krebsartig wuchernden Entwicklung dieses Systems wenigstens tendenziell Einhalt zu gebieten. Diesen – zumindest vorerst – zaghaft eingeleiteten Prozess charakterisiert er als das Abbremsen einer globalen Macht-Ralley, die von dem am meisten konservativen Teil des amerikanischen Monopolkapitals schon viele Jahre, vor allem aber unter Bush jr., lebensgefährlich gefahren wurde.
Gewiss wünschte sich der an konkreter Politik interessierte Leser vom Autor mehr Einzelheiten über Politikverläufe und die Personen, die sie lenken. Doch was in dieser Hinsicht vielleicht eine Schwäche des Büchleins sein mag, ist im Hinblick auf das Verständnis für die Zukunft der amerikanischen Dinge eher von Vorteil. Denn es verhindert, dass seine Aussagen vom raschen Verlauf der Tagespolitik entwertet, ja scheinbar sogar widerlegt werden und gibt uns ein Rüstzeug an die Hand, mit dem wir das Auf und Ab und die Wendungen des Politgeschehens in den USA und der Welt besser einordnen können. Konkrete Enttäuschungen, die wir beim Versuch Obamas, seine Vision zu realisieren, bisher erleben mussten und gewiss noch erleben, werden uns auf diese Weise nicht entmutigen, echte Niederlagen, Kompromisse und Taktiken weniger verunsichern.
Nach der totalen Niederlage eines Weltsystems, das sich – irrtümlicherweise – als der einzig gangbare Weg in die Zukunft begriff, ist es leider „außer Mode gekommen“, hinter dem Jahres- und Jahrzehnte-Geschehen die geschichtliche Entwicklung zu sehen. Mit der Analyse des Phänomens Obama trägt Sauermann indes gut dazu bei, dem historischen Herangehen an Gegenwärtiges wieder mehr Geltung zu verschaffen. Dabei verweist er wiederholt auf seine analytische „Werkstatt“, von der man jedoch gern nicht nur einige praktische „Erzeugnisse“, sondern auch etwas mehr und anschaulicher über das von ihm eingesetzte Handwerkszeug erfahren hätte. So bleibt dem Leser etwas zu viel Fertiggericht. Auch läuft an so mancher Stelle eine allzu traditionelle Wortwahl Gefahr, plakativ empfunden zu werden. Die Niederlage eines historischen Versuchs kann eben nicht ohne Folgen für die Akzeptanz der Sprache bleiben, auch wenn das analytische Werkzeug bewahrt und sogar wieder mehr als bisher eingesetzt werden sollte.
Der „Schönheitsfehler“ des kleinen Obama-Buches ändert nichts daran, dass Sauermanns bewusst verknappter Forschungsansatz außerordentlich notwendig war und ist. Er könnte uns in den zu erwartenden politischen Stürmen mehr Standfestigkeit verleihen.
Günter Baumgart