Aram Mattiolli, „Viva Mussolini!“ Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2010, 201 S., 19,90 Euro
Ein Prototyp postdemokratischer Politik, eines neuen Herrschaftstyps westlicher Gesellschaften, hat sich seit dem Eintritt des Unternehmers Silvio Berlusconi in die italienische Politik 1996 in Italien entwickelt. Merkmale dieser Politik sind: eine Form der mediengelenkten Demokratie, verbunden mit einer tendenziellen Ablösung der Parteiendemokratie durch die charismatische Herrschaft der Persönlichkeit; die voranschreitende Entpolitisierung einer Gesellschaft, die sich von den Kämpfen der politischen Klasse immer weiter abwendet; die Diskreditierung der Institutionen des Staates durch den herrschenden Block bei gleichzeitiger aggressiver Feinderklärung gegenüber dem politischen Gegner; die Nutzung rassistischer, extrem rechter und populistischer Politikelemente und schließlich die Öffnung zur extremen Rechten und die erstmalige Einbeziehung des Neofaschismus in die Regierungsverantwortung. All dies kennzeichnet die nur von kurzen Regierungsphasen der politischen Mitte unterbrochene Erfolgsgeschichte des Berlusconis-mus. Eine Erfolgsgeschichte, die eng verbunden ist mit der selbstverschuldeten Schwäche der Linken, die das Land einer politischen Richtung überlassen hat, die es nach ihrem Bild umzuprägen weiß.
Während der alltägliche Rassismus und die schamlose Klientelpolitik der Regierungen Berlusconi schon vielfach untersucht wurden, ist die ideologische und geschichtspolitische Absicherung dieser Hegemonie bis heute nur selten in den Blick genommen worden. Diese Lücke schließt der Band von Aram Mattioli, Historiker an der Universität in Luzern, der sich mit der geschichtspolitischen Umdeutung des historischen Faschismus in Italien auseinandersetzt und damit eine Machtquelle der italienischen Rechten offenbart.
Vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrung im Umgang mit dem historischen Faschismus erscheint das, was Mattioli in seiner Darstellung ausbreitet, als geradezu unglaublich. Die offene Verehrung faschistischer Kämpfer bis hin zur Person Mussolinis, das Bekenntnis führender Regierungspolitiker zum Faschismus, die Zusammenarbeit des Regierungslagers mit der extremen Rechten und die Diskreditierung des antifaschistischen Widerstands – in Deutschland wären fast alle diese Punkte das Ende einer bürgerlichen Politikerkarriere, würden zumindest zu einer heftigen öffentlichen Debatte führen. Anders in Italien: Hier verbindet sich der Prozess einer geschichtspolitischen Um- und Neubewertung mit der generellen Tendenz des Berlusconismus, der aggressiven Wendung gegen alle die eigene Hegemonie gefährdenden Tendenzen. Als eine solche gefährliche Tendenz wurde auch die antifaschistische Basiserzählung des italienischen Nachkriegsstaates ausgemacht, weil sie, anders als in Deutschland, Widerstand und Antifaschismus zum einigenden Gründungskonsens der neuen Republik erkor. Die damit verbundene Ausblendung der breiten faschistischen Basis wird von Mattioli natürlich thematisiert und bildet in gewisser Weise den Resonanzboden für die aktuelle revisionistische Wende.
In vier Schritten verdeutlicht der Autor die Revision der antifaschistischen Basiserzählung und untermalt sie mit zahlreichen Beispielen der aktuellen Politik der regierenden Rechten: Erstens die Erosion des antifaschistischen Grundkonsenses, zweitens Elemente der revisionistischen Erinnerungskultur, drittens rechte Erinnerungspolitik in der Zweiten Republik und schließlich viertens Italiens Erinnerungskultur – ein westeuropäischer Sonderfall?
Ähnlich wie im deutschen Historikerstreit waren auch in Italien Historiker die ersten Stichwortgeber einer Revision, mit der ein verharmlosendes und relativierendes Bild des Faschismus gezeichnet werden sollte. Renzo De Felice war es, der vor allem um eine bis heute verbreitete scharfe Abgrenzung des Faschismus in Italien von seiner deutschen Variante bemüht war. Mit dem zutreffenden Argument der exzeptionellen Tatsache des Holocaust wurde der rassistische und aggressive Charakter des italienischen Faschismus generell ausgeblendet und durch das Bild einer kommoden Diktatur ersetzt, die man nicht in Bausch und Bogen verurteilen könne. Solche Absolutionen trafen auf das starke Interesse einer politischen Rechten, die sich nach dem Zusammenbruch der ersten Republik und des Untergangs der Democrazia Cristiana neu formierte und auch die Neofaschisten mit einbezog. Den „Metamorphosen des Ginafranco Fini“ und damit dem Vorsitzenden der postfaschistischen Partei Alleanza Nazionale widmet Matiolli ein eigenes Kapitel. Während er Fini einen wirklichen Wandel und eine Überwindung faschistischer Positionen abnimmt, sieht die Bewertung der AN insgesamt und ihres Führungspersonals ganz anders aus. Mit dem Verteidigungsminister La Russa und dem römischen Bürgermeister Alemanno sind zwei bekennende Faschisten in führenden Positionen, und sie bilden innerhalb der AN und des Regierungslagers keine Ausnahmen. So kann etwa die Tourismusministerin Brambilla im Mai 2009 bei einem offiziellen Anlass den „römischen Gruß“ zeigen, ohne dass sie politische Konsequenzen befürchten muss, und das obwohl es auch in Italien eine gesetzliche Grundlage gibt, die die Verherrlichung des Faschismus, wozu auch der „römische Gruß“ zählt, unter Strafandrohung stellt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass faschistische Bekenntnisse, etwa durch führende Spieler der Fußballnationalmannschaft, auf keinerlei Widerspruch stoßen, geschweige denn gesellschaftliche Folgen haben.
Das strategische Ziel des historischen Revisionismus ist vor allem in der Delegitimierung der Linken und des italienischen Kommunismus zu sehen, der bis heute von Seiten Berlusconis als größte Gefahr angesehen wird. Die Zertrümmerung eines angeblich unkritisch kanonisierten Antifaschismus, da dieser – so die Rechte – durch den Marxismus verseucht sei und mit dem Kommunismus das im Vergleich zu Nazismus und Faschismus schlimmere „Monster“ erzeugt habe, ist laut Matiolli das erklärte Ziel der politischen Rechten. Auf diesem Weg ist Italien im Vergleich der westeuropäischen Staaten am weitesten vorangeschritten, wenngleich die auch hier immer wieder genutzte Totalitarismusthe-orie fast überall eine Renaissance erlebt hat. Die These Matiollis, „Italien ist zu einem Land ohne historisches Gedächtnis geworden“ (10), könnte sich sogar als noch schlimmer erweisen: In Italien wird von Seiten des herrschenden Blocks versucht, den Faschismus als positiven Anknüpfungspunkt im historischen Gedächtnis zu verankern. Es wird eine Aufgabe der Antifaschisten und Antifaschistinnen bleiben, diesem Bild ein anderes entgegenzusetzen.
Gerd Wiegel