Kampf um Anerkennung

Die Sozial- und Erziehungsdienste im Streik

von Yalcin Kutlu
September 2015

[1]

1. Tarifrunde Sozial- und Erziehungsdienste 2015

Die Gewerkschaften ver.di und GEW sowie der Deutsche Beamtenbund riefen die ca. 240.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) des öffentlichen Dienstes (ÖD) im Mai 2015 zum unbefristeten Streik auf. Die ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen hatten sich zuvor mit überwältigender Mehrheit (ver.di: ca. 94 Prozent und GEW: ca. 96 Prozent) für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Nach dem bundesweiten Streikauftakt am 8. Mai wurde vier Wochen durchgehend gestreikt.[2] Bereits 2006, beim ersten Streik im ÖD seit 1992, hatten die Beschäftigten im SuE zu den streikstärksten Beschäftigtengruppen gezählt. Drei Jahre später kam es 2009 zum ersten eigenständigen Streik der Beschäftigten des SuE (vgl. Riexinger/Hägele 2009, Kutlu 2009).

Die Beschäftigten des SuE etablierten sich somit in den letzten Jahren als neue Akteurinnen des Arbeitskampfs und brachten Normalität in die industriellen Beziehungen im Erziehungswesen (Dribbusch 2009: 59).[3] Diese Entwicklung ist Teil eines allgemeinen Trends der „Tertiarisierung und Feminisierung des Arbeitskampfes“, das heißt der Zunahme der Streikhäufigkeit im öffentlichen Dienst und im Dienstleistungssektor sowie der erhöhten Teilnahme von Frauen an den Protestaktivitäten (Dribbusch 2011a; 2011b). Die Beschäftigten im SuE Bereich entwickeln aufgrund der Streikerfahrungen der letzten Jahre ein neues Bewusstsein. Sie begreifen sich nun als Arbeitende mit eigenen Rechten, was in diesem Ausmaß bei anderen Sorgearbeitenden noch nicht der Fall ist. Bei der Diskussion der Besonderheiten der Mobilisierung im SuE-Streik vertrete ich zwei Thesen:

1. Hinter dem Streik der Beschäftigten im SuE-Bereich verbirgt sich (auch) ein Kampf um Anerkennung, der gegen die tradierte gesellschaftliche Abwertung von Reproduktionstätigkeiten opponiert. Hierbei kommt dem gesellschaftlichen Kampffeld eine große Bedeutung zu und es wird um Deutungsmuster in der Öffentlichkeit gerungen.

2. Mit den erhöhten Anforderungen an die ErzieherInnen und Care-Beschäftigten sind auch ihre gesellschaftliche Wertschätzung und die Bedeutung ihrer Arbeit gestiegen. Gleichwohl bleibt es bei einer diskursiven Aufwertung und einer symbolischen Wertschätzung. Deren „Materialisierung“ in Einkommen, Arbeitsbedingungen und Beschäftigungssicherheit bleibt bisher weitgehend aus.

Die geschlechterhierarchische Arbeitsteilung ist in Care[4]-Bereichen besonders deutlich. Reproduktive Tätigkeiten werden im Vergleich zu Arbeiten in Industrie, Handwerk oder männlich dominierten Dienstleistungsberufen wie dem Bankenwesen abgewertet. Dementsprechend gelten Erziehungs-, Bildungs- und Sorgearbeiten als so genannte typische „Frauenberufe“, die seit jeher mit Benachteiligungen wie Anerkennungsdefiziten, geringem gesellschaftlichen Ansehen und niedrigem Einkommen einhergehen (vgl. Aulenbacher/Riergraf/Theobald 2014, Dippelhofer-Stiem 1995: 186; Beher u.a. 1996: 12). So werden auch der gesellschaftliche Wert und die Produktivität dieser Tätigkeiten verschleiert, weil diese nicht oder nur unzureichend in Geld auszudrücken sind und ihr Ergebnis kein Produkt oder Werk ist (vgl. Dörre/Ehrlich/Haubner 2014: 109). Eine Erzieherin beschreibt diesen Zusammenhang in einer Gruppendiskussion wie folgt: „Beim Auto sieht man das Produkt, bei uns nicht. (...) wir haben kein Werkstück, das man begutachten kann. Man kann nicht sagen, ihr solltet jetzt ’n Auto bauen, das Auto fährt, das hat vier Räder und ’n Dach, sondern wir schicken das Kind wieder nach Hause und das Kind hat sich erstmal nicht verändert (...) man leistet ja trotzdem was und das sehen halt viele nicht, weil sie das Endprodukt nicht vor Augen haben können.“ (GD I). Es ist also nicht verwunderlich, dass eine potenzielle Konflikthaftigkeit in diesem Sektor herrscht.

2. Machtressourcen der Beschäftigten im SuE Bereich: Das Beispiel der ErzieherInnen in Kitas

Bereits im Arbeitskampf 2006 und 2009 wurden von ver.di Organisierungserfolge erzielt (vgl. Dribbusch 2011a: 254).[5] In Großstädten war die Beteiligung bundesweit höher (Streikhochburgen Bremen, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Stuttgart, München oder Mannheim), aber der Streik erfasste erstmals auch ländliche Gebiete. Auch während der aktuellen Streikbewegung kam es bundesweit zu nennenswerten Organisierungserfolgen. So konnte beispielsweise der Bezirk Stuttgart einen Mitgliederzuwachs von nahezu 40 Prozent verzeichnen (GS I und GS II) und bundesweit sollen etwa 25.000 neue Mitglieder gewonnen worden sein (vgl. GS I und GS II; Zeit Online vom 13.7.2015). Im Vergleich zu anderen Dienstleistungsberufen und Care-Sektoren kann hier von einer relativ hohen Organisationsmacht[6] gesprochen werden. Auf institutionelle Macht[7] kann vor allem in den Großstädten gesetzt werden, weil hier oft Vertrauensleute-Körperschaften und aktive Personalräte vorhanden sind. Die strukturelle Macht[8] ist für den ErzieherInnen-Bereich eine besonders wichtige Machtressource. Für ErzieherInnen herrscht eine günstige Arbeitsmarktsituation. Sie sind gesuchte Fachkräfte und sind sich dessen bewusst. Auch wenn die Bundesagentur für Arbeit aktuell zu der Einschätzung kommt, dass ein „flächendeckender Fachkräfteengpass (...) nicht erkennbar ist“ (BA 2014: 3), ist wie bei anderen Bereichen sozialer Dienstleistungen (vgl. Hielscher u. a. 2013: 245), zumindest ein regionaler Fachkräftemangel zu konstatieren (vgl. GS I und II, akquinet 2012, Kutlu 2013). Zudem verdeutlichen Berechnungen zum Personalbedarf bis zum Jahr 2020 für den Bereich der Kindertagesbetreuung, dass durch das Ausbildungssystem voraussichtlich nicht ausreichend Personal ausgebildet werden kann (vgl. Schilling 2012). Folgen dieses regionalen Fachkräftemangels bei gleichzeitigem Kita-Ausbau sind beispielsweise die Deregulierung von Personalschlüsseln oder auch – wie in Baden-Württemberg – die gesetzliche Öffnung des Fachkräftekatalogs[9]. Dies kann entweder zur De-Qualifizierung führen, weil nicht alle neuen Fachkräfte eine Ausbildung in frühkindlicher Pädagogik haben, oder es den Beschäftigten weiter erschweren, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten. Als weitere Probleme nennt ver.di, „dass es aufgrund des Fachkräftemangels viele unbesetzte Stellen gibt und die Träger darauf nicht mit Aufnahmestopps reagieren, sondern bei vollem Betrieb unterbesetzt weiter arbeiten“ (Seppelt 2014). Vor allem in Großstädten und Ballungszentren wie Stuttgart, Frankfurt am Main, München oder Düsseldorf versuchen die Kommunen durch attraktivere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen Fachkräfte zu gewinnen. Die Kommunen bieten neben finanziellen Anreizen wie Ballungsraumzulagen oder höherer tariflicher Eingruppierung z. B. auch unbefristete Arbeitsverträge.[10] Dementsprechend verfügen ErzieherInnen über eine hohe Marktmacht.[11] Doch damit nicht genug: Der Personenkreis der potenziell durch einen Streik Betroffenen ist vergleichsweise groß. Zwar werden die Arbeitgeber finanziell nicht getroffen beziehungsweise sogar entlastet, da der Erziehungssektor überwiegend aus dem Steueraufkommen bezahlt und der streikbedingt wegfallende Lohn teilweise durch das gewerkschaftliche Streikgeld ersetzt wird (Keller 2010: 117). Betroffen sind vielmehr die Eltern (vgl. Winker 2015, in diesem Heft). Mittelbar weitet sich die Betroffenheit – wie bei den meisten Streiks im öffentlichen Dienst – jedoch über diese Gruppe hinaus aus. Die Eltern müssen ihr soziales Umfeld für die Kinderbetreuung aktivieren. U.U. werden andere Betriebe in Mitleidenschaft gezogen, weil sich Eltern als abhängig Beschäftigte zur Betreuung Urlaub nehmen müssen. Die ErzieherInnen verfügen somit über eine niedrige Produktions-, aber über eine hohe Reproduktionsmacht, da sie direkt in die Reproduktion anderer Haushalte eingreifen können (vgl. Cepok 2013). Entscheidend ist es deshalb, politischen Druck auszuüben und die Öffentlichkeit für die eigenen Belange zu gewinnen sowie Interessenkoalitionen insbesondere mit Eltern und Elternverbänden einzugehen: Einerseits, um politischen Druck auf die EntscheidungsträgerInnen in der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik zu erhöhen. Andererseits aber auch, um größere konfrontative Auseinandersetzungen mit den Eltern zu vermeiden bzw. zu minimieren, denn schließlich müssen die ErzieherInnen auch nach dem Streik ein vertrauensvolles Verhältnis mit den Eltern pflegen. Andernfalls kann sich die exponierte Stellung der ErzieherInnen auch gegen die Streikenden auswirken. Gewerkschaftliche Strategien, die in starkem Maße auf eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit und auf Aktionen im öffentlichen Raum setzen, kommt deshalb eine wichtige Funktion zu. Es geht darum, „symbolische Macht“ zu gewinnen (dazu Chun 2009); darunter wird die Fähigkeit verstanden, in der Öffentlichkeit dem eigenen Anliegen Aufmerksamkeit, Anerkennung und Legitimität zu verschaffen. Dieses Ziel wird mit der Aufwertungskampagne verfolgt: „Für erfolgreiche Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst ist die positive Wirkung in der Öffentlichkeit mitentscheidend. Wir müssen in der Lage sein, unser Anliegen allen verständlich zu machen.“ (ver.di Aufwerten Jetzt Info 01/14) Das scheint auch relativ gut gelungen zu sein. So hielten laut einer repräsentativen Umfrage (ARD-Deutschlandtrend) nach vier Wochen Streik 69 Prozent der Befragten den Streik für gerechtfertigt[12] (vgl. Infratest Dimap 2015: 6-7). Die vergleichsweise breite Unterstützung basierte unter anderem auch darauf, dass eine Mehrheit von 53 Prozent die Bezahlung für zu niedrig hielt (vgl. ebd.). Es wird in der Öffentlichkeit darum gerungen, „den Fordernden angemessenen Respekt für ihre Arbeit zu verschaffen“ (Fraser 2003: 247). Damit wird die Auseinandersetzung von der betrieblichen Ebene auf die gesellschaftliche verlagert. Es wird versucht, die vorhandenen Asymmetrien in der öffentlichen Wahrnehmung durch den Aufbau symbolischer Macht aufzuheben und die strukturelle Unterlegenheit aufgrund fehlender Machtressourcen in den Kitas zu überwinden.

3. Veränderte Rahmenbedingungen

Im Erziehungssektor verschränken sich strukturelle Dynamiken, die zur Entstehung der Streiks beigetragen haben. Zunächst änderten sich die Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst durch Liberalisierungen, Privatisierungen und Budgetprobleme der öffentlichen Haushalte unter dem Druck der neoliberalen Wettbewerbsorientierung in der EU und der Bundesrepublik. Die Umverteilungspolitik von unten nach oben führt dazu, dass Gelder für die Finanzierung von Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit fehlen.

Es kam zu einer Ausdifferenzierung der Tariflandschaft durch Branchentarifverträge und zu einem starken Bedeutungszuwachs der frühkindlichen Bildung nach dem „PISA Schock“. In allen Bundesländern wurden Bildungspläne verabschiedet, wobei weitgehender gesellschaftlicher Konsens über einen Wandel der Kita von einer reinen „Betreuungseinrichtung“ zur Bildungsinstitution besteht (vgl. Hemmerling 2007). Diskussionen um Professionalisierung (vgl. Thole 2010) gehen mit Überlegungen zur Akademisierung der ErzieherInnenausbildung einher (vgl. Speth 2010). In diesem gesellschaftlichen Umfeld stiegen die Zahlen der Kitas, der betreuten Kinder und der Beschäftigten in Kitas in den letzten Jahren deutlich an. [13] Damit steigt auch der Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Im März 2014 wurden 3,29 Millionen Kinder unter sechs Jahren in einer Kita[14] oder in öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut.[15] Am 1. März 2014 waren rund 527.400 Personen als pädagogisches Personal sozialversicherungspflichtig in 53.415 Kitas (vgl. Rübenach/Kucera 2014: 1) beschäftigt. Davon sind ca. ein Drittel bei öffentlichen Trägern und zwei Drittel bei freien Trägern beschäftigt. Privat-gewerbliche und betriebliche Kitas sowie Elterninitiativen spielen bisher eine untergeordnete Rolle (vgl. Destatis 2014: 11-13). Von den Kita-Beschäftigten sind ca. 355.000 staatlich anerkannte ErzieherInnen. Kitas in freier Trägerschaft werden größtenteils von Wohlfahrtsverbänden getragen. Damit bilden ErzieherInnen mit 67 Prozent den Kern des Personals.[16] Insgesamt kam es in Kitas zu einem beachtlichen Beschäftigungsaufbau in den letzten Jahren (vgl. BA 2014: 8). Im Vergleich zu 2008 stieg die Zahl der Beschäftigten bis zum 1. März 2014 um 38 Prozent (vgl. BA 2014: 8).[17] Die Mehrheit der pädagogischen Fachkräfte arbeitet in Teilzeit (weniger als 38,5 Stunden pro Woche). So waren 2014 rund 314.000 Teilzeit- und 213.400 Vollzeitkräfte in Kitas beschäftigt (vgl. BA 2014: 9). In Kitas gibt es bundesweit mehr Teilzeit- als Vollzeitbeschäftigte, was auch mit dem hohen Frauenanteil (95 Prozent)[18] zusammenhängt. Hier wird deutlich, dass Reproduktionsarbeiten weiterhin Frauen zugewiesen werden. 2014 liegt der Teilzeitanteil insgesamt bei 60 Prozent. „Im Vergleich zu allen Berufen (25 Prozent) fällt der Teilzeitanteil damit weit überdurchschnittlich aus.“ (BA 2014: 10).

4. Arbeitsbedingungen

Diverse Studien haben in den letzten Jahren die Arbeitsbedingungen in Kitas untersucht und auf die vielfältigen, komplexen und gestiegenen Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte hingewiesen. Sie haben verantwortungsvolle und gesellschaftlich bedeutende Aufgaben sowie berufsspezifische Arbeitsbelastungen (physisch und psychisch) zu bewältigen und sind eine besonders belastete Berufsgruppe.

Von den ErzieherInnen wird insbesondere die Leistungs- und Bedürfnisgerechtigkeit des Einkommens als verletzt angesehen. Als besonders wichtige Aspekte guter Arbeit gelten bei ihnen ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis (80 Prozent) und respektvoller Umgang in der Arbeit (77 Prozent; vgl. Fuchs/Trischler 2008: 12, GEW 2007: 37).[19] Insbesondere kontinuierlicher Erwerbsarbeit und Bezahlung werden folglich soziale Wertschätzung der geleisteten Arbeit und soziale Anerkennung zugeschrieben (vgl. auch Krämer/Speidel 2005: 372). Mehr als die Hälfte der Kitas verfügen aber über befristete Stellen. Gerade unter jüngeren ErzieherInnen ist die Zahl der befristet Beschäftigten mit 50 Prozent besonders hoch (vgl. Gragert/Peucker u.a. 2008: 7, Krone 2010: 44, Fuchs-Rechlin 2010: 3). Die ErzieherInnen berichten über ein hohes Arbeitspensum und gesundheitliche Belastungen, was auf ungünstige Rahmenbedingungen ihrer Arbeit verweist. Dennoch sind sie im Wesentlichen mit ihrer Arbeit zufrieden. Sie messen ihr eine hohe gesellschaftliche und soziale Bedeutung bei. Damit stellt die „Sinnhaftigkeit der Arbeit eine der wichtigsten Ressourcen für die Arbeitsbedingungen“ (Fuchs/Trischler 2008: 31) sowie für die Identifikation mit der Tätigkeit dar. Zufriedenheit und Identifikation basieren dabei vor allem auf intrinsischer Motivation, d.h. auf Motivation durch die Tätigkeit selbst (Fuchs/Trischler 2008: 3). Die Sparpolitik der öffentlichen Haushalte führt zur personellen Unterbesetzung und Arbeitsverdichtung bei gleichzeitig steigenden fachlichen Anforderungen. Das bedingt eine Abwärtsspirale, die von den ErzieherInnen als „Arbeitshetze“ (ver.di 2011) empfunden wird. Ferner geben ca. 75 Prozent an, einer hohen oder sehr hohen Lärmbelastung ausgesetzt zu sein (vgl. Fuchs/Trischler 2008: 3).[20] Die aktuelle Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit für Erziehungsberufe für die Jahre 2012 bis 2014 bestätigt die Befunde eines Spannungsverhältnisses in den Arbeitsbedingungen der Erziehungsberufe: „Auf der einen Seite steht ein hoher Sinngehalt der Arbeit sowie die Wahrnehmung der großen gesellschaftlichen Bedeutung der eigenen Tätigkeit. Auf der anderen Seite ist die Arbeit in den Erziehungsberufen durch große körperliche und psychische Belastungen sowie ein Einkommen gekennzeichnet, das als nicht leistungsgerecht empfunden wird“ (DGB Kompakt 2015: 1). So sind 96 Prozent der befragten ErzieherInnen der Überzeugung, mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.[21] Auch zeigen sie eine sehr hohe Identifikation mit ihrer beruflichen Tätigkeit: 97 Prozent der ErzieherInnen geben an, dass sie sich in hohem oder sehr hohem Maß mit ihrer Arbeit identifizieren. Gleichzeitig geben knapp 40 Prozent der Befragten an, dass sie aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen und der Arbeitsverdichtung Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen müssen. Zwei Drittel aller ErzieherInnen empfinden ihr Einkommen als nicht angemessen und leistungsgerecht.[22] Die psychischen und physischen Belastungen sowie die geringe monetäre Wertschätzung führen dazu, dass nur ca. ein Drittel der ErzieherInnen davon ausgeht, bis zum Renteneintrittsalter weiterarbeiten zu können.

5. Kampf um Anerkennung: Streikstrategie und Ablauf der Tarifverhandlungen

5.1. Forderungen der Streikbewegung

Die Beschäftigten im SuE-Bereich sehen vor diesem Hintergrund ihre Arbeit als abgewertet an. Dies betrifft im Vergleich zu anderen Beschäftigtengruppen auch die Bezahlung. Für die kommunalen Beschäftigten sind die Gehälter im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes SuE (TVöD SuE) geregelt. Zwar haben die kirchlichen und freien Träger eigene Entgeltsysteme, sie lehnen aber häufig an den TVöD SuE an. Wenn im Arbeitsvertrag auf den TVöD SuE verwiesen wird, können Beschäftigte anderer Träger im Rahmen von Tarifverhandlungen des TVöD SuE auch streiken. Die ver.di Bundestarifkommission (BTK) hatte am 26. September 2014 die Eingruppierungsregelungen für den SuE zum Ende des Jahres gekündigt. Die Forderungen wurden nach Diskussionen in den Bezirken u.a. auf Mitgliederversammlungen oder Personalversammlungen wie beispielsweise im ver.di Bezirk Stuttgart der VKA (Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände) am 16. Februar 2015 zugeleitet. Zentral geht es in der noch nicht abgeschlossenen Tarifrunde um eine Höhergruppierung der Tätigkeiten im SuE-Bereich. Die Gewerkschaften fordern statusverbessernde Einkommenserhöhungen für die Beschäftigten im SuE durch Neuregelung der Eingruppierungsvorschriften und der Tätigkeitsmerkmale innerhalb der S-Tabelle[23] im Umfang von durchschnittlich 10 Prozent. Die letzte tarifliche Neubewertung des SuE stammt von 1991. Seitdem haben sich die gesellschaftlichen Anforderungen an die Beschäftigten in diesem Bereich enorm erhöht. Dementsprechend spielt Weiterbildung hier eine besonders große Rolle. Den gestiegenen Anforderungen haben sich die Beschäftigten durch kontinuierliche Qualifizierung angepasst. Allerdings findet dies bei der Bezahlung keine Berücksichtigung. Zentrales Thema der Tarifrunde 2015 ist daher eine Veränderung der Bewertung dieser Tätigkeiten. Die Tarifrunde konzentriert sich auf die Anerkennung über materielle Aufwertung. Es geht in besonderer Weise um einen gesellschaftspolitischen Konflikt, um die Frage: Wie viel sind der Gesellschaft die frühkindliche Bildung und die soziale Arbeit wert?

5.2. Aufwertungskampagne: „Richtig gut. Aufwerten Jetzt“

Die ver.di Kampagne zur Tarifrunde 2015 kann (auch) als „Kampf um Anerkennung“ (Honneth 1994) sowie Klassifikationskampf um die grundsätzliche Bedeutung und Wertschätzung, die unsere Gesellschaft Care-Tätigkeiten wie Betreuungs-, Bildungs-, und Erziehungsarbeit beimisst, verstanden werden. In diesem „Kampf um Anerkennung“ werden institutionalisierte Deutungsmuster, welche die Care-Tätigkeiten und Erziehungsarbeit entwerten, in Frage gestellt. Die Aufwertungskampagne von ver.di (www.soziale-berufe-aufwerten.de) ist darauf ausgerichtet, die Bedeutung der Beschäftigten des SuE für das Funktionieren unserer Gesellschaft und für die Lebensqualität der Bevölkerung zu verdeutlichen und insgesamt Sorgearbeit aufzuwerten. Die SuE-Beschäftigten übernehmen gesellschaftlich bedeutsame Aufgaben und tragen eine hohe Verantwortung für ihre KlientInnen (z.B. Kinder, Behinderte oder ältere Menschen). Als pädagogisches Fachpersonal durchlaufen z.B. ErzieherInnen eine bis zu vierjährige Ausbildung.[24] Fort- und Weiterbildung sind unerlässlich, um ihre Arbeit qualitativ hochwertig leisten zu können. Sichtbarmachung der unterschiedlichen Tätigkeiten und Anerkennung von Leistungen sind Voraussetzung für die Aufwertung der Arbeit im SuE Bereich. Hier ist in den letzten Jahren diskursiv einiges erreicht worden. Was fehlt ist allerdings die angemessene Finanzierung dieser hochqualifizierten Bildungsarbeit. Die gestiegenen Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte führen zur Erweiterung des Berufsbilds. Dementsprechend betont die Aufwertungskampagne die neuen Aufgaben: Pädagogische Fachkräfte „sind heute zugleich Experten/-innen für frühkindliche Bildung, Erwachsenenbildner und Netzwerker im Sozialraum. Sie sind sowohl professionelle Begleiter/-innen im Prozess der Selbstbildung der Kinder als auch Partner/-innen für die Eltern in Sachen Erziehung. Keine leichten Aufgaben, denn je größer die sozialen Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft, desto schwieriger wird die individuelle Förderung der Kinder und die Einbindung der Eltern. Doch damit nicht genug: Seit Einführung des § 8a SGB VIII im Jahr 2004 tragen sie zudem Mitverantwortung dafür, dass das Kindeswohl nicht gefährdet wird, etwa durch häusliche Gewalt“.[25]. Auf dem Internetauftritt der Kampagne werden Informationen eingestellt und man kann sich als UnterstützerIn eintragen. Ferner wurden bundesweit Großplakate während der Tarifauseinandersetzungen angebracht und medienwirksame Aktionen durchgeführt. Die Homepage dient als Informationsplattform, in der die zentralen Inhalte der Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt und erklärt werden. Außerdem finden sich hier auch diverse ver.di Newsletter, Eltern- und BürgerInnenbriefe und weitere Flugblätter zum download. Das zentrale Ziel wird auch nach den Streiks weiter verfolgt: „Das Erreichen der Aufwertung der Berufe im SuE ist eine gesellschaftspolitische Frage, die unabhängig von der Tarifauseinandersetzung von ver.di weiter verfolgt wird.“

5.3. Streikstrategie und Ablauf der Tarifverhandlungen

Die Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der VKA wurden am 25. Februar begonnen und ver.di legte ihre Forderungen schriftlich vor. Weitere von Warnstreiks (19.3. und 20.4.2015) und öffentlichen Protestaktionen sowie Demonstrationen begleitete Verhandlungstermine mit jeweils unterschiedlichen Themenschwerpunkten folgten am 23. März, 9. und 16. April sowie am 20. und 21. April. Die beeindruckende Beteiligung an den Warnstreiks kommentierte die VKA in einer Pressemitteilung mit den Worten: „Gewerkschaftliche Inszenierung ist erschreckend.“ Die Dynamik der Streikbewegung sowie die hohe Beteiligung zeigten, dass ver.di mit der Aufwertungskampagne einen Nerv getroffen hat. Die gesellschaftlich virulente Missachtung von Sorgearbeitenden und Abwertung ganzer Berufsgruppen sowie die Thematisierung dieser gesellschaftspolitischen Dimension waren zentral für die Mobilisierung: „Diese gesellschaftspolitische Thematisierung, von, was ist denn der Beruf Wert im Vergleich zu anderen Berufen (...) es ist einfach ungerecht, das ist so und da haben wir einfach einen Nerv getroffen, deswegen geht’s auch so ab. Ich glaub’, die Leute fühlen das so jeden Tag im Alltag. Die wissen, was sie arbeiten, die wissen was sie verdienen, die wissen, dass sie in der Altersarmut landen und die sehen in ihrem Bekanntenkreis, was jemand bei Bosch verdient und nicht diese gesellschaftliche Aufgabe hat, und das ist ein ganz krasses [sich] ungerecht behandelt fühlen, was darunter liegt, ansonsten würden die nicht so kommen.“ (GS I) Nachdem die VKA nach den Verhandlungsrunden den Gewerkschaften kein schriftliches Angebot unterbreitet hatte, erklärte ver.di am 28. April die Verhandlungen für gescheitert und rief ihre Mitglieder zur Urabstimmung über einen unbefristeten Streik auf. Die Zustimmung war bei ver.di mit 93, 44 Prozent und bei der GEW mit 96, 37 Prozent sehr deutlich.

Das erste schriftliche Angebot der VKA kam am 28. Mai, nach dem schon ca. drei Wochen gestreikt wurde. Eine Hauptamtliche beschreibt die Verhandlungstaktik der Arbeitgeber wie folgt: „Wenn du in fünf Verhandlungsrunden über vier Monate kein schriftliches Verhandlungsangebot kriegst, dein Angebot liegt schriftlich vor und die wollen dich in jeder Verhandlungsrunde auf den nächsten Termin verhandeln und noch einen Termin und noch einen. Da musst du irgendwann sagen: jetzt reicht´s. (...) Die Taktik war immer, uns noch einen Termin reinzudrücken, bis man in die Nähe der Ferien kommt und nicht mehr durchsetzungsfähig ist“ (Interview GS I). Beim Arbeitskampf 2009 wurde die Streikstrategie dezentral entschieden. Die Beschäftigten wurden rollierend und tageweise zum Ausstand aufgerufen. Dieses Mal hatte sich ver.di bundesweit für einen unbefristeten Streik entschieden, in dem nicht wellenweise gestreikt wurde, sondern durchgehend: „Unbefristet war auch ein bisschen eine Lehre aus 2009. 2009 haben die ja in 13 Wochen in Wellenstreiks gestreikt und nichts erreicht, also faktisch, Aufwertung nicht (GS I)“. Die harte Haltung der VKA, die erst nach fünf Verhandlungsrunden ein schriftliches Angebot vorlegte, spielte für die Streikstrategie „bundesweit komplett raus zu gehen“ (GS I) auch eine entscheidende Rolle. Am 8. Mai war der bundesweite Streikauftakt an dem ca. 20.000 Beschäftigte ihre Arbeit niederlegten: „Man braucht einen Moment von Gemeinsamkeit und gemeinsamer Stärke“ (GS I). Streik-Schwerpunkte waren die Länder Baden-Württemberg, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Die Streiks wurden ab dem 11. Mai auf weitere Bundesländer ausgeweitet, so dass bis zum 15. Mai die Beteiligung bei 150.000 Beschäftigten lag. So waren beispielsweise in Stuttgart beim Streikauftakt 174 von 182 Kitas geschlossen; danach pendelte sich diese Zahl zwischen 150 und 160 ein (GS II).

Am 18. Mai begann die zweite Streikwoche. Die erste Streikdelegiertenkonferenz (SDK) von ver.di hatte beschlossen, auch über Pfingsten hinaus zu streiken. Bayern und Baden-Württemberg streikten wegen der Pfingstferien in diesen Ländern nur zwei Wochen, da in den Ferien die Mobilisierung problematisch gewesen wäre (viele Beschäftigte im Urlaub, Kitas z.T. geschlossen). Aber es wurde klar kommuniziert, dass man nur während der Ferien die Arbeit wieder aufnehmen würde. In der Zeit wurden dann beispielsweise in Stuttgart und Umland Elternabende angesetzt, um mit den Eltern die Situation zu diskutieren (GS I). Als klar war, dass die Schlichtung kommt, waren die Elternabende deutlich schlechter besucht. Die bundesweiten SDK wurden im SuE Streik 2009 eingeführt. Sie stellen ein Novum in den deutschen industriellen Beziehungen dar und sind ein Element der Demokratisierung der Tarifauseinandersetzungen. Da die Beschäftigten im SuE als streikende Berufsgruppe in der Bundestarifkommission (BTK) des ÖD selber kaum vertreten waren, wurde die SDK als eine Zwischenebene eingeführt. Aus dem Defizit der mangelhaften Repräsentation der Beschäftigten aus den SuE wurde so eine neue basisnahe und beteiligungsorientierte Institution geschaffen. Die SDK ist ein Basistreffen der ehrenamtlichen Aktiven aus den Streikbetrieben. Die Anbindung der Basis kann allerdings auch zu Konflikten zwischen ehrenamtlichen Vertretern aus den Streikbetrieben und der demokratisch gewählten BTK führen. Dies war 2009 der Fall (vgl. Kutlu 2013) und ebenso im aktuell Streik, als es um die Bewertung der Empfehlung der Schlichter ging. Die SDK nimmt für sich in Anspruch, das zentrale Entscheidungsgremium zu sein; dies gilt gleichermaßen für die BTK. An den SDK nahmen jeweils ca. 300 Delegierte aus den Streikbetrieben teil. Durch die SDK konnten sich die Streikenden als eine bundesweite Bewegung konstituieren und erfahren.

Die VKA legte nach drei Wochen Streik schließlich ein schriftliches Angebot vor, dass laut ver.di nur die bereits im April vorgetragenen Vorschläge beinhaltete. Daraufhin blieb die Verhandlungsrunde vom 1. Juni bis zum 4. Juni ohne akzeptables Ergebnis. Das Ergebnis bringe, so ver.di, nicht die gewünschte Aufwertung und würde nicht zu einer deutlich besseren Bezahlung führen. Es könne deshalb von den Gewerkschaften nicht angenommen werden. Allerdings stimmte ver.di der Anrufung einer Schlichtung[26] zu. Dies war jedoch stark umstritten und von deutlicher Kritik begleitet (vgl. Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di, Flugblatt: „Schlichtung hilft nur dem Arbeitgeber“). Die Kritik befürchtete, dass sich die Arbeitgeber mit der Schlichtung in die Sommerferien retten könnten; nach den Sommerferien beginnt die schwer zu bestreikende Eingewöhnungsphase. Bei der SDK nach der Verhandlungsrunde am 4. Juni zeigten sich die Delegierten ausgesprochen aufgebracht, weil sie vor vollendete Tatsachen gestellt worden waren. Bei einer vorhergehenden SDK Ende Mai hatte die ver.di Führung noch die Parole ausgegeben, dass bis zu einem annehmbaren Ergebnis gestreikt werden solle; es sei dann Sache der SDK, über ein mögliches Ergebnis zu beraten und der BTK eine Empfehlung zu geben. Die Möglichkeit einer Schlichtung wurde nicht erwähnt. Die SDK konnte schließlich durchsetzen, dass vor Behandlung des Schlichtungsergebnisses in der BTK eine SDK darüber diskutieren müsse.

Damit galt ab dem 7. Juni die Friedenspflicht, der unbefristete Streik wurde ausgesetzt. Die Schlichter legten am 23. Juni eine gemeinsamen Empfehlung vor. Der Vorschlag sieht Gehaltserhöhungen zwischen 1 und 4,5 Prozent vor, allerdings keine Aufwertung der pädagogischen Fachkräfte, wie von den Beschäftigten gefordert. Bei den Leitungen von Einrichtungen wie Kitas oder in der Behindertenhilfe gibt es die größten Verbesserungen; den SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen bringt die Empfehlung dagegen kaum etwas.[27] Auf besondere Kritik der Beschäftigten stieß die vorgesehene fünfjährige Laufzeit. Nach weiteren Verhandlungen am 24. und 25. Juni wurde auf einer SDK die Empfehlung der Schlichter sehr kritisch diskutiert. So wurde der BTK empfohlen, eine Mitgliederbefragung zur Schlichtungsempfehlung in der Zeit vom 6. Juli bis zum 5. August 2015 durchzuführen.

Schlussbetrachtungen: Perspektiven des Streiks

In einem online Newsletter vom 7. Juli von ver.di heißt es „Die Delegierten stellen übereinstimmend fest, dass mit dieser Schlichtungsempfehlung die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe nicht erreicht wird.“ Das Ergebnis der Mitgliederbefragung wird zunächst am 8. August auf einer SDK diskutiert und danach kommt am 12. August 2015 die BTK zur Beschlussfassung zusammen. Während dieser Zeit werden die Streiks ausgesetzt. Allerdings finden diverse kritische Interventionen statt, wie beispielsweise der Aufruf „Kein Abschluss ohne Aufwertung“. Die Verhandlungen werden am 13. August wieder aufgenommen. Für den 13. August ist ein Verhandlungstermin mit der VKA vereinbart. Betrachtet man die letzte SDK, scheint es so zu sein, dass die kritischen Stimmen gegenüber der Schlichtungsempfehlung überwiegen. Allerdings ist auch zu bedenken, dass sich die öffentliche bzw. die veröffentlichte Meinung vor dem Hintergrund der medial inszenierten Schlichtung gegen die Beschäftigten wenden könnte.

Die Beschäftigten des SuE festigen mit dem aktuellen Arbeitskampf ihre Stellung als streikstarke und mobilisierungsfähige Beschäftigtengruppen. Die Organisationsmacht ist durch die ca. 20.000-25.000 neuen Mitglieder, die bisher im Zuge der Tarif-Auseinandersetzungen gewonnen werden konnten deutlich gestiegen. Auch die institutionelle Macht konnte ausgebaut werden, da die Personalratsstrukturen durch die Mitgliederzuwächse deutlich gestärkt werden. Ferner wurde die institutionelle Macht in den letzten Jahren durch die Übernahme von Mandaten in Personalratsstrukturen und innerhalb von ver.di weiter ausgebaut. Die steigende Anzahl an Beschäftigten mit Streikerfahrung im SuE-Bereich kann mittelfristig zur Gewinnung neuer Hauptamtlicher durch ver.di genutzt werden, wodurch die gewerkschaftliche Repräsentation von Care Arbeitenden sowie von Frauen verbessert werden kann. Zudem konnte symbolische Macht aufgebaut werden. Der Streik stellte kein Ereignis in einzelnen Betrieben bzw. Einrichtungen dar, sondern wurde zu einer öffentlichen und politisierten Auseinandersetzung, zu der politische Akteure Stellung beziehen mussten. Die Beschäftigten schafften es, ihren Anliegen in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen und eine weitgehend positive Stimmung gegenüber den Streikenden zu erzeugen. Der Aufbau von symbolischer Macht hat allerdings auf die öffentlichen Arbeitgeber bisher nicht ausreichenden Druck ausüben können, wie die Schlichtungsempfehlung zeigt. Ob die angestrebte Aufwertung von sozialen Berufen durch diesen Streik bereits gelingt, ist in Anbetracht der Schlichtungsempfehlung eher fragwürdig. Es sei denn, es kommt zu einer dynamischen Wiederaufnahme der Streiks. Dies scheint aufgrund der kritischen Stimmung bei den Streikenden nicht ausgeschlossen.

Literatur

Aulenbacher, Brigitte/Riegraf, Birgit/Theobald, Hildegard (2014): Sorge: Arbeit, Verhältnisse, Regime, Sonderband Soziale Welt, Baden-Baden.

Beher, Karin/Knauer, Detlef/Rauschenbach, Thomas (1996) Beruf: Erzieherin. Daten, Studien und Selbstbilder der ErzieherInnen in Kindertageseinrichtungen und in Heimen, in: Böttcher, Wolfgang (Hg.): Die Bildungsarbeiter. Situation- Selbstbild-Fremdbild, Weinheim und München, S. 11-49.

Bundesagentur für Arbeit (2014): Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Fachkräfte in der Kinderbetreuung und -erziehung.

Chun, Jennifer J. (2009): Organizing at the margins. The symbolic politics of labor in South Korea and the United States, Ithaca, NY.

Cepok, Tobias (2013): Zwischen Wänden: Die Reproduktionsmacht von indonesischen Hausangestellten, in: in: Schmalz, Stefan/Dörre, Klaus (Hg.): Comeback der Gewerkschaften?, Frankfurt a.M., S. 320- 332.

Dahme, Heinz-Jürgen/Wohlfahrt, Norbert (2007): Vom Korporatismus zur Strategischen Allianz von Sozialstaat und Sozialwirtschaft: Neue ‚Sozialpartnerschaft’ auf Kosten der Beschäftigten?, in: Dies./Trube, Achim (Hg.): Arbeit in sozialen Diensten: flexibel und schlecht bezahlt?, Baltmannsweiler, S. 22-34.

Destatis (2014): Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2014. Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe.

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[1] Der vorliegende Artikel basiert auf Forschungen im Rahmen meiner Dissertation zum Thema: „Anerkennungskonflikte in der institutionellen Erziehungsarbeit.“ Hierfür wurden bisher zwei Gruppendiskussionen (GD I) mit ErzieherInnen und sieben ExpertInnen Interviews geführt. Für den vorliegenden Artikel wurden weitere zwei ExpertInnen Interviews mit GewerkschaftssekretärInnen (GS I und II) des ver.di Bezirks Stuttgart geführt.

[2] In 14 Bundesländer streikten Beschäftigten vier Wochen am Stück, in Bayern und Baden-Württemberg streikten sie zwei Wochen.

[3] Bei den pädagogischen Fachkräften herrscht eine sehr hohe Bereitschaft, sich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einzusetzen (Fuchs/Trischler 2008).

[4] „Heute werden in der internationalen Fachdebatte unter Care-Tätigkeiten meistens alle unbezahlten Arbeiten im Haushalt und alle bezahlten und unbezahlten Betreuungs- und Pflegearbeiten verstanden.“ (Madörin 2007: 142)

[5] Die Organisierungserfolge sind relativ zu sehen, schließlich arbeitet nur ein Drittel der Beschäftigten unter dem TVöD, das sind ca. 240.000.

[6] Organisationsmacht entsteht „aus dem Zusammenschluss zu kollektiven politischen oder gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen“ (Dörre/Schmalz 2013: 17).

[7] Institutionelle Macht „entsteht als Resultat von Aushandlungen und Konflikten, die auch über strukturelle oder organisatorische Machtressourcen ausgetragen werden“ und „ (...) Basiskompromisse über Konjunkturen und kurzzeitige Veränderungen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse hinweg festschreiben und teilweise gesetzlich kodifizieren“ (ebd.: 19).

[8] „Strukturelle Macht erwächst aus der Stellung von Lohnabhängigengruppen im ökonomischen System. Sie kann sich in primärer Verhandlungsmacht, die aus einer besonderen Arbeitsmarktsituation entspringt, ebenso ausprägen wie in Produktionsmacht, die sich über einer besondere strategische Stellung in Produktionsprozessen konstituiert“ (ebd.: 17).

[9] Im § 7 des Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) in BW wurde der Fachkräftekatalog erweitert.

[10] Allerdings sind das arbeitgeberseitige Zulagen, die jederzeit zurückgenommen werden können und keine tariflichen Regelungen.

[11] Die Betroffenheit von Dritten (Eltern) ist eine Besonderheit, die bei der Marktmacht von SuE Beschäftigten mitgedacht werden muss.

[12] Damit fällt das Verständnis beispielsweise höher aus als bei den Streiks der Lokführer, die von 46 Prozent gebilligt wurden.

[13] Das Kinderförderungsgesetz (2008) verankerte den Ausbau von Kitas sowie den Rechtsanspruch ab dem vollendeten ersten Lebensjahr auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder auf Kindertagespflege ab dem 1. August 2013 (BMFSFJ 2012). Die Zahl der betreuten Kinder stieg von 2008 bis 2014 um mehr als 250.000. Vor allem die Betreuungsangebote für unter Dreijährige sind enorm gestiegen (+79 Prozent) (vgl. BA 2014: 5).

[14] Kitas sind nach §22 SGB VIII Einrichtungen, „in denen sich die Kinder für einen Teil des Tages oder ganztags aufhalten“, zu ihnen gehören Kinderkrippen, Kindergärten und Horte.

[15] Die Betreuungsquote (der Anteil der Kinder, die eine Einrichtung der Kindertagesbetreuung oder eine öffentlich geförderte Kindertagespflege in Anspruch nehmen) lag in der Tagesbetreuung bei unter Dreijährigen im März 2014 bei ca. 32 Prozent (661.000 Kinder) und bei Drei- bis unter Sechsjährigen bei 94 Prozent (1,95 Millionen) (vgl. BA 2014: 6).

[16] Mit knapp 12 Prozent bzw. 60700 stellen KinderpflegerInnen die zweitgrößte Gruppe dar (vgl. Rübenach/Kucera 2014: 2). Die begonnene Akademisierung des Berufsfeldes, welches sich in der Einrichtung von neuen Studiengängen zeigt, hat (noch?) zu keiner nennenswerten Zunahme von (Fach)HochschulabsolventInnen in Kitas geführt. Ihr Anteil lag 2014 bei 5,3 Prozent (zum Vergleich 2007: 3, 4 Prozent) (vgl. Rübenach/Kucera 2014: 2).

[17] Zum Vergleich: Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist berufsübergreifend betrachtet 2014 gegenüber 2008 um 9 Prozent gewachsen (vgl. BA 2014: 8). Den größten Beschäftigungszuwachs gab es in den westlichen Bundesländern, in den östlichen lag das Ausgangsniveau der Kinderbetreuung historisch bedingt höher (vgl. BA 2014: 3). Den größten Zuwachs zwischen 2008 und 2014 weisen Baden-Württemberg (56 Prozent) und Bayern (52 Prozent) auf (vgl. ebd.: 8).

[18] Der Männeranteil ist immer noch sehr niedrig, hat sich aber seit 2008 bis 2014 mit einem Anstieg von 13100 auf 25900 verdoppelt (vgl. BA 2014: 12).

[19] Damit liegen sie mit ca. 10 Prozent über dem Durchschnitt aller befragten Berufsgruppen.

[20] So erklären in dieser Untersuchung nur 13 Prozent der ErzieherInnen während oder unmittelbar nach der Arbeit keine gesundheitlichen Beschwerden zu haben. Die gesundheitlichen Belastungen werden von einer weiteren Studie bestätigt. Demnach weisen ErzieherInnen im Vergleich zu gleichaltrigen Frauen mit gleicher Bildung eine deutlich schlechtere Gesundheit auf (vgl. Viernickel/Voss 2013: 8). Besonders belastend sind ungenügende Rahmenbedingungen „wie eine schlechte finanzielle und räumliche Ausstattung, schlechte ergonomische Arbeitsbedingungen, chronischer Zeitdruck, ständig steigende Arbeitsanforderungen, Belastung durch Lärm, zu geringe Bezahlung, geringe Aufstiegsmöglichkeiten, geringe gesellschaftliche Reputation und körperlich anstrengende Arbeit“ (ebd.). Entsprechend der genannten Belastungen sind auch psychische Erkrankungen bei ErzieherInnen sehr hoch. Nach dem Fehlzeiten Report von 2011 waren 13, 9 Prozent der ErzieherInnen im Vergleich zu 9,5 Prozent im Durchschnitt aller Branchen wegen psychischer Erkrankungen zeitweise arbeitsunfähig (vgl Meyer/Weihrauch/Weber 2012: 331).

[21] Bei allen anderen Berufsgruppen ist dies nur zu 67 Prozent der Fall (DGB Kompakt 2015: 2).

[22] Aufgrund des am 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen TVöD kam es zur Differenzierung der Tariflandschaft und hat „einen neuen Wettlauf um die Senkung der Personalkosten ausgelöst“ (Dahme/Wohlfahrt 2007: 29). So differiert die Vergütung für das pädagogische Personal in Kitas erheblich, je nachdem, ob es sich um eine öffentliche, freie oder private Einrichtung in Ost- oder Westdeutschland handelt, und ob und welcher Tarifvertrag in der jeweiligen Kita zur Anwendung kommt.

[23] Die S-Tabelle ist eine besondere Entgelttabelle innerhalb des TVöD für die Beschäftigten im SuE. Sie wurde 2009 nach dem Streik als Ergebnis einer Tarifrunde vereinbart. In der S-Tabelle werden im Wesentlichen die früheren Aufstiege und Zulagen des BAT abgebildet. Die S-Tabelle ist neben der allgemeinen Entgelttabelle sowie den weiteren Tabellen Gegenstand der allgemeinen Tarifrunden Bund/VKA.

[24] Staatlich anerkannte ErzieherIn: ErzieherInnenausbildung 3 Jahre plus 1 Jahr Anerkennungspraktikum (AP): Meist ohne Ausbildungsentgelt, außer für die APs, die allerdings mit 0,8 Stellenanteilen schon auf den Schlüssel angerechnet werden können.

[25] https://www.soziale-berufe-aufwerten.de/information/berufsprofile/erzieher-innen-kita/.

[26] Die Schlichtungskommission besteht aus je 8 VertreterInnen der Gewerkschaften und der VKA. Die beiden Parteien ernennen jeweils einen unparteiischen Vorsitzenden. Der stimmberechtigte Vorsitz wechselt turnusmäßig und steht in der aktuellen Auseinandersetzung dem von der VKA-Seite zu benennenden Vorsitzenden zu.

[27] Vgl. die Einigungsempfehlung der Schlichtungskommission. https://www.soziale-berufe-aufwerten.de/w/files/medien/06/einigungsempfehlung_-schlichter_sozial-_und_erziehungsdienste.pdf