Editorial

Juni 2015

Seit der internationalen Finanzkrise und in den Debatten um die Krise des Euro-Raumes, um Grexit und Brexit spielen Geldpolitik und Zentralbanken auch in den Tagesnachrichten eine prominente Rolle. Die anhaltende Nullzinspolitik der westlichen Notenbanken und deren vergeblicher Versuch, durch Überschwemmung der Märkte mit Geld die seit 2008 anhaltende Krise der Realwirtschaft zu überwinden, wirft dabei die Frage auf, ob die scheinbar allmächtigen Zentralbanken nicht in Wirklichkeit Papiertiger sind. Mit Bangen erwarten die Konjunkturpolitiker den Moment, in dem – vermutlich in den USA – die Geldpolitik wieder Kurs auf höhere Zinsen nehmen wird. Dieser Moment wird von Teilen des Kapitals, vor allem der Versicherungswirtschaft, heftig herbeigesehnt. Wird der Ausstieg aus der Nullzinspolitik aber eine neue Krise auslösen, bevor die alte vorbei ist? In welchem Verhältnis stehen monetäre Sphäre und Realwirtschaft zueinander?

Eine differenzierte Antwort darauf gibt Lucas Zeise. Seine Analyse der Politik der amerikanischen FED und der EZB zeigt, dass Geldpolitik immer dann wirkungsmächtig war, wenn es um die Eindämmung von Lohnforderungen und die Durchsetzung neoliberaler „Reformen“ ging. Dagegen ist sie ziemlich machtlos, wenn die Bekämpfung rezessiver Tendenzen auf der Tagesordnung steht. Eine Ursache diese Asymmetrie sei die vorgebliche politische Neutralität der Zentralbanken, die in Wirklichkeit Abhängigkeit von den Finanzmärkten und Unabhängigkeit von demokratischen Entscheidungen bedeutet.

Einen anderen Akzent setzt Klaus Müller. Er untersucht jene geldpolitischen Theorien, die den gegenwärtigen Notenbankpolitiken zugrunde liegen. Die wirtschaftspolitische Steuerungsfähigkeit der Zentralbanken werde, auch in der Linken, überschätzt. Ihre Entscheidungen seien letzten Endes Element eines komplexen Wechselmechanismus, in dem grundsätzlich güterwirtschaftliche Prozesse bestimmend sind.

Die Finanzkrise von 2008 und die wachsende Rolle finanzwirtschaftlicher Prozesse verleitet auch kapitalismuskritische Beobachter wieder dazu, den monetären Sektor zur Essenz des Kapitalismus zu erklären und – wie z.B. die Vollgeldanhänger – die Geldordnung zur Krisenursache und zum Hebel grundlegender Veränderungen zu machen. Klaus Busch beschäftigt sich mit drei Publikationen, die, ausgehend von teilweise alten geldkritischen und geldreformerischen Positionen, geldwirtschaftliche Veränderungen in dem Mittelpunkt stellen und kritisiert die unterschiedlichen Ansätze.

Auf aktuelle theoretische Grundlagen geldkritischer Positionen geht Heiner Ganßmann ein. Die „Modern Money Theorie“ (MMT) versucht, die politische Steuerungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft dadurch zu begründen, dass sie Geld aus dem Kredit ableitet und zu einer rein staatlichen Angelegenheit erklärt. Indem sie die aktuelle Unterordnung der staatlichen Wirtschaftspolitik unter die Finanzmärkte kritisiert, sei die MMT zwar einerseits erfrischend, andererseits sei sie aber theoretisch unzureichend.

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Islamismus und der Krieg im Mittleren Osten: Den zweiten im Mittelpunkt dieses Heftes stehenden Themenkomplex zum Thema Islamismus eröffnet der Beitrag von Nabil Mouline: Der Autor analysiert die Gegensätze zweier Strömungen, des Wahabismus und der Muslimbrüder, die von postkolonialen Regimen im arabischen Raum immer wieder gegeneinander ausgespielt oder gegen linke und laizistische Kräfte instrumentalisiert wurden. Karin Kulow differenziert ebenfalls zwischen den verschiedenen Richtungen des (sunnitischen) Islamismus und ordnet diese – wie auch die Islamfeindlichkeit im Westen – in die europäisch-arabische Kolonialgeschichte ein. Sie beleuchtet unter diesem historischen Gesichtspunkt auch den Sturz der Muslimbrüder in Ägypten sowie die Rolle der von der AKP regierten Türkei in den Jahren nach dem „Arabischen Frühling“. Im Gespräch mit Tariq Ali erläutert Patrick Cockburn die Ursachen für den Aufstieg des Islamischen Staats IS. Er zeichnet nach, wie die Politik des Westens und seiner Verbündeten im Irak zu einer Ausgrenzung der Sunniten und in Syrien zu einer Stärkung des aus Al-Qaida hervorgegangenen IS führte. Ein Befund Cockburns lautet, dass sich die USA einerseits zu einem inoffiziellen Bündnis mit dem Iran genötigt sehen, andererseits aber an der Seite von dessen regionalem Hauptkonkurrenten, dem wahabitischen Saudi-Arabien, stehen. Angesichts der Einmischung äußerer Mächte und der komplizierten geopolitischen Konstellation besteht für Cockburn kaum Hoffnung auf ein baldiges Ende des syrischen Bürgerkriegs oder auch nur eine wesentliche Schwächung des IS. Werner Ruf betont die ökonomische Seite des Islamismus und spricht von „privatem militärischem Unternehmertum“. Teilweise finanziert aus dem Ausland, teilweise reich geworden durch Raubzüge, bieten Organisationen wie der IS vielen Mittellosen ein Einkommen: „Die meist jungen Männer (…), die beispielsweise aus Tunesien nach Syrien in den Krieg ziehen, erhalten ein Handgeld von bis zu 6.000 oder 8.000 Dollar (…). Der tägliche Sold soll bei etwa 300 Dollar liegen. Für die perspektivlosen Jugendlichen der Elendsviertel sind dies gewaltige Summen.“ In der Gesamtschau untermauert der Autor die Annahme, „dass es beim Krieg der Milizen und Banden in Syrien wenig um Religion, dafür umso mehr um Geld geht.“

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Energie- und Klimapolitik: Es wird kaum noch bestritten, dass die zunehmenden Naturkatastrophen eine Folge menschengemachter Klimaveränderung sind. Helmut Knolle untersucht, ob und wie die wichtigsten ökonomischen Theorien sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen und wo sich Ansätze für eine aktive Bekämpfung der globalen Erwärmung finden. Ausgehend von der an die Klassik (Smith, Ricardo, Marx) anknüpfenden Theorie von Sraffa entwickelt er Überlegungen, wie man über eine effiziente Bewertung von CO2-Emissionsrechten den globalen CO2-Ausstoss begrenzen könnte.

Die „Energiewende“ ist das derzeitig ehrgeizigste Industrieprojekt der Bundesrepublik. Neben dem Atomausstieg soll sie klimapolitisch zur Minderung der Treibhausgasemissionen beitragen. Detlef Bimboes’ Bilanz der Entwicklung der erneuerbaren Energie fällt ambivalent aus. Einerseits ist die beachtliche Zunahme der „Erneuerbaren“ an der Energiegewinnung unbestreitbar, andererseits nehmen die Versuche der durch den Atomausstieg und die Liberalisierung der Energiemärkte getroffenen großen Energieversorger zu, diesen Prozess zu bremsen und im eigenen Interesse zu kanalisieren.

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Geschichte der Linken: Ulla Plener bespricht die deutsche Erstveröffentlichung der sog. „Polnischen Texte“ von Rosa Luxemburg aus den Jahren 1905/1906. Ihre Kritik der Edition bezieht sich auf den Versuch, einen Widerspruch zwischen Luxemburg und Lenin in deren Stellung zu Demokratie und Sozialismus in der Revolution von 1905-1907 zu konstruieren. Sie zeigt anhand detaillierter Textverweise gerade deren große Übereinstimmung in dieser Frage. Clara Zetkin plädierte 1917 entschieden für die Beteiligung der Fraueninternationale an einer geplanten, jedoch nicht zustande gekommenen Internationalen Sozialistenkonferenz in Stockholm 1917, die die über der Kriegsfrage gespaltenen Parteien der sozialistischen Internationale wieder zusammenführen sollte. Martin Grass dokumentiert Zetkins „Sammlungstaktik“ anhand seiner Quellenstudien im Zetkin-Nachlass. Kommunale und politische Kämpfe der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung im Berlin der Jahre 1929-1933 schildert Oliver Reschke in seinem Beitrag über „Proletariat und Großstadt“. Im Mittelpunkt stehen Mietkämpfe und die Abwehr der in die proletarischen Kiez-Bezirke eindringenden Nazis. Hervorgehoben werden die Bedeutung der sozial-kulturellen Verankerung der beiden Arbeiterparteien, ihre unterschiedliche soziale Basis sowie die Auswirkungen der politischen Spaltung der Linken.

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Weitere Beiträge: Der erste Teil von Nico Bivers Überblick zur Entwicklung linker und sozialdemokratischer Parteien in Westeuropa seit 1970 (Z 101) hatte deren Aufschwung (bis 1975) und Niedergang (bis Anfang der 1990er Jahre) zum Gegenstand. Im zweiten Teil konstatiert er eine schrittweise Wiederbelebung der radikalen Linken – dies gilt für die Wahlergebnisse, jedoch nicht für deren Mitgliederentwicklung. Das politische „Vakuum“, das der Niedergang der Sozialdemokratie hinterlassen hat, konnte von ihr bisher nicht ausgefüllt werden. Sebastian Friedrich und Inva Kuhn untersuchen Entstehung, Merkmale und Erscheinungsformen des Antimuslimischen Rassismus, der mit kulturellen, geographischen und religiösen Besonderheiten argumentiert. Sie skizzieren Grundzüge eines antikapitalistischen Verständnisses von Antirassismus, das Klassenverhältnisse thematisiert. In Auseinandersetzung mit einem Beitrag von Ekkehard Lieberam in Z 101 plädiert Rolf Geffken für eine Analyse des Rechts in seiner Beziehung zur politischen und gesellschaftlichen Praxis.

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Der Schwerpunkt des September-Heftes 2015 (Z 103) ist dem Thema „Digitalisierung der Arbeitswelt“ gewidmet.