In den frühen 70er Jahren bahnte sich eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise an. Sie erfasste nahezu alle westlichen Industrieländer und führte zum Aufstieg eines von Finanzmärkten dominierten Weltwirtschaftssystems. Eine zentrale Ursache für diesen Übergang war die Zerstörung des Bretton-Woods-Systems durch die USA, indem sie die Goldbindung des US-Dollars aufhoben. Zusätzlich offenbarten in jener Zeit die beiden Ölpreiskrisen 1973 und 1979 die tiefe Abhängigkeit der Industriestaaten vom Erdöl. Die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen gingen zugleich mit einer wachsenden globalen Umwelt- und Klimakrise und der Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen einher. In allen kapitalistischen Industriestaaten entstand eine breite Umweltbewegung. Großen Widerhall fand 1972 die aufrüttelnde Studie des „Club of Rome“ zur Lage der Menschheit und zur Zukunft der Weltwirtschaft („Die Grenzen des Wachstums“). In der Folgezeit wurde die Emission des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) als wichtigster Verursacher des Klimawandels identifiziert. Damit rückte neben Maßnahmen zur Emissionsminderung von Treibhausgasen der Einsatz von erneuerbarer Energien als zentraler Baustein für den Klimaschutz in den Mittelpunkt. Sie läuteten gemeinsam mit dem absehbaren Ende billiger und leicht verfügbarer, fossiler Energieträger eine grundlegende Wende in der Haltung zu Energiefragen ein.[2]
1. Getrennte Wege in der Umwelt- und Energiepolitik bis 1990
Im damaligen Deutschland – noch geteilt in DDR und BRD – gestalteten sich Krisenverlauf und gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen über Energiefragen und Umweltprobleme bis 1990 ganz unterschiedlich. In der DDR führten wachsende Verschuldung bei westlichen Banken und die Kürzung sowjetischer Erdöllieferungen zu einer dauerhaften, massiven Ausweitung des Einsatzes von Braunkohle (Roesler 2012, S. 85 ff.; Malycha/Winters 2009, S. 261ff.). Der Ausbau erneuerbarer Energien bildete keinen Schwerpunkt der Energiepolitik. Allein Geothermie war technisch hoch entwickelt. Beachtliche Erfolge wurden im Bereich der industriellen und gewerblichen Energieeinsparung erzielt.
Bis zum Ende der DDR bestanden lokal und regional große Umweltprobleme, darunter Luftverschmutzungen in einem Ausmaß, die dem im Ruhrgebiet der fünfziger und sechziger Jahre gleichkam. Eine ähnlich breit getragene Widerstandsbewegung wie in der BRD gegen die Kohle-/Atompolitik und für den Ausbau erneuerbarer Energien in der DDR konnte sich trotz zunehmenden Umweltbewusstseins in der Bevölkerung nicht entfalten. Dafür sorgte umfassende staatliche Repression (Roesler 2006, S. 52 ff.).
In der BRD dagegen etablierte sich eine breit getragene Umwelt-/Anti-AKW-Bewegung gegen die aufgestauten Umweltprobleme – darunter große Luftverschmutzungen durch Kohlekraftwerke – und die Gefahren durch Atomkraftwerke. Ausgehend von Protest und Widerstand entstand 1980 die Partei „Die Grünen“.
Die Auseinandersetzungen und die beiden Ölkrisen beeinflussten auch den Strukturwandel in der Energieversorgung. Zur Versorgungssicherheit wurde zunächst auf mehr Kernkraft und Erdgas und weniger Mineralöl (ab 1979) gesetzt bei gleichzeitiger Verminderung des Kohleeinsatzes aus Gründen des Umweltschutzes. Parallel dazu wurde seitens der Bundesregierungen – ausgehend von einem Rahmenprogramm nicht-nuklearer „Energieforschung“ im Jahre 1974 – eine ganze Reihe von Programmen für Energieforschung und Energietechnologien aufgelegt. Sie dienten dem Ziel, sich langfristig unabhängiger vom Erdöl zu machen. Die Themen griffen Energieeinsparung inklusive rationeller Energieumwandlung (u. a. Wasserstoff- und Brennstoffzellenforschung) und Forschungen zur Solarenergie beziehungsweise Solarthermie sowie Windenergie und Geothermie auf. Forschungen zur Photovoltaik wurden ab 1981 stark ausgeweitet.
Brennstoffzellen finden inzwischen in verschiedenen Anwendungsbereichen vermehrt Anwendung oder haben Marktreife erlangt. Batterieforschung und die Entwicklung von Elektrofahrzeugen spielten ab den siebziger Jahren eine geringe und eher zu vernachlässigende Rolle. Erst vor wenigen Jahren begann durch international schärfer werdenden Konkurrenzdruck eine Aufholjagd im Bereich der Batterieforschung. Elektrofahrzeuge sind bis heute marginal geblieben in dem von Benzin und Diesel und profitablen Geschäften geprägten Automobilsektor.
Ab etwa 1975 gab es Anzeichen für die Entwicklung einer Wirtschaftsbranche Erneuerbare Energien. Norddeutschland bildete den Schwerpunkt für Windenergie. Ökologische und industriepolitische Interessen verbanden sich hier mit möglichen, neuen Einkommensquellen für Landwirte. Die Kernreaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) führte zu einem Umdenken in großen Teilen der Bevölkerung. Der Zuspruch für Atomenergie verlor massiv an Boden. Stattdessen wuchs die Akzeptanz für erneuerbare Energien, nicht zuletzt verstärkt im Jahre 1987 unter dem Eindruck des wegweisenden Berichts „Unsere gemeinsame Zukunft“ der „UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) und etwas später angeregt durch die Enquête-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ (1988-1990).
2. Zum Aufstieg erneuerbarer Energien ab der Wende 1990
In der BRD wuchs in den achtziger Jahren der gesellschaftspolitische Druck immer mehr für den Einstieg in erneuerbare Energien, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Tschernobyl. Gegen großen Widerstand der Energiekonzerne und mit ihnen verbündeter Kräfte wurde nach Wegen gesucht, sowohl der Windenergie als auch der Photovoltaik zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei spielten die Betreiber kleiner Wasserkraftwerke – vor allem aus Süddeutschland – eine wichtige Rolle. Denn der von ihnen erzeugte Strom konnte bis dahin nur in dem Maße, wie die Energiekonzerne dies akzeptierten, in das Netz eingespeist werden und wurde noch dazu schlecht bezahlt.
2.1 Startpunkt und Durchbruch für die Wende zu erneuerbaren Energien
Startpunkt für die erneuerbare Energiewende bildete das fraktionsübergreifend – gegen Widerstände der FDP – zustande gekommene Stromeinspeisungsgesetz (StrEG). Es wurde im Trubel der Wiedervereinigung auf der letzten Sitzung des alten Deutschen Bundestages im Jahre 1990 beschlossen (Scheer, 2010). Mit dem Gesetz wurden die Stromkonzerne erstmals verpflichtet, Strom aus erneuerbaren Quellen abzunehmen. Das führte ab 1991 zu einem starken Wachstum der Windenergieindustrie (Brand-Schock 2010, S. 90). Eine ähnliche Entwicklung gelang der Photovoltaik-Branche erst mit dem „100.000-Dächer-Programm“ (1999 – 2003).
Der eigentliche Durchbruch kam dann im Jahre 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) der rot-grünen Bundesregierung. Dafür wurden Einspeisetarife, ein Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien und langfristige Preisgarantien statt kurzfristiger Anreize festgelegt. Auch die Stadtwerke wurden in die Förderung einbezogen. Von besonderer Bedeutung ist, dass das EEG von Anfang an eine große Bandbreite an Technologien gefördert hat. Dafür sorgten technologiespezifische Vergütungssätze. Für eine Befestigung des Ausbaus der Energiewende sorgte gleichzeitig der „Atomkonsens“ der rot-grünen Bundesregierung. Hier wurde mit den Atomkraftwerksbetreibern politisch (14.06.2000) und rechtlich (22.04.2002) der geordnete Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahre 2022 vereinbart.
2.2 Gesellschaftliche Akteure der Energiewende
Die Kämpfe gegen Atomkraft und Kohlekraftwerke und für den Ausbau der erneuerbaren Energien waren von einer breiten Bewegung aus den Mittelschichten und der jüngeren Generation initiiert und getragen. Die Akteure kamen aus Handwerk und Dienstleistungsbereichen, aus kleinen und mittelständischen Betrieben, aus dem sich entwickelnden alternativen Landbau, aus Lehrerberufen, aus Universitäten, Wissenschaft und Technik. Die weit überwiegende Mehrheit verfolgte keine antikapitalistischen Zielsetzungen, sondern wollte notwendige Veränderungen innerhalb der bestehenden Verhältnisse durchsetzen, auch wenn sie sich damit gegen die Interessen des Staates und der großen Energieversorger stellen musste. Viele Aktive aus der Umweltbewegung wurden im Zuge der kapitalistischen Transformationsprozesse nach 1990 integriert in die neu heraufziehenden „grünen“ Wirtschaftsbereiche.
Aus anderen sozialen Bewegungen sowie aus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung erfuhr die wirkmächtige Umwelt- und Antiatombewegung über weite Strecken nur begrenzte Unterstützung. Vieles blieb Lippenbekenntnis. Nach wie vor haben soziale Fragen und Umwelt- und Ressourcenfragen nicht zusammengefunden.
2.3 Das Rückgrat der Energiewende
Das Rückgrat der Energiewende bilden tausende von Stromerzeugern mit ihren Wind-, Solar- und kleinen Wasserkraftwerken. Hinzu kommt eine Vielzahl an Betrieben aus dem Bereich Landwirtschaft („Energiewirte“) und eine große Zahl an Betreibern von kommunalen, kleinen und größeren gewerblichen Biomasseverbrennungsanlagen. Wichtig sind auch die Stadtwerke. Sie sind überwiegend gestärkt aus der von der EU ab 1998 vorangetriebenen Liberalisierung der Energiemärkte hervorgegangen. Die „Stadtwerke haben außerdem in großem Umfang Kooperationen gebildet, mit denen sie Fragen des Netzbetriebs und der Regulierung, des Einkaufs von Energie, der Investition in Wind-, Solar- und Biomasseanlagen abstimmen können (Becker 2011, S. 310). Bislang einmalig ist die Kooperation von acht großen kommunalen Unternehmen („8 KU“) mit Umsatzgrößen zwischen einer und vier Milliarden Euro mit derzeit insgesamt 28.000 Beschäftigten.
Ein wichtiges Zeichen der gesellschaftlichen Verankerung sind die sogenannten „100% Erneuerbare-Energie-Regionen“, die sich heute über 146 Landkreise, Kommunen und Regionalverbünde in Deutschland erstrecken, rund 25 Millionen Einwohner umfassen und bereits mehr als ein Drittel der Fläche Deutschlands ausmachen. Hinzu kommen zahlreiche Energiegenossenschaften. Von den Ende 2013 insgesamt tätigen 888 Genossenschaften im Bundesgebiet haben die meisten ihren Sitz in Bayern, Baden-Württemberg, NRW und Niedersachsen.
2.4 Wirtschaftsfaktor Energiewende, Arbeitsplätze und soziale Probleme
Der Anteil erneuerbarer Energien am gesamten deutschen Strom-, Wärme- und Kraftstoffverbrauch lag im Jahre 2013 bei 12,3 Prozent. Der Umsatz deutscher Unternehmen dieser Branche erreichte 22, 7 Milliarden Euro. Die Investitionen in neue Anlagen betrugen 16,1 Milliarden Euro (Agentur für erneuerbare Energien 2015). In der gesamten Branche werden bei Herstellern, Zulieferern und Projektieren 371.000 Menschen in rund 36.000 Betrieben beschäftigt. Das Ausbildungsniveau liegt weit über dem Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche. Aber es gibt auch deutliche Schatten: der Frauenanteil ist gering und die Zeitarbeit um das Dreifache höher als der gesamtwirtschaftliche Durchschnittswert. Außerdem kommt es immer wieder zu massiven Behinderungen von Betriebsratsgründungen und der Betriebsratstätigkeit. Zudem wird von untertariflichen Entlohnungen berichtet. (Hirschl 2011, S. 100; Pomrehn 2013, S. 30).
3. Die Energiekonzerne im Kampf gegen die Energiewende
Die Energiekonzerne agierten ab den neunziger Jahren in einem für sie zunehmend komplexeren politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Zum einen wurde der Aufstieg erneuerbarer Energien durch diverse Klimaschutzstrategien und energiepolitische Entwicklungen auf globaler, europäischer und nationaler Ebene begünstigt. Hervorzuheben sind hier die UN-Klimarahmenkonvention, das Kyoto-Protokoll, der Atomausstieg in Deutschland und ab dem Jahre 2000 der Trend zu steigenden Preisen für Erdöl und Erdgas auf den internationalen Märkten. Hinzu kamen ab dem Jahre 2000 zunehmende und von der EU zu verantwortende Auseinandersetzungen mit Russland über eine sichere Öl- und Gasversorgung. Die Spannungen wurden von den großen Energiekonzernen und der mit ihnen verflochtenen Politik dazu benutzt, Kohle wie auch Atomenergie weiterhin zum unverzichtbaren und tragenden Bestandteil langfristiger Energieversorgungssicherheit zu erklären.
Parallel dazu wurden die Geschäfte der vier großen Energiekonzerne substanziell verändert durch die von der EU-Kommission vorangetriebene Liberalisierung der Energiemärkte. Nach und nach entstand ein neuer Regulierungsrahmen, der die gewohnte Marktmacht der „Großen Vier“ erheblich reduzierte (s. dazu Abschn. 4). Gleichzeitig haben die Energiekonzerne mit Hilfe ihrer verbliebenen Machtstellungen in den Bereichen fossile Energien und Stromnetze alles darangesetzt, den Aufschwung erneuerbarer Energien im Stromsektor zu behindern, zu blockieren und letztlich in ihrem Interesse umzugestalten. Dafür konnten und können sie ihren noch bestehenden Einfluss in Politik und Verwaltung – insbesondere im Bereich der Wirtschaftsministerien – nutzen (vgl. Brouns 2011). Inzwischen ist der Aufschwung der Erneuerbaren in Bedrängnis geraten. Mehrere Faktoren sind dafür verantwortlich:
- In den Strompreisen der Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke sind seit jeher keine Folgekosten berücksichtigt, die durch Umwelt- und Gesundheitsschäden entstehen. Im Gegensatz zu erneuerbarem Strom sorgen üppige und unsichtbare Subventionen aus dem Staatshaushalt für niedrige Preise für Kohle- und Atomstrom.
- Ein untaugliches Emissionshandelsrecht und zahlreiche Kohlekraftwerke sorgen im Energiesektor für einen ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen und billigen Kohlestrom.
- Verschleppter und boykottierter dezentraler Ausbau der Stromnetze seit mindestens 10 Jahren.
- Alle Änderungen des EEG ab 2005 zielten auf eine Verlangsamung des Ausbaus von Wind- und Solarenergie. Zudem stieg ab 2010 die EEG-Umlage steil an, die von den Verbrauchern über den Strompreis zu bezahlen ist. Zentrale Ursachen dafür waren die Vorschrift zur Vermarktung von erneuerbarem Strom über die Börse, damit verbundene, sinkende Börsenpreise für Strom und die vielen Industrie-Rabatte (Befreiungen von der EEG-Umlage). Der Börsenmechanismus ist ein wichtiger Faktor für die Höhe der EEG-Umlage. Denn sie errechnet sich aus der Differenz zwischen einer festgesetzten Vergütung (z. B. für Wind- oder Solarstrom) und dem Börsenpreis, der in der Tendenz der vergangenen Jahre deutlich gefallen ist. Je niedriger der Börsenpreis, desto höher die Umlage und damit der Preis erneuerbaren Stroms für den Verbraucher.
4. Wankende Energiekonzerne – im Schraubstock von staatlicher Regulierung, Energiewende und Managementfehlern
Seit geraumer Zeit stecken die großen vier Energiekonzerne immer tiefer in der Bredouille. Auslöser dafür ist aber nicht in erster Linie die Energiewende, sondern sind seit langem anhaltende, schwere Managementfehler. Seit die EU-Kommission im Jahre 1996 die Liberalisierung der Energiemärkte angeschoben hat, ist nach und nach ein neuer Regulierungsrahmen wirksam geworden, der die Geschäfte substanziell und radikal verändert hat (Greenpeace 2015, Zsfg. S. 1). Beides wurde noch durch den Aufschwung an erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus der Atomenergie verstärkt. Dennoch wurde darauf nicht adäquat reagiert. So hielt das Management unbeirrt am überholten Geschäftskonzept konventioneller Energieversorgung fest, zumal die Konzerne „dank ihrer Marktmacht bis zum Ende der 2000er Jahre hohe Gewinne erwirtschaften“ konnten (Greenpeace 2015, Zsfg., S. 1). Die Konzerne sind inzwischen durch eine ganze Reihe von Punkten in eine strategisch schwierige Lage geraten:
- Regulierter statt ausgehandelter Netzzugang sowie anreizgesteuerte Netzentgelte führten zu leichterem Anbieterwechsel, starkem Wettbewerb im Endkundengeschäft und erheblichen Einbußen bei Marktanteilen.
- Die seit Mitte 2007 gesetzlich verbindliche gesellschaftsrechtliche Entflechtung integrierter Energieunternehmen führte insbesondere zu Wettbewerb im Bereich der Stromnetze und sorgte letztlich dafür, dass sich E.ON und Vattenfall 2010 und RWE mehrheitlich 2011 von ihren Übertragungsnetzen trennten.
- Durch das große Angebot erneuerbaren Stroms hat sich der Anteil der konventionellen Stromerzeugungskapazitäten von 85 Prozent im Jahre 2007 auf 68 Prozent im Jahre 2013 vermindert (AG Alternative Wirtschaftspolitik2014, S. 218).
- Die Stilllegung von acht Kernkraftwerken nach der Fukushima-Katastrophe im Jahre 2011 traf die Gewinne hart. Für den Ausgleich sorgen inzwischen billiger Braunkohlestrom und wachsende Stromexporte ins Ausland (Garnreiter 2014, S. 14).
- Billige Stromerzeugungskosten für Braunkohle und anhaltende, extrem niedrige Preise für CO2-Zertifikate begünstigen Braunkohlekraftwerke gegenüber Steinkohle- und Gaskraftwerken (Garnreiter 2014, S. 17, Grafik 4). Deshalb haben die Konzerne inzwischen damit begonnen, teure Kraftwerke abzuschalten. Mangelnde Wirtschaftlichkeit wird ins Feld geführt. Der Bundesnetzagentur lagen mit Datum vom 10.02.2015 insgesamt 48 Anträge zur Stilllegung von Kraftwerksblöcken vor, darunter 32 zur endgültigen Stilllegung.
- Die Rekommunalisierung der Energieversorgung bereitet Probleme. Die lokalen und regionalen Energieversorger sind daran interessiert, Strom-, Gas- und Fernwärmenetze wieder selbst betreiben zu können. Dafür ist die Zeit günstig. Denn die Laufzeit der Konzessionsverträge für Strom und Gas ist in dem 1990 verabschiedeten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf zwanzig Jahre festgelegt worden. Die Gesamtzahl der Konzessionen beträgt bundesweit geschätzte 20.000. Mehrere tausend davon laufen allein bis 2016 aus.
Umbau der großen Energiekonzerne in schwierigem Fahrwasser
Die Aussichten für eine rasche Änderung der Geschäftsstrategie der vier großen Konzerne werden schlechter. Die Finanzierung eines Neustarts steht vor erheblichen Problemen. Im Wesentlichen bleiben „nur noch die Desinvestition und die Rationalisierung, um die dringend benötigten finanziellen Mittel für einen Neuanfang zu mobilisieren. Bei Verkäufen von Kraftwerksanteilen muss mit Verlusten gerechnet werden. Auch der Verkauf von Beteiligungen leidet ebenfalls an der schlechten Verfassung der Branche insgesamt.“ (Greenpeace 2015, Zsfg., S.2)
Inzwischen setzen die Energiekonzerne auf den Ausbau erneuerbarer Energien einschließlich dazugehöriger Infrastruktur und auf das Geschäftsfeld der Energiedienstleistungen. Allerdings sind die vier großen Energiekonzerne bislang nur sehr schwach im Bereich erneuerbarer Energien vertreten (Greenpeace, Zsfg S. 1, 2015). Gleichzeitig stehen ihnen finanzstarke Konkurrenten – darunter kommunale Konzerne – gegenüber.
6. Umkämpfte Energiewende
Die Energiewende in Deutschland ist zwar bislang weitgehend auf den Stromsektor beschränkt geblieben, gleichwohl aber mit großen Erfolgen. So hat der Anteil von erneuerbarem Strom an der gesamten erzeugten Strommenge im September 2014 erstmals die 30-Prozent-Marke überschritten. In der Vergangenheit haben vor allem mittelständische Unternehmen, Bürger, Landwirte und Stadtwerke in die Energiewende investiert, nur in geringem Umfang die großen Energiekonzerne. Es gibt derzeit 25.000 Windräder und 1,4 Millionen Photovoltaik-Anlagen. Rund die Hälfte dieser Anlagen gehört Bürgern und Landwirten.
Die Erfolge haben die Gegner nicht ruhen lassen. Seit 2005 haben alle Novellen des EEG zu Verschlechterungen geführt (Jung 2012). Mit der Novelle des EEG im Jahre 2014 ist das bisherige Ausbautempo für erneuerbare Energien auf breiter Front verlassen worden. Der Charakter des EEG wandelt sich. Das von garantierten Einspeisevergütungen geprägte EEG wird immer stärker von marktbasierten Regelungen durchdrungen. Die faktische Abschaffung des bisherigen EEG ist mit der nächsten Novelle ab 2017 vorgesehen. Dann soll die Höhe der Vergütung anhand von Ausschreibungen festgelegt werden. Aufgrund des damit verbundenen Aufwandes werden die Chancen kleinerer Akteure sinken. Der antimonopolistische Impuls der erneuerbaren Energiewende würde vollends erlahmen. Erneut kämen große, kapitalstarke Energiewirtschaftsinteressen zum Zuge. Damit wächst die Gefahr, dass sich das institutionelle Gefüge der Energiewende deutlich verändert: von ihrer bisherigen Dezentralität hin zu zu zentralen Versorgungsstrukturen für erneuerbaren Strom.
Im Vergleich zum Stromsektor sind die großen, von fossilen Energieträgern beherrschten Bereiche Wärme und Verkehr bislang politisch völlig unzureichend in Angriff genommen worden. Nicht nur die eigentlich längst fällige Wärmewende, sondern auch der „Nationale Aktionsplan Energieeffizienz“ verbleibt unverbindlich. Kaum noch zu schaffen ist das regierungsamtliche Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu senken, bezogen auf das Basisjahr 1990. Geblieben ist ein klimapolitischer Torso im Interesse der fossilen Energiewirtschaft (Wille 2013). Es bleibt abzuwarten, wie sich die Klimapolitik angesichts des Handlungsdrucks weiter entwickelt. Es ist offen, ob und wenn ja, wie sich der jüngste Vorstoß des Bundeswirtschaftsministeriums durchsetzt, mittels einer Klimaschutz-Abgabe für den Strombereich wenigstens die ältesten und ineffizientesten Braunkohlekraftwerke aus dem Verkehr zu ziehen. Der praktikable Vorschlag hat zu erheblicher Unruhe und massiver Ablehnung im gewerkschaftlichen Bereich (IGBCE, Ver.di) und seitens Landes- und Bundespolitik geführt (Brackel 2015).
Literatur
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Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Energiewende noch unvollendet, in: Memorandum 2014, Bremen 2014, S. 199 – 224.
Becker, Peter: Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne, Bochum 2011.
Brackel, Benjamin von: Chapeau, Gabriel, Beitrag im Klimaretter.Info vom 17. April 2015, in: http://www.klimaretter.info/energie/hintergrund/18591-chapeau-gabriel; Abruf: 21.04.2015.
Brand-Schock, Ruth: Grüner Strom und Biokraftstoffe in Deutschland und Frankreich – ein Vergleich der Policy-Netzwerke, Dissertation FU Berlin, Berlin 2010; in: http://d-nb.info/1010393235/34; Abruf: 24.09.2014.
Brouns, Bernd: Konsequent für neue Energien? Das Gesetzespaket der Bundesregierung zur „Energiewende“ zementiert den Status Quo, in: Z 88 (Dezember 2011), S. 97-105.
Garnreiter, Franz: Die Konzerne blockieren die Energiewende – wir brauchen den Neuaufbau der Energiewirtschaft, in: Franz Garnreiter/Helmut Selinger: Die Energiewende im Würgegriff der Konzerne, isw-report 99, München Dezember 2014.
Greenpeace: Die Zukunft der großen Energieversorger, Studie von Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup, Prof. Dr. Ralf-M. Marquardt, Hannover/Lüdinghausen Januar 2015.
Hirschl, Bernd: Mehr Arbeit = gute Arbeit? – Beschäftigungseffekte erneuerbarer Energien, in: Politische Ökologie Nr. 125, S. 95 – 101, München 2011.
Jung, Susanne: Was die PV-Novelle brachte – Kommentar zu wichtigen Änderungen, Beitrag vom 04.09.2012; in: http://www.sfv.de/artikel/was_die_pv-novelle_bringt.htm; Abruf: 03.03.2015.
Malycha, Andreas; Winters, Peter Jochen: Geschichte der SED – Von der Gründung bis zur Linkspartei, Bonn 2009.
Pomrehn, Wolfgang: Armutsrisiko Energiewende? – Mythen, Lügen, Argumente, Rosa Luxemburg Stiftung, Berlin 2013.
Roesler, Jörg: Geschichte der DDR, Köln 2012.
Roesler, Jörg: Umweltprobleme und Umweltpolitik in der DDR, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2006.
Scheer, Hermann: Gespräch mit der Redaktion der Zeitschrift Photon, Ausgabe 11/2010, Aachen 2010; in: http://www.photon.de/photon/pd-2010-11.pdf; Abruf: 09.02.15.
Wille, Joachim: Das Gegenteil von Energiewende, in: http://www.fr-online.de/energie/leitartikel-zum-koalitionsvertrag-das-gegenteil-von-energiewende,1473634,25456522.html; Abruf: 27.02.2015.
[1] Dieser Beitrag fußt auf einem ausführlichen Beitrag des Verfassers „Hell aus dem dunklen Vergangenen. Zum Aufstieg erneuerbarer Energien in Deutschland von 1970 bis 2014“, abrufbar unter http://www.detlef-bimboes.de/Energie-und-Rohstoffe.
[2] Vgl. zu diesem Komplex die Beiträge von Elmar Altvater und Wolfgang Pomrehn in Z 100 (Dezember 2014).