Janne Mende/ Stefan Müller, Emanzipation in der politischen Bildung. Theorien, Konzepte, Möglichkeiten. Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts., 384 S., 39,80 Euro
Der Zusammenhang zwischen politischer Bildung und Emanzipation scheint unmittelbar einsichtig zu sein: Erste führt erfahrungsgemäß zu letzteren. Dabei sind die jeweiligen theoretischen Begründungen, Verfahrensweisen und Grenzen politischer Bildungsmaßnahmen so vielfältig wie unterschiedlich. Die AutorInnen des vorliegenden Sammelbandes nehmen das heterogene Feld der politischen Bildung fundiert und kritisch in den Blick und verhandeln etwa Aufklärungsmaßnahmen über lesbische/schwule/bi-/transsexuelle Lebensweisen, Gender-Trainings oder einen in der Bildungsarbeit mit migrantischen Jugendlichen ausgemachten „spezifischen Antisemitismus“ unter Jugendlichen muslimischen Hintergrunds.
Christian Geißler-Jagodzinski und Verena Haug setzen sich mit den Schwierigkeiten der Gedenkstättenpädagogik auseinander. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen steht die Frage, wie eine gesellschaftskritische Gedenkstättenpädagogik möglich ist, wenn institutionelle Vorgaben das zu Erlernende bereits vorwegnehmen. Sebastian Bischoff vergleicht Anspruch und Wirklichkeit antirassistischer Bildungsmaßnahmen in den Gewerkschaften: „Die Forderung nach verstärkten Anstrengungen der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ist aber auch deshalb nicht leicht umzusetzen, weil die gewerkschaftlichen Argumentationen selbst bisweilen eher Teil des Problems als Teil der Lösung sind.“ (376) Den AutorInnen gelingt es, eigene praktische Erfahrungen in der Bildungsarbeit reflektiert und kritisch in ihre Überlegungen einfließen zu lassen. Ihr Verhältnis zwischen Nähe und Distanz zum Gegenstand ermöglicht sowohl fachfremden LeserInnen, wie auch erfahrenen politischen BildnerInnen gewinnbringende Erkenntnisse. Stärker theoretisch orientierte Beiträge gehen dem Verhältnis von Bildung und Gesellschaftskritik nach. David Schneider bezieht sich auf die Möglichkeiten von Befreiung durch Bildung anhand der Hinweise von Humboldt und Horkheimer. Stefan Müller und Alexander Witzig diskutieren Adornos Bildungsbegriff hinsichtlich seiner gesellschaftstheoretischen und subjekttheoretischen Voraussetzungen im Kontext des Imperatives, das ‚Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole’. Dieser Beitrag bietet eine gut lesbare Einführung in die Grundmodelle der Kritischen Theorie Adornos am Beispiel des Bildungsbegriffs. Dass eine heterogene Ausrichtung durchaus produktive Diskussionen ermöglicht, zeigen die beiden sich in gewisser Weise gegenüberstehenden Beiträge von Janne Mende und Christina Kaindl. Während erstere die „Bedingungen für eine kritisch-emanzipatorische politische Bildung“ offen legt, verweist Kaindl auf die „Unmöglichkeit, emanzipatorische Ziele für andere zu setzen“. Der Sammelband kann den gesellschaftlichen Widerspruch natürlich nicht auflösen, dass Emanzipation zwar nicht vorgegeben werden kann, zugleich aber in der politischen Bildung stets angestrebt wird. Stattdessen verdeutlichen die AutorInnen die Notwendigkeit, Möglichkeiten der Emanzipation als auch repressive Momente in Bildungsmaßnahmen herauszuarbeiten. Alle (teilweise in ihren Einschätzungen stark differierenden) Beiträge verorten sich zwischen diesen spannungsvollen Polen. Die Gefahr jedoch, dass die vorliegende abgebildete Heterogenität dabei in Beliebigkeit abgleitet wird erfolgreich begegnet. Einerseits explizieren die AutorInnen ihre Grundannahmen und werden dadurch zuordenbar, andererseits orientieren sie sich an dem Ziel einer versöhnten Gesellschaft. Letztlich verweisen die HerausgeberInnen nachdrücklich auf die Schwierigkeiten politischer Bildungsarbeit innerhalb einer von Herrschaftsverhältnissen durchsetzten Gesellschaft: „Hier gilt es, nicht einfach ein Bildungskonzept durch ein nächstes, neues zu ersetzen, sondern die Gründe des Scheiterns genauer zu analysieren. […] ‚Besser machen’ kann daher auch nicht ein ausschließlich individuelles oder intersubjektives sein – die objektiven Bedingungen und Möglichkeiten sind mindestens ebenso sehr in die Überlegungen mit einzubeziehen.“ (9) Eine emanzipatorische politische Bildung kann kaum möglich sein, ohne auf gesellschaftstheoretisch fundierte Analysen zurück zugreifen.
Anne Weber