Literatur (in) der Krise

Von der Schreibkrise zur Krise des Schreibens

Zum Strukturwandel schriftstellerischer Arbeit

von Carolin Amlinger
März 2015

Das Licht dringt nur schwer durch die verschmutzte und gesprungene Fensterscheibe. Der Ofen ist kalt, einzig eine zerfranste und mottenzerfressene Wolldecke spendet Wärme. Es tropft durch das undichte Dach, ein ausgemusterter löchriger Regenschirm hält das Schlimmste ab. Unter ihm, in zerschundener, geflickschusterter Jacke, der Bewohner der elenden Kammer. Umringt von Büchern vollbringt er mit stoischem Eifer das, was er nicht lassen kann: er dichtet. Das war 1839. Der Schriftsteller ist, so könnte man meinen, seit jeher krisenerprobt. Mehr noch. Der Mythos des ‚armen Poeten’, wie er von Carl Spitzweg dargestellt wurde, suggeriert, sein ganzes Sein, seine poetische Existenz sei krisenhaft: Der Schriftsteller ringt einer existentiellen Grenzerfahrung gleichkommend um sein Werk. Er ist einsam. Er ist arm. Und trotzdem vollbringt er Geniales. Wirklich?

Im Folgenden wird ein soziologischer Blick hinter jenen Mythos des ‚armen Poeten’ gewagt. Dabei geht es weniger um die Frage, in welchen sozioökonomischen Konstellationen Schriftsteller ‚große Literatur’ – wie man dies auch immer definieren mag – zu erschaffen imstande sind, sondern vielmehr darum, wie schriftstellerische Arbeit in einem kapitalistischen Literaturmarkt produziert wird. In einem ersten Schritt wird der Versuch unternommen, den Warencharakter schriftstellerischer Arbeit zu bestimmen, um danach zu fragen, welche strukturellen Verschiebungen im literarischen Feld eine gegenwärtig zu beobachtende Krise des Schreibens begünstigen. Abschließend sollen die Auswirkungen auf die schriftstellerische Arbeit in den Blick genommen werden.[1]

Der Autor als Produzent -Schriftstellerische Arbeit als Ware

Die Arbeit des Schriftstellers ist mit dem Phantasma unbedingter künstlerischer Freiheit verbunden.[2] Doch diese Freiheit birgt real auch Risiken. So schöpferisch und frei der Arbeitsprozess auch scheint, ob die schriftstellerische Leistung schließlich erfolgreich sein wird, entscheidet sich erst mit dem Endprodukt, dem literarischen Werk. Die Qual der richtigen Formulierung, tagelange Schreibblockaden oder nächtliche Schreibmanien im Akkord – der Aufwand, der sich hinter dem Gebrauchswert Buch verbirgt, ist im fertigen Produkt nicht nur unsichtbar, sondern auch nicht von Relevanz. Jedes neue Werk, das ein Schriftsteller verfasst, ist damit tendenziell auch ein Unsicherheitsdilemma[3], wie man mit Niklas Luhmann sagen könnte: Man schreibt in eine ungewisse Zukunft hinein, denn ob man eine honorable literarische Leistung erarbeitet, entscheidet sich erst am Ende des Arbeitsprozesses – auf dem Literaturmarkt. In dieser Hinsicht bewegt sich schriftstellerische Arbeit in einer konstitutiven „Ökonomie der Unsicherheit“, in welcher der Autor ein Autorpreneur ist, der mit jeder literarischen Veröffentlichung ähnlich wie ein Unternehmer ein riskantes Geschäft eingeht.[4]

Literarische Arbeit ist eine besondere Ware. Um ihren Charakter verstehen zu können, bedarf es darum einer Differenzierung: Der Schriftsteller bestreitet als freier Autor seinen Lebensunterhalt nicht vom Verkauf seiner Arbeitskraft, sondern vom Verkauf seines Endproduktes. Er ist ein abhängiger Produzent, „der das Publikationsrecht seines ‚Geisteseigentums’ auf dem Buchmarkt gegen Honorar“[5] anbietet. Das produzierte und zum Verkauf angebotene Werk ist wiederum besonderer Art: Es wird nicht, wie materielle Güter, vollständig an einen anderen Eigentümer übertragen; qua seiner Eigenschaft, immateriell zu sein, werden bloß Nutzungsrechte verkauft.[6] Denn das immaterielle Gut Literatur kann zwar konsumiert, und ja, auch verzehrt werden, aber es ist nicht aufbrauchbar, es kann unendlich reproduziert werden. Der Wert der Ware kann nur realisiert werden, wenn der literarische Produzent potentielle Nachfrager vom Gebrauch seiner Ware ausschließt.[7] Seine Arbeit kann der Schriftsteller also nur verwerten, wenn er die wirtschaftliche Verfügungsgewalt über sein Werk erhält, d.h. sein geistiges Eigentum reklamieren kann. „Autorschaft“ wird auf einem kapitalistischen Literaturmarkt zwangsläufig „Werkherrschaft“, wie Heinrich Bosse es prägnant formuliert.[8] Der Mythos des genialen Schöpfers, der dem Schriftsteller bis heute anhaftet, geht folglich mit eben dieser Notwendigkeit einher: dem geistigen Produkt einen eindeutigen Urheber zuordnen zu können, um es als Ware tauschen zu können. Das Urheberrecht ist - im Grunde analog zum Arbeitsrecht – im doppelten Sinne Ausdruck der Kommodifizierung literarischer Arbeit: Zum einen ist es die rechtliche Manifestation der Warenform für literarische Produkte, zum anderen schützt es die Ware Literatur (und somit auch die schriftstellerische Arbeit) vor dem ungezügelten Zugriff des Literaturmarktes.

Laut Urheberrecht hat allein der Autor das Recht, sein geistiges Produkt, das Manuskript, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Trotz der wachsenden Zahl der Selfpublisher[9], die genau von diesem Recht Gebrauch machen, ist der Schriftsteller in der Regel ein abhängiger Produzent, der einen Intermediär, den Verleger, beauftragen muss, diese Aufgabe zu übernehmen.[10] Der Verleger erwirbt durch einen Verlagsvertrag das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht an dem literarischen Werk. Qua Vertragsfreiheit unterliegen weder der Verlagsvertrag noch das darin ausgehandelte Autorenhonorar einer Regulierung. Als Resultat jahrzehntelanger Arbeitskämpfe existiert seit 2005 lediglich eine vom Verband deutscher Schriftsteller (VS) ausgehandelte „Gemeinsame Vergütungsregel für Autoren belletristischer Werke in deutscher Sprache“[11] und der 2014 neu ausgehandelte Normvertrag[12], die eine Autorenbeteiligung in Höhe von 10 Prozent am Nettoladenverkaufspreis vorsehen. Dieses Autorenhonorar kann aber in „außergewöhnlichen Ausnahmefällen“ unterschritten werden.[13] Autor und Verleger sind also sehr ungleiche Vertragspartner: Der Schriftsteller ist ein abhängiger Warenproduzent, der mit seinen eigenen Arbeitsmitteln zwar autonom produziert, also im Vergleich zum angestellten Lohnarbeiter von den Produktionsmittel nicht gänzlich getrennt ist, er befindet sich aber trotz alledem in Abhängigkeit vom Verleger.[14] Der Profit des Verlegers bemisst sich darin, dass dem Autor zum einen nur ein geringer Prozentsatz am Preis der Ware zugestanden wird, der meist über einen vorab ausgehandelten Vorschuss ausgezahlt wird, und der Autor damit zum anderen zudem Teilhaber am Realisationsrisiko wird. Der Arbeitslohn des Schriftstellers bemisst sich also anhand der Anzahl der verkauften Exemplare und nicht nach der für die Herstellung der Ware notwendigen Arbeitszeit. Wie und in welchem Zeitraum die Ware Literatur zustande gekommen ist, ist, wie anfangs schon erwähnt, hierfür nicht von Relevanz. Auch wenn der Verleger keinen Einfluss auf den Produktionsprozess der Ware hat, leistet der Schriftsteller in den meisten Fällen unbezahlte Arbeit, sodass der ausgezahlte Vorschuss kaum die Reproduktion schriftstellerischer Arbeit gewährleisten kann.[15]

Schriftstellerischer Arbeit haftet zusammengefasst also die Besonderheit an, dass sie nicht nach der aufgewendeten Arbeitszeit bewertet wird, so auch Karl Marx: „Das Produkt der geistigen Arbeit […] steht immer tief unter ihrem Wert. Weil die Arbeitszeit, die nötig ist, um sie zu reproduzieren, in gar keinem Verhältnis steht zu der Arbeitszeit, die zu ihrer Originalproduktion erforderlich ist.“[16] Der Schriftsteller Dietmar Dath sieht darin die Notwendigkeit begründet, „zur Verbesserung der Verkehrsformen“ eine „Auseinandersetzung um die Entlohnung von Tätigkeiten, nicht um den Preis von Objekten“ zu führen.[17] So richtig sie ist, läuft diese Forderung allerdings unter der gegebenen kapitalistischen Produktion von Literatur Gefahr, die autonome Produktion des Schriftstellers aufzugeben, die bloß formell unter das Kapital subsumiert wird und sich einer vollständigen Unterordnung unter Marktgesetze entzieht.[18]

Abarbeiten am Markt –
Der Strukturwandel des Literaturmarktes

Allgegenwärtig ist die Klage von der Krise des Schreibens. Der Markt bedrohe die Literatur, so der Usus der Akteure im literarischen Feld. Dies war schon mit der Entstehung des freien Autors auf dem kapitalistischen Literaturmarkt im 19. Jahrhundert so und dies, glaubt man den Prognosen der Akteure, verschärft sich auf dem gegenwärtigen Buchmarkt. Das mag der Besonderheit von Kunst geschuldet sein, dass sie „zugleich ein Produkt wie ein Jenseits“ des Kapitalismus ist, wie Markus Metz und Georg Seeßlen diagnostizieren.[19] In der Kunst und in unserem Falle in der Literatur scheint das Andere des Marktes aufgehoben zu sein, sie ist ihrem Ideal nach Selbstzweck. Gleichzeitig wird genau dieses Versprechen der Kunst wiederum kapitalisiert. Doch im Zuge des Strukturwandels des Buchmarktes, der in den 1980er Jahren in Gang gesetzt wurde, scheint genau diese Funktion der Kunst im Kapitalismus bedroht: die selbstzweckhafte Kunst droht vollständig Mittel zum Zweck der Kapitalakkumulation zu werden.

Auf dem gegenwärtigen Buchmarkt gilt zunehmend das Bestseller-Prinzip: ‚Gute Literatur‘ ist diejenige, die sich gut verkauft. In der verlegerischen Programmgestaltung der 1950er bis in die 1980er Jahre versuchte man, wirtschaftliche Interessen mit kulturellen Ambitionen zu vereinen: durch eine umfassende Mischkalkulation konnte man die sachliche, ästhetische Qualität eines Buches stärker von dem ökonomischen Ergebnis, d.h. dem Markterfolg, entkoppeln.[20] So wurde versucht, niedrige Gewinne oder gar Verluste anspruchsvoller und oft wenig verkäuflicher Literatur mit hohen Gewinnen aus Bestsellern auszugleichen - durch die Buchpreisbindung war dies auch realisierbar. Das Nebeneinander von Kulturware und schützenswertem Kulturgut wird mit der Konzentration des Buchmarktes und dem Aufkommen der Konzernverlage seit den 1980er Jahren durch eine gestiegene Renditeerwartung in den Verlagshäusern partiell aufgehoben.[21] Damit wird auch die enge Verbindung zwischen Verleger und Autor, die den Autor zwar paternalistisch, aber langfristig an den Verlag band, disponibel.[22]Gerade diese bot dem Autor aufgrund der Absicherung zukünftiger Projekte eine relative Sicherheit. Der Verlagsvertrag wird so, ähnlich wie ein Werkvertrag, ein Instrument der verlegerischen Kostensenkung und Risikoexternalisierung: kann so nicht nur die Honorierung von Verlagsseite immer wieder neu verhandelt, sondern auch die Zusammenarbeit mit dem Autor bei Marktversagen jederzeit aufgekündigt werden. Der Autor ist also gegenwärtig nicht nur Teilhaber am Realisationsrisiko durch eine Honorierung, die sich an der Anzahl der verkauften Exemplare orientiert, sondern er trägt verstärkt auch das in die Zukunft projizierte Marktrisiko. So berichten einige langjährig im Literaturbetrieb etablierte Autoren, dass sich ihre feste Bindung an einen Verlag in den letzten zwei Jahrzehnten Stück für Stück, Buch für Buch, aufgelöst habe – meist, wenn sich ihre Titel nicht so gut verkauften, wie die neuen Titel erfolgversprechender Jungautoren.

Zudem wird die Honorierung der schriftstellerischen Leistung im Autorenvertrag unmittelbarer auf Marktresultate rückbezogen, es kommt zu einer wachsenden Einkommenshierarchie: Das Honorar erfolgreicher Autoren steigt, das der übrigen sinkt im Vergleich dazu aber immens. Bis auf Bestseller-Autoren geben fast alle Autoren im Gespräch an, dass ihr Honorar in den letzten zwei Jahrzehnten gesunken ist. Nicht ohne Grund nimmt parallel die Bedeutung literarischer Agenturen zu, die Verträge, Vorschüsse und Programmpositionierung für den Autor mit dem Verlag verhandeln. Damit sind Agenturen Ausdruck der Marktorientierung im Literaturbetrieb: Für die als Bestseller vermarkteten Titel zahlt der Verlag hohe Vorschüsse, die auch wieder eingespielt werden müssen.[23]

Durch die Marktzentrierung im Literaturbetrieb wird auch für Schriftsteller der Konkurrenzkampf härter.[24] Autoren müssen auf einem beschleunigten Markt, der in immer kürzerer Zeit immer mehr Bücher (und damit auch Autoren) produziert, einer Steigerungslogik standhalten. Ein Buch, das binnen sechs Wochen nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, kann trotz Buchpreisbindung als „preisreduziertes Mängelexemplar“ in Modernen Antiquariaten ‚verramscht’ werden. Der Literaturmarkt sucht in diesem Dschungel der Neuerscheinungen durch Rankings der meistverkauften Titel die Aufmerksamkeit der Leser zu generieren – am bekanntesten ist sicherlich die Spiegel-Bestsellerliste; damit werden die Autoren jedoch gleichzeitig auch nach Markterfolg selektiert. An der Spitze der literarischen Rangordnung der Bestsellerlisten stehen nicht selten Autoren, die bereits als Bestseller-Autoren reüssiert haben. Die Erfolgskonzentration auf einige wenige Autoren beruht weniger auf dem ästhetischen Wert ihrer Werke, sondern auf vorangegangenen Erfolgen. Selbstreferentiell begründet sich Bekanntheit durch Bekanntheit.

Entgegen der Marktzentrierung kommt es im literarischen Feld zu einer sich auch institutionell verfestigenden Gegenbewegung, die statt der Marktgängigkeit den literaturgesellschaftlich konstruierten ästhetischen Wert zum Maßstab der Bewertung heranzieht. Preise und Stipendien setzen sich zur Aufgabe, schriftstellerische Werke jenseits ökonomischer Verwertungskriterien zu bewerten. Oftmals fungieren sie dabei als ständische Schließungsmechanismen, die Autoren in ein hierarchisiertes Ranggefüge positionieren. Damit wird das Leistungsprinzips des Marktes, das auf Markterfolg beruht, umgekehrt: Ein Bestseller steht im literarischen Feld der ästhetischen Anerkennung nicht selten unter Verdacht, ästhetisch ohne Wert zu sein. So kommt es auch zu einer Verkehrung der Klassifikation von schriftstellerischer Leistung. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von einer „verkehrten Ökonomie“[25]: Gerade ökonomische Verluste, das Marktscheitern also, steigern das Renommee eines Schriftstellers. Wenn auch das Preisgeld nicht selten eine lukrative Einkommensquelle darstellt, so ist es vor allen Dingen das symbolische Kapital, das der einzelne Autor akkumulieren kann: die Chance auf Prestigezuwachs. Damit wird die Auszeichnungspraxis zu einem „Kampf um Anerkennung“.[26] Es geht nicht selten darum, sich im literarischen Feld möglichst exponiert positionieren zu können. So berichtet ein Autor, dass der Schriftsteller ebenso sehr Darsteller sei, der seinen künstlerischen Habitus auf dem knappen Markt der Aufmerksamkeit als Marke inszeniere.

Dass das symbolische Kapital der feldimmanenten Anerkennung durch einen Literaturpreis, der gerade den ästhetischen Wert und damit auch das ‚Marktunbequeme’ auszeichnet, wiederum in ökonomisches Kapital übersetzt wird, zeigt die Janusköpfigkeit jener „verkehrten Ökonomie“ auf: Die Preisträger der großen deutschsprachigen Literaturauszeichnungen, bspw. des Deutschen Buchpreises oder des Georg-Büchner-Preises, dürfen sich neben einer erhöhten Aufmerksamkeit auch über eine rasante Steigerung der Verkaufszahlen und nicht selten auch einen Platz auf einer Bestsellerliste freuen. Die in der Auszeichnungspraxis forcierte Gegenbewegung zum Leistungskriterium des reinen Markterfolges schlägt also letztlich wieder um in Markterfolg.

Zwischen Bestseller und writing-poor
Die Polarisierung schriftstellerischer Arbeit

Das monatliche Durchschnittseinkommen eines freien Autors beträgt laut Künstlersozialkasse ca. 1800 Euro brutto.[27] Es ist also augenscheinlich, dass der Beruf des Schriftstellers eine „prekäre Profession“[28]ist: nicht nur das Einkommen ist gering, als Solo-Selbstständige verfügen sie kaum über sozialen und rechtlichen Schutz, ihre Arbeit wird nicht verbindlich geregelt und die Planung künftiger Buchprojekte ist, wie schon ausgeführt, unsicher.

Die zunehmende Marktzentrierung des Literaturbetriebs führt nun auch zu einer gesteigerten Polarisierung im sozialen Ranggefüge der Schriftsteller. Auf der einen Seite bilden sich selbstreferentielle, geschlossene Schriftstellernetzwerke, die über den Besitz von symbolischem Kapital eine relativ gesicherte (Macht-)Position im literarischen Feld besetzen und – ähnlich wie bei der Produktion von Bestsellern – von dem Matthäus-Prinzip literarischer Auszeichnungspraxis profitieren: wer einen Preis erhalten hat, dem wird ein weiterer gegeben. Um in dieser Konkurrenzsituation bestehen zu können, versuchen einige Autoren, sich auf die Professionalisierung ihrer Arbeit, die hauptberufliche Schriftstellerkarriere, zu fokussieren. Studiengänge zum Kreativen oder Literarischen Schreiben in Hildesheim und Leipzig statten Autoren nicht nur mit Qualifikationszertifikaten aus, sondern ebenfalls mit dem symbolischen Kapital der richtigen Bekanntschaft.

Auf der anderen Seite wird für diejenigen Schriftsteller, die mit geringem symbolischen Kapital ausgestattet sind, der ökonomische Druck des Literaturmarktes zu einem entscheidenden Prekaritätsfaktor: für sie wird es immer schwieriger, sich und ihre Arbeit zu reproduzieren. Einige Autoren berichten, dass sie unter einem ‚doppelten Ausschluss’ leiden: Auf der einen Seite ist ihr literarisches Werk zu marktunbequem, um in der verlegerischen Programmgestaltung als künftiger Bestseller verhandelt zu werden, auf der anderen Seite sind sie zu wenig vernetzt, um in dem an ästhetischer Leistung orientierten Milieu des literarischen Feldes mit Preisen oder Stipendien reüssieren zu können. Das Gros der Autoren versucht darum, ihre schriftstellerische Existenz über die Deprofessionalisierung der schriftstellerischen Tätigkeit zu bestreiten. Man schreibt im oder mit Nebenberuf. Meist berichten Autoren über Tätigkeiten wie die Leitung von Schreibwerkstätten oder Auftragsarbeiten im Journalismus, die zwar berufsnah, aber ebenso prekär sind. Neben der kleinen Spitze von Autoren, die als Bestseller auf dem ökonomischen Markt oder als renommierte Preisträger in der symbolischen Anerkennung erfolgreich sind, existiert ein Gros der writing-poor, die sich damit abfinden, fortwährend zwischen mehreren (Buch)Projekten zu changieren, aber ohne Absicherung und Planungssicherheit sind.

Von dem „Ende der Bescheidenheit“, das Heinrich Böll auf dem ersten Schriftstellerkongresses des VS im Jahr 1970 forderte, scheinen die meisten Schriftsteller angesichts der gegenwärtigen Polarisierung schriftstellerischer Arbeit weit entfernt.[29] Jene writing-poor müssen sich in einem marktgängigen und schnelllebigem literarischen Betrieb bewähren, der angesichts einer immer größer werdenden literarischen Reservearmee, die auf einen Verlagsvertrag hofft, nicht nur die Konkurrenz der isoliert produzierenden Autoren, sondern auch eine veränderte Anspruchshaltung an die Entlohnung der eigenen Arbeit befördert. Entscheidend ist einzig, dass man überhaupt einen Verlagsvertrag abschließen kann, nicht wie dieser honoriert wird. Der Strukturwandel des Literaturmarktes zeitigt somit eine Krise des Schreibens, in der jede Schreibkrise die berufliche Existenz des Schriftstellers gefährden kann.

[1] Die folgenden Erkenntnisse beruhen auf bislang 23 qualitativen Interviews mit Schriftstellern und Feldexperten.

[2] Helmuth Kreuzer, Die Boheme. Analyse und Dokumentation der intellektuellen Subkultur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1971.

[3] Niklas Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin u.a. 1991.

[4] Den Begriff ‚Autorpreneur’ schulde ich den fruchtbaren Diskussionen mit Ulrich Brinkmann. Der Intrapreneur ist dadurch gekennzeichnet, dass er sich selbst nach den Maßstäben des Unternehmers (Entrepreneur) beurteilt. Zur neuen „Ökonomie der Unsicherheit“ vgl. auch Rückkehr der Leistungsfrage. Leistung in Arbeit, Unternehmen und Gesellschaft. Hg. v. Kai Dröge, Kira Marrs, Wolfgang Menz, Berlin 2008, S. 10.

[5] Georg Jäger, Autor, in: Literaturlexikon. Hg. v. Walther Killy. Bd. 13, Gütersloh/München 1992, S. 66f.

[6] Vgl. Hofmann, Jeanette: ‚Weisheit, Wahrheit und Witz’. Über die Personalisierung eines Allgemeinguts. In: PROKLA 126 (2002), S. 126-148.

[7] Zur Entstehung des geistigen Eigentums vgl. Sabine Nuss, Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus, Münster 2006, S. 178.

[8] Heinrich Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit, Paderborn 2014.

[9] Der Selfpublisher verlegt sein Werk selbst, d.h. er muss die Kosten für die Veröffentlichung und Verbreitung seines literarischen Werkes selbst vorlegen. In diesem Fall kann der Autor zwar den Gewinn einbehalten, trägt aber auch das volle Risiko durch etwaiges Marktscheitern. Selbstverlage (im E-Book-Bereich ist die Plattform „Kindle Direct Publishing“ sicherlich am bekanntesten) sind in den letzten Jahren rasant gewachsen, da einerseits ein Überangebot an Schriftstellern existiert und andererseits das volle (Kosten-)Risiko an den Autor externalisiert werden kann.

[10] Hans-Helmut Röhring, Wie ein Buch entsteht. Einführung in den modernen Buchverlag. Darmstadt 2011, S. 57f.

[11] Börsenverein des deutschen Buchhandels: Vergütungsregeln für belletristische Autoren: http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/976/Verg%FCtungsregeln%20f%FCr%20belletristische%20Autoren.pdf (Stand: Januar 2015)

[12] Verband deutscher Schriftsteller (VS): Normvertrag: https://vs.verdi.de/++file.../download/must_Verlagsvertrag.pdf (Stand: Januar 2015)

[13] Das Honorar kann auf verschiedene Weise ausgezahlt werden, von einem einmaligen Vorschuss, über einem Vorschuss, der in drei Teilen ausgezahlt wird, bis hin zu einem Staffelhonorar, das ab einer bestimmten Auflage auch eine prozentual höhere Beteiligung am Verkaufspreis vorsieht.

[14] Das Arbeitsverhältnis zwischen Verleger und Autor hat durchaus Parallelen zum Verlagswesen im Frühkapitalismus, vgl. Karl Marx, Das Kapital. Band 3, in: Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, Band 25, Berlin 1964, S. 347-49.

[15] Die Höhe des ausgezahlten Vorschusses hängt stark von der Handlungsmacht der Akteure ab: Besitzt der Autor eine hohe Reputation im literarischen Feld (durch ästhetische oder ökonomische Anerkennung), kann sich das Verhältnis durchaus umkehren; in diesem Fall zahlt der Verleger, da er hohe Verkaufszahlen erwartet, extrem hohe Vorschüsse.

[16] Karl Marx, Theorien über den Mehrwert. Erster Teil. In: Marx/Engels, Werke. Band 26.1, Berlin 1964, S. 329. Ob der Wert der Ware Literatur nun tatsächlich nach der aufgewendeten Arbeitszeit bemessen werden kann, kann an dieser Stelle nicht dargelegt werden. Fest steht, dass er de facto im literarischen Feld gesellschaftlich konstruiert wird, es fließen externe Faktoren, wie bspw. die Reputation des Autors, aber auch der zugeschriebene ‚ästhetische Wert’ der Ware in die konkrete Preisgestaltung, d.h. die Höhe des gezahlten Honorars, mit ein. Dies hat Pierre Bourdieu anschaulich für die französische Literatur des 19. Jahrhunderts analysiert, vgl. Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a. M. 2001.

[17] Dietmar Dath, Dichtung gegen Dumpinglohn – Von der Ökonomie des Schreibens, in: Bücherdämmerung. Über die Zukunft der Buchkultur. Hgg. v. Detlef Bluhm. Darmstadt 2014, S. 29f.

[18] Walter Benjamin fordert in Der Autor als Produzent aus der konstitutiven Autonomie schriftstellerischer Produktion, Autoren müssten den Produktionsapparat nicht bloß beliefern, sondern diesen auch verändern: „Seine [die des Autors, Anm. C.A.] Arbeit wird niemals nur die Arbeit an Produkten, sondern stets zugleich die an den Mitteln der Produktion sein.“ Walter Benjamin, Der Autor als Produzent, in: ders., Gesammelte Schriften, Band II 2, Frankfurt/Main 1991, S. 696.

[19] Markus Metz/Georg Seeßlen, Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld. Ein Pamphlet, Berlin 2014, S. 41.

[20] Vgl. Wolfram Göbel, Warum verändern Verlage ihre Profile? In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 25 (2000), S. 168-182.

[21] André Schiffrin, Verlage ohne Verleger. Über die Zukunft der Bücher, Berlin 2000.

[22] Das Prinzip Unseld war als Gegenentwurf zur disponiblen Marktorientierung ebenso legendär wie mythisch aufgeladen: Im literaturbetrieblichen Diskurs steht der Verleger Siegfried Unseld emblematisch für einen Feudalherrn, der zwar ein beneficium, eine vorgeschossene materielle verlegerische Wohltat für den Autor leistet, jedoch als Gegenleistung vom Autor nicht nur Fron, sondern auch unbedingte, lebenslange Treue für die Verlagsautorität erwartet.

[23] Agenten verhandeln bspw. auch einen „Bestsellerparagraphen“, der „Sonderzahlungen oder Staffelungen der prozentualen Beteiligungen regelt, wenn ein Titel auf der Bestsellerliste auftaucht“. Rainer Schmitz, Mythos Bestseller. Das Geschäft mit dem Erfolg, in: Kodex 2 (2012). Bestseller und Bestsellerforschung, S. 1-21, hier: S. 12.

[24] Zu Prozessen der Marktzentrierung vgl. Ulrich Brinkmann, Die unsichtbare Faust des Marktes. Betriebliche Kontrolle und Koordination im Finanzmarktkapitalismus, Berlin 2011.

[25] Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a. M. 2001, S. 134.

[26] Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt a. M. 2012.

[27] Künstlersozialkasse: Durchschnittseinkommen Versicherte. Vgl. http://www.kuenstlersozialkasse. de/wDeutsch/ksk_in_zahlen/statistik/durchschnittseinkommenversicherte.php (Stand: Januar 2015).

[28] Walther Müller-Jentsch, Die Kunst in der Gesellschaft, Wiesbaden 2012, S. 85.

[29] Vgl. Frank Benseler,/Hannelore May,/Hannes Schwenger, Literaturproduzenten! Berlin 1970.