Bürgerbewegung von rechts

Die PEGIDA-Proteste und ihre Ursachen

von Gerd Wiegel
März 2015

Im Oktober 2014 stellte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin die Studie „Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014“ vor, mit der die im zweijährigen Rhythmus von der FES herausgebrachten Rechtsextremismusstudien und die vom Bielefelder Interdisziplinären Zentrum für Konflikt- und Gewaltforschung über zehn Jahre betriebenen Studien unter dem Titel „Deutsche Zustände“ zusammengeführt wurden.[1] Bezogen auf die hier wie in den Vorläuferstudien abgefragten Dimensionen rechtsextremer Einstellungen (Befürwortung Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus) konstatieren die Forscher und Forscherinnen einen weiteren Rückgang solcher Einstellungen und den niedrigsten Stand der Zustimmung zu den Dimensionen rechtsextremer Einstellungen seit Beginn der Befragungen 2002.[2] Vor dem Hintergrund einer anwachsenden Zahl von Protesten gegen Flüchtlinge, wie sie seit 2012 zu beobachten sind, und vor dem Hintergrund der Erfolge der Alternative für Deutschland (AfD) verwundert ein solches Ergebnis. Liest man die Mitte-Studie jedoch weiter, wird schnell deutlich, dass für Entwarnung kein Grund besteht, denn die Studie liefert Belege dafür, dass Einstellungen, die von den Bielefelder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter dem Stichwort der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ seit 2002 in den „Deutsche(n) Zustände(n)“ erfasst wurden, keineswegs marginal geworden sind. Deutlich wird vielmehr, dass die Erfolge der AfD oder das Erscheinen einer weitgehend regionalen rassistisch grundierten Bürgerbewegung unter dem Titel „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) mit der einfachen Etikettierung als „rechtsextrem“ nur unzureichend analysiert werden können, wenngleich sich Ideologiemomente der extremen Rechten hier wie dort finden. Die politischen Ursachen für eine solche Entwicklung liegen jedoch in der Mitte der Gesellschaft, weshalb die Frage, ob es sich bei der AfD oder PEGIDA um Ausdrucksformen der extremen Rechten handelt, sekundär ist, geht man davon aus, dass es zwischen Mitte und extremer Rechter keine starren Grenzen, sondern allenfalls eine fluide Abgrenzung gibt.

PEGIDA-Proteste

Die krisenhafte Entwicklung in vielen Teilen der Welt, verbunden mit verstärkten Bürgerkriegen in zahlreichen Ländern, führt seit Jahren zu anschwellenden Fluchtbewegungen, von denen nur die wenigsten Flüchtlinge die Länder des reichen Westens erreichen. Die Abschottung der europäischen Außengrenzen (Frontex) führt immer wieder zu Massensterben vor den Küsten Europas und zu Bildern, wie man sie aus Lampedusa und anderen Orten kennt. Trotz der im weltweiten Maßstab geringen Aufnahmen von Flüchtlingen in Europa sind auch in Deutschland die Zahlen der Flüchtlinge seit 2012 deutlich angestiegen. Verbunden mit einer innereuropäischen Migration aufgrund des Armutsgefälles und der krisenhaften Entwicklung in zahlreichen EU-Staaten spielt das Thema Flucht/Zuwanderung – häufig ohne größere Differenzierung zwischen den völlig unterschiedlichen Motivationen dieser Gruppen – eine zunehmende Rolle in der politischen Debatte und mobilisiert Ängste, die in unterschiedlicher Form politischen Ausdruck finden.

Seit 2012 ließ sich eine breitere Mobilisierung der extremen Rechten beobachten, die die Einrichtung von Unterkünften für Flüchtlinge zum Anlass für Aufmärsche gegen diese Unterkünfte nahm und auch auf eine gewisse Unterstützung der örtlichen Bevölkerung bauen konnte. Der Ort Schneeberg in Sachsen erlangte 2013 einige Bekanntheit, gelang es der NPD hier doch über mehrere Wochen, eine stattliche Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern gegen die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft zu mobilisieren. Ähnliche Mobilisierungen gelangen der NPD auch an anderen Orten, wodurch die Zahl dieser rassistischen Proteste enorm angestiegen ist.[3] Die aktive und in zahlreichen Fällen steuernde Rolle der extremen Rechten sorgte aber dafür, dass der Zulauf zu diesen Bewegungen begrenzt blieb und sie schnell als Aktionen der extremen Rechten diskreditiert werden konnten.

Einen überraschenden Mobilisierungserfolg hatte ein Bündnis von Fußball-Hooligans und extremen Rechten unter dem Titel „Hooligans gegen Salafismus“ (HoGeSa), das Ende Oktober 2014 ca. 4.500 TeilnehmerInnen zu einer teils gewalttätigen Demonstration nach Köln und drei Wochen später immerhin noch 1.500 Menschen nach Hannover mobilisierte. Die organisatorische Struktur des Bündnisses aus Nazis und Hooligans, verbunden mit der offensichtlichen Gewaltbereitschaft, bot aber Gewähr dafür, dass ein Brückenschlag zur bürgerlichen Mitte trotz des Themas Islamismus nicht gelang.

Die seit Herbst 2014 aktive PEGIDA-Bewegung in Dresden muss, was ihre thematische Ausrichtung, ihre organisatorische Aufstellung und auch ihre Anhängerschaft und ihre Mobilisierungsfähigkeit anbelangt, differenzierter beurteilt werden. Begannen die PEGIDA-Spaziergänge im Oktober 2014 mit ca. 350 TeilnehmerInnen, steigerten sie sich rasch im November auf über 1.000, um dann kontinuierlich auf 5.500 (24. November 2014), 7.500 (1. Dezember 2014), 10.000 (8. Dezember 2014), 15.000 (15. Dezember 2014) und 17.500 (22. Dezember 2014) zu steigen. Auch nach der „Weihnachtspause“ blieb der Zulauf zu PEGIDA in Dresden ungebrochen, kamen doch zum ersten Aufmarsch 2015 am 5. Januar 2015 18.000 Personen und nach den Terroranschlägen von Paris 25.000 Personen am 12. Januar – immer laut Polizeiangaben. Mit dieser kontinuierlichen Steigerung des Zulaufs hat es PEGIDA am Jahresende 2014 geschafft, zu einer bundesweit diskutierten Bewegung zu werden, die Politikerinnen und Politiker aller Parteien zu Stellungnahmen veranlasste, obwohl es sich um eine bis dahin regional begrenzte Bewegung handelte. Deutlich wurde dadurch der sicherlich zutreffende Eindruck in der Politik, dass mit den Dresdener Aufmärschen eine Stimmung zum Ausdruck gebracht wurde, die nicht auf Sachsen beschränkt ist, wenngleich es in anderen Städten bisher nicht gelungen ist, den Erfolg von PEGIDA in Dresden zu wiederholen.[4]

Weder eine Partei noch eine andere etablierte politische Gruppierung zeichnete für die Organisation der Aufmärsche verantwortlich. Nach eigenen Aussagen handelt es sich bei den Organisatoren um einen Kreis von ca. 12 Personen, von denen zunächst der ursprüngliche Sprecher Lutz Bachmann zu einiger Bekanntheit gelangte, vor allem durch sein Vorstrafenregister und eine Verurteilung wegen Drogenhandels, der er sich durch Flucht nach Südafrika entzog, was im eklatanten Widerspruch zur von der Bewegung vertretenen Null-Toleranz für verurteilte Straftäter steht. Aber damit waren vor allem ausländische Straftäter gemeint. Ende Januar wurden dann deutlich rassistische Äußerungen von Bachmann im Internet bekannt, wo er auch als Hitlerverschnitt posierte, was das PEGIDA-Bündnis in der Folge spaltete.

Ideologische Inhalte von PEGIDA

Antimuslimischer Rassismus

PEGIDA richtet sich nicht primär gegen die konkrete Unterbringung von Flüchtlingen in einem Stadtteil, sondern nimmt ein Thema auf, das im Jahr 2014 zurecht viele Menschen in Schrecken versetzt hat: den militanten Islamismus, wie er in den terroristischen Aktionen des Islamischen Staates (IS) und ihren per Videobotschaft verbreiteten Hinrichtungen grausame Bekanntheit erlangte. Die Abscheu vor den Taten des IS und auch die Anschläge islamistischer Terroristen wie jüngst in Paris sind ein starker Anknüpfungspunkt für eine Bewegung, die jedoch weniger die Ablehnung dieser Taten als vielmehr die vermeintliche Bedrohung des „Abendlandes“ durch den Islam zum Thema macht und somit eine Bedrohung durch den Islamismus in Deutschland behauptet. Anders als die traditionelle extreme Rechte richtet sich PEGIDA in ihren Äußerungen nicht gegen jede Form der Zuwanderung, sondern bezieht sich auf eine vermeintlich reale Bedrohung durch einen militanten Islamismus, der sich angeblich auch in Deutschland breit mache.[5] Durch diese rhetorische Einschränkung – nicht alle Flüchtlinge sind verbales Objekt der Ablehnung, sondern nur der allgemein als menschenverachtend und bedrohlich empfundene Islamismus – gelingt PEGIDA eine rhetorische Abgrenzung zur extremen Rechten, was für den relativen Massenanhang der Bewegung wichtig ist. Über das Vehikel der Ablehnung des Islamismus kann ein generelles Bedrohungsgefühl zum Ausdruck gebracht werden, das sich mit jeder Form der (eingebildeten) Fremdheit verbindet und die Konstruktion einer objektiven Grenze vornimmt, die nicht überschritten werden darf. Die eigene Gruppe wird als „patriotische Europäer“ und als „Abendland“ definiert, womit die PEGIDA-Initiatoren den Nationalismus der extremen Rechten geschickt hinter sich lassen. „Europa“, nicht die Nation, ist die Größe, die es gegen Bedrohungen zu verteidigen gilt. Und über den Terminus „Abendland“ soll die als christlich (manchmal auch jüdisch-christlich) definierte gemeinsame Grundlage dieses Europas gekennzeichnet werden.

Klar wird dabei, dass der Feind nicht allein im Islamismus, sondern im Islam generell gesehen wird, denn der sprachliche Gegensatz zum Abendland ist das mit dem Islam assoziierte Morgenland. Würde man die TeilnehmerInnen der PEGIDA-Demonstrationen fragen, was sie als gemeinsame Werte Europas bzw. des Abendlandes verstehen, würden die Antworten sicherlich sehr diffus ausfallen. Ähnlich sähe es wohl bei der christlichen Grundlage aus, die in einem Land wie Sachsen (so wie in allen ostdeutschen Bundesländern) nur eine sehr begrenzte Basis hat. Doch dienen solche Wir-Gruppen-Beschreibungen in der Regel weniger dem eigenen Selbstverständnis als der Abgrenzung gegen eine als nicht dazugehörig definierte Fremdgruppe. Diese Tendenz zur Homogenisierung von Fremd- und Eigengruppe macht PEGIDA zu einer rassistischen Bewegung.

Ablehnung etablierter Politik

Ist der antimuslimische Rassismus bestimmend für die öffentliche Wahrnehmung der Bewegung, so ist doch ein zweites Thema mindestens so bestimmend und für die Mobilisierung vielleicht sogar zentraler: das generelle Misstrauen gegen die etablierte Politik und gegen die Medien. PEGIDA bringt über den Antiislamismus ein Misstrauen gegen die etablierte Politik zum Ausdruck, das kennzeichnend für alle rechtspopulistischen Bewegungen in Europa ist[6], sich potenziell ganz unterschiedliche Ausdrucksformen suchen kann und insofern möglicherweise der zentralere und längerfristige Ausdruck von PEGIDA ist.

Die aktuelle Zuwanderungspolitik wird von PEGIDA als Beispiel für eine Politik dargestellt, die an den Bedürfnissen und Erwartungen der Bevölkerung systematisch vorbeigehe. Politik, egal welcher Couleur, habe sich von den Alltagssorgen der Menschen so weit entfernt, dass es zu einer unüberbrückbaren Kluft zwischen „denen hier unten“ und „denen da oben“ gekommen sei. Die Medien werden als Teil des Herrschaftsapparates wahrgenommen, die nur im Sinne der Herrschenden politisch korrekte Sichtweisen spiegelten und an den Bedürfnissen der Bevölkerung ebenfalls vorbeigingen. So stehen die „Lügenpresse“ genau wie „die Politiker“, völlig unabhängig von ihrer jeweiligen politischen Ausrichtung, am Pranger der Bewegung. Kennzeichnend für PEGIDA ist, ähnlich wie schon bei den Montagsdemos zum Thema Frieden im Sommer 2014, die Ablehnung des Rechts-Links-Schemas und die Weigerung, sich selbst politisch zu verorten. Dieser antipolitische Affekt, der jedoch nicht als apolitisch begriffen werden darf, hat reale und begründete Ursachen, ist in seiner politischen Ausrichtung jedoch reaktionär. Dazu weiter unten mehr.

Allen Beobachtern zufolge handelt es sich bei den Anhängern von PEGIDA in der Mehrheit um ein heterogenes Spektrum von Menschen aus der bürgerlichen Mitte. Organisierte Nazis sind bei den Protesten vertreten und werden auch geduldet, sie sind jedoch nicht die Wortführer und spielen quantitativ eine marginale Rolle. Was sich in Dresden zeigt ist der „Wutbürger“ in seiner reaktionären Form, der vor der Übernahme rechter Parolen nicht zurückscheut und mit der Überzeugung des „man wird das ja wohl noch mal sagen dürfen“ einen Alltagsrassismus zum Ausdruck bringt, der in Deutschland generell eine starke Verbreitung hat. Qualitativ völlig neu ist an PEGIDA allerdings, dass sich diese Stimmungen in realen Protesten auf der Straße manifestieren und sich nicht nur im Netz oder isoliert an der Wahlurne Luft verschaffen.

Klassenmäßig scheint es sich, bei aller Vorsicht, mehrheitlich nicht um einen sozial prekären Teil der Bevölkerung zu handeln. Eine Befragung der TU Dresden unter Anhängern von PEGIDA kommt zu dem Ergebnis, dass der durchschnittliche Teilnehmer männlich, um die 50 und gut ausgebildet ist, der Mittelschicht entstammt und über ein überdurchschnittliches Einkommen im Landesverhältnis verfügt. Die Mehrheit habe einen hohen Bildungsabschluss. Zwei Drittel der Befragten fühlen sich keiner Partei verbunden. Für drei Viertel der Befragten spiele das Thema „Islamisierung“ keine hervorgehoben Rolle, Hauptmotiv ist hingegen eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik, die von 54 Prozent der Befragten geäußert wurde.[7] So sollen zum Organisatorenkreis um Bachmann eine Wirtschaftsberaterin, ein Lackierer, ein ehemaliger Hamam-Besitzer, ein früherer CDU-Stadtrat aus Meißen und ein Sicherheitsunternehmer gehören.[8] Auch wird häufig von Kleinunternehmern, Anwälten und Selbstständigen als TeilnehmerInnen berichtet. Es scheint so, als würde PEGIDA ein Publikum repräsentieren, das sich mit den Schriften eines Thilo Sarrazin voll identifizieren kann und das diesen Rassismus jetzt auf die Straße trägt. Wohlstandschauvinismus ist Triebfeder eines Teils der Bewegung, der seinen hart erarbeiteten Lebensstandard durch Zuwanderung gefährdet sieht bzw. nicht bereit ist, die Kosten für diejenigen zu tragen, die nicht in gleicher Weise zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes beitragen, wie man es sich selbst zuspricht. Für rechtspopulistische Bewegungen ist eine solche Motivation in Teilen typisch, wie vor einigen Jahren die SIREN-Studie belegt hat.[9] Daneben spielt ein Konkurrenzrassismus eine Rolle, der in Zuwanderern eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und um spärlicher werdende Mittel sozialer Umverteilung sieht, die mittels rassistischer Ausgrenzung ausgeschlossen werden soll.

Gründe für den Erfolg von PEGIDA

Was sind die Gründe für den Erfolg von PEGIDA, was sind die dahinterstehenden ideologischen Motivationen, warum handelt es sich bisher um ein regionales Phänomen und welche Potenziale für eine rassistische Mobilisierung zeigen sich hier?

Menschenfeindliche Einstellungen

Die Ergebnisse der aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Ablehnung des Islam in Deutschland zeigen, dass PEGIDA eine Stimmung zum Ausdruck bringt, die sich in großen Teilen der deutschen Bevölkerung finden lässt. Demnach empfinden 57 Prozent der Befragten den Islam als „bedrohlich“ oder „sehr bedrohlich“. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die abgefragte Einstellung der Muslime in Deutschland zu Demokratie und Integration so ganz anders ist, als sie von den PEGIDA-Anhängern unterstellt wird. Demokratie, Meinungsfreiheit und religiöse Toleranz werden von der deutlichen Mehrheit der Muslime befürwortet.[10]

Sieht man sich ergänzend und darüber hinausgehend die Ergebnisse der aktuellen Einstellungsuntersuchung zu den Dimensionen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit an[11], dann ergeben sich trotz eines Rückgangs im Zeitverlauf noch immer hohe Werte für Einstellungen, die für eine Bewegung wie PEGIDA von Bedeutung sind. Islamfeindlichkeit (weitergehend als Ablehnung des Islam) findet sich bei 17,5 Prozent der Befragten, generelle „Fremdenfeindlichkeit“ bei 20 Prozent, die Abwertung von asylsuchenden Menschen findet sich bei 44,3 Prozent der Befragten. Den höchsten Wert verzeichnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Abwertung von langzeitarbeitslosen Menschen mit 47,8 Prozent. Vermittelt spielt auch dieses Thema für die Anhänger von PEGIDA eine Rolle, ähnlich wie die Forderung nach Vorrechten für Etablierte, die von 38 Prozent befürwortet wird. Alle angeführten Werte liegen im Osten noch einmal höher; die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Zuwanderung wird hier aufgrund der gefährdeteren sozialen Lage verstärkt als Konkurrenz empfunden, auf der anderen Seite fehlen aufgrund des geringen Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund in Ostdeutschland reale Erfahrungen, die vorhandenen Vorurteilen entgegenstehen könnten.[12] Sozialstrukturell wurden die Einstellungsbefragungen noch einmal nach der Selbsteinschätzung „Oben, Mitte, Unten“ vorgenommen, wobei die Personen, die sich selbst als „Mitte“ einschätzten, die geringsten Zustimmungswerte, die Personen die sich als „Unten“ einschätzen, die höchsten Zustimmungswerte aufweisen. Interessant bezogen auf PEGIDA ist hier, dass die genannten Einstellungen gerade auch bei den Leistungsträgern verstärkt vorhanden sind. Hier könnten sich neben rassistischen Einstellungen aggressive Formen einer Leistungsideologie äußern, die sich gegen schwache Gruppen in der Gesellschaft richtet, die den Leistungsanforderungen nicht entsprechen, denen man sich selbst unterworfen hat. Eva Groß und Andreas Hövermann sprechen in diesem Zusammenhang von einem „marktförmigem Extremismus“, den sie als „verallgemeinerte neoliberale Norm der Selbstoptimierung“, Verallgemeinerung der Wettbewerbsideologie und „ökonomistische Werthaltungen“ im Sinne einer ökonomischen Kriterien unterworfenen Bewertung von ganzen Bevölkerungsgruppen definieren.[13] Mit Blick auf das sich hier abzeichnende politische Potenzial für eine Partei wie die AfD schreiben Groß/Hövermann: „Gerade in dieser Verbindung von Bedrohungsängsten und marktförmigem Extremismus vermuten wir darüber hinaus ein gesellschaftliches Potential, an das gegenwärtige politische Mobilisierungsversuche anknüpfen, die durch ihre Verbindung von Wettbewerbslogiken mit Bedrohungsszenarien, Nationalismus und Menschenfeindlichkeit als wettbewerbspopulistisch bezeichnet werden können.“[14] Auf die Verbindung von PEGIDA mit der AfD wird später noch genauer eingegangen.

Bedrohungsängste, auch ökonomisch motivierte, spielen für die Anhänger von PEGIDA sicherlich eine Rolle, jedoch bildet ein Bündel abgrenzender, hier als Rassismus vereinheitlichter Einstellungsmuster die Basis; anders wäre es nicht zu erklären, wie bei einem Ausländeranteil von zwei Prozent und einem kaum messbaren Anteil von Menschen mit islamischem (geschweige denn islamistischem) Hintergrund Bedrohungsgefühle oder Konkurrenzsorgen die Menschen zum Protest veranlassen sollten.

Die angeführten Zahlen sind seit langem bekannt und im Zeitverlauf eher nicht auf einem dramatischen Stand. Das Potenzial für eine solche Bewegung und auch für die parlamentarische Vertretung einer solchen Bewegung ist also seit langem vorhanden. Die Frage ist, warum es gerade jetzt so offensichtlich zum Ausdruck kommt und was seine regionalen Besonderheiten sind. Dieser Frage soll nach einem Blick auf das zweite Standbein der Bewegung, der Ablehnung von etablierter Politik und Presse, nachgegangen werden.

Demokratiekritik

Neben dem Thema Zuwanderung ist die allgemeine Kritik an der etablierten Politik für die Mobilisierung von PEGIDA von herausragender Bedeutung. Zusätzlich zu seiner völkischen Implikation beinhaltet der in Dresden gerne skandierte Schlachtruf von 1989, „Wir sind das Volk“ den Vorwurf, die etablierte Politik vertrete nicht (mehr) die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Diese häufig fälschlich als „Politikverdrossenheit“ apostrophierte Einstellung führt seit Jahren zu sinkenden Wahlbeteiligungen und zu einer Abwendung größer werdender Teile der Bevölkerung vom politischen Betrieb. Die Unzufriedenheit gegenüber einer sich als alternativlos darstellenden Politik des (ökonomischen) Sachzwangs führt immer öfter zu Bürgerprotesten, die in ihrer politischen Ausrichtung völlig unterschiedlich sein können. Stuttgart 21 gehört ebenso in diese Reihe wie die aktuellen Proteste in Dresden. Der berechtigte Protest der Bürgerinnen und Bürger gegen eine von Colin Crouch als „Postdemokratie“ bezeichnete Entwicklung[15], die im Übrigen auch ein wichtiger Nährboden für die AfD ist, kann politisch also völlig unterschiedlich ausgeprägt sein.

In Dresden wendet sich der Protest gegen eine Politik, die, bei allen Unterschieden, endlich anerkannt hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Aus Sicht der PEGIDA-Demonstranten richtet sich eine solche Politik gegen „das Volk“, das hier als homogen und biodeutsch imaginiert wird. Zwar behaupten die PEGIDA-Organisatoren in ihren wenigen Stellungnahmen immer wieder, sie seien nicht generell gegen Ausländer, die O-Töne von den Anhängern der Proteste, die Parolen und Plakate und auch die Duldung von Mitgliedern der extremen Rechten bei den Protesten zeigen aber, dass es sich hier vor allem um eine rhetorische Abgrenzung von rechts außen handelt.[16] Die Aufforderung der Organisatoren an die TeilnehmerInnen, nicht mit der Presse zu sprechen, basiert genau auf der Sorge, dass das wahre Gesicht von PEGIDA dann in seiner hässlichen Form zum Ausdruck kommt.

Für die Mobilisierungsfähigkeit von PEGIDA sind die teilweise deutlichen Ablehnungen aus der Politik, bis hin zur Kanzlerin, eher förderlich gewesen, bestätigen sie doch das Selbstbild der vom Volk abgehobenen Politikerklasse, von der man sich verachtet fühlt.

Im Rahmen der Mitte-Studie wurden auch die Inhalte der Demokratiekritik untersucht, die in verschiedenen Facetten eine breite Unterstützung in der Bevölkerung findet. Anne Klein konstatiert, dass zahlreiche aktuelle Studien eine Krisendiagnose der Demokratie vornehmen, die Anlass für vorhandene Unzufriedenheit sind: „Demnach werden demokratische Entscheidungsprozesse zunehmend von ökonomischen Interessen dominiert, während andere Interessen kaum mehr durchsetzungsfähig sind.“[17] Die berechtigte Kritik an dieser „Demokratieentleerung“ kann jedoch ganz unterschiedliche Ausprägungen annehmen, weshalb Klein fünf Arten der Demokratiekritik unterscheidet: Demokratieermäßigung (politische Entscheidungen orientieren sich an ökonomisch starken Gruppen, Einfluss der Bevölkerung schwindet), Demokratieaushöhlung (Einschränkung von Freiheitsrechten), Demokratievernachlässigung (sinkendes Engagement der Zivilgesellschaft), Demokratiemissachtung (Korruption, Lobbyismus) und Demokratiezweifel (Funktionsfähigkeit von Demokratie wird generell bezweifelt).[18] Alle Kritikpunkte bis auf die Demokratieaushöhlung treffen auf breite Zustimmung von mehr als 70 Prozent der Befragten. Beim Abgleich dieser Daten mit den Aussagen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zeigt sich, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen einer generellen Ideologie der Ungleichheit und ausgeprägten Zweifeln an der Demokratie (Demokratiezweifel) und der pauschalen Kritik an Politikerinnen und Politikern (Demokratiemissachtung) gibt: „Bei Personen, die allgemeine Demokratiezweifel haben, ist die Zustimmung zu rassistischen Aussagen höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Noch deutlicher zeigt sich dies bei Personen, die eine pauschale Kritik an Politikern üben. Dies ist häufig auch ein Ansatzpunkt rechtspopulistischer Politiker, die sich gezielt als ‚Saubermann‘, rechtschaffen und bürgernah geben und sich so von Politikern demokratischer Parteien abgrenzen.“[19]

Bei PEGIDA zeigt sich genau diese Verbindung von pauschaler Politikschelte und rassistischen Positionen, womit die auf den ersten Blick berechtigte Demokratiekritik zum Ausdruck einer autoritären Bewegung wird, die keine Ansatzpunkte für eine emanzipative Politik beinhaltet.

Warum Dresden?

Trotz zahlreicher Versuche ist es nicht gelungen, die Proteste im Sinne PEGIDAs auf andere Städte und Regionen Deutschlands auszuweiten, was natürlich die Frage aufdrängt, warum PEGIDA ausgerechnet in Dresden so erfolgreich ist. Was als regionale Bewegung begann, hat über das Anwachsen der Aufmärsche schnell eine bundesweite Aufmerksamkeit bekommen, die eine Ausstrahlung weit über Dresden und Sachsen hinaus hat. Insofern handelt es sich bei den „Montagsspaziergängen“ nicht mehr um ein regionales Phänomen, sondern Anhänger und Anhängerinnen aus ganz Deutschland kommen Montag für Montag in die sächsische Hauptstadt. Offensichtlich ist es wesentlich attraktiver, sich an eine erfolgreich platzierte Marke anzuhängen, als in den eigenen Städten mühsam von vorne anzufangen.

Politisch wird Sachsen seit nunmehr 25 Jahren von einer konservativen CDU regiert, die innerhalb der Union sicherlich zu den rechtesten Landesverbänden zu zählen ist. Schon Kurt Biedenkopf attestierte den Sachsen – entgegen der offensichtlichen Realität – eine Immunität gegenüber Rechtsextremismus, womit jede Form reaktionär-konservativer Vorurteile legitimiert wurde. Zehn Jahre lang war die NPD im sächsischen Landtag vertreten und ihr knappes Scheitern 2014 (4,9 Prozent) bei einem gleichzeitig herausragenden Ergebnis für die AfD (9,7 Prozent) zeigt, wie groß das Potenzial für rechte politische Angebote in Sachsen ist. Dass der Feind links steht und die politische Rechte viel weniger gefährlich ist als häufig behauptet wird, dafür stehen die ideologischen Schmieden der Totalitarismustheorie, die mit Uwe Backes am Hannah-Arendt-Institut in Dresden und Eckhardt Jesse an der TU Chemnitz ihre Speerspitzen haben bzw. hatten. Die geradezu zwanghafte Verfolgung von Antifaschistinnen und Antifaschisten durch die sächsische Justiz zeigt, dass diese Stimmung ihren Niederschlag gefunden hat.

Ein Moment kommt hinzu, das über die Spezifik Sachsens hinausgeht, das aber für die Inszenierung der PEGIDA-Aufmärsche von Bedeutung ist. Mit den „Montagsspaziergängen“ und dem Ruf „Wir sind das Volk“ wird an die Tradition der erfolgreichen Bürgerbewegung von 1989 angeknüpft. Die Form der Mobilisierung und die Tradition, in die man sich stellt, vermittelt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern den Eindruck, für eine berechtigte und ehrenwerte Sache einzustehen und einen Kampf fortzusetzen, in dem man sich – wenn auch häufig nur imaginär – gerne selbst verortet. Die Spezifik Dresdens, Sachsens und darüber hinaus Ostdeutschlands könnte dabei ausmachen, dass die Erfahrung eines erfolgreichen und umwälzenden Protestes noch gegenwärtig ist, hat man doch hier die Erfahrung gemacht, dass sich scheinbar ganze politische Systeme durch beharrlichen Protest überwinden lassen. Während damals schließlich die Hoffnungen der Mehrheit auf den Retter aus dem Westen gerichtet wurden, der einem eine eigene Stimme und Richtung gab, der man nur noch passiv folgen musste, bleibt die Frage, wie PEGIDA heute ihre Forderungen umsetzen will und welche Forderungen das genau sind. Gegenwärtig bietet sich die AfD als parteipolitischer Ausdruck für PEGIDA an.

PEGIDA und die AfD

Mit Fug und Recht kann die AfD als parlamentarischer Arm von PEGIDA bezeichnet werden – jedenfalls was die Landesverbände in Sachsen, Brandenburg und Thüringen angeht. Der vor allem auf einer rechten, zuwanderungsfeindlichen und in Teilen rassistischen Wahlkampagne beruhende Erfolg dieser drei Landesverbände bei den Landtagswahlen 2014 hat eine deutliche Verschiebung der AfD nach rechts zur Folge gehabt. War für die Gründungs- und Aufstiegsphase der AfD bis zur Europawahl 2014 noch der national-liberale Flügel der Partei dominant (seit Jahresanfang 2014 im Kampf mit dem rechtspopulistischen Flügel), so hat sich dieses Gewicht seit dem Herbst 2014 eindeutig zu Gunsten des Rechtsaußen-Flügels der Partei verschoben. Die Landesvorsitzenden Alexander Gauland (Brandenburg), Frauke Petry (Sachsen) und Björn Höcke (Thüringen) repräsentieren gegenwärtig diesen Flügel und drängen die AfD immer stärker auf den Kurs einer modernen Partei der extremen Rechten, wie wir sie, verbunden mit dem Stichwort Rechtspopulismus, in zahlreichen europäischen Ländern finden. Die AfD hat inzwischen auch in Teilen ihrer Führung die Position einer ethnopluralistisch-völkisch begründeten Ablehnung bestimmter Einwanderergruppen übernommen, die kennzeichnend für die moderne extreme Rechte ist. Gauland forderte im Zusammenhang mit der aktuellen PEGIDA-Debatte ein Einwanderungsrecht, das nach dem Kriterium der kulturellen Nähe (nur wer kulturell zu „uns“ passt soll einwandern dürfen) gestaltet werden und spitzt diese Position zu, in dem er die Zuwanderung von Muslimen stoppen will. Ein klares Bekenntnis zu einer völkischen Politik, durch die Menschen über die ihnen zugeschrieben Kultur/Ethnie als nicht integrationsfähig dargestellt werden und die zum klassischen Repertoire der modernen extremen Rechten gehört.[20]

Neben der islamfeindlichen Ausrichtung teilt die AfD mit PEGIDA die pauschale Ablehnung der etablierten Politik und den Kampf gegen eine unterstellte political correctness, beides Kernthemen aller erfolgreichen modernen Rechtsparteien in Europa. Insofern ist der positive Bezug der AfD auf PEGIDA nicht weiter verwunderlich und auch die TeilnehmerInnen an den PEGIDA-Aufmärschen dürften sich aus einem guten Teil der Wählerinnen und Wähler der AfD speisen.

Dennoch gab und gibt es in der AfD eine Auseinandersetzung um den Umgang mit PEGIDA, der Teil des generellen Kampfes um die Linie der Partei ist. Die Nationalliberalen um Lucke und Henkel sind dabei deutlich in die Defensive gedrängt, denn die fulminanten Wahlerfolge im Osten wurden mit einem harten Rechtskurs erzielt, weshalb von hier aus auch Druck gemacht wird, die Partei gänzlich auf diese Linie zu bringen. Während sich Lucke und Henkel Ende 2014 noch vorsichtig von PEGIDA distanzierten, besuchte Gauland im Dezember einen PEGIDA-Aufmarsch und die sächsische Vorsitzende Petry traf sich im Januar 2015 mit VertreterInnen von PEGIDA. Selbst die eindeutig rassistischen Äußerungen von Bachmann und der positive Bezug von PEGIDA auf das der extremen Rechten nahestehende LEGIDA-Bündnis in Leipzig haben an dieser Haltung nichts geändert.

Für die Partei ist diese Ausrichtung auf PEGIDA einerseits folgerichtig, kann sie sich damit doch als Repräsentant einer verbreiteten Stimmung, die über PEGIDA den Weg zu einer Bürgerbewegung geschafft hat, darstellen. Auf der anderen Seite birgt dieser Kurs einer starken Anlehnung jedoch auch Gefahren. Innerparteilich führt er bereits zu Konflikten, die den heimlichen Vorsitzenden Bernd Lucke zu demontieren drohen. Diese Auseinandersetzung um die Linie und die Frage, wie weit sich die Partei nach rechts öffnen soll, kann zum Sprengsatz für die AfD werden, denn bei jeder deutlichen Richtungsentscheidung wird es sie auch Wählerinnen und Wähler kosten.[21]

Reaktionen auf PEGIDA

Die Reaktionen auf PEGIDA sind ein Hinweis darauf, dass sich die Stimmung bezogen auf das Thema Zuwanderung im Vergleich zu den frühen 1990er Jahre deutlich gewandelt hat. Wurden damals vorhandene rassistische Ressentiments gegen die stark anwachsende Gruppe von Flüchtlingen von Seiten der Politik aufgenommen und bewusst verstärkt, um so zu einer Änderung des Asylrechts zu kommen, kann von einer breiten Instrumentalisierung in diesem Sinne heute keine Rede sein. Natürlich gibt es die Scharfmacher aus der CSU, doch der Mainstream bis hin zur Bundeskanzlerin hat sich klar gegen PEGIDA positioniert. Deutlich wird hier, dass es innerhalb der politischen Eliten einen tatsächlichen Bewusstseinswandel gegeben hat und Zuwanderung in einem globalen Kapitalismus inzwischen als wichtige Ressource im Wettbewerb gesehen wird. Auf der anderen Seite sind die Debatten um Deutschland als Einwanderungsland nicht spurlos an Politik und Bevölkerung vorbeigegangen. Die globalen Realitäten seit den 1990er Jahren haben ihren Niederschlag auch in der Politik gefunden. Die globale Konkurrenz wird von der Regierung Merkel nach Kräften befeuert und produziert so einen guten Teil der Ängste und realen sozialen Verwerfungen, die von vielen PEGIDA-AnhängerInnen in rassistischer Form gegen die Flüchtlinge gewendet werden. So sehr es zu begrüßen ist, dass die herrschende Politik eine rassistische Bewegung nicht wie noch in den 1990er Jahren aktiv befeuert, so sehr trägt sie Verantwortung dafür, dass die „deutschen Zustände“ unter den Stichworten „Demokratieentleerung“, „Ökonomisierung des Sozialen“, „Abwertung schwacher Gruppen“, wie sie von Heitmeyer und in der aktuellen Mitte-Studie beschrieben werden, sich perpetuieren.

Für einen linken Umgang mit PEGIDA gilt die Devise, dass irrationale Ängste nicht durch Beschwichtigung oder eine ausschließlich soziale Begründung solcher Ängste verharmlost werden dürfen. Es gibt die Tendenz, in solchen Protesten den verqueren Ausdruck berechtigter Kritik an den herrschenden Zuständen im Land zu sehen. Doch dem darin enthaltenen Rassismus muss offensiv entgegengetreten und nicht zunächst mit (sozialem) Verständnis begegnet werden. Das bedeutet gerade nicht, keine alternativen, linken Deutungsangebote für reale Krisen zu machen. Es heißt aber, die Anhänger von PEGIDA als politisch Handelnde ernst zu nehmen und ihrer Ursachenanalyse klar entgegenzutreten.

Alle vorhandenen Befunde, zuletzt die Bertelsmann-Studie, belegen, dass Menschen mit islamischem Hintergrund in Deutschland mehrheitlich gut integriert sind und Werte wie Demokratie, Glaubens- und Meinungsfreiheit achten.[22] Es bleibt demnach wenig anderes übrig, als den Diskurs der Aufklärung fortzusetzen, wohl wissend, dass diese bei irrationalen Ängsten meist nicht verfängt. Darüber hinaus muss die Linke ihre Erklärungen für Krisen, sozialen Abstieg, Entleerung der Demokratie etc. als alternative Deutungs- und Handlungsangebote auch den Menschen nahe bringen, die heute PEGIDA hinterher laufen. Schließlich sollten vor allem diejenigen in ihren Überzeugungen gestützt werden, die nicht rassistischen Losungen folgen, sondern nach wie vor im Oben-Unten-Gegensatz ein zentrales Element der Welterklärung sehen. Denn nicht vergessen werden darf bei allem Hype um PEGIDA, dass es sich um eine regionale und in absoluten Zahlen kleine Bewegung handelt.

[1] Andreas Zick, Anne Klein, Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, hrsg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer, Bonn 2014.

[2] Vgl. ebd., S. 43 f.

[3] Vgl. die Kleinen Anfragen der Bundestagsfraktion DIE LINKE zu Protesten gegen Flüchtlingsheime (Drs. 18/203; 18/1593; 18/2284; 18/3376) und http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gegen-asylbewerber-immer-mehr-proteste-gegen-fluechtlingsheime-a-972385.html

[4] Versuche, an PEGIDA anzuknüpfen, gab es und gibt es in zahlreichen Städten, so in Rostock, Hannover, Berlin, Leipzig, Kassel, Köln, Suhl, Würzburg, Stuttgart, München. Bisher kamen zu diesen Protesten jedoch nur wenige hundert Menschen, wohingegen die Gegenproteste jeweils deutlich größer waren. Die Anschläge auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris im Januar 2015 haben das Thema Islamismus und damit den potenziellen Zulauf zu den Protesten sicherlich noch einmal befördert. In Leipzig gingen am 12.1.2015 unter dem Titel „Legida“ 4.800 Menschen auf die Straße, denen aber 30.000 Gegendemonstranten gegenüber standen. Insgesamt waren am 12.1. ca. 100.000 Menschen bundesweit gegen die PEGIDA-Proteste auf die Straße gegangen und auch in den folgenden Wochen gingen bundesweit zehntausende Menschen gegen PEGIDA auf die Straße.

[5] Die von PEGIDA veröffentlichten 19 Punkte sind eine weichgespülte und harmlose Version dessen, wofür PEGIDA Woche für Woche in Dresden eintrat und in Sprechchören und Plakaten forderte. Vgl. http://www.i-finger.de/pegida-positionspapier.pdf

[6] Vgl. Gerd Wiegel, Die Rechte auf dem Vormarsch in Europa, in Z 97, März 2014, S. 138-147.

[7] Vgl. FAZ vom 15. Januar 2015, S. 2 „Was die Anhänger von Pegida wirklich bewegt“. Die empirische Basis der Studie ist allerdings schmal (400 Befragte bei drei Demonstrationen) und angesichts des Umstandes, dass zwei Drittel der Befragten eine Antwort ablehnten, nicht sehr sicher. Insbesondere die sozialstrukturelle Zusammensetzung von PEGIDA bleibt unklar und lässt die Frage offen, in wie weit auch prekarisierte Teile der Bevölkerung zum Kern der Bewegung gehören.

[8] Vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/demonstrationen-in-dresden-wer-sind-die-organisatoren-der-pegida-proteste-13325574.html

[9] Vgl. Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges, Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut, Opladen & Farmington Hills 2008.

[10] Vgl. zur Bertelsmann-Studie: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/islam-studie-muslime-integrieren-sich-deutsche-schotten-sich-ab-a-1011640.html

[11] Vgl. zu allen Angaben Anne Klein, Eva Groß, Andreas Zick, Menschenfeindliche Zustände, in: Zick, Klein, Fragile Mitte – Feindselige Zustände, a.a.O., S. 61-84.

[12] So fühlen sich laut Bertelsmann-Studie in NRW, wo ein Drittel der Muslime in Deutschland lebt, 46 Prozent der Befragten vom Islam bedroht, in Sachsen, wo es kaum Muslime gibt aber 78 Prozent.

[13] Vgl. Eva Groß, Andreas Hövermann, Marktförmiger Extremismus – ein Phänomen der Mitte, in: Andreas Zick, Anne Klein, Fragile Mitte – Feindselige Zustände, a.a.O., S. 102-118, hier S. 105.

[14] Ebd., S. 104.

[15] Colin Crouch: Postdemokratie, Frankfurt a. M. 2008.

[16] Eine ganze Reihe von O-Tönen aus den Aufmärschen kann man hier hören: http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2014/Kontaktversuch-Luegenpresse-trifft-Pegida-,pegida136.html. Die 19 Punkte, die von PEGIDA veröffentlicht wurden, sind als vermeintlich liberales Aushängeschild nach außen zu verstehen, die für das Agieren der Bewegung an jedem Montag keine Bedeutung haben. Mit dem positiven Bezug auf das eindeutig der extremen Rechten zuneigende LEGIDA-Bündnis in Leipzig hat PEGIDA die Maske fallen lassen.

[17] Anne Klein, Mitten in einer entleerten Demokratie?, in: Zick, Klein, Fragile Mitte – Feindselige Zustände, a.a.O., S. 85-101, hier S. 85. Die von Politik und Wirtschaft vorgetragene Begründung für die Notwendigkeit von Zuwanderung aufgrund des Arbeitskräftebedarfs bewegt sich genau im Rahmen dieser Dominanz des Ökonomischen.

[18] Vgl. ebd., S. 87.

[19] Ebd., S. 90 f.

[20] Vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-und-pegida-gauland-nur-einwanderer-die-zu-unserer-kultur-passen-13357252.html; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-alexander-gauland-will-zuwanderung-aus-nahost-stoppen-a-1015381.html

[21] Der AfD-Parteitag am 31.1.2015 wird Hinweise darauf geben, wie stark sich der Rechtsaußen-Flügel der Partei durchsetzen kann. Selbst wenn es Lucke gelingen sollte, sich zum alleinigen Vorsitzenden zu machen, ist sein bestimmender Einfluss weiterhin fragil.

[22] Vgl. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/islam-studie-muslime-integrieren-sich-deutsche-schotten -sich-ab-a-1011640.html

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