Sozial-ökologischer Umbau

Wachsen und Weichen

Produktion, Lebensweise und Konsum umwälzen

Dezember 2010

Gegenwart meistern, Zukunft anpacken[1]

Auf dem Globus, in Europa und hierzulande türmen sich die Probleme. Die Zukunft verlangt nach einer vollständigen Umwälzung der bisherigen kapitalistischen energie-, stoff- und raumverschlingenden industriellen und agrarischen Produktions-, Konsum- und Lebensweise.

Mit entscheidenden Schritten muss in den großen kapitalistischen Industriestaaten Staaten der Triade (USA, EU, Japan) begonnen werden. Sie müssen bis 2050 geschafft sein. Bis dahin hat mit Blick auf den Klimaschutz, damit die mittlere Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt bleibt, hierzulande der Ausstoß an Treibhausgasen von derzeit ca. 11 Tonnen pro Kopf und Jahr auf maximal 1, 5 Tonnen gesenkt zu sein. Dafür ist der Ressourcenverbrauch in Verbindung von Effizienz und absoluter Einsparung um den Faktor 10 (90 Prozent) drastisch zu senken. Zentrale Säulen für den erforderlichen Strukturwandel sind eine Energiewende, eine Agrar- sowie eine Verkehrs- und Siedlungswende. Gemeinsam mit dem Energiebereich weisen die drei Bereiche zusammen den höchsten Grad an Umweltbelastung, Ressourcenverbrauch und Landnutzung auf. Mit geringem Ressourcenverbrauch und dezentraler Energieversorgung werden wichtige Voraussetzungen für eine friedlichere Welt geschaffen, denn Konflikte, Krisen und Kriege um Rohstoffe und Absatzmärkte sind bislang ständige Begleiter der Menschheitsgeschichte. Hinzu treten muss eine konsequente Abrüstung und eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung, die ihre Entsprechung auf globaler Ebene braucht. Militär und Rüstung verschwenden enorme und kostbare Ressourcen.

Strukturwandel in Gang setzen

Damit wird eine Umwälzung in Gang gesetzt, die künftig wenig Energie und Rohstoffe beansprucht und verstärkt regionale Wirtschaftskreisläufe samt einer solidarischen, kooperativen Regional- und Strukturpolitik schafft. Sie konzentriert sich auf regionale und kommunale Potenziale statt auf grenzenlose Expansion und sorgt für gute Lebensverhältnisse und Arbeitsplätze, für eine gesündere Ernährung und Lebensweise in Stadt und Land. Ein System kurzer Wege mit anderen Arbeits-, Mobilitäts- und Versorgungsstrukturen wird entstehen und mit ihnen neue Lebensverhältnisse, Bedürfnisse, Bedarfe und Lebensstile. Das setzt völlig neue Infrastrukturen voraus. Dafür werden zunächst in erheblichem Umfang knappe Ressourcen gebraucht, die heute in Wegwerfprodukten und nicht nachhaltigen Strukturen verschleudert werden. Vollbeschäftigung und Wohlstand mit neuen Formen für Arbeit und Lebensweise sowie eine andere Arbeitsgesellschaft mit veränderten Klassen- und Besitzstrukturen werden sich entwickeln. Souveränität statt Abhängigkeit, Selbst- statt Fremdbestimmung, Kultur statt Hamsterrad sind zentrale Elemente des Wandels.

Vorrang dafür hat die Binnenwirtschaft. Ein neues Gleichgewicht zwischen globaler, europäischer und regionaler, lokaler Wirtschaft ist zu schaffen. Dieser gesellschaftliche sozial-ökologische Umbau ist mit „wachsen und weichen“ verbunden. Ohne die Vergesellschaftung von Schlüsselbereichen in Wirtschafts- und Finanzwelt, Investitionssteuerung, eine Renaissance der Kommunalwirtschaft und ohne eine Verbindung von Markt und Plan wird der Umbau nicht gelingen. Aufgeblähte ressourcen- und energieintensive industrielle Produktionsstrukturen mit dementsprechendem Güterausstoß müssen schrumpfen, insbesondere mit Blick auf den Export. Zugleich haben sowohl unnütze als auch für Mensch und Umwelt gefährliche Produktionsverfahren, Stoffe, Materialien und Produkte zu weichen. Dafür werden branchen- und wirtschaftszweigbezogene Umbau- und Umstrukturierungsprogramme gebraucht, die Zug um Zug auch neue und andere Arbeitsplätze lokal und regional entstehen lassen. Ein solch qualitativer Sprung macht neue gesellschaftlich fortschrittliche, breit getragene Mehrheiten notwendig.

In einem längeren historischen Prozess, deutlich über 2050 hinaus, ist eine Gleichgewichtsökonomie („steady-state“) zu schaffen, die die bisherige, auf Wirtschaftswachstum angelegte kapitalistische Produktionsweise überwindet.

Konturen des Strukturwandels in 2050

Strukturwandel und Dominanz der Binnenwirtschaft haben dann Sogwirkung auf die gesamte Wirtschaft entfaltet;

- Lokal und regional orientierte Binnenwirtschaft dominiert vor Exportwirtschaft. Ressourcenverbrauch drastisch reduziert. Weniger Rohstoffimport heißt geringere (außen)wirtschaftliche Verwundbarkeit, mehr globale Ressourcengerechtigkeit und Friedensfähigkeit;

- die gesamte Energiewirtschaft ist auf erneuerbare Energien umgestellt. Dezentrale Energieversorgung dominiert („so viel dezentral wie möglich, so viel zentral wie nötig“), Energieeinsparung ist durchgreifend, Biosprit spielt keine wesentliche Rolle;

- die gesamte Landwirtschaft ist auf den Bio-Landbau umgestellt. Tier- und- und Fleischproduktion sind gegenüber der konventionellen Produktion halbiert, die Getreideproduktion um ca. ein Drittel geringer gegenüber den jetzigen Erträgen der konventionellen Landwirtschaft. Handel und Ernährungswirtschaft sind großenteils in den Umbau einbezogen;

- im Forstbereich ist eine ökologische Waldbauwende, die die Ziele des Natur- und Klimaschutzes in die Bewirtschaftung integriert, mit entsprechend schonender und nachhaltiger Holznutzung auf den Weg gebracht. Der Wald erfüllt umfassend seine Aufgabe als Speicher und Senke für Kohlendioxid. Langlebige stoffliche Holznutzung hat Vorrang vor energetischer Nutzung (Verbrennung). Der Holzeinschlag bewegt sich als Richtgröße zwischen 40 Mio. und 60 Mio. Kubikmeter pro Jahr (Menge bezogen auf gefällte Bäume ohne Krone, Äste und Rinde). Genauere Festlegungen müssen vor dem Hintergrund bestehender Umweltbedingungen (Luftschadstoffe, Klimawandel) noch getroffen werden. Holzwirtschaft und Papierindustrie sind großenteils in den Umbau einbezogen;

- die Verkehrswende auf Grundlage Elektromobilität ist in den Bereichen Personen- und Güterverkehr großenteils abgeschlossen. Öffentliche Bahnen, Busse und bedarfsgesteuerte Kleinbusse (letztere insbes. im ländlichen Raum) dominieren. Der Einsatz von Mietwagen, Car-Sharing und Taxidiensten hat sich breit entwickelt. Nicht der Besitz eines eigenen Autos, sondern die freie Wahl eines nutzen-effizienten Mobilitätsangebots ist bestimmend. Statt derzeit ca. 41 Mio. privaten PKW reichen künftig 4 Mio. leichte Elektro-Autos für reibungslosen Transport. Der LKW-Güterferntransport ist im Wesentlichen auf die Schiene verlagert. Schienengebundene Regional- und Citylogistik in Kombination mit LKW-gebundenem Güternahverkehr ist kräftig ausgebaut;

- im Siedlungsbereich dominieren Modernisierung, Umbau und Umnutzung statt Neubau. Das ist ein entscheidender Beitrag zur Ressourcenschonung und gegen Flächenfraß, denn bei Wohnbauten entfallen mindestens 80 Prozent der Bauwerksmasse und 70 Prozent des Primärenergieaufwandes allein auf die Tragkonstruktion. Die Verlängerung der Nutzungsdauer von Bauwerken hat deshalb großes Gewicht gewonnen. Als Leitorientierung für den Flächenverbrauch gilt bundesweit: Reduktion des Flächenverbrauchs von derzeit 115 ha/Tag über 30 ha/Tag in 2020 auf Null ha/Tag in 2050;

- kürzere Arbeitszeiten, gesetzliche Mindestlöhne, neue Formen humaner Beschäftigung, sozialer Sicherung und bürgerschaftlichen Engagements haben sich breit durchgesetzt;

- neue ressourcenleichtere und gesündere Lebens- und Konsumstile haben sich großenteils etabliert. Ein gutes, genussreiches und gesundes Leben bestimmt weithin den Alltag, lässt sich nicht vom Gedanken an Verzicht leiten und wendet sich allein gegen verschwenderischen Umgang mit Natur und Ressourcen;

- Militär und Rüstung, die alten Kriegstreiber und Ressourcenräuber, sind weitestgehend zurückgedrängt. Hierfür haben eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung sowie entscheidende Schritte hin zu einer globalen Friedensordnung gesorgt.

Erläuterungen

1. Ressourcen

Energieträger der Zukunft

Solarenergie und erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Eine darauf basierende Energieversorgung ist lokal und regional sowie vorherrschend dezentral zu organisieren. Von den fossilen Energieträgern weist lediglich Erdgas die geringsten spezifischen Emissionen an Kohlendioxid auf und ist deshalb als einziger dafür geeignet, die Brücke in das solare Zeitalter zu bauen.

Überregionale und supranationale Netze sorgen im Bereich noch verbleibender, energieintensiver Grundstoff- und Verbrauchsgüterindustrien für Ausgleich und Ergänzung.

Rohstoffversorgung

Die Schwellen- und Entwicklungsländer verbrauchen inzwischen – in absoluten Zahlen – mehr Primärenergie und mineralische Rohstoffe als die Industrieländer. Dennoch liegt der Ressourcenverbrauch pro Kopf und Jahr in den USA, der EU und Japan immer noch wesentlich über deren Verbrauch. Im Durchschnitt verbrauchen die Europäer allein etwa 45 Tonnen pro Kopf und Jahr (ohne Herstellung von Exportgütern und ohne erneuerbare Ressourcen). Als grober Anhaltspunkt für eine zukunftsfähige Wirtschaft wird angegeben, dass in 2050 weltweit nicht mehr als 5 bis 6 Tonnen Ressourcen (ohne erneuerbare Ressourcen) pro Kopf verbraucht werden sollten.

Für die verschiedenen Rohstoffe fällt der globale Trend für Verbrauch und Abnahme unterschiedlich aus. Für Konstruktionsmaterialien wie Eisen und Zement stellen sich in absehbarer Zeit keine Versorgungsprobleme. Dagegen sind für Funktionsmaterialien , die wirtschaftlich immer wichtiger werden – von Stahlveredlern über Edelmetalle bis zu seltenen Metallen wie Tantal – Knappheiten und damit verschärfte – auch kriegerische – Auseinandersetzungen um Rohstoffvorkommen zu erwarten.

Materialherstellung, Ressourceneffizienz und Recycling

Bei der Materialherstellung landen charakteristischerweise weniger als 5 Prozent der stofflichen Ressourcen, die der Natur entnommen werden, in den Produkten. Der Rest wird zu Abfall. Die Effizienzpotenziale sind auf dieser Stufe weitgehend ausgeschöpft.

Mit der rasant zunehmenden Materialvielfalt und der globalen Dissipation von Produkten und damit von Altgeräten etc. wird es trotz verbesserter Trenntechniken immer schwerer, wertvolle Rohstoffe zu recyceln und in den Wirtschaftskreislauf zurück zu führen. Eine „Kreislaufwirtschaft“ ist angesichts der tatsächlichen Stoffströme in der globalen Produktions- und Warenwelt illusionär.

Der Pfad „Effizienzrevolution“ ist praktisch nur eine moderne Form des „weiter so“ bisherigen Wirtschaftens. Ressourcen werden effizienter genutzt und damit eingespart, aber indem man aus einer Rohstoffeinheit mehr Güter herstellen kann, wird diese Einsparung durch den vermehrten Absatz der produzierten Güter auf den Märkten bald wieder aufgezehrt („rebound-Effekt“). Doppelt so viele Autos mit halbiertem Benzinverbrauch bringen keine Verbesserung. Der Rummel um Elektroautos ist ein weiteres Beispiel dafür. Ressourceneffizienz allein macht für die Ökologie keinen Sinn. Das setzt dem Wachstum des Ressourcenverbrauchs, der vom Wachstum des BIP ausgelöst wird, keine Grenzen. Es geht deshalb darum, Rohstoffe absolut einzusparen. Um dieses Thema wird ein weiter Bogen gemacht. Damit wird aber einem der wesentlichen Krisen- und Kriegstreiber die Hand gehalten.

Nachwachsende Rohstoffe

Die Gewinnung von Biomasse aus Waldwirtschaft und Landwirtschaft sollte sich künftig vorrangig auf eine behutsame, langlebige stoffliche (Holz für Bauzwecke, Gewinnung höher- und hochwertiger Pflanzenbestandteile) denn energetische Nutzung richten. Auf diese Weise wird ein Weg geschaffen, mit dem möglichst viel Kohlendioxid in Senken des globalen Kohlenstoffkreislaufs wie Bäumen oder Böden gespeichert bleibt und für den Klimawandel nicht mehr oder nur sehr verlangsamt zur Verfügung steht.

Die energetische Nutzung von Biomasse (direkte Verbrennung oder nach Vergärung als Brennstoff Methan bzw. Vergasung) ist hauptsächlich auf die Verwertung von Abfällen aus Forsten, Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft zu beschränken. Nachwachsende Rohstoffe, die allein zur energetischen Nutzung - wie die „Agrotreibstoffe“- angebaut werden, binden Kohlendioxid nur kurzfristig in der Pflanzenmasse. Die Verbrennung setzt es sehr schnell wieder frei. Dem Klimaschutz wird damit kein Dienst erwiesen.

2. Umrisse und Ergebnisse des Strukturwandels

Mit der Agrarwende steht die vollständige Umwälzung der agrarindustriellen Produktionsweise auf der Tagesordnung und mit ihr die gesamte, nachgelagerte Nahrungsgüterproduktion samt der Verteilung ihrer Güter auf den Märkten. Lokomotive der Veränderung ist die ökologische Landwirtschaft. Hier reduziert ein künftig nahezu halbierter Viehbestand nicht nur entscheidend den Ausstoß von Treibhausgasen aus der gesamten Landwirtschaft, sondern leistet gleichzeitig auch einen wichtigen Beitrag für eine klimaschonende und gesündere Ernährung. Weniger tierische und mehr pflanzliche Lebensmittel sind der Weg, um langfristig hohe Gesundheitskosten für ernährungsbedingte Krankheiten einzusparen. Das bedeutet einen Bruch mit gesellschaftlich tief verankerten Ernährungsgewohnheiten und Lebensstilen. Nur langsam wird sich hier ein Wandel vollziehen.

Eine Waldbauwende geht mit der Agrarwende parallel einher. Notwendig ist ein naturnaher und dem Klimawandel angepasster Umbau der Wälder. Dafür ist bundesweit ein flächendeckendes Netz an Totalschutzgebieten einzurichten, das primär standortkundlich, nicht pflanzensoziologisch ausgerichtet ist. Entscheidend sind Erkenntnisse, ob und wie die Naturkräfte mit den massiven anthropogenen Einflüssen fertig werden und welche Baumarten künftig für eine langfristig sichere Holzversorgung angepflanzt werden können. In die ökologische Waldbewirtschaftung sind die Ziele des Natur- und Klimaschutzes integriert. Der Wald erfüllt umfassend seine Aufgabe als Speicher und Senke für Kohlendioxid. Langlebige stoffliche Holznutzung hat Vorrang vor energetischer Nutzung (Verbrennung). Der gesamte bundesdeutsche Holzeinschlag bewegt sich als Richtgröße zwischen 40 Mio. bis 60 Mio. Kubikmeter pro Jahr (Menge bezogen auf gefällte Bäume ohne Krone, Äste und Rinde). Die Holzversorgung Deutschlands bleibt damit sicher. Diese Größenordnung muss fachlich noch weiter diskutiert werden und dürfte eher noch geringer ausfallen. Indiskutabel sind Aussagen des Bundesforstministeriums, wonach bundesweit bis 2042 sogar fast 80 Mio. Kubikmeter Holzeinschlag pro Jahr für möglich gehalten werden. Als wichtige Größe für das Umsteuern kann staatlicher und kommunaler Waldbesitz eingesetzt werden. Holzwirtschaft und Papierindustrie sind großenteils in den Umbau einbezogen;

Die Verkehrswende auf Grundlage von Elektromobilität unter Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechniken sowie dazugehörigem Ausbau der Infrastrukturen zielt auf den Ausstieg aus der Autogesellschaft und ihrer Massenmotorisierung, mobilisiert Platz und neue urbane Qualität und macht Lust auf das Neue. Nicht der Besitz eines ineffizienten universellen Transportmittels, sondern die freie Wahl verschiedener Alternativen nutzeneffizienter Mobilitätsangebote bestimmt die ressourcenschonende postfossile Mobilität. Das „Wohnen im Grünen“ kommt zurück in die Städte mit neuen Grünflächen, ohne Verkehrslärm und Autostau. Es wächst die Basis für eine neue Verkehrs- und Stadtkultur. PKW sollen nur noch eine ergänzende Rolle gegenüber dem Umweltverbund spielen. Hauptstützen der Mobilität sollen Fußgängerverkehr, Fahrradverkehr sowie Busse und Bahnen sein. Statt derzeit 41,3 Millionen PKW (KBA 2009) könnten in Deutschland künftig 4 Millionen PKW den Bedarf decken und zwar im Rahmen von Car-Sharing, Nachbarschaftsautos, Pfandautos und Taxis. Hinzu kämen etwa 1 Million bedarfsgesteuerte Kleinbusse, die vor allem im ländlichen Raum für reibungslosen Transport sorgen. Ergänzt durch etwa 20.000 Regionalbahntriebwagen und 10.000 Straßen- sowie Stadtbahnwagen für den kommunalen Schienenverkehr und etwa 400.000 Niederflurbusse für die Stadt- und Ortsbussysteme. Hinzu kämen etwa 20.000 neue Mobilitätszentralen, die gleichmäßig über das Land verteilt sind und mit einheitlicher Nummer für Telefon und Internet intelligentes Mobilitätsmanagement ermöglichen (Monheim).

Auch für den Güterverkehr muss die Verkehrswende auf o. g. Grundlagen greifen. Derzeit sind allein in Deutschland 2, 3 Millionen LKW nebst 4, 5 Millionen Anhängern zur Lastenbeförderung sowie fast 180.000 Sattelzugmaschinen und 0,27 Millionen Sattelanhänger zugelassen (KBA 2009). Die Verlagerung der Straßentransporte auf die Schiene verlangt völlig neue und überwiegend regionale Verkehrsverflechtungen. Sie ermöglichen außer dem Transport von Massengütern auch jene, die für kleine Entfernungen bestimmt sind, teuer, zeitsensibel und empfindlich sind. Schienengebundene Regional- und Citylogistik können hierfür dienen. Von besonderen Umschlagplätzen aus können dann die Waren von Speditionen mit LKW zu den Kunden gebracht werden (Monheim).

Der Umbau gelingt nicht ohne eine Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und eine dafür eingerichtete Verkehrsinfrastruktur, wobei jene insbesondere strukturschwache ländliche Räume im Blick behält. Die Verkehrsinfrastruktur schafft die Voraussetzungen für einen flächendeckenden Ausbau von Bahnnetz und ÖPNV sowie Verkehrsverbünde und setzt auf den Erhalt statt Ausbau des Straßennetzes. Zugleich muss die gute Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes, von Freizeit-, Kultur- und Bildungseinrichtungen, von Waren- und Dienstleistungsangeboten zu erschwinglichen Preisen garantiert sein.

Die Siedlungswende zielt auf einen künftig rohstoff- und flächenschonenden Siedlungsbau, der Arbeit und Leben wieder näher zusammenführt und die Trennung in Wohnsiedlungen, Büro-, Gewerbe- und Einkaufszentren langfristig aufhebt. Haus- und siedlungseigene Servicezentralen ermöglichen kleinräumige Versorgungs- und Kommunikationsstrukturen, die lange Wege überflüssig machen. Damit entstehen neue wohnortnahe Arbeitsplätze. So verschwinden die langen Wege zur Arbeit, für Einkaufsfahrten, zu sozialen Dienstleistungseinrichtungen, für Bildung und zu kulturellen Angeboten.

In strukturschwachen ländlichen Räumen werden die Städte als zentrale Orte immer wichtiger. Mittel- und Kleinstädten sowie großen Landgemeinden kommt eine Schlüsselstellung als Keimzelle regionaler Entwicklung zu.

In Ballungsräumen und städtischen Gebieten ist der private Autoverkehr weitgehend aus den Zentren zu verbannen. Eine differenzierte Verkehrsinfrastruktur wird künftig Fußgängern, Radfahrern und leichten Elektrofahrzeugen neben einem vollständig auf Elektroantrieb umgestellten ÖPNV die dafür notwendigen Freiräume verschaffen. Lärmbelastung und Schadstoffbelastung gehören dann der Vergangenheit an.

Die Umwelt kann in hohem Maße entlastet werden, wenn das Wohnen statt auf der „grünen Wiese“ künftig wieder stärker auf einen sanierten Bestand in den Siedlungskernen konzentriert wird. Modernisierung, Umbau und Umnutzung im Wohnungsbestand statt Neubau sind künftig ein entscheidender Beitrag zur Ressourcenschonung. Der Energieverbrauch wird kräftig abgesenkt durch konsequente Wärmedämmung und Modernisierung der Heizungs- und Warmwasserbereitungssysteme. Zugleich sind die baulichen und stofflichen Voraussetzungen für ein gesundes, schadstoffarmes Wohnen zu schaffen.

3. Ein neuer Rahmen für den Neubau des gesellschaftlichen Gehäuses

Für diesen Umbau wird ein neuer Gestaltungsrahmen gebraucht, denn der alte taugt nicht mehr. Ohne ihn wird der Neubau einer regional orientierten, solidarischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die Arbeit, Soziales und Natur zusammenführt, nicht gelingen. Und die große Transformation wird nur gelingen, wenn das Gemeinwohl zum Leitfaden wirtschaftlicher und politischer Prozesse wird und ein stabiler Rechtsrahmen die neue Vielfalt an Produktionsstrukturen sichert. Die bisher rein ökonomisch geprägten Beziehungen zwischen Mensch und Natur müssen durch eine umfassend reproduktive Orientierung abgelöst werden, in der Erhalt und Verbesserung des Naturhaushalts und der Naturressourcen sowie der menschlichen Gesundheit und Arbeitskraft die gleiche Bedeutung wie der Ökonomie zukommt.

Dafür hat sich auch Europa nach außen und innen zu ändern. Staat und Gesellschaft müssen Handlungsfreiheit zurückgewinnen, damit die Weichen für den Strukturwandel gestellt werden können.

4. Die Weichen stellen – Handeln für heute, morgen und die Zukunft

Der Neubau des gesellschaftlichen Gehäuses braucht einen langen Atem. Die gesamte Politik der der Europäischen Union, Deutschlands, von Bund, Ländern und Kommunen ist auf den Prüfstand zu stellen. Keine Ebene und kein Bereich der Politik können außen vor bleiben. Es ist nach gesamthaften und zielgerichteten Verknüpfungen sämtlicher sektoraler Politiken zu suchen. Nutzen schöpfen aus Synergien ist der Schlüssel für das Gelingen des Strukturwandels. Kurz- und mittelfristig sind sämtliche zur Verfügung stehenden Instrumente für Rahmensetzungen und konkretes Umsteuern zu nutzen. Sollten die vorhandenen nur begrenzt oder nicht tauglich sein, so sind sie „nachzuschärfen“, neuzufassen oder gilt es ganz neue Instrumente zu schaffen, damit der Umbau vorankommt und an Fahrt aufnehmen kann, flankiert von Arbeitsmarkt-, Sozial-, Gesundheits- und Rentenpolitik. Nachstehende Bereiche bilden Schwerpunkte für die Instrumente des Wandels:

- Industrie-, Technologie-, Bau- und Verkehrs- sowie Agrarpolitik;

- Wissenschafts- und Forschungspolitik;

- Wirtschafts-, Steuer- und Energierecht,

- Umwelt- und Naturschutzrecht, Bergrecht;

- Agrar- und Pflanzenschutzrecht, Veterinär- und Lebensmittelrecht, Forstrecht;

- Verkehrs- und Planungsrecht;

- Baurecht (insbes. Vorranggesetz für erneuerbare Energien in der Bauleitplanung);

- kommunales Satzungs- und Heberecht;

- Nationale Fördertöpfe und europäische (Struktur)Fonds;

- Strukturpolitische Förderprogramme (insbes. ein Zukunftsinfrastrukturprogramm für kommunale Investitionen sowie Investitionen zum Umweltschutz – ZIP) auflegen. Hierfür EU-Beihilferegeln abschaffen;

- Konjunkturprogramme, Kreditvergabe samt Auflagen;

- Öffentliches Auftragsvergabewesen (hier EU-Vergaberichtlinie ändern, damit bei öffentlicher Auftragsvergabe heimische Firmen Vorrang haben);

- Öffentliches Verkehrswesen.

Als wichtiges Instrument zur Veränderung auf regionaler Ebene ist ein Bundesfonds für nachhaltige Regionalentwicklung einzurichten, der zugleich mit den Fachressortegoismen und mit der Fülle häufig sich überschneidender, ähnlicher oder paralleler aber kaum integrierter Vorhaben bricht. Dessen Finanzmittel werden bedarfsorientiert regionalen Entwicklungsfonds in öffentlicher Hand zur Verfügung gestellt, die konzeptionell zwischen Bund, Ländern und Regionen abgestimmt, in regionaler Eigenverantwortung für strukturpolitische Aufgaben verwendet werden können, wobei strukturschwachen ländlichen Räumen besondere Bedeutung zukommt. Hierfür bedarf es regionaler Leitbilder, regionaler Entwicklungsagenturen und einer aktiven Kommunalwirtschaft und Vergabepolitik. Auf diesem Wege sind die Lebensverhältnisse in Stadt und Land attraktiv weiterzuentwickeln und anzugleichen. In diesem Zusammenhang ist der Kommunale Finanzausgleich auf neue Füße zu stellen (weg vom Kopfprinzip, Diskussionen dazu laufen). Kurswechsel und Umwälzung können aber nur umfassend gelingen, soweit langfristig

- die gesamte Daseinsvorsorge wie das Gesundheitswesen und zentrale Infrastrukturen wie Strom- und Gasnetze sich in öffentlicher Hand befinden;

- der Banken- und Finanzsektor zur Investitionssteuerung vergesellschaftet ist und demokratisch über große Investitions- und regionale Entwicklungsfonds entschieden wird, was weichen und was wachsen soll und ein Zusammenspiel von Markt und Plan realisiert wird. Dem Markt sind politisch gewollte Ziele zu geben und Leitplanken für den Wettbewerb zu setzen;

- rechtlich und finanztechnisch sichergestellt ist, dass die regionale Wertschöpfung im Wesentlichen in der Region verbleibt und erwirtschaftetes Geld wieder in der Region investiert wird. Bundesbank und regionale Banken dienen als Knotenstellen, die Geldflüsse wirksam kontrollieren und Abflüsse (siehe Binswanger und Diskussionen zu Regionalwährungen wie Talern) ab bestimmter Größenordnung (Näheres noch zu diskutieren) unterbinden. Dieser Effekt führt zur wirtschaftlichen Belebung und zieht neue Arbeitsplätze, Gewerbe und Industrie an (auch Ausgleich für verloren gehende aus schrumpfenden Industrien und Gewerben);

- regionale Binnenwirtschaft, regionale Binnen-Cluster gegenüber einem übermäßigen Import von Produkten und Dienstleistungen und der Austrocknung und Fragmentierung gestärkt werden (EU-Dienstleistungsrichtlinie!);

- die Bodenfrage nicht außer Acht gelassen wird. Bodenverbrauch kann über die Raumplanung maßgeblich reduziert werden. Bodenspekulation ist rechtlich wirksam zu begrenzen. Vergesellschaftung gemäß Art. 14 (2) i. V. mit Art. 15 Satz 1 GG möglich, vornehmen wo erforderlich.

„Die Verwertungsinteressen der Grundeigentümer, die Wachstums- und Fiskalinteressen der Gemeinden und all jener, die an solchen Umwidmungen von Boden partizipieren, haben noch immer dafür gesorgt, dass die besten Planungen für einen schonenden Umgang mit der Ressource Boden nur in Ausnahmefällen realisiert wurden. Solange die auf der Basis der Gewinnmaximierung wirksamen ökonomischen Standort- und Grundrententheorien beinahe uneingeschränkt wirksam sind, solange wird das Problem des „Bodenverbrauchs“ in einer ökologisch vertretbaren Weise nicht zu steuern sein.“ (Abschlussbericht der Projektgruppe „Aktionsprogramm Ökologie“, S. 86, Bundesministerium des Innern, Bonn 1983, CSU-Bundesinnenminister Zimmermann)

Der Strukturwandel löst einen qualitativen Sprung aus. Es wächst heran was in Konturen neuen, solar basierten industriell-gewerblichen Wirtschaftens bereits sichtbar, an neuen Grundlagen in Wissenschaft und Technik und gesellschaftlichen Veränderungen bereits im Entstehen ist: die Anfänge einer vollständigen Umwälzung der bisherigen energie-, stoff- und raumverschlingenden industriellen und agrarischen Produktions-, Konsum- und Lebensweise. Eine Umwälzung, die künftig wenig Energie und Rohstoffe beansprucht, verstärkt regionale Wirtschaftskreisläufe schafft, solidarische, kooperative Regional- und Strukturpolitik heißt, miteinander wetteifernd statt geifernd im Wettbewerb und für gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land sorgt. Kurze Wege, Vernetzung und Kooperation, Konzentration auf regionale und kommunale Potenziale statt grenzenloser Expansion.

Mit diesem qualitativen Sprung ändert sich das komplexe Gesamtgefüge von Ressourcenverbrauch, Produktion, Investitionen und Konsumtion, nimmt der belastende Druck auf Mensch und Natur ab. Es ändert sich die Art der Wertschöpfung und ein anderes technisches Produktionssystem mit anderen Arbeitsplätzen entsteht. Die ganze Industrielandschaft, Grundstoff-, Investitionsgüter-, Konsumgüter- und Nahrungsmittelindustrie, wird vom Sog des Umbaus erfasst. Insbesondere die Kathedralen der bisherigen Produktionsweise, die Energie-/Chemie-/Automobil-/Baustoff- und Nahrungsgüterkonzerne samt den mit ihnen eng verzahnten Industriebereichen, vorgelagerten Bereitstellungsketten und nachgelagerten Versorgungs- und Handelsketten werden einem tiefgreifenden Wandel unterliegen, ihre aufgeblähten Strukturen werden schrumpfen und von einem behutsamen Umbau und Neubau von regionalen und lokalen Arbeitsplätzen begleitet sein müssen. Ein System kurzer Wege mit anderen Arbeits-, Mobilitäts- und Versorgungsstrukturen in Stadt und Land wird entstehen und mit ihnen neue Lebensverhältnisse, Bedürfnisse, Bedarfe und Lebensstile. Die Umwälzung führt zu Vollbeschäftigung und Wohlstand mit neuen Formen für Arbeit und Lebensweise. Eine andere Arbeitsgesellschaft mit veränderten Klassen- und Besitzstrukturen wird entstehen.

5. Neue Bündnisse für Strukturwandel und qualitativen Sprung

Für diesen qualitativen Sprung sind neue gesellschaftlich fortschrittliche, breit getragene Mehrheiten notwendig. Bereits seit längerem hält die Schwäche der Arbeiterbewegung und ihrer Gewerkschaften an. Die Einführung computergestützter Maschinen hat zu enormen Produktivitätsfortschritten und zum Verlust von Millionen Arbeitsplätzen in der Industrie, aber auch im Bereich von Verwaltungen, Banken und Versicherungen geführt. Verlagerungen von Produktionen ins Ausland haben ebenfalls das ihre dazu beigetragen. Massenarbeitslosigkeit und der Niedergang ihrer traditionellen Hochburgen führten zu Mitgliederverlusten. Zugleich werden die Bedingungen für solidarisches Handeln schwieriger. Die Abnahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, die Angst vor sozialem Abstieg und die Zunahme der Konkurrenz innerhalb der Belegschaften erschweren gemeinsames Handeln in den Betrieben. Hierfür wie auch für den Umbau werden neue Bündnisse gebraucht. Politische Parteien, die für den Wechsel eintreten, Gewerkschaften und ein breites Spektrum an zivilgesellschaftlichen Akteuren aus allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen müssen sich gemeinsam auf den Weg machen, wenn der Umbau gelingen soll. Akteure, die aus den Bereichen Umwelt und Soziales, aus Wissenschaft und Forschung, dem Bildungs- und Gesundheitsbereich, Architektur, Städte-, Landschafts- und Verkehrsplanung, dem Agrar- und Ernährungsbereich, Handwerk, kleinen und mittleren Unternehmen, der lokalen Politik und vielen anderen Bereichen kommen.

[1] Überarbeitete und insbes. um die Kapitel Klima und Ressourcen sowie die Literaturangaben gekürzte Fassung eines Beitrages, der abgerufen werden kann unter http://www.sozialistische-linke.de/politik/debatte/137-wachsen-und-weichen-produktion-lebensweise-und-konsum-umwaelzen.