Der Niedersächsische Landtag schickt sich an, mit der Aufarbeitung des sog. „Radikalenerlasses“ ein Stück Geschichte der Bonner Republik vor dem Vergessen zu bewahren und die Betroffenen zu rehabilitieren.
Der Antrag
15. Mai 2014 – Niedersächsischer Landtag, letzter Tagesordnungspunkt: Ein Antrag der SPD und der Grünen, eine Kommission zur Aufarbeitung des sog. „Radikalenerlasses“ – besser bekannt unter dem Begriff „Berufsverbote“ – zu bilden, wird von allen Fraktionen einmütig unterstützt. Niedersachsen ist damit das erste Bundesland, das sich anschickt, ein unrühmliches Kapitel bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte dem Vergessen zu entreißen und – hoffentlich – zu korrigieren. Im Text des Antrags heißt es u. a.:
„Vor diesem Hintergrund stellt der Landtag fest,
- dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen,
- dass die Umsetzung des so genannten Radikalenerlasses ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Niedersachsens darstellt und das Geschehene ausdrücklich bedauert wird,
- dass die von niedersächsischen Maßnahmen betroffenen Personen durch Gesinnungsanhörungen, Berufsverbote, langwierige Gerichtsverfahren, Diskriminierungen oder auch Arbeitslosigkeit vielfältiges Leid erleben mussten,
- dass er den Betroffenen Respekt und Anerkennung ausspricht und sich darüber hinaus bei denen bedankt, die sich z. B. in Initiativen gegen Radikalenerlass und Berufsverbote mit großem Engagement für demokratische Prinzipien eingesetzt haben. “
Weiterhin werden im Antrag gefordert
- die Einrichtung einer Kommission aus Mitgliedern des Landtags, Betroffenen, Vertreter/innen von Gewerkschaften und Initiativen zur Aufarbeitung der Schicksale und politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung,
- die politische und gesellschaftliche Aufarbeitung,
- eine wissenschaftliche Begleitung,
- die öffentliche Darstellung der Kommissionsergebnisse und
- die Verwendung der Ergebnisse im Rahmen der politischen Bildung in Niedersachsen.
Der sog. „Radikalenerlass“ wurde 1972 von der Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Kanzler Willy Brandt beschlossen. Danach sollten „Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten“ aus dem Öffentlichen Dienst ferngehalten bzw. entlassen werden.
Faktisch und fast ausschließlich richtete der „Radikalenerlass“ sich gegen politisch Aktive aus einem breiten linken Spektrum bis hin zu antifaschistischen und Friedensorganisationen. Er führte zu einer in Europa beispiellosen Jagd auf sog. „Verfassungsfeinde“. Lehrer/innen, Lokführer, Briefträger – 3,5 Millionen Menschen wurden durch den Verfassungsschutz bespitzelt und überprüft. Es gab 11 000 Berufsverbotsverfahren, und etwa 1 500 Menschen wurde durch ein Berufsverbot die materielle Existenzgrundlage entzogen.
Bis weit in die 1990er Jahre hinein waren Meinungsfreiheit und die Wahrnehmung demokratischer Grundrechte wie Teilnahme an Demonstrationen oder Kandidatur bei Wahlen durch Berufsverbot bedroht. Das vergiftete das gesamte politische Klima in unserer Gesellschaft – durchaus bis heute.
Mit-Urheber Willy Brandt bezeichnete die Berufsverbote später als „Irrtum“, und seit den 1980er und 1990er Jahren wurde der sog. „Radikalenerlass“ z. T. wegen Lehrerüberschusses und in Niedersachsen z. B. durch einen Kabinettsbeschluss der rot-grünen Landesregierung unter Gerhard Schröder nicht mehr angewendet. Vom Berufsverbot Betroffene wurden teilweise wieder eingestellt, sogar verbeamtet. Niemals jedoch wurde der sog. „Radikalenerlass“ offiziell abgeschafft, und niemals wurden die Betroffenen rehabilitiert – geschweige denn für die massiven Eingriffe in ihr (Berufs-)Leben und die nicht unerheblichen materiellen Nachteile (z.B. Entwertung der Berufsausbildung; Einkommens- und Renteneinbußen) entschädigt. Noch im Jahr 2005 gab es ein Berufsverbot in Baden-Württemberg, das allerdings höchstinstanzlich aufgehoben wurde.
40 Jahre Berufsverbote und ein Neuanfang
Der 40. Jahrestag des sog. „Radikalenerlasses“ am 28. Januar 2012 war gewissermaßen eine Initialzündung für die Aufarbeitung dieser politischen Verfolgung in der Bonner Republik. Es entstand ein bundesweites Netzwerk vom Berufsverbot Betroffener, das seitdem mit einer Vielzahl von Aktionen und Veranstaltungen an das Unrecht erinnert und die endgültige Abschaffung des sog. „Radikalenerlasses“ und volle Rehabilitierung der Opfer fordert.[1]
Höhepunkte des Jahre 2012 waren neben vielen Veranstaltungen in allen Bundesländern
- der bundesweite Aufruf „40 Jahre Berufsverbot – Betroffene fordern: endlich Aufarbeitung und Rehabilitierung!“;
- eine Konferenz der GEW in Göttingen im März 2012 mit einem Beschluss des Hauptvorstands, in dem u. a. die Berufsverbote als verfassungswidrig klassifiziert und die Rehabilitierung Betroffener gefordert werden und sich die GEW für ihren Umgang mit Betroffenen (Unvereinbarkeitsbeschlüsse, Ausschlüsse etc.) entschuldigt;
- eine Konferenz von ver.di und GEW Hessen im Mai in Frankfurt/M.;
- ein Aktionstag Betroffener im Juni in Berlin vor der Ministerpräsidentenkonferenz und dem Kanzleramt mit einer von der Fraktion der Linken unterstützten Petition im Bundestag (die später abgelehnt wurde);
- eine Berufsverbote-Konferenz im Oktober in Köln mit Ideen und Verabredungen für die weitere Zusammenarbeit.
Der Vorlauf in Niedersachsen
Der 40. Jahrestag des sog. „Radikalenerlasses“ markiert auch den Anfang unserer niedersächsischen Initiative gegen Berufsverbote. Vor allem aber haben wir uns zusammengefunden, um einen von der Linkspartei Ende Januar 2012 im Niedersächsischen Landtag eingebrachten ersten Berufsverbots-Antrag – ähnlichen Inhalts wie der jetzt vorliegende – außerparlamentarisch zu begleiten. Unsere Ziele sind dabei nicht nur die politische und geschichtliche Aufarbeitung, die endgültige Abschaffung sowie unsere volle Rehabilitierung, d. h. politisch, moralisch, juristisch und materiell. Es geht uns insbesondere auch um die Korrektur der Darstellung der Bonner Republik als lupenreine Demokratie und letztendlich auch um die Abschaffung des sog. „Verfassungsschutzes“ – nicht nur aus eigener leidvoller Erfahrung.
Und es geht uns darum, einen Beitrag zu leisten gegen den in unserer Gesellschaft immer noch vorhandenen Antikommunismus. Seit dem Kaiserreich über die Weimarer Republik, die Nazi-Diktatur und später die Bonner Republik lebt dieses kapitalistische System bis heute davon und jegliches Gedankengut, das ihm von links gefährlich werden könnte, wird systematisch diffamiert und bekämpft. Zwei unerträgliche Beispiele aus der letzten Zeit: Biermann im Bundestag zum Gedenken an den Mauerfall vor 25 Jahren und Gauck zur Regierungsbildung in Thüringen mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident.
Unsere niedersächsische Initiative arbeitet seit 2012 kontinuierlich zusammen. Wir treffen uns in einer kleinen Gruppe von Betroffenen aus Hannover und Umland ca. einmal monatlich. Hilfreich sind bei unserer Arbeit langjähriges politisches Engagement im hannoverschen Raum, eine Vielzahl von lokalen Kontakten und die Verankerung in gesellschaftlichen Organisationen wie z. B. den Gewerkschaften. Wir haben aber auch gute Erfahrungen damit gemacht, uns mit dem Thema Berufsverbote durch direkte Ansprache übers Internet, per Mail oder Telefon neue unterstützende Kontakte zu erschließen.
2012 haben wir mit Radiosendungen im unabhängigen hannoverschen Internet-Radio Flora, mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wie z. B. mit einem offenen Brief an den damaligen CDU-Ministerpräsidenten das Thema „Radikalenerlass“ lebendig gehalten. Unterstützt wurden wir u. a. von der GEW Niedersachsen durch eine Pressekonferenz für und mit uns in ihren Räumen. An einer zweiten öffentlichen Pressekonferenz direkt vor dem Landtag nahmen Landtagsabgeordnete der Linken, der SPD und der Grünen teil, ebenso der Landesvorsitzende der GEW, Eberhard Brandt. Leider konnte dies nicht verhindern, dass der erste Berufsverbots-Antrag von 2012 mit der damaligen schwarz-gelben Regierungsmehrheit abgelehnt wurde.
In lokalen Gremien waren wir erfolgreicher, so wurden z. B. angenommen
- ein Antrag zur Aufhebung der Berufsverbote und Rehabilitierung Betroffener im hannoverschen Stadtteilbezirksrat Linden-Limmer (21.03.2012);
- ein Antrag im Rat der Stadt Hannover, in dem der Niedersächsische Landtag aufgefordert wird, eine Kommission zur Aufarbeitung der Berufsverbote und zur Erarbeitung von Möglichkeiten der Rehabilitierung einzurichten (20.07.2012).
- Die Regionsversammlung der Region Hannover lehnte im März einen ähnlichen Antrag zu den Berufsverboten (Stellungnahme, Rehabilitierung) nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern wegen Nichtzuständigkeit ab (20.03.2012).
- 2013 haben wir in Hannover, unterstützt von der GEW, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di, eine zweite bundesweite Konferenz gegen Berufsverbote ausgerichtet und dies mit einer sehr erfolgreichen Veranstaltung mit dem Thema „Verfassungsschutz – Gefahr für die Demokratie?!“ verbunden.
… und die Konsequenzen
Der neue niedersächsische Landtagsantrag nach dem Regierungswechsel wurde vorbereitet durch eine wieder von der GEW unterstützte Aktion im Januar 2014. Durch ihre öffentliche Unterschrift unter eine Tafel mit dem Antragstext bekräftigten die Fraktionen der SPD und der Grünen ihre Absicht, den Antrag zur Aufarbeitung des sog. „Radikalenerlasses“ in dieser Legislaturperiode wieder aufzunehmen. Und so ist es dann auch geschehen.
Der Debatte dazu im Landtag folgte die Überweisung an den Innenausschuss, und dieser beraumte für den Oktober 2014 eine Anhörung zum Thema an. Geladen wurden der DGB, eine Vertreterin unserer Initiative, der Niedersächsische Beamtenbund – möglicherweise auf Initiative der FDP? – und auf Wunsch der CDU drei Professoren, die dem äußersten rechten Spektrum zuzurechnen sind, Chefideologen des sog. „Verfassungsschutzes“ und als Vertreter von Totalitarismus- und Extremismustheorien Profiteure der Wiedervereinigung.
Die Anhörung vor dem Innenausschuss fand dann am 9. Oktober 2014 statt. Zuvor gab es am Denkmal der „Göttinger Sieben“ vor dem Niedersächsischen Landtag eine von unserer Initiative organisierte Kundgebung. Die „Göttinger Sieben“ waren eine Gruppe von Göttinger Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung im Königreich Hannover protestierten und dafür mit Berufsverboten belegt bzw. des Landes verwiesen wurden. In Anwesenheit einer Vielzahl niedersächsischer Berufsverbots-Betroffener befürworteten u. a. die Landtagsabgeordneten Meta Janssen-Kucz für die Grünen und Michael Höntsch für die SPD sowie Rüdiger Heitefaut für den DGB bzw. die GEW den im Landtag vorliegenden Antrag.
Die anschließende Anhörung wurde wegen des großen öffentlichen Interesses in den Plenarsaal des Landtags verlegt. Zur Überraschung der Mitglieder des Innenausschusses und des Publikums erschienen die auf Wunsch der CDU und der FDP Geladenen allesamt nicht. Der Vertreter des Niedersächsischen Beamtenbundes sowie die Professoren Uwe Backes und Eckhard Jesse blieben ohne Entschuldigung der Anhörung fern – ein Punktsieg für unsere Initiative. Wir hatten uns zuvor in einem Radiofeature[2] ausführlich mit ihren Positionen auseinandergesetzt.
Prof. Josef Isensee, emeritierter Jurist, hatte bereits vorher abgesagt. Hier eine Kostprobe aus seinem Brief an den Präsidenten des Niedersächsischen Landtags: „…. geht es erkennbar darum, dem Linksextremismus der Siebziger und Achtziger Jahre einen Persilschein auszustellen und eine rechtsstaatliche Märtyrerkrone aufzusetzen, den Rentnern der APO eine späte Genugtuung zu bereiten, als Nebeneffekt frühere Landesregierungen zu denunzieren, daß sie gegen die Verfassung verstoßen hätten. Die Antragsteller bedienen sich des rechtsfremden und rechtsverbiegenden Agitprop-Schlagwortes vom ‚Berufsverbot’ – ein Zeichen dafür, daß sie gar nicht darauf ausgehen, die Praxis juristisch zu analysieren und in eine sachliche Diskussion der damaligen wie der heutigen Rechtslage einzutreten. … Vollends erinnert der Text nicht an das grundgesetzliche Leitbild einer abwehrbereiten Demokratie. … Der Antrag ist indiskutabel.“
Hier spricht ein ewig-gestriger Konservativer, der bis heute nicht akzeptieren kann, dass die Berufsverbote eklatant gegen unser Grundgesetz verstoßen haben, das zu verteidigen sie vorgaben.
Die Forderungen des DGB – ein Highlight!
Für die Betroffenen habe ich selbst im Landtag Stellung bezogen. Aber besonders hervorzuheben ist die „Stellungnahme des DGB und der Mitgliedsgewerkschaften“ des DGB Bezirk Niedersachsen-Sachsen-Anhalt-Bremen, ein bemerkenswertes Positionspapier, das bei der Anhörung von der Kollegin Lea Arnold bzw. dem Kollegen Rüdiger Heitefaut vorgetragen wurde.
Das DGB-Papier enthält als Schwerpunkt insbesondere Forderungen zur materiellen Entschädigung von Berufsverbots-Opfern. In seinem Papier stellt der DGB zunächst fest: „Basierend auf der Beendigung der Berufsverbotepraxis durch die 1990 neu gewählte rot-grüne Landesregierung wäre es nun an der Zeit, dass die jetzige rot-grüne Landesregierung in einem weiteren Schritt die Aufarbeitung mit einer vollständigen Rehabilitierung und einem Ausgleich für erlittene Benachteiligungen in materieller und immaterieller Sicht weiter führt. Der DGB erwartet daher Schritte, um den Betroffenen Möglichkeiten zu eröffnen insbesondere die Folgen einer durch die Berufsverbotepraxis lückenhaften Erwerbsbiografie auszugleichen.“
Als konkrete Maßnahmen werden im Einzelnen gefordert:
- die Prüfung von Nachversicherungsmöglichkeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung und Nachversicherung durch das Land;
- ein finanzieller Ausgleich für Rentner/innen, deren Renten unwiderruflich beschieden sind, über eine Fondslösung;
- die Anerkennung von Berufsverbotszeiten als ruhegehaltsfähig für Beamt/innen im Dienst;
- ein Nachteilsausgleich für Ruhestandsbeamt/innen über die Fondslösung;
- analog die Einbeziehung von Hinterbliebenen (Ehe- und Lebenspartner/innen und Kindern) in die Fondslösung;
- die Finanzierung des Entschädigungsfonds durch das Land Niedersachsen;
- ein Beirat aus Vertreter/innen von Betroffenen, dem Land und der Gewerkschaften zur Bearbeitung und Bewilligung von Anträgen und Festsetzung der Entschädigungssummen.
Diese Forderungen ergänzen den Landtagsantrag entscheidend. Dort ist die materielle Rehabilitierung der Betroffenen gänzlich ausgeklammert. Auch die Abgeordneten von SPD und Grünen haben sich in Interviews und im Gespräch in dieser Frage immer sehr bedeckt gehalten. Sie sehen die Verantwortung für eine evtl. materielle Entschädigung beim Bund – aus gutem Grund: Das Land Niedersachsen ist hoch verschuldet und die Kassen sind leer.
Perspektiven
Noch ist der Antrag zur Aufarbeitung des sog. „Radikalenerlasses“ im Niedersächsischen Landtag nicht beschlossen. Nach der Anhörung wurde er nicht weiter behandelt. Und nicht zu unterschätzen ist der Widerstand, der ihm seitens der Rechten, d. h. der CDU-Fraktion und der noch im Landtag vertretenen FDP entgegengebracht wurde. Beide Fraktionen haben zwar bei der Einbringung und ersten Diskussion ihre konstruktive Mitarbeit bekundet. Doch gab es schon gleich aus ihren Reihen Zwischenrufe wie „Es ging doch um Kommunisten“ – ein erster Hinweis auf Störmanöver, die noch folgen sollten.
Die Ladung rechtslastiger Professoren als vermeintlich Sachverständige zur Anhörung ist als weiterer Versuch zu werten, einen positiven Entscheid über den Berufsverbots-Antrag zu verhindern. Und gleich in der nächsten Landtagssitzung am 22. Oktober 2014 brachte der niedersächsische CDU-Chef Thümler einen – gewissermaßen – ergänzenden Antrag ein mit dem Titel „Verrat an der Freiheit – Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“. Dazu soll eine Enquete-Kommission eingerichtet werden. Dieser Antrag wurde von allen Fraktionen unterstützt, angenommen und an den Ältestenrat weiter verwiesen.
Ein weiterer Störfaktor – ganz sicher von der CDU als solcher gemeint. Aber vielleicht sogar ein Eigentor: setzt dieser Antrag doch implizit die Berufsverbote der Bonner Republik und die damit verknüpften Machenschaften des Verfassungsschutzes der Stasi-Tätigkeit und den Stasi-Opfern gleich. Der Niedersächsische Landtag hat sich mit beiden Anträgen sehr viel an historischer Aufarbeitung vorgenommen. Wo wird er wohl den Schwerpunkt setzen? Wird die Aufarbeitung der Berufsverbote tatsächlich in Angriff genommen? Wird es eine arbeitsfähige Kommission dazu geben und wird sie im Sinne des vorliegenden Antrags tätig werden? Wir sind gespannt.
Aber wir bleiben natürlich nicht untätig. Unsere Initiative wird auch weiterhin diesen Prozess mit außerparlamentarischen Aktionen unterstützen und hoffentlich positiv befördern. Zunächst haben wir dem Innenausschuss Vorschläge für eine Besetzung der Kommission unterbreitet. Dazu gehören u. a.
- Prof. Dr. Wolfgang Wippermann, Historiker aus Berlin, der sich besonders mit der den Berufsverboten zugrunde liegenden Totalitarismusideologie auseinandergesetzt hat;
- der Historiker Dr. Dominik Rigoll, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Jena, der die Vorgeschichte der Berufsverbote seit den 1950er Jahren erforscht und in seinem sehr lesenswerten Buch „Staatsschutz in Westdeutschland“ beschrieben hat;
- Prof. Dr. Josef Foschepoth, Professor für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg, der der sich mit der Geschichte der Repression in der Bundesrepublik Deutschland befasst, und
- Dr. Rolf Gössner, RA, Publizist, Stellv. Richter am Staatsgerichtshof in Bremen, der sich seit langem mit der Rolle der Polizei und der Geheimdienste beschäftigt.
Der Kampf geht weiter
Sowohl der Landtagsantrag als auch das DGB-Papier zu den Berufsverboten bieten mit ihren Einschätzungen und Forderungen auch für andere Bundesländer hervorragende Anknüpfungspunkte. Und es tut sich etwas.
Ein erstes Ergebnis: In der Hamburger Bürgerschaft ist die Fraktion der Linken tätig geworden und hat fast gleich lautend einen Antrag formuliert, der in der nächsten Legislaturperiode eingebracht werden soll. SPD-Fraktion und Grüne haben in Gesprächen bereits ihre prinzipielle Unterstützung geäußert.
In Baden-Württemberg ist Ministerpräsident Kretschmann, selbst seinerzeit vom Berufsverbot betroffen, bisher nur unangenehm zu diesem Thema aufgefallen. Kretschmann in einem Interview zum sog. „Radikalenerlass“: „… so was würden wir heut natürlich nicht mehr machen, aber dass wir jetzt nicht Kommunisten in den Staatsdienst lassen, daran hat sich sicher nichts geändert…“ Nun hat er sich nach einer Kundgebung von Betroffenen am Tag der Menschenrechte vor dem Stuttgarter Landtag gegenüber dpa immerhin für eine wissenschaftliche Aufarbeitung ausgesprochen – wenn auch nicht im Parlament, so doch an den Hochschulen. Die Betroffeneninitiative in Baden-Württemberg wird uneingeschränkt von der GEW unterstützt, und auch hier geht es weiter in Richtung Aufhebung des sog. „Radikalenerlasses“ und Rehabilitierung.
Ebenso gibt es in Nordrhein-Westfalen in Sachen Berufsverbot viel versprechende Kontakte zur GEW und zu einzelnen Landtagsabgeordneten.
In Niedersachsen arbeiten wir zurzeit an einer Wanderausstellung zum Thema Berufsverbote. Sie soll noch in diesem Jahr in Hannover eröffnet werden und, von Veranstaltungen flankiert, unser Anliegen im ganzen Land weiter vorantreiben – bis nach Berlin zum Bundestag.
Repression und politische Verfolgung in der Bonner Republik werden bis heute verschwiegen und geleugnet. Wir Berufsverbots-Betroffene sind Zeitzeugen dafür und haben die Aufgabe, dieses Unrecht vor dem Vergessen zu bewahren. Und wir fordern unsere volle Rehabilitierung nicht nur für uns persönlich, sondern für unsere Gesellschaft insgesamt. Wir treten damit ein für eine Bundesrepublik, die zu ihrer Nachkriegsgeschichte steht – im Westen wie im Osten – und in der es ein glasklares Einverständnis darüber gibt, dass – und das ist noch einmal ein Zitat aus dem niedersächsischen Antrag – „politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen.“
Damit unsere Demokratie etwas kompletter wird: Weg mit den Berufsverboten – endlich und endgültig!
[1] Vgl. www.berufsverbote.de.
[2] Bei www.radioflora.de nachzuhören.