„... wenn die Weberschiffe selber webten und
die Zitherschlägel von selber die Zither schlügen,
dann freilich bedürfte es für die Meister nicht
der Gehilfen und für die Herren nicht der Sklaven.“
Aristoteles, Politik, (1253b, 39-40-1254a)
„In ihrer konkreten Bedeutung ist ... unter Automation
die vollkommene Technisierung des Arbeitsprozesses
zu verstehen mit dem Ziel, letztlich jede bislang manuell
geleistete Arbeit durch die Arbeit einer Maschine zu ersetzen, dieser aber
zugleich auch die Bedienung, Steuerung und Überwachung des
Produktionsprozesses so weit zu übertragen, dass vom Beginn der Arbeit bis
zum fertigen Erzeugnis bzw. bis zum gewünschten Ergebnis
kein menschlicher Eingriff mehr erforderlich ist.“
H. Schachtschabel,
Automation in Wirtschaft und Gesellschaft,
Reinbek b. Hamburg 1964, S. 13.
Soweit wird’s – auch durch die ‘digitale Revolution’ – jedenfalls so bald nicht kommen, und schon gar nicht wird sich die kapitalistische Klassengesellschaft von selbst auflösen, wie es uns Sozialgurus vom Schlage eines Jeremy Rifkin seit einiger Zeit weismachen wollen. In der Verlagswerbung zu seinem neuesten Bestseller[1]heißt es: „Der Kapitalismus geht seinem Ende entgegen. Das geschieht nicht von heute auf morgen, aber dennoch unaufhaltsam. Und die Zeichen dafür sind längst unübersehbar: sinkende Produktionskosten, Share Economy, Internet der Dinge. Jeremy Rifkin, Visionär und Bestsellerautor, fügt die Koordinaten der neuen Zeit endlich zu einem erkennbaren Bild zusammen. Aus unserer industriell geprägten erwächst eine globale, gemeinschaftlich orientierte Gesellschaft. In ihr ist Teilen mehr wert als Besitzen, sind Bürger über nationale Grenzen hinweg politisch aktiv und steht das Streben nach Lebensqualität über dem nach Reichtum.“
Dass so etwas Leser ansprechen soll und wohl auch tatsächlich findet, kann indessen als Symptom dafür gelten, dass es in breiten Bevölkerungskreisen – und nicht nur hierzulande, schließlich sind Rifkins Elaborate auch in den angelsächsischen Ländern, wenn nicht weltweit, erfolgreich – ein großes und offenbar wachsendes Unbehagen an den ökonomischen, sozialen, politischen, kulturellen und naturzerstörerischen Auswirkungen des globalen Kapitalismus gibt – und deshalb auch die Suche nach Alternativen Konjunktur hat. Der Anschein, dass es sich bei Rifkins Elaboraten um so etwas wie eine ‘konkrete Utopie’ (Erhard Eppler) handeln könne, hat damit zu tun, dass Rifkin nicht nur die verbreiteten Sehnsüchte nach einer besseren, gerechteren und ökologisch vertretbaren Organisation der Gesellschaft bedient, sondern sich auf Prozesse und Tendenzen stützt, deren – wenngleich eher diffuser – Realitätsgehalt längst im Massenbewusstsein angekommen ist.
I.
Niemand wird heute ernsthaft bezweifeln, dass der Computer, das Internet, Künstliche Intelligenz, Smartphones und Tablets, Social Media, Cloud-Computing, Big und Smart Data etc. seit nunmehr gut drei Jahrzehnten die Arbeits- und Lebenswelt der meisten Menschen weltweit und vielfach grundlegend verändert haben und wohl kaum auch, dass wir vor neuen Entwicklungssprüngen auf diesem Gebiet stehen. Jede seriöse Prognose der weiteren Entwicklung der ‘digitalen Revolution’ und ihrer ökonomischen und sozialen Folgen, ebenso wie jeder glaubwürdige Entwurf einer gesellschaftlichen Alternative zum herrschenden System des Kapitalismus, ohne die es keine längerfristig erfolgreiche anti-kapitalistische Bewegung geben wird, muss sich auf die konkrete Analyse des gegenwärtigen Standes und der sich darin abzeichnenden Perspektiven stützen.
Von daher wären dezidiert marxistische Analysen des Standes und der heute vorhersehbaren Entwicklung von Technik und Technologie (mit einem Schwerpunkt auf Computer und Computerwissenschaft im weitesten Sinne) auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, vor allem aber der Produktivkraftentwicklung, nicht nur von theoretischem, sondern auch von hohem politisch-praktischem Interesse. Dort aber klafft – von wenigen Ausnahmen abgesehen[2] – zumindest hierzulande[3] eine bemerkenswerte Lücke. Während an marxistischen Analysen des Finanzkapitalismus, der finanzgetriebenen Akkumulation und der dadurch ausgelösten großen Wirtschaftskrise seit 2007ff. kein Mangel herrscht[4], beschränken sich die darauf fußenden Alternativentwürfe und sozialen Forderungen weitgehend auf Vorschläge zur Entmachtung der Banken, zur Regulierung der Finanzmärkte, zur progressiven Besteuerung von Einkommen, Vermögen und Erbschaften etc., deren sozial-ökonomische Bedeutung keineswegs geleugnet werden soll[5], die aber insgesamt kaum über die gegenwärtige Form der kapitalistischen Produktionsweise hinausweisen, ja sie, wie bei Piketty, sogar stabilisieren sollen.[6]
Immerhin sind aber Marxisten – zumindest der heute älteren Generation – jene Passagen aus den ‘Grundrissen’ noch geläufig, in denen es heißt: „Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert […]. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört die Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen …“.[7] Wenn also in einem solchen Stadium der Entwicklung von Wissenschaft und Technologie, wie es vor Jahren noch ziemlich unbeholfen hieß, ‘der Gesellschaft die Arbeit ausgeht’, ist zwar möglicherweise diese Form der Gesellschaft, nicht aber sind die menschlichen Individuen historisch obsolet geworden. Im Gegenteil: „Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffne.“[8] Auf der nämlich die objektiven Voraussetzungen entstanden sind für die „freie Entwicklung der Individualitäten“ durch „die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch für sie alle freigewordne Zeit und geschaffnen Mittel entspricht.“[9] Hieraus ergibt sich die theoretisch entscheidende Fragestellung nach dem Übergang zu einer höheren Gesellschaftsformation, der nachzugehen sich lohnte.[10]
„… die politische Ökonomie ist nicht Technologie.“[11] Das hinderte Marx keineswegs daran, sich mit Fragen der Technologie ausführlich zu beschäftigen. Den berühmten Überlegungen von Marx in den ‘Grundrissen’, den ‘Manuskripten von 1861-1863’, sowie den ausführlichen Passagen des ‘Kapital’ über den Arbeitsprozess, die Kooperation, über Manufaktur, Maschinerie und große Industrie liegen umfangreiche Studien über Theorie und Geschichte der Technologie und der Naturwissenschaften zugrunde, die Marx in Brüssel und später in London betrieben hat.[12] Wenn Marx in seiner ‘Kritik der politischen Ökonomie’ auf die Grenzen der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie verweist, wenn er die Schranken einer auf Wert- und Mehrwertproduktion beruhenden Produktionsweise benennt, so liegt diesen Überlegungen keinesfalls ein technologischer Determinismus zugrunde. Die technische Revolution schafft allenfalls die materiellen Voraussetzungen der sozialen: „In schneidenden Widersprüchen, Krisen, Krämpfen drückt sich die wachsende Unangemessenheit der produktiven Entwicklung der Gesellschaft zu ihren bisherigen Produktionsverhältnissen aus. Gewaltsame Vernichtung von Kapital, nicht durch ihm äußre Verhältnisse, sondern als Bedingung seiner Selbsterhaltung ist die schlagendste Form, worin ihm advice gegeben wird, to be gone and to give room to a higher state of social production.“[13]
II.
Dies alles ist, vor allem unter akademischen Marxisten, wohlbekannt und kaum einer wird die ‘philosophische’ Bedeutung dieser Überlegungen offen in Frage stellen. Und doch erscheinen sie – angesichts der manchmal überwältigenden technologischen Realität des gegenwärtigen Kapitalismus – seltsam wirklichkeitsfremd. Insbesondere wenn man bedenkt, dass ausgerechnet der ehemals sich als real bezeichnende Sozialismus nicht zuletzt an der mangelhaften Entwicklung der Produktivkräfte im Vergleich zur eigentümlich anhaltenden (‘schumpeterschen’) Dynamik des Kapitalismus zugrunde ging. Wer angesichts der heutigen Verhältnisse auf die Diskussion zurückblickt, die noch in den 1970er Jahren über die Revolution der Produktivkräfte in der damaligen DDR zwischen Jürgen Kuczynski und Wolfgang Jonas Mitte der 1970er Jahre geführt worden war[14], wird aus dem Staunen über die vermeintliche ‘Naivität’ oder den Dogmatismus damaliger DDR-Marxisten kaum herauskommen. Jürgen Kuczynski fragte sich – ein knappes Jahrzehnt, bevor die Halbleiter-Industrie der DDR sich an der Produktion von 256MB-Chips verhob[15]: „Kann die wissenschaftlich-technische Revolution unter den Produktionsverhältnissen des Kapitalismus durchgeführt werden?“[16] Und seine Antwort lautete lapidar: „Die wissenschaftlich-technische Revolution wird unter dem staatsmonopolistischen Kapitalismus [man muss dazu wissen, dass für Kuczynski Lenins These vom staatsmonopolistischen Kapitalismus als ‘unmittelbare Vorstufe zum Sozialismus’ noch immer galt – WG] nicht durchgeführt und kann auch theoretisch [sic] nicht durchgeführt werden.“ Niemals werde die WTR „ein solches Ausmaß in der kapitalistischen Produktion erreichen können, dass man sagen kann: der Mensch steht neben dem Produktionsprozess, ist nur noch ihr Wächter und Regulator.“[17] Hier wurde Marx’ theoretische – und bis zu einem gewissen Grade wohl auch spekulative – Analyse aus den ‘Grundrissen’ als empirische Prognose missverstanden und damit überstrapaziert.
Das alles aber hinderte Kuczynski und Jonas freilich keineswegs daran – gestützt auf Marx ‘Grundrisse’ – , theoretisch bemerkenswert klare und prinzipiell auch heute – unter den Bedingungen der ‘digitalen Revolution’ – noch geltende Überlegungen zum ‘Kernprozess’ der WTR anzustellen, wie sie allerdings schon früher, gegen Ende der 1960er Jahre, in dem von ihnen nicht genannten Richta-Report enthalten waren.[18]
So heißt es bei Jonas: „Die Begründung der Wissenschaft von den dynamischen Regelprozessen und die Entwicklung der Elemente der Steuer- und Regeltechnik leiteten gegen Ende der vierziger Jahre dieses Jahrhunderts einen revolutionären Prozess im Bereich der gesellschaftlichen Produktivkräfte ein, dessen ganze Tragweite und Auswirkung heute noch nicht im vollen Umfang übersehen werden kann. Kernprozess dieser beginnenden revolutionären Umgestaltung ist die Automatisierung der Produktion. Die wissenschaftlich-technische Revolution ist genausowenig wie die Industrielle Revolution des Kapitalismus eine nur technische Revolution, sie erfasst und wandelt die gesamte Struktur der Gesellschaft.“ Jonas betont – noch ohne Ahnung von der zukünftigen Bedeutung der Computer etc. –, „dass das entscheidende Glied, von dem die ganze gesellschaftliche Umwälzung ausgeht“, die Steuer- und Regeleinrichtungen innerhalb des automatischen Maschinensystems sind. „Durch die Einführung technischer Steuer- und Regeleinrichtungen schiebt der Mensch in dem Auseinandersetzungsprozess mit der Natur wiederum ein neues Element der gesellschaftlichen Produktivkräfte zwischen sich und die Natur. Seine Stellung in diesem Auseinandersetzungsprozess, seine Stellung zur Natur, das heißt seine Stellung als Produktivkraft, wird verändert. Der Mensch scheidet als Glied des produktionstechnischen Systems aus dem unmittelbaren Produktionsprozess, dem eigentlichen Fertigungsprozess, aus. All die qualvollen psychisch und physisch so belastenden Routinefunktionen, die höchste Konzentration bei gleichzeitiger unendlicher Monotonie abverlangten, die geistige und körperliche Beweglichkeit erforderten, aber zugleich Geist und Körper durch die auf die Spitze getriebene Vereinseitigung verkümmern ließen, übergibt der Mensch einem technischen System. Der Mensch tritt neben den Fertigungsprozess als sein Arrangeur und Konstrukteur. Der eigentliche Fertigungsprozess ist zu einem geschlossenen System der vom Menschen zweckgerichtet aufeinander wirkenden Naturgewalten geworden, vergegenständlichte Wissenschaft des Menschen, der dank der ‘List der Vernunft’ die Naturkräfte aneinander so abarbeiten lässt, dass die von ihm gewünschte Veränderung der Naturstoffe vollzogen wird.“ (Hervorh. WG)[19]
Dies alles sollte freilich nach Kuczynski unter den sozial-ökonomischen Verhältnissen des Kapitalismus nicht möglich und vor allem mit seinen positiven sozialen Folgen nur sozialistischen Verhältnissen vorbehalten sein. Heute aber stehen wir unter neoliberal entfesselten finanzkapitalistischen Verhältnissen mitten in einer Produktivkraftrevolution, die alle wesentlichen Merkmale der von Kuczynski, Jonas oder im Richta-Report als ‘wissenschaftlich-technisch’ bezeichneten Revolution aufweist, ja sie tendenziell noch hinter sich zu lassen scheint. Denn mit dem Kernprozess der heute in Deutschland als Industrie 4.0 (anderswo unter anderem Logo: ‘smart factory’, ‘integrated industry’, ‘industrial internet’) propagierten und prognostizierten Etappe der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung, dem ‘Internet der Dinge’, wird – sofern man deren Propagandisten glauben darf – der Mensch (als lebendiger Träger der Arbeitskraft) nicht einmal mehr als ‘Wächter und Regulator’ des unmittelbaren Produktionsprozesses (allenfalls als ‘Retter in letzter Instanz’, vergleichbar dem Staat in der Finanzkrise) benötigt werden, denn gerade das ‘Überwachen’ und ‘Regulieren’ des Maschinensystems, der ganzen Fabrik und selbst darüber hinaus, wird als Spezifikum der technischen (digitalen) Selbstregulation im ‘Internet der Dinge’ (IdD) der Industrie der nahen Zukunft angesehen.
Gegenüber solch euphemistischen Technikprognosen, insbesondere, wenn sie – wie im Falle des Projekts ‘Industrie 4.0’ – von interessierter Seite vorgetragen werden[20], ist Skepsis angebracht, nicht zuletzt auch was den Zeithorizont anbelangt. Ob sich das ‘Mooresche Gesetz’, wonach sich die Leistungsfähigkeit (oder Komplexität) integrierter Schaltkreise (als ‘stoffliche’ Grundlage der digitalen Revolution) ca. alle ein bis zwei Jahre verdoppelt, auch auf das hochkomplexe Zusammenwirkung von Computer-Hard- und ‘immaterieller’ Software, d.h. auf die potentielle Produktivität der digitalisierten Produktion übertragen lässt, ist keineswegs ausgemacht. Dennoch wäre es ein fataler Irrtum, die Dynamik der Entwicklung auf diesem Gebiet zu unterschätzen, auch und gerade in der aktuellen Periode des Umbruchs vom Internet als Kommunikationsmedium zwischen Menschen (allenfalls zwischen Mensch und Maschine) zum ‘Internet der Dinge’ in der industriellen Produktion. Dabei handelt es sich um die dynamische Vernetzung von ‘realer’ (stofflich, dinglich existierender) ‘Welt’ (in Form von Produkten und Produktionsmittel) und ‘digitaler Welt’ (symbolisch in Form von Programmen, Algorithmen etc. repräsentierter ‘Welt’) zu einem ‘cyber-physischen System’.[21]
Nun gilt zwar – trotz eifriger Propaganda – noch immer: „Keiner weiß genau, was Industrie 4.0 ist, aber jeder redet darüber.“[22] Die Praktiker haben jedoch durchaus konkrete Vorstellungen: „Es geht bei Industrie 4.0 um zwei entscheidende Dinge. Am Ende soll erreicht werden, dass die Produkte mit den Maschinen kommunizieren. Heute wird eine Produktionsanlage so automatisiert, dass sie in kurzer Zeit einen hohen Durchlauf hat. Große Stückzahlen in kurzer Zeit, Skaleneffekte stehen im Vordergrund. Dazu reicht es, die Anlagen individuell zu steuern. Künftig soll die Anlage – der Roboter, das Band, das Bearbeitungszentrum – nicht nur an jedem Werkstück den Arbeitsgang vornehmen, den man ihr einprogrammiert hat. Künftig wird die Produktionsanlage selbst erkennen, was sie an dem neuen Werkstück zu machen hat. Dazu muss das Werkstück seine Visitenkarte in Form eines elektronischen Chips, einer funktechnisch ablesbaren Kennung oder eines ablesbaren Strichcodes ähnlich wie im Supermarkt an sich tragen. Die Maschine erkennt die Visitenkarte und weiß, was zu tun ist. Es wird nicht mehr jedes Werkstück gleich bearbeitet, sondern individuell. Theoretisch geht es nicht um immer größere, sondern um kleinere Serien oder im Extrem um automatisierte, individuelle Einzelfertigung. Wenn aber jede Bearbeitungsmaschine selbst erkennt, was an einem Werkstück zu tun ist, kann sich mit der gleichen Technik auch jedes Werkstück seine Bearbeitungsmaschine suchen, also spontan freie Kapazitäten auswählen, und muss nicht einem lange vorher ausgearbeiteten Produktionsplan folgen. Die Produktion wird effizienter. Diese enge und direkte Verknüpfung von Produkt und Produktion funktioniert aber nur, wenn die Dualität gegeben ist. Das bedeutet, zu jedem realen Objekt muss es ein virtuelles Abbild geben. Jedes Produkt, jede Maschine muss digital erfasst sein, damit sie später mit anderen Maschinen oder Werkstücken kommunizieren kann. Kommunizieren können die beiden nur auf der virtuellen Ebene. Die Gemeinsamkeit von physisch realem Bild und digitalem Abbild bezeichnen Experten als cyberphysikalisches Produktionssystem. Bis hierher ist noch nicht einmal das Internet im Spiel. „Industrie 4.0 geht auch ohne Internet[23] … Aber mit Internet geht es noch besser und vor allem weiter, weil Internet die Möglichkeiten der Kommunikation in der Fabrik kombiniert mit der Kommunikation mit anderen Fabriken, mit Lieferanten und Kunden.“[24]
III.
Natürlich haben die Gewerkschaften die großen und für die industriellen wie für die Dienstleistungsbeschäftigten vielfach bedrohlichen Konsequenzen dieser neuen Etappe der digitalen Revolution längst erkannt, wie die zahlreichen Arbeitskreise, Konferenzen etc. der letzten Jahre belegen.[25] Aber dabei ging es, und kann es wohl auch unter den derzeitigen sozial-politischen Bedingungen nur um die Frage der Mitgestaltung und sozialen Abfederung der nach wie vor kapitalistisch bestimmten Produktivkraftrevolution im Beschäftigteninteresse gehen. Aber wenn das prognostizierte ´Internet der Dinge´ in der Industrie und im Dienstleistungssektor in den kommenden ein bis zwei Jahrzehnten tatsächlich auch nur annähernd jenen quantitativen und qualitativen Wandel hervorbringt, wie von seinen Protagonisten verkündet, stellen sich die in (II) angedeuteten Diskussionen der 1960/1970er Jahre nach den sozialen Folgen von Automation und wissenschaftlich-technischer Revolution bis hin zur Problematik des Formationswechsels nunmehr auf weitaus höherem Entwicklungsniveau erneut. Gewiss nicht als Tagesaufgabe, wohl aber als perspektivisch mittel- und längerfristige Herausforderung für eine marxistisch fundierte, strategisch orientierte Politik. Denn das oben von dem Vertreter von Siemens zuletzt genannte Potential der ‘digitalen Revolution’ weist prinzipiell weit über die von ihm genannte Unternehmensperspektive, ja über eine von Konkurrenz und Ausbeutung der Arbeitskraft geprägte Gesellschaft hinaus auf eine Produktionsweise, in der frei assoziierte Individuen ihre produktiven wie allseitigen Beziehungen untereinander und zur Natur in ihrer Gesamtheit auf demokratische, solidarische und zugleich rationelle Weise zu regeln in der Lage wären, einer Gesellschaft, in der ‘Big- und Smart Data’ (als digitale Basis gesellschaftlicher Planung) nicht vorwiegend als Bedrohung, sondern als Chance begriffen werden könnten. Dies in einer programmatischen Alternative auf wissenschaftlicher Basis für eine große Mehrheit der Menschen glaubhaft deutlich zu machen, wäre eine – freilich nur diskursiv und gemeinsam – zu lösende Aufgabe für Marxisten im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts.
[1] J. Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus, Frankfurt/New York 2014.
[2] Etwa das ‘Projekt Automation und Qualifikation’ aus den späten 1970er und frühen 1980er Jahren: Vgl. F. Haug u.a., Widersprüche der Automationsarbeit. Ein Handbuch, Berlin 1987, wo aber die ‘digitale Revolution’ nur in ihren allerersten Anfängen (CAD/CAM, Roboter usw.) berücksichtigt werden konnte. Aktueller z.B.: D. Sauer, Arbeit im Übergang. Zeitdiagnosen, Hamburg 2005. Auch ders., Arbeit im Übergang – Gesellschaftliche Produktivkraft zwischen Entfaltung und Zerstörung (http://www.grundrisse.net/grundrisse48/arbeit_im_uebergang.htm)
[3] Nach meinem Eindruck aber auch anderswo. Auf die weitgehend empiriefreien Spekulationen zur ‘immateriellen Arbeit’, etwa im italienischen Postoperaismus, soll hier nicht eingegangen werden.
[4] Wobei übrigens die Frage nach der technischen (und mathematischen: Algorithmen) Basis des globalisierten Finanzkapitalismus und der für ihn typischen Spekulation (Casino-Kapitalismus) bis hin zum Hochfrequenzhandel – ohne dessen Bedeutung hier überbewerten zu wollen – zumeist gar nicht erwähnt wird. Es ist das Verdienst des von W. F. Haug propagierten Begriffs ‘Hightech-Kapitalismus’, diese gemeinsame Grundlage von ‘Realwirtschaft’ und ‘Finanzwirtschaft’ betont zu haben. Zuletzt: W. F. Haug, Hightech-Kapitalismus in der großen Krise, Hamburg 2012.
[5] Man denke an die von sozialen Bewegungen wie Occupy Wall Street u. a. ausgelöste, hierzulande durch die diversen Armutsberichte der Bundesregierung noch verstärkte und durch die fundierten Untersuchungen Thomas Piketty wissenschaftlich unterstützte Ungleichheitsdebatte. Th. Piketty. Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014.
[6] Vgl. Georg Fülberth, Piketty: Verteilungsgeschichte des 20. Jahrhunderts, im vorliegenden Heft; J. Bischoff/B. Müller, Pikettys Kapital im 21. Jahrhundert. Der moderne Kapitalismus – eine oligarchische Gesellschaft?, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 9/2014; R. Rilling, Thomas Piketty und das Märchen vom Gleichheitskapitalismus, in: Blätter für dt. und int. Politik, 59. Jg., H. 11/2014, S. 81-91.
[7] K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 593.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] Vgl. W. Goldschmidt, ‘Kommunismus’ – ein falsch verstandener Begriff? Überlegungen zur Dialektik von Individualität und Kollektivität bei Marx, in: Z 96, Dezember 2013 , S. 90-105 (Teil I), und Z 97, März 2014, S. 166-181 (Teil II).
[11] K. Marx, Grundrisse, a.a.O., S. 7.
[12] Vgl. K. Marx, Die technologisch-historischen Exzerpte. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. H.-P. Müller, Frankfurt/M./Berlin/Wien 1982. Jetzt zuverlässiger in MEGA2, Abt. IV, Bde 6 (Brüssel), 9 (Londoner Hefte) und später.
[13] K. Marx, Grundrisse, a.a.O., S. 635f.
[14] J. Kuczynski, Vier Revolutionen der Produktivkräfte. Theorien und Vergleiche. Mit kritischen Bemerkungen und Ergänzungen von Wolfgang Jonas, Berlin 1975.
[15] Zu den realhistorischen Bedingungen dieses Problems vgl. J. Roesler in diesem Heft.
[16] Kuczynski, a.a.O., 118-127.
[17] Kuczynski, a.a.O., 127.
[18] R. Richta u.a. (Hg.), Politische Ökonomie des 20. Jahrhunderts. Die Auswirkungen der technisch-wissenschaftlichen Revolution auf die Produktionsverhältnisse, Frankfurt/M. 1971.
[19] W. Jonas zit. nach Kuczynski, a.a.O. 114f.
[20] Das Projekt ‘Industrie 4.0’ wird schließlich von der deutschen. Industrie gemeinsam mit halbstaatlichen Forschungseinrichtungen (Fraunhofer-Gesellschaft u.a.) und der Bundesregierung durchgeführt und von letzterer auch finanziell unterstützt, um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft gegenüber Konkurrenzprojekten wie dem „Industrial Internet Consortium“ (IIC) verschiedener US-Konzerne zu sichern.
[21] Die ersten Ansätze des IdD werden sich voraussichtlich – vermutlich sogar früher als in der industriellen Produktion – auch in anderen Bereichen (Lagerhaltung, Logistik und Verkehr, Haushalt etc.) durchsetzen.
[22] Kai Schweppe, Geschäftsführer Arbeitspolitik des Verbands Südwestmetall, zit. n. FAZ v. 27.10.2014, S. 20.
[23] Gemeint ist hier, dass anstelle des World-Wide-Web zunächst auch das (fabrik- oder unternehmensinterne) Intranet benutzt werden kann. Die temporäre Einschränkung reflektiert das aktuelle Misstrauen der dt. Industrie gegenüber der digitalen Industriespionage sog. freund-feindlicher Mächte.
[24] S. Russwurm, Vorstandsvorsitzender des Sektors Industrie und Mitglied im Vorstand der Siemens AG, zit. n. G. Giersberg, Eine Vision auf dem Weg zur Wirklichkeit, in: FAZ v. 3. 7. 2013, S. U3.
[25] Die IG-Metall hat im September 2014 gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung bereits ihre 6. Konferenz zu den sozialen Folgen von ‘Engineering und IT’ veranstaltet.