I. Verschiebungen in der Sozialstruktur
In den Sozialstruktur- und Klassenverhältnissen der (alten) Bundesrepublik haben sich in den zurückliegenden vierzig Jahren wesentliche Veränderungen vollzogen. Dabei geht es sowohl um offenbar langfristige Trends der Sozialstrukturveränderung wie auch um deutliche Brüche. Das ist in dieser Zeitschrift in einer ganzen Reihe von Beiträgen diskutiert und dargestellt worden und muss im Einzelnen nicht wiederholt werden.[1] Dieser Sachverhalt wird inzwischen auch in der zeitgeschichtlichen Forschung zur Kenntnis genommen, ohne die tiefer liegenden Ursachen zu erfassen.[2]
Zu den scheinbar eindeutigen („säkularen“) Langfristtrends gehört bei den Erwerbstätigen nach Stellung im Beruf – die arbeitsrechtlichen Kategorien haben freilich sehr oberflächlichen Charakter – der mehr oder weniger kontinuierliche Rückgang der Arbeiterbeschäftigung und der enorme Zuwachs der Angestelltenbeschäftigung. Mitte der 1980er Jahre kehrte sich das quantitative Verhältnis ihres jeweiligen Anteils an der Gesamtbeschäftigung um. Der Arbeiteranteil fiel in der alten BRD von 42 Prozent 1970 auf 37 Prozent 1980, der Angestelltenanteil stieg von 37 auf 43 Prozent. 2013 liegt diese Relation bei 23 zu 60 Prozent.[3] Dies wird mit dem generellen Trend der wachsenden Bedeutung des tertiären (Dienstleistungs-) Sektors und dem quantitativen Bedeutungsverlust des Bereichs der materiellen Produktion – also der Industriewirtschaft bzw. des „produzierenden Gewerbes“ der amtlichen Statistik – in Zusammenhang gebracht. Abelshauser konstatiert: „1965 stand die westdeutsche Industriewirtschaft im Zenit ihrer relativen Ausdehnung: 59 Prozent aller Erwerbstätigen waren in ihr beschäftigt“.[4] Michael Schumann zufolge ist „Mitte der 1970er Jahre … jene Schnittstelle erreicht, an der der sekundäre Sektor seine 70jährige Dominanz verliert.“[5] Beiden Autoren ist bewusst, dass mit dem Strukturwandel der Arbeit, der wachsenden Bedeutung der vor- und nachgelagerten Sektoren der materiellen Produktion, dem größeren Gewicht aller Bereiche der „immateriellen“, geistigen Arbeit für die materielle Produktion selbst die schematische Aufteilung in einen „sekundären“ und einen „tertiären“ Sektor an Erklärungskraft verliert. Im Dienstleistungssektor wird in vielen Bereichen zudem materiell produziert (Transport, Reparatur, Kochen, Reinigungstätigkeiten, Unterhalt von Infrastruktur und Umwelt u.a.m.), viele industrielle Dienstleistungen sind de facto nur ausgelagerte Bereiche der materiellen Produktion.[6]
Dennoch ist eindeutig, dass mit der Durchrationalisierung der materiellen Produktionssphäre und mit wachsender Produktivität der lebendigen Arbeit dieser Bereich einen viel größeren Überbau nützlicher (Bildung, Kultur, Pflege, div. Versorgungsdienste), aber auch unproduktiver und z.T. parasitärer Tätigkeiten (Sicherheits- und ideologische Apparate, Finanz- und Spekulationssphäre usw.) tragen kann. Dazu kommt die Ausweitung der Tätigkeiten, die für den ersten Lebensabschnitt von besonderer Bedeutung sind – die gesamte Sphäre der gesellschaftlich zu bewältigenden Kinderbetreuung, Erziehung und Qualifikation – wie der Care-Tätigkeiten, die mit wachsendem Gesundheitsverschleiß in der Arbeitswelt und der zeitlichen Ausdehnung der dritten Lebensphase „nach der Rente“ an Bedeutung gewinnen und gleichfalls nicht mehr allein familial zu bewältigen sind. Insofern ist die Ausweitung der Dienste zu Lasten der materiellen Produktion durchaus Realität, wenn auch auf nicht so spektakulärem Niveau, wie in der amtlichen Statistik ausgegeben.
Einige andere Trends verweisen eher auf Diskontinuitäten. Seit den 1970er Jahren wächst die Zahl der Erwerbstätigen im Gegensatz zu den 1960er Jahren wieder dauerhaft (1970 annähernd 26 Mio., 1990 über 29 Mio., in der BRD nach 1990 von knapp 37 Mio. im Jahr 2000 auf über 40 Mio. 2012), zugleich steigt die Zahl der Erwerbslosen schubweise an (amtliche Erwerbslosenquote 1970 = 0,6 Prozent, 1990 = 6,3 Prozent; 2000 = 9,2 Prozent, 2010 = 7 Prozent). Die Erwerbslosenquote war seit 1950 kontinuierlich gefallen und hatte, mit der kleinen Ausnahme der Jahre 1966/67, bis Anfang der 1970er Jahre einen Tiefpunkt erreicht. Seit den 1980er Jahren nimmt die Zahl der Selbstständigen wieder zu (ihr Anteil an den Erwerbstätigen liegt 1970 noch deutlich über 10 Prozent, 1980 bei 8,6 Prozent und steigt bis annähernd 11 Prozent 2010). Dies hängt in erster Linie mit dem Zuwachs sog. „Solo-Selbständiger“ zusammen, die keine Beschäftigten haben und z.T. nur Niedrigsteinkommen erzielen, ist also eher verdeckte Prekarität.[7] Insgesamt zeigt sich, dass Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre in den für die Sozialstrukturentwicklung grundlegenden Wirtschaftsstrukturen offenbar Verwerfungen stattgefunden haben, die für die weitere Entwicklung von Belang sein sollten.
II. Übergang zur intensiv erweiterten Reproduktion
Für die Nachkriegsprosperität in den 1950er und 1960er Jahren spielte die kontinuierliche Verfügbarkeit zusätzlicher lebendiger Arbeitskraft, die in den Ausbau des expandierenden Produktionsapparates integriert werden konnte, eine wesentliche Rolle. Diese Phase war auch im Kernbereich der Wirtschaft, der Industrie, durch ein hohes Maß an extensiver Reproduktion des Kapitals[8] gekennzeichnet. Die Quellen zusätzlicher Arbeitskraft – kriegsbedingte Zuwanderung (Vertriebene und Flüchtlinge); der hohe Ausgangssockel an Arbeitslosen (noch 1950 lag die AL-Quote bei über 12 Prozent); der vergleichsweise hohe Bestand an agrarischen Arbeitskräften – waren mit dem Rückgang der AL-Quote auf unter 1 Prozent Anfang der 1960er Jahre weitgehend versiegt. Das galt auch für den Zustrom qualifizierter Arbeitskräfte aus der DDR, der 1956/57 bei ca. 270.000 jährlich gelegen hatte. Er verminderte sich in den Folgejahren und brach mit dem Mauerbau 1961 abrupt ab.[9] Dafür konnten aus Südeuropa seit Mitte der 1950er Jahre (Italien) bzw. Anfang der 1960er Jahre (Spanien, Griechenland, Türkei) – weitgehend unqualifizierte – Arbeitskräfte zu Hunderttausenden angeworben werden. Die Ausländerquote an den Beschäftigten stieg bis Mitte der 60er Jahre auf annähernd 5, bis zum Jahr des Anwerbestopps (1973) auf fast 12 Prozent (2,5 Mio.). In Branchen mit hoher Ausländerbeschäftigung wie der Automobilindustrie machte sie über 25 Prozent der Beschäftigten aus (1970). Aber gerade dort war die extensive Erweiterung der Kapazitäten mit sinkender Arbeitsproduktivität verbunden.[10]
In der Industrie der BRD nimmt die Beschäftigtenzahl zwischen 1950 und 1960 um 64 Prozent zu, in der nächsten Dekade dagegen nur noch um 6,5 Prozent.[11] In den 1950er Jahren wächst das Bruttoanlagevermögen je Industriebeschäftigten („Kapitalintensität“) um 34 Prozent, im folgenden Jahrzehnt dagegen viel stärker, um 72 Prozent.[12] Das verweist auf die rasch wachsende Bedeutung der technischen Rationalisierung für die Steigerung des Wirtschaftswachstums. Jeder einzelne Beschäftigte bewegt eine größere Masse an Produktionsmitteln (an fixem Kapital); damit kann auch eine überproportional wachsenden Masse an Roh- und Hilfsstoffen (Vorprodukte, d.h. zirkulierendes Kapital) verarbeitet werden, Voraussetzung steigender Produktivität. Hier zeigt sich, am ausgeprägtesten im Kernbereich der Wirtschaft, der Übergang zu einer vorwiegend intensiv erweiterten Reproduktion, der in den folgenden Jahren auch für die anderen Wirtschaftsbereiche Bedeutung erlangt. Die weitere Wirtschaftsentwicklung vollzieht sich unter Bedingungen, die von einem – trotz zunehmender Erwerbstätigenzahl – abnehmendem Arbeitsvolumen (gemessen in gesamtwirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden) gekennzeichnet sind.
Tab. 1: Erwerbstätige, Arbeitsvolumen, BIP und Arbeitsproduktivität – Veränderungen 1961-2010 (in Prozent)
Tabelle siehe PDF!
Ber. n.: Stat. BA, Datenreport 1992, S. 97; Stat. BA, Datenreport 2013, S. 115; Stat. BA, FS 18, R. 1.5, S. 14, 47; IAB-FB-A2, pers. Mitt.
Das durchschnittliche Jahresarbeitsvolumen der Erwerbstätigen geht in der alten BRD pro Dekade um etwa 10 Prozent zurück. Dies hat z.T. mit Arbeitszeitverkürzung, z.T. mit der Zunahme von Teilzeitbeschäftigung zu tun. Nach 1990 setzt sich dieser Trend, wenn auch etwas abgeschwächt, fort. Da die Gesamtbeschäftigung ansteigt, ist der Rückgang des Arbeitsvolumens des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters geringer. Das hier am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessene Wachstum der Wirtschaft ergibt sich bei insgesamt rückläufigem Arbeitsvolumen aus der steigenden Arbeitsproduktivität. [13]
Intensiv erweiterte Reproduktion heißt auch: Wachsender gesellschaftlicher Bedarf an qualifizierter Arbeitskraft (materielle Produktion, Bildung/Ausbildung, Gesundheitswesen usw.). Dies ist der Hintergrund der starken Ausweitung der Studierenden-Zahlen (von 500.000 1970 auf 2,5 Mio. 2012) und des steigenden Anteils qualifizierter und hochqualifizierter Arbeitskräfte bei den Erwerbstätigen.[14]
III. Sozialpolitische Kräfteverhältnisse
In den 1960er und beginnenden 1970er Jahren hatten niedrige Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftemangel die Lohnabhängigen und ihre Gewerkschaften sozialpolitisch in eine relativ starke Verhandlungsposition gebracht. Dazu kam die Konstellation des Kalten Krieges, die wegen der Auseinandersetzung mit der DDR keinen allzu großen Druck auf die westdeutschen Beschäftigten gestattete. Mit dem konjunkturellen Einbruch 1966/67 begann sich der Zyklus von Konjunktur und Krise in der BRD wieder stärker auszuprägen. Es kam zu Kurzarbeit, zum (moderaten) Ansteigen der Arbeitslosigkeit und zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik auch zum Absinken der Nettolohn- und Gehaltssumme in der Industrie. Einer der ersten Akte der 1966 ins Amt gelangten Großen Koalition bestand im Versuch der lohnpolitischen Einbindung der Gewerkschaftsvorstände durch sog. „lohnpolitische Orientierungshilfen“, die den Lohnanstieg in den folgenden Jahren bremsen sollten.[15]
Die Einbindung der Belegschaften und ihrer Gewerkschaften war aber nicht so leicht wie gedacht. Die nach der Krise durch inner- und zwischenbetriebliche Lohndifferenzen ausgelösten Septemberstreiks (1969) in der Eisen- und Stahlindustrie, in Teilen des Steinkohlebergbaus und einer Reihe größerer Betriebe der Metallverarbeitenden Industrie signalisierten ein wiedererwachtes Selbstbewusstsein in vielen Belegschaften. Auch in den folgenden Jahren mit niedriger Arbeitslosigkeit und hohem Arbeitskräftebedarf – zwischen 1960 und 1973 überstieg die Zahl der offenen Stellen die Zahl der registrierten Arbeitslosen i.d.R. um ein Vielfaches[16] – konnten bei Arbeitskämpfen z.T. beachtliche Lohnsteigerungen durchgesetzt werden: 1973/74 wurden z.B. in der Druckindustrie, im öffentlichen Dienst und der Metallindustrie Lohnerhöhungen von über 11 Prozent erstreikt (allerdings vor dem Hintergrund eines Anstiegs der Inflationsrate bis auf 7,1 Prozent 1973). Die bereinigte Lohnquote (Anteil der Lohn- und Gehaltssumme am Volkseinkommen) stieg zwischen 1968 und 1974 von 70 auf 76 Prozent – es war dies „die Periode mit dem längsten Anstieg der Lohnquote nach 1945. Niemals zuvor und nie wieder danach veränderte sich das Volkeinkommen derart deutlich.“[17] In dieser Phase konnten die Gewerkschaften Hunderttausende neuer Mitglieder gewinnen: Die IG Metall nahm von 1,96 Mio. Mitgliedern 1968 auf 2,59 Mio. 1974 zu, die DGB-Gewerkschaften insgesamt von 6,4 auf 7,4 Mio..[18] Diese Konstellation ist nach der Krise 1974/75 passé. Der steile Anstieg der Arbeitslosigkeit stärkt die Position der Unternehmer. Die Arbeitskämpfe, die in hohem Maße von der neuen Generation an Gewerkschaftsmitgliedern, die im vorhergehenden Jahrzehnt in die Gewerkschaften gekommen sind, getragen werden, nehmen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zu, sie werden härter (Aussperrungen), aber es wird schwerer, lohn- und arbeitszeitpolitische Erfolge durchzusetzen. Anfang der 1980er Jahre bewegen sich die Lohnabschlüsse in der Größenordnung der Inflationsrate. Eine expansive Lohnpolitik ist nicht mehr realisierbar. 1984 konnte der Einstieg in die Wochenarbeitszeitverkürzung in der Metall- und Druckindustrie im Kampf um die 35-Stunden-Woche durchgesetzt werden, aber zum Preis von moderaten Lohnabschlüssen und Zugeständnissen an die Flexibilisierungsforderungen der Unternehmer.[19] Der gewerkschaftliche Organisationsgrad geht in den Folgejahren zurück (1980: 35 Prozent; 2013: 18 Prozent), ebenso die Tarifbindung der Betriebe (in Westdeutschland 1995/96: 54 Prozent, 2010: 34 Prozent; in Ostdeutschland 28 bzw. 17 Prozent).[20]
IV. Expansion des prekären Sektors
Seit der Krise 1974/75 gehen die Arbeitslosenzahlen in der alten BRD steil nach oben. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften erweist sich für das Kapital nicht mehr als das zentrale Problem. Ihre Möglichkeiten, die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen zu aktivieren und für sich nutzbar zu machen, sind nun ungleich größer und werden mit dem sukzessiven Übergang zum Neoliberalismus sozialpolitisch massiv gefördert (Deregulierung der Arbeitsmärkte, Abbau des Sozialstaats, „Hartz-Reformen“ usw.). Es geht darum „Wettbewerb als Lebensform“ in allen gesellschaftlichen Bereichen durchzusetzen.[21]
Die Sozialstrukturentwicklung wird von diesen Trends geprägt und kommt diesem Interesse entgegen. Sie wird mit Blick auf die Arbeitswelt als zunehmende Aufspaltung der Gesellschaft in eine Zone mit relativ geschützter Vollzeitbeschäftigung und intakten sozialen Netzen einerseits und „eine Zone der Prekarität, die sich sowohl durch unsichere Beschäftigung als auch durch erodierende soziale Netze“ auszeichnet, charakterisiert.[22] Am unteren Rand findet sich die Zone der endgültig aus der Erwerbsarbeit ausgeschiedenen.
Erwerbslosigkeit: Zwischen 1991 und 2013 liegt die Quote der registrierten Arbeitslosen[23] nicht unter 7,3 (1991) bzw. 7,5 Prozent (2013) und steigt zwischenzeitlich auf 13 Prozent (2005). Die Bundesanstalt für Arbeit berechnet angesichts der großen Zahl an verdeckter Arbeitslosigkeit auch die „Unterbeschäftigung“ [24], deren Quote 2010 11,2 Prozent und 2013 8,9 Prozent beträgt.
„Atypisch Beschäftigte“: Zwischen 1991 und 2010 geht die Zahl der Normal- oder Vollzeit-Beschäftigten um fast 3,3 Mio. oder mehr als 12 Prozent zurück. Im gleichen Zeitraum expandiert der Bereich der „atypischen“ (zeitlich befristeten, Teilzeit- oder geringfügigen) Beschäftigung um rd. 3,1 Mio. (73 Prozent Zuwachs).[25] Bei den befristet Beschäftigten liegt der Frauen- bzw. Männeranteil bei jeweils etwa 50 Prozent. Von den Teilzeitbeschäftigten waren dagegen 2010 87 Prozent Frauen, von den geringfügig Beschäftigten 77 Prozent. Insgesamt macht der Frauenanteil bei den atypischen Beschäftigungen etwa drei Viertel aus. Die Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit erfolgt zu einem beachtlichen Teil über die geringfügigen und TZ-Beschäftigungen.
„Unterbeschäftigung“ (4,9 Mio.) und „atypisch Beschäftigte“ (7,3 Mio.) umfassen 2010 zusammen 12,2 Mio. Personen. Das sind 29 Prozent der annähernd 42 Mio. Erwerbspersonen, zusammen mit den „Solo-Selbstständigen“ (2,2 Mio.) etwa 34 Prozent. Dies dürfte auch in etwa die Größenordnung des prekären Sektors sein.
In der Ausweitung des prekären Sektors kann man die Haupttendenz in den Veränderungen der Sozialstruktur der letzten Jahrzehnte sehen. Sie dürfte ebenso Ausdruck wie Hauptfaktor der Reaktivierung der Konkurrenz in der Gesellschaft insgesamt und in der Arbeitswelt sein. Sie wirkt als äußerer Druck disziplinierend in die Zone der relativ geschützten Vollzeitbeschäftigung und Normalarbeitsverhältnisse hinein, und sie findet dort ihr Pendant in den neuen Rationalisierungsstrategien, wie sie als „indirekte Steuerung“ und als Hineintragen kapitalmarktorientierter Steuerungsformen in die Betriebe und Unternehmen beschrieben werden.[26]
[1] Vgl. zuletzt in komprimierter Form Dieter Boris, Langfristige Trends der Sozialstrukturentwicklung als Hintergrund der Intelligenzanalyse (Thesen), in: Z 96 (Dezember 2013), S. 19-26.
[2] Vgl. z.B. Anselm Döring-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte nach 1970, Göttingen 2001, 2008; Moren Reitmayer/Thomas Schlemmer, Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in Westeuropa nach dem Boom, München 2014.
[3] Destatis 2014 (Mikrozensus-Daten). Die Mikrozensus-Daten weichen aus Erhebungsgründen von jenen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) im einzelnen ab, was hier und im Folgenden aber belanglos ist, da es nur um Trendangaben geht.
[4] Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2011 (2. A.), S. 310.
[5] Michael Schumann, Das Jahrhundert der Industriearbeit. Weinheim und Basel 2013, S. 7.
[6] Zur Kritik der Kategorien, Einstufungen und Berechnungen von materieller Produktion und Diensten im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) und Neuberechnung der Sektoren vgl. Jörg Miehe, Zur Struktur der Erwerbstätigkeit und gesellschaftlichen Arbeitsteilung in der BRD von 1957/1970 bis 2005, in: E. Lieberam/J. Miehe (Hrg.), Arbeitende Klasse in Deutschland. Macht und Ohnmacht der Lohnarbeiter, Bonn 2011, S. 81-160.
[7] Daten nach Destatis (Mikrozensus). Vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2014, Köln 2014, S. 56f.; Tab. A3.
[8] Idealtypisch charakterisiert als „wachsende Nachfrage nach Arbeitskraft … bei gleich bleibender Zusammensetzung des Kapitals“ (Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, in: MEW 23, S. 640).
[9] Jörg Roesler, Geschichte der DDR, Köln 2012, S. 52f.
[10] Vgl. Abelshauser, a.a.O., S. 320ff.
[11] Stat. BA, Bevölkerung und Wirtschaft 1872-1972, Stuttgart u.a.1972, S. 176.
[12] Vgl. IMSF, Klassen- und Sozialstruktur der BRD 1950-1970, Teil II.,1. Halbb., Frankfurt am Main 1974, S. 81, 83, 131.
[13] Intensiv erweiterte Reproduktion: „Relative Abnahme des variablen Kapitalteils im Fortgang der Akkumulation“, womit der Punkt erreicht ist, „wo die Entwicklung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der mächtigste Hebel der Akkumulation wird“ (Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, a.a.O., S. 650).
[14] Vgl. Dieter Boris, a.a.O., und weitere Beiträge in Z 96. Michael Vester u.a. schätzen für 1991 bzw. 2009 den Anteil der Erwerbstätigen mit Hochschulbildung auf ca. 10 bzw. 19 Prozent; von Erwerbstätigen mit „höherer Fachausbildung“ auf ca. 21 bzw. 26 Prozent; von Erwerbstätigen mit Fachlehre („Lehrberufe“) auf 45 bzw. 30 Prozent und von an- und ungelernten Erwerbstätigen auf 24 bzw. 25 Prozent. Vgl. Michael Vester/Sonja Weber-Menges, Zunehmende Kompetenz, wachsende Unsicherheit, Forschungsbericht Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2014, S. 42ff.
[15] Wolfgang Krüger, Sozialpartner an der Leine, in: Die Zeit v. 10. März 1967, S. 34. Solche Lohnleitlinien waren Teil von Schillers „Konzertierter Aktion“, Ausdruck stärkerer Indienstnahme des Staates zur Einbindung der „Sozialpartner“ und Steuerung der Konjunkturpolitik, wie sie mit dem Einritt der SPD zuerst 1966 in die große Koalition unter Kiesinger, dann ab 1969 mit der SPD/FDP-Koalition als Form zunehmender staatsmonopolistischer Intervention erwartet und unternommen wurde. „Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller“, schrieb die „Zeit“, „hat sich ein großes Programm vorgenommen. Es ist unmöglich, dem weiteren Verlauf des von ihm dirigierten Konzerts ohne erregte Spannung zu folgen.“
[16] 1962 um das 2,7fache, 1970 um das 4,3fache. Danach ging die Schere immer weiter auf. Vgl. Stat. BA, Datenreport 1992, S. 102f..
[17] Holger Gorr, Kräfteverhältnisse im Spiegel der Tarifpolitik. Die Jahre 1973 bis 1975 als Wendepunkt, in: Z 57, März 2004, S. 113-123, hier: S. 113/114. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die BRD, sondern auch für Japan, die USA und die EU15 in der Gesamtperiode 1960 bis 2012. Die bereinigte Lohnquote kann als bester verteilungspolitischer „Indikator“ des Kräfteverhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital angesehen werden. Überall erweisen sich die Jahre 1974/1975 als Wendepunkt.
[18] Holger Gorr, a.a.O., S. 117.
[19] Gert Hautsch, Klaus Pickshaus, Klaus Priester, Der Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche. „Flexi“-Konzept des Kapitals und die Zukunft der Gewerkschaften, Frankfurt/M. 1984 (Soziale Bewegungen. Analyse und Dokumentation des IMSF, H.16).
[20] Klaus Dörre, Das deutsche Jobwunder. Vorbild für Europa? Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro Brüssel, 2014, S. 13.
[21] Tyl Necker, Wettbewerb als Lebensform, in: Bundesverband deutscher Banken, Dem Land Richtung geben: Führung, Eigenverantwortung, Wettbewerb, Köln 1998, S. 53-58.
[22] Klaus Dörre, a.a.O., S. 17.
[23] Anteil der Arbeitslosen an der Gesamtzahl der abhängigen zivilen Erwerbspersonen.
[24] „Unterbeschäftigung“: Registrierte Arbeitslose plus „Personen, die nicht als arbeitslos gelten, weil sie Teilnehmer an einer Maßnahme der Arbeitsmarktpolitik oder in einem arbeitsmarktbedingten Sonderstatus (z.B. kurzfristige Arbeitsunfähigkeit) sind.“ Dies sind 2010 einschl. Kurzarbeit 4,9 Mio. Personen (davon 66 Prozent registrierte Arbeitslose), 2013 3,9 Mio. (AL-Anteil 75 Prozent). Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung Deutschland und Länder, Jahreszahlen 2013.
[25] Destatis 2014, Mikrozensus-Ergebnisse. 2010: 2,8 Mio. befristet, 4,9 Mio. Teilzeit, 2,5 Mio. geringfügig beschäftigt, zusammen (bei Mehrfachnennung) 7,3 Mio. Beschäftigte.
[26] Vgl. Dieter Sauer, Die organisatorische Revolution, Hamburg 2013.