Colin Crouchs Band „Postdemokratie“ hat nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ökonomischen und politischen Krisenprozesse seit 2007ff. Aufsehen erregt. Crouchs Thesen über den Substanzverlust demokratischer Verfahren bei ihrem gleichzeitigen Fortbestand, über den wachsenden direkten Einfluss ökonomischer Eliten auf politische Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse und über eine zunehmend apathische und passive Rolle der Bürger (citoyens) im politischen System wurden zum Ausgangspunkt weitreichender zeitdiagnostischer Debatten über den Zustand und die Entwicklungstendenzen bürgerlicher Demokratie in der Gegenwart. Dabei handelt Crouchs Buch keineswegs in erster Linie vom jüngsten, sich aktuell abzeichnenden Epochenumbruch, dessen Initialkrise mit Begriffen wie „multiple Krise“ (Brand 2009), „Vielfachkrise“ (Demirovic u.a. 2011) oder „Krisentsunami“ (Haug 2011) beschrieben wird. Crouchs Buch ist vielmehr ein demokratietheoretischer Beitrag zum „Finanzmarktkapitalismus“ (Windolf 2005) selbst. Dabei besteht das Verdienst Crouchs vor allem darin, zahlreiche auch schon zuvor als epochenspezifisch herausgestellte Merkmale in einem zeitdiagnostischen Begriff verdichtet zu haben (Eberl/Salomon 2013, 415) – so die „Krise der Repräsentation“ (Ingrao/Rossanda), die Inszenierung personalisierter Politik durch PR-Berater und Massenmedien, den Siegeszug neoliberaler Ideologie, schließlich die Krise der Partizipation, den wachsenden Einfluss transnationaler Konzerne auf politische Entscheidungsfindung und Willensbildung und die Verschiebungen in der Sozialstruktur, die er als einen zentralen Grund für die strukturelle Defensive der Arbeiterbewegung und ihrer Institutionen ausmacht: „Die steigende Produktivität und die zunehmende Automatisierung ließen die Zahl der Arbeiter, die notwendig war, um eine bestimmte Menge an Gütern herzustellen, zurückgehen […]. Der Zusammenbruch eines Großteils des produzierenden Gewerbes in den achtziger Jahren und neue Wellen des technologischen Wandels in den Neunzigern ließen die Zahl der direkt in der Industrie Beschäftigten noch weiter sinken. Obgleich immer noch viele Menschen – hauptsächlich Männer – manuell arbeiteten, war ihre Klasse nicht länger die Klasse der Zukunft. / Gegen Ende des 20. Jahrhunderts waren große Teile der Arbeiterklasse in rein defensive Kämpfe verwickelt.“ (Crouch 2008, 73f.) Nicht nur konnten nun jene Sozialstandards geschliffen werden, denen im Fordismus, den Wolfgang Streeck (euphemistisch) als „demokratischen Kapitalismus“ (Streeck 2013) bezeichnet, die Doppelfunktion zukam, angesichts der sozialistischen Systemalternative große Teile der (vor allem sozialdemokratischen organisierten) Arbeiterschaft in die bürgerliche Gesellschaft des „Westens“ zu integrieren und zugleich ein auf Massenkonsum basierendes Akkumulationsregime abzustützen. Unter den Bedingungen dieser sozialen Verschiebungen wurde es möglich, das politische Koordinatensystem bürgerlicher Demokratie insgesamt zu verschieben. Nicht zuletzt entspricht ihm auch ein abermaliger „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Habermas), der sowohl durch die Entwicklung der Produktivkräfte und noch vor dreißig Jahren gänzlich unvorstellbaren Innovationen im Bereich der Kommunikationsmittel als auch durch Produktionsverhältnisse geprägt ist, die sich spätestens seit den „neoliberalen Konterrevolutionen“ durch Thatcherismus und Reaganomics anschickten, das Verhältnis von öffentlich und privat neu zu gestalten.
Das Öffentliche und das Private
In bürgerlichen Gesellschaften markieren das Öffentliche und das Private stets Pole, denen eine konstitutive Bedeutung für die Trennung von ökonomischer und politischer Sphäre zukommt. Idealtypisch ist das Private schon im frühen Liberalismus als das bestimmt, was dem Öffentlichen und damit auch dem politischen Zugriff entzogen wird, während sich im Öffentlichen all das abzuspielen hat, was im Namen der Allgemeinheit selbst geschieht. Private Verfügungsgewalt (nicht zuletzt über Produktionsmittel) markiert somit die eine, öffentliche Gewaltenteilung mit Kontrollinstanzen und Rechtfertigungsverpflichtungen die andere Seite bürgerlichen Selbstverständnisses. Zurecht betont Alex Demirović, dass die Unterscheidung von öffentlich und privat im Kontext bürgerlicher Gesellschaft eine „symbolische Ordnung“ konstituiert, in deren Kontext bürgerliche Hegemonie organisiert wird: „Öffentlichkeit markiert die Stelle, die aus Meinungen, aus Klatsch und Gerüchten eine sachliche Information, eine begründete Ansicht, ein vernünftiges Urteil werden lässt. Öffentlichkeit, wie sie dann auch von der Presse organisiert wird, stellt einen machtvollen Zugriff auf gesellschaftliche Kommunikation dar, die den Kreis der Hauswirtschaft verlässt und sich unkontrolliert, sprunghaft, diffus verbreitet und zu sozialen Unruhen führen kann. Mit einer Öffentlichkeit lässt sich etwas als eingrenzbare Meinungsäußerung oder Nachricht bezeichnen, der Weg der Verbreitung überblicken und die Herkunft lokalisieren. Es entsteht das Prinzip der Zurechenbarkeit und der Autorenschaft, womit eine Information ihrerseits kommodifiziert und verwertet werden kann. Die Öffentlichkeit ist also nicht von außen und nicht nachträglich dem Prozess der Kapitalverwertung und der Kapitalmacht unterworfen worden, sondern ist schon ihrem Prinzip nach ein Modus der Inwertsetzung und Kontrolle gesellschaftlicher Kommunikation.“ (Demirović 2009, 145) Das Verhältnis von öffentlich und privat strukturiert somit soziale Herrschaft im Kontext bürgerlicher Gesellschaft. Zugleich ist seine konkrete Ausgestaltung stets umkämpft. Das Öffentliche ist der (vermachtete) Raum, in dem Kommunikation kontrolliert, jedoch solche Kontrolle auch unterlaufen werden kann, in dem sich Meinungsmonopole bilden und solche Monopole gebrochen werden. Die Öffentlichkeit ist der Raum von Demonstrationen, intellektuellen Interventionen und Protest ebenso wie sie der Raum ist, in dem über die Legitimität von Sprechern gerichtet, das „einschlägige“ vom unbedeutenden separiert wird und Diskursausschlüsse organisiert werden. Es muss daher nicht verwundern, dass die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses stets umkämpft war und im Lauf der Geschichte von bürgerlicher Gesellschaft und kapitalistischer Produktionsweise häufigen Neujustierungen unterworfen wurde. So verweist Demirović auf eine paradoxale Entwicklungstendenz, wenn er einerseits konstatiert, dass es dem Neoliberalismus gelungen sei, „eine […] Bewegung von Öffentlichkeit zu Privatisierung in Gang zu setzen. Öffentliche Aufgaben wurden und werden privatisiert. Dieser Privatisierungsprozess wird als Entbürokratisierung und die Zunahme von Initiative, Freiheit, Verantwortung und Partizipation der Bürger begriffen. Dies verändert den Begriff des Privaten, denn nun werden Allgemeingüter wie öffentlicher Transport, Kommunikation, Bildung, soziale Sicherheit privat erzeugt und zu einem Mittel der Kapitalakkumulation.“ (ebd., 147) Markieren somit „neue Landnahmen“ (Dörre 2009), mithin private Aneignungen vormals öffentlich organisierter Bereiche, eine dominante Entwicklung der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart, so besteht andererseits zugleich eine zunehmende Tendenz zur Veröffentlichung von Privatem, die Demirović am Beispiel des RTL-Fernsehformats „Big Brother“ illustriert: „Hier wird das private Leben von zahlreichen Personen, die freiwillig für mehrere Monate in einem Haus zusammenleben, im Fernsehen übertragen. Zu diesem Zweck wird alles, was die Bewohner tun, vor Kameras ununterbrochen aufgezeichnet. Privatheit gibt es ausdrücklich nicht. […] Das Private ist nun vollständig öffentlich geworden und wird ein uninteressanter Strom von Alltagsereignissen ohne Nachrichtenwert.“ (ebd., 148)
Als Modell, das die Inhalte zahlreicher Fernsehformate ebenso charakterisiert, wie etwa eine Internetkommunikation, in der in sozialen Netzwerken allerlei private Informationen für teilweise zumindest potentiell unbegrenzte Öffentlichkeiten einsehbar werden, verdichtete die (mittlerweile durch Formate wie das „Dschungelcamp“ ersetzte) Sendung „Big Brother“ eine Vision der Totalüberwachung, die – anders als bei Orwell, dessen Roman „1984“ der Titel entlehnt war – nicht mehr als Dystopie erschien. In der Flut von irrelevanten „Nachrichten“ freilich bildet sich – wie Demirović hervorhebt – eine neue „Privilegienstruktur, sich öffentlicher Kommunikationszumutungen zu entziehen“, heraus (ebd.).
Zentralisierung der Medienwelt
An keinem anderen „Medium“ lassen sich die Ambivalenzen der neuen Öffentlichkeitsstruktur so deutlich aufzeigen, wie am Internet, das einst aus militärischen Kommunikationsbedürfnissen entwickelt, schon seit den 90er Jahren zur Projektionsfläche zugleich aller Hoffnungen auf eine freie und ungehinderte Kommunikation und aller kulturpessimistischen Verfallsdiagnosen von zwischenmenschlichen Begegnungen wurde. Gemein ist beiden Perspektiven freilich nicht nur ihre Einseitigkeit, sondern auch ihr Desinteresse an den konkreten sozialen Verhältnissen, in denen ein Medium seine Bedeutung erlangt. Nicht erst der NSA-Skandal um den Whistleblower Edward Snowden hat gezeigt, dass das Internet längst zum Kampfplatz unterschiedlicher Interessen geworden ist. So unterscheidet Murat Karaboga vier unterschiedliche (zumeist auch von Regierungen forcierte) Hegemonieprojekte zur die Regulierung des World Wide Web: Neben dem Projekt einer „privatisierten Internetregulierung“, die solche Prozesse zu fördern sucht, die das Internet in erster Linie als kommerzielles Geschäftsfeld inwertsetzen und der Strategie einer „konservativen Regulierung“, die in der Eindämmung unerwünschter Einflüsse besteht, macht er Strategien aus, die durch multilaterale Abkommen eine „internationale Internetregulierung“ etablieren. Am wenigsten wirkmächtig hingegen erscheint das Projekt einer „(radikal)demokratischen Multi-Steakholder-Regulierung“, das den Hoffnungen auf eine befreite Kommunikation am nächsten kommt (Karaboga 2013, 70ff.).
Auch das Internet – so lässt sich bilanzieren – kann sich auf Dauer den Dynamiken einer zunehmend zentralisierten Medienwelt kaum entziehen, wie der wachsende Einfluss von Konzernen wie Google oder Facebook zeigt. So schreibt Conrad Schuler in einer jüngeren Studie: „Die Bertelsmann AG unterhält Niederlassungen in 63 Ländern und hat rund 104.000 Arbeiter und Angestellte. Dem globalen Multi liegt nichts an rationaler Diskurs-Kommunikation, sondern alles am Höchstprofit und der Schaffung einer neoliberalen geistigen Übermacht. […] Ebenso wie Bertelsmann halten es auch die anderen Medienkonzerne, z.B. die Nr. 2: Springer und die Nr. 3: die Funke Mediengruppe, die zum 1. Januar 2014 für 920 Milliarden Euro mehrere Springer-Titel, darunter Hörzu, Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost übernommen hat. Schon heute herrscht die Gruppe in acht europäischen Staaten über mehr als 500 Medien-Titel. Springer zieht sich aber nicht etwa aus dem Mediengeschäft zurück, sondern drängt jetzt auch – wieder – in den TV-Bereich und übernimmt N24. Dessen bisheriger Chef Aust, ein früherer Spiegel-Chefredakteur, wird nun Herausgeber der Springerzeitung ‚Die Welt‘. N24 wird weiter die Sender Sat1, ProSieben und Kabel eins mit Nachrichten beliefern.“ (Schuhler 2014, 9f.)
Schuhler schließt hier direkt an eine Feststellung Colin Crouchs an, der die demokratiepolitischen Konsequenzen dieses Zentralisationsprozesses scharf herausstellt: „Heute kontrolliert eine sehr kleine Zahl außerordentlich reicher Individuen die politisch relevanten Nachrichten und Informationen – eine Ressource, die für die Bürger in einer Demokratie lebensnotwendig ist. So sehr diese Personen auch untereinander konkurrieren mögen, teilen sie doch tendenziell bestimmte politische Ansichten. Und sie haben ein starkes Interesse daran, die Ressourcen, über die sie verfügen, zu nutzen, um für diese Ansichten zu kämpfen. Dies bedeutet nicht unbedingt, daß die Medien gewisse Parteien bevorzugen; doch die Führer aller Parteien sind sich dieser Macht bewußt und haben diese Tatsache im Hinterkopf, wenn sie politische Programme formulieren. Tatsächlich hätte die aktuelle Form der Eigentumskonzentration nicht entstehen können, wenn die Regierungen den Mut gehabt hätten, im Interesse größerer Vielfalt und stärkeren Wettbewerbs regulierend einzugreifen. Ähnliche Faktoren sind im Spiel, wenn heute in den meisten Demokratien die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten im Wettbewerb mit den privaten Anbietern auf die Rolle von Spartenprogrammen für Minderheiten reduziert werden.“ (Crouch 2008, 68f.)
Die Krise der Öffentlichkeit
Die These, dass dem relativen Bedeutungsverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einer Politik, die „stärkeren Wettbewerb“ forciert, begegnet werden könne, reproduziert freilich selbst ein (neo)liberales Mantra: Der Segmentierung der Öffentlichkeit (Demirović 2009, 148) würde ein solches Vorgehen wohl ebenso wenig etwas entgegensetzen können wie der Kommerzialisierung des Rundfunks, dessen Wettbewerbsdruck ja gerade mitverantwortlich dafür zeichnet, dass sich heute öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, wo sie nicht zu Nischenprogrammen geworden sind, nur partiell vom privaten Rundfunk unterscheiden. Fraglos kann die Zulassung privater Fernsehanbieter in den achtziger Jahren als entscheidende Wegmarke des Strukturwandels von Öffentlichkeit im Zeitalter des Finanzmarktkapitalismus gelten.
Anders als im Fernsehbereich waren privatwirtschaftlich organisierte Formen im Sektor der Printmedien stets üblich. Im bürgerlichen Idealtypus von Öffentlichkeit verbürgt gerade die private Organisation von Zeitungen und Zeitschriften jene Pressefreiheit, die als „vierte Gewalt“ öffentlicher Kontrolle gilt. Gerade auch der Zeitungsmarkt ist in den vergangenen Jahren jedoch in eine tiefe Krise geraten: Insbesondere der Zusammenbruch des Anzeigenmarktes hat zu einem regelrechten Zeitungssterben geführt, in dessen Folge auch zahlreiche Organe, denen zuvor die Funktion bedeutender überregionaler Tageszeitungen mit großen eigenen Redaktionen zukam, zu mehr oder weniger unbedeutenden Regionalzeitungen degradiert wurden (Hautsch 2003, 2011, 2014). Auch dies ging einher mit einer wachsenden Zentralisierung. Das bekannteste Beispiel ist vielleicht die ehedem linksliberale Frankfurter Rundschau, die inzwischen – wie auch die konservative Frankfurter Neue Presse – der einstigen Konkurrenten FAZ gehört. Die gesellschaftlichen Milieus, die in einer bestimmten Phase bürgerlicher Geschichte, Medienvielfalt über Verkaufszahlen ermöglichten, scheinen weitgehend erodiert. Auch die FAZ selbst, die sich bislang als äußerst krisenresistent erwiesen hat, hat jüngst bekannt gegeben, nun auch ihre Redaktion verkleinern zu müssen. Neben den ökonomischen Rahmenbedingungen gilt zudem, dass zumindest die „Leitmedien“ von einer eigentümlichen Monotonie geprägt sind. Uwe Krüger hat jüngst in einer bemerkenswerten Arbeit gezeigt, wie insbesondere im Feld der Außenpolitik einflussreiche Journalisten wie Josef Joffe (Die Zeit) in Elitennetzwerke integriert sind (Krüger 2013), die eine entscheidende Rolle dabei spielen dürften, dass etwa im Ukraine-Konflikt in den unterschiedlichsten Medien ein Bild gezeichnet wird, das an Einseitigkeit kaum zu überbieten sein dürfte. Ähnliches freilich vollzog sich bereits im Kosovokrieg – von amerikanischen „embedded journalists“ während des letzten Irakkriegs ganz zu schweigen.
Ein selten betrachteter Sektor, der vom Umbruch in der Öffentlichkeitsstruktur maßgeblich betroffen ist, ist zudem das Feld wissenschaftlicher Publikationsorgane. Während in der Hochphase sozialer Bewegung in den 60er und 70er Jahren sozial- und kulturwissenschaftliche Debatten nicht selten in großen Publikumsverlagen ausgetragen wurden und wichtige Beiträge in hohen Auflagen und zu kleinem Preis erschienen, haben heute die meisten dieser Verlage ihre Wissenschaftsprogramme eingestellt. Die Auflagen in Wissenschaftsverlagen sind verschwindend klein und der Buchpreis in diesem Öffentlichkeitssegment nimmt sich teilweise astronomisch aus. Für wissenschaftliche Publizistik gilt heute weitgehend dasselbe wie für die Erzeugnisse eines hochkulturellen Feldes, das nicht mehr in einer breiten Öffentlichkeit wirkt, sondern weitgehend in einem elitären Expertendiskurs.
Diese Schlaglichter mögen verdeutlichen, wie sich die Mediensysteme heute in eine postdemokratische Tendenz einfügen, die – bei formalem Fortbestehen von Pressefreiheit und Debattenvielfalt – deren Substanz ebenso aushöhlt, wie die Substanz demokratischer politischer Verfahren als zunehmend inhaltsleer erscheint. Gleichwohl besteht auch hier die selbe Gefahr, dass die Rede von „Postdemokratie“ den Vorwurf evoziert, einen „demokratischen“ Vergangenheitszustand zu idealisieren, der bei Licht betrachtet so demokratisch nicht war. Tatsächlich sollte nicht vergessen werden, dass kritische Diskussionen um die Funktionsweise von „Kulturindustrie“ und Massenmedien bis weit ins fordistische Zeitalter des Kapitalismus zurückreichen. Die demokratiepolitische Forderung „Enteignet Springer!“ machte bereits in den sechziger Jahren auf die Zentralisation von Medienmacht aufmerksam und vereinseitigende Konsensbildung in zentralen Fragen war gerade den „Leitmedien“ des Kalten Krieges alles andere als fremd (vgl. z.B. Grossmann/Negt 1968; Gleissberg u.a. 1972). Um das spezifisch „postdemokratische“ zu fassen genügt es also nicht, in den Öffentlichkeitsstrukturen der Vergangenheit nach einem „demokratischen Augenblick“ (Crouch 2008, 14) zu suchen. Vielmehr gewinnt die „postdemokratische Öffentlichkeit“ erst vor dem Hintergrund jenes sozialstrukturellen Wandels an Kontur, der die Arbeiterbewegung schwächte und somit grundsätzliche Alternativen zum Bestehenden unsichtbar werden ließ. Eine (Re)Demokratisierung der Öffentlichkeit wird sich somit nicht auf technische Innovationen in der digitalen Kommunikation verlassen dürfen, deren soziale Funktion sowohl in der Beförderung eines freien Diskurses als auch in der disziplinierenden Etablierung von Kontrollmechanismen bestehen kann. Ohne wirkmächtige soziale Bewegungen, die nicht zuletzt auch darum kämpfen, im öffentlichen Raum selbst repräsentiert zu sein, wird sich der Trend zur Postdemokratisierung auch in der Zukunft fraglos verstetigen.
Literatur
Brand, Ulrich (2009): Die Multiple Krise – Dynamik und Zusammenhang der Krisendimensionen. Anforderungen an politische Institutionen und Chancen progressiver Politik, Berlin.
Crouch, Colin (2008): Postdemokratie, Frankfurt/Main.
Demirović, Alex (2009): Hegemonie und das Paradox von Privat und Öffentlich; in: Mario Candeias u.a. (Hrsg.): Krise der Privatisierung – Rückkehr des Öffentlichen, Berlin, S. 143-156.
Demirović, Alex u.a. (2011): VielfachKrise im finanzdominierten Kapitalismus, Hamburg.
Dörre, Klaus (2009): Die neue Landnahme; in: ders./Stephan Lessenich/Hartmut Rosa: Soziologie Kapitalismus Kritik, Frankfurt/Main, S. 21-86.
Eberl, Oliver/Salomon, David (2013): Postdemokratie und soziale Demokratie; in: Politische Vierteljahresschrift Nr. 3/2013 (September), S. 415-422.
Gleissberg, Gerhard u.a. (1972), Zu Pressekonzentration und Meinungsmanipulierung, Frankfurt am Main
Grossmann, Heinz/Negt, Oskar (1968) [Hrg.]: Die Auferstehung der Gewalt. Springerblockade und politische Reaktion in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main
Habermas, Jürgen (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied.
Haug, Wolfgang Fritz (2011): Krisen-Tsunami und kategorischer Imperativ; in: Das Argument Nr. 291, S. 169-177.
Hautsch, Gert (2003): Das Medienkapital formiert sich neu, in: Z 54, Juni 2003, S. 113-126
Hautsch, Gert (2011): Bertelsmann und Springer an vorderster Front, in: Z 86, Juni 2011, S. 32-50
Hautsch, Gert (2014): Medienwirtschaft – Umstrukturierung durch Digitalisierung, in: Z 98, Juni 2014, S. 117-129
Karaboga, Murat (2013): Kämpfe um das Internet – Hegemonieprojekte im Kampf um die Vorherrschaft im Netz – eine Analyse, Frankfurt/Main (unveröffentliche Masterarbeit).
Krüger, Uwe (2013): Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse, Köln.
Schuhler, Conrad (2014): Widerstand – Kapitalismus oder Demokratie; isw-report Nr. 96, München.
Streeck, Wolfgang (2013): Gekaufte Zeit – Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin 2013
Windolf, Paul (2005): Was ist Finanzmarkt-Kapitalismus? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie – Sonderheft Nr. 45, S. 20-57