Können ihre Erfahrungen für eine zukunftsfähige Alternative zum Kapitalismus genutzt werden?
In der gegenwärtigen großen Krise des Kapitalismus, die alle wichtigen gesellschaftlichen Bereiche umfasst, gewinnen Diskussionen unter den Linken über notwendige und zugleich realistische Alternativen zur kapitalistischen Produktionsweise neue Anstöße und insgesamt wieder eine größere Rolle. Dabei geht es um eine doppelte Transformation (Klein 2013): sowohl um Alternativen zum gegenwärtig globalen Finanzmarktkapitalismus und zu der mit ihm eng verflochtenen vorherrschenden neoliberalen Politik, die im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft durchgesetzt werden können, als auch um eine grundlegende Systemalternative, die Transformation zu einem emanzipativen, sozial gerechten, demokratischen und ökologisch zukunftsfähigen Sozialismus.
Im vorliegenden Beitrag sollen einige Konsequenzen aufgezeigt werden, die aus einer kritischen und differenzierten Analyse der DDR-Vergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft gezogen werden können. Hierfür ist die Erkenntnis wichtig, dass die politische Wirksamkeit einer alternativen Politik für eine sozialistische Transformationsstrategie auf der Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der Gewinnung der für eine tiefgehende Transformation erforderlichen Akteure und Bündnispartner beruht. Dies hängt wiederum stark davon ab, dass die Gestalt, die Funktions- und Regulationsweise eines modernen, demokratischen Sozialismus und dessen Vorzüge überzeugend, möglichst anschaulich und zugleich realistisch gezeigt werden.
Dies gilt in doppelter Beziehung. Einmal kommt es darauf an, all die positiven Erfahrungen hervorzuheben und zu analysieren, die es wert sind auch in Zukunft bewahrt und genutzt zu werden, natürlich immer unter Berücksichtigung sowohl ihrer Beschränkungen zur Zeit des Realsozialismus als auch der konkreten Bedingungen, die sich im 21. Jahrhundert stark verändert haben. Zum anderen müsste deutlich gemacht werden, welche Fehler und Deformationen im Realsozialismus nicht wiederholt werden dürfen, und welche strukturellen Defizite und ungelösten Probleme der Realsozialismus aufwies, die verhinderten, dass die produktiven und kreativen Potenziale der Individuen, der Kollektive und der gesamten Gesellschaft sich voll entfalten und genutzt werden konnten. Solche Blockierungen gab es insbesondere durch die fehlende Demokratisierung der Wirtschaft und der gesamten Gesellschaft, die völlig unzureichende reale Teilhabe der Bevölkerung an den zu treffenden Entscheidungen. Die Bedingungen und Möglichkeiten für eine gründliche Erforschung aktueller und perspektivischer ökonomischer, sozialer und umweltpolitischer Probleme sowie für ihre öffentliche, kritische Erörterung waren im Realsozialismus unbefriedigend. Entscheidende Hemmnisse ergaben sich aus der zentralistisch-administrativen Planung und Leitung der Volkswirtschaft und den geringen Spielräumen für eine eigenverantwortliche Tätigkeit der Betriebe und Unternehmen sowie aus der hiermit verbundenen unzureichenden Berücksichtigung ihrer ökonomischen Interessen. Da die Tätigkeit der Betriebe und ihrer Leitung nach der Planerfüllung beurteilt wurde, waren sie primär an sicher zu erfüllenden, „weichen“ Plänen, an der Zuteilung möglichst umfangreicher Ressourcen an Arbeitskräfte, Investitionen u.ä. interessiert und weniger für deren sparsame und effiziente Nutzung motiviert.
Für die neuen und größeren Herausforderungen die an die Nutzung sozialistischer Erfahrungen an linke Alternativen heute zu stellen sind, spielen die umfassende Globalisierung und die intensiven globalen, wirtschaftlichen und ökologischen Verflechtungen eine bestimmende Rolle.
Im Zusammenhang mit diesen Problemen sollen zwei Komplexe im Folgenden im Vordergrund stehen: Einmal die Frage nach dem Beitrag und den Defiziten der Wirtschaftstheorie zur Lösung von Problemen der Wirtschaftspraxis in der DDR. Zum anderen Fragen der Planung und Prognosetätigkeit zur Zeit des Neuen ökonomischen Systems der Leitung und Planung (NÖS 1963-1970/71).
Beitrag und Defizite der Wirtschaftstheorie zur Lösung von Problemen der Wirtschaftspraxis in der DDR
Der Beitrag der Wirtschaftstheorie zur Problemlösung im Realsozialismus war ambivalent und vielschichtig. Sie hat insgesamt ihre Aufgabe, eine neue dem Sozialismus entsprechende theoretische Grundlage für die sozialistische Wirtschaftspraxis, eine wirkliche Politische Ökonomie des Sozialismus auszuarbeiten, nicht oder nur unvollkommen gelöst oder lösen können. Dafür gab es viele Gründe. Entscheidend hierfür waren m.E. der absolute Wahrheitsanspruch der Parteiführung der SED und die damit verbundenen Hindernisse für eine vorurteilsfreie Forschung sowie für öffentlich-kritische Diskussion über die realen wirtschaftlichen Probleme und ökonomischen Rückstände, ihre Ursachen und Wege zu ihrer Lösung. Auch die Wirtschaftswissenschaftler selbst haben daran einen Anteil.
Die größten Defizite der ökonomischen Theorie einer sozialistischen Wirtschaft und Gesellschaft waren m.E.: (1) Die unzureichende Klärung der Eigentumsproblematik, insbesondere im Hinblick auf die widersprüchlichen Beziehungen zwischen Verstaatlichung und realer Vergesellschaftung des Eigentums an den Produktionsmitteln und damit die Rolle der Produzenten im Prozess der Aneignung der Natur in der gesellschaftlichen Produktion und bei der Verfügung über die Ergebnisse der Produktion, insbesondere bei der Verwendung des Mehrprodukts; (2) die unbefriedigende Klärung der Beziehungen zwischen Plan und Markt im Sozialismus, dabei insbesondere der Rolle, der Funktionen, der Begrenzung und der Bereiche einer marktwirtschaftlichen Regulation; (3) Schwächen in der Ausarbeitung der Interessenproblematik, insbesondere im Hinblick auf die Anerkennung spezifischer ökonomischer Interessen der Wirtschaftseinheiten sowie die widersprüchlichen Beziehungen zwischen staatlichen, betrieblichen und individuellen Interessen und die Wege ihrer Lösung; (4) die ungelösten Fragen starker ökonomischer und moralischer Anreize und Motivationen für Innovationen, die Steigerung von Produktivität und Effizienz der Reproduktion, die dem Charakter des Sozialismus entsprechen und die Wirksamkeit des Profits im Kapitalismus ersetzen können.
Zugleich gab es auf vielen Gebieten nützliche, bewahrenswerte sowie weiterzuführende Ergebnisse der ökonomischen Forschung, z.B. zur sozialistischen Reproduktion und zum Wachstum unter den veränderten Bedingungen am Ende des 20. Jahrhunderts. Hiermit verbunden waren u.a. Forschungsergebnisse zur notwendigen Veränderung der Relationen zwischen quantitativen Zuwachsraten der Produktion auf der einen und der Effizienz und der Gebrauchswerterhöhung auf der anderen Seite, zur Rolle der Innovationen und ihrer besseren Nutzung für zukunftsfähige volkswirtschaftliche Dynamik, zur effektiveren Gestaltung der internationalen Arbeitsteilung und Kooperation im RGW, zur Regionalökonomie sowie auch zur Umweltproblematik.
Daraus könnten einige Schlussfolgerungen abgeleitet werden
1. Es gab zu enge Spielräume für die ökonomische Forschung und die Diskussion ihrer Ergebnisse. Sie durfte nicht im Widerspruch zu der offiziellen Interpretation des Marxismus-Leninismus und zu Beschlüssen der SED stehen. Öffentliche Kritik an den Parteibeschlüssen zur Wirtschaftspolitik wurde faktisch nicht zugelassen.
Dennoch gab es durchaus auch Spielräume für unterschiedliche Meinungen und für Diskussionen unter den Ökonomen zu wichtigen Problemen der ökonomischen Theorie und Praxis. Dies betraf z.B. die ökonomischen Interessen der Betriebe und ihre Berücksichtigung im Wirtschaftsmechanismus, den Preistyp im Sozialismus, die Überwindung der engen Auffassungen zur produktiven Arbeit im Zusammenhang mit der zunehmenden Rolle der Dienstleistungsbereiche.
Eine erste Schlussfolgerung: Künftig müssen die Möglichkeiten und Bedingungen für öffentliche auch kontroverse Diskussionen von Forschungsergebnissen zu Grundfragen der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik geschaffen, stets gesichert und auch wirksam motiviert werden.
2. Die Beziehungen zwischen Politik und Ökonomie sind sowohl im Sozialismus als auch im Kapitalismus weit differenzierter und widerspruchsvoller, als dass sie direkt mit der Formel Primat der Wirtschaft gegenüber der Politik (Kapitalismus) versus Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft (Sozialismus) erklärt werden können. Im Realsozialismus hat eine vereinfachte Vorstellung vom Primat der Politik unrealistische Wunschvorstellungen begünstigt, die sich negativ auf die gesellschaftliche Entwicklung auswirkten.
Die Erfahrungen der DDR bestätigen, dass für richtige und erfolgversprechende Entscheidungen fundierte ökonomische Analysen und die Berücksichtigung objektiver ökonomischer Zusammenhänge und Entwicklungstendenzen unverzichtbar sind. Dagegen wurde nicht selten verstoßen. Ein Beispiel waren die umfangreichen, rasch anwachsenden Preissubventionen für die Grundversorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Leistungen der Daseinsvorsorge, die im Wesentlichen trotz erheblich steigender Kosten unverändert blieben. Die Ergebnisse dieser subventionierten Preispolitik waren widersprüchlich. Einerseits konnten grundlegende Gleichheitsvorstellungen bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen verwirklicht werden. Andererseits wurden Verhaltensweisen gefördert, die zur Vergeudung von Ressourcen führten: das billige Brot wurde häufig zur Tierfütterung eingesetzt, die Anreize zur Einsparung von Wasser und Energie waren gering. Für die Modernisierung und den Erhalt von Wohnraum standen infolge geringer Mieteinnahmen nur unzureichende Mittel zur Verfügung. Damit erhöhten sich die Belastungen des Staatshaushalts durch Subventionen sprunghaft, mit der Konsequenz, dass Mittel für andere wichtige Aufgaben fehlten.
Die finanziellen staatlichen Stützungen zur Sicherung konstanter Preise für Waren des Grundbedarfs, für Tarife und Dienstleistungen allgemeiner Art für die Bevölkerung stiegen in acht Jahren auf das Dreifache, von 16,9 Mrd. Mark (1980) auf 49,8 Mrd. Mark (1988). Dadurch erhöhte sich ihr Anteil am gesamten bezahlten Verbrauch der Bevölkerung an Waren und Dienstleistungen auf mehr als das Doppelte, von 15 Prozent auf 34 Prozent. Der Anteil der Preisstützungen an den Gesamtausgaben des Staatshaushalts nahm in dieser Zeit von 15 Prozent auf rund 25 Prozent zu.[1]
Die Voraussetzungen für die Umsetzung ökonomischer Forschungsergebnisse in die Praxis waren in der DDR durch das öffentliche Eigentum und die gesamtwirtschaftliche Planung insgesamt weit günstiger als in der BRD.
Eine zweite Schlussfolgerung müsste sein, die Vorzüge des öffentlichen Eigentums weit konsequenter zu nutzen für die Umsetzung langfristiger progressiver Ziele in der Schonung und Erhaltung der Naturressourcen, im Entwerfen eines neuen Wohlstandsmodells und seiner zielstrebigen Realisierung, in der konsequenten Durchsetzung progressiver Strukturveränderungen und einer hohen Effizienz der gesellschaftlichen Reproduktion, bei gleichzeitiger Einhaltung der notwendigen volkswirtschaftlichen Proportionalitäts- und Gleichgewichtsbeziehungen.
3. Die ökonomische Forschung in der DDR hatte im Vergleich zur ökonomischen Forschung in der BRD einen ausgeprägten gesellschaftlichen und sozialen Bezug, der auf die Bedürfnisse und sozialen Interessen der Menschen ausgerichtet war. Sie war auch stärker praxisorientiert. Dies trifft jedoch für die verschiedenen ökonomischen Disziplinen in unterschiedlichem Grade zu. Die ökonomische Forschung war in der DDR im Vergleich zur BRD auch durch eine höhere Komplexität und Verflechtung zwischen den verschiedenen Disziplinen und Richtungen der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung gekennzeichnet.
Für die Wirtschaftswissenschaftler der DDR ergab sich ein Problem daraus, dass kritische, aussagefähige Analysen zu Reproduktions- und Akkumulationsproblemen und zu anderen für die ökonomische Bewertung der wirtschaftlichen Aktivitäten wichtigen Problemen von vornherein geheim waren, auch der Forschung nur sehr begrenzt oder gar nicht zur Verfügung standen.
Hieraus könnte als eine dritte Schlussfolgerung abgeleitet werden, diese Vorzüge der Interdisziplinarität und eines starken Praxisbezuges müssten unbedingt erhalten und weiter ausgebaut werden. Zugleich müsste als eine Voraussetzung für eine größere Praxiswirksamkeit der ökonomischen Forschung die dazu erforderlichen analytischen Daten ohne unnötige Einschränkungen bereitgestellt werden.
4. Wirtschaftspolitische Empfehlungen wurden bzw. werden, auch wenn sie auf soliden Forschungsergebnissen, darunter umfangreichen Analysen, beruh(t)en, in der DDR ebenso wie in der Bundesrepublik nicht zur Kenntnis genommen oder auch einfach als nicht realisierbar abgelehnt, wenn sie in Widerspruch zur herrschenden Politik und zu den bestimmenden Interessen standen bzw. stehen. Dabei ist auffällig, dass ideologische Dogmen, insbesondere der Überlegenheit der Marktregulierung und heute der Regulierung durch die Finanzmärkte, unter zugespitzten Krisensituationen ohne weitere kritische Reflexion zeitweilig aufgegeben oder hintan gestellt werden. Diese Dogmen werden aber häufig, wie gegenwärtig sichtbar, nicht durch ein grundlegend anderes Herangehen überwunden, sondern nach einiger Zeit, ohne dass die eigentlichen Probleme gelöst sind, im Rahmen von „business as usual“ wieder eingeführt.
Wie fundierte ökonomische Analysen einfach beiseite geschoben werden, wenn sie den jeweiligen politischen Interessen widersprechen, kann an vielen Beispielen in der DDR ebenso wie in der BRD nachgewiesen werden. Dies wurde in der BRD z.B. sehr deutlich, als sich die Kohl-Regierung über die starken Bedenken zur überstürzten Einführung der DM in der DDR rigoros hinwegsetzte. Die Warnungen wurden nicht nur von linken, alternativen Ökonomen vorgebracht, sondern auch vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vom Präsidenten der Deutschen Bundesbank Karl Otto Pöhl und von anderen namhaften Ökonomen.
Ein typisches Beispiel für die DDR war das Schicksal der auf umfangreichen kritischen Analysen beruhenden Vorschläge zum Abbau der völlig überzogenen Subventionierung der Preise für Waren des Grundbedarfs und Dienstleistungen. Sie wurden vom Generalsekretär der SED, Erich Honecker, strikt abgelehnt, ohne dass eine gründliche Auseinandersetzung mit den realen Fakten und Problemen erfolgte. Als Begründung musste reichen, dass sie der Politik der Hauptaufgabe und dem sozialistischen Prinzip stabiler Konsumgüterpreise widersprechen würden.
Als eine vierte Schlussfolgerung könnte genannt werden, dass Tabus in wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen nichts zu suchen haben und dass über Analysen und Expertisen mit den politisch Verantwortlicheren eine offene Diskussion gesichert werden müsste.
Planung und Prognosetätigkeit zur Zeit des NÖS
Fragen der langfristigen Planung und der Prognosetätigkeit standen vor allem in der zweiten Etappe des Neuen ökonomischen Systems der Leitung und Planung (NÖS), in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, im Vordergrund. Die zentrale Rolle der Planung in einer sozialistischen Gesellschaft wurde im Vergleich zur ersten Etappe des NÖS wieder deutlicher hervorgehoben. Zugleich wurden Wege aufgezeigt, wie die Arbeiten zur Vorbereitung der Pläne und damit auch die Qualität der Pläne selbst zu verbessern sind.
Die besondere Betonung der zentralen Rolle der Planung war sowohl eine Reaktion und Antwort auf die Kritik konservativer Kräfte in der Partei- und Regierungsspitze am NÖS und auf die mit seiner Einführung verbundenen Schwierigkeiten und Probleme. Es sollte hiermit unterstrichen werden, dass an der Planwirtschaft und an den Machtstrukturen festgehalten wird. Sie betraf andererseits eine Reihe neuer Aufgaben zur Qualifizierung der Planung. Im Vordergrund standen dabei:
Erstens bessere Bedingungen für die Verwirklichung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu schaffen, um auf wichtigen Gebieten den internationalen Höchststand zu erreichen.
Zweitens eine hierzu notwendige Konzentration der Potenziale auf progressive Strukturveränderungen – auf „strukturbestimmende Aufgaben“ und auf sogenannte „Durchbruchstellen“ der wissenschaftlich-technischen Revolution – zu ermöglichen.
Drittens die Ableitung der mit den Plänen zu realisierenden Aufgaben aus langfristigen Entwicklungstendenzen, um die Übereinstimmung der Pläne mit den Erfordernissen der Zukunft zu sichern und zugleich mit einer Strategie „überholen ohne einzuholen“ auf ausgewählten Gebieten den internationalen Höchststand zu bestimmen. Hierzu sollte eine umfassende vorausschauende prognostische Tätigkeit organisiert werden, und die vorrangige Planung strukturbestimmender Aufgaben einen herausragenden Platz in der Planung einnehmen.
Aus den weitgehenden Zielen der Wirtschaftsreform ergaben sich hohe Anforderungen an die Ausarbeitung ihrer theoretischen Grundlagen durch die Wirtschaftswissenschaft, die aber nur bedingt erfüllt wurden. Es gab zwar beachtliche Fortschritte in einer auf die Problemlösung gerichteten ökonomischen Forschung. Ihre Ergebnisse und der Gedankenaustausch von Planungspraktikern mit Wirtschaftswissenschaftlern waren in dieser Zeit gefragt wie nie zuvor und danach. Es wurden aber auch größere theoretische Defizite sichtbar. Sie betrafen einmal die Grundrichtung der Reform. Diese war im Wesentlichen auf die Reformierung und vor allem rationellere Gestaltung des weitgehend von der UdSSR übernommenen Modells der zentralistischen staatlichen Planwirtschaft, auf die effektivere Wirksamkeit seines Funktions- und Koordinationsmechanismus gerichtet. Grundfragen einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft, die auch über die Veränderung der Wirtschaft hinaus Vorstellungen des gesamten Gesellschaftsmodells hätten einbeziehen müssen, sowie Probleme der realen Vergesellschaftung der Eigentumsverhältnisse und damit der Demokratisierung der Verfügung über das Eigentum, waren in der DDR auch zur Zeit der Wirtschaftsreform weitgehend tabuisiert (vgl. Busch 2000, 36 ff.; Steiner 1999, 17). Die Defizite betrafen auch theoretische Probleme, u.a. die Rolle des Markts, des Wertgesetzes, des Geldes und des Kredits sowie die davon abzuleitenden Konsequenzen für die Anwendung von Marktmechanismen. Sie betrafen ebenfalls die Rolle der Planung und ihre für die Verwirklichung der Ziele der sozialistischen Wirtschaftsentwicklung zweckmäßigste konkrete Ausgestaltung (vgl. hierzu Koziolek 1996, 139-147; Busch 2000, 42).
Es gab trotz der Beibehaltung der Grundzüge einer zentralistischen Planung spürbare Schritte zu einer stärkeren Verlagerung der Verantwortung für die Planung und Leitung nach unten. Im Plan für 1967 wurden die durch die SPK vorgegebenen konkreten Produktionsaufgaben für Erzeugnisse und Erzeugnisgruppen gegenüber dem bisherigen Umfang von 370 Positionen auf 80 eingeschränkt. Die Anzahl der auszuarbeitenden Staatsplanbilanzen für verschiedene Rohstoffe, Zulieferungen und Finalerzeugnisse wurde zugleich von 800 (1966) auf 210 (1967) reduziert (Steiner 1999, 124f.).
In allen Etappen und Phasen der Einführung und Anwendung der Grundsätze der Wirtschaftsreform zeigte sich ein für die Wirtschaftsentwicklung im Realsozialismus typisches Problem: Ihrem Inhalt nach rationelle und vernünftige Überlegungen und Prinzipien wurden verabsolutiert und häufig überzogen angewandt, so dass gegenüber den angestrebten und grundsätzlich auch möglichen positiven Wirkung nicht selten das Gegenteil eintrat. Dies zeigte sich u.a. in der Planung strukturbestimmender Aufgaben als Weg zu einer modernen, effektiven sowie auch ökologisch zukunftsfähigen Struktur der Volkswirtschaft und ihrer wichtigsten Branchen.
Durch die übermäßige Konzentration der Planung auf strukturbestimmende Erzeugnisse bzw. Erzeugnisgruppen und der hierfür notwendigen strukturbestimmenden Investitionen, die vorrangig bilanziert und realisiert werden sollten, ergaben sich jedoch beträchtliche Störungen des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts. Die Aufstellung eines realistischen Volkswirtschaftsplans wurde empfindlich behindert. Die Planerfüllung in den Bereichen und Betrieben, die keine oder nur wenige strukturbestimmende Aufgaben hatten, wurde zusätzlich erschwert und zum Teil direkt verhindert. Eine normale Reproduktion war in vielen Bereichen der Volkswirtschaft nicht mehr möglich. Der Anteil der strukturbestimmenden Investitionen an den gesamten Investitionen der zentralgeleiteten Industrie sollte nach dem Arbeitsstand im Oktober 1969 von 31 Prozent 1969, auf 38 Prozent 1970 und 45 Prozent in den Jahren 1971-1975 steigen (Steiner 1999, 456). Damit wird schon deutlich, dass eine gleichgewichtige dynamische Entwicklung der Volkswirtschaft, in der auch die normale Reproduktion der nicht strukturbestimmenden Bereiche einen wichtigen Platz einnimmt, starken Störungen unterlag und kaum noch möglich war.
Hieran hat auch die Wirtschaftswissenschaft einen Anteil. Sie hat nicht rechtzeitig und nicht mit der notwendigen Konsequenz deutlich gemacht, dass diese Übertreibungen nicht zielführend sind. Sie hat ungeachtet einer Reihe guter Überlegungen auch nicht ausreichend ausgearbeitet, wie solche Probleme, wie das Aufholen von Entwicklungsrückständen gegenüber führenden kapitalistischen Ländern langfristig erreicht werden kann.
Auch nach heutigen Erkenntnissen waren Grundüberlegungen zur Verbesserung der Planung und zur prognostischen Tätigkeit, zu ihrer Bedeutung für eine vorausschauende, auf die Zukunft orientierte Planung richtig und bleiben erhaltenswert. Die überzogenen Erwartungen an die damit zu erreichenden Kenntnisse über zukünftige Entwicklungen, häufig unrealistische Zielstellungen und andere Übertreibungen müssten vermieden werden. Der Austausch über Probleme und Widersprüche in der Prognosearbeit, über deren Lösungsmöglichkeiten sowie über die Wege die beschritten werden müssen, um mögliche positiven Effekte langfristiger Prognosen zu verstärken, sollten bei der Entwicklung einer Planung, die auf der Höhe der Zeit steht, intensiv, offen und kritisch geführt werden.
Die Konzentration der Pläne auf Veränderungen der Produktionsstrukturen der Volkswirtschaft, der Zweige, der Regionen und konkreter Erzeugnisstrukturen in Übereinstimmung mit den langfristigen Entwicklungstendenzen von Wissenschaft und Technik und den Bedürfnissen der Menschen war eine tragende Idee des NÖS, die auch in Zukunft ihre Bedeutung haben wird. In den hierfür zu beachtenden Erfordernissen müssten jedoch die Aufgaben des sozial-ökologischen Umbaus zur Sicherung einer nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklung einen bestimmenden Platz in einer zukünftigen Strukturpolitik einnehmen. Eine demokratische Planung böte in Verbindung mit der Überwindung der Dominanz des Kapitaleigentums und des Profitprinzips die Möglichkeit, nicht nur die notwendigen strukturellen Veränderungen für den ökologischen Umbau zu konzipieren, sondern dies auch zielgerichtet, durch einen volkswirtschaftlich gelenkten Einsatz der dazu erforderlichen Ressourcen, insbesondere der notwendigen Investitionen, umzusetzen. Darin würde einer der größten potenziellen Vorzüge einer sozialistischen Produktionsweise bestehen. Dies betrifft insbesondere solche Komplexe wie Energiewende, neue Wege für die Mobilität, biologische Landwirtschaft, energieökonomisches Bauen sowie Veränderungen in der gesamten Konsumtions- und Lebensweise.
Die prognostische Tätigkeit in der DDR unterschied sich von den Prognosen, die in der BRD und anderen kapitalistischen Ländern ausgearbeitet wurden, vor allem durch folgende Merkmale: Erstens waren sie auf Voraussagen für längere Zeiträume konzentriert. Sie unterschieden sich darin bspw. von den Jahresprognosen, die vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für das jeweilige Folgejahr abgegeben wurden. Zweitens waren sie auf die Qualifizierung der Pläne gerichtet. D.h. sie waren von vornherein und sehr eng mit dem Planungsprozess verbunden. Sie sollten gewissermaßen als dessen Vorstufe fungieren. Drittens wurde die Ausarbeitung und Auswertung von Prognosen auf der Grundlage eines umfassenden staatlichen Systems prognostischer Tätigkeiten organisiert, geleitet und durchgeführt. Dies galt vor allem für die ersten Jahre einer umfassenden Prognosetätigkeit in der DDR von 1966 bis 1971. Viertens war die Ausarbeitung von Prognosen mit der für die DDR und auch für andere realsozialistische Länder typischen Ausschlägen nach oben – übertriebene Anwendung auf allen Ebenen und in fast allen Bereichen, überzogene Vorstellungen über den Nutzen von Prognosen – und danach nach unten – infolge vor allem von Enttäuschungen, weil sie die hohen Erwartungen nicht erfüllen konnten – auch Anlass für Fehlentscheidungen.
Vom Politbüro der SED war festgelegt worden, die Prognosearbeit zentral, von oben zu leiten. Nach einem Beschluss des Ministerrats über die Weiterführung der prognostischen Arbeit vom Oktober 1967 wurde zur Anleitung, Orientierung und Koordinierung der prognostischen Arbeit in der DDR eine „Zentrale Arbeitsgruppe beim Präsidium des Ministerrats der DDR für die Leitung der prognostischen Tätigkeit“ geschaffen. Sie wurde zuerst direkt vom Vorsitzenden des Ministerrats Willi Stoph, später durch den Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats und Minister für Wissenschaft und Technik Herbert Weiz geleitet.
Um die für die Vorbereitung der Pläne notwendigen prognostischen Erkenntnisse in einer möglichst hohen Qualität bereitzustellen, wurden für volkswirtschaftlich komplexe und übergreifende Probleme sowie für die wichtigsten Gebiete der wissenschaftlich-technischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung Ständige Prognosegruppen gebildet.
Eine Übersicht der festgelegten 17 Ständigen Prognosegruppen (vgl. Steinitz/Walter 2014, 83f.) macht deutlich, dass das Ziel der prognostischen Tätigkeit, für die langfristigen Pläne und die Fünfjahrpläne notwendige Vorbereitungs- und Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, relativ detailliert und systematisch in Angriff genommen wurde. Die meisten Bereiche und Zweige der materiellen Produktion sind erfasst. Unter diesen 17 Ständigen Prognosegruppen vermisst man eine Prognose zur Entwicklung der natürlichen Umwelt und den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Dies wurde etwas später mit der Bildung einer zentralen Prognosegruppe zur Ausarbeitung der Prognose Sozialistische Landeskultur und Umweltgestaltung teilweise nachgeholt.
Zu den positiven Wirkungen der intensiven Prognosearbeit in den Jahren 1967 bis 1971 gehören die Erweiterung der Kenntnisbasis und der Zeithorizonte für zukünftige Entwicklungstendenzen auf Hauptgebieten von Wissenschaft und Technik und der Produktionsstruktur sowie ein höheres Verständnis für die engen Beziehungen zwischen Wissenschaft, Technik und Ökonomie. Dies betraf sowohl die inhaltlichen Verflechtungen und Wechselwirkungen, als auch die engere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, Technikern und Ökonomen. Es gelang auch, einen weit größeren Kreis von Menschen, darunter viele Wissenschaftler, in eine wichtige Phase der Planvorbereitung einzubeziehen und damit ihr schöpferisches Potenzial für eine aktive Gestaltung der Zukunft zu nutzen.
Zu Mitgliedern der 17 Ständigen Prognosegruppen wurden insgesamt 240 erfahrene Wissenschaftler, staatliche Leiter und Praktiker berufen. Davon kamen 98 aus zentralen Staatsorganen, 5 aus örtlichen Staatsorganen, 95 waren Wissenschaftler aus Instituten, 39 kamen aus VVB und Kombinaten sowie 5 aus Parteien und Massenorganisationen. In die Arbeiten der Prognosegruppen waren mehr als 2400 Menschen direkt einbezogen.
Die Beratung von Ergebnissen der prognostisch-analytischen Arbeit in den jeweiligen Prognosegruppen war oft mit kontroversen und zugleich fruchtbaren und anregenden Diskussionen verbunden. Die Zeit, in der sie in den Ständigen Prognosegruppen gearbeitet hatten, blieb den Mitgliedern meist als eine insgesamt schöpferische und interessante Arbeitsphase in guter Erinnerung. Der Erfahrungsaustausch mit den für die Prognosearbeit Verantwortlichen anderer RGW-Länder, insbesondere der UdSSR und der CSSR, und gemeinsame Arbeiten zur Bewertung wissenschaftlich-technischer und ökonomischer Tendenzen trugen zur Qualifizierung der Arbeiten bei und festigten die freundschaftlichen Kontakte zwischen den Menschen der daran beteiligten Länder.
In der prognostischen Tätigkeit in der DDR gab es eine Reihe Hemmnisse und ungelöste Probleme, wie eine unsichere analytische Basis: unzureichende Vorstellungen über zukünftige Brüche als Abweichungen von einer linearen Fortsetzung bisheriger Entwicklungstrends, eine Überschätzung der sozialistischen Vorzüge für eine hohe Dynamik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts kombiniert mit einer Unterschätzung hemmender Faktoren, zu starke Orientierung auf ein hohes Wachstumstempo der Produktion, Unterschätzung von Veränderungen in der Bedürfnisentwicklung (vgl. Steinitz/Walter 2014, 88 ff.).
Die Möglichkeiten, im Rahmen der Prognosen verschiedene Alternativen auszuarbeiten, und diese dann in einem breiteren Kreis offen zu diskutieren, wurden nicht genutzt. Demokratiedefizite wurden besonders offensichtlich bei den Prognosen, die das zukünftige Leben und Arbeiten der Menschen betrafen, deren Ergebnisse geheim blieben und nicht demokratisch erörtert werden durften.
Ungeachtet der Schwächen der in der DDR, und in anderen realsozialistischen Ländern praktizierten prognostischen Tätigkeit und langfristigen Planung können daraus für die Zukunft wichtige Erfahrungen gewonnen werden:
1. Eine rechtzeitige Einstellung auf zukünftige Herausforderungen verlangt Orientierungen für die ökonomische, soziale und ökologische Entwicklung, die einen längeren Zeitraum von 15 bis 20 Jahre umfassen, d.h. wesentlich über den Rahmen einer kurzfristigen Prognose oder eines Fünfjahrplans hinausgehen. Diese Notwendigkeit wird durch die umweltpolitischen Probleme und Gefahren, die durch gemeinsame Anstrengungen der Weltgemeinschaft bewältigt werden müssen, noch verstärkt. Die Tiefe der hierfür notwendigen Umstellungen in der Produktions- und Lebensweise der Menschen erfordert nicht nur einen langen zeitlichen Erkenntnisvorlauf sondern auch verbindliche Festlegungen zu den Maßnahmen und Etappen, die Gegenstand einer langfristigen Entwicklungsplanung sein sollten.
2. Eine zukunftsorientierte und möglichst realistische langfristige Planung sollte auf fundierten prognostischen Einschätzungen vor allem zu folgenden komplexen Problemen beruhen:
- zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik, insbesondere zu voraussichtlichen neuen Erkenntnissen mit einem tiefgreifenden Einfluss auf die Produktivkräfte und die Produktionsstrukturen;
- zu den veränderten Umweltbedingungen hinsichtlich der stark eingeschränkten Verfügbarkeit über natürliche Ressourcen und der notwendigen radikalen Verringerung der Umweltbelastungen durch CO2 sowie anderer Emissionen und Abfälle;
- zu den tiefgreifenden Veränderungen in den Kriterien zur Bestimmung des Wohlstands und deren Zusammenhang mit der Bedürfnisentwicklung der Menschen;
- zu den notwendige tiefen Veränderungen im ökonomischen Wachstum, die in Richtung einer neuen Qualität ökonomischer Entwicklung sowie einer damit verbundenen langfristig zu realisierenden nachhaltigen Post-Wachstums-Ökonomie in den Industrieländern gehen sollten.
3. Die prognostische Tätigkeit sollte von einem hohen Grad demokratischer Partizipation der Bevölkerung an der Erarbeitung und Erörterung grundlegender Ziele und Realisierungswege langfristiger Pläne bzw. Konzepte getragen werden, da es sich um Entscheidungen handelt, die die Lebensbedingungen und -chancen der Menschen weitgehend bestimmen werden. Dafür ist die Ausarbeitung, Bewertung und öffentliche Diskussion von Alternativen/Varianten sowohl zu den angestrebten Zielen als auch zu den hierfür vorgesehenen Etappen und konkreten Realisierungswegen sehr wichtig.
4. Die Prognosen müssen auf fundierten Analysen und Einschätzungen von globalen Entwicklungsprozessen vor allem auf den Gebieten weiterer wirtschaftlicher Entwicklung und Zusammenarbeit, von Perspektiven zur Lösung der Umweltprobleme sowie von Wegen zur Befriedigung der sozialen Grundbedürfnisse aller Menschen beruhen. Ein Grundproblem wird in diesem Zusammenhang die Rolle und der Inhalt internationaler Wertschöpfungsketten sein. Dabei sollte es darum gehen, sowohl die Dominanz der Profitinteressen der transnationalen Konzerne bei deren Gestaltung zu überwinden, als auch die Bedingungen und Möglichkeiten der Entwicklungsländer für den Aufbau komplexer, ihren eigenen Interessen entsprechender Produktionsstandorte und -strukturen zu verbessern. Hierfür und generell für die qualifizierte Vorbereitung von Vorschlägen und Konzepten zur langfristigen Entwicklung kann der internationale Erfahrungs- und Gedankenaustausch zwischen den Ländern bis zur Ausarbeitung gemeinsamer Projekte auf gleichberechtigter Grundlage beitragen.
Eine kritische und konstruktive Nutzung der vielfältigen und widersprüchlichen Erfahrungen des Staatssozialismus für eine langfristige Transformationsstrategie setzt, wie zu Beginn bereits erwähnt, voraus, die veränderten Bedingungen und neuen Herausforderungen im gegenwärtigen globalen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus gründlich zu analysieren und daraus notwendige Konsequenzen abzuleiten. Im Rahmen dieses Beitrags muss ich mich darauf beschränken, einige hiermit verbundene Probleme und Fragestellungen zu nennen, die weiter erörtert werden müssten.
- Aus der dominierenden neoliberalen Globalisierung ziehen die stärksten kapitalistischen Staaten den größten Nutzen, die Nord-Süd-Spaltung nimmt in der Grundtendenz zu und die soziale Polarisation innerhalb der Länder wird größer. Welche Möglichkeiten gibt es diesen Tendenzen entgegenzuwirken?
- Die gegenwärtige Globalisierung ist mit einem zunehmenden Einfluss der Finanzmärkte und der transnationalen Konzerne auf die Politik und die Wirtschaftsbeziehungen sowohl international und innerhalb von Wirtschaftsblöcken wie der EU, als auch im nationalstaatlichen Rahmen verbunden. Welche Herausforderungen sind global, in der EU und in den Ländern zu bewältigen, um diese Dominanz zurückzudrängen und den Interessen der Völker und den Bevölkerungsmehrheiten stärker Rechnung zu tragen?
- Ein charakteristisches Merkmal der gegenwärtigen Entwicklung besteht darin, dass die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte und der weltwirtschaftlichen Beziehungen im Wesentlichen fortgeführt und teilweise noch erweitert werden. Dazu gehört auch, dass die Auslandsinvestitionen der Konzerne zunehmend der demokratischen Kontrolle der Nationalstaaten entzogen werden. Deutlich zeigen sich diese Tendenzen u.a. in dem vorbereiteten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP). Hieraus ergeben sich wichtige Konsequenzen für eine Gegenstrategie, die nicht schlechthin auf eine Re-Regulierung, sondern auf eine demokratische Regulierung mit einer Stärkung demokratischer Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten gerichtet sein muss.
- Die europäische Integration im Rahmen des Vertragssystems der EU und der Eurozone verändern die Bedingungen und auch die Möglichkeiten der einzelnen Mitgliedsländer, ernsthafte und tiefergehende Schritte einer Transformation zu gehen. Das Konzept einer doppelten Transformation (Klein 2013) setzt voraus, dass hierfür eine in Grundzügen gemeinsame Strategie der Linken in der EU ausgearbeitet wird.
Die größten Herausforderungen für eine linke, alternative ökonomische Theorie, die eine wissenschaftliche Grundlage für eine langfristige Transformationsstrategie bilden kann, sind noch zu bewältigen. Dazu können sowohl die kritische Auswertung von Erfahrungen des Realsozialismus als auch die gegenwärtigen Diskussionen zur Zurückdrängung des Finanzmarktkapitalismus und zur Überwindung der Krise der Europäischen Union beitragen als wichtige und unverzichtbare Schritte eines langfristigen Transformationsprozesses.
Literatur
Brie; Michael (Hrsg.) (2014), Futuring. Perspektiven der Transformation im Kapitalismus über ihn hinaus, Münster
Busch, Ulrich (2000) Theoriedefizite des NÖS, in: Helle Panke ...eine spannende Periode in der Wirtschaftsgeschichte der DDR Entstehen und Abbruch des Neuen Ökonomischen Systems in den sechziger Jahren, Pankower Vorträge, Heft 23/1, Berlin
Klein, Dieter (2013), Das Morgen tanzt im Heute. Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus, Hamburg
Koziolek, Helmut (1996), Hatte das Neue Ökonomische System eine Chance? In: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 10, Berlin
Steiner, André (1999), Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikte zwischen Effizienz und Machtkalkül, Berlin
Steinitz, Klaus/Walter, Dieter (2014), Plan-Markt-Demokratie, Prognose und langfristige Planung in der DDR – Schlussfolgerungen für morgen, Hamburg
[1] Berechnet auf der Grundlage von: Statistisches Jahrbuch der DDR ’90, Berlin 1990, S. 301, 315.