Eva Tigmann, Michael Landau, Unsere vergessenen Nachbarn. Jüdisches Gemeindeleben auf dem Land. Familien und ihre Schicksale am Beispiel der Synagogengemeinden der Gemeinde Nohfelden (Band 12 der Schriftenreihe „Geschichte, Politik & Gesellschaft“ der Stiftung Demokratie Saarland), Röhring Universitätsverlag, St. Ingbert 2010, 405 S., 38.- Euro.
Auschwitz – das ist weit weg: geographisch und historisch. Und wen interessiert schon der Nachbar? Noch dazu, wenn es den schon seit über 60 Jahren nicht mehr gibt! Und wem gehört jetzt sein Haus, sein Garten, sein Grundstück? Das wird verdrängt, weil es sonst unangenehme Antworten geben könnte.
„Auschwitz kann bei uns entdeckt werden“ (15), heißt es im Vorwort dieses Buches, das sich beispielhaft und vorbildlich mit der Erforschung der wenigen Zeugnisse dieser Nachbarn beschäftigt. Die Rede ist von unseren jüdischen Nachbarn. Sie waren über Jahrhunderte mehr oder weniger geduldete Mitbewohner – in unseren Städten, aber auch in unseren Dörfern. War dieses Zusammenleben auch vorher nicht immer friedlich, so stellte der Holocaust einen Bruch mit allem dar, was vorher war.
Eva Tigmann uund Michael Landau stellen am Beispiel zweier Synagogengemeinden (Sötern und Bosen) die Generationen jüdischer Familien dar, die dort in relativer Eintracht mit ihren christlichen Nachbarn lebten. Zehn Jahre genügten, um dieses friedliche Miteinander für immer zu vernichten. Eine menschenverachtende Ideologie, die auch in den Dörfern genügend Anhänger fand, führte dazu, dass es auch in den Dörfern „beschämend wenig Zeugnisse“ (15) des Eintretens zum Schutz dieser Menschen gab, dafür aber viele ‚willige Vollstrecker’.
Nur wenig erinnert heute noch an die früheren jüdischen Einwohner. Die Zeugnisse dieser Menschen, ihre Kultur, ihre Friedhöfe, ihre ehemaligen Wohnhäuser, Synagogen und Schulen sollten ausgelöscht werden. Wider dieses Vergessen und gegen Verfall dieser Zeugnisse in unserem Bewusstsein ist dieses Buch geschrieben. Es führt uns auch zu der Erkenntnis dieses Verlusts.
Eva Tigmann und Michael Landau beschäftigen sich seit Jahren in kleinen Studien mit dem jüdischen Leben vor und während der faschistischen Herrschaft in Deutschland. Mit dem jetzt vorliegenden Werk setzen sie Maßstäbe, die auch dazu anregen können, sich andernorts mit gleicher Akribie einem Thema zu widmen, das noch weitgehend unerforscht ist, wie Prof. Herbert Jochum in seinem Vorwort schreibt.
In drei Teilen nähern sich Tigmann und Landau ihrem Thema. Mit großer Genauigkeit und persönlichem Engagement wird im ersten Teil (29-198) das Familienbuch der Menschen dargestellt, deren Leidenswege „überwiegend auf der Flucht oder in den Gaskammern endeten“ (14). Im zweiten Teil (200-275) werden das jüdische Leben, der Alltag und – besonders herausgehoben – das Schulwesen thematisiert. Das Schlusskapitel, Ausgrenzung und Vernichtung, belegt mit zahlreichen Dokumenten und Aussagen von Zeitzeugen, wie Menschen zu Tätern und Opfern gemacht wurden, aber auch, wie die Täter über ihre Verbrechen hinweggingen und die Opfer dem Vergessen anheimfallen sollten. Ehemalige Synagogen sind heute ein „Wohn- und Geschäftshaus“ (224) oder „in Privatbesitz“ (225). Andere Einrichtungen wurden „als Stall oder Abstellraum benutzt“ (234). Und wo doch Erinnerung war, versuchten die Epigonen der faschistischen Verbrecher den gleichen jüdischen Friedhof, der bereits 1938 geschändet worden war, 1998 erneut zu verwüsten. In beiden Fällen – heißt es im Buch – konnten die Täter nicht ermittelt werden.
Die Studie von Tigmann und Landau ist – wie Friedel Läpple, der Vorsitzende der Stiftung Demokratie im Saarland, schreibt – „ein grundlegender Baustein zur Aufarbeitung der jüdischen Geschichte an der Saar“ (11). Dem Buch sind vielen Geschwister aus allen unseren Landesteilen zu wünschen.
Friedrich Sendelbeck